SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Interview der Woche – Manuskript Autor: Gesprächspartner: Redaktion: Sendung: Mathias Zahn Bodo Ramelow, LINKE, Ministerpräsident in Thüringen Stephan Ueberbach SWR Studio Berlin Samstag, 05.11.2016, 18.30 – 18.40 Uhr, SWR SWR Interview der Woche vom 03.11.2016 SWR: Herr Ramelow, die CSU warnt vor einer „Linksfront“ im Bund und meint damit eine rot-rot-grüne Bundesregierung nach der nächsten Bundestagswahl. Wie regiert es sich für Sie in Thüringen als Ministerpräsident einer rot-rot-grünen „Linksfront“? B. R.: Ja in Thüringen stehen wir ja unter strenger Beobachtung unseres bayrischen Nachbarlandes, d. h. die CSU guckt schon ab und zu bei uns vorbei, ob auch alles in Ordnung ist. Und, ehrlich gesagt, das Verhältnis zwischen Horst Seehofer und mir im Bundesrat ist ziemlich entspannt, ganz im Gegenteil, wenn es um nachbarschaftliche Entwicklung geht, können wir auch sehr, sehr intensiv gemeinsam kämpfen. Wir haben gerade bei dem Energie-Einspeise-Gesetz um Biomasse und um bestimmte Sachen für die Landwirtschaft gekämpft – und siehe da, es gibt da überhaupt keine Warnung vor dem anderen, sondern es gibt nur ein gemeinsames Agieren für unsere Bundesländer und deswegen sage ich, ja, zum öffentlichen Wahlkampfauftakt muss man natürlich irgend einen Gegner haben, vor dem man warnt. Und ich kann dann immer nur umgekehrt sagen: Es wäre gut, wenn die Große Koalition zu Ende gehen würde und wir wieder zu demokratischen Verhältnissen in dem Sinne kämen, dass die Pluralität zwischen konservativ und linksliberal im gesamtgesellschaftlichen Diskurs wieder deutlicher erkennbar wird. SWR: Also “Linksfront” ist eine erlaubte politische Zuspitzung, da tritt die CSU nicht in die AfD-Falle und geht da in so einen Wettbewerb um die immer schärfere Formulierung, den sie ja nicht gewinnen kann? B. R.: Sagen wir mal so, die CSU macht es ja und versucht es, und Horst Seehofer ist natürlich prädestiniert, bei jedem Stammtisch nochmal die verbalradikale Keule rauszuholen. Als Vertreter der LINKEN habe ich ja gelernt. Ich habe ja von 2005 bis 2008 die Wahlkämpfe gemanagt. Der beste Wahlkämpfer, den die LINKE und vorher die PDS hatte, war immer die „Rote Socken“-Kampagne der Konservativen. Also je mehr man vor uns gewarnt hat, desto mehr haben unsere Wählerinnen und Wähler erkannt, dass wir ihr Ankerpunkt sind. In der heutigen Zeit aber von der „Linksfront“ zu reden oder zu schwadronieren, heißt ja nur, alte Urängste wieder zu schüren. Nur – ich kann immer nur den Hinweis geben: der Kalte Krieg ist eigentlich vorbei. SWR: Im Oktober hat es ein großes rot-rot-grünes Annäherungstreffen hier im Bundestag gegeben, in Berlin, da war auch SPD-Chef Gabriel kurz dazugekommen. Mit welcher Grundstimmung verfolgen Sie diese Annäherungsversuche, dieses Kennenlernen, Abtasten? Oder gehören Sie sogar zu den Strippenziehern im Hintergrund? B. R.: Ich bin ja zu einer Zeit politisch - in die Partei PDS eingetreten – ich war ja mein Leben lang parteilos, als Gewerkschafter habe ich ja einen Bogen um Parteien gemacht, weil ich nicht vereinnahmt werden wollte – und als ich in die PDS 1999 eingetreten bin, war das in der Zeit, in der die Kohl-Ära gerade zu Ende ging und es gab einen gemeinsamen, gesamtdeutschen Aufruf, der hieß „Erfurter Er- Interview der Woche : 2 klärung“. Dort stand schon in der Überschrift drin, SPD, Bündnis 90/GRÜNE und PDS müssen ihre Feindbilder überwinden, sie müssen ihr Trennendes deutlicher akzentuieren, aber nicht gegeneinander einsetzen, sondern das Gemeinsame zum Nutzen der Menschen einsetzen. An dem Strang arbeite ich heute noch, daran hat sich gar nichts SWR: Das hat aber nicht so richtig geklappt?! B. R.: - doch, Sie sehen’s doch! Es sitzt doch ein real-existierender Ministerpräsident vor Ihnen, der erste linke Ministerpräsident Deutschlands, der erste, der aus freien Stücken gemeinsam mit drei Partnern eine Koalition gebildet hat. Jetzt gibt es mehrere Dreier-Koalitionen, aber als wir 2014 angefangen haben, galt es als undenkbar. Es galt als nicht möglich und in Thüringen war es die Konsequenz, die sich auch ergeben hat aus der Arbeit der „Erfurter Erklärung“. SWR: Linksfraktionschef Bartsch hat SPD-Chef Gabriel aufgerufen, Angela Merkel zu stürzen, also er hat gesagt, Gabriel könnte schon nächste Woche Kanzler sein, mit Hilfe von Rot-Rot-Grün, da gibt es ja aktuell eine Mehrheit im Bundestag. Sind solche Aufrufe hilfreich, um Vertrauen zu schaffen? Erlaubte Nadelstiche? B. R.: Ich hätte so eine Formulierung so nicht gebraucht, aber richtig ist einfach, es gibt derzeit eine Mehrheit jenseits der Großen Koalition. Aber auch wir haben es nicht geschafft, diese Mehrheit gestalterisch auf den Weg zu bringen. Ich sage das selbstkritisch an unsere eigene Adresse, weil in Thüringen hatten wir fünf Jahre vor unserer Regierungsbildung schon mal die Chance, da hätte es für Rot-Rot alleine schon gereicht und es hätte für Rot-Rot-Grün dicke gereicht. Es ist uns nicht gelungen. Und es ist auch deswegen nicht gelungen, weil meine Partei und auch ich der Meinung waren: wir haben so stark die Wahl gewonnen, dass wir den anderen erklären könnten, wie’s geht. Diese Haltung funktioniert nicht. Man muss mit den anderen gleichberechtigt reden. Ich hab‘ für mich auch einen Entwicklungsprozess erlebt in den fünf Jahren dazwischen und heute weiß ich, ich bin der Repräsentant der drei Parteien. Und ich hab‘ meiner Partei gesagt, ich sitze nicht für meine Partei im Bundesrat, ich sitze für mein Bundesland im Bundesrat und ich sitze für die Dreier-Koalition im Bundesrat und ich vertrete und ich lebe auch dieses Dreier-Bündnis, weil ich sage, es geht nur so. Eine andere Kultur in der Politik kriegen wir nur hin, wenn wir uns auf gleicher Augenhöhe begegnen und nicht danach klären, wer ist Koch und wer ist Kellner. Diese Koch-und-Kellner-Spiele gehen mir unheimlich an die Nerven, weil man damit einfach nur sich gegenseitig das Leben schwermacht und für die Menschen keine Verbesserungsprozesse hinkriegt. Und die Menschen haben kein Verständnis dafür. SWR: Das SWR-„Interview der Woche“ mit Bodo Ramelow, dem Ministerpräsidenten von Thüringen, von der LINKEN. – Vor genau fünf Jahren sind die Rechtsterroristen des NSU aufgeflogen, in Eisenach, in Thüringen. Zehn Morde werden dem Trio zur Last gelegt, überwiegend rassistisch motivierte Taten, Morde an türkischstämmigen Migranten. Heute, fünf Jahre danach, was sagen Sie, wieviel Prozent der Wahrheit kennen wir über diese Trio – und die Hintermänner? B. R.: Präzise gesagt ist es eine griechische Familie, ein griechischer Familienvater umgebracht worden, es sind türkische Familienmitglieder ermordet worden und eine Thüringer Polizistin. Keine einzige der Taten ist in Thüringen geschehen, aber sehr viele Banküberfälle sind in Sachsen, und auch in Thüringen, geschehen und viel zu lange hat das Treiben seinen Lauf genommen, seinen brutalen Lauf, und viel zu lange hat man in den falschen Richtungen ermittelt. Viel zu viele falsche Spuren sind gelegt worden, so dass die Polizei nie zur richtigen Ermittlung kam. Und wenn Sie mich fragen, wieviel Prozent ist wirklich schon herausermittelt, da kann ich sagen, ich glaube wir kucken gerade nur auf die Spitze eines Eisbergs, weil für mich ist das eine Kontinuität der Fehlentwicklungen, die auch schon zu besichtigen sind in München beim Oktoberfest-Bombenanschlag, auch da gab es seltsame Dinge drumrum. Es gab Karl-Heinz Hoffmann, die Wehrsportgruppe Hoffmann, da ist schon ‘ne Spur, die dann später wieder Interview der Woche : 3 nach Thüringen weist, weil Hoffmann ist aus Thüringen und ist auch nach der Wende wieder nach Thüringen zurückgekehrt. Wir haben es mit Waffenfunden, damals beim Münchner Oktoberfest-Attentat mit Waffenfunden in Niedersachsen, zu tun und auch im jetzigen Fall ist man auf einmal wieder auf Waffendepots, Erddepots gestoßen und man hat das Gefühl, dass dort Mächte am Werk sind, die -, bei denen alle Akten verschwinden. Wir wissen, ein Teil der Täter, von denen wir Kenntnis haben -, von einem anderen Teil haben wir immer noch keine Kenntnis, aber der Teil der Täter, der mordend durch Deutschland gezogen ist, kam aus Thüringen und wir haben den Respekt vor den Opfern, vor den Familien, die lange gelitten haben, weil sie falschen Verdächtigungen ausgesetzt worden sind und deswegen bleibt die Scham einfach bei jedem, der mitfühlend ist, dass man sagt, was man den Familien angetan hat! Der -, das Familienmitglied, der Vater wurde ermordet und die Familien wurden noch in die Täterschaft hineingedrängt – und heute wissen wir, es war brauner Terror! Ich bin dankbar, dass im Bundestag mit Clemens Binninger jetzt wieder ein Untersuchungsausschuss sich intensiv um die Sachen kümmert und ich habe großen Respekt auch vor der Arbeit von Clemens Binninger, der ja selber Polizist ist, CDU-Mitglied ist, aber sehr, sehr, sehr nachhaltig auf der Spur dieser Taten ist. Ich kann von unserer Seite nur an Unterstützung zur Verfügung stellen, was wir können. SWR: Was tun Sie persönlich? B. R.: Ah, ich hab‘ ja nun jahrelang ermittelt SWR: Nein, ich meine – jetzt, heute, fünf Jahre danach, sagen Sie, es gibt noch so viel auch von meiner Seite aus anzuschieben und zu tun … B. R.: Ja, alles, was wir können! SWR: … oder: ich bin mit meinem Latein am Ende? B. R.: Nein, also – da will ich mit meinem Latein nicht am Ende sein! Ich verweise nochmal auf das Münchner Oktoberfest, da gibt’s immer noch viel aufzuklären. Da ist viel zu viel vertuscht worden und ich glaube auch beim NSU-Komplex dürfen wir gar nichts vertuschen. Ich gehe aber auch nicht davon aus, dass das drei Personen waren, dass zwei davon tot sind und bei der anderen darüber geredet wird, ob sie die Haare schön kämmt oder nicht! Sondern wir reden von Rechtsterroristen, wir reden von einer terroristischen Gruppe, die weit größer ist, wie das bisschen Zelle, was uns da benannt worden ist. Und ich glaube, um unserer selbst willen brauchen wir auch einen Einblick in das, was begleitenden Strukturen war, ob es organisierte Kriminalität war, ob es staatliche Stellen waren, ob es Geheimdienste waren, ob es internationale Geheimdienste waren. Da rankt sich ja nun einiges drumrum und ich glaube wir müssen weiterhin, immer weiter bohren und drauf drängen, dass hier Klarheit geschaffen wird.
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