SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Glauben REFORMATION 500 (3) GETEILTER HIMMEL, GETEILTES LAND DAS ENDE DER EINHEIT VON MATTHIAS MORGENROTH SENDUNG 06.11.2016 / 12.05 UHR Redaktion Religion, Migration und Gesellschaft Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR SWR2 Glauben können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/glauben.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. 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Seit der AugustinerMönch und Universitätslehrer in Wittenberg 1517 seine berüchtigten 95 Thesen ans Tor der Schlosskirche geschlagen hat, ans schwarze Brett der Universität, hat er den vielen eine Stimme gegeben, die nach Reformen schreien – eine andere Kirche muss her! Schluss damit, mit Höllenangst und Schrecken den Menschen Geld abzupressen! Sprecher: Nach Luthers Thesen über den Ablassstreit – kann man sich bei Gott von seinen Sünden mit Geld freikaufen, das man der Kirche zahlt? - folgen drei Jahre der öffentlichen Diskussion, in denen sich Luther frei schreibt, zu den wichtigen reformatorischen Leitlinien findet. 1520 dann die großen Schriften, so schnell entstehen sie, dass die Drucker in Wittenberg nicht nachkommen: Am Anfang hatte er als theologischer Lehrer einen innerkirchlichen Disput geführt und gehofft, dass Theologen, Bischöfe und letztlich der Papst sich seinen Erkenntnissen öffnen würden, dass man in der Bibel etwas ganz anderes liest als verkündet wird. Jetzt schreibt er für alle, fürs Volk, für Fürst und Untertan. 2 Sprecherin: Was er schreibt, ist: Nur das, was in der Bibel steht zählt. Die Kirche Jesu Christi ist in Gefangenschaft geraten, und wer sie gefangen hält, das ist der Papst als Repräsentant eines ausgeklügelten Machtsystems von Dogmen und Ritualen. Sprecher: Im Herbst 1520 dann die endgültige Verurteilung aus Rom, die Bannbulle des Papstes. Leo der Zehnte erklärt Luther zum Ketzer. Doch Längst ist Luther ein Medienstar. Eine Hoffnung vieler. Luther verbrennt das römische Schreiben öffentlich in Wittenberg. Rom hat ihn und die politische Konstellation im Deutschen Reich unterschätzt. Sprecherin: 1521 dann im Frühjahr der Reichstag in Worms. Luther setzt jetzt darauf, den deutschen Kaiser zu überzeugen, den 21jährigen Karl den Fünften, den mächtigsten Herrscher der Christenheit, ein Habsburger, dessen Reich von Spanien bis nach Österreich reicht. Karl ist in den Niederlanden romtreu erzogen worden, hat für Luther nur Verachtung übrig, will aber den deutschen Adel nicht gegen sich aufbringen und achtet daher auf die klare Einhaltung des Rechtsverfahrens – Luther wird vor dem Reichstag angehört. Doch da er sich einmal mehr weigert zu widerrufen, kommt zum päpstlichen Bann kommt jetzt die Reichsacht, der Kaiser erklärt den Ketzer für vogelfrei, jeder darf den Augustiner-Mönch töten. Auf dem Heimweg vom Reichstag in Worms lässt ihn sein eigener Kurfürst, Friedrich der Weise von Sachsen, zum Schein entführen, wohin, weiß niemand, und Fahndungsfotos gab es ja noch nicht. Sprecher: Das Schicksalsjahr der Reformation. Luther, vogelfrei, inkognito als Junker Jörg auf der Wartburg, schreibt und schreibt, der Totgesagte, unaufhaltsam schreibt er neue Wahrheiten den Leuten in die Köpfe, und während anderswo die Mönche und Nonnen schon aus den Klöstern austreten, Heiligenbilder und Reliquien herausgerissen werden, der Gottesdienst auf Deutsch, verständlich für jedermann, eingeführt wird, gibt er den Leuten die Sprache, die ihnen lange verwehrt war: das Wort, das das Wort Gottes genannt wird, die Bibel auf deutsch. MUSIK 4 Schorlemmer „Wenn wir etwas von ihm hervorheben sollen, dann dies, dass er die deutsche Sprache in seinem unglaublichen Reichtum wörtlich zur Sprache gebracht hat.“ 3 Sprecher 2: Martin Luther, einer der den Menschen Worte gegeben hat. Sprache. Der sie religiös sprachfähig gemacht hat, sagt der Theologe Friedrich Schorlemmer, und das wirkt bis heute. 5 Schorlemmer „Er hat mit seiner Bibelübersetzung Menschen geholfen, ihr Leben zu verstehen und in eine ermutigte Kommunikation mit Gott zu treten. Der ganz Erhabene wird auch der ganz Menschliche. Etwa in der Lutherübersetzung vom Vaterunser: Vater unser, dein Reich komme, wie im Himmel wie auf Erden – oh! ganz Einfach. Unser täglich Brot. Das wieder zu heben und das in einer Zeit, in der die Sprache sich verkürzt auf SMS, und das mit einem großen Sprachschatz, das kann glücklich machen.“ Sprecher: Friedrich Schorlemmer ist in gewisser Weise einer von Martin Luthers Nachfolgern. Er war jahrelang als Dozent und Prediger in Wittenberg tätig, schon zu DDR Zeiten, schon als es 1983 galt, Luthers 500. Geburtstag zu feiern. 6 Schorlemmer: „Wir haben auch aus dem Luther herausgeharkt, was zeitgemäß war, das brauchen wir nicht mehr, für anderes mussten wir uns auch noch schämen – zum Beispiel sagt er: Man muss der Obrigkeit die Wahrheit sagen – aber sagt er: nicht mit Gewalt!“ Sprecher: Damals, in Wittenberg, im geteilten Deutschland, in der Ost-Westgeteilten Welt, hat Martin Luther den Unterdrückten aufs Neue Worte geschenkt, hat auch sie befähigt, Gebete zu finden und „ich“ zu sagen … 7 Schorlemmer: „Auf den Einzelnen kommts schon an. Sage nicht, auf dich kommts gar nicht an. Und schau, wo es auf dich ankommt und schau was du da tun kannst. Und folge deinem Gewissen, schaue in die Heilige Schrift, schau in die Wirklichkeit, schau in dein Herz und dann bilde dir deine Meinung. Und dieses herrliche Bild vom Priestertum aller Gläubigen, ich halte das für ein noch immer nicht eingelöstes Versprechen, auch hier im evangelischen Raum, er geht sogar so weit dass er sagt, der eine Mensch soll dem anderen zum Christus werden, stell dir vor, du bist gewürdigt, dem anderen das Erlösende zu bringen – die Mündigkeit des einzelnen, die Freiheit des Einzelnen, die Hochschätzung dessen, was der mitbekommen hat. Der eine kann gut singen, der andere kann gut kochen. Das alltägliche bekommt eine Weihe.“ MUSIKIMPULS Sprecherin: Die religiösen und die politischen Folgen des Schicksalsjahrs 1521 sind radikal: Wenn jeder zählt, wenn jeder „ich“ sagen darf, bricht die 4 mittelalterliche Ständegesellschaft auseinander. Die Bauern erheben sich gegen die Fürsten und Klöster, plündern und brandschatzen, und wollen die Gerechtigkeit endlich diesseits des Himmels, die Gerechtigkeit und den Segen, von denen die Bibel spricht – sie werden blutig niedergeschlagen. Die Bürger in den Städten organisieren ihr Zusammenleben und die kirchlichen Ordnungen neu. Ein Gutteil der deutschen Fürsten verbündet sich gegen den romtreuen Kaiser - Aufbruch in eine neue Zeit, die Neuzeit. Atmo – MUSIK 8 „Günter Schuchardt, ich bin der Burghauptmann auf der Wartburg , das ist ein Synonym für Direktor, wir sagen nicht ganz ohne Stolz, wir sind die meistbesuchte Luthergedenkstätte weltweit mit 350 tausend Besuchern im Jahr- “ Sprecherin: Auf der Wartburg, hoch über Eisenach, mit Blick in den Thüringer Wald. Hier hat sich nicht nur die europäische Religionsgeschichte entschieden, sondern hier verdichtet sich auch die deutsche Geschichte insgesamt, sagt der Burghauptmann, Nachfolger jenes Burghauptmanns Hans von Berlepsch, der 1521 bis 22 Martin Luther unter dem Decknamen Junker Jörg beherbergt hat. Auch die Wartburg ist geteilt, sagt Günter Schuchardt, sie ist zum einen Pilgerstätte für Katholiken, auf der einen Seite wird die Heilige Elisabeth von Thüringen verehrt – und auf der Vorburg sind die Restaurierungsarbeiten in der Lutherstube pünktlich zum großen Jubiläum abgeschlossen. 9 Schuchardt „Es hat immer eine Lutherverehrung gegeben hier, wir haben hier verschiedene Gebäudeteile, die Luthers Namen tragen, einen Luthergang, eine Lutherlaube.“ Sprecherin: Die Wartburg zeigt: Viele haben Luther für sich beansprucht, haben ihn einmal zum Sieger der Geschichte erklärt oder auch als deutschen Nationalheld für ihre Zwecke instrumentalisiert. Auch als vor zweihundert Jahren deutsche Studenten beim Wartburgfest zur Gründung eines deutschen Nationalstaates, einer Republik aufriefen, haben sie den Ort mit Bedacht gewählt. 10 Schuchardt „Luther war für sie der Freiheitsheld schlechthin, derjenige, der den Deutschen eine Klammer geboten hat, religiös aber auch von der Schriftsprache her. 5 Sprecher: Auf der Wartburg ist im Jubiläumsjahr der Reformation die nationale Sonderausstellung „Luther und die Deutschen“ zu sehen. An zentraler Stelle steht auch ein Nachbau der Gutenberg-Presse. Denn die Reformation war ein Medienereignis. Ohne Buchdruck keine Reformation. Jutta Krauß ist Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung auf der Wartburg. 11 Jutta Krauß „Es gibt unheimliche viele Flugschriften in dieser Zeit, von denen man ungefähr die Hälfte identifizieren kann. Viele Mönche, die wollten auch anonym bleiben, denn es ging ja gegen die Kirchliche Institution, auch namenlose, die sich zu Wort meldeten, auch Frauen, jeder wollte das Seine beitragen und Luther hatte ja gesagt, jeder ist selber Priester, ist getauft, kann sich zu seinem Glauben äußern, eine Glaubenssache ist frei und darüber kann ich öffentlich reden und schreiben. Um 1500 schätzt man so 12 Mio Einwohner in Deutschland, wo 1 Prozent lesen konnte, in der Stadt bei den Männern etwa 30 Prozent, es konnte nicht jeder lesen, aber es war Usus vorzulesen, zu verlesen, auf der Straße, in Wirtshäusern, zu Hause auch, der Vater las vor, so hat sich das allmählich nach oben gearbeitet. Die Bücher die es gab es war alles religiös.“ Sprecher: Deutschland ist zur Zeit der Reformation auch der erste Internationale Kampfplatz für Wortgefechte. Nicht nur die Gelehrten, alle haben mitgestritten. Und Familie, nicht das Kloster, ist nach der Idee der Reformatoren ab jetzt der Ort, an dem Glaube diskutiert und weitergegeben werden soll - das verändert das, was Frömmigkeit und Bildung genannt wird, radikal. MUSIKIMPULS Sprecherin: Als Martin Luther 1546 im Alter von 62 Jahren stirbt, ist klar: es gibt kein Zurück mehr zu der einen Kirche. Nicht nur der Himmel, das ganze Land ist gespalten. Versuche des Kaisers, die neuen Glaubenssätze zu verbieten sind umsonst. Die reformatorisch gesinnten Reichsstände im Deutschen Reich protestieren schon 1529 offiziell dagegen – und das gibt den Neugläubigen den Namen Protestanten. Als der Kaiser 1530 die von Philipp Melanchthon auf dem Reichstag von Augsburg verlesene Zusammenfassung der neuen christlichen Theologie, die Confessio Augustana, weiterhin ablehnt, bilden protestantischen Fürsten und Städte im Reich einen eigenen Bund - das Mächtegleichgewicht im Reich ist aus den Fugen. Sprecher: Als Luther 1546 stirbt, holen der Kaiser und die römisch Gesinnten zu einem Gegenschlag aus – und scheinen zunächst militärisch Fakten zu schaffen. 6 Sprecherin: Als Luther 1546 stirbt, bricht der Krieg aus, der in den Geschichtsbüchern der „Schmalkaldische Krieg“ genannt wird, benannt nach einer kleinen Stadt im heutigen Thüringen, ein verheerender Kriegszug, mit Söldnerheeren und blutigen Schlachten. Am Ende gewinnt der mittlerweile alt gewordene Kaiser Karl der Fünfte zwar den Krieg – nicht aber mehr die Einheit. Er nimmt zwar Wittenberg ein und begegnet sozusagen zum zweiten Mal seinem Widersacher Luther – an dessen Grab. Aber er kann den neuen Glauben mit militärischen Mitteln nicht bannen. Im Gegenteil. Trotz der Niederlage blieb die Mehrheit der Deutschen der Reformation treu. Im zersplitterten Deutschen Reich aus lauterKleinstaaten gab es zu viele Einzelinteressen der Reichsstände, die ebenfalls gelernt hatten, „ich“ zu sagen. Sprecher: 1555 ist das Schicksalsjahr des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, nachdem keine Partei die Macht für sich erobern konnte, beschließen die Reichsstände, also alle, die was zu sagen haben, in Augsburg: Die religiöse Wahrheitsfrage bleibt künftig politisch ausgeklammert. Der jeweilige Landesherr, jede freie Reichsstadt bestimmt die Konfession der Untertanen oder Bürger. Cuius regio, eius religio. Wessen Gebiet, dessen Konfession. Sprecherin: Eine Formel, die allerdings noch so viel Deutungsspielraum mitbrachte, dass sie gut hundert Jahre später, am Ende des 30jährigen Kriegs im Westfälischen Frieden noch einmal deutlich präzisiert werden musste. Erst dann, 1648 bekam der Einzelne das Recht auf Religionsausübung zumindest im Privaten, vorher hatte man diejenigen, die auf ihrem anderen Glauben beharrten, schlichtweg vertrieben. Sprecher: Denn dem Kampf mit Worten folgten Mord und Totschlag. Der Streit um den wahren Glauben durchzog ganz Europa mit Angst und Schrecken. Mit der Angst, die noch heute in den Worten nachklingt: Bartholomäusnacht in Paris, die Liga und die Union, Tilly und Wallenstein, Gustav Adolf, der 30jährige Krieg und dazu der schwarze Tod, die Pest. 13 Schilling „Für mich ist das Entscheidende, die Weltanschauliche Differenzierung Europas. Die katholische Kirche kann just das ganz schwer akzeptieren. Sprecherin: Heinz Schilling, Berliner Historiker und Lutherbiograf, sagt: die zentrale politische und religiöse Folge der Reformation ist die Pluralität. Eine Pluralität, die freilich erst nach und nach erlernt werden musste, war doch das Mittelalter noch der Meinung, es gäbe den einen Himmel, der alles zu umfassen vermag. Das ist seit Luther Geschichte. 7 14 Schilling: „Es gilt nicht nur für Luther, hier stehe ich, ich kann nicht anders, das wird von einer ungeheuer fähigen PR Agentur in Wittenberg sofort herausgestellt, und darüber hat man 500 Jahre vergessen, dass da auch ein zweiter großer Mann gilt, für den das gilt, das war der Kaiser, Karl der V, ein junger Mann, der Kaiser hat sich abends hingesetzt und ein eigenes Bekenntnis formuliert. Das müssen wir heute realisieren, die Gleichrangigkeit von Akteuren in dieser Zeit.“ Atmo Orgel Sprecher: München. Michaelskirche. Eine Jesuitenkirche. Die Jesuitenkirche Deutschlands. Sprecherin: Die Reformation hat auch die katholische Kirche reformiert. Auf andere Weise, als Luther es wollte. Doch als Luther stirbt, ist auch die Papstkirche nicht mehr die Kirche der ausschweifenden weltlichen Renaissancepäpste von einst. Auch eine neue romtreue Kultur entsteht, die jetzt in Abgrenzung „katholisch“ genannt wurde. Sprecher: Und die Kulturhauptstadt der Papsttreuen diesseits der Alpen liegt ebenfalls in Deutschland, in Bayern. Die Wittelsbacher wollen München als „Rom nördlich der Alpen“ ausbauen, das bayerische Herrscherhaus holt - wie die Habsburger oder die französischen Könige auch - den jungen, aufstrebenden Jesuitenorden zu Hilfe, der Orden, der sich direkt dem Papst zugeordnet hat. 15-1 Batlogg Das vierte Gelübde, das besondere Gehorsam dem Papst gegenüber in Bezug auf Sendungen, der hat den Orden natürlich international interessant gemacht. Als Missionsorden und in Europa natürlich an den Höfen, wo es natürlich Konkurrenz gab, wer sind die Hofbeichtväter, auf die die Könige dann hören. Sprecher: Pater Andreas Batlogg ist Nachfolger der ersten Jesuiten, die die Wittelsbacher Mitte des 16. Jahrhunderts erst nach Ingolstadt und dann nach München holten, hier errichteten sie das Jesuitenkolleg St. Michael. 15-2 Batlogg Die ganze Anlage, die Kirche und das Colleg, war damals neben dem Escorial das größte Bauwerk Europas. Damit drückt ein Herzog was aus. In einer Stadt, München, war ja damals nicht so bedeutend, aber es musste bedeutend werden, dazu holt man einen neuen Orden, weil da Innovationspotential war, weil sie Christuszentriert waren, weil sie keine Frömmler waren, weil sie einen intellektuellen Anspruch hatten. 8 Sprecher: Auch die Jesuiten setzen zunächst auf Bildung und religiöse Ernsthaftigkeit - nur dass die Bildung weniger auf das freie Erarbeiten des Glaubens hinausläuft, sondern eher auf das Darlegen der römischen Dogmatik, die als Reaktion auf die Reformation auf dem Konzil von Trient ganz neu zusammengefasst wird. Während die Reformatoren auf das Wachsen der neuen Kultur von unten setzen, zielen die Jesuiten darauf ab, über die Erziehung vor allem des europäischen Adels an den entscheidenden Schaltstellen der katholische Position Einfluss zu verschaffen, von oben nach unten. Sprecherin: Ein paar Jahrzehnte später war das öffentliche Leben in der Wittelsbacher Hauptstadt München durch und durch katholisch. Der Kurfürst Maximilian, der über 50 Jahre und durch den 30jährigen Krieg hindurch regierte, forderte von seinen Untertanen bei Androhung von Gefängnis das Mitführen von Rosenkränzen, die Einhaltung von täglichen Gebetszeiten und verpflichtete zur Marienverehrung. Jeder Münchner Bürger musste eine Madonna an seiner Hausfront anbringen. MUSIK Sprecherin: Ein Nebeneinander der Kulturen beginnt in den Jahrhunderten nach der Reformation - Kulturen, die vielleicht gerade aus diesem Zwang zur Konkurrenz heraus ganz eigene schöpferische Leistungen bringen. Sprecher: Aber auch eine Unkultur etablierte sich, eine blutige Kultur der Nichtakzeptanz, die mindestens bis zur Aufklärung Europa umklammert, politisch, sozial und religiös. 17 Bendikowski „Für die Deutschen ist es ein furchtbares Erbe, das ist keine Schuldzuschreibung, weder an Rom noch an Martin Luther, aber es hat unglaubliches Elend über die Deutschen gebracht, Alltag vergällt, Kriege, man durfte nicht heiraten, wen man wollte, bis ins 19. Jahrhundert Kulturkampf, bis in die 1950er Jahre getrennte Schulhöfe für Kinder. Wenn die Deutschen ein Patient wäre, wäre das ein schweres Erbe, das den Deutschen nicht gut getan hat.“ Sprecherin: Der Historiker Tillmann Bendikowski aus Hamburg fragt bei seiner Sicht auf die Reformation nicht so sehr nach Geistesgeschichte, theologischen Erkenntnissen oder nach der Entwicklungsgeschichte des modernen Individuums. Er fragt ganz einfach: Was hat die Reformation den Leuten in ihrem Alltag gebracht? 9 Sprecher: Not, sagt Tillmann Bendikowski, Elend, Krieg bis zur Erschöpfung. 18 Bendikowski „Zunächst wird das Leben wahnsinnig kompliziert. / ein französischer Kollege hat mal gesagt, dieses Deutschland war dann voller kleiner Westberlins, lauter kleine religiöse Gruppen die im großen Meer der Andersgläubigen schwammen, ganz viele neue Grenzen und rechtliche Probleme tauchten auf, das fängt an, bei der Nutzung der Kirche. In einem Dorf, in einer Stadt. Wem gehört die Kirche? Wer wird wo beerdigt, meistens gibt es nur einen Friedhof, da gibt es Prügeleien, die Menschen gehen aufeinander los, das bringt sehr viel Unfriede ins Land.“ Sprecherin: Tilmann Bendikowski sagt: Die Reformation hat uns bis heute maßgeblich beeinflusst – und zwar deshalb, weil sie eben nicht umfassend erfolgreich war, sondern in der Mitte steckengeblieben ist. 19 Bendikowski „Die Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Protestanten ist auf Erden nicht zu lösen. Das fällt den Deutschen relativ spät auf, man kann eine andere Religion nicht mit Gewalt vom Erdboden vertilgen, das hat der 30jährige Krieg ja sehr eindrucksvoll gezeigt. Die Toleranz kommt sehr viel später, und selbst die wird rückblickend überschätzt, das gab es damals kaum.“ MUSIK Seit 500 Jahren ist der Himmel des Christentums geteilt – eigentlich schon länger, wenn man auf die orthodoxen Kirchen schaut. Bis heute bestimmen Spuren konfessionellen Denkens die Kultur hierzulande, unsere Denkmuster, unsere Reaktionen, oft im Verborgenen. Errungenschaften wie persönliche Freiheit, die Entdeckung des Gewissens, die Religionsfreiheit bis hin zu den Menschenrechten werden auf die Reformation zurückgeführt, die Geschichte des westlichen Kapitalismus ist aufs Engste mit dem enormen Treibstoff verbunden, den die reformierte Kirche den Menschen in den Alltag diesseits des Himmels goss. Das Zeitalter der Reformation bestimmte auf Jahrhunderte die Aufgaben der Politik und die Aufgaben der Kirchen. Es war der Motor einer ungeheuren Auseinandersetzung mit dem, was die Welt im innersten zusammenhält. 20 -1 SCHILLING ENDE Alles, was sich von Europa aus entwickelt hat, Menschenrechte, Toleranz, Hinwendung zu Minderheiten, das hat sich ergeben, dass mit Luther dieser einheitliche Kern des Christentums aufgebrochen ist. Luther hat die Sprengung der Einheit auf sich genommen, 10 um die Freiheit des Christentums, die dann zu einer Freiheit weit über das Christentums heraus entwickelt hat, zu sichern. MUSIK 20 -2 Bendikowski Ende Der deutsche Glaubenskrieg wurde nicht durch die Aufklärung beigelegt, ich halte das für eine Überschätzung der Aufklärung. Der Glaubenskrieg löst sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts auf, als die beiden Partein blutend am Boden lagen. … Es gab ja kein Einsehen. … Es gibt doch heute nur die Möglichkeiten einer interkonfessionellen Arbeit, weil die beiden Streiter so erschöpft sind, weil ihnen die Leute weggelaufen sind, deswegen kommt es zu einem relativen konfessionellen Frieden, aber es ist bestimmt nicht das Ergebnis von Einsicht. 20-1 Schorlemmer „Die 95 Thesen beginnen mit dem Satz, aus Liebe zur Wahrheit und bestreben diese zu ergründen - das ist doch toll, nicht die Wahrheit zu haben, sondern den Glauben ins Gespräch zu bringen. Wenn wir Luther eins verdanken, dass der Glaube so im Gespräch bleibt, dass er uns hilft, unsere Alltage zu bestehen.“ Musik // Ende 11
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