Dienstag, 1. November 2016 HOCHFEST ALLERHEILIGEN Offb 7, 2-4.9-14, 1 Joh 3, 1-3, Mt 5, 1-12a VA 19.00 Domkirche St. Stephan, 8.00 Wartberg, 10.00 Grafenberg Liebe Schwestern und Brüder, ob Sie es mir glauben oder nicht: die katholische Kirche verehrt offiziell rund 6.700 namentlich bekannte Selige und Heilige, so die Mitteilung der amtlichen Tageszeitung des Apostolischen Stuhls.1 Wie man heilig wird? Anfangs bestimmte das Volk, wer für sie ein Heiliger war. Heute wird man es durch einen aufwendigen Prozess, verbunden mit entsprechenden finanziellen Kosten. Es war nicht immer nur Frömmigkeit, die sich einst dahinter verborgen hat, sondern auch wirtschaftliches Kalkül, denn ein Heiliger brachte nicht nur Menschen, sondern auch viel Geld an den Ort seiner Verehrung. Eine Heiligsprechung ist ein kirchenrechtliches und dogmatisches Verfahren, durch das der Papst nach entsprechender Prüfung erklärt, dass für die Kirche die Gewissheit besteht, dass ein bestimmter Verstorbener sich in der seligmachenden Gottesschau befinde und deswegen als Heiliger bezeichnet werden darf und als solcher verehrt werden soll. Voraussetzung dafür sind entweder das Martyrium oder der Nachweis eines heroischen Tugendgrades, bestätigt durch ein Wunder.2 Aber was ist heilig? Etwas für Gott allein? Denn das Wort „heilig“, aus dem Hebräischen (kadosh/ ) ָקדוֹשׁübersetzt, bedeutet: „abseits“: abseits von dieser Welt, ausgerichtet auf eine andere Welt, auf eine höhere Wirklichkeit! Nichts also für uns Menschen?3 Weil wir dadurch in ein schiefes Licht gerückt werden könnten, nicht ganz bei Sinnen zu sein scheinen? Wer will schon heilig sein? Noch dazu heilig genannt werden? Möchten Sie es, liebe Schwestern und Brüder? In der Heiligen Schrift aber heißt es: „Seid heilig, denn ich, euer Gott, bin heilig!“ Und mehr als fünfzig Mal werden in den neutestamentlichen Schriften Menschen als „heilig“ bezeichnet und angesprochen. Menschen wie Sie und ich. Und das meint nichts anderes 1 L’Osservatore Romano, 46.42, 21. Oktober 2016, 1. 2 Vgl. https://www.heiligenlexikon.de/Grundlagen/Heiligsprechung_kath.htm 3 Vgl. Kees Kok, Ansprache in der Amsterdamer Studentenekklesia, 26. Oktober 2014 (Übersetzung: Monika Fahrnberger, 2.12.2014). als die Gemeinde der Christen. Wir sind dazu „verpflichtet“, heilig zu sein, uns darum zu mühen und darum zu kämpfen, auf eine andere Wirklichkeit hin zu leben. Im Grunde ganz einfach. Wie es geht, davon haben wir im Evangelium gehört: die Seligpreisungen zu leben. Und das ist nichts Elitäres. Es setzt keine Leistungen voraus. Es bedarf keiner „Quantensprünge“ oder akrobatischer Klimmzüge. Ausnahmslos jede und jeder von uns ist dazu fähig und befähigt worden. Es zeigt sich in der Ehrerbietung voreinander, in der Heiligung des Sonntags, in einer maßvollen, gesunden Ernährung, der Bereitschaft, einen großzügigen Teil der Ernte den Armen und Fremden zu überlassen, nicht zu stehlen, sich nicht auf die Kosten anderer zu bereichern, friedfertig, zufrieden zu sein, nicht zu hassen, sondern zu lieben, nicht nur den Nächsten, auch den, der mir Feind ist. Wer das tut, wer sich darum müht und daran zu halten versucht, der ist heilig. Der ist abseits dieser Welt, der ist anders, nicht den Banken, nicht dem Markt verpflichtet und nicht dem herrschenden Wirtschaftssystem lebend.4 Immer wieder gab und gibt es solche Menschen, die die Seligpreisungen aufs Neue zu leben versuchen, auch innerhalb einer verweltlichten Kirche, auch heute noch. Menschen, die sich „radikalisiert“ haben, weil sie das ursprüngliche Ideal in den Alltag umsetzen wollten. Es sind und waren nicht nur heiliggesprochene Heilige, sondern auch die vielen unzählbaren, namenlosen Heiligen, mit denen unsere Kirche nicht immer kulant verfahren ist, sondern vielleicht als Ketzer „abgeurteilt“ hat.5 „Seid heilig“ – das wird uns heute an diesem Hohen Festtag ALLERHEILIGEN gesagt. Es ist nichts Unmögliches. Und es ist wahrlich nicht zu viel verlangt. Erreichbar und praktizierbar ist es allemal von einem jeden von uns. Menschen können es, weil sie oft gar nicht anders können. Und es wird von unzähligen einfach getan. Ohne große Worte, Diskussionen, „Studientage“ oder Pastoralkonferenzen. Vor allem durch solche, die absichtslos da sind, sich sorgen und aufopfern, die einfach lieben, ohne ständig auf Lob, Dank und Anerkennung zu warten.6 Wollen wir das überhaupt? Manchmal zweifle ich daran, wenn ich sehe, wie der Mensch zum „Wolf des Menschen“ wird! Gebe Gott, dass wir uns darum mühen, heilig zu sein. Bitten wir die Heiligen darum, dass sie uns beistehen und uns dabei helfen, Mensch zu sein mit Herz und Hirn, mit Haut und Haar – ohne die Notwendigkeit einer Heiligsprechung. Versuchen wir, heilig, abseits, ja anders zu sein, ganz bewusst, ausgerichtet auf eine andere Welt, um es uns nicht zu allzu sehr in dieser Welt selbstverliebt gemütlich zu machen. Denn dazu neigen wir leider oft, manchmal verständlich, aber nicht zielführend und mit dem Heiligsein nicht verträglich. 4 Vgl. Kees Kok, Ansprache in der Amsterdamer Studentenekklesia, 26.10.2014. 5 Vgl. Kees Kok, Ansprache in der Amsterdamer Studentenekklesia, 26.10.2014. 6 Vgl. ebd.
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