Interview mit Michael Simon Reis im Magazin

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Gutes ganz oben
Roter Mond
In Distelöl sanft gegarte Fjordforelle mit marinierter Rohkost von
Roter Mond-Apfel und Kohlrabi, Buttermilchbruch und Winterportulak
Fjordforelle: 400 g Fjordforellenfilet, 250 g Distelöl, 1 Sternanis,
Salz. Rohkost: 1 Kohlrabi, 1 Apfel
Roter Mond, 1 Chioggiarübe (Rote
Bete), Schale von 1 Limette, Distelöl,
Apfelbalsamessig, Salz. Buttermilchbruch: 1 l Buttermilch, 100 g Kohlrabi, 1/2 Bund Schnittlauch, Salz,
Limette. Molke: 200 ml Molke, 100 g
Topfen (0% Fett), 1 TL Wasabi,
1 Limette, Salz, Außerdem: eingelegte
Perlzwiebeln, Röstzwiebelcrumble,
Senfemulsion, Winterportulak
Folge 2
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ist das Motto des Johanns im fünften Stock des
Modehaus Garhammer in Waldkirchen nahe der
tschechischen Grenze. Für die Eröffnung ist Michael
Simon Reis im Jahr 2013 als Gastronomischer Leiter/
Küchenchef nach internationalen Stationen in seine
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Heimatstadt zurückgekehrt. Seine mehrfach ausgeu
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zeichnete Küche charakterisiert er mit den Attributen
Waldk
„Innovation & Tradition“. Das Johanns – benannt nach dem
Modehaus-Gründer Johann Garhammer – steht für eine Sterneküche aus überwiegend regionale Produkten in moderner, professioneller Zubereitung. Reis‘ Philosophie: „Gut kochen bedeutet, nicht sofort
aufzufallen, sondern lange im Gedächtnis der Menschen zu bleiben.“
Fjordforelle: Das Filet in 4 gleichgroße
Stücke schneiden. Distelöl und Sternanis
in eine kleine Pfanne geben und auf
etwa 55 °C erhitzen. Fjordforellenfilets
darin glasig garen, danach leicht salzen.
Rohkost: Kohlrabi, Apfel und Chioggiarübe schälen, auf der Aufschnittmaschine
in hauchdünne Scheiben schneiden.
Die Scheiben abwechselnd in eine Reihe
legen und mit Distelöl, Apfelessig und
Limettenschale marinieren.
Buttermilchbruch: Buttermilch in
einen kleinen Topf geben und langsam
zum Kochen bringen. Topf vom Herd
nehmen und kurz stehenlassen. Vorsich­
tig durch ein Stoffsieb passieren, damit
sich die Molke vom Bruch trennt. Molke
beiseitestellen. Kohlrabi schälen und
in feine Würfel schneiden. Buttermilch­
bruch und Kohlrabiwürfel vermischen,
mit fein geschnittenem Schnittlauch,
Salz und Limettenschale abschmecken.
Molke: Molke, Topfen, Schale und Saft
einer Limette und Wasabi verrühren.
Mit Salz abschmecken.
Sanft gegarte Fjordforelle
Genießen mit Blick ins Grüne:
Die Gäste im Johanns sind
oft Kunden des Modehaus
Garhammer, die gern die einbis zu zweistündige Anreise
aus München, Regensburg,
Nürnberg, Tschechien oder
Österreich in Kauf nehmen,
um hochwertige Markenkleidung einkaufen und danach
Sterneküche zu genießen
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chefs! | September 2016
Fotos: Norge / Thomas Ruhl – Port Culinaire / Modehaus Garhammer
mit Rübendickmilch, Zwiebel-Granola
und saurem Fenchel
M
it einem Restaurant im Kaufhaus
verbinden viele Schnitzel und Pom­
mes bzw. Bockwurst und Kartoffelsalat. Wie kommt ein kulinarisch anspruchs­
volles Restaurant wie das Johanns in die
oberste Etage des Modehaues Garhammer?
Michael Simon Reis: Es ist ein Phänomen unserer Zeit: Der stationäre Modehandel kann mit dem Onlinehandel oft
nicht mehr konkurrieren. Also gelingt
es nur über ein Gesamterlebnis, die Kunden ins Kaufhaus zu locken. Und das
geht im Garhammer beim Service los.
Die Männer werden platziert und bekommen ein Weißbier und eine Zeitung
zur Überbrückung, während ihre Frauen
ausgiebig in unseren Modemarkenwelten
shoppen. Wir haben eine Schneiderei,
die innerhalb weniger Stunden sämtliche
Änderungen umsetzt. Alle Getränke für
Kunden sind gratis.
chefs!: Aber muss dieses Servicekonzept
ein Sternerestaurant umfassen?
Reis: Es war die logische Konsequenz,
auch gastronomisch etwas Adäquates
anzubieten. Sterne und Auszeichnungen
waren dabei gar nicht im Visier. Es
ging vielmehr darum, das Servicepaket
abzurunden und die Aufenthaltsdauer
der Kunden im Haus zu verlängern. Die
Leute kommen von weiter her, sie reisen
am späten Vormittag an, kaufen ein und
haben dann Hunger. In Waldkirchen
gibt es kaum Möglichkeiten, auf einem
gewissen Niveau essen zu gehen. Hier
oben haben die Kunden nun die Möglichkeit, ein hochwertiges Businesslunch
einzunehmen. Unten im Kaufhaus gibt
es außerdem eine zentrale Café-Ecke mit
einem kleinen kulinarischen Angebot.
Dieses Hand in Hand von Mode und
Gastronomie ist in Deutschland nahezu
einzigartig. Lediglich Engelhorn in
Mannheim setzt ein ähnliches Konzept
auf hohem Niveau um.
chefs!: Waren Sie von Anfang an in die
Entstehung des Johanns eingebunden?
Reis: Ja, die Eröffnung war 2013. Aber
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Konzepte
Mit Bierhefe gebeizte Fjord­
forelle und fein geriebene
Geflügelleber mit ErdäpfelGurkensalat, Liebstöckelsenf,
Laugenbrioche
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Bierhefebeize: 200 g Salz, 200 g
Muscovadozucker, 80 g Bierhefe,
frisch, 1 TL Kümmel, ganz, 1 TL
Koriandersamen, 1 TL Muskatblüte, 1 Zweig Blattpetersilie, 400 g
Fjordforellenfilet mit Haut. Geflügelleber: 250 g Geflügelleber, gemischt
(Landhendl, Ente, Taube), 250 g
Butter, 2 Eier, 10 g weißer Portwein,
10 g Madeira, 10 g Süßwein, 10 g
Cognac, 8 g Pökelsalz, 5 g Quatre
Epices, 1 Lorbeerblatt, 1 Rosmarinzweig. Marinade: 50 g Apfelbalsamessig, 30 g Essiggurkenwasser,
100 g Rapsöl, 30 g Olivenöl, 30 g Limonenöl, 50 ml Geflügelfond, 1 TL
chefs! | September 2016
grober Senf, 1 TL geriebener Kren/
Meerrettich, 1 EL Ahornsirup, 1 g
Xanthana, Zitronenschale, Salz,
Cayennepfeffer. Erdäpfel-GurkenSalat: 1 große Kartoffel, festkochend,
2 Essiggurken, 1 Senfgurke, 100 g
Bierrettich, 1 Pfefferoni, rot, 1/2
Bund Schnittlauch. Liebstöckelsenf:
2 EL scharfer Senf, 1 EL süßer Senf,
3 Zweige Liebstöckel, 30 g Babyspinat, Kümmel, gemahlen, Zitronenschale. Laugenbrioche: 250 g Mehl,
15 g Salz, 15 g Zucker, 2 Eigelb, 1 Ei,
20 g Hefe, frisch, 50 g Butter, weich,
50 g Milch, 50 g Weißbier, verdünnte
Brezellauge, grobes Brezelsalz
„Ich habe den Geschmack
meiner Heimat definiert.
Was man beim Blick aus
dem Fenster sieht, soll man
auf dem Teller schmecken.“
Michael Simon Reis, Gastronomischer Leiter/
Küchenchef, Restaurant Johanns
Fotos: Norge / Thomas Ruhl – Port Culinaire / Modehaus Garhammer
Brotzeit
Bierhefebeize: Zutaten im Mixer
zerkleinern. Das entgrätete Fjord­
forellenfilet mit der Beize gründlich
einreiben und sanft vakuumieren.
Nach ca. acht Stunden Fisch aus
der Beize nehmen, abspülen und
mit einem scharfen Messer in dünne
Scheiben schneiden.
Geflügelleber: Butter mit Lorbeer
und Rosmarin in einem kleinen Topf
erwärmen und etwas ziehen lassen.
Die geputzte Geflügelleber mit Eiern
und Alkohol im Thermomix fein
mixen. Die Kräuter aus dem Topf
nehmen, die Butter langsam in die
Lebermasse einlaufen lassen, bis
eine homogene Masse entstanden
ist. Dann durch ein Spitzsieb pas­
sieren, mit Pökelsalz und Gewürzen
abschmecken. Lebermasse in einem
Beutel vakuumieren und bei 80 °C
ca. 40 Minuten dämpfen. Nach dem
Erkalten in längliche Stücke schnei­
den und einfrieren. Die gefrorenen
Stücke mit einer Trommelreibe fein
reiben. Sofort gut verschließen und
im Tiefkühler aufbewahren.
Marinade: Zutaten in ein hohes
Gefäß geben und mit dem Passier­
stab emulgieren. Mit den Gewürzen
pikant abschmecken.
Erdäpfel-Gurken-Salat: Die Kar­
toffeln schälen, in kleine Würfel
schneiden und in gesalzenem Wasser
bissfest garen. Abgießen und noch
lauwarm in die Marinade geben.
Bierrettich schälen und samt Gurken
und Pfefferoni in kleine Würfel
schneiden. Gemüsewürfel ebenfalls
zur Marinade geben, final geschnit­
tenen Schnittlauch unterrühren.
Liebstöckelsenf: Senf mit gezupf­
tem Liebstöckel und Spinat in der
Küchenmaschine fein mixen. Mit
gemahlenem Kümmel und Zitronen­
schale abschmecken.
Laugenbrioche: Milch, Butter und
Weißbier auf ca. 50 °C erwärmen
und die Hefe darin auflösen. Mehl,
Salz, Zucker und Eier in eine Rühr­
schüssel geben. Die warme Milch
darübergeben und zu einem glatten
Teig kneten. Zugedeckt an einem
warmen Ort etwa 45 Minuten
gehen lassen. Aus dem Teig kleine,
gleichgroße Kugeln formen und
nochmals für ca. 15 Minuten gehen
lassen. Mit Brezellauge bestreichen,
leicht salzen und bei 175 °C zirka
25 Minuten backen.
Getreidig, erdig,
leicht süßlich –
so schmeckt der
Bayerwald in der
Definition vom
Michael Simon
Reis. Er bringt
Produkte aus der
Region auf den
Tisch und verbindet dabei gekonnt
die Tradition
mit der Moderne
schon 2010 kam die Familie Huber auf
mich zu und präsentierte mir ihre Vision.
Ich komme aus Holzkirchen, bin hier
aufgewachsen und habe hier gelebt bis
zum Beginn der Kochausbildung. Danach
war ich europaweit unterwegs. Als das
Angebot kam, hatte ich gerade in Wien
ein Pädagogikstudium begonnen.
chefs!: Sie wollten also weg vom Herd und
Fachlehrer werden. Was hat überzeugt,
trotzdem aktiv weiterzukochen?
Reis: Ich habe genau hingehört und gemerkt, dass die Vision der Familie Huber
sich mit meinen Vorstellungen von einer
modernen Gastronomie deckt. Es ging
um ein hochwertiges Angebot für die
Kunden – und damit potenzielle Gäste,
die schon im Haus sind. Das hat mich
überzeugt. Noch ein Grund, warum ich
mich für hier entschieden habe: Ich bekam die Küchenplanung in die Hand. Ich
hatte den Grundriss und konnte auf unser
Konzept hin die Küche planen. Das Stu­
dium habe ich übrigens zu Ende geführt.
Während der Bauphase bin ich immer
wieder zwischen Wien und Waldkirchen
gependelt. Es war sehr spannend, das
Konzept zu erstellen und es dann auf der
Baustelle wachsen zu sehen.
chefs!: Das Restaurant ist weltstädtisch
eingerichtet, der Blick in den Bayerwald ist
eher ländlich. Wie passt das zusammen?
Reis: Der Ausblick gab den Ausschlag,
das Restaurant hier oben an diesem
Standort zu bauen. Wenn die Sonne
scheint und die Temperaturen stimmen,
öffnen wir die Terrasse. Oft ist es im
Bayerwald etwas neblig, aber auch das
hat seinen Charme.
chefs!: Was bedeutet die Lage des Johanns
für die Ausrichtung Ihrer Küche?
Reis: Ich habe das Konzept für die Küche
dem Standort untergeordnet. Was man
beim Blick aus dem Fenster sieht, soll
man – im übertragenen Sinne – auch auf
dem Teller schmecken. In diese Richtung
wurde ich durch meine Stationen als
Koch geprägt. Und ich bin überzeugt: Ein
asiatisches Konzept mit Zitronengras &
Co. fürs Johanns wäre gefloppt.
chefs!: Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Reis: Ich habe den Geschmack meiner Heimat definiert und kulinarisch inszeniert.
chefs!: Und, wie schmeckt der Bayerwald?
Reis: Getreidig, erdig, leicht süßlich.
Die Region ist sehr ländlich geprägt, es
gibt viele Bauernhöfe mit großer Milchwirtschaft. Joghurt, Frischkäse, Sahne
& Co. werden in den Familien oft noch
selbst hergestellt, indem die Rohmilch
zum Dicklegen auf den Kachelofen
gestellt wird. Dieses Wissen stirbt leider
immer mehr aus, aber hier ist es noch
verwurzelt. Auch das Wissen um den ursprünglichen Geschmack. Es gibt zudem
viel Getreide hier. Die Brotvielfalt in
den Bäckereien ist der Wahnsinn. Viele
unterschiedliche Getreidearten wachsen
hier, auch so besondere Sachen wie
Emmer oder Buchweizen.
chefs!: Sind die Produzenten leicht zu fin­
den und zudem bereit, die Sonderwünsche
der Gastronomie zu erfüllen?
Reis: Man muss sich ein bisschen umschauen, dann findet man sie. Es ist spannend als Koch mit seiner Küche an den
Geschmack der Menschen hier anzuknüpfen. Gleichwohl steht fest: Wir haben hier
zwar viele Gäste von weiter her, aber das
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Konzept darf nicht an den Menschen vor
Ort vorbeigehen, also zu abgehoben sein.
chefs!: Warum hat man sich für modernes
Interieur entschieden? Der Bayerwald sieht
für mich anders aus als das Johanns…
Reis: Architektur und Einrichtung sind
zwar modern, und das Johanns hat nichts
mit einer Bauernstube zu tun, aber die
verwendeten Materialien passen hierher.
Eichenholz, Glas, Stein, Leinen, Leder.
Die Glasfabrik Spiegelau liegt in der Nähe,
und es gibt viele Steinbrüche und Holz.
chefs!: Wie knüpfen Sie kulinarisch an die
Wurzeln der Region an?
Reis: Nur ein Beispiel: Wir kombinieren
klassisch Schwein und Kraut, bringen
das Gericht aber auf ein internationales
Niveau, kreativ und modern zubereitet.
Unser Slogan heißt nicht zuletzt deshalb
„Traditionen wertschätzen und würdigen,
aber durch Innovation überraschen“.
chefs!: Schwein ist also ein Thema,
welche anderen Produkte beziehen
Sie hier aus der Region?
Reis: Vor allem Fleisch. Ein Metzger hat zwei Schweine extra für
uns großgezogen. Wir nehmen das
gesamte Tier ab und verarbeiten
es. Darüber hinaus gibt es lokales
Rindfleisch, auch dry aged, und
für uns entscheidend. Unsere Philosophie: Ein Dry aged-Steak ist nett, aber
entscheidend ist, was gibt es dazu.
Eine raffinierte Beilage ist speziell bei
à la carte-Gerichten entscheidend, denn
wer 28 Euro für ein Hauptgericht zahlt,
möchte satt werden. Deshalb ist es für
uns eine einfache Sache, wenn ein Gast
vegetarisch isst. Wir können problemlos
Fisch oder Fleisch wegnehmen und
haben immer noch ein komplexes Gericht
mit unterschiedlichen Konsistenzen – es
wird nicht langweilig, weil Fleisch fehlt.
chefs!: Und welche Strategie fahren Sie
bei Fisch und Meeresfrüchten?
Reis: Wir haben so gut wie keinen
Salzwasserfisch auf der Karte. Ich kann
ihn zwar bestellen, aber der Weg hierher
ist lang, und das merkt man dann an der
Frische und Qualität. Aber das macht
auch etwas mit Schmunzeln zu tun hat.
Er hatte ein Zimmer voller Spielsachen.
Den spielerischen Akzent beim Kochen
habe ich mir abgeschaut: Beim Abendmenü nutzen wir kleine Wurzeln, eine
Art Mini-Wäscheleine oder einen Rechenschieber zum Anrichten unserer Snacks.
Und unsere Petits fours zum Kaffee werden auf einer Art Candy Store präsentiert.
chefs!: Das Johanns ist nun drei Jahre
am Markt. Stimmt die Auslastung?
Reis: Es geht beständig nach oben. Der
Stern und andere Auszeichnungen tragen
dazu bei, aber auch ein großes Kundenaufkommen im Modehaus. Das bedeutet
für uns automatisch ein volles Restaurant.
Das Johanns sorgt wiederum im Modehaus für Mehrumsatz, wenn jemand ein
tolles Mittagsessen hatte und beschwingt
weiter einkauft.
Tradition und Moderne
vereint Michael Simon
Reis auch in der zum
Gastraum offenen
Küche. Die Kochmütze
für Mitarbeiter UND
Chef ist obligatorisch
„Das Johanns hat nichts
mit einer Bauernstube zu
tun, aber die verwendeten
Materialien und Zutaten in
der Küche passen hierher.“
Fotos: Norge / Thomas Ruhl – Port Culinaire / Modehaus Garhammer
Michael Simon Reis, Gastronomischer Leiter/
Küchenchef, Restaurant Johanns
natürlich Kälber. Wir haben oft
Kalbsleber auf der Karte. Fleisch ist für
die Gäste hier in der Region sehr wichtig.
Natürlich kommen auch Vegetarier und
Veganer zu uns, und es fällt uns leicht, auf
ihre Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen.
chefs!: Warum? Viele Kollegen verfluchen
die Gäste, die fleischlos essen wollen…
Reis: Wir stellen unsere Soßen auf Basis
von Gemüsesäften her, die wir selbst mit
einem speziellen Entsafter aus den USA
herstellen, reduzieren und beispielsweise
mit Verjus und Apfelsaft weiterverarbeiten. Noch eine Spezialität unserer Küche:
Wenn wir ein neues Gericht entwickeln,
dreht sich alles um die Beilage, sprich
die Frage: Welches Gemüse? Dann erst
kommt Fisch oder Fleisch hinzu. Das ist
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chefs! | September 2016
ja nichts: Wer in den Bayerischen Wald
fährt, kommt nicht zum Salzwasserfischessen hierher. Auch im Süßwasserbereich
ist die Auswahl von Karpfen bis Stör groß,
und die Wege zu uns sind kürzer. Unser
Motto: Steinbutt sollen die Kollegen in
München machen, den kann ich hier so­
wieso nicht kalkulieren.
chefs!: War für Sie als Kind dieser ländlichursprünglichen Region eigentlich immer
klar, dass Sie in die Sterneküche gehen?
Reis: Ichhabe in einem gutbürgerlichen
Haus Koch gelernt. Nach dem Zivildienst
war für mich klar, dass es in Richtung
Sternegastronomie geht. Es war ein
bunter Weg, und von allen Stationen habe
ich etwas mitgenommen. Arzak hat mir
beispielsweise beigebracht, dass Essen
chefs!: Businesslunch, à la carte, großes
Menü – das ist ein großes Pensum für je
sieben Mitarbeiter in Küche und Service.
Reis: Das stimmt! Wir sind unter der
Woche zu viert in der Küche und Richtung
Wochenende zu fünft. Wir arbeiten im
Teildienst und müssen dafür sorgen,
dass die Arbeitszeit im Rahmen bleibt.
Ich kann mir trotzdem nicht erlauben, nur
ein Menü anzubieten, es muss auch eine
à la carte-Auswahl geben. Wir haben 60
Sitzplätze, machen keinen Betriebsurlaub,
wir haben sechs Tage die Woche geöffnet,
immer mit Mittags- und Abendservice.
Das Niveau unter diesen Rahmenbedingungen zu halten, ist anspruchsvoll.
chefs!: Was steht konkret auf der Karte
und wie sind die Speisen kalkuliert?
Michael Simon Reis (Jahrgang 1981) – Beruflicher Werdegang
Kochausbildung: Romantik Hotel „Die Bierhütte“, Hohenau
Berufliche Stationen nach der Ausbildung:
2002–2004: Restaurant „Brandstätter“, Salzburg (1 Michelin-Stern, 2 Hauben)
2004–2005: Restaurant „Johanna Maier“ Filzmoos/Österreich (2 Michelin-Sterne, 4 Hauben)
2005–2006: Restaurant „Villa Hammerschmiede“, Stuttgart
(1 Michelin-Stern)
2006–2007: Restaurant „Steirereck“, Wien
(2 Michelin-Sterne, 4 Hauben)
2008: Restaurant „Tristan“, Mallorca/Spanien
(2 Michelin-Sterne)
2008: Küchenmeisterkurs in Wien, Dipl. Abschluss mit Auszeichnung
2009: Restaurant „Arzak“, San Sebastian/Spanien (3 Michelin Sterne)
2008–2010: Restaurant „Es Fum“, St. Regis Mardavall, Mallorca/Spanien
(1 Michelin-Stern)
2010–2013: Pädagogikstudium Hochschule Wien
(Abschluss Bachelor of Education)
2010–2012: Kreativ- und Entwicklungsteam im Restaurant „Steirereck“ Wien
seit 09/2013: Gastronomischer Leiter/Küchenchef im Restaurant Johanns,Waldkirchen
Sonstiges:
2003–2005
Mitglied der Bayerischen Landesauswahl der Köche
2004–2005
Mitglied Jugendnationalmannschaft der Köche Deutschlands
2008: Ernennung zum GMC – Global Master Chef (WACS)
Auszeichnungen im Restaurant Johanns:
Guide Michelin 2016: 1 Stern
Gault Millau 2016: 16 Punkte
Reis: Mittags bieten wir einen Businesslunch mit drei Gängen für 35 Euro. Am
Abend gibt’s stattdessen das große Menü
mit vier bis sechs Gängen. Die beiden
à la carte-Angebote unter dem Motto
„Tradition und Innovation“ sind mittags
und abends gleich. Die Preisspanne reicht
von 14 Euro für die Vorspeisen bis maximal 32 Euro für die Hauptgänge. Der Preis
kann gerade hier bei uns in der Region
schnell zur Hemmschwelle werden. Doch
bei einem Menüpreis unter 100 Euro für
sechs Gänge inkl. Amuse bouches, PreDessert und Petits fours gilt es, klug einzukaufen, klug zu kalkulieren und die Ware
klug zu verarbeiten. Ein Sechs-Gang-Menü
für 85 Euro auf Sternelevel findet der Gast
anderswo so schnell nicht wieder.
chefs!: Wie begegnen Sie Schwellenangst?
Reis: Ich bin mir sicher, dass heute Mittag
80 Prozent unserer Gäste nicht bewusst
in einem Sternelokal gegessen haben.
Das steuern wir bewusst durch eine sehr
natürliche Art der Ansprache und Betreuung entgegen. Die Gäste kommen mit
Motorradhelm, Hund oder den Kindern
hier rein und werden freundlich aufgenommen. Erst später merken sie, dass sie
hier etwas Besonderes erfahren.
chefs!: Aber man muss sich ja erst mal
reintrauen, um das zu erfahren…
Reis: Am Anfang war es schon so, dass
manche Gäste die weißen Tischdecken
„Ein Sechs-Gang-Menü
auf Sternelevel für 85 Euro
findet man anderswo so
schnell nicht wieder. Da
muss man klug einkaufen.“
Michael Simon Reis, Gastronomischer Leiter/
Küchenchef, Restaurant Johanns
und den offenen Weinkeller sahen und
nicht so recht wussten, was von ihnen
erwartet wird. Nach dem zweiten Jahr
verstummte die Gerüchteküche im Dorf,
weil die Leute merkten, wie schön es bei
uns ist. Wir haben inzwischen, Gott sei
Dank, Gäste aus dem Ort und der Region.
Die sind ganz wichtig. Food-Touristen
halten ein Lokal nicht am Laufen. Es ist
von Vorteil, dass ich hier geboren wurde.
Viele lokale Gäste kommen zu uns, weil
sie wissen: „Da kocht der Michael, einer
von uns. Ich würde da nie reingehen,
wenn ich ihn nicht kennen würde.“
chefs!: Wie wichtig sind Auszeichnungen?
Reis: Bei uns steht der Gast im Mittelpunkt. Die Auszeichnungen schmeicheln
unserem Ego, bringen Food-Touristen
und Mitarbeiter in den Bayerischen Wald,
auch Auszubildende. Unsere jungen Leute
dürfen relativ früh Verantwortung über-
nehmen, etwa auf dem Gardemanger. Wir
bilden erfolgreich aus. Eine Auszubildende
hat vor kurzem mit Note eins abgeschlossen, als eine der Besten in ganz Bayern.
Wir haben lauter weibliche Azubis. Woran das liegt? Vielleicht am Chef! An der
Art und Weise, wie ich die Leute führe
und welcher Ton in der Küche herrscht.
Es ist kein Klima der Kontrolle, keines
von Angst und Druck. Und ich lege viel
Wert auf Eigenverantwortung. Auch das
motiviert junge Menschen.
chefs!: Welchen Stellenwert hat Technik?
Reis: Technik sorgt für Effizienz und
sichert die Qualität, aber es darf nicht
eindimensional werden. Wir haben
verschiedene Gartechniken im Menü: ein
geschmorter Gang, ein Sous vide-Gang,
ein gedünsteter Gang… Das macht den
Reiz des Kochens aus, und das macht das
Johanns aus. Noch ein Aspekt in dieser
Hinsicht: Sterneküche ist schwerlich mit
einem Neun-Stunden-Tag machbar. Aber
mit einer intelligenten Kombination aus
Technik, Mise en plase und einem klug
durchdachten Angebot kriegt man das hin.
Man muss heute keine Kartoffelgitter mehr
flechten. Man muss das Wissen, was man
auf den Teller bringt, mit dem Wissen, wie
lange man dafür braucht, verbinden. Und
wenn man Auszubildende in der Brigade
hat, darf man nicht über die Stränge
schlagen.
Interview: Sabine Romeis
September 2016 | chefs!
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