Ausgabe November/Dezember 2016

Informationen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bremen und Bremerhaven
November / Dezember 2016
Das Magazin der
Arbeitnehmerkammer
Bremen
Ohne Grenzen
Wenn sich das Privatleben mit dem Job vermischt
Freiheit üben
Unternehmenskultur
Korrekte Klamotten
Bremer Häftlinge arbeiten als
­Berufsfreigänger
Schlechte Stimmung gefährdet
die Gesundheit
Wie Sie Kleidung fair einkaufen
und entsorgen können
BAM — November / Dezember 2016
Inhalt
Galerie der Arbeitswelt
Urlaub 2017
Korrekte Klamotten
Seite 16
Seite 20
Seite 21
Inhalt
SERVICE & BERATUNG
10
Arbeit & Gesundheit
Bewegung und Licht – Tipps gegen den
Winter­blues
THEMEN
Schwerpunkt
6Ohne Grenzen
Wenn sich das Privatleben mit dem
Job ­vermischt
14
Freiheit üben
Bremer Häftlinge als Berufsfreigänger
18 Unternehmenskultur
11 Fragen & Antworten
Alle Jahre wieder – Weihnachten und Arbeit
22
Alles, was Recht ist
Rechts- und Steuertipps /
Rechtsirrtum: Online-Einkauf
23
Drei Fragen
zur geplanten Reform der Leiharbeit
Schlechte Stimmung macht krank
IN JEDEM HEFT
20
Urlaub 2017
Was Beschäftigte wissen sollten
3Editorial
21 Korrekte Klamotten
Alleinerziehende
Kleidung fair einkaufen
4Die Bremer Arbeitswelt in Zahlen
5Kurz gemeldet
12 Medientipps
13 Veranstaltungskalender
16 Galerie der Arbeitswelt
Der Pyrotechniker
— 2
23
Leserfoto / Impressum
24
Beratungsangebote & Öffnungszeiten
Editorial
BAM — November / Dezember 2016
EDITORIAL
#first7jobs
Unter dem Twitter-Hashtag
#first7jobs erfährt man endlich,
wie Karrieren gestartet wurden.
Kellner? Babysitter? Oder doch
eher Marketing-Hase in der Fußgängerzone? Wir wollten ­wissen,
wie prominente Bremerinnen
und Bremer ihre Berufslaufbahn
begonnen haben.
Torben Otten, Sänger bei den
„De Fofftig Penns“ wird auf der
Bühne zum „plietschen Torbän“.
Dort rappt, singt und schnackt er,
gerne auch mal im Ostfriesennerz,
ausschließlich auf Platt. Vor seiner
Zeit bei „De Fofftig Penns“ hatte
er eine deutliche Affinität zum
Gärtnern.
Zeitungsausträger
Friedhofsgärtner
Freier Mitarbeiter bei der
Norddeutschen (Weser-Kurier)
Eis- und Glühwein-­Verkäufer
im Weserstadion bei W
­ erderSpielen
Kindergärtner in Frankreich
Landschaftsgärtner in Berlin
Kokosnussverkäufer in Berlin
Foto: Lars Kaempf
Arbeitszeit
muss
verlässlich
bleiben
Peter Kruse
Präsident der
Arbeitnehmerkammer
Bremen
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
Smartphone, Tablet, Messenger und E-Mail machen es möglich: Wir können uns
besser austauschen, vieles ortsunabhängig erledigen und schneller reagieren.
Nur: Wir sind eben auch ständig erreichbar. Das kann nicht nur im Privaten
manchmal anstrengend sein. Schwierig wird es dann, wenn wir auch beruflich
permanent digital für die Firma greifbar sind und möglichst flexibel einsetzbar
sein sollen. Dann kommt die viel beschworene „Work-Life-Balance“ ins Wanken.
Fakt ist, dass immer weniger Beschäftigte noch feste Regelarbeitszeiten
haben, selbst Kernarbeitszeiten sind nicht mehr angesagt. Das ist alles nicht ganz
neu – richtig. Aber die Tendenz nimmt zu. Deshalb beschäftigen wir uns im
Titelthema mit der wachsenden Entgrenzung von Arbeit, die sowohl Banker und
Ingenieure als auch Beschäftigte im Einzelhandel oder der Logistik betreffen.
Erstaunlich ist, dass sich die zunächst gefühlte Unabhängigkeit am Ende häufig rächt: Wer im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit Überstunden anhäuft, findet
häufig kaum noch Gelegenheit, diese wieder abzubauen. Gerade Teilzeitarbeiter finden sich am Ende häufig ungewollt in Vollzeitverfügbarkeit wieder ohne
einen Vollzeitjob zu haben.
Psychische Überlastungen sind nicht selten die Folge dieser entgrenzten
Arbeit, die bei jedem und jeder Einzelnen das schale Gefühl hinterlässt, nicht
genug zu leisten und nicht gut genug zu sein. Und wer will schon zu den sogenannten Minderleistern zählen – ohnehin ein absolutes Unwort? Hier gilt es,
gute politische Lösungen zu finden, damit die Arbeitszeit für die Beschäftigten
planbar und familiengerecht gestaltet werden kann.
Ihr Peter Kruse
­Kontakt:
[email protected]
— 3
BAM — November / Dezember 2016
DIE BREMER ARBEITSWELT IN ZAHLEN
Alleinerziehend — Familien
in besonderer Lebenslage
In Bremen
sind
fast 30 Pro
zent der
Familien m
it K
alleinerzie indern
hend.
92 Prozent
d er
Alleinerzie
henden
sind weiblic
h.
In Bremen leben knapp 17.000 alleinerziehende
Mütter und Väter. Für sie ist das Leben oft kein
Kinderspiel.
Alleinerziehend ist die einzige
Familienform, die weiter wächst
Alleinerziehende: 27,7%
Paare: 72,3%
Wie viele Alleinerziehende arbeiten?
69,4%
71,1%
68,9%
58%
2010
Bremen
2014
2010
2014
Deutschland
71,3%
65,5%
61,4%
63,6%
2014
2010
Hamburg
Alleinerziehende
Arbeitslose ohne
Berufsausbildung
2014
2010
Berlin
Familien, die Grundsicherungsleistungen (Hartz IV, Kosten für
Unterkunft und Heizung) beziehen, voll oder aufstockend
Deutlich über die Hälfte der Alleinerziehenden
sind auf Leistungen zur Existenzsicherung
angewiesen. Bei zwei und mehr Kindern sind
es fast 70 Prozent.
Paare: 16,2%
— 4
Alleinerziehende: 56,6%
Bremen:
67,3%
Deutschland:
53,7%
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Analytikreport der Statistik: „Analyse des Arbeitsmarktes für Alleinerziehende in Bremen 2014“
Familien mit Kindern unter 18 Jahren
in Bremen
BAM — November / Dezember 2016
Kurz
gemeldet
Neulich beim
Sommerempfang …
wisoak I:
­Aufstiegsfortbildung zur
Kita-Leitung in Bremerhaven
Erzieherinnen im Kindergarten wissen, wie anspruchsvoll und komplex die Arbeit mit Kindern ist. Die Wirtschafts-und Sozialakademie
der Arbeitnehmerkammer bietet eine einjährige, berufsbegleitende
und vom Magistrat finanzierte Aufstiegsfortbildung zur Kita-Leitung
für staatlich anerkannte Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen an.
An etwa zwölf Wochenenden werden Module wie das Management
einer Einrichtung, Mitarbeiterführung, rechtliche Fragen, Finanzierung, Konflikt- und Qualitätsmanagement behandelt.
Infos bei Birgit Spindler unter
0471.595-22
wisoak II:
­Die neuen Jahresprogramme
2017 sind da
Soziale Ungleichheit ist das Jahresthema 2017 in der politischen
Bildung der wisoak. Deutschland ist ein vergleichsweise reiches
Land. Trotzdem leben heute fast 13 Millionen Menschen mit einem
Armutsrisiko, darunter immer mehr Kinder und Jugendliche.
An den Standorten der wisoak – Bremen, Bremer­haven
und Bad Zwischenahn – kann in Bildungsurlauben und S
­ eminaren
­kontrovers diskutiert werden: unter vielem anderen darüber, ob
es „Wohlstand für alle“ geben kann, wie sich „Arm und Reich in
­Bremen“ darstellt und was unsere Stadtgesellschaft eigentlich
zu­sammenhält.
Der Abend war wie gemacht für den diesjähri­
gen Sommerempfang der ­Arbeitnehmer­kammer:
Rund 250 Gäste aus Politik und den Gewerkschaften, aus Betrieben, Wissenschaft und
­Kultur genossen den Spätsommerabend beim
fröhlichen Netzwerken. Unter ihnen auch
Bürger­meisterin Karoline Linnert, Bürger­
meister Carsten ­Sieling und Andrea Nahles.
Die Bundes­ministerin für Arbeit und
Soziales sprach über die Rente, lobte B
­ remen
für ­seinen Mindest­lohn-Vorstoß und forderte
verbindliche Tarifverträge: „Wer die Tarif­
bindung mit Füßen tritt, muss mit meinen
Gesetzen leben.“
Sonderausstellung
im Hafenmuseum:
transfer
Ausgangspunkt für die Künstler André
Schweers aus Duisburg und Sabine S
­ chellhorn
aus Bremen sind die Hafenlandschaften b
­ eider
Städte. Schweers konzentriert sich in seinen
Objekten auf die Umschichtung von Fracht­­
gütern, S
­ chellhorn vernetzt die Wasser- und
Ver­sorgungs­­wege der Häfen von Weser, Rhein
und Ruhr zu raumgreifenden, haptischen
­Zeich­nungen.
Vom 6. November 2016 bis 15. Januar 2017.
Eröffnung am 6. November um 11 Uhr.
www.hafenmuseum-speicherelf.de
Die Programme „Berufliche Bildung“, „Gesellschaft, Politik,
Gesundheit“ und „wisoak G – Kompetenzzentrum Gesundheit“
www.wisoak.de.
finden Sie unter
Aktuelle Veranstaltungen finden Sie in der ­Übersicht auf
Seite 13 oder unter
www.arbeitnehmerkammer.de/veranstaltungen
Abbildungen: VG Bild-Kunst Bonn: Schweers, Pontwert III,
2013; Schellhorn, havencombi BHV, 2015
— 5
SCHWERPUNKT
Ohne
Grenzen
— Wenn sich das Privatleben mit
dem Job vermischt
Die Trennlinie zwischen Arbeit und ­Privatem ­verwischt
immer mehr. Das gilt für Hoch­qualifizierte genauso wie
für Beschäftigte im Einzelhandel
Text: Janet Binder – Fotos: Kay Michalak
Schwerpunkt
BAM — November / Dezember 2016
so­genannte kapazitätsorientierte variable Arbeits­­zeiten. Je nach Bedarf des
Ar­beit­gebers wird weniger oder mehr
gearbeitet.
M
arlene
Weber
weiß,
wie sich ein schlechtes
­Ge­­wissen anfühlt. Es nagt
an ihr und führt regel­
mäßig dazu, alle privaten Pläne über
Bord zu werfen. Dann nämlich, wenn
ihr Vorgesetzter anruft und fragt, ob
sie nicht sofort für eine kranke K
­ ollegin
einspringen kann. Die 48-Jährige ist
Kassiererin bei einem Discounter, sie
­
hat einen Vertrag über 25 Stunden
pro Woche. Meistens arbeitet sie allerdings mehr, denn die Personaldecke ist
dünn. „Wenn jemand ausfällt, gibt es
­keinen Puffer“, sagt sie. Und es fällt oft
jemand aus.
Weber, die ihren echten Namen nicht
im Magazin lesen will, hilft dann aus,
so wie es ja die anderen auch tun: Eine
Kollegin bekam einmal abends einen
Anruf vom Marktleiter, als sie auf
einer Feier war. Zwei Mitarbeiterinnen
­hatten sich krankgemeldet. Sie sagte,
sie könne nicht kommen, sie habe
schon einiges getrunken. Dem Chef sei
das egal gewesen. Er habe sie gedrängt,
trotzdem zur Arbeit zu kommen. Und
sie tat es.
„Im Einzelhandel herrscht ein knallharter Verdrängungswettbewerb“, sagt
die Soziologin Rena Fehre vom Impuls­
geber Zukunft. „Es wird gespart, wo es
geht, vor allem beim Personal.“ Das ist
im Einzelhandel vor allem weiblich und
arbeitet oft in Teilzeitverträgen, die
nicht zum Leben ausreichen. „Die meisten würden gerne ihre Arbeitszeit aufstocken.“ Mit Teilzeitverträgen seien
sie aber für den Arbeitgeber ­flexibler
einsetzbar. In Zeiten, in denen viel
los ist – etwa Anfang eines Monats –
werden
Überstunden
angesetzt.
Vor allem Discounter nutzen dieses
System: Manche Beschäftigte haben
­
Ständige Verfügbarkeit wird
erwartet
Rena Fehre hat im Auftrag der Arbeitnehmerkammer Bremen zusammen mit
Kai Huter und Peter Mehlis von der
Uni Bremen eine Studie zum Thema
„­Entgrenzung von Arbeit und ihre Aus­
wirkungen auf Familie und Gesundheit“ am Beispiel des Einzelhandels und
des Ingenieurwesens erarbeitet. Dabei
wurde klar: Die Grenzen ­zwischen
Arbeit und Privat­
leben ver­
wischen
vor allem im Lebensmitteleinzel­handel
zuungunsten der Familie. „Teilzeit ist
ja eigentlich prädestiniert für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf“,
sagt Rena Fehre. Tatsächlich aber sei
es im Einzelhandel ­– zumindest im
Discounterbereich – wegen der langen Öffnungs­zeiten und der Samstag­
arbeit oftmals schwierig, ­
Kinder
und Job unter einen Hut zu be­kommen. „Auch wenn jemand nur einen
20-­Stunden-Vertrag hat, wird von ihm
häufig erwartet, ständig verfügbar zu
sein“, so die Soziologin.
Feste Arbeitszeiten sind ­selten.
Dienstpläne werden oft kurzfristig
erstellt. „Es gibt Filialen, da wissen
die Mitarbeiter erst am Freitag oder
Samstag, wie sie in der Woche darauf
arbeiten ­
müssen“, sagt eine Betriebsrätin eines Discounters, die namentlich nicht genannt werden möchte. Und
selbst die kurzfristigen Dienstpläne
würden manchmal nicht eingehalten.
„Wenn sich eine erwartete Lieferung
um Stunden ver­zögert, werden Mitarbeiter schon mal früher nach Hause
geschickt“, erzählt sie. „Sie sollen dann
am nächsten M
­ orgen wieder kommen,
auch wenn das ihr freier Tag ist.“
Minijob nach der Elternzeit
Auf Eltern mit kleinen Kindern wird
kaum Rücksicht genommen. Nur
­wenigen gelinge es, feste Arbeitszeiten
mit dem Vorgesetzten zu verein­baren,
sagt ver.di-Gewerkschafts­sekretärin
Sandra Schmidt und die Discounter-­
Betriebsrätin erzählt, dass in ihrem
Unternehmen die meisten Frauen nach
der Elternzeit erst einmal befristet
als Mini­jobberin zurückkehren. Denn
mit der geringfügigen Beschäftigung
sind wegen der geringen Stundenzahl
meist feste Arbeitszeiten verbunden.
„Manchen wird aber nach der Elternzeit auch ein so unattraktives Angebot
gemacht, dass die Frauen ihren Arbeitsvertrag lieber auflösen“, weiß Sandra
Schmidt.
Betroffene klagen, ihnen werde das
Gefühl gegeben, sie seien austauschbar.
„Was mir fehlt, ist die Menschlichkeit“,
sagt die Betriebsrätin. „Ich habe das
Gefühl, wir sind nur noch ­Nummern.“
Wer sich krankmelde, werde schon mal
gefragt, ob es denn wirklich so schlimm
sei, dass man nicht zur Arbeit erscheinen könne. Wer in seiner Freizeit nicht
ans Telefon gehe, wenn der Filialleiter
anruft, müsse sich recht­fertigen. Dabei
ist die Gesetzeslage klar: Wurde keine
Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst vereinbart, muss ein Beschäftig­
ter auch nicht erreichbar sein, sagt
der Rechtsberater der Arbeitnehmer­
kammer Bremen, Alireza ­Khostevan.
„Auch wenn jemand nur
einen 20-Stunden-Vertrag hat, wird von ihm
häufig erwartet, ständig
verfügbar zu sein.“
Rena Fehre
Die Folgen sind fatal. In der ­Studie wird
eine Discounter-­Beschäftigte zitiert:
„Mir ist aufge­fallen, wenn das Telefon
klingelt, dann entsteht bei mir sofort
inner­
licher Stress (…). Auch wenn
ich nicht rangehe. Nur d
­ ieses ­Klingeln
und wissen, da ist wieder jemand
ausge­
fallen, ich muss gleich ran. Ich
komme nicht zu wirklichen Erholungs­
phasen.“ Wie sich das auswirkt, weiß
die Discounter-­Betriebsrätin: „Das Ende
vom Lied ist, dass man krank wird.“ In
den beiden in der ­Studie untersuchten
Betrieben stieg der Krankenstand in
den vergangenen J­ ahren deutlich an.
Angst vor Repressalien
Die wenigsten Beschäftigten im Einzel­
handel wehren sich – aus Angst vor
Repressalien. Für Rena Fehre ist deshalb klar: „Dreh- und Angelpunkt für
die Situation im Einzelhandel ist der
— 7
BAM — November / Dezember 2016
Alireza Khostevan, Rechts­berater bei der
Arbeitnehmerkammer ­
Bremen, beantwortet Fragen aus dem ­Arbeitsrecht.
Schwerpunkt
Feierabend,
Anruf vom Chef:
Die ­Kollegin ist
krank – Ersatz
Habe ich nach der Elternzeit das Recht,
meine Arbeitszeit zu reduzieren und
nur am Vormittag zu arbeiten?
Nach der Elternzeit haben Väter
und Mütter keine Sonderrechte, k
­önnen
aber – wie jeder Beschäftigte – ihre
Arbeitszeit reduzieren, wenn der Betrieb
mindestens 15 Beschäftigte hat. Einzig aus
betrieblichen Gründen kann das Unternehmen Teilzeit ablehnen. Das gilt auch
für die gewünschte Arbeitszeitverteilung.
Im Sinne seiner Fürsorgepflicht muss der
Arbeitgeber aber angemessen Rücksicht
auf die Kinderbetreuungszeiten der Eltern
nehmen und die gewünschte Arbeitszeit
möglichst arrangieren.
Muss ich spontan an meinem freien Tag
einspringen, wenn ein Kollege krank
geworden ist?
Wenn im Arbeitsvertrag die Arbeitstage – und damit auch die arbeitsfreien
Tage – nicht festgelegt sind, kann der
Arbeitgeber die Arbeitszeit grundsätzlich
flexibel verteilen. Der Arbeitgeber muss
eine gewisse Vorlaufzeit aber einhalten.
Wie die konkret aussieht, ist sehr einzel­
fallabhängig.
Darf mein Chef mich im Homeoffice
oder auf Dienstreisen überwachen?
Prinzipiell ja, zum Beispiel, indem
er kontrolliert, ob jemand in ­seinen
­Computer eingeloggt ist. Die ­Installation
einer durchgängig geschalteten Über­
wachungs­kamera wäre aber nicht erlaubt.
Bin ich verpflichtet, jeden Samstag zu
arbeiten?
Das hängt vom Arbeitsvertrag ab
beziehungsweise von der Branche. Grundsätzlich geht das Arbeitszeitgesetz jedoch
von einer Sechs-Tage-Woche aus. Der Samstag gilt also als normaler Werktag. Nur bei
jugendlichen Beschäftigten müssen grundsätzlich Samstag und Sonntag frei bleiben –
für einige Branchen gibt es aber auch hier
Ausnahmen. In einigen Tarifverträgen
wurde zugunsten der Beschäftigten der
freie Samstag ausgehandelt.
— 8
wird ge­braucht.
Und nun?
Aufbau einer Interessenvertretung.“
Betriebsräte sind aber in der Branche
eher selten, die Tarifbindung nimmt
ab. Ein Problem sei auch, dass sich
Beschäftigte oftmals selbst unter Druck
setzten. Aus eigener Initiative gingen
sie über die vereinbarte Arbeitszeit und
ihre Kräfte hinaus. „Sie begründen das
mit ihrer individuellen Verantwortung,
dem Umsatzziel, den Zeitvor­gaben oder
der Rücksichtnahme auf Kollegen.“
Die Unternehmen nutzten das Verantwortungsgefühl aus. „Man gibt ihnen
Ziele und erklärt ihnen, sie könnten
diese erledigen, wie sie wollen“, hat
die Soziologin erfahren. Doch meist
seien die Vorgaben nicht in der vor­
gesehenen Zeit umsetzbar. „So ­werden
die Beschäftigten perfide unter Druck
gesetzt.“
Dass Beschäftigte ihre Arbeit selbst
organisieren dürfen, ist ­
ursprünglich
ein Phänomen der hoch ­qualifizierten
Projektarbeit. Die ­Beschäftigten be­
kommen Verantwortung und Gestal­
tungs­spielraum übertragen. „Das empfinden die meisten als angenehm“,
sagt Axel Weise, Referent für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik bei
der Arbeitnehmerkammer Bremen.
Im Ingenieur­wesen – das auch für die
Studie untersucht worden ist – sei es
so möglich, den Freitagnachmittag
für private Dinge freizunehmen – um
dafür am Sonntagabend weiterzuarbeiten. Die Anwesenheit im Büro ist nicht
immer zwingend notwendig; viele können sich auch zu Hause ins Firmennetzwerk ­einloggen.
Ingenieure bei Atlas ­Elektronik
haben diese Freiheit. Dort gibt es
keine festen Arbeitszeiten, es gilt die
Vertrauensarbeitszeit, die von jedem
selbst erfasst wird. „Es gibt ­niemanden,
der mich von der Arbeit abhält“, sagt
Gesamtbetriebsratsvorsitzender ­Volker
Bahrenburg. „Wenn ich Spaß an der
Arbeit habe, ist es mir auch egal, ob
ich eine Stunde oder sogar zwei ­länger
bleibe.“ ­Morgens kann dafür das Kind
als eines der ­letzten in die Kita gebracht
werden.
Gleitzeit verleitet zu Überstunden
Flexible Arbeitszeiten haben in
den vergangenen 25 Jahren in fast
allen Wirt­
schaftsbereichen sprunghaft zu­­ge­­nommen, sagt Peter Mehlis
vom Zentrum für Arbeit und Politik
BAM — November / Dezember 2016
(zap) der Uni Bremen und Mitautor
der ­Studie. Nach Angaben der HansBöckler-­
Stiftung haben nur noch
45 Prozent der Beschäftigten feste
Arbeitszeiten. Weitere 20 Prozent
haben wechselnde, vom Unternehmen
vorgegebene Arbeitszeiten. 25 ­Prozent
dürfen im Rahmen von Gleitzeit über
Anfang und Ende ihres Arbeitstags
bestimmen, zehn Prozent haben volle
Autonomie über ihre Arbeitszeit, so
wie bei Atlas Elektronik. Das P
­ roblem:
Gleitzeit und Autonomie verleiten die
Beschäftigten regelmäßig zu Über­
stunden.
Das kennt auch Betriebsrat
­Volker ­Bahrenburg. Die Überstunden
werden in seinem Unternehmen auf
einem Kurzzeitkonto gutgeschrieben
und ­später – wenn nötig – auf einem
Langzeitkonto. Viele schafften es aber
nicht, die Überstunden abzubauen.
„Das Einzige was wirklich klappt, ist
Gleitzeit und
­Autonomie ver­leiten
die ­Beschäftigten
­regel­mäßig zu
­Überstunden
die Übertragung der Überstunden
vom Langzeitkonto auf das Lebenszeitkonto.“ Die Zeit auf ­diesem Konto
erlaubt einem Beschäftigten, s­päter
einmal früher in Rente zu gehen. „So
ist das Langzeitkonto erst mal leer
– und wird wieder gefüllt. So war
das aber nicht gedacht“, sagt ­Volker
Bahrenburg. Manche schreiben ihre
­
Überstunden gar nicht erst auf. „Vor
allem wenn man von zu Hause noch
schnell etwas erledigt, ist die Gefahr
groß, dass Tätigkeiten nicht als
Arbeitszeit dokumentiert ­werden“,
so ­Mehlis.
Die Möglichkeit des mobilen Ar­beitens verleite zudem dazu, immer
erreichbar zu sein. Es ­werden
E-Mails noch spät abends, am
Wochenende oder sogar im Urlaub
gecheckt. „Für viele ist es ein
hohes Gut, autonom arbeiten zu
­dürfen“, betont Bahrenburg. „Aber
es kann auch zu einer Belastung
für die ganze Familie werden.“ Und
zu einer gesundheitlichen Be­lastung. „Die Gefahr der Erkrankung
wächst“, sagt Bahrenburg.
Das Problembewusstsein
fehlt oft
Für viele der für die Studie befragten Ingenieure stehe die Arbeit an
höherer Stelle als familiäre Dinge,
so Mehlis. In der Branche überwiege die Anzahl der Männer; für
die Kinder seien eher die Partnerinnen zuständig. Das zeigt sich
unter anderem bei Atlas Elektronik
auch an der sehr niedrigen Teilzeitquote. „Teilzeit wird nicht ­häufig
in Anspruch genommen“, sagt
Be­triebsrat ­Bahrenburg. Der Grund:
Die komplexen Projekte seien in
Teilzeit nicht zu bewerkstelligen.
Dass sich durch große Spielräume
bei der Gestaltung der Arbeitszeit
auch Job und Privatleben besser
vereinbaren lassen, konnte Mehlis in
den zwei für die Studie untersuchten Betrieben nicht feststellen. Der
Leistungs- und Termindruck hindere
die Beschäftigten häufig daran, ihre
Arbeitszeit unter Berücksichtigung
ihrer privaten Bedürfnisse ­flexibel
zu gestalten. „Die Beschäftigten
beuten sich zunehmend selbst aus“,
hat Mehlis festgestellt.
Die Studie „Entgrenzung von Arbeit und ihre ­Auswirkungen auf ­
Familie und Gesundheit“ ist in unseren ­Geschäftsstellen und online
unter
www.arbeitnehmerkammer.de/publikationen (unter: Arbeit und ­
Soziales) erhältlich. Am 23. November wird die ­Studie in einem
Workshop für Betriebs- und ­Personalräte ­vorgestellt. Mehr Infos dazu
auf Seite 13.
KOMMENTAR
Axel Weise,
Referent für
Arbeitsmarktund Beschäftigungspolitik
Foto: Stefan Schmidbauer
Grenzen
setzen!
„Entgrenzung von Arbeit ist kein neues
Phänomen. Traditionell waren Frei­berufler
und Selbstständige wie Anwälte, Architekten oder Kreative betroffen. In den
90er-Jahren kamen Ingenieure und IT-Mitarbeiter hinzu. Mittlerweile sind viele
Berufstätige in unterschiedlichen ­Branchen
wie der Gastronomie, der ­Logis­tik und
dem Einzelhandel betroffen.
Arbeitsintensität und psychische
Belas­
tungen haben in den vergangenen
Jahren stark zugenommen. Grundsätzlich ­müssen hier politische Initiativen zur
Arbeitsqualität wie die Kampagne „Gute
Arbeit“ ansetzen.
Im Bereich der Ingenieure und der
Wissens­
berufe bedarf es vor allem der
Regulierung der sich immer weiter ausbreitenden Mobilarbeit. Hierzu gibt es
bereits gute Beispiele für entsprechende
Betriebsvereinbarungen etwa bei BMW,
der Telekom, Mercedes und Bosch.
Insbesondere im Einzelhandel ist
der Gesetzgeber gefordert, der Zersplitterung des Arbeitstags in „bedarfs­gerechte
Zeit-Häppchen“ auf Abruf durch ent­
sprechende gesetzliche Regulierungen
­ent­ge­gen­zuwirken: kein weiterer Ausbau
der Sonntagsarbeit, Reduzierung der zum
Teil extrem ausgeuferten Ladenöffnungszeiten am Abend auf 22 Uhr.“
Kammermitglieder können sich zum Arbeitsrecht kostenlos
­be­raten lassen. Infos auf der Rückseite dieses Magazins.
— 9
BAM — November / Dezember 2016
Arbeit & Gesundheit
Bewegung und
Licht
— Tipps gegen
den Winterblues
Text: Janet Binder
Keine Vitamin-D-Pillen
D
ie Tage sind kurz, der Himmel ist grau, die Laune
mies und die Müdigkeit groß: Den Winterblues
– auch saisonal abhängige Depression genannt
– kennen viele Menschen. Angeblich soll jeder
Vierte in Deutschland während der dunklen Jahreszeit darunter leiden. Doch Betroffene können etwas dagegen tun,
dass ihre Stimmung ganz in den Keller sinkt.
„Licht hat einen ganz starken Einfluss
auf unsere Stimmung.“
Kathinka Reller, Ärztin
Spazieren gehen
Die Ursache für die Winterdepression ist der Mangel an
Licht. „Licht hat einen starken Einfluss auf unsere Stimmung“, sagt Allgemeinmedizinerin Kathinka Reller. Denn
das Licht lässt das Glückshormon Serotonin frei. Deshalb
ist es auch im Herbst und Winter so wichtig, regelmäßig nach draußen zu gehen.
Zwar ist jetzt die Lichtstrahlung nicht
so stark wie im Frühling oder im
­Sommer. „Aber sie reicht aus“,
sagt die Ärztin, „selbst bei
bedecktem ­Himmel“. Allerdings sollte man sein Gesicht
nicht halb mit einem Schal
bedecken und keine Handschuhe an­­ziehen, damit die
UV-­Strahlung auch an die
Haut kommen kann.
— 10
Licht ist auch notwendig für die körpereigene VitaminD-­Produktion. Und die braucht man, um Erkältungen und
Grippe, aber auch Knochenerkrankungen wie Osteoporose
vorzubeugen. „Im Frühling und in Sommer reicht es für die
Vitamin-D-Produktion, 10 bis 20 Minuten mit freien Unterarmen draußen zu sein“, sagt Kathinka Reller. Im Winter,
wenn wir gegen die Kälte gut eingepackt sind, müssen wir
doppelt so lang unterwegs sein. Die Ärztin rät davon ab,
Vitamin D in Pillenform zu sich zu nehmen. „Es gibt keine
verlässlichen Untersuchungen über eine positive Wirkung“,
betont sie.
Lichttherapie
Wer auf Nummer sicher gehen will, genügend Licht zu
bekommen, kann sich eine Kunstlichtlampe – auch Lichtdusche genannt – zulegen. Ganz billig sind sie mit 150 bis 300
Euro aber nicht. Manche Ärzte bieten in ihren Praxisräumen
Lichttherapien an, die allerdings nicht von den Kranken­
kassen übernommen werden. Die Patienten sitzen vor einer
Leuchte, die zwischen 2.500 und 10.000 Lux stark sein
sollte. Normale Zimmerlampen leuchten nur wenige hundert
Lux stark.
Sport
Sport kann bei jeder Form von Depression helfen, ob es
nun Joggen im Park oder Gewichte heben im Fitness­center
ist. Auch beim Sport werden Glückshormone freigesetzt.
„Im Winter fällt es besonders schwer, sich zum Sport auf­
zu­raffen“, sagt Kathinka Reller. Sie rät deshalb, sich regel­
mäßig fest mit jemandem zum Sport zu verabreden.
Johanniskraut
Das pflanzliche Arzneimittel Johanniskraut hat nachgewiesenermaßen eine antidepressive Wirkung – ab drei Wochen
nach Beginn der Einnahme und bei ausreichend hoher
­Dosierung. Mit manchen Medikamenten wie der Antibabypille kann es aber zu Wechselwirkungen ­kommen. Johanniskraut verträgt sich zudem nicht mit intensiver Sonnenein­
strahlung, etwa bei einem winterlichen Strandurlaub in
sonnigen ­Ge­filden. „Es kann dann zu Hautreaktionen
­kommen“, so Reller.
Fragen & Antworten
BAM — November / Dezember 2016
Alle Jahre wieder
— Weihnachten
und Arbeit
Dienst an den Weihnachtstagen,
Job als Lebkuchenverkäufer,
Anspruch auf Weihnachtsgeld –
was Beschäftigte wissen sollten
Text: Hanna Mollenhauer
Foto: Kay Michalak
1.
Habe ich Heiligabend und Silvester frei?
Der 24. und der 31. Dezember sind
keine Feiertage. Beschäftigte m
­ üssen
hier grundsätzlich arbeiten – es sei
denn, es ist über Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder im Arbeitsvertrag
anders geregelt.
2.
Worauf muss ich achten,
wenn ich zum Beispiel als
Verkäufer auf dem
Weihnachtsmarkt arbeite?
Im Online-Versandhandel, im Einzelhandel, aber auch im Hotel- und Gaststättengewerbe und der Logistik ist zur
Advents- und Weihnachtszeit Hochkonjunktur für Saisonarbeiter. Diese werden in der Regel kurzfristig beschäftigt,
das heißt, eine solche Beschäftigung ist
versicherungs- und beitragsfrei, unabhängig von der Höhe des Gehalts. Der
Arbeitgeber muss lediglich Umlagen in
geringer Höhe zahlen. Im Laufe eines
Kalenderjahres darf nicht mehr als drei
Monate oder 70 Arbeitstage ge­arbeitet werden. Vorbeschäftigungen im laufenden Jahr werden eingerechnet. Eine
kurzfristige Beschäftigung ist etwa für
Schüler, Studenten, Auszubildende
oder Voll- und Teilzeit­beschäftigte,
die sich etwas hinzuverdienen ­wollen,
optimal. Für Arbeit- oder Ausbildungs­
suchende oder Beschäftige in Elternzeit
ist sie nicht ­attraktiv, da die Tätigkeit
dann be­rufsmäßig ausgeübt würde, was
zur Beitrags- und Ver­sicherungspflicht
führt.
3.
Wann kriege ich
Weihnachtsgeld?
Ein gesetzlicher Anspruch auf Weihnachtsgeld besteht nicht. Wenn im
Arbeits- oder Tarifvertrag oder einer
Betriebsvereinbarung die Zahlung
des Weihnachtsgeldes ebenfalls nicht
­ge­regelt ist, können Beschäftigte dennoch einen Anspruch hierauf haben:
Zahlt der Arbeitgeber seit mindestens
drei Jahren vorbehaltlos ein Weihnachtsgeld in gleicher Höhe, ist eine
sogenannte betriebliche Übung entstanden. Dann können Arbeitnehmer
auch in diesem Jahr Weihnachtsgeld
ver­langen.
4.
Kann mein Chef verlangen,
dass ich an den Weihnachts
feiertagen und Neujahr
arbeite?
An den Weihnachtsfeiertagen (25. und
26. Dezember) und Neujahr gilt das
gesetzliche Verbot der Sonn- und Feier­
tagsbeschäftigung. Ausnahmen sind
zum Beispiel Krankenhäuser oder die
Polizei. Wer an diesen Tagen ­arbeiten
muss, dem muss der Arbeitgeber
einen Ersatzruhetag ge­währen. Außerdem haben Beschäftigte ein Recht
auf mindestens 15 freie Sonntage im
Jahr. Auch darf der Arbeitgeber eine
Urlaubssperre für die Festtage und die
Zeit zwischen den Jahren verhängen,
allerdings müssen dringende betrieb­
liche Gründe vorliegen. Personal­
mangel zählt nicht dazu.
5.
Kann ich Weihnachten gekündigt werden?
Ja. Viele Unternehmen planen zum
Jahres­anfang
Umstrukturierungen.
Daher gehen Ende eines ­Jahres viele
Kündigungen raus, oft kurz vor Weihnachten. Für betroffene Beschäftigte kann das in der Folge ­
hektisch
­werden. Denn wenn sie sich gegen die
Ent­
lassung wehren wollen, ­
müssen
sie innerhalb von drei Wochen
Kündigungs­schutzklage einreichen.
Kammermitglieder können sich in
­Fragen des Arbeitsrechts kostenlos
beraten lassen. Weitere Infos auf der
Rückseite dieses Magazins.
— 11
BAM — November / Dezember 2016
Medientipps
Medientipps
BUCH-TIPP
Geht alles gar nicht
Ginge es nach den Sprüchen von Familienpoliti­
kern, bedarf es nur guter Organisation, um
Familien­leben, Vollzeitberufstätigkeit beider
­Partner und Auszeiten unter einen Hut zu be­­
kommen. „Geht alles gar nicht“, widersprechen
Marc Brost und Heinrich Wefing, beide „Zeit“-­
Autoren und Väter. Sie wehren sich gegen die
„Vereinbarkeitslüge“, die die Defizite in Familien­
politik und Arbeitswelt verschleiern soll. Dafür
haben sie zehn Väter und eine Mutter interviewt,
die Gleich­berechtigung zu leben versuchen und
den kräfte­zehrenden Spagat zwischen Beruf und
Kindern auf sich nehmen – auf Kosten der Paar­
beziehung.
Marc Brost, Heinrich Wefing
Geht alles gar nicht
Warum wir Kinder,
Liebe und Karriere nicht
­ver­einbaren können
Rowohlt, 2015, 240 Seiten
globale° –
Festival für
grenzüberschreitende
Literatur
25. Oktober bis 15. November 2016
Das Programm der zehnten globale° ist so üppig, dass die Auswahl schwerfällt: Lesungen mit Autorinnen und Autoren aus
Europa und der Welt, Vorträge, Diskussionen, Workshops, Performances, Vernissagen. Cees Nooteboom und Gila Lustiger werden
aus ihren Werken lesen, unter der Regie der gebürtigen Bremerin
Katharina Schmitt spielt das tschechische Studio Hrdinů „Das
Fest und die Gäste“ und Slampoeten, Dichter und Theaterleute
aus Groningen und Bremen widmen sich dem „Grenzprozess“.
www.globale-literaturfestival.de
TV-TIPP
Berufsrisiko Tod –
Wenn Arbeit das Leben
­kosten kann
Samstag, 5. November 2016, 16:30 Uhr im Ersten
Dieses Buch können Sie in der Stadtbibliothek
ausleihen. KammerCard-Inhaber erhalten auf
die BIBCARD der Stadtbibliothek zehn Prozent
Ermäßigung!
www.arbeitnehmerkammer.de/kammercard
Es gibt Berufe, die lebensgefährlich sind und gleichzeitig Leben
retten. Die Reportage begleitet eine Bombenentschärferin,
den Leiter einer Höhlenrettung und einen Bodyguard in ihrem
Arbeitsalltag. Was treibt sie an, welche Gedanken gehen ihnen
durch den Kopf und wie kommen ihre Angehörigen mit dem
Berufsrisiko ihrer Partner zurecht?
www.ard.de
Bombenentschärferin Tanya
APP-TIPP
­Beimel auf
Zeiterfassung
dem Weg zum
Bergungs­ort einer
Weltkriegsbombe
Wieder mal den Überblick über die ­Überstunden
verloren? Mit der App „einfach erfasst“ vom Bun­
des­ministerium für Arbeit und Soziales lassen sich
Arbeitszeiten und Pausen unkompliziert erfassen.
Als kostenloser Download in allen gängigen App-­
Stores erhältlich.
— 12
in Münster
Foto: Radio Bremen
Veranstaltungskalender
BAM — November / Dezember 2016
Veranstaltungen
BREMEN & BREMEN NORD
29. November
18 – 19.30 Uhr
Infoveranstaltungen für Beschäftigte
Leiharbeit – was Sie beachten müssen
Geschäftsstelle Bremen-Nord, Lindenstraße 8, Bremen-Vegesack
Minijob = Minirechte?
Arbeitnehmerkammer, Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen
10. November
1. Dezember
je 15 – 18 Uhr
Alles im Blick – Reihe für neu gewählte Personalräte
Arbeitsrecht für Personalräte
Mitbestimmung beim Datenschutz
Arbeitnehmerkammer, Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen
16. November
17.30 – 19.30 Uhr
Gute Pflege – gute Arbeit? Verdienste und Teilzeit in der Bremer Pflege
Arbeitnehmerkammer, Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen
18. November
13 – 17.30 Uhr
Gute Beschäftigung an Bremens Hochschulen?!
Arbeitnehmerkammer, Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen
8. November
18 – 19.30 Uhr
17. Dezember
Blumenthaler Leuchtfeuer – Konzerte und Projektionen
Die Winterreise – Konzert mit Fotoprojektionen
Nocturnes / Ewige Augenblicke – Konzert mit DaguerreotypieFotoprojektionen
Blumenthaler Fundstücke – Konzert
Jazz Smells / Meereslandschaften – Zeitgenössischer Jazz mit
Bildern des Helgoländer Fotografen Franz Schensky
Cello-Loops – Konzert mit Projektionen
23. November
16.30 – 19 Uhr
Entgrenzte Verhältnisse im Einzelhandel
Arbeitnehmerkammer, Kultursaal, Bürgerstraße 1, Bremen
19. November
3. Dezember
7. Dezember
10. Dezember
BREMERHAVEN
Ausstellung „DARW-IN“
Malerei von
Martin Verlíšek
8. Nov. – 30. Dez.
Arbeitnehmerkammer,
Barkhausenstraße 16,
Bremerhaven
Foto: Keke Keukelaar
Lesung: Ernest van der
Kwast – Die Eismacher
1. November
29. November
je 18 – 19.30 Uhr
Infoveranstaltungen für Beschäftigte
Leiharbeit – was Sie beachten müssen
Minijob = Minirechte?
Barkhausenstraße 16, Bremerhaven
16. November
7. Dezember
je 15 – 18 Uhr
Alles im Blick – Reihe für neu gewählte Personalräte
Arbeitsrecht für Personalräte
Mitbestimmung beim Datenschutz
Barkhausenstraße 16, Bremerhaven
24. November
15 – 17 Uhr
Beruf und Pflege vereinbaren – gesetzliche Perspektiven und rechtliche
Möglichkeiten
Barkhausenstraße 16, Bremerhaven
4. bis 25.
November
SATIRICA – Satirefest Bremerhaven
Capitol, Hafenstraße 156, Bremerhaven
6. Dezember
18 – 19.30 Uhr
Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren! Perspektiven für Bremerhaven
durch öffentlich geförderte Beschäftigung
Forum der Geschäftsstelle Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, Bremerhaven
2. Dezember
8. Dezember
jeweils 20 Uhr
= für alle
Kultursaal der Arbeit­
nehmerkammer Bremen,
Bürgerstraße 1, Bremen
Foto: Jochen Manz
Kabarett
Roland Baisch, Daniel Helfrich & Lisa Eckhard – „Neues Kabarett im Dreierpack“
Benjamin Tomkins – „Der Puppenflüsterer“
Capitol, Hafenstraße 156, Bremerhaven
Weitere Veranstaltungen und Informationen unter
9. Nov., 20 Uhr
„Ich glaub’ es hackt!“
Kabarett mit
Robert Griess aus Köln
26. Nov, 20 Uhr
Kultursaal der Arbeit­
nehmerkammer Bremen,
Bürgerstraße 1, Bremen
www.arbeitnehmerkammer.de/veranstaltungen
= für Politikinteressierte
= für Betriebs- und Personalräte
— 13
BAM — November / September / Dezember
Oktober 2016
2016
Berufsfreigänger
Rubrik Thema Artikelname
Freiheit üben
Arbeit zu haben ist elementar für das Leben nach einer Haftstrafe.
Viele ­Häftlinge in Bremen arbeiten deshalb als Berufsfreigänger.
In ­Oslebshausen haben wir einen von ihnen getroffen
Text: Janina Weinhold – Foto: Kay Michalak
A
rno Nowak * fährt täglich pünktlich zur Arbeit. Mal
hat er Spätschicht ab 13 Uhr, mal Frühschicht ab
6 Uhr. Nach der Arbeit unternimmt er jedoch
nie etwas mit Kollegen, denn er ist einer von
67 Berufsfreigängern in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen. „Es ist schwierig, neue Freunde zu finden im Job.
Wenn du neu anfängst, kennt dich keiner, aber die Kollegen,
die ich mag, muss ich für einen Angelausflug auf Samstage
vertrösten. Und ein Bier nach Feierabend ist nicht erlaubt“,
erzählt Nowak.
Für Berufsfreigänger der JVA gelten besondere
Regeln im offenen Vollzug. Im Unterschied zum geschlossenen ­Vollzug dürfen die Häftlinge täglich das Anstaltsgelände verlassen, um zur Arbeit zu fahren. Zwei Stunden vor
Schichtbeginn und zwei Stunden danach dürfen sie sich
draußen bewegen, bis um 19:30 Uhr die Tore geschlossen
werden. „Momentan arbeite ich bei einer Metallrecycling-­
Firma in der Sortierhalle am Band. Wir trennen Schwer­
metall von Leichtmetall für die Wiederaufbereitung. Die
„Dass viele unserer Insassen über Leiharbeits­
firmen einen Arbeitsplatz finden, hat ver­schiedene
Gründe. Eine Vorstrafe macht es ­natürlich
­schwerer, das Vertrauen eines Arbeitgebers zu
erwerben.“
Axel Janzen, Leiter des offenen Vollzugs
Arbeit ist körper­lich anstrengend und in der Halle ist es
sehr staubig. Deshalb habe ich meinen Betreuer bereits ge­
beten, mir nach Weihnachten etwas Neues zu suchen“, sagt
Nowak. Er wolle arbeiten und Verantwortung für sich übernehmen, seine Pflicht erfüllen und ärgert sich trotzdem über
die Staub­belastung und seine Bezahlung. Aktuell verdient er
neun Euro die Stunde. Früher habe er 55 Euro die Stunde
als selbstständiger Abbruchunternehmer verdient. Nowak
hat seine aktuelle Beschäftigung über eine Leiharbeitsfirma
gefunden.
— 14
„Dass viele unserer Insassen über Leiharbeitsfirmen einen
Arbeitsplatz finden, hat verschiedene Gründe. Eine Vorstrafe
macht es natürlich schwerer, das Vertrauen eines Arbeit­
gebers zu erwerben. In erster Linie liegt es jedoch häufig
an der fehlenden Qualifikation. Der Großteil der hier In­haftierten hat keine qualifizierte Ausbildung und viele Unter­
nehmen beschäftigen ungelernte Kräfte vornehmlich auf
Zeit“, erklärt Axel Janzen, Leiter des offenen Vollzugs in der
JVA Oslebshausen.
Der offene Vollzug in Bremen ist Teil des sogenannten
„Übergangsmanagements“ zwischen geschlossenem Vollzug
und der Entlassung von Häftlingen. Dabei spielt die Vermittlung in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungs­
verhältnis eine zentrale Rolle. Arbeiten schafft feste Tagesstrukturen, ermöglicht, ein Konto bei einer Bank zu eröffnen
oder eine Wohnung zu finden und zählt daher zu einer der
wichtigsten Reintegrationsfaktoren. Häftlinge müssen sich
für den Übergang vom geschlossenen in den offenen Vollzug dazu verpflichten, arbeiten zu gehen, an Therapien oder
sonstigen Unterstützungsmaßnahmen ­teilzunehmen und an
der Reflexion ihrer Straftat aktiv mit­zu­wirken.
Arno Nowak hat diese Bedingungen verstanden. „Wenn
ich arbeiten geschickt werde, arbeite ich gewissenhaft
und erfülle meine Pflicht. Ich will auf die Beine ­kommen
und einen ­klaren Kopf bewahren, damit ich nicht wieder
­ab­rutsche“, sagt er. Gleichzeitig ärgere ihn manchmal, dass er
unter seiner Qualifikation eingesetzt werde. Zwar hat Nowak
nie eine Berufsausbildung abgeschlossen, jedoch früher im
Straßenbau gearbeitet, eine Aus­bildung zum ­Elektriker
angefangen und zwei Jahre eine Ausbildung zum ­Schlosser
gemacht. Er habe diese Ausbildung dann abge­brochen, um in
die Abbruchfirma eines Kollegen einzu­steigen. „Als ­Kunden
nicht zahlten, sind wir insolvent gegangen. Ich stand mit
mehreren Tausend Euro Schulden da, konnte meine Mit­
arbeiter nicht bezahlen. Als mein 21-­jähriger Sohn bei einem
Unfall gestorben ist, habe ich mich mit Alkohol und Drogen
gehen lassen und mit den falschen Leuten krumme Geschäfte
gedreht“, sagt er über den Zeitpunkt, ab dem er sein Leben
nicht mehr im Griff hatte.
All das wissen seine aktuellen Kollegen nicht, wohl
aber sein zuständiger Arbeitsvermittler bei der Leiharbeitsfirma und eine Kontaktperson bei dem ­Metallrecycling-
BAM — November / Dezember 2016
In der Justizvollzugsanstalt
Oslebs­hausen ist Arno Nowak einer von
67 Berufs­freigängern
Unternehmen. „Bevor wir Häftlinge in
Jobs vermitteln, prüfen wir intern, ob
sich Häftlinge an Absprachen ­halten
und Aufgaben vernünftig erledigen.
Draußen bekommen sie auch unangekündigte Besuche von Vollzugs­
beamten und wir tauschen uns mit der
Kontaktperson im Unternehmen aus“,
erklärt Axel Janzen die Vereinbarung
zwischen der JVA und Arbeitgebern.
Diese Kon­trollen dienen aber auch dem
Schutz der Häftlinge. Die JVA pflegt
feste Kontakte zu Leiharbeitsfirmen
und überprüft neue Firmen gründlich.
Beim Besuch am Arbeitsplatz prüfen
Vollzugsbeamte auch, ob beim entleihenden Unternehmen beispielsweise
alle Sicherheits­
bestimmungen und
sonstige Arbeitnehmerschutzgesetze
eingehalten werden. Gibt es vertrag­
liche Probleme, falsche Abrechnungen
oder Arbeitsschutzverstöße, schaltet
die JVA die zuständigen Behörden ein
oder schickt die Häftlinge zur Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer.
„Für Leiharbeiter gelten grundsätzlich die gleichen Rechte und ­Pflichten
wie für direkt angestellte Mitarbeiter.
Zusätzlich bestimmen das Arbeitnehmerüberlassungs­gesetz
und branchenspezifische Tarifverträge die Entlohnung,
zulässige Arbeits- und Ruhe­zeiten oder den Urlaubsanspruch“, erklärt Rechtsberater ­Alireza Khostevan. Aus der
Beratung kennt er die typischen Rechtsverstöße von Leiharbeitsfirmen. Beispiels­weise ­dürfen diese ihre bei einem
Kunden eingesetzten Arbeitskräfte nicht ohne Weiteres entlassen, wenn d
­ ieser Kunden­auftrag wegfällt. So müssen sie
unter anderem eine Sozialauswahl unter allen vergleichbaren Leiharbeitern vornehmen, auch wenn diese bei anderen
Kunden eingesetzt sind. Ebenso ­dürfen sie dem betroffenen
Arbeiten schafft feste Tagesstrukturen, e
­ rmöglicht,
ein Konto bei einer Bank zu eröffnen oder eine
Wohnung zu finden
Mitarbeiter bei Nichteinsatz keine Minusstunden aufschreiben oder auf Urlaub bestehen. Sie sind zu Lohnfortzahlungen
verpflichtet und müssen auch die Anreise- oder Übernachtungskosten für weiter entfernte Arbeitseinsätze bei Kunden
zahlen. Generell rät Alireza Khostevan jedem Arbeitnehmer,
den Arbeitsvertrag vor der Unterschrift prüfen zu lassen.
„Wir beraten unter striktem Beratungsgeheimnis“, betont er.
Bisher hat sich Arno Nowak lediglich einmal verbal mit
­seinem Ansprechpartner beim Leiharbeitsunternehmen an­
gelegt. Die Firma hatte ihn in die falsche Lohnsteuerklasse
einsortiert. Vier verschiedene Arbeitseinsätze hat er hinter
sich; eine weitere Stelle will er bis zum Ende seiner Haftstrafe im Februar noch annehmen, dann wünscht er sich
„eine Frau, einen neuen Job und keinerlei Kontakt zu alten
falschen Bekannten“. Er will Firmen auf Jobs ansprechen,
die ihn aus seiner Selbstständigkeit kennen. „Die Leute kennen mich und wissen, dass sie auf meinen Einsatz zählen
können“, sagt er. Er muss aber mit Auflagen oder Weisungen
rechnen. Denn zum Übergangsmanagement im offenen Vollzug gehören auch ein Vollzugsplan und Fallkonferenzen. Für
jeden Einzelfall entwickeln Bewährungshelfer, Sozialarbeiter
anderer freier Träger für Sträflingshilfe sowie verschiedene
Behördenvertreter auch die Entlassung nach Vollzugsplan.
Sie werden ihn ins normale Leben begleiten und prüfen Auflagen wie etwa Drogenabstinenz, sein soziales Umfeld oder
helfen bei Wohnungs- und Jobsuche, damit Arno Nowak
nicht wieder rückfällig wird.
* Name von der Redaktion geändert
— 15
BAM — November / Dezember 2016
­Spielfreude: Auf dem
Abbrennplatz ist
Heino Roos in seinem
Element
— 16
Galerie der Arbeitswelt
BAM — November / Dezember 2016
GALERIE DER ARBEITSWELT
Sicheres Spiel mit
dem Feuer
Seit Heino Roos das erste Mal Schwarzpulver gerochen hat,
lassen ihn Chinaböller und Glitzersterne nicht mehr los.
Als Pyrotechniker bei Comet Feuerwerk Bremerhaven lebt der
47-Jährige Kreativität und Sicherheitsbedürfnis gleichermaßen aus
Text: Anette Melerski — Foto: Kay Michalak
A
ngefangen hat es mit dem Radlader beim
­Technischen Hilfswerk. Wie alle anderen 249
­Freiwilligen in seinem Ortsverband wollte Heino
Roos lieber räumen als sprengen. Erst nach der
Drohung, dann komme der Radlader ganz weg, belegt er als
Einziger Kurse zum Sprengen im Katastrophenschutz: „Da
war es um mich geschehen: Benzinexplosionen, kontrollierte
Sprengungen, Pyrotechnik. Ich wollte nichts anderes mehr
machen“. Weitere Lehrgänge folgen, etwa zum Qualitäts­
management und zum Abbrennen von Großfeuerwerken.
Seit Dezember 2011 arbeitet Heino Roos nun als Qualitätsmanager und technischer Leiter Pyrotechnik bei Comet.
Regelmäßig reist Heino Roos mit neuen Ideen nach
Liuyang, Sitz der chinesischen Schwesterfirma Shiu Fung:
„Prinzipiell unterscheiden sich Raketen, Böller oder Batterien kaum. Es gibt aber einen Spielraum für das Quäntchen
Besonderheit, in dem man seine Kreativität austoben kann.“
In China, wo „Kraftprotz“, „Beasty Bees“ und „­Sleepless“ entwickelt und produziert werden, überprüft er nach den strengen Vorgaben der Bundesanstalt für Material­forschung und
-prüfung, ob die Feuerwerke zum sicheren Abfeuern in der
Silvesternacht taugen. Hunderte Groß­container kommen
jährlich in den fünf Comet-Lagerstandorten an und gehen
in den Vertrieb. „Vorher müssen wir ran: Unsere Kollegen
der Qualitätssicherung in China erstatten täglich Bericht, wir
testen zusätzlich weitere Stichproben und erst dann darf die
Ware raus“, erklärt Heino Roos.
Im Delaborierraum zerlegen sie die Muster in Einzelteile. Hinter verleimtem Zwirn oder Pappe kommt das Innere
zum Vorschein. Aus unscheinbaren Kügelchen ­werden nach
dem Abfeuern bunte Sterne. Ton dämmt und sorgt durch
den Widerstand für den Krach, Zündschnüre übernehmen
das zeitverzögerte Abfeuern. Schwarzpulver ist die treibende Kraft und Salze bringen Farbe ins Feuerwerk. Auch
den Transport simuliert das vierköpfige Team um Heino
Roos: „Im Wärmeschrank muss das Muster zwei Tage lang
un­beschadet Hitze bis 75 Grad aushalten. Auch 60 ­Minuten
auf dem Rütteltisch dürfen eine Feuerwerksbatterie nicht
aus der Fassung bringen.“ Fast täglich, werktags von 10 bis
13 Uhr jagen sie auf dem Abbrennplatz ausgewählte Muster
in den Bremerhavener Himmel, ausgerüstet mit Stoppuhr,
Warnweste und Schutzbrille. Wichtig sind auch die Ohren­
schützer mit eingebautem Walkie-Talkie: Man kann miteinander s­ prechen, selbst wenn es kracht, heult und knallt. Die
Sicherheitsanforderungen, aber auch die Angaben auf der
Packung müssen stimmen: Bei den „Beasty Bees“ darf bei
einer Effektdauer von etwa 55 Sekunden nicht schon viel
eher Schluss sein.
Wer unter die Pyrotechniker geht, sollte weder
schreckhaft noch lärmempfindlich sein und technisches
Grundverständnis ist ein Muss. Obwohl Comet ganz­jährig
auch Hexen­nasen, Glitterspray und Kostüme vertreibt, ist
der ­Dezember der entscheidende Monat in der ­Branche.
Schließlich ­müssen die Feuerwerkskörper pünktlich am
29. ­Dezember zum ­Verkauf bereitliegen.
Der Pyrotechniker
Berufsgenossenschaften, das THW oder private S
­ chulen
wie die Dresdner Sprengschule vermitteln in staatlich
­an­erkannten Vollzeit-Lehrgängen das Wissen für zukünftige
Pyrotechniker. Eine klassische Ausbildung gibt es nicht.
Wer mindestens 21 Jahre alt ist und eine Unbedenklichkeits­bescheinigung – gibt es bei den Gewerbeaufsichts­
ämtern – vorlegt, kann loslegen. Der Markt ist allerdings
über­schaubar: nur etwa ein Dutzend Unternehmen in
Deutschland entwickeln und vertreiben Silvesterfeuerwerk.
Pro­duziert wird fast ausschließlich in China. — 17
Schlechte ­Stimmung
macht krank
Mitarbeiter, die gelobt werden, mitreden dürfen und sich unterstützt fühlen,
werden seltener krank. Wir haben mit ­Bremer Experten über Unternehmenskultur
und Gesundheit gesprochen
Text: Janina Weinhold
Fotos: Kay Michalak
Rund 2.000 Arbeitnehmer ­zwischen
16 und 65 Jahren wurden vom wissen­
schaft­lichen Institut der AOK (WIdO)
gefragt, wie sie ihren Arbeitsalltag
erleben. In ihrem aktuellen Fehlzeitenreport hat die AOK auch den
Zusammenhang ­zwischen ­schlechter
Unternehmens­kultur und der Gesundheit der Mitarbeiter untersucht. Die
Ergebnisse zeigen: Arbeitnehmer wünschen sich einen Chef, der hinter ihnen
steht (78 Prozent), Lob für gute Arbeit
(69 ­Prozent) und Einfluss auf wichtige
Entscheidungen (60,5 ­Prozent). Am
Arbeitsplatz erleben sie diese Faktoren
aber deutlich seltener. Nur die Hälfte
aller Befragten fühlte sich vom Arbeitgeber geschätzt und unterstützt.
— 18
Eine Frage der Unternehmenskultur
Eine hohe Arbeitsverdichtung im Job
führt oft zu Stress, wenn ­kollegiale
Hilfe und Lob vom Chef auf der ­Strecke
bleiben. Aber es ist eben oft auch
eine Frage der Unternehmenskultur.
Ist diese schlecht, steigt das Risiko
krank zu werden und trotzdem zur
Arbeit zu gehen, sagen die ­Forscher
des WIdO. Den Arbeits­wissenschaftler
Guido Becke vom Institut für Arbeit
und ­Wirtschaft (iaw) überraschen die
Studien­ergebnisse nicht: „Eine Unternehmenskultur lässt sich als im Laufe
der Zeit heraus geprägte gemeinsame Grund­orientierung im Unternehmen ver­
stehen. Sie besteht also
nicht nur aus dem Unternehmensleitbild oder dem Führungsverständnis. Im täglichen Miteinander entstehen ungeschriebene Gesetze, wie
etwa ‚Jeder bekommt eine zweite
Chance, wenn ein Fehler ­
passiert‘.“
Der Zusammen­
hang von fehlender
Anerkennung oder Lob und schlech-
„Ein ­gesundes, ­engagiertes
Einsatz­level ­liegt
eigentlich bei rund
80 Prozent der m
­ aximalen
­Leistungs­fähigkeit.“
Verena Hartig
ter Stimmung hat auch das iaw bereits
in Studien ermittelt: „Wenn Unternehmen etwa in Krisenzeiten Sozial­
leistungen reduzieren, diese nach der
Unternehmenskultur
Krise aber nicht zurück­nehmen, ­fühlen
die Beschäftigten sich für ihren Einsatz nicht wertgeschätzt“, sagt Becke.
Generell sei gegenseitige Anerkennung
ein entscheidender ­Faktor für das subjektive Empfinden und den Umgang
mit Belastungen. Stimme das Verhältnis von Geben und Nehmen ­zwischen
Leitung und Beschäftigten sowie die
Kommunikation in Teams und im
Unternehmen nicht, könnten zusätzliche belastende Arbeitsbe­
dingungen
entstehen.
Arbeitsplätze menschengerecht
gestalten
„Unabhängig von der Branche oder tatsächlichen Vorfällen wie Unfällen oder
Burn-out-Diagnosen, ist jeder Arbeit­
geber dazu verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung für sein Unternehmen zu ermitteln“, stellt Dennis
Wernstedt klar. Er ist Referent für
Arbeits- und Gesundheitsschutz mit
dem Schwerpunkt psychische Be­­
lastungen bei der Arbeitnehmerkammer. Nach dem Arbeitsschutzgesetz hat
der Arbeitgeber die Pflicht, Arbeitsplätze menschen­gerecht zu ge­stalten.
Hierfür ist die Gefährdungsbe­urteilung
ein wichtiges Instrument. Seit 2013
schließt eine Novellierung explizit den
Aspekt „psychischer Belastungen“ mit
ein. „Diese Formulierung zur ­Psyche
zielt hier ganz klar auf die Frage, wie
Arbeit gestaltet ist und ­welche ­Einflüsse
während und durch die Arbeit auf die
Mitarbeiter zukommen“, erklärt Wernstedt. Der Arbeitgeber kann verschiedene Befragungsmethoden oder Analyse-Workshops nutzen. So entsteht ein
Bild darüber, wie etwa die Abläufe im
Betrieb sind, welche Handlungsspielräume oder Unter­brechungen es in
jeder ­Ab­teilung gibt und wie das Verhältnis zwischen Kollegen oder einzelnen Mitarbeitern zum Chef aussieht.
Wernstedt rät jedem Beschäftigten,
sich selbst zu fragen, wo seine Belastungsgrenzen liegen und sich bei
Bedarf an den Betriebs- oder Personalrat zu wenden. Es geht um Veränderungen der Arbeitsbedingungen, nicht
um die persönliche Belastbarkeit. „Bei
einer Gefährdungsbeur­teilung ist es
auch Sache der Betriebsräte, darauf zu
­achten, dass die Bestandsaufnahme der
Arbeitsbedingungen im Vordergrund
steht, statt das individuelle Leistungspotenzial der Mitar­beiter“, sagt der
Kammerexperte.
BAM — November / Dezember 2016
Die medizinische Sicht
Betriebsärztin Verena Hartig betont,
dass in vielen Branchen Beschäftige
dauerhaft extrem viel leisten müssen:
„Dabei liegt ein gesundes, engagiertes Einsatzlevel eigentlich bei rund
80 ­Prozent der maximalen Leistungsfähigkeit. Kurze Zielsprints mit
100 Prozent Auslastung sind nur
mit anschließender Entspannungsphase kein Problem. Bei dauerhaft zu
hohen Leistungs­
vorgaben kann sich
der Mensch nicht regenerieren“, sagt
sie. Gehe auch im Privaten noch etwas
schief, sei potenziell jeder Mitarbeiter
schnell gefährdet, wenn der Führungsstil ungesund ausfällt oder der Rückhalt im Team fehlt.
Enge Zielvorgaben als Stressfaktor
Eine Problembranche ist beispielsweise
die mit den Folgen der Finanzkrise
kämpfenden Banken und Versicherungen. „In Bremen und Nieder­
sachsen
sind psychische Belastungsfaktoren
derzeit nicht im Fokus der Verantwortlichen“, kritisiert Rainer Martens,
„Bei einer Gefährdungs­
beurteilung geht es um
­Veränderungen der Arbeitsbedingungen, nicht um die
persönliche Belastbarkeit.“
Dennis Wernstedt
Vorsitzender der ver.di-Fachgruppe
­Banken. „Seit der Finanzkrise beobachten wir hauptsächlich Sparpolitik und
Personalabbau. Außerdem ­definieren
die Vorstände immer engere verbind­
liche Handlungsanweisungen bis hin zu
Minutenvorgaben. Das schafft enorme
Arbeitsverdichtung.“ Viele Beschäftigte
litten unter der Angst vor dem Verlust
des Arbeitsplatzes. „Die engen Vor­
gaben sorgen für Leistungsdruck unter
Kollegen, aber auch für Vergleich­
barkeit und damit weniger Gerechtig­
keitskonflikte“, beschreibt er das
Arbeitsklima weiter. Platz für indivi­
duelle Problemlösungen bliebe den
Verantwortlichen in den Filialen nur
im Einzel­fall. Gesundheits­förderung
finde lediglich mit funktionalem
Gesunde Arbeitsbedingungen
schaffen
„Wenn es darum geht, gesunde Arbeitsbedingungen zu gestalten, müssen
Geschäftsführung und Personalverant­
wortliche beides in den Blick nehmen:
das Verhalten der Mitarbeiter, aber auch
die Verhältnisse und Rahmenbedingungen für ihre Arbeit. Beispielsweise
­lassen sich die konkreten Belastungen
von Teams im Unternehmen überprüfen,
wenn die Zielvorgaben mit dem Arbeitsaufwand und den Belastungs­spitzen
der Teams abgeglichen werden. So zeigt
sich schnell, ob Teams unter­besetzt
sind oder etwa die Bearbeitungs­zeit
für Ziele zu gering angesetzt wurde.
Vor allem Betriebsräte können solche
­Realitäts-Checks und offenes Nach­
denken über die täglichen Arbeits­weisen
initiieren.“
Guido Becke
Blick auf ergonomisch gestaltete
Arbeitsplätze statt.
„Rückenkurse oder Entspannungstechniken mögen Stress­symptome
ab­
mil­
dern, aber sie be­
kämpfen nicht
die Ursachen von Fehlbelastungen.
Beschäftige sind jedoch ein Leben lang
– auch für die Erwerbsarbeit – auf ihre
Gesundheit angewiesen und verdienen
daher auch eine gesundheitsförder­
liche Arbeitsgestaltung“, macht Dennis
Wernstedt deutlich. Er steht Betriebsund Personalräten bei der Mitbe­
stimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz zur Seite, um diese Themen im
Unternehmen stärker zu verankern.
Betriebs- und Personalräte können sich
in der Arbeitnehmerkammer zum Thema
Gefährdungsbeurteilung psychischer
Belastung beraten lassen. Infos auf der
Rückseite.
— 19
BAM — November / Dezember 2016
Arbeit & Recht
Urlaub 2017
— was Beschäftigte
wissen sollten
Viel frei für wenig Urlaub –
die Brückentage 2017
April
Mo.
Di.
Mi. Do.
Fr. Sa. So.
1. 2.
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.
17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.
24. 25. 26. 27. 28. 29. 30.
Karfreitag (14. April) und
Ostermontag (17. April)
Mai
Wer bestimmt eigentlich, wann und wie Urlaub gemacht wird?
Solche und weitere Fragen aus dem Urlaubsrecht beant­
wortet hier die Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer
Text: Hanna Mollenhauer – Foto: Kay Michalak
Anzahl der Urlaubstage
Beschäftigte haben Anspruch auf mindestens vier Wochen bezahlten Jahresurlaub (zum Beispiel 24 Werktage bei einer Sechs-Tage-Woche und
20 Tage bei einer Fünf-Tage-Woche).
­Weniger ist nicht erlaubt. Viele Arbeitnehmer haben allerdings einen höheren Urlaubsanspruch aus Tarifverträgen oder aus dem Arbeitsvertrag.
Außerdem steht Schwerbehinderten
und Jugendlichen zusätzlicher Urlaub
zu. Wer neu im Betrieb ist, kann nach
sechs Monaten den vollen Jahresurlaub
beanspruchen.
Krank im Urlaub
Wer im Urlaub krank wird und ein
ärztliches Attest vorlegt, dem werden
die Urlaubstage vom Arbeitgeber gutgeschrieben. Will man diese nicht verbrauchten Urlaubstage im Anschluss
an die Krankheit nehmen, muss man
zuvor die Zustimmung des Arbeit­
gebers ­einholen.
Der Zeitpunkt
Legt der Arbeitgeber den Urlaub fest,
hat er grundsätzlich die Wünsche seiner
Mitarbeiter zu berücksichtigen. Dabei
haben beispielsweise Arbeitnehmer
Kammermitglieder können sich zum
Arbeitsrecht kostenlos beraten lassen.
Weitere Infos auf der Rückseite dieses
Magazins.
— 20
Vor­rang, die an die Schul­ferien
gebunden sind. Nur ausnahmsweise
kann der Urlaub aus dringenden
betrieblichen Gründen abgelehnt werden. Ist der Urlaub einmal ge­­nehmigt,
kann er nur in Not­fällen – zum Beispiel bei Existenzgefährdung des
Betriebs – vor Urlaubsantritt geändert
­werden. Dann muss der Arbeitgeber
aber etwaige Storno­gebühren für eine
Reise ersetzen.
Die Dauer des Urlaubs
Urlaub dient der Erholung. ­Deshalb
müssen Arbeitnehmer mindestens
zwölf zusammenhängende Werktage Urlaub im Jahr bekommen. Der
Abkauf des Urlaubs – also das Auszahlen – durch den Arbeitgeber ist nicht
erlaubt, solange das Arbeitsverhältnis
besteht.
Rückholen aus dem Urlaub
Beschäftigte haben ein Recht auf
Urlaub. Wenn der Urlaub genehmigt ist, kann er grundsätzlich nicht
­wieder zurückgenommen werden.
Der Arbeitgeber hat keinen Anspruch
auf die Arbeitskraft eines Mitarbeiters außerhalb dessen Arbeitszeit.
Das gilt für Urlaub wie Feierabend.
Anrufe und Nachrichten sind nur
in absoluten Notfällen erlaubt. Das
Diensthandy müssen Arbeitnehmer
im Urlaub nicht angeschaltet haben.
Die private Handy­nummer müssen
Beschäftigte dem Unternehmen nicht
geben.
Mo.
Di.
Mi. Do.
Fr. Sa. So.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.
22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.
29. 30. 31.
Tag der Arbeit (1. Mai) und
Christi Himmelfahrt (25. Mai)
Juni
Mo.
Di.
Mi. Do.
5. 6. 7.
12. 13. 14.
19. 20. 21.
26. 27. 28.
Fr. Sa. So.
1. 2. 3. 4.
8. 9. 10. 11.
15. 16. 17. 18.
22. 23. 24. 25.
29. 30.
Pfingstmontag (5. Juni)
Oktober
Mo.
2.
9.
16.
23.
30.
Di.
Mi. Do.
Fr. Sa. So.
1.
3. 4. 5. 6. 7. 8.
10. 11. 12. 13. 14. 15.
17. 18. 19. 20. 21. 22.
24. 25. 26. 27. 28. 29.
31. 1. 2. 3. 4. 5.
Tag der Deutschen Einheit (3. Oktober)
und einmalig Reformationstag (31. Oktober)
Dezember
Mo.
Di.
Mi. Do.
Fr. Sa. So.
1. 2. 3.
4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.
18. 19. 20. 21. 22. 23. 24.
25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.
Erster und zweiter Weihnachtsfeiertag (25. und 26. Dezember)
Verbrauchertipp
BAM — November / Dezember 2016
Korrekte Klamotten
— Kleidung
fair einkaufen
Gertraud Gauer-Süß ist Expertin für faire
Textilien. Sie erklärt, wie besser einkaufen
schrittweise funktioniert
Fragen: Janina Weinhold – Foto: Kay Michalak
Was nehme ich in Kauf, wenn ich ein T-Shirt für fünf
Euro kaufe?
Ich kaufe ein Produkt ohne seinen wahren Preis zu
bezahlen. Das T-Shirt geht auf Kosten menschenun­würdiger
Arbeitsbedingungen, Naturzerstörung oder enthaltener
Schadstoffe über den Ladentisch. Der Blick auf den Preis
allein hilft hier leider nicht weiter. Denn auch ein Luxus-­
Designer-Shirt wird eventuell in den gleichen Fabriken
­produziert.
Muss ich unbedingt auf Fairtrade-Siegel achten, wenn
ich vernünftiger einkaufen will?
Nein. Jeder kann im Kleinen anfangen. Stellen Sie
sich die Frage, ob sie das neue T-Shirt wirklich brauchen und
lassen sie unnötige Käufe weg. Außerdem lohnt es sich, im
Handel zu fragen, wie und wo ein T-Shirt produziert wurde.
So können Verbraucher Veränderungsdruck auf den Handel
ausüben.
Macht ein Bio-Siegel schon einen Unterschied?
Ja. Bei der herkömmlichen Baumwollproduktion wird
mit sehr vielen Pestiziden gearbeitet. Wer Biobaumwolle
kauft, schützt die Gesundheit der Baumwollbauern und ihre
Lebensumwelt vor Giften. Bio-Siegel sagen aber nichts über
die sozialen Bedingungen in der Weiterverarbeitung aus.
Was halten Sie von eigens kreierten Nachhaltigkeits­
labeln großer Bekleidungsketten?
Hier rate ich zur Vorsicht. Sofern Bekleidungsketten
wirklich Fairness und Nachhaltigkeit anstreben, frage ich
mich, warum sie nicht einfach die Prüfkriterien bestehender
Siegel erfüllen.
Es gibt eine Vielfalt von Siegeln. Welche können Sie bei
Textilien empfehlen?
Wir raten beispielsweise zum GOTS-Label (­Global
­Organic Textil Standard). Dieses Siegel für ökologische Produktion fordert auch die Einhaltung der i­nternationalen
Mindest­standards für Arbeit in der Produktion. Die Fairtrade-­
Initiative „Transfair“ arbeitet außerdem an einem neuen
Textilstandard. Diesen Textilstandard zur Ergänzung des
klassischen „Fairtrade-Siegels“, dürfen Unternehmen an Produkte heften, wenn die gesamte Lieferkette geprüft wurde.
Wo in Bremen finde ich Kleidung mit diesen Labeln?
Es gibt über 30 Geschäfte mit komplett fairer Mode
oder einem Segment mit fair und ökologisch hergestellter Kleidung. Sie alle stehen in der Broschüre „Konsum mit
Köpfchen – Öko-faire Mode in Bremen“, die im November
erscheint. Darin sind ausgewählte Siegel erklärt und alle
Adressen zu finden.
Jeder Deutsche kauft im Schnitt zwölf Kilogramm
Kleidung pro Jahr und wirft elf Kilo weg. Auch die
­
Altkleidersammlung hat einen zwielichtigen Ruf. Wie
­
entsorge ich richtig?
Noch tragbare Kleidung gehört in Secondhand-­Läden
oder in die Kleiderkammern von Kirchen und Sozialver­
bänden. Weniger gut Erhaltenes wird transparent über
­Container von „Entsorgung kommunal“ und dem Verein
„Fair­Wertung“ entsorgt. Unzureichende Kontaktangaben auf
Containern und Handzetteln sind ein guter Hinweis auf un­
seriöse Altkleiderhändler.
Gertraud Gauer-Süß
Die Geschäftsführerin des
­Bremer Informationszentrums für
Menschen­rechte und Entwicklung (biz) koordiniert die ­Bremer
Arbeitsgruppe der Kampagne für
saubere Kleidung und ist Mit­
Foto: biz
organisatorin der Fairen Woche in
Bremen. Das Netzwerk K
­ ampagne
für saubere Kleidung (Clean ­Clothes Campaign = CCC)
ist ein Zusammenschluss von s
­ ozialen und kirchlichen
Trägern für weltweite Produktionsstandards in der
Bekleidungsindustrie.
Den kostenlosen Einkaufsführer „Konsum mit Köpfchen –
Öko-faire Mode in Bremen“ sowie weitere Ratgeber für
bewussten Konsum gibt es beim Bremer Informations­
zentrum für Menschenrechte und Entwicklung (biz), Bahnhofsatz 13 und online unter
www.bizme.de
— 21
BAM — November / Dezember 2016
Arbeit & Recht
Alles, was Recht ist
RECHTSTIPP
Einsicht in Personalakte:
Kopien erlaubt? Anwalt erlaubt?
Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, seine Personalakte einzusehen. Ein Mitglied des Betriebsrats darf hinzugezogen
werden, ein Rechtsanwalt jedoch nicht, wenn sich der
Beschäftigte Kopien von den Schriftstücken in der Personal­
akte machen darf.
Im vorliegenden Fall* hatte der als Lagerist beschäftigte Kläger eine Ermahnung erhalten. Unter Hinzuziehung
­seiner Rechtsanwältin wollte er Einsicht in seine Personal­
akte nehmen. Der Arbeitgeber lehnte dies unter Hinweis
auf das Hausrecht ab, gestattete dem Beschäftigten allerdings, Schriftstücke aus seiner Personalakte zu kopieren.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass der Arbeitnehmer
anhand der Kopien ausreichend Gelegenheit hat, den Inhalt
seiner Personalakte mit seiner Rechtsanwältin zu erörtern.
*12.07.2016 – 9 AZR 791/14
Daniel Staack, Berater M
­ itbestimmung
und Technologieberatung
STEUERTIPP
Kinderbetreuungszuschuss steuerfrei?
Zuschüsse des Arbeitgebers zur Unterbringung und Betreuung von nicht schulpflichtigen Kindern – in der Regel unter
sechs Jahren – sind steuerfrei, wenn der Arbeitgeber diese
zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn zahlt.
Voraussetzung ist außerdem, dass das Kind regelmäßig in eine Einrichtung wie eine Krippe oder einen
Kinder­garten oder zu einer Tagesmutter geht. Nur für diesen Zweck darf der Kinderbetreuungszuschuss verwendet
werden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist der Kinderbetreuungskostenzuschuss auch von der Beitragspflicht zur
Sozial­versicherung befreit.
Beatrice Linke, Beraterin Steuerrecht in Bremen
Kammermitglieder können sich in F
­ ragen des Arbeitsrechts kostenlos beraten lassen. Weitere Infos auf der
Rückseite dieses Magazins.
— 22
RECHTSIRRTUM
„Wenn ich im Laden etwas kaufe,
kann ich das innerhalb von zwei
Wochen zurückgeben – das geht
beim Online-Kauf ja auch.“
Das stimmt nur zur Hälfte.
Beim Online-Kauf ist der Widerruf – also die Rückgabe –
innerhalb von 14 Tagen gesetzlich vorgesehen. Ohne
Angabe von Gründen kann ein Käufer die Ware zurück­
senden. Er muss per E-Mail, Post oder als Schreiben im
Paket erklären, dass er den Kaufvertrag widerruft. Der
Kaufpreis wird erstattet. Die Versandkosten liegen beim
­Käufer. Diverse Online-Händler bieten sogar einen kostenlosen Rückversand an.
Im Geschäft ist es Kulanz des Händlers, wenn dieser Ware zurücknimmt. Es ist nicht vorgesehen, gekaufte,
mangel­freie Ware gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzugeben. Wenn die Ware allerdings kaputt ist oder Fehler
aufweist, handelt es sich um einen Fall von Gewährleistung (nicht: Garantie). Hier greift die gesetzliche Gewähr­
leistungsfrist von zwei Jahren. Der Kunde kann ent­
scheiden, ob er eine Reparatur oder neue Ware vorzieht.
Wenn der Verkäufer diese Formen der Nacherfüllung verweigert oder sie fehlschlagen, kann der Kunde den Kaufpreis reduzieren oder die Ware zurückgeben und sein Geld
zurück­fordern. Übrigens: Hier ist der Händler zuständig,
nicht der Hersteller. Der kommt erst bei Herstellergarantien ins Spiel, allerdings ist eine gegebene Garantie immer
eine freiwillige Angelegenheit des Herstellers.
Wer online im Ausland einkauft, sollte wissen, dass
innerhalb der EU größtenteils die gleichen rechtlichen
Bedingungen herrschen. Der Händler muss den Käufer aber
auf eventuelle Zusatzkosten – zum Beispiel Steuern oder
Versandkosten – hinweisen. Außerhalb der EU kommt es
auf den Einzelfall an, welches Recht greift. Über Einfuhr­
umsatzsteuern, Einfuhrverbote und Zölle sollte sich der
Käufer vor dem Kauf beim Zoll informieren.
Text: Hanna Mollenhauer
Juristische Beratung: Philipp Flunkert,
Rechtsberater in Bremen-Nord
Drei Fragen / Leserfoto / Impressum
BAM — November / Dezember 2016
LESERFOTO
Drei Fragen
— zur geplanten
Reform der Leiharbeit
Auf dem Weg
zur Arbeit
Ab 1. Januar 2017 soll die Leiharbeitsreform gelten. Gleicher
Lohn für alle – steht das im Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums?
Nach neun Monaten sollen Leiharbeiter Anspruch auf gleichen
Lohn haben wie Festangestellte. Allerdings sind in manchen Branchen
in Tarifverträgen oft schon Zuschläge für Leiharbeiter vereinbart. Ein
solcher Tarifvertrag muss vorsehen, dass Zuschläge spätestens nach
sechs Wochen einsetzen. Nach 15 Monaten muss dann die Bezahlung
komplett angeglichen sein.
Wie lange soll die sogenannte Überlassung eines Leiharbeiters
dauern dürfen?
Nach der Reform dürfen Leiharbeiter maximal 18 Monate im
selben Betrieb arbeiten. Danach müssen sie übernommen w
­ erden.
Aber auch hier können in Tarifverträgen oder hierauf gestützten
Betriebsvereinbarungen andere Grenzen vereinbart werden.
Welche weiteren Änderungen sind im Gesetzentwurf vor­
ge­
sehen?
Interessenvertretungen wie Betriebsräte werden gestärkt,
indem das Informationsrecht gesetzlich formuliert wird. Der Betriebsrat muss vor dem Einsatz eines Leiharbeiters umfassend über Art und
Umfang der vergebenen Aufgaben und die Arbeitsverträge in­formiert
werden. Auf Verlangen kann er unter anderem die Arbeits­verträge
einsehen. Außerdem besteht eine Pflicht zur Beratung zwischen
Arbeitgeber und Betriebsrat über Art und Umfang eines Leiharbeitereinsatzes. Leiharbeiter dürfen nicht mehr als Streikbrecher eingesetzt
werden.
Torsten Kleine
arbeitet seit 2011 als Rechtsberater in der
Geschäftsstelle Bremerhaven. Vorher war
er ­jahrelang als Rechtsanwalt tätig. Er berät
die Mitglieder insbesondere zu Fragen des
Arbeits- und Sozialversicherungsrechts.
Foto: Stefan Schmidbauer
Infoveranstaltungen:
Leiharbeit – was Sie beachten müssen
1. November 2016, 18 Uhr, Geschäftsstelle Bremerhaven,
Barkhausenstraße 16, 27568 Bremer­haven,
Anmeldung:
0471.92235-0
8. November 2016, 18 Uhr, Geschäftsstelle Bremen-Nord,
Lindenstraße 8, 28755 Bremen, Anmeldung:
0421.66950-0
Probleme als Leiharbeiter? Als Mitglied der Arbeit­
nehmerkammer können Sie sich arbeitsrechtlich beraten
­lassen. ­Weitere Infos auf der Rückseite dieses Magazins.
Marcus Wiedelmann: „Auf meinem Arbeitsweg in die Innenstadt findet mein Hobby – die
Fotografie – immer seinen Platz. So auch an
diesem Spätsommermorgen an der Weser. Das
entspannt mich vor einem arbeitsreichen Tag.“
Liebe Leserinnen und Leser, was fällt Ihnen ins
Auge auf dem Weg zur Arbeit – was ­finden Sie
besonders schön oder bemerkenswert, l­ustig
oder absurd? Schicken Sie uns Ihre Fotos.
[email protected]
IMPRESSUM
Herausgeberin
Arbeitnehmerkammer ­Bremen
Bürgerstraße 1
28195 Bremen
Telefon 0421.3 63 01-0
Telefax 0421.3 63 01-89
­www.arbeitnehmerkammer.de
E-Mail:
[email protected]
Autoren und Autorinnen
Janet Binder, Beatrice Linke,
Anette Melerski, Hanna
­Mollenhauer, Daniel Staack,
Janina Weinhold
Redaktion
Nathalie Sander (V.i.S.d.P.),
Hanna ­Mollenhauer
Layout
GfG / Gruppe für Gestaltung,
Bremen
Konzeptionelle Beratung
textpr +, Bremen
Druck
Müller Ditzen AG,
­Bremerhaven
Erscheint alle zwei Monate.
Einzelverkaufspreis 2,50 Euro,
Jahresabonnement 14 Euro,
für Kammerzugehörige im
­Mitgliedsbeitrag enthalten.
ISSN 1614-5747
Postvertriebs-Nummer H 43672
Lektorat
Martina Kedenburg
Fotos
Kay Michalak (Titel, S. 2, 5, 6,
8, 11, 15, 16, 18, 20, 21)
— 23
Arbeitnehmerkammer Bremen / Bürgerstraße 1 / 28195 Bremen
Postvertriebsstück, DPAG, Entgelt bezahlt
BERATUNGSANGEBOTE & ÖFFNUNGSZEITEN
Wir sind für Sie da!
Rechtsberatung
Bremen-Stadt
Bremen-Nord
Bremerhaven
Bürgerstraße 1
28195 Bremen
0421. 3 63 01- 0
Lindenstraße 8
28755 Bremen
0421 .6 69 50-0
Barkhausenstraße 16
27568 Bremerhaven
0471.9 22 35-0
Arbeits- und Sozialversicherungs­rechtsberatung /
Öffentliche Rechtsberatung *
Persönliche Beratung
(ohne Termine)
Mo, Di, Do, Fr 9 – 12 Uhr
Mo und Mi 14 –18 Uhr
Telefonische Beratung Arbeitsund Sozialversicherungsrecht
0421. 3 63 01-11
Mo – Do 9 – 16 Uhr
Fr 9 – 12.30 Uhr
Arbeits- und Sozialversicherungs­rechtsberatung /
Öffentliche Rechtsberatung *
Persönliche Beratung
(ohne Termine)
Mo, Di, Do, Fr 9 – 12 Uhr
Mo und Do 14 –18 Uhr
Telefonische Beratung Arbeitsund Sozialversicherungsrecht
0421. 3 63 01-11
Mo – Do 9 – 16 Uhr
Fr 9 – 12.30 Uhr
Arbeits- und Sozialversicherungsrechtsberatung /
Öffentliche Rechtsberatung *
Persönliche Beratung
(ohne Termine)
Mo, Di, Do, Fr 9 – 12 Uhr
Mo und Mi 14 –18 Uhr
Telefonische Beratung Arbeitsund Sozialversicherungsrecht
0471 .9 22 35-11
Mo – Do 9 – 16 Uhr
Fr 9 – 12.30 Uhr
Steuerrechtsberatung
Terminvereinbarung
0421. 3 63 01 - 5 9
Telefonische Steuerrechtsberatung
0421. 3 63 01- 40
Mo – Fr 11 – 13 Uhr
Steuerrechtsberatung
Terminvereinbarung
0421.6 69 50-0
Telefonische Beratung
0421 . 3 63 01- 40
Mo – Fr 11 – 13 Uhr
Steuerrechtsberatung
Terminvereinbarung
0471.9 22 35-59
Telefonische Beratung
0471 .9 22 35-10
Mo – Fr 11 – 13 Uhr
Arbeitslosenrechtsberatung
Persönliche Beratung
(ohne Termine)
Mo, Di, Do 9 – 1 2 Uhr
Mo 14 –18 Uhr
Weitere Informationen
0421. 3 63 01- 23
KammerCard
www.arbeitnehmerkammer.de
KammerCard und
BAM-Abonnement
Wollen Sie das BAM bequem
kosten­los nach Hause geliefert
bekommen? Holen Sie sich die
KammerCard und genießen Sie
weitere Vorteile!
www.arbeitnehmerkammer.de/
kammercard
www.arbeitnehmerkammer.de
* Wenn Sie im Land Bremen wohnen und Ihr Einkommen eine bestimmte Grenze
nicht über­steigt, können Sie die öffentliche Rechtsberatung des Landes Bremen in der
Arbeitnehmer­kammer gegen zehn Euro Gebühr, die unter bestimmten ­Voraussetzungen
erlassen ­werden kann, in Anspruch nehmen (z.B. zum Familienrecht, Kaufvertragsrecht,
Mietrecht, Verbraucher­
insolvenz). Auch Kammermitglieder informieren wir in diesen
Rechtsgebieten gegen zehn Euro Gebühr.
Beratung für Betriebs- und Personalräte
Bremen
0421.3 63 01- 962 Bremerhaven
0471.9 22 35 -24 oder -31
[email protected]
Telefonische Beratung
0421.3 63 01- 960, Mo – Fr 10 – 12 Uhr
Beratung zur Aner­kennung ­ausländischer Abschlüsse
0421.3 63 01-954 [email protected]
Beratung zu Berufskrankheiten
0421 .6 69 50-36 [email protected]
Weiterbildungs­beratung
0421.3 63 01-432 [email protected]
Beratung bei der Verbraucherzentrale
Mitglieder der Arbeitnehmerkammer z­ ahlen für Beratungen etwa
zur privaten Altersvor­sorge, zu Riester-Verträgen oder zur Berufsunfähigkeitsversicherung nur die Hälfte für die erste Stunde.
Bremen 0421.16 07 77 Bremerhaven 0471.2 61 94
www.verbraucherzentrale-bremen.de