Gemischte Gefühle – über Erfolg und Scheitern in Lehr-Lernsettings Erfolgreiche und gute Lehre – was ist das eigentlich? Ich beziehe mich zunächst auf die Charta der guten Lehre vom deutschen Stifterverband. Lehre soll „inspirieren, motivieren, praxisnah und forschungsorientiert sein, die unterschiedlichen Bildungsbiografien der Studierenden berücksichtigen, gleichzeitig die Studierenden in die Verantwortung nehmen.“ , heißt es dort. Und weiter: Unbestritten ist mittlerweile, dass gute Lehre sich dadurch auszeichnet, dass sie eigenverantwortliches, aktives und nachhaltiges studentisches (Tiefen-)Lernen bewirkt und (Oberflächen-)Lernen zu verhindern sucht. Es ist somit die Aufgabe der Lehrenden, Lehr- und Lernarrangements zu gestalten, die das aktive, selbstgesteuerte , soziale Lernen der Studierenden fördern und fordern. ....Gute Lehre ist nur möglich, wenn die Lehrenden den Wandel der Lehr- und Lernkultur im shift from teaching to learning ernstnehmen, sich für den Lernerfolg ihrer Studierenden mitverantwortlich fühlen und die Studierenden auf ihrem individuellen Bildungsweg begleiten. Gute Lehre fordert darüber hinaus, dass die Lehrenden erkennen, dass sie als Experten für das Fach selbst beständig lernen und sich in der Rolle als Coach im Lernprozess der Studierenden stetig weiterentwickeln müssen.“ Soweit erstmal die Positionen des Stifterverbandes. Das klingt alles super und die Paradigmen für gute Lehre lesen sich wirklich sehr geschmeidig. Meiner Erfahrung nach ist Lehre allerdings alles andere als geschmeidig. Sie kann es manchmal sein, eben so oft allerdings auch nicht! Lehre kann auch scheitern. Gemischte Gefühle Ich nähere mich dem Thema aus meiner Perspektive als Professorin und als Vizepräsidentin für Studium und Lehre, dies wird teilweise subjektiv und anekdotisch passieren. Ich bin seit 30 Jahren mit hochschulischer Lehre befasst zunächst als Studentin, als wissenschaftliche Mitarbeiterin, seit 10 Jahren als Professorin und immer noch vermag es der Semesterstart mich in Aufruhr zu versetzen. Trotz so langer einschlägiger Berufserfahrung bin ich in diesem Moment gar nicht abgeklärt. Der Start in ein neues Semester ist für mich immer aufregend und verknüpft mit gemischten Gefühlen: Welche Studierenden erwarten mich in der Lehrveranstaltung? Passt die Chemie der Studierenden im Seminar untereinander? Kriege ich einen Draht zu ihnen? Sind sie an dem Seminarthema interessiert? Werden sie sich einbringen? Sind ihnen die Inhalte wichtig, oder geht es ihnen in erster Linie um prüfungsrelevanten Stoff? Nach zwei Seminarsitzungen 1 ist mir dann in der Regel klar, ob die Lehrveranstaltung nach meinen Maßstäben gut läuft oder nicht. Die Betonung liegt hier auf meinen Maßstäben. Ich denke, dass diese gemischten Gefühle wichtig sind, um gute Lehre machen zu können. Hätte ich diese Unsicherheiten nicht, dann wäre dies ein Indikator dafür, dass ich schon sehr abgeklärt bin, mich nicht recht einlasse auf die Studierenden und eine Lehrveranstaltung nach „Schema F“ mache. Das wäre etwas komfortabler, wird meinen Ansprüchen die ich an mich als Lehrende habe allerdings nicht gerecht. Erfolgreiche Lehre und erfolgreiches Lernen Eingangs habe ich die Grundsätze des Stifterverbandes zu guter Lehre dargelegt. Ich erlaube mir an dieser Stelle weniger abstrakt zu sein und meine Überlegungen hierzu im Folgenden in den Mittelpunkt zu stellen. Wann ist also ein Seminar nach meinen Maßstäben eine erfolgreiche und gelungene Lehrveranstaltung? Sie ist es dann, wenn ich das Gefühl habe, dass sich die Studierenden für das Thema interessieren und mitarbeiten. Wenn sie versuchen, kontinuierlich in der Veranstaltung zu erscheinen, wenn sie sich und den anderen Fragen stellen, ein Lerninteresse zeigen, wenn sie – kurz gesagt – Mitverantwortung für das Gelingen des Seminars übernehmen. Eine gut geratene Lehrveranstaltung ist es für mich dann, wenn ich ganz banal gesprochen, gerne und ohne Bauchgrimmen ins Seminar gehe. Wenn ich mich auf die fundierten, weil theoriegeleiteten Debatten freuen kann. Das Seminar ist dann erfolgreich, wenn es klappt, dass die Studierenden ihre eigenen Fragen an das und Zugänge zum Thema entdecken. Meine Lehre ist dann erfolgreich, wenn ich einen Beitrag dazu leisten kann, dass dem einen oder der anderen „ein Licht“ aufgeht, weil sie sich ein Theoriegebäude angeeignet und durchdrungen haben. Wenn sie dazu „richtige“ Bücher gelesen, die Gedanken hin und her gewälzt und mit Gleichgesinnten rauf- und runterdekliniert und es sich zu eigen gemacht haben. Kurz: wenn Sie Theorien und Theoreme als Denkwerkzeuge benutzen können, weil sie sie durchdrungen haben und somit später - nach dem Studium – Praxis verändern. Wenn sie sich einmischen in den Seminarplan und das alles noch in freundlicher Atmosphäre stattfindet. Dann bin ich zufrieden, dann ist es erfolgreiche Lehre für mich. Bin ich da zu idealistisch oder gar aus der Zeit gefallen? 2 Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob Studierende das überhaupt so für sich unterschreiben würden. Ob meine Vorstellungen von guter Lehre überhaupt mit denen der Studierenden übereinstimmen? Vielleicht gibt die Kollegin Klausberger hierzu gleich noch Hinweise. Scheitern in der Lehre und im Lernen Leider schreibt der Stifterverband nichts zum Scheitern in der Lehre. Zur Bestimmung guter Lehre gehört für mich, sich die schlechte, manchmal gescheiterte Lehre anzusehen. Gescheitert bin ich schon sehr oft und zwar in der Regel am Eigensinn der Studierenden. Das will ich hier nicht beklagen, meine dies auch gar nicht negativ und will im Folgenden auch keine Studierendenschelte betreiben sondern nüchtern, vielleicht auch etwas ernüchtert feststellen. Gescheitert bin ich für mich dann, wenn ich das Gefühl habe, dass ich gegen die Studierenden „Anlehre“. Das kann die beste Seminarvorbereitung nicht verhindern und es gibt so Seminare, da funktioniert nichts, kein Input, keine aktivierenden Sequenzen, kein forschendes Lernen. Es matcht einfach nicht, wie es neudeutsch heißt. Das kennen alle Lehrenden, die wenigsten reden allerdings darüber. Evtl. streichen wg Zeitnot: Hier nur ein paar typische Beispiele: Wenn Texte zur nächsten Seminarsitzung gelesen werden sollen und sie schön handlich im Moodlekurs bereitstehen, klappt dies unter Garantie nicht! Dann haben von insgesamt 20 Seminarteilnehmenden fünf den Text gelesen. Insgesamt sind in der Sitzung 15 anwesend, mindestens die Hälfte allerdings war in der letzten Sitzung gar nicht zu gegen, also sind in der betreffenden Sitzung die Karten wieder völlig neu gemischt. Das bedeutet, dass diejenigen, die den Text gelesen hatten, zurecht genervt sind, weil es noch eine Wiederholungsschleife gegeben hat. Ich war genervt, weil die Diskussionen wieder aus dem Bauch heraus von „Hölzchen auf Stöckchen“ kamen. Ich gestehe, dass ich es noch nicht über mich gebracht habe, den Studierenden die Texte einzeln zuzumailen. Ich vermisse die Leselust! Bin ich gescheitert mit meiner Lehre, wenn es so läuft? Oder sind gar die Studierenden gescheitert? An welchen Ansprüchen? An meinen? An Ihren? An denen eines Studiums? Wichtig für das Thema Erfolg und Scheitern ist des Weiteren die Frage der Eigenmotivation der Studierenden. Viele Studierende bringen diese Antriebskraft im ersten Semester mit, viele auch nicht. Die berufsbegleitenden Studierenden haben davon in der Regel mehr, als die Vollzeitstudierenden. Letztere befinden sich in der Regel in einer anderen Lebensphase und sind neben Erwerbsarbeit eben auch noch mit anderen Themen befasst: Auszug aus dem Elternhaus, sich selbst vergewissern etc. Ist es nun mein Job als Lehrende diese Antriebskraft 3 zu befeuern, damit es ein gelungenes Seminar wird? Es ist oftmals unendlich mühsam immer wieder an der Motivationsschraube zu drehen. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass ich im Seminar die Grundlagen des Selbstmanagements, wie Pünktlichkeit, sich entschuldigen wenn man Krank ist oder Arbeiten geht, sich bei den Mitstudierenden erkundigen was man verpasst hat, vermitteln muss. Laut des Stifterverbandes sollen Lehrende dafür Sorge tragen als LerncoachIn die Lern- und Entwicklungsprozesse der Studierenden planvoll zu ermöglichen und den Rahmen dafür optimal zu gestalten. Das kann ist allerdings sehr herausfordernd, wenn die Studierenden sich aus guten und weniger guten Gründen nicht beteiligen und ich kann auch den Einwand „dann muss das Seminar seitens der Lehrenden noch besser, noch funkiger gestaltet werden“, nicht mehr hören! Für mein Dafürhalten sind weder die Studierenden noch die Lehrenden alleine „Schuld“ am Erfolg oder Misserfolg einer Lehrveranstaltung, denn ein Seminar ist immer nur so gut wie die Zusammenarbeit in der Gruppe ist, das ist eine Binsenweisheit aus der Theorie und Praxis der Arbeit mit Gruppen. Jeder und jede die mit Gruppen arbeitet weiß dies: Der bzw. diejenige die oder der da vorne steht, ist da gar nicht so wichtig. Es käme einer sehr omnipotenten Vorstellung von sich gleich, würde dies ein Dozent oder eine Dozentin von sich denken, dass das Wohl und Wehe des Seminares allein von ihm oder ihr abhinge. Der Eigensinn der Studierenden Ich versuche mich an meine Zielgruppe nämlich die Studierenden heranzutasten und zu verstehen, warum viele von ihnen so ticken, wie ich es zuvor beschrieb. Das eine ist doch, mich als Lehrende immer weiter selbst zu optimieren, mich in Didaktik weiterzubilden, meine Coachingtalente zu professionalisieren und meine Neugier auf die Studentinnen und Studenten wach zu halten. Das allein genügt allerdings nicht. Es heißt ja, dass diejenigen, die noch vor der Umstellung des Systems von Diplom auf Bachelor-Master studiert haben wie ich zum Beispiel, dem alten System der oftmals angebotsorientierten Studiengänge am stärksten nachtrauern. Es wird das Verschulte des 4 Bachelorstudiums beklagt von den Verfechterinnen und Verfechtern des Humboldschen Bildungsideals. Wir haben es ja angeblich mit der Generation Y mit den super angepassten Studierenden zu tun. Meiner Wahrnehmung nach ist es oftmals gerade das Verregelte im Studium, die engen Stundenpläne und die ganz genaue Arbeitsanweisungen, welche die Angst Fehler zu machen auf Seiten der Studierenden verkleinert. Evtl. wg. Zeitnot rausnehmen: Dies sind jene Studierende, die in der ersten Seminarsitzung erst mal fragen, wie oft sie fehlen dürfen, wie die Prüfungsleistung aussieht, wie viele Zeichen die Hausarbeit haben soll und was sie für den Schein machen müssen. Das habe ich wirklich in jedem Kurs! Ich finde es oft auch Anstrengend, in Auseinandersetzungen mit Studierenden zu gehen. Ein Beispiel: Ein Student liest in der Lehrveranstaltung demonstrativ Zeitung. Ich ärgere mich, weil sein Verhalten mir Desinteresse signalisiert. Spreche ich dies an und begebe mich in einen Konflikt oder „übersehe“ ich dies? Ich kann das nicht so gut mit dem Übersehen. Ich bin da richtig schlecht drin. Also sprach ich es an und - oh Wunder - der besagte Student war völlig konsterniert über meinen Ärger. Er war überhaupt nicht darauf gekommen, dass es mich stören könne. Darauf wäre ich wiederum gesagt nie gekommen. Das Beispiel mit der Zeitung ist schon älter wie Sie sicher gemerkt haben, heute sind es eher die Smartphones oder Laptops in die pausenlos geguckt wird. Hier bin ich mit der Strategie der paradoxen Intervention inzwischen ganz erfolgreich unterwegs: Ich bitte die Studierenden bestimmte Sachen zum Seminar im Internet zu recherchieren, wo sie doch gerade sowieso dort unterwegs sind. Wie kann ich damit umgehen? Meine Strategie ist es, Studierende einzubeziehen und in die Verantwortung zu nehmen, indem ich ihnen Fragen stelle und Antworten erwarte. Ich frage sie zu Beginn des Semesters, was sie denn zum Thema der Lehrveranstaltung für Schwerpunkte bearbeiten möchten, ich frage zur Mitte des Semesters, ob wir noch auf dem richtige Weg sind oder ob was anders laufen soll. Ich frage sie nach ihren Haltungen und Einschätzungen. Ich frage sie warum sie sich nicht beteiligen, wo wir doch schon die Themen gemeinsam festgelegt haben. Ich frage sie, warum sie auf meine Fragen nicht antworten etc. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich weder rhetorische Fragen noch die typischen Lehrerfragen stelle, also solche, auf die ich die Antwort schon weiß und die ich nur noch mal von den Studierenden hören möchte. Das kann man machen, es bringt allerdings nicht viel 5 und wenn dann nicht die Antwort kommt die man braucht, dann kommt man ganz schön in die Bredouille. Mit meinen Fragen nehme ich die Studierenden ernst, dies ist unabdingbar für mich, wenn ich erfolgreiche Lehr-Lernsituationen herstellen möchte wie ich sie Eingangs beschrieb. Studierende reagieren auf meine Fragerei sehr verschiedenen. Einige sind verblüfft soviel gefragt zu werden. Sollte es nicht umgekehrt sein, denken sie sich dann. Viele finden diese Art der Beteiligung gut, sind allerdings misstrauisch ob es nicht doch so Lehrerinnenfragen sind. Wiederum andere sind genervt, denn durch mein Fragen verteile ich die Verantwortung für das Seminar auch auf ihre Schultern. Das mögen sie dann nicht so, vielleicht auch deshalb, weil sie es so nicht kennen. Manche wiederum finden die Diskussionen, die sich um die Fragen und Antworten ranken, total überflüssig, da sie meinen, dass ihnen das „Gelaber“ eh nichts nützt. Ich lasse dann nicht meine Altersweisheit raushängen und sage dann nicht, dass sie in ihren jungen Jahren noch gar nicht wissen können, was später womöglich einen Nutzen für sie hat. Das klingt jetzt arrogant oder besserwisserisch, ich weiß. An dieser Stelle kommt noch mein pädagogisch erhobener Zeigefinger hinzu, denn ich weiß, dass so ein Gelaber äußerst wertvoll ist hilft es doch den Studierenden dabei, ihren eigenen Standpunkt zu entwickeln, sich andere anzuhören und so eine eigene Sicht auf die Dinge ja auf die Welt zu erarbeiten und diese vor anderen zu vertreten. Es sollte doch im Studium darum gehen Fragen zu stellen, Widersprüche zu entdecken, Antworten zu finden und es auszuhalten, wenn es eben manchmal keine eindeutigen Antworten gibt. Die Sprachlosigkeit unter Lehrenden Ich komme wieder zur Verantwortung der Lehrenden. Ich würde mich freuen, wenn es unter den Lehrenden öfter gelingt, sich mehr über Misserfolge und gemischte Gefühle in der Lehre auszutauschen. Es wird so wenig unter Kolleginnen und Kollegen darüber geredet. Manchmal gibt es kurze Flurgespräche, wie es denn so in der Lehrveranstaltung läuft und wie die Studierenden so drauf sind. Einen regelmäßigen Austausch darüber gibt es leider selten sowie es überhaupt selten einen Austausch zum Thema Lehre gibt. Der Tag der Lehre soll hierzu einen Anfang markieren. Es wäre wunderbar, wenn sich so was wie eine Kultur des Scheiterns etablierte, damit wir aus dem Misserfolgen lernen können. Evtl raus wg Zeitmangel: Von einer Kollegin weiß ich, dass sie Angst vor Vorlesungen hat, weil sie sich im Hörsaal einer Masse von Studierenden gegenübersieht und nicht so recht weiß, wie sie damit umgehen soll. Soweit ich weiß quält sie sich Semester für Semester durch diese 6 ungeliebte Veranstaltung Ich weiß nicht, ob es eine gute, mittelmäßige oder schlechte Veranstaltung ist die da läuft. Ich weiß allerdings, dass es ihr damit nicht gut geht. Auch ich habe gemerkt, dass ich mit dem Format Vorlesung nicht gut zurecht komme. Ich hatte Sonntags schon immer Magenflattern, weil am Montagvormittag die große Einführungsvorlesung stattfand. Ich habe diese Vorlesung in zwei Studienjahrgängen gehalten, es klappte nicht. Ich war nicht zufrieden und die Studierenden und ich gingen uns gegenseitig auf die Nerven. Ich fühlte mich gescheitert. Hätte ich nicht darüber geredet, dann würde ich wohl immer noch Magenschmerzen am Sonntagabend und unzufriedene Studierende haben. Meine Kollegin und mein Kollege machen die Vorlesung jetzt ohne mich und das machen sie ganz wunderbar. Ich bin besser in der Seminararbeit. So what! Ich muss nicht jede Veranstaltungsform bedienen können. Aber ich muss meine Schwächen kennen und zu ihnen stehen können. Auch dies ist ein Baustein zu erfolgreicher Lehre. Wie man an diesem Beispiel sehr gut sehen kann, gehören Erfolg und Scheitern gehören zusammen, das eine gibt es ohne das andere nicht. http://www.stifterverband.info/wissenschaft_und_hochschule/lehre/charta_guter_lehr e/ 7
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