die Krankheit am Entstehen schon zu hindern

EDITORIAL
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Gesundheitsberatung in der Hausarztpraxis
«… die Krankheit am Entstehen
schon zu hindern …»
Prof. Dr. med. Andreas Zeller
Leiter, Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel, Kantonsspital Baselland, Liestal
Die erste Hygieneprofessur
«Die Kunst zu heilen kann viele Leiden lindern, doch
schöner ist die Kunst, die es versteht, die Krankheit am
Entstehen schon zu hindern.»
Diesen zeitlosen Satz schrieb Max von Pettenkofer
(1818–1901), ein bayerischer Bauernsohn, der 1843 an der
Universität München eine Promotion zum Doktor der
Gesundheitswesen sowohl auf internationaler (z.B.
WHO [1]) als auch nationaler (z.B. BAG [2]) Ebene dem
Ziel der Gesundheitserhaltung bzw. -förderung. Strate­
gien zur Krankheitsprävention und zur Gesundheits­
förderung gewinnen neben den klassischen medizini­
schen Ansätzen der Krankheits­behandlung und der
­ edeutung.
Rehabili­tation zunehmend an B
Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe – und gleichzeitig
die Approbation als Apotheker erlangte. 1847 wurde er
zum Professor für medizinische Chemie ­berufen und
Prävention in der Sprechstunde
1865 zum ersten deutschen Professor für Hygiene. Pet­
Während es zu Zeiten von Max Pettenkofer zur Vermei­
tenkofer gilt als Begründer der experimentellen Hy­
dung von Krankheiten vor allem darum ging, externe
giene. Als 1854 in München die Cholera ausbrach,
Einflüsse zu reduzieren bzw. zu eliminieren, wurden
machte er es sich zur Aufgabe, deren Verbreitungsweg
später psychische und soziale Aspekte sowie ein ge­
zu untersuchen. Pettenkofer erkannte den Zusammen­
sunder Lebensstil zunehmend wichtiger. Den Patienten
hang zwischen schlechten hygienischen Bedingungen
kommt eine grössere aktive Rolle bei der Erhaltung
und der Ausbreitung von Seuchen, vertrat dabei aller­
und Förderung ihrer eigenen Gesundheit zu. Ihr Ge­
dings die Ansicht, dass für die Krankheitsentstehung
sundheitsverhalten rückt damit in den Fokus der ärzt­
die Beschaffenheit von Boden und Grundwasser von
lichen Tätigkeit. Die Beratung gehört insbesondere in
grösserer Bedeutung sei als das Vorhandensein von
der Grund­versorgung immer mehr in den medizi­
Krankheitserregern. Auf sein Drängen hin wurden in
nischen Aufgabenbereich. Das Ziel dieser ärztlichen
München ein Abwassersystem und eine zentrale Trink­
Gesundheits­beratung ist, die Patienten durch Vermitt­
wasserversorgung eingeführt. Viele europäische Städte
lung von relevanten Informationen zu einem gesunden
folgten bald darauf diesem Beispiel. Für seine Ver­
Lebensstil zu motivieren und zu führen. Ideal ist es,
dienste wurde Pettenkofer der Erbadel verliehen.
wenn der Patient in dieser therapeutischen Allianz als
engagierter und mitdenkender Partner fungiert.
Gesundheitserhaltung heute
Andreas Zeller
In der manchmal hektischen hausärztlichen Sprech­
stunde spielt in diesem Zusammenhang der Faktor
Cholera-Epidemien als klassisches Beispiel für über­
Zeit eine absolut entscheidende Rolle. In einer interes­
tragbare Krankheiten (communicable diseases) stehen
santen Studie stellten sich Yarnall et al. [3] die Frage,
heute zumindest in unseren Breitengraden zum Glück
welchen zeitlichen Anteil ein präventives Beratungs­
nicht mehr im Vordergrund. Heutzutage dominieren
gespräch im Rahmen einer hausärztlichen Konsulta­
in den industrialisierten Ländern chronisch verlau­
tion (theoretisch) einnehmen würde, wenn ein Haus­
fende, nicht übertragbare (non-communicable) Erkran­
arzt alle Empfehlungen der U.S. Preventive Services Task
kungen wie Herz-Kreislauf-Krankheiten, die chronisch
Force (USPSTF) zum Thema Prävention berücksichtigen
obstruktive Lungenerkrankung, Krebs oder Diabetes.
würde. Die Autoren kamen zum Schluss, dass ein Haus­
Gesundheit gilt als eine der zentralen Voraussetzungen
arzt für diese Gespräche 7,4 Stunden pro Tag aufwenden
für ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben. Gesund
müsste … Zur Entschärfung dieser Problematik dis­
zu sein und zu bleiben ist ein Leit­gedanke. Die Gesund­
kutieren Yarnall et al. eine Verlängerung der Konsulta­
heit der Individuen ist eine der wichtigsten Grund­
tionsdauer oder den Einsatz von speziell ausgebildetem
bedingungen für soziale, wirtschaftliche und kulturelle
nicht-ärztlichen Personal.
Entwicklung und das Wohlbefinden von Populatio­
Hier in der Schweiz sind solche Lösungsansätze im
nen. Daher widmen sich verschiedene Akteure im
Lichte des manifesten Hausarztmangels [4] und der
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(43):907–908
Editorial
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Problematik der Honorierung von nicht-ärztlichen
tente, zeitlich effiziente und in der Praxis machbare
Leistungen in der Hausarztpraxis weiterhin mit
Gesundheitsberatung vertiefen können. Alle Pro­
Schwierigkeiten verbunden. Deshalb brauchen wir für
gramme sind für das Schweizer Gesundheitswesen
die Beratung zum Thema Prävention «Werkzeuge», mit
konzipiert und grösstenteils im klinischen Alltag be­
denen den Patienten das geforderte Wissen zielführend,
reits erfolgreich in Anwendung. Wichtig ist auch die
(zeitlich) hocheffizient und machbar vermittelt werden
Tatsache, dass die Programme wissenschaftlich eva­
kann.
luiert werden, so dass zeitnahe Massnahmen zur Op­
timierung der Anwendung in der Sprechstunde getrof­
Praxisnahe Lösungen
Korrespondenz
Eine hervorragende, zweiteilige Übersicht zum Thema
Prof. Dr. med.
«Gesundheitsberatung in der Hausarztpraxis» finden
Andreas Zeller MSc
Leiter, Universitäres Zentrum
Sie in dieser und der nächsten Nummer des Swiss
für Hausarztmedizin
­Medical Forum. Im Fokus stehen die Kernkonzepte
beider Basel
Kantonsspital Baselland
von entsprechenden Interventionen und eine praxis­
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CH-4410 Liestal
andreas.zeller[at]unibas.ch
www.ihamb.unibas.ch
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fen werden können.
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sche Ihnen eine spannende und sorgenfreie Lektüre!
Literatur
1 http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs355/
2 http://www.bag.admin.ch/themen/medizin/00683/
3 Yamall KS, et al. Primary Care: is there enough time for prevention?
J Publ Health. 2003;93:635–41.
4 Zeller A, Tschudi P. Work-Force-Studie 2015: «Anamnese und Status»
bei Schweizer Hausärzten. Prim Hosp Care. 2016;16(15):277–80.