Ein Mekka für
Werte und
Traditionen
OSTSCHWEIZ S
itzungszimmer und Tagungsräume
bieten überall das Gleiche. Dagegen kann sich
eine Destination mit ihrer Kultur klar differenzieren.
Die Ostschweiz ist ein Eldorado für Werte und
Traditionen.
VON DANIEL TSCHUDI
■■In
dieser schnellen globalisierten Welt, voll mit virtuellen
Vergleichen, Vorurteilen und Migrationswellen, wird das Bewusstsein über die eigene Identität immer mehr in den Hintergrund
geschoben. Konzerne lehren zwar
ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen über interkulturelle Werte
und Verhaltensmuster ferner
Märkte. Doch kurze SMS und
Twitters in grobem «Global-English» dominieren die Kommunikation. Starbucks, Facebook und
Lady Gaga’s ziehen immer weitere, sich immer mehr gleichende
Kreise.
Werte und Traditionen für
Events identifizieren
Lange wurden Firmen-Events im
gleichen Stil geplant; möglichst
angepasst, möglichst global. Dagegen darf sich die Schweizer Event-
& Tagungsindustrie wehren und
unsere nationalen, regionalen und
lokalen Werte und Traditionen
identifizieren und in Firmenveranstaltungen einbauen. Damit eben
nicht alles nach Peek & Cloppenburg, Prada oder Nike schmeckt.
So ist die Ostschweiz für
Event-Manager, die lokale Traditionen und regionales Brauchtum in
die Programme einbauen möchten, eine ideale Region. Die Kantone Glarus, Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell
Innerrhoden, St. Gallen und Thurgau sind dafür ein richtiges Eldorado (viele sind der Meinung, dass
Graubünden eine eigenständige
Region ist und nicht zur «Ostschweiz» zählt).
Glarner Tüechli zum Beispiel
Solche Möglichkeiten bietet etwa
das Thema Textil; und dies gleich
«Glarner Tüechli», ein Zeugnis
textiler Tradition bei der F. Blumer
& Cie. AG.
in allen genannten Kantonen. In
Glarus beispielsweise wurde
schon Mitte des vorletzten Jahrhunderts eine Textildruckerei eingerichtet und man erlangte weltweit Anerkennung für die
leuchtend roten Alizarintücher
(«Glarner Tüechli») und Wollschals, die sogar im Fernen Osten
und in Amerika verkauft wurden.
Seit damals schon setzt die Firma
Blumer, welche 2013 das 185-jährige Bestehen feiern konnte, die
textile Tradition im Kanton Glarus
fort. Ein Besuch in einem fast
200-jährigen Unternehmen birgt
für junge Mitarbeiter/innen viel
Motivationsmaterial. Die Firma
Blumer befindet sich heute in Niederurnen und bietet dort auch
­einen Veranstaltungsraum an.
Beim Thema Textil muss natürlich auch St. Gallen erwähnt
werden; dort ist diese Industrie
um einiges grösser. Die Sammlungen des Textilmuseums und der
Textilbibliothek stammen ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert.
Das Textilmuseum wurde als
Mustersammlung für die Textil­
industrie gegründet. In dieser Tradition ist es heute eine Plattform
für Textilspezialisten, für Designer, Produzenten und Abnehmer,
und es dient der Inspiration und
der öffentlichen Diskussion.
Beste Unterhaltung
© appenzell.ch
Das Hackbrett in der
Appenzeller Volksmusik –
eine alte Globalisierungsgeschichte.
Marketing & Kommunikation 4/16 Kultur und Brauchtum wird auch
in den beiden Appenzeller Halbkantonen geradezu zelebriert. Man
liebt seine Berge, seine Sprache
und seine Trachten und man zeigt
sie gern. Und so ist Naturjodeln
beispielsweise nicht peinlich,
sondern eben typisch und real.
Firmengruppen dürfen dies vor
Ort erlernen.
Ein Appenzeller in der vollen
Tracht stellt dieses Element hörbarer Appenzeller Tradition mit Inbrunst vor. Es gibt Geschichtliches, Interessantes und Heiteres
über die Appenzeller Musik und
dann wird zusammen gesungen
und Taler geschwungen. Appen-
SPECIAL 27
© appenzell.ch
Durch Fonduegabel-Giessen altes
Kunsthandwerk selber erleben.
zell Tourismus organisiert den
rund einstündigen Event (zu 280
Franken pro Gruppe) und garantiert dabei beste Unterhaltung.
Selber singen und malen
Wer will, kann dann die nächste
Kulturstufe erklettern und mehr
über das Hackbrett lernen. In Persien ist es seit dem frühen Mittelalter als Santur bekannt und wurde später nach China, Korea und
Indien gebracht.
In der Schweiz wurde das
Hackbrett erstmals 1447 in einem
Zürcher Ratsbuch erwähnt und
danach vor allem im Appenzellerland, im Toggenburg und auch im
Oberwallis erhalten. Eine alte Globalisierungsgeschichte und also
auch ein passendes Thema für international tätige Firmen.
Musik und Gesang sind immer
gute Mittel, um andere Kulturen
kennen und schätzen zu lernen. In
Herisau befindet sich dazu die
Kulturwerkstatt Appenzellerland;
sie soll Interessierten die kulturelle Vielfalt der Region näher bringen. Werner Alder, Hackbrettbauer und Nachkomme der bekannten
Streichmusik der Alder-Dynastie,
führt die Werkstatt und bietet entsprechende Fachvorträge an.
Zum Appenzell gehören natürlich auch die Möbelmalerei
und die sich auf die Darstellung
von bäuerlichem Leben beschrän28 SPECIAL
kende Senntumsmalerei. Die älteste Anwendung findet sich im
Bemalen von Sennentafeln,
­Eimerbödeli und Alpfahrten und
man kennt sie bereits seit 1804.
Dieses traditionelle Malen selber zu lernen, dürfte einiges
schwieriger sein als beispielsweise Fonduegabeln giessen. Dieses
alte Handwerk wurde neu entdeckt und erlaubt es Mitarbeiter/
innen, gemeinsam in einer Kunstgiesserei je eine ganz persönliche
Fonduegabel zu kreieren. Rosalia
Keller, Leiterin Marketing von Appenzellerland Tourismus, macht
es möglich und öffnet alle Türen
Staaner Nachtwächter
Der Chlosterhof in Stein am Rhein
ist seit Jahren eine exzellente
­Adresse für Tagungen und Events
und beherbergt viele Aus- und
Weiterbildungsevents. Wer nach
der Tagung ein bisschen Lokalkultur kennenlernen will, der kann
sich nach dem Nachtessen mit
dem ‚Staaner Nachtwächter‘ auf
einen spätabendlichen Rundgang
begeben und dort Fürchterliches
und Ergötzliches aus der Geschichte des mittelalterlichen
Stein am Rhein erfahren.
Ähnliches bietet man in
Schaffhausen an; dort entführt der
Abt Michael Eggenstorfer in vergangene Zeiten des Klosters zu Allerheiligen und zeigt dabei das
Glöckner Noldi erklärt im Schaffhauser Münster die Welt der Campanologie.
Münster, die Annakappelle und
den Kreuzgang. Man erlebt die
Schaffhauser Geschichte und
das Klosterleben des 16. Jahrhunderts.
Schaffhauserland Tourismus
bietet übrigens einige lokalkulturelle Angebote an. So ist beispielsweise die Geschichte der Stadt eng
mit den Zünften verknüpft. Rund
450 Jahre lang wurden Handel
und Wandel durch Handwerker,
Kaufleute und Adelige bestimmt.
Auf einer Tour entlang der
­alten Zunfthäuser erfährt man von
einem Landsknecht, natürlich in
Schaffhausertracht und mit Hellebarde, Wissenswertes über die
Entstehung der Schaffhauser
Zünfte, ihre Bedeutung sowie ­ihre
Licht- und Schattenseiten. Man
hört heitere Anekdoten über die
einzelnen Handwerkszweige, ihre
Brauchtümer und Regeln sowie
von Geheimnissen, die Aussenstehende normalerweise nicht erfahren durften.
Aktives Schaffhauserland
Ein anderes Angebot stellt den
Glöckner Noldi und seine Welt der
Campanologie (Glockenkunde)
Marketing & Kommunikation 4/16
© St.Gallen-Bodensee Tourismus
© Heiner H. Schmitt
© St.Gallen-Bodensee Tourismus
«Staaner Nachtwächter»
in Stein am Rhein.
Säulirennen an der Olma, der traditionellen Ostschweizer Messe.
vor; und zwar im Schaffhauser
Münster mit seinem Glockendenkmal. In der Glockenstube hoch
über der Altstadt und mit Sicht
auf Munot und Rhein, erfährt
man, wie es dazu kam, dass die
grosse Glocke den Namen Schillerglocke trägt, was mit dem abgesprungenen Stück geschehen ist,
warum die grosse Glocke jeweils
freitags um 12.01 Uhr für eine Minute läutet und warum die siebte
Glocke im vierten Stock «Protestglocke» heisst. Wer es herausfinden will, braucht nur dieses Angebot zu buchen.
Marketing & Kommunikation 4/16 Solche Events sind herrliche
Alternativen zu den üblichen
Cocktail-Receptions und WineTastings. Dazu zählt auch, dass
man vor dem Nachtessen einen
­erfahrenen Schaffhauser Fischer
trifft, der aus seinem Leben
­erzählt, die Bedeutung der lokalen
Fischerei darstellt und einen
Bezug zum anschliessenden
­
Fischmenu herstellt.
Übrigens, zum Thema «FischGeschichtliches» meldet sich auch
Annemarie Meyer von der Musik­
insel Rheinau; dort bietet man Firmen einen Vortrag eines Fischerei-
Silvesterchläuse – eine immer noch lebendige Kultur im Appenzeller Hinterland.
aufsehers mit dem Titel «Warum
ist der Fisch im Wappen des Klosters grösser als im Wappen der Gemeinde?» an.
Was Schaffhauserland Tourismus betrifft, da hat man ein breites Know-how an Kultur und Tradition zusammengetragen und
präsentiert es auch hervorragend;
zuständig für Anfragen im Bereich
Tagungen und Events ist Sarah
Edelmann. Sie arbeitet mit einer
breiten Anzahl von lokalen Leistungsträgern zusammen wie beispielweise Weinbauern, Bierbrauer, Glasbläser, Bauernhöfe und
Munotwächter. Das sind also keine News über Starbucks, Facebook
oder Lady Gaga, sondern schöne
Geschichten über die Vergangenheit, über die Menschen einer Region und über ihre Werte und Verhaltensmuster. n
>>www.glarnerland.ch
>>http://blumer-f.ch
>>www.st.gallen-bodensee.ch
>>www.appenzell.ch
>>www.steinamrhein.ch
>>www.musikinsel.ch
>>www.schaffhauserland.ch
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