tristan02 - Spielmobil

Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
«des lobe ich den heilant,
daz ich doch under liuten bin!
wan eteswer ist under in,
der sîne güete an mir begât
und tuot mir eteslîchen rât.»
»Den Heiland lobe ich,
daß ich wieder unter Menschen bin!
Vielleicht beweist von ihnen einer
an mir seine Güte
7630 Und verschafft mir Hilfe.«
Hie mite kêrten die boten hin
unde begunden under in
mit rede von sînen sachen
vil michel wunder machen.
si seiten wider ze maere,
daz in widervaren waere
âventiure an einem man,
Dann wandten sich die Boten
in die Stadt und fingen dort
von ihm vielnStaunenswertes
zu erzählen an
7635 Sie berichtete überall,
was ihne Sonderbares
mit einem Mann begegnet sei,
dâ man sich es lützel an
und niemer solte versehen.
was man kaum oder überhaupt nicht
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
si seiten, alse ez was geschehen: 7640 erwartet haben würde.
ê sî dar nâher kaemen,
Sie sagten, was sie erlebt:
daz s'aldort her vernaemen
als sie ihm näher kamen,
einen alsô süezen harpfen clanc
hätten sie so süßen
und mit der harpfen einen sanc.
Harfenklang vernommen
und dazu Gesang,
7645 wie ihn Gott selber gern1 hören
got möhte in gerne hoeren
in sînen himelkoeren.
In seinen Himmelschören;
und jâhen, daz daz waere
Und sagten: »In dem Schifflein saß
ein armer marteraere,
Ein armer Märtrer leichenblaß
ein tôtwunder spilman.
Ein todwunder Spielmann
7650
«wol hin, ir seht ez ime wol an,
er stirbet morgen oder noch.
und in der marter hat er doch
einen muot sô lebelîchen.
in allen künicrîchen
envünde man ein herze niht,
daz alsô grôzer ungeschiht
möhte genemen sô cleine war.»
Die burgaere kêrten dar
und triben maneger hande
Geht hin, ihr seht es ihm wohl an,
Er stirbt morgen oder heute noch,
Und in der Marter hat er doch
Sich so frischen Muth bewahrt,
Wenn ihr durch alle Reiche fahrt,
7655 Ihr findet doch wohl nicht den zweiten,
Der so viel Widerwärtigkeiten
Erträgt mit so gelaßnem Sinn.«
Nun, die Bürger eilten hin
Und trieben mit Tristanden viel
maere mit Tristande
und vrâgeten in sus unde sô.
aber seite er iegelîchem dô
in der gelegenheite,
als er den boten ê seite.
sus baten s'in, er harpfete in.
und er kêrte allen sînen sin
7660 Gespräches, wie es eben fiel,
Und fragten ihn die Kreuz und Quer:
Und wie die Boten vorher
Und mit denselben Reden
Beschied er einen Jeden.
7665 Auf ihre Bitte harft' er ihnen,
Und fliß sich Jeglichem zu dienen
an ir gebot und an ir bete,
wan er'z von allem herzen tete.
swâ mite er sich in kunde
mit handen oder mit munde
gelieben, daz was al sîn ger,
des vleiz er sich und daz tete er.
Und zu thun, was man ihn hieß;
Mit gutem Willen that er dieß,
Und wie ers mocht erzielen
7670 Mit Singen oder Spielen,
Ihre Gunst sich zu gewinnen,
Das war sein Trachten und sein Sinnen.
1
Ab dieser Zeile: Übersetzung von Karl Simrock.
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
Schloß Chenonceau
und alse der arme spilman
wider sînes lîbes state began
sîn harpfen und sîn singen
sô rehte suoze bringen,
ez begunde s'alle erbarmen.
7675
sus hiezen sî den armen
ûz sînem schiffelîne tragen
und einem arzâte sagen,
daz er'n ze hûse naeme.
und swaz im rehte kaeme,
daz er des vlîz haete
und umbe ir guot im taete
beidiu helfe unde gemach.
Da ließen sie den Armen
Aus seinem Schifflein tragen
7680 Und einem Arzte sagen,
Daß er ihn zu sich nähme
Und was ihm wohlbekäme,
Damit sollt' er ihn letzen:
Sie wollten ihm ersetzen
7684 Die Kosten, und die Müh bezahlen.
diz wart getân und diz geschach.
Und als der arme Spielmann
über seine Kraft begann
in sein Harfen und sein Singen
Süßigkeit zu bringen,
da must er sie erbarmen.
Nun dieß geschah auch allzumalen;
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
und alse er'n heim brâhte,
al sîn gemach bedâhte,
alse er'z allerbeste
von sînem liste weste,
dô half ez allez cleine.
Doch als er ihn heimbrachte
Und da zu heilen dachte
Und Alles auf ihn wandte
7690 Was er nur wust und kannte,
Da wollt es all nicht frommen.
diz maere wart gemeine
über al die stat ze Develîn.
ein schar gienc ûz, diu ander în
und clageten sîn ungemach.
Diese Kunde ward vernommen
In der ganzen Stadt zu Develin;
Man sah sie scharenweise ziehn
7695 Und sein Ungemach beklagen.
Nun geschahs in diesen Tagen,
daß ein Pfaffe zu ihm kam
und seine große Kunst vernahm
Im Spielen und im Singen;
7700 Er selbst war in den Dingen
nicht so ohne Meisterschaft:
Denn er versuchte seine Kraft
an jeglichem Saitenspiel
In der wîle ez dô geschach
daz ein pfaffe dar în kam
und sîne vuoge vernam
an handen unde an munde
wan er ouch selbe kunde
Und konnt auch fremder Sprachen viel.
Übersetzung: Kramer
7700
denn er selbst besaß
viel Wissen und Kunstfertigkeit,
verstand sich selber gut
auf alle Saitenspiele
und konnte viele Sprachen.
7705
Er hatte für höfisches Wesen
viel Zeit und Aufmerksamkeit
verwendet,
list unde kunst genuoge,
mit handen manege vuoge
an iegelîchem seitspil
und kunde ouch vremeder
sprâche vil.
an vuoge unde an höfscheit
haete er gewendet unde geleit
sîne tage und sîne sinne.
der was der küniginne
meister unde gesinde
und haete sî von kinde
gewitzeget sêre
an maneger guoten lêre
mit manegem vremedem liste
den sî von im wiste.
ouch lêrte er ie genôte
ir tohter Îsôte,
7710
7715
war Erzieher der Königin
und gehörte zu ihrem Gefolge
Er hatte ihr von Kind auf
in vielen guten Fächern
Unterricht erteilt
und manches seltene Wissen
ihr dabei vermittelt.
Auch unterwies er fleißig
ihre Tochter Isolde,
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
die erwünscheten maget,
von der diu werlt elliu saget
und von der disiu maere sint:
diu was ir einegez kint,
und haete alle ir vlîzekeit
sît des tages an sî geleit,
daz s'iht gelernen kunde
mit handen oder mit munde.
die haete er ouch in sîner pflege.
die lêrte er dô und alle wege
das schöne, herrliche Mädchen,
von welcher alle sprachen
und von der die Geschichte handelt.
7720
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beidiu buoch und seitspil.
dô der an Tristande alse vil
schoener künste und vuoge ersach,
in erbarmete sîn ungemach
vil inneclîche sêre
und enbeite ouch dô niemêre.
er gie zer küniginne dan
und seite ir, daz ein spilman
in der stat dâ waere,
der waere ein marteraere
und tôt mit lebendem lîbe
und daz nie man von wîbe
sîner künste als ûz erkorn
noch baz gemuot würde geborn.
«â» sprach er «edeliu künigîn,
möhte ez iemer gesîn,
daz wir dar zuo gedaehten,
daz wir in eteswar braehten,
Sie war ihr einziges Kind,
und hatte sie von Anbeginn
auf sie gewendet Fleiß und Sinn,
auf daß sie lernte eine Kunde,
mit Händen oder mit dem Munde
Die hatte er auch in seiner Obhut
und lehrte sie ständig
die Bücher und das Saitenspiel.2
Als jener Tristans Kunst
und Fertigkeit erkannte,
erbarmte ihn zutiefst sein Unglück,
und er zögerte nicht länger,
ging hin zur Königin
und sagte ihr, ein Spielmann
wäre in, der Stadt,
7730
7735
7740
der wäre ein Märtyrer,3
der bald sterben müsse.
Es gäbe keinen Menschen,
der kunstreicher wäre
und so fein gesinnt wie er.
»Ach«, sprach er, »edle Königin,
könnten wir es doch irgendwie erreichen,
ihn an einen, Ort zu bringen,
wohin Ihr in Ehren kommen könnt,
2
Krohn übersetzt: das Bücherwissen und das Saitenspiel - man beachte die damalige Verbreitung von
Büchern.
3
Krohn: 7733ff: Er ging zur Königin
und berichtete ihr, daß ein Spielmann
in der Stadt sei,
der sehr krank
und bei lebendigem Leibe tot sei,
und daß keine Frau jemals einen Mann
von so erlesener Kunstfertigkeit
und von so vornehmer Gesinnung gebären könne.
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
7745
dar ir mit vuoge kaemet,
daz wunder vernaemet,
daz ein sterbender man
als inneclîche suoze kan
geharpfen unde gesingen
und doch an sînen dingen
weder rât noch helfe kan gewesen.
wan ern kan niemer genesen.
sîn meister und sîn arzât,
der sîn biz her gepflegen hât,
der hât in ûz der pflege gelân,
7750
weder Rat noch Hilfe gibt;
denn er wird nicht mehr genesen.
7755
ern mag im niht ze staten gestân
mit keiner slahte sinne.»
um das Wunder zu vernehmen,
wie ein sterbender Mann
so innig und so süß
Harfe spielen und singen
kann; obwohl es für seine Not
Der Meister und der Arzt,
der ihn bisher gepflegt,
hat ihn aus seiner Pflege
entlassen;
denn er weiß auf keine Weise,
wie er ihm noch helfen soll.«
Soweit:Übertragung -Kramer4
nun wieder Kurz/Heinrich:
«Sich» sprach diu küniginne
«ich sol den kameraeren sagen
müge er ez iemer vertragen
und verdoln, daz man in handele
und under handen wandele,
daz sî'n uns her ûf bringen,
ob ime ze sînen dingen
dekeiner slahte helfe tüge
oder obe in iht generen müge.»
»Sieh«, sprach die weise Königin,
»Ich will's den Kämmerern sagen
(Wenn er's je kann vertragen,
daß Hände ihn berühren
und von der Stelle führen),
sie sollen ihn zu uns bringen,
ob ihm bei seinen Dingen
etwas zustatten käme
Oder sein Weh benähme.«
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Diz wart getân und diz geschach
Dies ward getan, und dies geschah
nu daz diu künigîn gesach
sîn angest al begarwe,
die wunden unde ir varwe,
nu erkande sîz gelüppe dâ.
«ach armer spilman» sprach si sâ
«dû bist mit gelüppe wunt.»
«ine weiz» sprach Tristan sâ
zestunt
nun daß die Königin ersah,
wie diese Wunde beschaffen war,
dazu die Farbe grauenbar,
erkannte sie das Gift daran.
»Ach, armer Spielmann«, hob sie an,
»Du bistia von Gifte wund.« »Ich weiß nicht«, sprach des Kranken Mund:
«ine kan niht wizzen, waz ez ist,
wan mir enmac kein arzâtlist
gehelfen noch gevrumen hie zuo.
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»Ich kann nicht wissen, was es sei,
Mir mag kein Arzt, noch Arzenei
Genesung bringen oder Ruh:
Einschübe von Kurz z.B.7720ff
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
nune weiz ich mêre, waz getuo,
wan daz ich mich gote muoz ergeben
und leben, die wîle ich mac geleben.
swer aber genâde an mir begê,
sît ez mir kumberlîche stê,
dem lône got: mirst helfe nôt,
ich bin mit lebendem lîbe tôt.»
Nun weiß ich nicht mehr, was ich tu,
als daß ich mich Gott ergebe
und meine Frist verlebe.
Wer aber Gnade an mir begeht,
da es so kümmerlich um mich steht,
dem lohne Gott. Mir ist Hilfe Not,
Ich bin mit lebendem Leibe tot.«
7780
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Diu wîse sprach im aber zuo:
«spilman, sag an, wie heizestuo?»
«vrouwe, ich heize Tantris.»
«Tantris, nu wis an mir gewis,
daz ich dich binamen neren sol.
wis gemuot, und gehabe dich wol! 7790
Die Weise rief ihm aber zu:.
»Spielmann, sag an, wie heißest du?«
»Fratie, Tantris bin ich genannt.«
»Wohlan, Tantris, dir sei bekannt,
daß meine Hand dir helfen soll
Sei getrost und gehabe dich wohl,
ich wil dîn arzât selbe sîn.»
«genâde, süeziu künigîn,
diu zunge diu gruone iemer,
daz herze ersterbe niemer,
diu wîsheit diu müeze iemer
leben,
den helfelôsen helfe geben,
dîn name der müeze werden
gewerdet ûf der erden!»
Ich selbst werde Deine Ärztin sein«
»Danke, gütige Königin!
deine Zunge grüne immer,
dein Herz ersterbe nimmer,
deine Weisheit möge immer leben,
«Tantris» sprach aber diu künigîn
«möhte ez an dînen staten gesîn,
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und den Hilflosen helfen,
Dein Name, möge hoch
gerühmt werden auf Erden!«
»Tantris «, fiel die Königin ein,
»Wofern es dir möglich sollte sein,
Nur daß du freilich von Kräften bist,
was auch kein Wunder an dir ist,
so hörte ich gerne Harfenspiel,
Des kannst du, höre ich sagen, viel.«
»Nein, Fraue, lasst die Rede sein:
Mein Übel irrt und hindert klein,
7800
wan dazt aber alse uncreftic bist,
als ez kein wunder an dir ist,
sô hôrte ich gerne harpfenspil
des kanstu, hoere ich sagen, vil.»
«nein vrouwe, sprechet alsô niht.
mich enirret kein mîn ungeschiht,
ine tuo und müge ez harte wol,
daz iuwer dienest wesen sol.»
sus wart sîn harpfe dar besant.
ouch besande man zehant
die jungen küniginne.
daz wâre insigel der minne,
mit dem sîn herze sider wart
versigelt unde vor verspart
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daß ich nicht täte und gern dazu,
womit ich Euch einen Gefallen tu.«
So ward seine Harfe darbesandt.
auch besandte man allzuhand
die junge Königinne,
das wahre Insiegel der Minne,
mit dem auch seit versiegelt
Sein Herz ward und verriegelt
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
aller der werlt gemeiner
niuwan ir al einer,
diu schoene Îsôt si kam ouch dar
und nam vil vlîzeclîche war,
dâ Tristan harpfende saz.
nu harpfete er ouch michel baz,
dan er ie dâ vor getaete.
wan er gedingen haete,
sîn ungelücke waere hin,
dâ sang er unde harphete in
niht alse ein lebelôser man,
er vieng ez lebelîchen an
und alse der wol gemuote tuot
er machete ez in sô rehte guot
mit handen und mit munde,
daz er in der kurzen stunde
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vor aller Welt und ihrem Schein.
und gehörte nur ihr allein.
Die schöne Isolde kam auch dar
und nahm mit allem Fleiße wahr,
wie Tristan über der Harfen saß.
Nun harfete er auch noch viel besser
als er es je vormals vollbracht,
weil ihm nun Hoffnung war gemacht,
7820
sein Unglück sei zu Ende.
Er harfte und sang behende,
nicht wie ein lebensmüder Mann;
er fing es frisch lebendig an
und wie der Wohlgemute tut.
Er machte es ihnen also gut
mit Händen und mit Munde,
daß er in der kurzen Stunde
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ir aller hulde alsô gevienc,
daz ez im z'allem guote ergienc
und al des spiles, des er getete
beide anderswâ und an der stete,
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sô smacte ie der veige slac
und machete einen solhen smac,
daz nieman keine stunde
bî ime belîben kunde.
all ihre Huld also empfing,
daß ihm’s nach ganzem Willen ging.
Doch über seinem süßen Schall,
so hier zur Stelle wie überall,
erwies die Wunde ihren Fluch
und machte einen solchen Geruch,
daß niemand konnte die Plagen
eine Stunde ertragen.
Aber sprach diu küniginne dô:
«Tantris, swenne ez gevüege
alsô,
daz dir dîn dinc alsô gestê,
daz dirre smac an dir zergê
und ieman bî dir müge genesen,
sô lâ dir wol bevolhen wesen
dise jungen maget Îsôte,
diu lernete ie genôte
Aber begann die Königin:
»Tantris, wenn es sich fügt dahin,
7840
und daß es also um dich steht,
daß dieser Geruch an dir vergeht
und jemand kann bei dir gedeihn,
so lass dir wohl befohlen sein
Isolden hier, die junge Magd.
die hat gelernet unverzagt
7845
diu boch und dar zuo seitspil
und kan des ouch billîche vil
nâch den tagen und nâch der vrist,
Buchwissen und auch Saitenspiel,
und kann auch dessen ziemlich viel
nach den Tagen und nach der Frist,
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
als sî derbî gewesen ist.
und kanstu keiner lêre
und keiner vuoge mêre
danne ir meister oder ich,
des underwîse sî durch mich.
dar umbe wil ich dir dîn leben
und dînen lîp ze miete geben
wol gesunt und wol getân.
diu mag ich geben unde lân,
diu beidiu sint in mîner hant.»
«jâ ist ez danne alsô gewant»
sprach aber der sieche spilman
7850
als sie dabei gewesen ist.
Hast du nun irgend größere Kraft
in einer Kunst oder Wissenschaft,
denn ich und auch ihr Meister hie,
um meinetwillen das lehre sie.
Dafür will ich dir Leib und Leben
zum Lohn und Ehrensolde geben
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7860
«daz ich sô wider komen kan
und mit spil genesen sol,
ob got wil, sô genise ich wol.
saeligiu küniginne,
sît daz iuwer sinne
alsô stânt, als ir dâ saget,
umbe iuwer tohter die maget,
sô trûwe ich harte wol genesen.
ich hân der buoche gelesen
in der mâze und alsô vil,
daz ich mir wol getrûwen wil,
ich gediene iu wol ze danke an ir
dâ zuo sô weiz ich wol an mir,
daz mîner jâre kein man
sô manic edele seitspil kan.
swaz ir dar über geruochet
und her ze mir gesuochet,
daz ist allez getân,
als verre als ich's state hân.»
»daß ich dadurch aufkommen kann
und so mit Spiele genesen soll,
ob Gott will, so genese ich wohl.
Fraue, selige Königin,
und ist es denn, dass Euer Sinn
Euch also, wie Ihr mir da sagt,
Um Eure Tochter steht, die Magd,
so hoffe ich sehr wohl zu genesen:
denn der Bücher hab ich gelesen
in solchem Maß und also viel,
daß ich mir wohl getrauen will.
Ich diene Euch zu Dank an ihn
dazu so weiß ich wohl an mir,
daß meines Alters kein einziger Mann
so viel der edlen Spiele kann.
was Ihr nun drüber geruhet
Und mir zu wissen tuet,
das nehmet alles für getan,
so weit ich es vermag und kann.«
So beschied man ihm ein Kämmerlein
und gab ihm alle Tage drein
all die Pflege und Gemächlichkeit,
die er sich wünschte zu jeder Zeit
Nun erst war ihm gekommen
zustatten und zu Frommen
die Weisheit, die er im Schiff beging,
da er den Schild zur Seiten hing
7865
7870
7875
7880
Sus beschiet man ime ein kamerlîn
und schuof im alle tage dar în
alle die pflege und daz gemach,
daz er selbe vor gesprach.
alrêrste was diu wîsheit
ze vrumen und ze staten geleit,
die er in dem schiffe begienc,
dô er den schilt zer sîten hienc
gesund und wieder wohlgetan,
nachdem ich sie geben und nehmen kann
denn beide sind in meiner Hand.«
»Ja, ist es denn also bewandt«,
sprach aber der sieche Harfenmann,
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
und barc sîne wunden
vor den unkunden,
7890
vor der îrlandeschen diet,
dô sî von Curnewâle schiet.
hie von sô was in unkunt
und enwisten niht, daz er was wunt.
wan haeten s'iht bevunden
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umbe keine sîne wunden,
sô wol als in daz was erkant,
wie'z umbe die wunden was gewant,
und deckte seine Wunde
und brachte sie nicht zur Kunde,
daß das Irenvolk sie nicht erriet,
da es vom Lande Kornwall schied.
Daher war ihnen gar nichts kund,
und wussten sie nicht, daß er war wund.
denn hätten sie dort befunden
etwas von seiner Wunden,
so wohl, als ihnen war bekannt,
wie's mit den Wunden war bewandt,
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
In Tours
die Môrolt mit dem swerte sluoc,
daz er in allen noeten truoc,
ezn waere Tristande nie
ergangen, alse ez ime ergie.
nû half aber ime, daz er genas,
daz er sô vorbedaehtic was.
hie mac ein man erkennen an
und wizzen wol, wie dicke ein man
die Morold mit dem Schwerte schlug,
das er in allen Nöten trug,
es wäre fürwahr Tristanden nie
ergangen, wie es ihm ging allhie.
nun aber half's ihm aus der Gefahr,
daß er so vorbedächtig war
Hie mag ein Mann erkennen dran
und lernen wohl, wie oft ein Mann .
das, was er vorbedächte,
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guote vorbedaehte
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
ze guotem ende braehte,
der gerne sinnebaere
und vorbesihtic waere.
zu gutem Ende brächte,
wenn er auf seiner Stätte
Scharfisinn. und Fürsicht hätte
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Die weise Irenkönigin,
die wandte allen ihren Sinn
und allen ihren Witz daran,
wie sie errette einen Mann,
um dessen Leib und Leben
sie hätte so gern gegeben
ihr Leben und ihre ganze Ehr,
ja, ihn zu hassen war sie noch mehr
bedacht, als sich zu minnen;
und was sie doch konnte ersinnen,
das ihm zu Lindrung, Frommen
Diu wîse küniginne
diu kêrte alle ir sinne
und alle ir witze dar an,
wie sî generte einen man,
umbe des lîp und umbe des leben
si gerne haete gegeben
ir lîp und alle ir êre.
si hazzete in noch mêre
dan sî sich selben minnete.
und swes si sich versinnete,
daz ime ze senfte und ze vromen
und ze heile möhte komen,
dâ was si spâte unde vruo
betrehtic unde gescheffec zuo.
daz enwas kein wunderlîch
geschiht.
sine erkande ir vîndes niht.
und möhte sî daz wizzen,
an wen sî was vervlizzen
und wem sî half ûz tôdes nôt.
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7920
und mochte zum Heile kommen,
auf solches wandte sie spät und früh
alle Bedachtsamkeit und Müh.
Da war nun eben kein Wunder dran:
7925
ihr Feind war ihr ein fremder Mann,
ja, wär ihr getan zu wissen,
für wen sie war beflissen,
und wem sie half aus Todesnot,
waere iht ergers danne der tôt,
den haete s'ime zewâre gegeben
vil michel gerner dan daz leben
nu enwiste aber sî dâ niuwan guot
und truog im niuwan guoten muot.
7930
es wäre ihr ärger denn der Tod,
den sie ihm hätte gegeben
viel lieber, denn das Leben;
nun wusste sie aber nichts als Guts
und war ihm guten und holden Muts.
Ob ich iu nû vil seite
und lange rede vür leite
von mîner vrouwen meisterschaft,
wie wunderlîche guote craft
ir arzenîe haete
und wie s'ir siechen taete,
waz hülfe ez und waz solte daz?
in edelen ôren lûtet baz
ein wort, daz schône gezimt,
dan daz man ûz der bühsen nimt.
als verre als ichz bedenken kan,
7935
wollte ich euch nun sagen viel
und Reden machen ohne Ziel
von meiner Frauen Meisterschaft,
wie wunderbare gute Kraft
in ihren Arzeneien war
und ihren Siechen neu gebar,
was hülfe es und was sollte das?
In edlen Ohren lautet bass
ein Wort, das ziemt und lieblich stimmt,
denn was man aus der Büchsen nimmt.
So weit ich's kann bedenken und fassen,
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7945
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
so sol ich mich bewarn dar an,
daz ich iu iemer wort gesage,
daz iuwern ôren missehage
und iuwerm herzen widerstê.
ich spriche ouch deste minner ê
von iegelîcher sache,
ê ich iu daz maere mache
unlîdic unde unsenfte bî
mit rede, diu niht des hoves sî.
umbe mîner vrouwen arzâtlist5
und umbe ir siechen genist
will ich das immer unterlassen,
daß ich Euch Worte sollte sagen,
die Euren Ohren missbehagen
und Eurem Herzen widerstehn.
Eh rede ich, will's nicht anders gehn,
desto minder von einer Sache,
eh daß ich Euch die Märe mache
unleidlich zu irgendeiner Frist
mit Rede, die nicht des Hofes ist.
von meiner Frauen Kunde,
und wie da genas der Wunde,
7950
7955
wil ich iu kurzlîche sagen:
si half im inner zweinzec tagen,
daz man in allenthalben leit
und nieman durch die wunden meit, 7960
der anders bî im wolte sîn.
sît gie diu junge künigîn
alle zît ze sîner lêre.
an die sô leite er sêre
7965
sînen vlîz und sîne stunde.
daz beste daz er kunde,
sô schuollist, sô hantspil,
daz ich niht sunder zalen wil,
daz leite er ir besunder vür,
daz sî nâch ir selber kür
ze lêre dar ûz naeme,
swes sô sî gezaeme.
Îsôt diu schoene tete alsô:
daz allerbeste, daz si dô
under allen sînen listen vant,
des underwant si sich zehant
und was ouch vlîzec dar an,
swes s'in der werlde began.
ouch half si harte sêre
diu vordere lêre.
si kunde ê schoene vuoge
und höfscheit genuoge
5
will ich Euch kürzlich sagen:
sie half ihm in zwanzig Tagen,
daß man sein allerwärts war froh
und niemand ihn ob der Wunde floh,
der irgend wollte zu ihm hin.
Seit ging diejunge Königin
allzeit bei ihm in seine Lehr;
an diese wandte er gar sehr
seinen Fleiß und seine Stunden;
das Beste von seinen Kunden,
so Bücherlehre als Saitenspiel,
was ich nicht alles erzählen will,
das legte er ihr besonders für,
daß sie nach ihrer eignen Kür
zur Lehre daraus nähme,
was ihr zu Fuge käme.
Auch war die schöne Isold zur Hand:
das Beste, das sie allda fand
unter seinen Künsten mannigfalt,
dem unterzog sie sich alsbald
und wandte auch Fleiß bei allem an,
was sie je in der Welt begann.
7970
7975
Auch half ihr nach Begehre
ihre frühere Lehre:,
sie hatte Kunst und Art und Fug
und höfische Sitten eh genug,
7980
Die Heilkunst war im Mittelalter eine Domäne der Frauen. ... Die Frau als Arznei
51
Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
mit handen und mit munde
diu schoene si kunde
ir sprâche dâ von Develîn,
si kunde franzois und latîn,
videlen wol ze prîse
in welhischer wîse.
ir vingere die kunden,
swenne sî's begunden,
die lîren wol gerüeren
und ûf der harpfen vüeren
die doene mit gewalte.
sie steigete unde valte
die noten behendeclîche.
und was man kann mit Mund und Hand;
die schöne Jungfrau, sie verstand
ihre Develiner6 Sprache fein,
konnte Franzois und auch Latein,
konnte fiedeln zu Preise
in welscher Art und Weise.
ihre Finger, die konnten,
so wie sie es begonnten,
viel wohl die Leier rühren
und auf der Harfen führen
die Saitentöne mit Gewalt;
bald stieg sie auf und nieder bald
mit den Noten kunstreich und,
geschwind.
Auch sang das selige Mutterkind
süß und wohl mit dem Munde:
und doch bei aller Kunde
sollte ihr stets zum Frommen
ihr Meister, der Spielmann, kommen;
7985
7990
7995
ouch sanc diu saeldenrîche
suoze unde wol von munde
und swaz s'ê vuoge kunde,
dâ kam si dô ze vrumen an.
ir meister der spilman
8000
der bezzerte si sêre.
under aller dirre lêre
gab er ir eine unmüezekeit,
die heizen wir morâliteit.7
diu kunst diu lêret schoene site.
dâ solten alle vrouwen mite
in ir jugent unmüezic wesen.
morâliteit daz süeze lesen
deist saelic unde reine.
ir lêre hât gemeine
mit der werlde und mit gote.
der besserte sie gewaltig da.
Zu diesen Lehren es geschah,
daß er ihr eine neue las,
die nennen wir Moralitas8:
die Kunst, die lehret schöne Sitten;
da sollte man jede Fraue bitten,
daß sie dran ihre Jugend kehre.
Moralität, die süße Lehre,
die ist glückselig und ist rein
Ihre Gebote sind gemein
so mit Gott als auch mit der Welt;
8005
8010
denn sie sind also dargestellt,
si lêret uns in ir gebote
9
daß wir Gott und der Welt gefallen;
got unde der werlde gevallen
6
Dubliner
Gottfriedsche Wortprägung, sie verbürgt guot und êre; Gesinnung und Gesittung bilden eine
unauflösliche Einheit, die ihrerseits die Gegensätzlichkeit von werlde und got zu versöhnen geeignet
ist, ferner wird in der Literatur auf den Zusammenhang zu „De institutione musica“ von Boethius
verwiesen, die zu Gottfrieds Zeiten bereits bekannt war. Musik als Erziehungsmittel .....
8
Krohn übersetzt mit „Sittenlehre“
9
zentrale Frage hochmittelalterlicher Literatur, diverse Textstellen aus Walther von der Vogelweide,
Hartmann von Aue und Wolframs „Parzifal“ ausgiebig zitiert, Krohn, Bd.3, S. 140f.
7
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
s'ist edelen herzen allen
ze einer ammen gegeben,
daz sî ir lîpnar unde ir leben
suochen in ir lêre.
wan sîne hânt guot noch êre,
ezn lêre sî morâliteit.
diz was ir meiste unmüezekeit
der jungen küniginne.
hie banekete s'ir sinne
und ir gedanke dicke mite.
hie von sô wart si wol gesite,
schône unde reine gemuot,
ir gebaerde süeze unde guot.
sie ist den edlen Herzen allen
Zu einer Amme mitgegeben,
daß sie ihre Nahrung und ihr Leben
suchen in ihrer Lehre:
sie haben nicht Gut noch Ehre,
wenn nicht Moralität sie weist.
Das war ihre Unmuße meist,
ich meine die junge Königin:.
damit ergötzte sie ihren Sinn
und ihre Gedanken oft und viel.
ihre Sitte ward in diesem Spiel
löblich, und schön und rein ihr Mut,
ihre Gebärden süß und gut.10
8015
8020
8025
Sus kam diu süeze junge
ze solher bezzerunge
an lêre und an gebâre
8030
in dem halben jâre,
daz von ir saelekeite
allez daz lant seite
und ouch ir vater der künec dâ van
vil grôze vröude gewan
8035
ir muoter ward ez sêre vrô.
nu gevuogete ez sich dicke alsô,
ir vater sô der was vröudehaft
.
oder alse vremediu ritterschaft
dâ ze hove vor dem künege was,
8040
daz Îsôt in den palas
vür ir vater wart besant.
und allez daz ir was bekant
höfschlîcher liste und schoener site,
dâ kürzete s'ime die stunde mite
8045
und mit im manegem an der stete.
swaz vröude sî dem vater getete,
daz vröute s'al gelîche:
10
So kam die süße junge Maid
zu Besserung und Vollkommenheit
an Lernen und Sitte wunderbar
in jenem einzigen halben Jahr,
daß von ihrer herrlichen Art
das ganze Land erfüllet ward;
auch gewann ihr Vater auf seinem Thron,
der König, große Lust davon,
und ihre Mutter ward sehr froh.
Nun fügte es sich oftmals so,
wenn ihr Vater war freudehaft,
oder wenn fremde Ritterschaft
bei dem Könige war zu Gast,
daß Isolde in den Palast
zu ihrem Vater ward besandt,
und was der Holden war bekannt
von schönen Sitten und höfischen Kunden,
damit verkürzte sie ihm die Stunden
und mit ihm manchem, den er lud..
Und ward der Vater frohgemut
von ihr, das freute alle gleich:
Krohn übersetzt: 8022ff: Hiermit übte sie ihren Geist
und ihre Gedanken sehr oft.
Dadurch bekam sie ein feines Benehmen,
ihr Geist wurde anmutig und vollkommen
ihr Auftreten lieblich und angenehm.
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
arme unde rîche
sî haeten an ir beide
eine saelige ougenweide,
der ôren unde des herzen lust.
ûzen und innerhalp der brust11
dâ was ir lust gemeine.
diu süeze Îsôt, diu reine
si sang in, si schreip und si las.
und swaz ir aller vröude was,
daz was ir banekîe.
si videlte ir stampenîe,
leiche und sô vremediu notelîn,
diu niemer vremeder kunden sîn,
in franzoiser wîse
von Sanze und San Dinîse.13
der kunde s'ûzer mâze vil.
ir lîren unde ir harpfenspil 14
sluoc sî ze beiden wenden
mit harmblanken henden
ze lobelîchem prîse.
in Lût noch in Thamîse
gesluogen vrouwen hende nie
seiten süezer danne hie
si sang ir pasturêle,16
ir rotruwange und ir rundate
schanzûne, refloit und folate
denn Hoch und Nieder, Arm und Reich,
sie hatten an ihr beide
8050 eine selige Augenweide,
der Ohren und des Herzens Lust;
außer und innerhalb der Brust
war ihre Lust die Holde.
die süße reine Isolde,
8055
sie sang, sie spielte, sie las, sie schrieb,
und was allen war wert und lieb,
das war ihre Lust, das freute sie.
Sie fiedelte ihre Stampenie,12
Leiche und fremde Nötelein,
8060
die nimmer fremder konnten sein,
darin sie Monjoye Saint Denis
in der Weise von Frankreich pries;
da konnte sie aus der Maßen viel.
ihre Leier und ihr Harfenspiel
schlug sie zu beiden Seiten hin
mit Händen, weiß wie Hermelin,
zu seltnem Lob und Preise gut.
nicht in Thamise, noch in Lut15
schlugen der Frauen Hände nie
die Saiten süßer an, denn hie.
sang ihre Pasturele,
Rotruwange, Rundate,
Schanzune, Refloit, Folate,
8065
8070
11
... bezeichnet die Totalität der Empfindung.
„Tanzweisen, Lieder und fremartigen Melodien, die fremdartiger nicht sein können.“
13
Die Schulen der Kathedrale von Sens und der Abtei von Saint-Denise waren im Mittelalter für ihren
hochentwickelten Kirchengesang be rühmt. Ferner gab es besonere Beziehungen der Baukunst zwischen Straßburg und Sens.
14
Die Szene mit Isoldes Auftritt als Künstlerin ist derjenigen nachgebaut, in der sich Tristan nach der
Jagd an Markes Hof vorstellt. Beide Stellen haben die gleiche Funktion: Die gegnadete Musikalität
der Protagonisten verweist sie in den Bereich des von der gotinne Minne beherrschten Musenbergs;
ihr Künstlertum deutet voraus auf ihr Liebesschicksal; ihre außerordentliche Virtuosität bezeichnet
den ersten Schritt der „Anähnlichung“ aneinander. (Krohn).
15
Weder in Lut noch an der Themse schlugen .. (Ortsbezeichnung ...bei London), nicht eindeutig
lokalisiert.
16
pasturele, Inhalt nicht Form des Liedes, ...., daß Isolde diese fremdländische Kunstform, die auf
deutschem Boden nicht recht heimisch wurde und auch die folgenden exotischen Liedgattungen beherrscht, bezeugt ihre feine Bildung. Auch die beiden im Text nachfolgenden Begriffe sind z.T. sehr
speziell..
12
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
auf der Strecke
wol unde wol und alze wol.
wan von ir wart manc herze vol
mit senelîcher trahte.
von ir wart maneger slahte
gedanke und ahte vür brâht
durch sî wart wunder gedâht,
als ir wol wizzet, daz geschiht,
dâ man ein solich wunder siht
von schoene und von gevuocheit,
als an Îsôte was geleit.
Wem mag ich sî gelîchen
die schoenen, saelderîchen
wan den Syrênen eine
die mit dem agesteine
die kiele ziehent ze sich?
als zôch Îsôt, sô dunket mich,
vil herzen unde gedanken în,
die doch vil sicher wânden sîn
von senedem ungemache.
ouch sint die zwô sache
8075
wohl, wohl, ja wohl und allzu wohl;
denn von ihr ward manch Herze voll
mit sehniglichem Trachten,
mit Denken und mit Achten:
Gedanken wurden fürgebracht
und viel und wundersam gedacht,
wie ihr wohl wisset, dass geschieht,
da man ein solches Wunder sieht
von Schönheit und von höfischer Art,
wie an Isolden geoffenbart.
8080
8085
Wen soll ich ihr vergleichen,
der schönen, freudenreichen,
als den Sirenen eine,
die mit dem Magnetensteine
die Kiele ziehen her zu sich
so zog Isolde, dünket mich,
viel Herzen und Gedanken ein,
die doch wähnten bewahrt zu sein
vor dem sehnenden Leide.
es sind auch diese beide,
8090
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
kiel âne anker unde muot
8095
Kiel ohne Anker und sehnender Mut,
ze ebenmâzene guot.
si sint sô selten beide
an staeter wegeweide,
sô dicke in ungewisser habe,
wankende beidiu an und abe,
8100
ündende hin unde her.
sus swebet diu wîselôse ger,
der ungewisse minnen muot,
rehte als daz schif âne anker tuot
in ebengelîcher wîse.
8105
eins in des andern Maße gut.
Sie sind so selten beide
auf richtiger Wegescheide,
so oft auf ungewissem Meer;
da wanken sie beide hin und her
und treiben vor der Fluten Stoß.
so schwebet der Wille steuerlos,
der ungewisse Minnenmut,
Recht wie das Schiff ohn Anker tut,
in ebengleicher Weise.
Und wieder lockt ein Schloß – Schloß Ussé
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Texte von Gottfried – 3. Tantris – der Spielmann Kap.XI
diu gevüege Îsôt, diu wîse,
diu junge süeze künigîn
alsô zôch sî gedanken în
8110
ûz maneges herzen arken, als
der agestein die barken
mit der Syrênen sange tuot.
si sanc in maneges herzen muot
offenlîchen unde tougen
durch ôren und durch ougen..
die gefüge Isold, die weise,
die junge süße Königin,
so zog sie die Gedanken hin
aus manches Herzens Schiffe,
wie der Magnet zum Riffe
die Barken mit Sirenensang.
ihr Sang in manches Herze drang
so laut und offen durch das Ohr,
Abreise von Wexfort, Überfahrt
Nu was den vrouwen zuo z' ir vart
mit Tristandes râte
ein kielkemenâte
nâch heinlîcher sache
gegeben zuo z' ir gemache.
dâ was diu küniginne
mit ir juncvrouwen inne
und mit in lützel kein man
wan underwîlen Tristan.
der gie wîlent dar în
und trôste die künigîn,
dâ si weinende saz.
die weinde unde clagete daz,
daz s' alsô von ir lande,
dâ sî die liute erkande,
und von ir vriunden allen schiet
und vuor mit der unkunden diet,
sine wiste war oder wie.
sô trôste sî Tristan ie,
sô er suozeste kunde.
ze iegelîcher stunde,
alse er zuo z' ir triure kam,
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„Kiele“ - meint Schiffe
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Den Frauen nach Tristans Rate
eine Schiffskemenate
zu Wohnung und Annehmlichkeit
in ihrem Kiele17 da bereit.
da hielt sich die Königinne
mit ihren Jungfrauen inne
und selten mit ihnen sonst ein Mann,
als unterweilen Herr Tristan.
Derselbe ging je und je dahin
und tröstete die Königin,
da sie in ihren Tränen saß.
Sie weinte und klagte ohn Unterlass,
daß sie also von ihrem Land,
da ihr die Leute wären bekannt,
und all ihren Freunden fliehe,
Mit fremdem Volk hinziehe
und wisse nicht, wohin, noch wie.
Da tröstete je Tristan sie
aus ganzem Herzensgrunde
zu jeder Zeit und Stunde,
So er zu ihrer Trauer kam.
Texte von Gottfried – 4. Abfahrt von Wexford, die Überfahrt, der Minnetrunk
zwischen sîn arme er si nam
vil suoze unde lîse
und niuwan in der wîse,
als ein man sîne vrouwen sol.
der getriuwe der versach sich wol,
daz er der schoenen waere
ein senfte zuo z' ir swaere.
und alse dicke als ez ergie,
daz er sîn arme an sî verlie,
sô gedâhte ie diu schoene Isôt
an ir oeheimes tôt
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zwischen die Arme er sie nahm
gar süße und gar leise,
und aber nur in der Weise,
wie ein Mann seine Herrin soll.
Der Getreue, der versah sich wohl,
daß er der Schönen wäre
ein Trost zu ihrer Schwere.
Und aber so oft, als es erging,
daß er mit Armen sie umfing,
so gedachte je die schöne Isot
an ihres Ohms Moroldens Tod
rechts: Schloß Langeais
weiter: http://www.gellhardt.de/tristan/tristan03.pdf
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