SWR2 Glauben REFORMATION 500 (3) GETEILTER HIMMEL

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Glauben
REFORMATION 500 (3)
GETEILTER HIMMEL, GETEILTES LAND
DAS ENDE DER EINHEIT
VON MATTHIAS MORGENROTH
SENDUNG 06.11.2016 / 12.05 UHR
Redaktion Religion, Migration und Gesellschaft
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MUSIK
1 Schorlemmer „Auf den Einzelnen kommts schon an. Sage nicht, auf dich
kommt‘s gar nicht an. Und schau, wo es auf dich ankommt und schau was du
da tun kannst.“
MUSIK
2 Bendikowski „Für mich war die Frage, was hat uns die Reformation eigentlich
gebracht - Für die Deutschen ist es ein furchtbares Erbe.“
Musik
3 Schilling „Für mich ist das Entscheidende, die Weltanschauliche
Differenzierung Europas. Das ist eine Entwicklung, die sich aus der Reformation
heraus ergeben hat, hinter der wir nicht mehr zurückkönnen.“
Musik weiter
Sprecher: Martin Luther: nichts Genaues weiß man nicht - haben sie ihn
mundtot gemacht, entführt, ermordet? – Doch er schreibt, wie ein Wütender,
Getriebener, arbeitet in irrer Geschwindigkeit, er muss am Leben sein –
irgendwo versteckt.
Sprecherin: 1521 ist das Schicksalsjahr der Reformation. Seit der AugustinerMönch und Universitätslehrer in Wittenberg 1517 seine berüchtigten 95 Thesen
ans Tor der Schlosskirche geschlagen hat, ans schwarze Brett der Universität,
hat er den vielen eine Stimme gegeben, die nach Reformen schreien – eine
andere Kirche muss her! Schluss damit, mit Höllenangst und Schrecken den
Menschen Geld abzupressen!
Sprecher: Nach Luthers Thesen über den Ablassstreit – kann man sich bei Gott
von seinen Sünden mit Geld freikaufen, das man der Kirche zahlt? - folgen
drei Jahre der öffentlichen Diskussion, in denen sich Luther frei schreibt, zu den
wichtigen reformatorischen Leitlinien findet. 1520 dann die großen Schriften,
so schnell entstehen sie, dass die Drucker in Wittenberg nicht nachkommen:
Am Anfang hatte er als theologischer Lehrer einen innerkirchlichen Disput
geführt und gehofft, dass Theologen, Bischöfe und letztlich der Papst sich
seinen Erkenntnissen öffnen würden, dass man in der Bibel etwas ganz
anderes liest als verkündet wird. Jetzt schreibt er für alle, fürs Volk, für Fürst und
Untertan.
2
Sprecherin: Was er schreibt, ist: Nur das, was in der Bibel steht zählt. Die Kirche
Jesu Christi ist in Gefangenschaft geraten, und wer sie gefangen hält, das ist
der Papst als Repräsentant eines ausgeklügelten Machtsystems von Dogmen
und Ritualen.
Sprecher: Im Herbst 1520 dann die endgültige Verurteilung aus Rom, die
Bannbulle des Papstes. Leo der Zehnte erklärt Luther zum Ketzer. Doch Längst
ist Luther ein Medienstar. Eine Hoffnung vieler. Luther verbrennt das römische
Schreiben öffentlich in Wittenberg. Rom hat ihn und die politische
Konstellation im Deutschen Reich unterschätzt.
Sprecherin: 1521 dann im Frühjahr der Reichstag in Worms. Luther setzt jetzt
darauf, den deutschen Kaiser zu überzeugen, den 21jährigen Karl den
Fünften, den mächtigsten Herrscher der Christenheit, ein Habsburger, dessen
Reich von Spanien bis nach Österreich reicht. Karl ist in den Niederlanden
romtreu erzogen worden, hat für Luther nur Verachtung übrig, will aber den
deutschen Adel nicht gegen sich aufbringen und achtet daher auf die klare
Einhaltung des Rechtsverfahrens – Luther wird vor dem Reichstag angehört.
Doch da er sich einmal mehr weigert zu widerrufen, kommt zum päpstlichen
Bann kommt jetzt die Reichsacht, der Kaiser erklärt den Ketzer für vogelfrei,
jeder darf den Augustiner-Mönch töten. Auf dem Heimweg vom Reichstag in
Worms lässt ihn sein eigener Kurfürst, Friedrich der Weise von Sachsen, zum
Schein entführen, wohin, weiß niemand, und Fahndungsfotos gab es ja noch
nicht.
Sprecher: Das Schicksalsjahr der Reformation. Luther, vogelfrei, inkognito als
Junker Jörg auf der Wartburg, schreibt und schreibt, der Totgesagte,
unaufhaltsam schreibt er neue Wahrheiten den Leuten in die Köpfe, und
während anderswo die Mönche und Nonnen schon aus den Klöstern
austreten, Heiligenbilder und Reliquien herausgerissen werden, der
Gottesdienst auf Deutsch, verständlich für jedermann, eingeführt wird, gibt er
den Leuten die Sprache, die ihnen lange verwehrt war: das Wort, das das
Wort Gottes genannt wird, die Bibel auf deutsch.
MUSIK
4 Schorlemmer „Wenn wir etwas von ihm hervorheben sollen, dann dies, dass
er die deutsche Sprache in seinem unglaublichen Reichtum wörtlich zur
Sprache gebracht hat.“
3
Sprecher 2: Martin Luther, einer der den Menschen Worte gegeben hat.
Sprache. Der sie religiös sprachfähig gemacht hat, sagt der Theologe
Friedrich Schorlemmer, und das wirkt bis heute.
5 Schorlemmer „Er hat mit seiner Bibelübersetzung Menschen geholfen, ihr
Leben zu verstehen und in eine ermutigte Kommunikation mit Gott zu treten.
Der ganz Erhabene wird auch der ganz Menschliche. Etwa in der
Lutherübersetzung vom Vaterunser: Vater unser, dein Reich komme, wie im
Himmel wie auf Erden – oh! ganz Einfach. Unser täglich Brot. Das wieder zu
heben und das in einer Zeit, in der die Sprache sich verkürzt auf SMS, und das
mit einem großen Sprachschatz, das kann glücklich machen.“
Sprecher: Friedrich Schorlemmer ist in gewisser Weise einer von Martin Luthers
Nachfolgern. Er war jahrelang als Dozent und Prediger in Wittenberg tätig,
schon zu DDR Zeiten, schon als es 1983 galt, Luthers 500. Geburtstag zu feiern.
6 Schorlemmer: „Wir haben auch aus dem Luther herausgeharkt, was
zeitgemäß war, das brauchen wir nicht mehr, für anderes mussten wir uns
auch noch schämen – zum Beispiel sagt er: Man muss der Obrigkeit die
Wahrheit sagen – aber sagt er: nicht mit Gewalt!“
Sprecher: Damals, in Wittenberg, im geteilten Deutschland, in der Ost-Westgeteilten Welt, hat Martin Luther den Unterdrückten aufs Neue Worte
geschenkt, hat auch sie befähigt, Gebete zu finden und „ich“ zu sagen …
7 Schorlemmer: „Auf den Einzelnen kommts schon an. Sage nicht, auf dich
kommts gar nicht an. Und schau, wo es auf dich ankommt und schau was du
da tun kannst. Und folge deinem Gewissen, schaue in die Heilige Schrift,
schau in die Wirklichkeit, schau in dein Herz und dann bilde dir deine
Meinung. Und dieses herrliche Bild vom Priestertum aller Gläubigen, ich halte
das für ein noch immer nicht eingelöstes Versprechen, auch hier im
evangelischen Raum, er geht sogar so weit dass er sagt, der eine Mensch soll
dem anderen zum Christus werden, stell dir vor, du bist gewürdigt, dem
anderen das Erlösende zu bringen – die Mündigkeit des einzelnen, die Freiheit
des Einzelnen, die Hochschätzung dessen, was der mitbekommen hat. Der
eine kann gut singen, der andere kann gut kochen. Das alltägliche bekommt
eine Weihe.“
MUSIKIMPULS
Sprecherin: Die religiösen und die politischen Folgen des Schicksalsjahrs 1521
sind radikal: Wenn jeder zählt, wenn jeder „ich“ sagen darf, bricht die
4
mittelalterliche Ständegesellschaft auseinander. Die Bauern erheben sich
gegen die Fürsten und Klöster, plündern und brandschatzen, und wollen die
Gerechtigkeit endlich diesseits des Himmels, die Gerechtigkeit und den
Segen, von denen die Bibel spricht – sie werden blutig niedergeschlagen. Die
Bürger in den Städten organisieren ihr Zusammenleben und die kirchlichen
Ordnungen neu. Ein Gutteil der deutschen Fürsten verbündet sich gegen den
romtreuen Kaiser - Aufbruch in eine neue Zeit, die Neuzeit.
Atmo – MUSIK
8 „Günter Schuchardt, ich bin der Burghauptmann auf der Wartburg , das ist
ein Synonym für Direktor, wir sagen nicht ganz ohne Stolz, wir sind die
meistbesuchte Luthergedenkstätte weltweit mit 350 tausend Besuchern im
Jahr- “
Sprecherin: Auf der Wartburg, hoch über Eisenach, mit Blick in den Thüringer
Wald. Hier hat sich nicht nur die europäische Religionsgeschichte
entschieden, sondern hier verdichtet sich auch die deutsche Geschichte
insgesamt, sagt der Burghauptmann, Nachfolger jenes Burghauptmanns Hans
von Berlepsch, der 1521 bis 22 Martin Luther unter dem Decknamen Junker
Jörg beherbergt hat. Auch die Wartburg ist geteilt, sagt Günter Schuchardt,
sie ist zum einen Pilgerstätte für Katholiken, auf der einen Seite wird die Heilige
Elisabeth von Thüringen verehrt – und auf der Vorburg sind die
Restaurierungsarbeiten in der Lutherstube pünktlich zum großen Jubiläum
abgeschlossen.
9 Schuchardt „Es hat immer eine Lutherverehrung gegeben hier, wir haben
hier verschiedene Gebäudeteile, die Luthers Namen tragen, einen
Luthergang, eine Lutherlaube.“
Sprecherin: Die Wartburg zeigt: Viele haben Luther für sich beansprucht,
haben ihn einmal zum Sieger der Geschichte erklärt oder auch als deutschen
Nationalheld für ihre Zwecke instrumentalisiert. Auch als vor zweihundert
Jahren deutsche Studenten beim Wartburgfest zur Gründung eines
deutschen Nationalstaates, einer Republik aufriefen, haben sie den Ort mit
Bedacht gewählt.
10 Schuchardt „Luther war für sie der Freiheitsheld schlechthin, derjenige, der
den Deutschen eine Klammer geboten hat, religiös aber auch von der
Schriftsprache her.
5
Sprecher: Auf der Wartburg ist im Jubiläumsjahr der Reformation die nationale
Sonderausstellung „Luther und die Deutschen“ zu sehen. An zentraler Stelle
steht auch ein Nachbau der Gutenberg-Presse. Denn die Reformation war ein
Medienereignis. Ohne Buchdruck keine Reformation. Jutta Krauß ist Leiterin
der wissenschaftlichen Abteilung auf der Wartburg.
11 Jutta Krauß „Es gibt unheimliche viele Flugschriften in dieser Zeit, von denen
man ungefähr die Hälfte identifizieren kann. Viele Mönche, die wollten auch
anonym bleiben, denn es ging ja gegen die Kirchliche Institution, auch
namenlose, die sich zu Wort meldeten, auch Frauen, jeder wollte das Seine
beitragen und Luther hatte ja gesagt, jeder ist selber Priester, ist getauft, kann
sich zu seinem Glauben äußern, eine Glaubenssache ist frei und darüber kann
ich öffentlich reden und schreiben. Um 1500 schätzt man so 12 Mio Einwohner
in Deutschland, wo 1 Prozent lesen konnte, in der Stadt bei den Männern
etwa 30 Prozent, es konnte nicht jeder lesen, aber es war Usus vorzulesen, zu
verlesen, auf der Straße, in Wirtshäusern, zu Hause auch, der Vater las vor, so
hat sich das allmählich nach oben gearbeitet. Die Bücher die es gab es war
alles religiös.“
Sprecher: Deutschland ist zur Zeit der Reformation auch der erste
Internationale Kampfplatz für Wortgefechte. Nicht nur die Gelehrten, alle
haben mitgestritten. Und Familie, nicht das Kloster, ist nach der Idee der
Reformatoren ab jetzt der Ort, an dem Glaube diskutiert und weitergegeben
werden soll - das verändert das, was Frömmigkeit und Bildung genannt wird,
radikal.
MUSIKIMPULS
Sprecherin: Als Martin Luther 1546 im Alter von 62 Jahren stirbt, ist klar: es gibt
kein Zurück mehr zu der einen Kirche. Nicht nur der Himmel, das ganze Land
ist gespalten. Versuche des Kaisers, die neuen Glaubenssätze zu verbieten
sind umsonst. Die reformatorisch gesinnten Reichsstände im Deutschen Reich
protestieren schon 1529 offiziell dagegen – und das gibt den Neugläubigen
den Namen Protestanten. Als der Kaiser 1530 die von Philipp Melanchthon auf
dem Reichstag von Augsburg verlesene Zusammenfassung der neuen
christlichen Theologie, die Confessio Augustana, weiterhin ablehnt, bilden
protestantischen Fürsten und Städte im Reich einen eigenen Bund - das
Mächtegleichgewicht im Reich ist aus den Fugen.
Sprecher: Als Luther 1546 stirbt, holen der Kaiser und die römisch Gesinnten zu
einem Gegenschlag aus – und scheinen zunächst militärisch Fakten zu
schaffen.
6
Sprecherin: Als Luther 1546 stirbt, bricht der Krieg aus, der in den
Geschichtsbüchern der „Schmalkaldische Krieg“ genannt wird, benannt nach
einer kleinen Stadt im heutigen Thüringen, ein verheerender Kriegszug, mit
Söldnerheeren und blutigen Schlachten. Am Ende gewinnt der mittlerweile alt
gewordene Kaiser Karl der Fünfte zwar den Krieg – nicht aber mehr die
Einheit. Er nimmt zwar Wittenberg ein und begegnet sozusagen zum zweiten
Mal seinem Widersacher Luther – an dessen Grab. Aber er kann den neuen
Glauben mit militärischen Mitteln nicht bannen. Im Gegenteil. Trotz der
Niederlage blieb die Mehrheit der Deutschen der Reformation treu. Im
zersplitterten Deutschen Reich aus lauterKleinstaaten gab es zu viele
Einzelinteressen der Reichsstände, die ebenfalls gelernt hatten, „ich“ zu
sagen.
Sprecher: 1555 ist das Schicksalsjahr des Heiligen Römischen Reichs Deutscher
Nation, nachdem keine Partei die Macht für sich erobern konnte, beschließen
die Reichsstände, also alle, die was zu sagen haben, in Augsburg: Die religiöse
Wahrheitsfrage bleibt künftig politisch ausgeklammert. Der jeweilige
Landesherr, jede freie Reichsstadt bestimmt die Konfession der Untertanen
oder Bürger. Cuius regio, eius religio. Wessen Gebiet, dessen Konfession.
Sprecherin: Eine Formel, die allerdings noch so viel Deutungsspielraum
mitbrachte, dass sie gut hundert Jahre später, am Ende des 30jährigen Kriegs
im Westfälischen Frieden noch einmal deutlich präzisiert werden musste. Erst
dann, 1648 bekam der Einzelne das Recht auf Religionsausübung zumindest
im Privaten, vorher hatte man diejenigen, die auf ihrem anderen Glauben
beharrten, schlichtweg vertrieben.
Sprecher: Denn dem Kampf mit Worten folgten Mord und Totschlag. Der Streit
um den wahren Glauben durchzog ganz Europa mit Angst und Schrecken.
Mit der Angst, die noch heute in den Worten nachklingt: Bartholomäusnacht
in Paris, die Liga und die Union, Tilly und Wallenstein, Gustav Adolf, der
30jährige Krieg und dazu der schwarze Tod, die Pest.
13 Schilling „Für mich ist das Entscheidende, die Weltanschauliche
Differenzierung Europas. Die katholische Kirche kann just das ganz schwer
akzeptieren.
Sprecherin: Heinz Schilling, Berliner Historiker und Lutherbiograf, sagt: die
zentrale politische und religiöse Folge der Reformation ist die Pluralität. Eine
Pluralität, die freilich erst nach und nach erlernt werden musste, war doch das
Mittelalter noch der Meinung, es gäbe den einen Himmel, der alles zu
umfassen vermag. Das ist seit Luther Geschichte.
7
14 Schilling: „Es gilt nicht nur für Luther, hier stehe ich, ich kann nicht anders,
das wird von einer ungeheuer fähigen PR Agentur in Wittenberg sofort
herausgestellt, und darüber hat man 500 Jahre vergessen, dass da auch ein
zweiter großer Mann gilt, für den das gilt, das war der Kaiser, Karl der V, ein
junger Mann, der Kaiser hat sich abends hingesetzt und ein eigenes
Bekenntnis formuliert. Das müssen wir heute realisieren, die Gleichrangigkeit
von Akteuren in dieser Zeit.“
Atmo Orgel
Sprecher: München. Michaelskirche. Eine Jesuitenkirche. Die Jesuitenkirche
Deutschlands.
Sprecherin: Die Reformation hat auch die katholische Kirche reformiert. Auf
andere Weise, als Luther es wollte. Doch als Luther stirbt, ist auch die
Papstkirche nicht mehr die Kirche der ausschweifenden weltlichen
Renaissancepäpste von einst. Auch eine neue romtreue Kultur entsteht, die
jetzt in Abgrenzung „katholisch“ genannt wurde.
Sprecher: Und die Kulturhauptstadt der Papsttreuen diesseits der Alpen liegt
ebenfalls in Deutschland, in Bayern. Die Wittelsbacher wollen München als
„Rom nördlich der Alpen“ ausbauen, das bayerische Herrscherhaus holt - wie
die Habsburger oder die französischen Könige auch - den jungen,
aufstrebenden Jesuitenorden zu Hilfe, der Orden, der sich direkt dem Papst
zugeordnet hat.
15-1 Batlogg Das vierte Gelübde, das besondere Gehorsam dem Papst
gegenüber in Bezug auf Sendungen, der hat den Orden natürlich
international interessant gemacht. Als Missionsorden und in Europa natürlich
an den Höfen, wo es natürlich Konkurrenz gab, wer sind die Hofbeichtväter,
auf die die Könige dann hören.
Sprecher: Pater Andreas Batlogg ist Nachfolger der ersten Jesuiten, die die
Wittelsbacher Mitte des 16. Jahrhunderts erst nach Ingolstadt und dann nach
München holten, hier errichteten sie das Jesuitenkolleg St. Michael.
15-2 Batlogg Die ganze Anlage, die Kirche und das Colleg, war damals
neben dem Escorial das größte Bauwerk Europas. Damit drückt ein Herzog
was aus. In einer Stadt, München, war ja damals nicht so bedeutend, aber es
musste bedeutend werden, dazu holt man einen neuen Orden, weil da
Innovationspotential war, weil sie Christuszentriert waren, weil sie keine
Frömmler waren, weil sie einen intellektuellen Anspruch hatten.
8
Sprecher: Auch die Jesuiten setzen zunächst auf Bildung und religiöse
Ernsthaftigkeit - nur dass die Bildung weniger auf das freie Erarbeiten des
Glaubens hinausläuft, sondern eher auf das Darlegen der römischen
Dogmatik, die als Reaktion auf die Reformation auf dem Konzil von Trient ganz
neu zusammengefasst wird. Während die Reformatoren auf das Wachsen der
neuen Kultur von unten setzen, zielen die Jesuiten darauf ab, über die
Erziehung vor allem des europäischen Adels an den entscheidenden
Schaltstellen der katholische Position Einfluss zu verschaffen, von oben nach
unten.
Sprecherin: Ein paar Jahrzehnte später war das öffentliche Leben in der
Wittelsbacher Hauptstadt München durch und durch katholisch. Der Kurfürst
Maximilian, der über 50 Jahre und durch den 30jährigen Krieg hindurch
regierte, forderte von seinen Untertanen bei Androhung von Gefängnis das
Mitführen von Rosenkränzen, die Einhaltung von täglichen Gebetszeiten und
verpflichtete zur Marienverehrung. Jeder Münchner Bürger musste eine
Madonna an seiner Hausfront anbringen.
MUSIK
Sprecherin: Ein Nebeneinander der Kulturen beginnt in den Jahrhunderten
nach der Reformation - Kulturen, die vielleicht gerade aus diesem Zwang zur
Konkurrenz heraus ganz eigene schöpferische Leistungen bringen.
Sprecher: Aber auch eine Unkultur etablierte sich, eine blutige Kultur der
Nichtakzeptanz, die mindestens bis zur Aufklärung Europa umklammert,
politisch, sozial und religiös.
17 Bendikowski „Für die Deutschen ist es ein furchtbares Erbe, das ist keine
Schuldzuschreibung, weder an Rom noch an Martin Luther, aber es hat
unglaubliches Elend über die Deutschen gebracht, Alltag vergällt, Kriege,
man durfte nicht heiraten, wen man wollte, bis ins 19. Jahrhundert
Kulturkampf, bis in die 1950er Jahre getrennte Schulhöfe für Kinder. Wenn die
Deutschen ein Patient wäre, wäre das ein schweres Erbe, das den Deutschen
nicht gut getan hat.“
Sprecherin: Der Historiker Tillmann Bendikowski aus Hamburg fragt bei seiner
Sicht auf die Reformation nicht so sehr nach Geistesgeschichte,
theologischen Erkenntnissen oder nach der Entwicklungsgeschichte des
modernen Individuums. Er fragt ganz einfach: Was hat die Reformation den
Leuten in ihrem Alltag gebracht?
9
Sprecher: Not, sagt Tillmann Bendikowski, Elend, Krieg bis zur Erschöpfung.
18 Bendikowski „Zunächst wird das Leben wahnsinnig kompliziert. / ein
französischer Kollege hat mal gesagt, dieses Deutschland war dann voller
kleiner Westberlins, lauter kleine religiöse Gruppen die im großen Meer der
Andersgläubigen schwammen, ganz viele neue Grenzen und rechtliche
Probleme tauchten auf, das fängt an, bei der Nutzung der Kirche. In einem
Dorf, in einer Stadt. Wem gehört die Kirche? Wer wird wo beerdigt, meistens
gibt es nur einen Friedhof, da gibt es Prügeleien, die Menschen gehen
aufeinander los, das bringt sehr viel Unfriede ins Land.“
Sprecherin: Tilmann Bendikowski sagt: Die Reformation hat uns bis heute
maßgeblich beeinflusst – und zwar deshalb, weil sie eben nicht umfassend
erfolgreich war, sondern in der Mitte steckengeblieben ist.
19 Bendikowski „Die Auseinandersetzung zwischen Katholiken und
Protestanten ist auf Erden nicht zu lösen. Das fällt den Deutschen relativ spät
auf, man kann eine andere Religion nicht mit Gewalt vom Erdboden
vertilgen, das hat der 30jährige Krieg ja sehr eindrucksvoll gezeigt.
Die Toleranz kommt sehr viel später, und selbst die wird rückblickend
überschätzt, das gab es damals kaum.“
MUSIK
Seit 500 Jahren ist der Himmel des Christentums geteilt – eigentlich schon
länger, wenn man auf die orthodoxen Kirchen schaut. Bis heute bestimmen
Spuren konfessionellen Denkens die Kultur hierzulande, unsere Denkmuster,
unsere Reaktionen, oft im Verborgenen. Errungenschaften wie persönliche
Freiheit, die Entdeckung des Gewissens, die Religionsfreiheit bis hin zu den
Menschenrechten werden auf die Reformation zurückgeführt, die Geschichte
des westlichen Kapitalismus ist aufs Engste mit dem enormen Treibstoff
verbunden, den die reformierte Kirche den Menschen in den Alltag diesseits
des Himmels goss. Das Zeitalter der Reformation bestimmte auf Jahrhunderte
die Aufgaben der Politik und die Aufgaben der Kirchen. Es war der Motor
einer ungeheuren Auseinandersetzung mit dem, was die Welt im innersten
zusammenhält.
20 -1 SCHILLING ENDE Alles, was sich von Europa aus entwickelt hat,
Menschenrechte, Toleranz, Hinwendung zu Minderheiten, das hat sich
ergeben, dass mit Luther dieser einheitliche Kern des Christentums
aufgebrochen ist. Luther hat die Sprengung der Einheit auf sich genommen,
10
um die Freiheit des Christentums, die dann zu einer Freiheit weit über das
Christentums heraus entwickelt hat, zu sichern.
MUSIK
20 -2 Bendikowski Ende Der deutsche Glaubenskrieg wurde nicht durch die
Aufklärung beigelegt, ich halte das für eine Überschätzung der Aufklärung.
Der Glaubenskrieg löst sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts auf, als die beiden
Partein blutend am Boden lagen. … Es gab ja kein Einsehen. … Es gibt doch
heute nur die Möglichkeiten einer interkonfessionellen Arbeit, weil die beiden
Streiter so erschöpft sind, weil ihnen die Leute weggelaufen sind, deswegen
kommt es zu einem relativen konfessionellen Frieden, aber es ist bestimmt
nicht das Ergebnis von Einsicht.
20-1 Schorlemmer „Die 95 Thesen beginnen mit dem Satz, aus Liebe zur
Wahrheit und bestreben diese zu ergründen - das ist doch toll, nicht die
Wahrheit zu haben, sondern den Glauben ins Gespräch zu bringen. Wenn wir
Luther eins verdanken, dass der Glaube so im Gespräch bleibt, dass er uns
hilft, unsere Alltage zu bestehen.“
Musik // Ende
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