Phase I Reha – Frühmobilisierung in der Intensivmedizin Einleitung Im Rahmen der „intensiven“ Physiotherapie liegen die größten Herausforderungen auf der Intensivstation einerseits bei der Unterstützung des beatmeten Patienten im Weaning, der Aktivierung des muskoloskelettalen Systems (Stichwort: ICUAW - intensive-care-unit-acquiredweakness) und andererseits beim Management des ICU-Delirs (Verwirrtheitszustand des Intensivpatienten). Die ICUAW steht als Überbegriff für mehrere Arten von Muskelschwächen, die durch einen intensivmedizinischen Aufenthalt entstehen können. In deren Folge verschlechtert sich das funktionelle Outcome des Patienten drastisch und die Liegedauer auf der Intensivstation sowie die Beatmungsdauer verlängert sich massiv. Bereits 2009 konnte in einer Studie von Schweickert et al im Lancet gezeigt werden, dass eine frühzeitige interprofessionelle Mobilisation des Intensivpatienten klare Vorteile bezüglich der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus sowie der Beatmungszeit und einer Verbesserung des funktionellen Status nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bringt. Balas et al veröffentlichte 2014 ein interprofessionelles Behandlungsbundle (ABCDE-Bundle), das später um den Punkt „F“ erweitert wurde (www.icudelirium.org) und aus folgenden Teilbereichen besteht: Täglicher Aufwachversuch (A - Awakening) Täglicher Spontanatemversuch (B - Breathing) Zeitliche Koordination der Maßnahmen A+B (C - Coordination) Management des ICU-Delirs (D - Delir) Frühmobilisierung (E - Early Mobilization) Einbeziehen der Familie (F – Family Engagenment) Balas et al untersuchten anhand verschiedener Parameter den Vorher-/Nachher-Effekt der Implementierung des ursprünglichen ABCDE-Bundles an 296 Patienten. Dabei konnten sie feststellen, dass sich durch das Bundle die Beatmungsdauer im Schnitt um 3 Tage reduziert, die Delirrate zurückgeht und die Patienten deutlich früher das erste Mal aus dem Bett heraus mobilisiert werden. Weitere Folgestudien von anderen Autoren konnten oben genannte Ergebnisse bestätigen und 2015 folgte die Überarbeitung der S2e-Leitlinien „Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen“ (www.awmf.org), in denen die Frühmobilisierung als zentraler Bereich ergänzt wurde. Die wichtigsten Eckpunkte sind die Bauchlagerung, die kontinuierliche laterale Rotationstherapie (KLRT), die Seitenlagerung, die Oberkörperhochlagerung und die Frühmobilisation. „Intensive“ Physiotherapie Die physiotherapeutische Betreuung im intensivmedizinischen Setting benötigt neben dem Wissen über die Anwendung unterschiedlicher physiotherapeutischer Techniken auch umfangreiche Kenntnisse über die Möglichkeiten intensivmedizinischer Maßnahmen sowie deren Wechselwirkungen mit der physiotherapeutischen Behandlung. Anhand eines spezifischen ICUAssessments kann der Physiotherapeut - bezogen auf die momentanen Ressourcen und in multiprofessioneller Abstimmung - die notwendigen Maßnahmen und Techniken genau festlegen. Als zusätzliche Parameter werden die Vigilanz (Richmont Agitation and Sedation Scale – RASS), Vitalwerte über das Monitoring sowie die Schmerzsituation (Criticall Care Pain Observational Tool - CPOT) beurteilt und in die Therapieplanung miteinbezogen. Durch laufende Evaluierung und Reevaluierung der therapeutischen Behandlung werden die einzelnen Behandlungsschritte auf den momentanen Zustand des Patienten angepasst und damit ein kontinuierlicher Therapieverlauf gewährleistet. Für die atemphysiotherapeutische Behandlung zur Unterstützung des Weanings wird die Funktionalität des Atemzentrums in 3 Phasen eingeteilt (komplette Inaktivität - beginnende Eigenaktivität – selbständige Atmung). Diesen Phasen werden dementsprechende Ziele und Maßnahmen zugeordnet, die von passiven Techniken (z.B. Atemvertiefung, Sekretclearance) bis hin zu aktivem inspiratorischem Atemmuskeltraining (IMT) reichen. Die Versorgung eines Intensivpatienten mit einem Endotrachealtubus, einem Tracheostoma oder einem Device zur noninvasive Ventilation (NIV) stellt per se eine Indikation für Atemphysiotherapie dar, weil die künstliche Beatmung die Inzidenz einer Ventilator-induced-diaphragmatic-dysfunction (VIDD) stark begünstigt. Die Inspirationsmuskulatur reagiert gleich auf einen Trainingsreiz, wie die Skelettmuskulatur, wenngleich die Trainingsreize natürlich an die Beatmungssituation angepasst werden müssen. Dieses Training kann in verschiedenen Formen entweder direkt über den Respirator oder durch die Nutzung von IMT-Geräten, die an den Tubus oder die Trachealkanüle angeschlossen werden, durchgeführt werden. In abgewandelter Form kann ein ähnliches IMT als Atemmuskelaktivierung auch direkt am Respirator durchgeführt werden, wobei der notwendige Trainingsreiz durch eine kurzzeitige Reduktion des oberen Druckniveaus erreicht wird. Die wichtigsten Effekte bei allen IMTTrainingsvarianten bestehen in einer deutlichen Steigerung der Kraftfähigkeit der Atemmuskulatur, was wiederum zu einer Ökonomisierung der Atemarbeit und des Atemmusters führt. Eine Möglichkeit zur physiotherapeutischen Behandlung (inkl. interprofessioneller Frühmobilisation) besteht in der Einteilung in die Phasen „MOB 1“ bis „MOB 3“ bezogen auf die momentane Kraftfähigkeit. Die Palette der physiotherapeutischen Möglichkeiten beginnt bei passiver Bewegungstherapie im Bett über assistive Übungen im Sitz an der Bettkante und endet bei aktivem Steh- und Gehtraining. Die laufende Beatmung oder auch extracorporale Verfahren (z.B. ILA) sind dabei keine Kontraindikation sondern dienen vielmehr als Unterstützung der respiratorischen Reserve. In allen Phasen steht eine Vielzahl an technischen Hilfsmitteln zur Verfügung, die die Frühmobilisation des Intensivpatienten erleichtern. Weaning und Frühmobilisation beim beamteten Patienten erfordert ein multiprofessionelles Team, das bereit ist, die vorhandenen Ressourcen (zeitlich, personell, Equipment,…) optimal auf den Patienten abzustimmen. Das vorrangige Ziel ist, den Intensivpatient ressourcenorientiert und zielgerichtet zu behandeln und damit das funktionelle Outcome zu verbessern. Literatur: Schweickert W.D. et al; Early physical and occupational therapy in mechanically ventilated, critically ill patients: a randomised controlled trial. Lancet 2009; 373:1874–82 Bein et al; 001/015 – S2e-Leitlinie: Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen. www.awmf.org Nessizius S.; Aufgaben der Physiotherapie in der Intensivmedizin. Med Klin Intensivmed Notfmed 2014 ·109:547–554 Hodgson C.L. et al; A Binational Multicenter Pilot Feasibility Randomized Controlled Trial of Early Goal-Directed Mobilization in ICU www.fruehmobilisierung.de www.icudelirium.org www.physio-intensiv.jimdo.com Kontaktdaten: Stefan Nessizius, Physiotherapeut [email protected]
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