Braune Provokation in Jena

Frontlinien
AMMAR ABDULLAH/REUTERS
Geostrategisches Spielfeld: Seit
mehr als fünf Jahren wird in Syrien
ein brutaler Stellvertreterkrieg ausgetragen. Die Golfstaaten und ihre
westlichen Verbündeten zielen auf
eine Zerschlagung der arabischen
Republik. Von Karin Leukefeld
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Skandale und verschärfte Repression:
Das Image von Südkoreas Präsidentin ist schwer ramponiert
Berlin ist kolossal verschuldet. Viele
»rot-rot-grüne« Pläne stehen
deshalb in den Sternen
DGB stellt Index »Gute Arbeit« vor.
Beschäftigte beklagen Über­
lastung im digitalen Zeitalter
Maria Heiner hat eine biographische
Skizze über die Malerin Lea
Grundig (1906–1977) vorgelegt
Killerspiele
beim Bund
USA zu zivilen Opfern bei
Luftangriffen gegen IS
Washington. Bei Luftangriffen des
US-geführten Kriegsbündnisses
gegen den »Islamischen Staat«
im Irak und in Syrien sind nach
Angaben des Pentagon in den vergangenen Monaten mehrere Dutzend Zivilisten getötet worden.
Im Zeitraum vom 20. November
2015 bis zum 10. September 2016
seien 64 Menschen ums Leben
gekommen und acht verletzt
worden, teilte ein Militärsprecher
mit. Seit 2014 starben nach Angaben der US-Armee 119 Zivilisten
bei den Luftangriffen, 37 wurden
verletzt. Die in London ansässige
Gruppe »Airwars« zählte indes
von Beginn dieser Attacken am
8. August 2014 bis zum 6. November dieses Jahres bis zu 2.647
getötete Zivilisten bei insgesamt
624 berichteten Kriegshandlungen. (AFP/Reuters/jW)
Bundeswehr rekrutiert immer mehr
Minderjährige. Kommunale Meldeämter und
Youtube helfen dabei. Von Susan Bonath
Grün hinterm Ohr, aber Knarre in der Hand: Grundausbildung in der Leipziger General-Olbricht-Kaserne
Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Norbert Müller, bezeichnete die
Praxis als »Skandal«, der »umgehend
gestoppt werden muss«. »Militärische
Interessen dürfen nicht länger Vorrang
vor den Schutzrechten Minderjähriger
haben«, kritisierte Müller am Donnerstag. Außerdem untergrabe die Bundesregierung so die Intention der UN-Kinderrechtskonvention. Mehrfach habe
der Ausschuss der Vereinten Nationen
für die Rechte des Kindes von Deutschland gefordert, die Rekrutierung von
Jugendlichen durch die Bundeswehr zu
stoppen. Dem habe sich auch die Kinderkommission des Bundestages angeschlossen. Statt dessen werbe das Militär immer offensiver »Kindersoldaten«
an. Jüngstes Beispiel dafür ist die neue
Webserie »Die Rekruten«, die auf dem
Portal Youtube läuft und rund 1,7 Millionen Euro kostete. Darin inszeniert
die Bundeswehr die Soldatenausbildung als »Abenteuer für Grenzgänger«.
Laut Gesetz darf die Bundeswehr
schon 17jährige ausbilden, wenn deren
Eltern sich damit einverstanden erklären. Geschult werden die Jugendlichen
auch an Waffen. Zu Auslandseinsätzen
darf sie die Jungen und Mädchen allerdings erst nach ihrem 18. Geburtstag
schicken. Gleiches gilt für Wachdienste. Für neues Kanonenfutter sorgt das
Heer nicht nur in Schulen, wo Jugendoffiziere zum Teil bereits vor Neuntklässlern referieren und Lehrer mit
Schülern Truppenübungsplätze besuchen. Die Bundeswehr schickt 16- und
17jährigen auch gezielt Werbung ins
Haus. Die Kommunen helfen ihr dabei.
So erlaubt das Soldatengesetz den
Einwohnermeldeämtern der Städte und
Gemeinden, dem Personalmanagement der Bundeswehr jeweils zum 31.
März Namen und Anschrift von Jugendlichen zu übermitteln, die im darauffolgenden Jahr das 18. Lebensjahr
vollenden. Im kommenden Frühjahr
betrifft das alle im Jahr 2000 Geborenen. Laut dem Bundesmeldegesetz
kann den automatischen Datentransfer
nur derjenige verhindern, der bis zum
Ende des Vorjahres bei seinem Bürgeramt der Weitergabe widerspricht.
Auch die Stadt Dresden berief sich
Ende Oktober gegenüber der Sächsischen Zeitung auf ihre gesetzliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit
dem Militär. »Die Datenübermittlung
dient der Zusendung von Informationsmaterial über die Streitkräfte an potentielle Rekruten«, argumentierte die
Stadt. Zugleich wies sie auf das Widerspruchsrecht bis zum 31. Dezember
hin. Viele Städte informieren hierzu
auf ihren Webseiten, so zum Beispiel
Berlin. Danach ist ein Veto gegen die
Weitergabe von persönlichen Daten
an »öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften« sowie »in besonderen
Fällen« möglich. Letzteres schließt die
Bundeswehr ein.
Braune Provokation in Jena
Am 9. November marschierten Neonazis mit Fackeln und Trommeln durch die Unistadt
U
nter dem Protest von etwa
1.500 Antifaschisten zogen
am Mittwoch abend etwa 80
Neonazis mit Trommeln und Fackeln
durch Jena. Während des Aufzugs trugen die Rechten einen Sarg, auf dem
auf der einen Seite »Antifa« und auf
der anderen »Demokratie« zu lesen
war. Das rechte Bündnis »Thügida«
um die Protagonisten David Köckert
und Alexander Kurth versuchte so erneut, in der Universitätsstadt zu provozieren. Ausgerechnet am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht
von 1938, wurde ihnen ermöglicht,
aufzumarschieren. Die Stadt Jena hatte zuvor erfolglos versucht, den Aufmarsch um einen Tag vorzuverlegen.
Sie war damit aber vor den Verwaltungsgerichten gescheitert.
Bei den Kundgebungen der extrem
Rechten und der Gegendemonstranten
wurden vier Polizeibeamte verletzt,
wie die Polizei in Jena mitteilte. Wegen einer Reihe von Straftaten werde
ermittelt, darunter Verstoß gegen das
Versammlungsgesetz, Sachbeschädigung, Landfriedensbruch und Körperverletzung. Mindestens ein Neonazi
zeigte vor Polizisten auch den verbo-
tenen »Kühnengruß«, wie die Rechten
auf einem ins Internet gestellten Video
dokumentierten. Der Mann wurde von
den Beamten nicht belangt. Alexander
Kurth drohte während des Aufzugs
Gegendemonstranten und Medienvertretern. »Euch allen wird das Lachen
eines Tages vergehen«, schrie er ins
Mikrophon. Sprechchöre wie »Blut
und Ehre der deutschen Nation« oder
»Frei, sozial und national« waren zu
hören. Vor allem auf die antifaschistisch engagierte Landtagsabgeordnete
Katharina König (Linke) zielten die
rechten Hetzreden. Eine Neonaziband
hatte bei Youtube Ende Oktober zum
Mord an König aufgerufen.
Jana Semmler, Sprecherin der Antifaschistischen Aktion Jena, kritisierte
am Donnerstag das enorme Polizeiaufgebot, das Auffahren von Wasserwerfern und den Einsatz von Schlagstöcken, Pfefferspray und Hunden gegen
Neonazigegner. Die Stadtverwaltung
habe zudem nicht genug getan, den Aufmarsch zu verhindern. »Die Stadt Jena
scheint sich mittlerweile mehr um das
Gelingen der ›Thügida‹-Aufmärsche zu
sorgen als um ihre Zivilgesellschaft«,
so Semmler.
Michael Merz
FRANK RUMPENHORST/DPA-BILDUNK
B
eim deutschen Militär dienen
immer mehr minderjährige Soldaten. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres traten 1.576 Rekruten
ihren Kriegsdienst an, die noch keine 18
Jahre alt waren – ein Rekord seit dem
Aussetzen der Wehrpflicht im Juli 2011.
Das teilte das Ministerium auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag
mit. Die Antwort liegt jW vor.
Demnach stieg die Zahl der jugendlichen Soldaten innerhalb der vergangenen fünf Jahre auf mehr als das
Doppelte. 2011 hatte die Bundeswehr
insgesamt rund 14.700 Rekruten eingestellt, von denen fast 700, knapp fünf
Prozent, noch nicht volljährig waren. In
den Jahren 2012 bis 2015 verzeichnete
das Heer jeweils 21.000 Neuzugänge.
Die Zahl der Minderjährigen kletterte
derweil von 1.200 auf mehr als 1.500.
Inzwischen sind gut sieben Prozent der
Rekruten unter 18 Jahren alt.
Der kinder- und jugendpolitische
Gemeinnützigkeit von
­ATTAC gerichtlich bestätigt
THOMAS SCHULZE/DPA
Kassel. Die globalisierungskritische
Organisation ATTAC ist gemeinnützig. Das zuständige Finanzamt
in Frankfurt am Main hat dem
Trägerverein für die Jahre 2010 bis
2012 die Gemeinnützigkeit zu Unrecht entzogen, wie am Donnerstag
das hessische Finanzgericht in Kassel entschied. Politische Aktionen
stünden dem nicht entgegen, solange ATTAC damit seine gemeinnützigen Satzungsziele verfolge.
Konkret könne sich die Gruppierung insbesondere auf das Ziel der
politischen Bildung berufen, hieß
es. Alle ATTAC-Aktionen seien
eng in ein »umfassendes Informationsangebot eingebunden gewesen«.
Das Finanzamt Frankfurt am
Main III hatte dem Trägerverein
2014 die Gemeinnützigkeit aberkannt. Spenden an die Organisation waren daher nicht mehr steuerlich absetzbar, wogegen ATTAC
klagte.
(AFP/jW)
Siehe Seite 8
wird herausgegeben von
1.909 Genossinnen und
Genossen (Stand 10.11.2016)
n www.jungewelt.de/lpg