SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Albtraum Elternabend Von Detlef Berentzen Sendung: Samstag, 5. November 2016, 08.30 Uhr Redaktion: Christoph König Regie: Autorenproduktion Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. 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Die Notengebung haben sich ihre Kinder hoffentlich aufgeschrieben. Ich habe gesagt, sie müssen es sich notieren. Ich zähle das Schriftliche ungefähr 2/3 und das Mündliche ungefähr ein Drittel - "ungefähr" deshalb, weil 10 % der Gesamtnote ist eine Vokabelnote, aus Vokabeltests und mündlicher Abfrage. Sprecherin: Elternabende sind gespickt mit Informationen, und es ist wichtig, dass Sie sie alle aufschreiben, abspeichern, in Ihre Kalender, Smartphones und Tagebücher eintragen. Alle. Jede einzelne. Atmo: Elternabend/Klassenzimmer (blenden/unterlegen) Take 2 - (Elternabend/Lehrerin/ESG): Wir schreiben vier Klassenarbeiten, die sind angekündigt, stehen auch auf "Schule 365", die Vokabeltests sind auch angekündigt, die Abfrage hingegen ist dann 'ne Überraschung. Sprecherin: "Albtraum Elternabend" - Eine Sendung von Detlef Berentzen. Autor: Es ist 20.30 Uhr am Eduard-Spranger-Gymnasium in Filderstadt. Mütter und Väter machen sich Notizen, nicken eifrig und applaudieren. Immer wieder. Atmo: (ESG) Klassenzimmer/Elternabend/Applaus/Lehrerstimme (blenden/unterlegen) Autor: ...und schon kommt der nächste Lehrer, die nächste Lehrerin, stellen sich und ihr Programm zum Schuljahresbeginn vor. Niemand hat Fragen. Alles friedlich. Und entspannt... Was eigentlich nicht sein kann! Denn in der aktuellen Ratgeberliteratur zum Thema ist immerhin die Rede vom "Schlachtfeld Elternabend". Sprecherin: Wie in jedem Krieg geht es auch auf dem 'Schlachtfeld Elternabend' darum, neue Gebiete zu erobern und die Macht auszudehnen. Insbesondere, was die Gestaltung und Vermittlung des Unterrichts angeht, mit dem die Eltern eigentlich immer unzufrieden sind. Beide Parteien - Lehrer sowie Eltern - sind davon überzeugt, dass sie für die richtige Ideologie einstehen. Weshalb auch für jede noch so kleine Winzigkeit bis zum bitteren Ende gekämpft wird, nur damit klar ist, wer der Profi ist, wenn es um die Aufzucht und Pflege der Brut geht. 2 Autor: Die publizistischen Kommentare zum Thema "Elternabend" kommen aufgerüstet daher: Klassenzimmer mutieren zu "Schlachtfeldern", in Schulen finden angeblich "Klassenkämpfe" statt, für die Kontrahenten werden hilfsweise Grundkurse in Taktik und Waffenkunde angeboten, gern aber auch ein "Survivaltraining" für überforderte Eltern! Alles post und modern. Und wie es sein muss: Mutter kreist ständig mit dem Helikopter über der Schule ihrer Tochter und Vater beschäftigt für den Streit mit dem Lehrpersonal seines Sohnes ein ganzes Anwaltskollektiv - eine verrückte Realität, die da behauptet wird. Zeit für eine grundlegende Inspektion. Musik: (Zoufal) "Gimme Bass" (blenden) Take 3 - Angela Römelt: Ehrlich gesagt, war es nicht meine Idee. Sondern ich habe meinen Agenten gefragt, ob er irgendein Thema hat, über das ich etwas schreiben könnte und dann fragte er mich, ob ich etwas von Elternabenden verstünde. Und dann sagte ich als Mutter von vier Kindern: ich bin Veteranin, fragen sie mich was sie wollen, ich weiß alles über Elternabende. Und dann sagte er: Okay, schreiben Sie einen Probetext! Habe ich getan, der hat gefallen, schon hatte ich das Thema. Autor: Angela Römelt, katholische Theologin und Religionslehrerin in Mainz. Ihr neuestes Buch trägt den Titel: "How to survive Elternabend". Und ist dabei gar nicht so weit entfernt von Anja Koeselings "unzensiertem Frontbericht" mit dem Titel "Schlachtfeld Elternabend". Der "Frontbericht" erschien bereits im Jahre 2014 und versammelt die angeblich "besten Elterngeschichten" zum Thema - auch diese: Sprecherin: Das Tier in mir war geweckt, zum ersten Mal, seit ich diese Zumutung ertragen musste. Diese Zumutung, die sich Elternabend nennt und der ich bereits viel zu viel Zeit - kostbare Lebenszeit - gewidmet hatte. Doch nun war meine Geduld am Ende. Stoisch hatte ich sie ertragen, die "Welchen-Rand-soll-das-Heft-haben-Eltern", die "Warum-hatte-mein-Sohn-keine-Jacke-an-Mütter" und die "Da-muss-man-doch-wasmachen-Väter". Bebend vor Wut erhob ich mich und umklammerte den Tischrand... Autor: Derlei Wut ist noch steigerungsfähig: "Das Tier in mir brüllte" ..., wird man ein paar Zeilen später lesen, ... aber lassen wir das! Auf alle Fälle ist es scheinbar bitter notwendig, all den Wut-Eltern die Chance zu geben, den mittlerweile oft zitierten "ganz normalen Wahnsinn" eines Elternabends halbwegs unverletzt zu überleben. Das Erscheinen des "Survival"-Ratgebers von Angela Römelt ist deshalb nur folgerichtig. Take 4 - Angela Römelt: Es geht weniger darum, sich einer gefährlichen Situation zu stellen als aus einer Situation, die man am Anfang mit nur einem Kind sowieso erst einmal als verwirrend, zum Teil auch überfordernd, kompliziert, ärgerlich, lästig empfindet, Gewinn zu ziehen, eine positive Einstellung dazu zu entwickeln, sich darüber und dabei zu amüsieren und etwas mehr Entspanntheit in das ganze Thema zu bringen - das war mein Anliegen. 3 Autor: "Wie Sie es vermeiden, neben Karriereeltern zu sitzen", "Wie Sie die verhinderte Waldorfmutter ertragen" und "Wie Sie zum Star des Elternabends werden" - Angela Römelt präsentiert zwar eine Menge Tipps für "etwas mehr" Entspannung, liefert auch durchaus Stoff für ein kurzes Amüsement, dennoch bedient auch sie jenen Trend, der seit einiger Zeit die Wahrnehmung von Elternabenden als dramatische Possen befördert. Atmo: Theatersaal (blenden) Take 5 - Theaterhaus Stuttgart: Frau Müller, ich möchte gar nicht lange herumreden: Wir die Eltern der Klasse 6c haben kein Vertrauen mehr in ihre pädagogischen Fähigkeiten!... (blenden/unterlegen) Autor: "Frau Müller muss weg!" Seit dem Jahre 2010 wird Lutz Hübners Farce über die aktuellen Zweifel, Sorgen, Ängste und Aggressionen schwer gestresster Eltern auf immer mehr Bühnen inszeniert, so erfolgreich, dass ein Regisseur wie Sönke Wortmann sie gar für das Kino verfilmte. Die Kritiker jubelten, fühlten sich an "eigene grausame Elternabende" erinnert und lobten das "göttliche Gemetzel". Und in der Tat, ob auf Leinwand oder Bühne: Auch Frau Müller muss sich allerorten auf dem "Schlachtfeld Elternabend" behaupten. Atmo: "Café Lenzig", Stimmen, Kaffeemaschine, Kinder... (blenden) Take 6 - Klaus Seifried: Solche Titel sollen den Absatz der Bücher steigern. Meine Erfahrung in 25 Jahren als Schulpsychologe ist, dass eigentlich die Partnerschaft zwischen Eltern und Lehrkräften überwiegt, dass Eltern und Lehrer ein gemeinsames Ziel haben: die optimale Förderung der Kinder. Es gibt natürlich auch immer Probleme mit Eltern, auch Probleme mit Lehrkräften, aber das Entscheidende ist erst mal eine Partnerschaft: Wenn Eltern und Lehrer zusammenarbeiten, gut zusammenarbeiten, dann tut das den Kindern gut. Autor: Die "Partnerschaft" von Eltern und Lehrern "überwiegt", sagt er, aber auch: dass es "Probleme" gibt - Klaus Seifried ist ein erfahrener Berliner Schulpsychologe und er argumentiert, wie immer, durchaus differenziert: Elternabende sind weder heile Welt noch Schlachtfeld. Sie sind selbstverständlich auch Austragungsort für Konflikte, machen sie hör- und sichtbar - auch jene Konflikte, die nicht im pädagogischen Schulalltag begründet liegen. Sondern im Elternhaus. Take 7 - Klaus Seifried: Wir haben eine extreme Spreizung in der Schule: Wir haben Eltern, die sich gar nicht kümmern, die ihre Kinder nur abliefern und auch wenig kontrollieren, die Kinder kaum unterstützen, die Kinder müssen alleine klarkommen - Schule muss kompensatorisch arbeiten, Kinder stabilisieren, das ist das eine Extrem. Und das andere Extrem sind Eltern, die alles besser wissen, die ihre Kinder massiv unter Druck setzen - ich habe 4 schon Jugendliche erlebt, die wenige Tage vor dem Abitur alles hingeschmissen haben und in die Psychiatrie gegangen sind. Musik: (Zoufal) "Gimme Bass" (blenden) Atmo: Aula Stephan-Schule (blenden/unterlegen) Take 8 - Abu Saballa: Mein Name ist Abu Saballa, ich bin 13 Jahre alt und möchte Euch gern mein Thema vorstellen. Mein Thema heißt: Der Weg des Goldes - Von der Erde bis zum Goldbarren. Ich habe dies Thema gewählt, weil ich dies Thema interessant fand, da es so wenig Gold auf der Erde gibt und ich mehr darüber erfahren wollte... (blenden) Autor: Im traditionell multikulturellen Berlin-Moabit geht die Partizipation von Eltern über den normalen Elternabend hinaus. Die reformpädagogische "Heinrich-von-StephanGemeinschaftsschule" veranstaltet in ihrer Aula zusätzlich "Eltern-Nachmittage", an denen Schülerinnen und Schüler in improvisierten Messeständen dem Publikum ihre selbst gewählten und langfristig entwickelten Projekte präsentieren können. Natürlich multimedial und immer sehr begeistert. Take 9 - Karin Jaeger: Die Schüler arbeiten intensiv an individuellen Themen und da ist es natürlich wunderbar, wenn die Eltern das auch mal als Gesamtkunstwerk mitbekommen. Also sie erleben ihr eigenes Kind und die Motivation für die Schüler ist sehr hoch, das vorzubereiten - inklusive Aufregung und Lampenfieber. Und die Eltern sind froh, dass sie mal die Chance haben so einen Einblick zu bekommen in das, was macht mein Kind eigentlich in der Schule und auch zu gucken, was machen die anderen und auch so ein bisschen zu verorten, wo steht mein Kind eigentlich so, sowohl von der Leistung her, als auch so vom Verhalten. Und für Vorträge braucht man Publikum und ich finde, Eltern sind an der Stelle das Beste. Autor: Karin Jaeger. Lehrerin einer jahrgangsgemischten Klasse, in der sie Schülerinnen und Schüler der Siebten und Achten gemeinsam unterrichtet. Natürlich werden außer den Elternnachmittagen auch die vom aktuellen Berliner Landes-Schulgesetz vorgeschriebenen drei Elternabende angeboten - jedes Bundesland hat übrigens sein eigenes Schulgesetz, denn: Bildung ist Ländersache. Also variiert auch die Anzahl der vorgeschriebenen Elternabende: Mindestens zwei pro Schuljahr in Hamburg, gleiches gilt für Baden-Württemberg und in Berlin sind es drei Elternabende, die im Schulgesetz verankert sind. Aber selbst die kommen an der Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule eher als Variante zum Thema daher. Take 10 - Karin Jaeger: Also wir haben ein Ritual, dass wir am Elternabend wirklich die Eltern nur begrüßen: Schön, dass Sie da sind, wir Lehrer gehen jetzt mal raus und Sie besprechen untereinander, was Sie zu besprechen haben! Und das kann schon sein, dass man da eine halbe Stunde vor der Tür steht und wenn man wieder rein gerufen wird, dann stellt sich heraus, dass die Eltern sich untereinander schon beraten haben. Dieses 5 Miteinander finde ich ganz wesentlich und das schafft dann ja auch Vertrauen, denke ich mal, zu allen Beteiligten. Autor: Karin Jaeger kann auf Nachfrage zwar keinen einzigen ihrer Elternabende als "Schlachtfeld" erinnern, aber sie macht sich so ihre Gedanken zur aktuellen "Militarisierung" der Debatte - Stichwort: "Der Elternabend und die Rückkehr des Verdrängten". Atmo: "Der Untertan", Klassenzimmer - "Aufstehen, Hinsetzen...!" Take 11 - Karin Jaeger: Bei manchen Eltern muss man sich klar machen, deren eigene Schulzeit war nicht angenehm und es kommt mir manchmal so vor, als wenn die jetzt so ihre Revanche nehmen wollen und sich sowieso immer in der Defensive fühlen: 'Die Lehrer werden mir jetzt gleich sagen, ich habe versagt!'... Also ich finde das ist so was, wo wir Lehrer auf die Leute auch zugehen und einfach sagen: Schön, dass sie da sind und jetzt lassen sie uns mal gucken und auch den Eltern so eine Wertschätzung entgegenbringen. Atmo: Aula Stephan-Schule (blenden/unterlegen) Take 12 - Karsten Bothmann: Der Elternabend ist definitiv kein Schlachtfeld. Die Mitarbeit, das Engagement im Elternabend ist natürlich auch sehr unterschiedlich, also es gibt viele, die engagiert dabei sind und viele, die einfach nur hingehen, um hinzugehen, aber zumindest sind sie da, das ist ja immer schon viel wert, wenn Eltern überhaupt kommen. Manche nehmen einfach die Informationen mit, um "in time" zu bleiben und ein kleiner Prozentsatz engagiert sich dann wirklich. Autor: Karsten Bothmann ist Elternvertreter, aber auch Gesamtelternvertreter an der Heinrich-von Stephan-Gemeinschaftsschule. Und er macht diese Jobs gerne. Seit Jahren schon. Bothmann sollte also wissen, ob es auf den Elternabenden tatsächlich Hauen und Stechen gibt. Gibt es aber nicht, sagt er - noch einmal. Aus einem so simplen wie guten Grund. Take 13 - Karsten Bothmann: Man kann die Frage eigentlich relativ schnell beantworten, dadurch dass ja in der Gesamtheit das Engagement der meisten Eltern nicht ganz so groß ist, gibt's auch demzufolge wenig Reibung, weil alle froh sind, wenn der Elternabend vorbei ist. Musik: (Zoufal) "Gimme Bass" (blenden/unterlegen) Sprecherin: Stephan Borchers/Spiegel Online - Ein Tweet, der in den vergangenen Tagen mehr als 1500 Menschen gefiel, ging so: "Einen Gin Tonic bitte"..."Das ist ein Elternabend!"..."Ach ja, natürlich! Dann lieber einen doppelten." Tatsächlich graut es nicht nur Eltern vor den Abenden in den Klassenzimmern ihrer Kinder, sondern auch 6 vielen Lehrern. Denn jedes Jahr treten sie aufs Neue an: Die Besserwisser, die Notenfeilscher, die Ängstlichen und weitere Elterntypen. Autor: Da ist es schon wieder: das "Grauen", diesmal das Grauen eines schreibenden Lehrers vor der Begegnung mit den Eltern. Dazu gehört, immer wieder gerne publiziert, die Typologie der Kontrahenten. Atmo: Helikopter 1 (blenden/unterlegen) Take 14 - Angela Römelt: Ich bin bekennende Helikopter-Mutter: es gibt genug Dinge, vor denen ich meine Kinder nicht beschützen kann, die, vor denen ich sie beschützen kann, vor denen will ich sie auch beschützen. Nur fehlt mir als Mehrkinder-Mutter dann häufig die Zeit oder auch die Energie. Autor: Angela Römelt, die hilfreiche Survivaltrainerin - einer ihrer Lieblingssätze: Die Hauptaufgabe einer Mutter ist es, für ihr Kind da zu sein. Zur Not auch mit dem Helikopter. Eine "Helikoptermutter". Nicht zu verwechseln mit den "Karriereeltern", die ebenfalls auf manchen Elternabenden ihr Unwesen treiben. Mit denen hat Frau Römelt nichts am Hut. Take 15 - Angela Römelt: Die Karriere-Eltern sind ja nicht die Eltern, die an der Karriere ihres Kindes interessiert sind, sondern die im Kind ihre Karriere sehen. Diese Art von Eltern mit einem großen Mitteilungsbedürfnis hinsichtlich der Planung der "Karriere Kind", zwischen die und sich selber einen gewissen Abstand zu legen - das dient der seelischen Gesundheit finde ich. Atmo: aus Trailer "Bad Moms" - "Ich habe diese Notfall Elternversammlung einberufen, um ein Thema anzusprechen, das die Sicherheit unserer Kinder betrifft! ... Terrorismus!? ... Unser Kuchenbasar! ... Soll das ein Scherz sein?... (blenden) Autor: "Bad Moms!" Im gleichnamigen US-Film wird der mediale Trend beim Thema "Elternabend" einmal mehr deutlich: Nicht nur "Frau Müller muss weg", nicht nur die "Notenfeilscher", sondern auch die "Good Moms", die verwegenen Helikoptermütter, die unentwegt Besorgten - Schulpsychologe Klaus Seifried kann so einem Anliegen durchaus etwas abgewinnen. Take 16 - Klaus Seifried: Es gab schon immer Eltern, die sich intensiv um ihre Kinder gekümmert haben, ich halte das auch für gut, dass Eltern für ihr Kind engagiert sind. Es gibt aber Eltern, die dieses Engagement übertreiben, die ihren Kindern zu wenig Freiraum geben für die eigene Entwicklung. Eltern sind dafür da, ihre Kinder altersgemäß zu begleiten, ihnen auch altersgemäße Grenzen zu setzen, auch Autorität zu sein und Orientierung zu geben, aber auch ihre Kinder ein Stück loszulassen. Musik: (Zoufal) "Gimme Bass" (blenden) 7 Atmo: vor Kletterwand ESG/Filderstadt: Schritte, Stimmen, Lachen..."Cool!" (blenden) Take 17 - Schülerinnen: Mmmh, Kichern... Wir berichten live vor der Kletterwand in Filderstadt am ESG (blenden) Take 18 - Trainerin (Kletter-AG): Wer möchte als Erster klettern? ... Ich, ich...Ich nicht... Mit der linken Hand greifst du nach oben und holst das Seil rein...die rechte läuft wie ein Tunnel durch, wenn wir mit dem Tube sichern... Los geht's! (blenden) Take 19 - Ursula Bauer: Wir heißen Eduard-Spranger-Gymnasium, aber wir haben uns selber den Namen gegeben, alle gemeinsam hier: ESG, "Eine Starke Gemeinschaft!" und das leben wir schon auch auf den Elternabenden. Und Helikopter gibt es manchmal, aber eher vom benachbarten Flughafen ehrlich gesagt. Atmo: Helikopter 2 (blenden/unterlegen) Take 20 - Ursula Bauer: Wir sprechen mit den Eltern, von denen wir denken, sie sollten ihren Kindern mehr Verantwortung überlassen. Das spricht man an, zunächst in der Gruppe unter Umständen, bei Fünfer-Elternabenden sage ich schon ganz gerne, dass man die Kinder auch ein bisschen loslassen kann. Und in Einzelfällen spricht man dann mit den Eltern und bittet darum, doch den Kindern Verantwortung zu übergeben, zum Beispiel für ihre Schulranzen, zum Beispiel für ihre Hausaufgaben, solche Dinge eben. Und das funktioniert. Autor: Ursula Bauer. Schulleiterin des "Eduard-Spranger-Gymnasiums" in Filderstadt: knapp 1200 Schülerinnen und Schüler, flexibles Ganztagesangebot, jede Menge Arbeitsgemeinschaften: u. a. Klettern, Orchester, Chöre, Theater, dazu Firmenkooperationen, Hochschulkooperationen. Die Schule ist effizient durchstrukturiert, ein moderner pädagogischer Betrieb, der mit Ursula Bauer eine engagierte und dynamische Führungskraft hat,...die auch immer wieder mal bei Elternabenden vorbeischaut. Doch fragt man nach, ist der Schulleiterin bei ihren Besuchen noch nie das viel zitierte "Grauen" in den Gesichtern der anwesenden Mütter und Väter aufgefallen - kein Wunder: Selbst klitzekleine Schlachtfelder an der "Elternfront" werden in Filderstadt strategisch umgehend Richtung "Peace and Happiness" kultiviert. Take 21 - Ursula Bauer: Natürlich kommen Eltern zu mir und stellen ihr Problem dar oder artikulieren eine gewisse Unzufriedenheit mit einer Note oder irgend so was und dann bespricht man das. Und dann wird entschieden, ob man jetzt ein größeres Gremium benötigt, ob man zum Beispiel den Fachlehrer zuzieht, ob man die Elternvertreter zuzieht, ob man es untereinander klären kann. Und dann wird das wieder rückgespiegelt und dann löst man so einen Konflikt. 8 Atmo: Elternabend Klassenzimmer ESG... Stimmen (blenden) Take 22 - Englischlehrerin: Ich bin manchmal wirklich erstaunt, was daheim ankommt, was mir Eltern berichten, was ich angeblich verlange, das ist manchmal sehr phantasievoll. Manche Sachen kommen einfach anders an als es gesagt wurde und wenn Ihnen da irgendetwas komisch vorkommt, dann melden Sie sich bitte gleich! (Applaus/blenden) Autor: Elternabend einer siebten Klasse des Spranger-Gymnasiums. Es ist der erste in diesem Schuljahr. Neue und gebrauchte Lehrer und Lehrerinnen stellen sich vor, machen kurze Anmerkungen zu ihrem Unterricht, geben ihre Mailadressen bekannt und stehen für Fragen zur Verfügung - aber es gibt keine. Die Mütter, sie stellen die große Mehrheit der Anwesenden, sind zufrieden. Die Tagesordnung macht ihnen keine Probleme: Kurzes Statement von Klassenlehrer Stephan Mayer zur Freigabe von Fotorechten für die Homepage der Schule, Formulare werden verteilt, heute mal keine Debatte zum Thema "Cybermobbing", aber, wie so oft, die leidigen Handies: Nutzung nur in der Mittagspause, Spiele und Musik nur mit Kopfhörer, PokémonJagen auf dem Schulgelände ist nicht drin. Bei Nichtbeachtung werden die Geräte kassiert. Take 23 - Stephan Mayer: Die Kinder können die Handies abholen: 15.30 Uhr, auf dem Sekretariat oder freitags schon ein bissl früher!... Autor: Dann die Elternvertreterwahl. Die beiden amtierenden Vertreterinnen sitzen am Pult, schauen forschend in die Runde - es ist wie bei den Elternabenden anderer Schulen auch: Peinlich genug. Keine neuen Kandidaten. Take 24 - Elternvertreterin: Wenn sich keiner meldet...würden wir kandidieren. (Lachen...blenden) Take 25 - Stephan Mayer: Da stimmen wir aber schon noch ab, oder...Wer würde denn zustimmen, dass wir das Duo noch ein Jahr behalten können...Lachen...(lauter Applaus/blenden) Autor: Sandra Horwart, berufstätig, Mutter von drei Kindern. Frisch gewählte Elternvertreterin. Take 26 - Sandra Horwart: Also ich finde die Eltern hier supersympathisch und wir haben sie auch für alle Tätigkeiten und alle Aktionen gut anwerben können. Da waren immer ganz wenige, die nie Zeit hatten, also ich glaube zwei Mütter, die sich dann aber auch noch dafür entschuldigt hatten. Und alles, was wir ansonsten gemeinsam zu tun hatten, das lief wunderbar und organisiert ab. Atmo: Schulklingel läutet... 9 Take 27 - Scoyo-Elternabend (Internet): Herzlich willkommen beim 6. Online-Elternabend von Scoyo. Wir sprechen heute über "Stressfaktor Hausaufgaben - Was Eltern und Kinder entlastet". Wir sprechen über Hausaufgaben, ein Thema, über das Pädagogen schon seit über 170 Jahren streiten... (blenden) Autor: Auf diesem Elternabend gibt es keine Elternvertreter, auch keine Lehrer: Er findet im Internet statt - organisiert von einem privaten Unternehmen und als "Google-LiveHangout". Mit Expertinnen und Experten auf dem Monitor. Für all die, die wissen wollen, welche Regeln ihr Kind braucht, welchen Nachhilfeunterricht und wie man die Medienkompetenz von Sohn oder Tochter stärken kann. Für all die, die darüber nicht mit Lehrkräften und Expertinnen vor Ort in der Schule debattieren wollen. Könnte aber auch eine Qualifikationsmaßnahme für "Karriereeltern" sein, die gut vorbereitet am Elternabend teilnehmen wollen, um dem Lehrer Paroli bieten zu können. Postmoderne Eltern stehen unter extremem Stress, was Bildung und Ausbildung ihrer Kinder betrifft. Nicht wenige sind deshalb übermotiviert, wollen angeblich nur das Beste für ihr Kind. Also bieten Internetunternehmen wie "Scoyo" nicht nur den Eltern "Live-Hang-Outs" an, sondern offerieren auch gleich noch "Lernplattformen" für ihre Kinder: die große Afterschool-Bildungsparty mit ausgeklügelten Motivationsstrategien - "Von Lehrern empfohlen! Mit detaillierter Lernerfolgsanalyse!" Sprecherin: Mit Scoyo kann Pia alles wiederholen, was in der Schule dran war. In aller Ruhe. Das finde ich wirklich toll! Autor: Der gerade eben von den Elternvertreterinnen als "Super-Klassenlehrer" zertifizierte Stephan Mayer staunt nicht schlecht. Take 28 - Stephan Mayer: Was ich merke, dass Kinder manchmal berichten, dass sie einfach durchgetaktet sind. Also dann geht's eben direkt nach der Schule zur Klavierstunde, die gehen dann auch direkt noch in den Sportverein, die sind schon beschäftigt, ganz klar. Und wir versuchen natürlich, um Selbständigkeit zu fördern, auch Baustellen an der Schule anzubieten. Wir arbeiten zusammen mit dem Kinder- und Jugendzentrum, wir haben Kletterangebote, wir arbeiten mit Vereinen, mit der Musikschule, der Kunstschule zusammen. Und da erfahren die Kinder schon auch eine Freiheit, wo sie selber entscheiden können. Da sind die selbständig und da kommt das auch wieder raus mit dem Baumhaus-Bauen und Lagerfeuer machen. Also die Kinder können das durchaus. Musik: (Zoufal) "Gimme Bass" (blenden) Atmo: "Café Lenzig", Stimmen, Kaffeemaschine, Kinder... (blenden) Take 29 - Klaus Seifried: Es wird immer Eltern geben, die wir nicht erreichen, aber es ist wichtig zum Beispiel, dass wir Eltern, die selbst negative Schulerfahrungen gemacht haben, dass wir sie über andere Formen an Schule binden: zum Beispiel ein Sportfest, ein 10 Sponsorenlauf von Kindern oder ein Elterncafé, wo Mütter Kuchen backen und alle zum Kaffeetrinken eingeladen werden, Väter, die sich kümmern um Renovierungen in der Schule. Schauen, wie man Eltern in die Schule und in Kooperation bringen kann. Das ist natürlich mit einer arabischen Familie eine andere Fragestellung als in einem gutbürgerlichen Wohnbezirk. Autor: Schulpsychologe Klaus Seifried. Sein Ziel: Starke Eltern! Starke Kinder! Elternabende sollen die vertrauensvolle Kooperation zwischen Eltern und Lehrkräften möglich machen. Und zwar wegen der Kinder. Genau das wird tatsächlich allzu leicht vergessen: Es geht in den Schulen wesentlich um die Kinder, die Entwicklung ihrer Kenntnisse, ihrer Möglichkeiten und ihrer Kreativität. So steht's geschrieben. Trocken genug. In den Bestimmungen zur sogen. "Klassenpflegschaft", wie sie die BadenWürttembergische "Elternstiftung" auf der Basis des im Jahre 1997 reformierten § 56 des Landes-Schulgesetzes vorträgt. Sprecherin: Eltern und Lehrer sollen sich in der Klassenpflegschaft gegenseitig beraten sowie Anregungen und Erfahrungen austauschen. Bildungsfragen sollten selbstverständlicher Bestandteil jedes Elternabends sein. Eltern informieren sich über Unterrichts- und Lernmethoden, lassen sich erklären, was anders als in der eigenen Schulzeit gemacht wird und warum, besprechen die Intentionen des neuen Bildungsplans. Erziehungsfragen können aufgegriffen werden, indem ein externer Referent für ein Impulsreferat eingeladen wird. Werden diese Fragen durch den Lehrer thematisiert, besteht die Gefahr, dass Eltern sich kritisiert fühlen. Autor: Wo Elternabende als Grauen, Plage und Schlachtfeld begriffen werden, gelingt gemeinsame Verantwortung nicht. Der medial inszenierte "Albtraum Elternabend" spiegelt allerdings sehr genau die Gefühlslage mancher Eltern und Lehrer, deren Ängste und Aggressionen. Oft fehlt einfach die nötige persönliche Stabilität, das Selbstvertrauen, der Mut ins Offene zu gehen und dem Schulalltag der eigenen Kinder mit Neugier zu begegnen. Es geht eben nicht darum, die eigene "Brut" gegen den Rest einer miesen schulischen Welt zu verteidigen. Im Gegenteil. Atmo: Terrasse Villa Wannseekonferenz... (blenden/unterlegen) Take 30 - Elke Gryglewski: Das finde ich, ist wichtig, immer wieder zu diskutieren: Wie wollen wir miteinander umgehen? Und da finde ich, sind halt Eltern durchaus eine relevante Größe. Ich glaube, das macht Demokratie aus, dass man da auch diskutiert, durchaus auch erträgt, Kontroversen zu haben, solange es eben nicht zum Bruch führt, sondern man insgesamt konstruktiver zusammenarbeiten kann. Autor: Elke Gryglewski, in Berlin stellvertretende Direktorin im "Haus der Wannseekonferenz". Drei Kinder hat sie, zwei davon haben bereits das Abitur geschafft. Immer war sie Elternvertreterin, an verschiedenen Schulen - eine engagierte. Ist sie heute noch. Gryglewski war es auch, die mich am Ende meiner 11 "Inspektionsreise" daran erinnerte, dass eine gute Schule ohnehin ALLE folgenreich in Bewegung setzen muss: Groß UND Klein. Take 31 - Elke Gryglewski: Ich glaube, wenn man verstehen will, was auf Elternabenden passiert, dann ist es schon sinnig, einen Schritt zurückzutreten. Ich habe irgendwann mal bei einem Kongress von "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage", einen exzellenten Vortrag von Professor Heitmeyer, der in diesem Vortrag sagte, dass das Schulsystem vor allen Dingen in Deutschland dazu da ist, Defizite zu erkennen oder zu entlarven und zwar Defizite nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern, sondern auch Defizite bei den Lehrkräften und auch Defizite bei den Eltern. Und ich glaube, sich das zu vergegenwärtigen, ist total wichtig, um zu sehen, wie kann man konstruktiv mit Konflikten umgehen, wie kann man konstruktiv mit gemeinsamen Herausforderungen umgehen? Das ist sehr hilfreich. Autor: Man kann die polemisch zugespitzte Debatte um Elternabende im Grunde also auch positiv fassen: Die Konflikte, die Defizite liegen als Herausforderung offen auf dem Tisch. Ebenso Lösungen, die an nicht wenigen Schulen versucht werden. Es kommt nur noch darauf an, sie umzusetzen. Wem das im Augenblick noch zu viel Engagement ist, der kann zumindest dem finalen Survival-Ratschlag von Angela Römelt folgen: Ruhig mal nach dem nächsten Elternabend mit den anderen in die Kneipe gehen, die vermeintlichen Kontrahenten außerhalb des Klassenzimmers kennenlernen und endlich aus dem Albtraum erwachen. Das wäre immerhin ein Anfang. Atmo: Weinlokal/Kneipe (blenden/unterlegen) Take 32 - Angela Römelt: Gelegentlich bin ich mitgegangen. Wir leben hier in Mainz, wir leben in einer Weinbaugegend und es gibt in Mainz ausgezeichnete Weinlokale. Wenn das Ziel des "Noch-einen-trinken-Gehens" eines dieser Weinlokale ist, dann würde ich auf jeden Fall raten mitzugehen. Atmo: Weinlokal/Kneipe (blenden) Musik: (Zoufal) "Gimme Bass" (auf Ende) ******************** 12
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