4 Fehlerschutz mit Schutzleiter (PE-Leiter) - VDE

4
Fehlerschutz mit Schutzleiter (PE-Leiter)
4.1
TN-System (früher Nullung)
4.1.1
Prinzip und Stand der Technik
Im TN-System wird jener Teil der Fehlerschleife, der bei der klassischen Schutzerdung durch das Erdreich gebildet wird, durch einen metallischen Leiter ersetzt.
Dieser Leiter hat sowohl die Aufgabe, die Funktion des Schutzleiters (PE) wahrzunehmen als auch den Betriebsstrom (Neutralleiterfunktion, N) zu führen. Aus der
Bezeichnung PE und N wurde in den Normen PEN-Leiter (siehe Abschnitt 3.2). Er
wurde früher als Nulleiter bezeichnet, weil man, wie bereits gesagt, annahm, daß er
Erdpotential, also „Nullpotential“ führt. Tritt ein Körperschluß auf, dann fließt der
Fehlerstrom durch den Außenleiter zur Fehlerstelle und von dort durch den PENLeiter zurück zum Transformator. In modernen Verteilungsnetzen haben Außenleiter und PEN-Leiter denselben Querschnitt, das heißt, daß rund die halbe Netzspannung gegen Erde U0 als Spannungsfall im Außenleiter auftritt. Da der PEN-Leiter
aber an vielen Stellen im Verteilungsnetz über die Betriebserden und durch die an
ihn angeschlossenen Erdungen der Verbraucheranlagen geerdet ist, fließt ein Teil
des Fehlerstroms über die Erde, wodurch wiederum der PEN-Leiter-Spannungsfall
verkleinert wird. Durch die Betriebserdungen bleibt die Fehlerspannung des PENLeiters bei Kurzschlüssen im Verteilungsnetz praktisch immer unter 65 V und in den
Verbraucheranlagen bei den Endstromkreisen unter 100 V. Dies bedeutet, daß der
Hautwiderstand eines Menschen einen hohen Schutzwert behält und tödliche Unfälle sehr unwahrscheinlich werden.
Vereinfachte Darstellungen von Hausinstallationen mit dem TN-System als Fehlerschutz für europäische und amerikanische Verhältnisse wurden bereits in Bild 3.19
und Bild 3.20 gezeigt.
Da bei Kurzschlüssen im Verteilungsnetz Überstrom-Schutzeinrichtungen große
Nennströme besitzen, in den Verbraucheranlagen dagegen LS-Schalter kleine Nennströme, muß man mit den vorgegebenen Schleifenwiderständen im Verteilungsnetz
höhere Ausschaltzeiten zulassen als in den Verbraucheranlagen. Dies ist wegen der
geringen Gefährdungswahrscheinlichkeit durchaus vertretbar. Näheres darüber findet sich in Abschnitt 4.1.3.
Der Erdungswiderstand des PEN-Leiters soll so niedrig wie möglich sein. Zu dieser
Forderung leisten die an den PEN-Leiter angeschlossenen Erdungen der Verbraucheranlagen einen wertvollen Beitrag, der auch im Verteilungsnetz mit TN-System
einen besseren Überspannungsschutz sicherstellt als ein vergleichbares TT-System,
bei dem ja die Verbrauchererdungen nicht mit dem Neutralleiter des Netzes verbunden werden dürfen.
Die immer wieder diskutierten Gefahren durch Störungen im Verteilungsnetz (Außenleiter- oder PEN-Leiterbruch und Verwechslungen Außenleiter/PEN-Leiter)
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Japan TT 200/100V
TN 240/120V
TN 400/230V
TN 400/230V
IT 230V
TN/TT 400/230V
not known
(X)
(X) Rated voltages as recommended by IEC.
At present in many countries 380/220 V or
415/240 V ar still in use.
Bild 4.1 Anwendung der TN-, TT- und IT-Systeme in den verschiedenen Ländern der Erde
stellen ein vernachlässigbares Sicherheitsrisiko dar. Sie sind wesentlich geringer als
die Gefahren, die durch Versagen von FI-Schutzschaltern entstehen, wenn der FISchutzschalter die Ausschaltung im Fehlerfall allein übernehmen muß.
Bei einer detaillierten Bewertung des TN- und TT-Systems entsprechend den vorausgegangenen Abschnitten muß man davon ausgehen, daß sich die Tendenz zum
TN-System künftig weiter verstärken wird. Dafür sprechen folgende Gründe:
● Bei gleichartigen Fehlern sind im TN-System die Berührungsspannungen und damit das verbleibende Grenzrisiko geringer.
● Bei gleichen Anforderungen an die Betriebserde werden im TN-System günstigere Werte erreicht, weil die Erder der Verbraucheranlagen mit dem PEN-Leiter verbunden werden.
● Durch die Vermaschung der Erden über den PEN-Leiter und den dadurch bedingten niedrigeren Erdungswiderstand wird der Überspannungsschutz des Netzes
wesentlich verbessert.
● Das TN-System kann mit der Selektivität der Ausschalteinrichtungen im Fehlerfall die größte Betriebssicherheit gewährleisten. Nicht betroffene Stromkreise
bleiben mit der elektrischen Energie versorgt.
● Das TN-System erlaubt auf einfache Weise den Schutz im Verteilungsnetz, z. B.
in Stationen an Kabelverteilerschränken, Lichtmasten usw.
Aus diesen Gründen ist es verständlich, daß das TN-System schon heute, weltweit
gesehen, die am häufigsten angewendete Schutzmaßnahme bei indirektem Berühren
darstellt. Sie ist z. B. in USA, Kanada, Mittelamerika, Japan, Volksrepublik China,
Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), Polen, CSFR, Ungarn, Schweden und
Schweiz sowie in der Mehrzahl der Netze in England und in Deutschland die Regel
und hat sich durchaus bewährt (Bild 4.1).
Für den Schutz durch automatische Ausschaltung im TN-System mit ÜberstromSchutzeinrichtungen gilt folgende Definition:
Maßnahme des Fehlerschutzes, bei der die berührbaren leitfähigen Teile entweder
direkt oder über einen PE-Leiter mit dem PEN-Leiter verbunden sind und die mit
einem Fehler behafteten Anlagenteile durch Überstrom-Schutzeinrichtungen ausgeschaltet werden.
Unter bestimmten Bedingungen sind für das Ausschalten im Fehlerfall auch Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen zulässig.
4.1.2
Fehlerspannungen, prospektive Berührungsspannungen und
Berührungsspannungen im TN-System
Zur Beurteilung der bei Isolationsfehlern auftretenden Fehlerspannungen wird zunächst daran erinnert, daß diese durch die Impedanzen von Außenleitern und PENbzw. PE-Leitern und die Verteilung der Betriebs- und Verbrauchererdungen bestimmt werden.
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