Konzepte Konzepte Chefs|Next Gutes ganz oben Roter Mond In Distelöl sanft gegarte Fjordforelle mit marinierter Rohkost von Roter Mond-Apfel und Kohlrabi, Buttermilchbruch und Winterportulak Fjordforelle: 400 g Fjordforellenfilet, 250 g Distelöl, 1 Sternanis, Salz. Rohkost: 1 Kohlrabi, 1 Apfel Roter Mond, 1 Chioggiarübe (Rote Bete), Schale von 1 Limette, Distelöl, Apfelbalsamessig, Salz. Buttermilchbruch: 1 l Buttermilch, 100 g Kohlrabi, 1/2 Bund Schnittlauch, Salz, Limette. Molke: 200 ml Molke, 100 g Topfen (0% Fett), 1 TL Wasabi, 1 Limette, Salz, Außerdem: eingelegte Perlzwiebeln, Röstzwiebelcrumble, Senfemulsion, Winterportulak Folge 2 l e a h c Mi s i e R n Simo ist das Motto des Johanns im fünften Stock des Modehaus Garhammer in Waldkirchen nahe der tschechischen Grenze. Für die Eröffnung ist Michael Simon Reis im Jahr 2013 als Gastronomischer Leiter/ Küchenchef nach internationalen Stationen in seine nns nt Joha a r Heimatstadt zurückgekehrt. Seine mehrfach ausgeu a t Res irchen zeichnete Küche charakterisiert er mit den Attributen Waldk „Innovation & Tradition“. Das Johanns – benannt nach dem Modehaus-Gründer Johann Garhammer – steht für eine Sterneküche aus überwiegend regionale Produkten in moderner, professioneller Zubereitung. Reis‘ Philosophie: „Gut kochen bedeutet, nicht sofort aufzufallen, sondern lange im Gedächtnis der Menschen zu bleiben.“ Fjordforelle: Das Filet in 4 gleichgroße Stücke schneiden. Distelöl und Sternanis in eine kleine Pfanne geben und auf etwa 55 °C erhitzen. Fjordforellenfilets darin glasig garen, danach leicht salzen. Rohkost: Kohlrabi, Apfel und Chioggiarübe schälen, auf der Aufschnittmaschine in hauchdünne Scheiben schneiden. Die Scheiben abwechselnd in eine Reihe legen und mit Distelöl, Apfelessig und Limettenschale marinieren. Buttermilchbruch: Buttermilch in einen kleinen Topf geben und langsam zum Kochen bringen. Topf vom Herd nehmen und kurz stehenlassen. Vorsich tig durch ein Stoffsieb passieren, damit sich die Molke vom Bruch trennt. Molke beiseitestellen. Kohlrabi schälen und in feine Würfel schneiden. Buttermilch bruch und Kohlrabiwürfel vermischen, mit fein geschnittenem Schnittlauch, Salz und Limettenschale abschmecken. Molke: Molke, Topfen, Schale und Saft einer Limette und Wasabi verrühren. Mit Salz abschmecken. Sanft gegarte Fjordforelle Genießen mit Blick ins Grüne: Die Gäste im Johanns sind oft Kunden des Modehaus Garhammer, die gern die einbis zu zweistündige Anreise aus München, Regensburg, Nürnberg, Tschechien oder Österreich in Kauf nehmen, um hochwertige Markenkleidung einkaufen und danach Sterneküche zu genießen 56 chefs! | September 2016 Fotos: Norge / Thomas Ruhl – Port Culinaire / Modehaus Garhammer mit Rübendickmilch, Zwiebel-Granola und saurem Fenchel M it einem Restaurant im Kaufhaus verbinden viele Schnitzel und Pom mes bzw. Bockwurst und Kartoffelsalat. Wie kommt ein kulinarisch anspruchs volles Restaurant wie das Johanns in die oberste Etage des Modehaues Garhammer? Michael Simon Reis: Es ist ein Phänomen unserer Zeit: Der stationäre Modehandel kann mit dem Onlinehandel oft nicht mehr konkurrieren. Also gelingt es nur über ein Gesamterlebnis, die Kunden ins Kaufhaus zu locken. Und das geht im Garhammer beim Service los. Die Männer werden platziert und bekommen ein Weißbier und eine Zeitung zur Überbrückung, während ihre Frauen ausgiebig in unseren Modemarkenwelten shoppen. Wir haben eine Schneiderei, die innerhalb weniger Stunden sämtliche Änderungen umsetzt. Alle Getränke für Kunden sind gratis. chefs!: Aber muss dieses Servicekonzept ein Sternerestaurant umfassen? Reis: Es war die logische Konsequenz, auch gastronomisch etwas Adäquates anzubieten. Sterne und Auszeichnungen waren dabei gar nicht im Visier. Es ging vielmehr darum, das Servicepaket abzurunden und die Aufenthaltsdauer der Kunden im Haus zu verlängern. Die Leute kommen von weiter her, sie reisen am späten Vormittag an, kaufen ein und haben dann Hunger. In Waldkirchen gibt es kaum Möglichkeiten, auf einem gewissen Niveau essen zu gehen. Hier oben haben die Kunden nun die Möglichkeit, ein hochwertiges Businesslunch einzunehmen. Unten im Kaufhaus gibt es außerdem eine zentrale Café-Ecke mit einem kleinen kulinarischen Angebot. Dieses Hand in Hand von Mode und Gastronomie ist in Deutschland nahezu einzigartig. Lediglich Engelhorn in Mannheim setzt ein ähnliches Konzept auf hohem Niveau um. chefs!: Waren Sie von Anfang an in die Entstehung des Johanns eingebunden? Reis: Ja, die Eröffnung war 2013. Aber September 2016 | chefs! 57 Konzepte Mit Bierhefe gebeizte Fjord forelle und fein geriebene Geflügelleber mit ErdäpfelGurkensalat, Liebstöckelsenf, Laugenbrioche 58 Bierhefebeize: 200 g Salz, 200 g Muscovadozucker, 80 g Bierhefe, frisch, 1 TL Kümmel, ganz, 1 TL Koriandersamen, 1 TL Muskatblüte, 1 Zweig Blattpetersilie, 400 g Fjordforellenfilet mit Haut. Geflügelleber: 250 g Geflügelleber, gemischt (Landhendl, Ente, Taube), 250 g Butter, 2 Eier, 10 g weißer Portwein, 10 g Madeira, 10 g Süßwein, 10 g Cognac, 8 g Pökelsalz, 5 g Quatre Epices, 1 Lorbeerblatt, 1 Rosmarinzweig. Marinade: 50 g Apfelbalsamessig, 30 g Essiggurkenwasser, 100 g Rapsöl, 30 g Olivenöl, 30 g Limonenöl, 50 ml Geflügelfond, 1 TL chefs! | September 2016 grober Senf, 1 TL geriebener Kren/ Meerrettich, 1 EL Ahornsirup, 1 g Xanthana, Zitronenschale, Salz, Cayennepfeffer. Erdäpfel-GurkenSalat: 1 große Kartoffel, festkochend, 2 Essiggurken, 1 Senfgurke, 100 g Bierrettich, 1 Pfefferoni, rot, 1/2 Bund Schnittlauch. Liebstöckelsenf: 2 EL scharfer Senf, 1 EL süßer Senf, 3 Zweige Liebstöckel, 30 g Babyspinat, Kümmel, gemahlen, Zitronenschale. Laugenbrioche: 250 g Mehl, 15 g Salz, 15 g Zucker, 2 Eigelb, 1 Ei, 20 g Hefe, frisch, 50 g Butter, weich, 50 g Milch, 50 g Weißbier, verdünnte Brezellauge, grobes Brezelsalz „Ich habe den Geschmack meiner Heimat definiert. Was man beim Blick aus dem Fenster sieht, soll man auf dem Teller schmecken.“ Michael Simon Reis, Gastronomischer Leiter/ Küchenchef, Restaurant Johanns Fotos: Norge / Thomas Ruhl – Port Culinaire / Modehaus Garhammer Brotzeit Bierhefebeize: Zutaten im Mixer zerkleinern. Das entgrätete Fjord forellenfilet mit der Beize gründlich einreiben und sanft vakuumieren. Nach ca. acht Stunden Fisch aus der Beize nehmen, abspülen und mit einem scharfen Messer in dünne Scheiben schneiden. Geflügelleber: Butter mit Lorbeer und Rosmarin in einem kleinen Topf erwärmen und etwas ziehen lassen. Die geputzte Geflügelleber mit Eiern und Alkohol im Thermomix fein mixen. Die Kräuter aus dem Topf nehmen, die Butter langsam in die Lebermasse einlaufen lassen, bis eine homogene Masse entstanden ist. Dann durch ein Spitzsieb pas sieren, mit Pökelsalz und Gewürzen abschmecken. Lebermasse in einem Beutel vakuumieren und bei 80 °C ca. 40 Minuten dämpfen. Nach dem Erkalten in längliche Stücke schnei den und einfrieren. Die gefrorenen Stücke mit einer Trommelreibe fein reiben. Sofort gut verschließen und im Tiefkühler aufbewahren. Marinade: Zutaten in ein hohes Gefäß geben und mit dem Passier stab emulgieren. Mit den Gewürzen pikant abschmecken. Erdäpfel-Gurken-Salat: Die Kar toffeln schälen, in kleine Würfel schneiden und in gesalzenem Wasser bissfest garen. Abgießen und noch lauwarm in die Marinade geben. Bierrettich schälen und samt Gurken und Pfefferoni in kleine Würfel schneiden. Gemüsewürfel ebenfalls zur Marinade geben, final geschnit tenen Schnittlauch unterrühren. Liebstöckelsenf: Senf mit gezupf tem Liebstöckel und Spinat in der Küchenmaschine fein mixen. Mit gemahlenem Kümmel und Zitronen schale abschmecken. Laugenbrioche: Milch, Butter und Weißbier auf ca. 50 °C erwärmen und die Hefe darin auflösen. Mehl, Salz, Zucker und Eier in eine Rühr schüssel geben. Die warme Milch darübergeben und zu einem glatten Teig kneten. Zugedeckt an einem warmen Ort etwa 45 Minuten gehen lassen. Aus dem Teig kleine, gleichgroße Kugeln formen und nochmals für ca. 15 Minuten gehen lassen. Mit Brezellauge bestreichen, leicht salzen und bei 175 °C zirka 25 Minuten backen. Getreidig, erdig, leicht süßlich – so schmeckt der Bayerwald in der Definition vom Michael Simon Reis. Er bringt Produkte aus der Region auf den Tisch und verbindet dabei gekonnt die Tradition mit der Moderne schon 2010 kam die Familie Huber auf mich zu und präsentierte mir ihre Vision. Ich komme aus Holzkirchen, bin hier aufgewachsen und habe hier gelebt bis zum Beginn der Kochausbildung. Danach war ich europaweit unterwegs. Als das Angebot kam, hatte ich gerade in Wien ein Pädagogikstudium begonnen. chefs!: Sie wollten also weg vom Herd und Fachlehrer werden. Was hat überzeugt, trotzdem aktiv weiterzukochen? Reis: Ich habe genau hingehört und gemerkt, dass die Vision der Familie Huber sich mit meinen Vorstellungen von einer modernen Gastronomie deckt. Es ging um ein hochwertiges Angebot für die Kunden – und damit potenzielle Gäste, die schon im Haus sind. Das hat mich überzeugt. Noch ein Grund, warum ich mich für hier entschieden habe: Ich bekam die Küchenplanung in die Hand. Ich hatte den Grundriss und konnte auf unser Konzept hin die Küche planen. Das Stu dium habe ich übrigens zu Ende geführt. Während der Bauphase bin ich immer wieder zwischen Wien und Waldkirchen gependelt. Es war sehr spannend, das Konzept zu erstellen und es dann auf der Baustelle wachsen zu sehen. chefs!: Das Restaurant ist weltstädtisch eingerichtet, der Blick in den Bayerwald ist eher ländlich. Wie passt das zusammen? Reis: Der Ausblick gab den Ausschlag, das Restaurant hier oben an diesem Standort zu bauen. Wenn die Sonne scheint und die Temperaturen stimmen, öffnen wir die Terrasse. Oft ist es im Bayerwald etwas neblig, aber auch das hat seinen Charme. chefs!: Was bedeutet die Lage des Johanns für die Ausrichtung Ihrer Küche? Reis: Ich habe das Konzept für die Küche dem Standort untergeordnet. Was man beim Blick aus dem Fenster sieht, soll man – im übertragenen Sinne – auch auf dem Teller schmecken. In diese Richtung wurde ich durch meine Stationen als Koch geprägt. Und ich bin überzeugt: Ein asiatisches Konzept mit Zitronengras & Co. fürs Johanns wäre gefloppt. chefs!: Wie sind Sie dabei vorgegangen? Reis: Ich habe den Geschmack meiner Heimat definiert und kulinarisch inszeniert. chefs!: Und, wie schmeckt der Bayerwald? Reis: Getreidig, erdig, leicht süßlich. Die Region ist sehr ländlich geprägt, es gibt viele Bauernhöfe mit großer Milchwirtschaft. Joghurt, Frischkäse, Sahne & Co. werden in den Familien oft noch selbst hergestellt, indem die Rohmilch zum Dicklegen auf den Kachelofen gestellt wird. Dieses Wissen stirbt leider immer mehr aus, aber hier ist es noch verwurzelt. Auch das Wissen um den ursprünglichen Geschmack. Es gibt zudem viel Getreide hier. Die Brotvielfalt in den Bäckereien ist der Wahnsinn. Viele unterschiedliche Getreidearten wachsen hier, auch so besondere Sachen wie Emmer oder Buchweizen. chefs!: Sind die Produzenten leicht zu fin den und zudem bereit, die Sonderwünsche der Gastronomie zu erfüllen? Reis: Man muss sich ein bisschen umschauen, dann findet man sie. Es ist spannend als Koch mit seiner Küche an den Geschmack der Menschen hier anzuknüpfen. Gleichwohl steht fest: Wir haben hier zwar viele Gäste von weiter her, aber das September 2016 | chefs! 59 Konzepte Konzept darf nicht an den Menschen vor Ort vorbeigehen, also zu abgehoben sein. chefs!: Warum hat man sich für modernes Interieur entschieden? Der Bayerwald sieht für mich anders aus als das Johanns… Reis: Architektur und Einrichtung sind zwar modern, und das Johanns hat nichts mit einer Bauernstube zu tun, aber die verwendeten Materialien passen hierher. Eichenholz, Glas, Stein, Leinen, Leder. Die Glasfabrik Spiegelau liegt in der Nähe, und es gibt viele Steinbrüche und Holz. chefs!: Wie knüpfen Sie kulinarisch an die Wurzeln der Region an? Reis: Nur ein Beispiel: Wir kombinieren klassisch Schwein und Kraut, bringen das Gericht aber auf ein internationales Niveau, kreativ und modern zubereitet. Unser Slogan heißt nicht zuletzt deshalb „Traditionen wertschätzen und würdigen, aber durch Innovation überraschen“. chefs!: Schwein ist also ein Thema, welche anderen Produkte beziehen Sie hier aus der Region? Reis: Vor allem Fleisch. Ein Metzger hat zwei Schweine extra für uns großgezogen. Wir nehmen das gesamte Tier ab und verarbeiten es. Darüber hinaus gibt es lokales Rindfleisch, auch dry aged, und für uns entscheidend. Unsere Philosophie: Ein Dry aged-Steak ist nett, aber entscheidend ist, was gibt es dazu. Eine raffinierte Beilage ist speziell bei à la carte-Gerichten entscheidend, denn wer 28 Euro für ein Hauptgericht zahlt, möchte satt werden. Deshalb ist es für uns eine einfache Sache, wenn ein Gast vegetarisch isst. Wir können problemlos Fisch oder Fleisch wegnehmen und haben immer noch ein komplexes Gericht mit unterschiedlichen Konsistenzen – es wird nicht langweilig, weil Fleisch fehlt. chefs!: Und welche Strategie fahren Sie bei Fisch und Meeresfrüchten? Reis: Wir haben so gut wie keinen Salzwasserfisch auf der Karte. Ich kann ihn zwar bestellen, aber der Weg hierher ist lang, und das merkt man dann an der Frische und Qualität. Aber das macht auch etwas mit Schmunzeln zu tun hat. Er hatte ein Zimmer voller Spielsachen. Den spielerischen Akzent beim Kochen habe ich mir abgeschaut: Beim Abendmenü nutzen wir kleine Wurzeln, eine Art Mini-Wäscheleine oder einen Rechenschieber zum Anrichten unserer Snacks. Und unsere Petits fours zum Kaffee werden auf einer Art Candy Store präsentiert. chefs!: Das Johanns ist nun drei Jahre am Markt. Stimmt die Auslastung? Reis: Es geht beständig nach oben. Der Stern und andere Auszeichnungen tragen dazu bei, aber auch ein großes Kundenaufkommen im Modehaus. Das bedeutet für uns automatisch ein volles Restaurant. Das Johanns sorgt wiederum im Modehaus für Mehrumsatz, wenn jemand ein tolles Mittagsessen hatte und beschwingt weiter einkauft. Tradition und Moderne vereint Michael Simon Reis auch in der zum Gastraum offenen Küche. Die Kochmütze für Mitarbeiter UND Chef ist obligatorisch „Das Johanns hat nichts mit einer Bauernstube zu tun, aber die verwendeten Materialien und Zutaten in der Küche passen hierher.“ Fotos: Norge / Thomas Ruhl – Port Culinaire / Modehaus Garhammer Michael Simon Reis, Gastronomischer Leiter/ Küchenchef, Restaurant Johanns natürlich Kälber. Wir haben oft Kalbsleber auf der Karte. Fleisch ist für die Gäste hier in der Region sehr wichtig. Natürlich kommen auch Vegetarier und Veganer zu uns, und es fällt uns leicht, auf ihre Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. chefs!: Warum? Viele Kollegen verfluchen die Gäste, die fleischlos essen wollen… Reis: Wir stellen unsere Soßen auf Basis von Gemüsesäften her, die wir selbst mit einem speziellen Entsafter aus den USA herstellen, reduzieren und beispielsweise mit Verjus und Apfelsaft weiterverarbeiten. Noch eine Spezialität unserer Küche: Wenn wir ein neues Gericht entwickeln, dreht sich alles um die Beilage, sprich die Frage: Welches Gemüse? Dann erst kommt Fisch oder Fleisch hinzu. Das ist 60 chefs! | September 2016 ja nichts: Wer in den Bayerischen Wald fährt, kommt nicht zum Salzwasserfischessen hierher. Auch im Süßwasserbereich ist die Auswahl von Karpfen bis Stör groß, und die Wege zu uns sind kürzer. Unser Motto: Steinbutt sollen die Kollegen in München machen, den kann ich hier so wieso nicht kalkulieren. chefs!: War für Sie als Kind dieser ländlichursprünglichen Region eigentlich immer klar, dass Sie in die Sterneküche gehen? Reis: Ichhabe in einem gutbürgerlichen Haus Koch gelernt. Nach dem Zivildienst war für mich klar, dass es in Richtung Sternegastronomie geht. Es war ein bunter Weg, und von allen Stationen habe ich etwas mitgenommen. Arzak hat mir beispielsweise beigebracht, dass Essen chefs!: Businesslunch, à la carte, großes Menü – das ist ein großes Pensum für je sieben Mitarbeiter in Küche und Service. Reis: Das stimmt! Wir sind unter der Woche zu viert in der Küche und Richtung Wochenende zu fünft. Wir arbeiten im Teildienst und müssen dafür sorgen, dass die Arbeitszeit im Rahmen bleibt. Ich kann mir trotzdem nicht erlauben, nur ein Menü anzubieten, es muss auch eine à la carte-Auswahl geben. Wir haben 60 Sitzplätze, machen keinen Betriebsurlaub, wir haben sechs Tage die Woche geöffnet, immer mit Mittags- und Abendservice. Das Niveau unter diesen Rahmenbedingungen zu halten, ist anspruchsvoll. chefs!: Was steht konkret auf der Karte und wie sind die Speisen kalkuliert? Michael Simon Reis (Jahrgang 1981) – Beruflicher Werdegang Kochausbildung: Romantik Hotel „Die Bierhütte“, Hohenau Berufliche Stationen nach der Ausbildung: 2002–2004: Restaurant „Brandstätter“, Salzburg (1 Michelin-Stern, 2 Hauben) 2004–2005: Restaurant „Johanna Maier“ Filzmoos/Österreich (2 Michelin-Sterne, 4 Hauben) 2005–2006: Restaurant „Villa Hammerschmiede“, Stuttgart (1 Michelin-Stern) 2006–2007: Restaurant „Steirereck“, Wien (2 Michelin-Sterne, 4 Hauben) 2008: Restaurant „Tristan“, Mallorca/Spanien (2 Michelin-Sterne) 2008: Küchenmeisterkurs in Wien, Dipl. Abschluss mit Auszeichnung 2009: Restaurant „Arzak“, San Sebastian/Spanien (3 Michelin Sterne) 2008–2010: Restaurant „Es Fum“, St. Regis Mardavall, Mallorca/Spanien (1 Michelin-Stern) 2010–2013: Pädagogikstudium Hochschule Wien (Abschluss Bachelor of Education) 2010–2012: Kreativ- und Entwicklungsteam im Restaurant „Steirereck“ Wien seit 09/2013: Gastronomischer Leiter/Küchenchef im Restaurant Johanns,Waldkirchen Sonstiges: 2003–2005 Mitglied der Bayerischen Landesauswahl der Köche 2004–2005 Mitglied Jugendnationalmannschaft der Köche Deutschlands 2008: Ernennung zum GMC – Global Master Chef (WACS) Auszeichnungen im Restaurant Johanns: Guide Michelin 2016: 1 Stern Gault Millau 2016: 16 Punkte Reis: Mittags bieten wir einen Businesslunch mit drei Gängen für 35 Euro. Am Abend gibt’s stattdessen das große Menü mit vier bis sechs Gängen. Die beiden à la carte-Angebote unter dem Motto „Tradition und Innovation“ sind mittags und abends gleich. Die Preisspanne reicht von 14 Euro für die Vorspeisen bis maximal 32 Euro für die Hauptgänge. Der Preis kann gerade hier bei uns in der Region schnell zur Hemmschwelle werden. Doch bei einem Menüpreis unter 100 Euro für sechs Gänge inkl. Amuse bouches, PreDessert und Petits fours gilt es, klug einzukaufen, klug zu kalkulieren und die Ware klug zu verarbeiten. Ein Sechs-Gang-Menü für 85 Euro auf Sternelevel findet der Gast anderswo so schnell nicht wieder. chefs!: Wie begegnen Sie Schwellenangst? Reis: Ich bin mir sicher, dass heute Mittag 80 Prozent unserer Gäste nicht bewusst in einem Sternelokal gegessen haben. Das steuern wir bewusst durch eine sehr natürliche Art der Ansprache und Betreuung entgegen. Die Gäste kommen mit Motorradhelm, Hund oder den Kindern hier rein und werden freundlich aufgenommen. Erst später merken sie, dass sie hier etwas Besonderes erfahren. chefs!: Aber man muss sich ja erst mal reintrauen, um das zu erfahren… Reis: Am Anfang war es schon so, dass manche Gäste die weißen Tischdecken „Ein Sechs-Gang-Menü auf Sternelevel für 85 Euro findet man anderswo so schnell nicht wieder. Da muss man klug einkaufen.“ Michael Simon Reis, Gastronomischer Leiter/ Küchenchef, Restaurant Johanns und den offenen Weinkeller sahen und nicht so recht wussten, was von ihnen erwartet wird. Nach dem zweiten Jahr verstummte die Gerüchteküche im Dorf, weil die Leute merkten, wie schön es bei uns ist. Wir haben inzwischen, Gott sei Dank, Gäste aus dem Ort und der Region. Die sind ganz wichtig. Food-Touristen halten ein Lokal nicht am Laufen. Es ist von Vorteil, dass ich hier geboren wurde. Viele lokale Gäste kommen zu uns, weil sie wissen: „Da kocht der Michael, einer von uns. Ich würde da nie reingehen, wenn ich ihn nicht kennen würde.“ chefs!: Wie wichtig sind Auszeichnungen? Reis: Bei uns steht der Gast im Mittelpunkt. Die Auszeichnungen schmeicheln unserem Ego, bringen Food-Touristen und Mitarbeiter in den Bayerischen Wald, auch Auszubildende. Unsere jungen Leute dürfen relativ früh Verantwortung über- nehmen, etwa auf dem Gardemanger. Wir bilden erfolgreich aus. Eine Auszubildende hat vor kurzem mit Note eins abgeschlossen, als eine der Besten in ganz Bayern. Wir haben lauter weibliche Azubis. Woran das liegt? Vielleicht am Chef! An der Art und Weise, wie ich die Leute führe und welcher Ton in der Küche herrscht. Es ist kein Klima der Kontrolle, keines von Angst und Druck. Und ich lege viel Wert auf Eigenverantwortung. Auch das motiviert junge Menschen. chefs!: Welchen Stellenwert hat Technik? Reis: Technik sorgt für Effizienz und sichert die Qualität, aber es darf nicht eindimensional werden. Wir haben verschiedene Gartechniken im Menü: ein geschmorter Gang, ein Sous vide-Gang, ein gedünsteter Gang… Das macht den Reiz des Kochens aus, und das macht das Johanns aus. Noch ein Aspekt in dieser Hinsicht: Sterneküche ist schwerlich mit einem Neun-Stunden-Tag machbar. Aber mit einer intelligenten Kombination aus Technik, Mise en plase und einem klug durchdachten Angebot kriegt man das hin. Man muss heute keine Kartoffelgitter mehr flechten. Man muss das Wissen, was man auf den Teller bringt, mit dem Wissen, wie lange man dafür braucht, verbinden. Und wenn man Auszubildende in der Brigade hat, darf man nicht über die Stränge schlagen. Interview: Sabine Romeis September 2016 | chefs! 61
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