Max Bauer SÜDWESTRUNDFUNK STUDIO KARLSRUHE

Max Bauer
SÜDWESTRUNDFUNK
STUDIO KARLSRUHE
ARD-Rechtsredaktion Hörfunk
RadioReport Recht
Aus der Residenz des Rechts
Dienstag, den 08. November 2016
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Die Akte Rosenburg – Wie braune Paragraphenreiter nach 1945 das
Justizministerium im Griff hatten
Fritz Bauer: Deutschland ist heute stolz auf sein Wirtschaftswunder. Es
ist auch stolz, die Heimat Goethes und Beethovens zu sein. Aber Deutschland
ist auch das Land Hitlers, Eichmanns und ihrer vielen Spießgesellen und
Mitläufer. Wie aber der Tag aus Tag und Nacht besteht, hat auch die
Geschichte eines jeden Volkes ihre Licht- und Schattenseiten.
Max
Bauer:
Die
Stimme
von
Fritz
Bauer,
hessischer
Generalstaatsanwalt und wichtigster Aufklärer der Nazi-Verbrechen. Ein
Mann, ohne den der Frankfurter Auschwitz-Prozess und der EichmannProzess in Jerusalem nicht möglich gewesen wären. Die deutschen
Schattenseiten, von denen Bauer spricht, waren nach 1945 nicht plötzlich
verschwunden. Sie verdunkelten auch die Nachkriegszeit. Das hat jetzt auch
eine Studie des Bundesjustizministeriums über die eigene Vergangenheit ans
Licht gebracht. Sie wurde noch von der früheren Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Auftrag gegeben und ist nun als Buch
erschienen – die Akte Rosenburg. Die Villa Rosenburg im Bonner Stadtteil
Kessenich, das war der erste Sitz des Justizministeriums nach dem Krieg. Von
hier aus sollte der deutsche Rechtsstaat nach den Jahren des braunen
Unrechts wieder aufgebaut werden. Ein Neuanfang, allerdings mit den alten
NS-Juristen.
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Heiko Maas: Es gab eine hohe personelle Kontinuität zwischen der
Nazi-Justiz und dem Justizministerium der jungen Bundesrepublik. Und diese
Kontinuität, sie hatte fatale Folgen. Sie hat den demokratischen Neubeginn in
der Bundesrepublik belastet, behindert und auch verzögert.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Manches hat man geahnt,
einige wenige Dinge gewusst, aber nie in dieser Form wissenschaftlich
fundiert. Und es ist gerade heute wichtig, dass es Fakten gibt, damit man
manchen, die meinen, das sei alles nicht so schlimm gewesen, diese Fakten
entgegenhalten kann.
Max Bauer: Ex-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger und Minister
Heiko Maas bei der Vorstellung der Rosenburg-Studie am 10. Oktober.
Bislang unerforschte Personalakten des Justizministeriums lassen für die
Wissenschaftler keinen Zweifel mehr: In den 50er und 60er Jahren war das
Justizministerium ein Hort für Nazi-Juristen. Manfred Görtemaker, Historiker
an der Universität Potsdam, und Autor der Rosenburg-Studie, mit konkreten
Zahlen:
Manfred Görtemaker: Wenn man sich auf die Gesamtzeit bezieht,
dann waren gut die Hälfte der Mitarbeiter des Hauses Mitglieder der NSDAP
oder in anderen NS-Organisationen. Aber das ist eine Durchschnittszahl. Wir
haben das Phänomen, dass die Belastung zu Beginn der 1950er Jahre noch
vergleichsweise gering war. Aber sie ist dann in den 50er Jahren deutlich
angestiegen, so dass wir am Ende der 50er Jahre tatsächlich eine Zahl haben,
die etwa dreiviertel der Mitarbeiter betrifft. Und in einzelnen Abteilungen, wenn
wir etwa die Strafrechtsabteilung 2 nehmen, waren es sogar praktisch alle
Mitarbeiter in dieser Abteilung, die eine braune Vergangenheit aufwiesen.
Max Bauer: Ein Ministerium, das den Rechtsstaat aufbauen soll – und
drinnen sitzen lauter Beamte, die noch vor wenigen Jahren eifrig bei der
Entrechtung und auch bei der Ermordung von Millionen von Menschen
mitgemacht hatten. Beamte wie Max Merten. Er war während der NS-Zeit
schon Mitarbeiter im Reichsjustizministerium, ab Sommer 1942 als
Militärverwaltungsrat in Nordgriechenland und dort verantwortlich für die
Deportation von 50.000 griechischen Juden aus Thessaloniki nach Auschwitz
und Bergen-Belsen. Nach dem Krieg wird Merten Beamter im
Bundesjustizministerium. Er verlässt das Ministerium 1952 und wird 1959 in
Athen zu 25 Jahren Haft verurteilt. Das Justizministerium setzt sich für ihn ein
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und bewirkt, dass Merten nach Deutschland überstellt wird. Hier wird er nach
wenigen Tagen aus der Haft entlassen.
Ein anderes Beispiel für eine deutsche Juristenkarriere ist Eduard Dreher, der
bis zum Leiter der Strafrechtsabteilung des Ministeriums aufstieg. Dreher,
Sohn eines Professors an der Dresdner Kunstakademie, hatte sich 1940 an
das Sondergericht Innsbruck versetzen lassen, „aus Liebe zu den Bergen“ wie
er später sagt. Als Staatsanwalt fordert er dort auch für Bagatellfälle die
Todesstrafe gegen sogenannte „Volksschädlinge“. Die Sondergerichte wurden
ursprünglich von den Nazis als Terror-Instrument gegen politische Gegner
eingerichtet.
Wie
eine
„Panzertruppe
mit
durchschlagender
Vernichtungssicherheit gegenüber dem Feind“ müssten sie sein, hatte Roland
Freisler vom Berliner Volksgerichtshof einmal gefordert. Wer Richter oder
Staatsanwalt an einem Sondergericht wurde, tat das aus Überzeugung. Eine
Überzeugung, die nach der Nazi-Zeit für eine Einstellung im
Bundesjustizministerium kein Hindernis war. Justizminister Heiko Maas:
Heiko Maas: Diese Einstellung ist erstaunlich, wenn man vor allen
Dingen bedenkt, wer in den Anfangsjahren an der Spitze des Ministeriums
stand. Der erste Bundesjustizminister war Thomas Dehler, ein Liberaler. Er
war mit einer Jüdin verheiratet und er hatte in der NS-Zeit Verfolgung und
Diskriminierung unmittelbar miterlebt. Staatssekretär war Walter Strauß von
der CDU. Er war von den Nazis wegen seiner jüdischen Abstammung aus
dem Justizdienst vertrieben worden.
Max Bauer: Justizminister Thomas Dehler und Staatssekretär Walter
Strauß waren beide unbelastet. Warum stellten sie dann vor allem alte NaziJuristen ein, als sie das Justizministerium in Bonn aufbauten? Historiker
Manfred Görtemaker:
Manfred Görtemaker: Walter Strauß hat das in mehreren Publikationen
und auch in Aktenvermerken sehr deutlich erklärt, dass für ihn entscheidend
war die Qualifikation der Juristen, die er einstellen wollte. Das heißt: Sie
mussten eigentlich ein Prädikatsexamen haben, das war ein ganz wichtiger
Faktor. Zweitens sie mussten nach Möglichkeit auch ministerielle Erfahrung
haben, sie mussten also wissen, wie man ein Gesetz schreibt. Und für ihn war
das Funktionieren des Hauses wichtiger als die Vergangenheit.
Max Bauer: Aber gab es nicht eine andere Möglichkeit? Warum hat der
liberale Minister Dehler nicht Juristen für sein Ministerium gesucht, die als
Juden oder Sozialdemokraten von den Nazis aus ihren Positionen entfernt
worden waren und überlebt hatten? Noch einmal Manfred Görtemaker:
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Manfred Görtemaker: Fritz Bauer ist ja dafür ein Beispiel, der dann
Generalstaatsanwalt in Hessen wird und dann später die Ausschwitzprozesse
vorbereitet. Aber im Ministerium haben wir solche Bemühungen nicht
feststellen können. Das ist natürlich an sich schon ein Skandal. Und das
finden wir natürlich in der gesamten Bundesregierung auch. Da heißt also: Es
gab zu Beginn der 1950er Jahre oder nach 1949 eine Art
Schlussstrichmentalität, man wollte zur Normalität zurückkehren und hat
deswegen eigentlich in allen Teilen der Bundesregierung, in allen Ministerien,
Beamte eingestellt, die belastet waren. Aber der Belastungsgrad ist
unterschiedlich hoch. Und im Bundesjustizministerium war er eben besonders
hoch.
Max Bauer: Man wollte also einen Schlussstrich ziehen unter die
braune Justiz-Vergangenheit. Nur auf Fachkenntnisse, auf Rechtstechnik
sollte es ankommen. Das war die Einstellungspolitik des Justizministeriums
und sie hatte noch eine Kehrseite: mit Hilfe der Legende vom unpolitischen
Juristen kam jeder, der während des Dritten Reichs juristische Verantwortung
getragen hatte, zu seiner weißen Weste. Es gab eine mächtige JuristenLobby, damals in den 50er Jahren. Ihr Ziel: Ehemalige NS-Juristen sollten
wieder in Amt und Würden kommen. Ein Beispiel ist der Heidelberger Kreis.
Ein Bund von Professoren, Richtern, Anwälten und Justizbeamten, entstanden
aus den Kontakten zwischen Anwälten, die bei den Nürnberger Prozessen als
Verteidiger aufgetreten waren. Wenn es auch nicht immer glühende Anhänger
des Nazi-Regimes waren, jetzt wollten sie alle das gleiche: die verurteilten
deutschen Kriegsverbrecher und NS-Täter freibekommen und rehabilitieren.
Zu dieser Gruppe gehörte auch Hans Laternser. Er war in den 60er Jahren
Verteidiger im Auschwitz-Prozess, und dort fiel er mit einer besonders
geschmacklosen Verteidigungsstrategie auf. Vor dem Frankfurter Gericht
sagte er: Bei der Selektion an der Rampe in Auschwitz seien doch von den
angeklagten SS-Männern eigentlich Leben gerettet worden. Einige der
todgeweihten Häftlinge seien ja zum Arbeitsdienst abkommandiert worden und
hätten so eine Chance zum Überleben gehabt. Das war ein Denken, wie es
damals auch im Justizministerium vorherrschte, sagt der Jurist und
Studienautor Christoph Safferling.
Christoph Safferling: In diesen ganzen Personalunterlagen, in diesen
ganzen Schriften, die wir gesehen haben, haben wir auch kein Wort der
Einsicht oder der Entschuldigung gefunden, sondern immer nur die gleichen
Entschuldigungs- und Rechtfertigungsmythen: „Wir haben nur die Gesetze
angewendet. Wenn wir gegangen wären, wären viel schlimmere Nazis
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gekommen. Und wir haben insgesamt ja Schlimmeres verhindert.“ Das sind ja
die gängigen Exkulpationen, denen hier das Wort geredet wird. Kein Wort
dahingehend, dass man der falschen Ideologie aufgesessen ist und sich jetzt
neu orientiert. Das finden wir nicht. Diese Personen, diese Generation war
unfähig, über die Vergangenheit nachzudenken.
Max Bauer: Man hatte sein Pflicht getan, man war anständig geblieben
in schweren Zeiten und hatte Schlimmeres verhindert. Jetzt stand man
zusammen. So dachten die braunen Juristen im Justizministerium. Das war
der Geist, der damals herrschte. Aber was waren ganz konkret die Folgen,
dass diese Leute jetzt im Ministerium das Sagen hatten?
Manfred Görtemaker: Es hat nach 1949 keinen einzigen Richter und
nur einen einzigen Staatsanwalt gegeben, der für das, was er während des
Dritten Reichs getan hat, zur Verantwortung gezogen wurde. Man kann es
auch etwas deutlicher formulieren: Die Justiz hat sich gewissermaßen kollektiv
selbst amnestiert nach 1945.
Max Bauer: Die alten NS-Juristen schützten aber nicht nur sich selbst,
wie Historiker Görtemaker beschreibt. Sie sabotierten gezielt jede
Strafverfolgung von NS-Tätern.
Manfred Görtemaker: Ein Beispiel ist die zentrale Rechtsschutzstelle,
die im Bundesministerium der Justiz angesiedelt war. Diese zentrale
Rechtsschutzstelle hatte die Aufgabe, NS-Straftäter im Ausland vor
Strafverfolgung zu warnen. Das heißt, das BMJ hat sich aktiv an der
Veränderung von Strafverfolgung beteiligt. Darüber hinaus war das
Ministerium auch sehr aktiv: die Straffreiheitsgesetze von 1949 und 1953 auf
den Weg zu bringen, so dass bis 1958 eigentlich schon alle NS-Straftäter
wieder auf freiem Fuß waren.
Max Bauer: Ein wichtiges Mittel, Strafverfolgung zu verhindern, war
auch die Verjährung der Taten. Eine Gesetzesänderung 1968 und ein Urteil
des Bundesgerichtshofs von 1969 hatten weitrechende Folgen: Beihilfetaten
zu NS-Verbrechen waren rückwirkend 1960 verjährt. Kurz bevor er in den
Ruhestand ging war es der ehemalige NS-Staatsanwalt Eduard Dreher, der an
dieser Änderung der Rechtslage mitwirkte.
Manfred Görtemaker: Er war erster Staatsanwalt am Sondergericht in
Innsbruck gewesen, hatte dort eine ganze Reihe von Todesurteilen erwirkt,
und in einem Falle eben ein Todesurteil, das dann auch innerhalb von
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wenigen Stunden vollstreckt wurde. Das heißt, er hat sich selbst in hohem
Maße strafbar gemacht, war zumindest beteiligt an einem Justizmord. Und
Dreher musste natürlich auch Ende der 60er Jahre persönlich befürchten,
nachdem die Öffentlichkeit durch den Eichmann-Prozess und die AusschwitzProzesse in viel höherem Maße als vorher sensibilisiert worden war für diese
Taten, dass das auch bekannt würde. Und dann hätte er tatsächlich auch nach
den damaligen geltenden Gesetzen verurteilt werden können. Insofern hatte er
auch durchaus ein persönliches Motiv, diese Verjährung der
Beihilfestrafbarkeit zu erreichen. Und das hatte dann in der Tat zur Folge,
dass tausende und vielleicht zehntausende von Beihilfetätern straffrei
ausgingen, dass Strafverfahren nicht mehr eröffnet werden konnten oder
beendet werden mussten, soweit sie bereits eingeleitet waren.
Max Bauer: Schutz für die alten Gefährten, das war das Credo der
Rosenburg-Juristen, berichtet Historiker Görtemaker. Aber auch neue Gesetze
wurden von den Beamten mit der braunen Vergangenheit so verfasst, wie sie
es von früher gewohnt waren. Justizminister Heiko Maas:
Heiko Maas: Ab 1959 formulierte die Bundesregierung ein geheimes
Kriegsrecht. 45 Notverordnungen wurden dafür entworfen. 20.000
Sonderausgaben des Bundesgesetzblattes wurden gedruckt und lagen in den
Schubladen bereit, um im Ernstfall verkündet zu werden. Für dieses geheime
Kriegsrecht gab es keine Grundlage im Grundgesetz. Es sollte sogar eine
polizeiliche Vorbeugehaft eingeführt werden, die Wiederkehr der berüchtigten
Schutzhaft. Dieses Projekt war nichts anderes als ein organisierter
Verfassungsbruch. Aber die Juristen des Verfassungsministeriums hatten
offensichtlich keinerlei Skrupel, an den Projekten mitzuarbeiten. Von Protesten
keine Spur.
Max Bauer: Ein geheimes Kriegsrecht – Strafrechtsprofessor Safferling
wundert sich darüber, wie im Justizministerium der 50er Jahre der alte Geist
ungehindert in neue Gesetze fließen konnte:
Christoph Safferling: Das hieß anfangs „K-Buch“ für Kriegsbuch. Und
dann hat man aber relativ schnell gemerkt, dass das vielleicht nicht so eine
ganz gute Namensgebung ist, sondern dann hieß es „V-Buch“ –
Verteidigungsbuch. Da merkt man an vielen Stellen, dass bei der
Gesetzgebung hier einfach von diesen Personen reagiert wird wie vor 1945.
Da gibt es eine Situation, wo der Abteilungsleiter im Verteidigungsausschuss
im Bundestag über irgendetwas referiert und darüber diskutiert wird. Und dann
erwähnt er den Fall, in dem im Krieg, im besetzten Gebiet eine gewisse
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Regelung getroffen werden soll. Offensichtlich nicht wissend, dass die
Bundeswehr niemals in einem vorgestellten Krieg ein besetztes Gebiet
okkupieren kann, denn es ist eine Verteidigungsarmee, die allein dafür sorgen
muss, dass die Grenze der Bundesrepublik nicht verletzt wird; die aber nicht
aggressiv irgendwelche anderen Gebiete besetzt. Das war offensichtlich in
seinem Kopf so jedenfalls nicht angekommen. Er hat es also geplant, so wie
er das halt aus den besetzten Gebieten vor 1945 her kannte.
Max Bauer: Die Rosenburg-Studie ist ein später, aber ein ungeheuer
wichtiger Schritt der Aufklärung über uns selbst, über unsere Geschichte. Da
kann man nur hoffen, dass alte und neue Juristengenerationen sie auch lesen.
Und dass sie genau hinhören, wenn deutsche Politikerinnen das Wort
„völkisch“ – diesen Kernbegriff der Nazi-Ideologie – wieder positiv besetzen
wollen.
Das war der SWR1 Radioreport Recht: Die Akte Rosenburg – wie braune
Paragraphenreiter nach 1945 das Justizministerium im Griff hatten.
Danke fürs Zuhören. Am Mikrofon war Max Bauer.
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