Gedächtnistag ALLERSEELEN

Mittwoch, 2. November 2016
Gedächtnistag ALLERSEELEN
1 Thess 4, 13-18, Joh 11, 17-27
6.30 Domkirche St. Stephan
Liebe Schwestern und Brüder,
„Der Tod, das muss ein Wiener sein, genau wie die Lieb a Französin. Denn wer bringt
dich pünktlich zur Himmelstür? Ja, da hat nur ein Wiener das G´spür dafür“, heißt es in
einem Lied des österreichischen Chansonniers und Liedermacher Georg Kreisler. Ob die
Wiener wirklich ein Gespür dafür haben? Ich weiß es nicht? Jedenfalls gehört auch der
Tod genauso zum Leben wie die Liebe.
Der Gedächtnistag ALLERSEELEN, der am Beginn des sogenannten Totenmonats
November steht, erinnern uns in einer unverblümten Art und Weise daran. An dieser
Tatsache, dass auch wir irgendwann einmal sterben und zu denen „gehören“ werden,
um die wir trauern und die wir vermissen, lässt sich weder rütteln, noch darüber
verhandeln, weil keiner von uns danach gefragt werden wird, wann es ihm eventuell
recht ist, Abschied zu nehmen von Menschen, von Gewohnheiten, von sich selbst.1 Und
den Tod zur rechten Zeit gibt es nicht, selbst wenn er manchmal als Erlösung
empfunden wird.2 Es wird dann einfach heißen, wie es auf einer römischen
Grabinschrift geschrieben steht: „Was wir sind, werdet ihr sein. Was ihr seid, waren wir
einst.“3
Man kann es drehen und wenden wie man will: „Der Tod hat schon was“, so der
österreichische Schriftsteller Franz Schuh, „und das ist nicht nur schrecklich und
furchtbar, sondern es ist etwas, was die Umstände auch klarlegt, klarmacht. Der Tod ist
– zumindest auf der Welt – eine Grenze, an der es heißt: bis hierher und nicht weiter.“4
Jeder von uns hat wohl seine Art und Weise wie er vom Tod denkt und damit
umzugehen lernt, ob verdrängend oder bewusst wahrnehmend. Wobei ersteres
1
Vgl. Margot Bickel: „Keiner wird gefragt, wann es ihm recht ist, Abschied zu nehmen, von Menschen,
Gewohnheiten, sich selbst. Irgendwann plötzlich heißt es damit umgehen, ihn aushalten, annehmen,
diesen Abschied, diesen Schmerz des Sterbens, dieses Zusammenbrechen, um neu aufzubrechen.“
2
Vgl. Arnold Mettnitzer, Kleine Zeitung, 1. November 2009, 6.
3
“Quod sumus, hoc eritis. Fuimos quandoque, quod estis.“
4
Franz Schuh, „Spectrum“, Die Presse, 29. Oktober 2011, II.
gefährlich ist. Gerade in unserer Welt, in der wir immer wieder einer realitätslosen
Illusion der Unsterblichkeit zu verfallen drohen, wird das Sterben, der Tod
weggeleugnet, einfach nicht darüber geredet. Totgeschwiegen. Doch wohlgemerkt, wir
bedürfen des Todes, wie der Philosoph Peter Strasser über die Notwendigkeit des Todes
schreibt, besonders der Todesgewissheit, um sich im Leben lebendig fühlen zu können.5
Oder mit den Worten des US-amerikanischen Unternehmers Steve Jobs gesprochen:
„Der Tod ist die beste Erfindung des Lebens.“6
Immer wieder werden wir in unserem Leben dem Sterben und dem Tod begegnen.
Letztlich auch bei uns selber, denn mit dem Geboren-Werden, so paradox es klingen
mag, beginnt auch das Sterben. Wir entkommen ihm nicht.
Aber alles muss dennoch ganz getan werden: „Sein ganzes Leben leben, seine ganze
Liebe leben, seinen ganzen Tod sterben“, sagte Teresa von Avila in einem ihrer großen
Sätze. Alles ganz tun. Weil wir vieles halb tun, mogeln wir uns auch am Tod vorbei. „Ich
habe keine Angst vor dem Sterben, ich möchte nur nicht dabei sein, wenn es passiert“,
spottete der Komiker Woody Allen.7 Wir werden aber sehr wohl dabei sein müssen,
wenn es passiert. Deshalb ist es gut, dass es Tage wie ALLERSEELEN oder Monate wie
den Monat November für uns gibt, dass wir ganz bewusst daran erinnert werden, dass
wir sterben müssen. Was aber auch bedeutet, dass wir, solange wir leben, alles dafür tun
sollten, damit unser Leben auch „Leben“ genannt werden kann8 und dass wir uns nicht
nur leben lassen, bestimmt von anderen oder von Zwängen und Konventionen, sondern
unseren eigenen Weg gehen, in Verantwortung und Versöhntheit. Und aufhören, ständig
jemand anderen oder irgendetwas für das, was ich selber ändern kann, zu belangen.
Irgendwann muss man vergeben und verzeihen können, um seine Seele nicht ganz zu
vergiften und das Leben nicht noch mehr zu belasten.
Wenn wir heute an diesem Tag an Menschen denken, die wir kannten, schätzten und
liebten und deren Gräber wir vielleicht besuchen werden, dann wird vielleicht vieles an
Erinnerungen in uns erwachen, denn die „Erinnerung ist eine Form der Begegnung“, wie
der libanesisch-amerikanische Maler und Dichter Kahlil Gibran sagt.
Manche Begegnungen bleiben. Sie helfen uns zu trauern und Abschied zu nehmen. So
sehr es auch manchmal schmerzt, und so weh es auch tut, aber es ist eine Art der
Verbundenheit über den Tod hinaus. Nicht so sehr nur ein Getrenntsein. Der Tod
bedeutet das Ende eines Lebens. Jedoch die Liebe bleibt. Mehr braucht es nicht. Aber
auch nicht weniger!
5
Peter Strasser, „Muss ich denn sterben, um zu leben?“, Kleine Zeitung, 1. November 2011, 2.
6
Steve Jobs, 1955-2011.
7
Vgl. Hanna Barbara Gerl-Falkovitz, alle welt, 40.
8
Vgl. Arnold Mettnitzer, Kleine Zeitung, 1. November 2009.