Wissenschaft PARIS 2050 Grün, umweltfreundlich – und hypermodern: Der Architekt Vincent Callebaut visioniert Frankreichs Hauptstadt als Prototyp einer ganz neuen Städtegeneration 20 ILLUSTRATIONEN UND FOTO: VINCENT CALLEBAUT ARCHITECTURES – WWW.VINCENT.CALLEBAUT.ORG Computerprogramme sollen bald unseren Alltag regeln, intelligente Häuser unser Leben erleichtern. Doch die KOMPLETTE VERNETZUNG der Smart Citys birgt auch Risiken assermassen stürzen von Hochhaus spitzen hundert Meter in die Tiefe und treiben Generatoren an. Große Gebäude sind mit einer biologischen Haut über zogen, in der Millionen von Mikroalgen leben, die Energie spenden. Zahlreiche Anti-Smog-Tower filtern Rußpartikel aus der Atmosphäre und sorgen für saubere Luft. In 30-stöckigen Hightech-Agrartür men sprießen Tomaten und Gurken unter idealen Bedingungen und bringen Frische in die Stadt. Die Menschen leben platzsparend in Wohnmodulen, die an überdimensionale Honigwaben erinnern. So soll die Metropole der Zukunft aussehen – zu mindest wenn es nach dem belgischen Architekten Vincent Callebaut und seiner Vision von „Paris 2050“ geht. Was wie utopische Science-Fiction anmuten mag, ist in Tei len tatsächlich bereits heute technisch möglich. Uli Hellweg, Stadtplaner und bis 2013 Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA), glaubt: „Wir stehen an der Schwelle zur dritten Industrialisierung.“ Und die eröffnet völlig neue Möglichkeiten in Sachen Architektur und Bauma terialien. Das ist auch nötig, denn die Metropolen der Welt ste hen vor gewaltigen Herausforderun gen: Weltweit ziehen Menschen vom Land in urbane Räume. „Wir erleben eine Renaissance der Stadt“, stellt Hellweg fest. 2050 werden 70 Prozent aller Menschen in Städten leben, ▶ HOCHHAUS IN DNA-ANMUTUNG Der 20-stöckige Wohnkomplex „Agora Garden“ wird derzeit in Taiwan gebaut. Er schraubt sich helixförmig empor 21 prognostiziert die UNO – insgesamt 6,4 Milliarden Menschen. Eine Zahl, die Stadtplaner, Architekten und Ingenieure vor i mmense Probleme stellt: Wie können die Menschen in Mega städten ernährt werden? Woher kommt die Energie? Wie verhindern wir den drohenden Verkehrskollaps? Aufgrund der drängenden Fragen hat das Bundesforschungs ministerium 2015 zum Wissenschaftsjahr „Zukunftsstadt“ aus gerufen. Auch die Fraunhofer-Gesellschaft untersucht mit dem Projekt „Morgenstadt – City Insights“, wie wir in Zukunft leben und arbeiten werden. Ein Forschungsschwerpunkt ist die i ntelligente Stadt, die Smart City. „Das ist eine Stadt, die Daten erhebt, um urbane Prozesse zu verbessern“, sagt Alanus von Radecki, Projektleiter der „Morgenstadt“. Gemeint sind Ver kehrsdaten, Wetterdaten, Gebäudedaten, Energiedaten, Han Wissenschaft 6,4 Milliarden Menschen werden laut UNOPrognose 2050 in Städten leben ORGANISCHER WOLKENKRATZER Die Idee des Londoner „Organic Skyscraper“: ein Büroturm, der aus dem Papier- und Plastikmüll der Angestellten erwächst. Die Designer haben sich bei ihrem Entwurf vom biologischen Wachstum von Pflanzen und dem Bambusgerüstbau in Asien inspirieren lassen. Ihren Plänen zufolge kann das Hochhaus während des laufenden Betriebs Stockwerk für Stockwerk erweitert werden dydaten. Die gesammelten Informationen werden in zentralen Computersystemen verarbeitet, die Abläufe optimiert. Beispiel Verkehr: „In der Stadt der Zukunft überwachen Kameras und Geschwindigkeitssensoren den Straßenverkehr und erfassen die Fließgeschwindigkeit in Echtzeit“, sagt von Radecki. Ampelsysteme richten ihre Rot- und Grünphasen entsprechend aus – und verhindern Staus. Die Parkplatzsuche entfällt, das Smartphone weist den Weg zum nächsten freien Parkplatz und warnt vor Unfällen. Auch die verkehrsbehindernde Müllentsorgung wird optimiert: „Intelligente Mülltonnen melden ihren Füllhöhestand“, erklärt von Radecki. „Die Müllabfuhr wird nur zu Con tainern dirigiert, die tatsächlich voll sind. Das entlastet die Straßen.“ Der Stadtentwicklungsexperte hält den Ver kehr für die derzeit größte Herausforderung. „Der Trend“, meint von Radecki, „geht dahin, Autos aus der Innenstadt zu verdrängen und autofreie oder reine Elektroautozonen einzurichten.“ Das bedeutet: weniger Feinstaub, weniger Verkehrslärm. Zwischen Bahn, Rad, E-Bike, Carsharing und Bus hin und her zu wechseln soll in Zukunft wesent lich einfacher sein. Apps treiben die Mobilität voran. So funktioniert das Recycling-Hochhaus Alternative zu Beton: Das Projekt „Hybride Erschließung“ in Hamburg setzt auf vorgefertigte Holzmodule. Die Mieter können in einem Haus wohnen und arbeiten, die Grundrisse sind flexibel (siehe oben) DIE ALGENFASSADE Mikroalgen in Glaselementen wandeln Sonnenenergie um und versorgen das ganze Haus „BIQ“ in Hamburg mit Wärme und Strom 22 Windräder Aufzug zur Aussichtsplattform und für Bauarbeiter Bauhof Wiederaufbereitungs- anlage für Plastik Wiederaufbereitungsanlage für Papier Räumlichkeiten für Angestellte FOTOS: GRIMMENSTEIN/ARLT/IBA HAMBURG GMBH; ILLUSTRATIONEN: CHARTIER-CORBASSON/REX FEATURES DIE WOHNUNG VON MORGEN Aussichtsplattform Wenn ein Angestellter im Jahr 75 Kilo Altpapier fabriziert, sollen daraus zwei Bauplatten recycelt werden Städte verbrauchen zwei Drittel der Energie Ohnehin haben die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit bei der Stadtplanung einen zentralen Stellenwert. Der Handlungs bedarf ist enorm: Städte verbrauchen rund 75 Prozent der welt weit benötigten Energie und stoßen 80 Prozent aller emittier ten Treibhausgase aus. Ob London, New York oder Kopenhagen: In zahlreichen Metropolen gibt es ehrgeizige Projekte zur Verbesserung von Umwelt und Lebensqualität – gegen graue Betonwüsten. Alte Bahntrassen verwandeln sich in Parks, auf Hausdächern wachsen Bäume, Naherholungsgebiete bieten eine Auszeit vom Alltag. Mehr Grün verbessert die Luftqualität und reguliert die Temperatur. In Green Citys liegen Na turräume nicht mehr vor den Toren der Städte – sondern mittendrin. „Parks und Wasserlandschaften werden eine größere Rolle spielen und Metropolen attraktiver ma chen“, ist sich von Radecki sicher. Schließlich befinden sich die Städte untereinander in einem Wettbewerb und konkurrieren um die Zuzügler. Um auch in Zukunft genug Strom und Wärme zu ha ben, produzieren die Bewohner ihre Energie zu Hause selbst – teilweise mehr, als sie brauchen. Über intelligen te Zähler können sie den eigenen Verbrauch steuern und kontrollieren. Häuser werden mit Sonnen- und Wind energie zu Minikraftwerken, gleichermaßen umwelt freundlich wie effizient. Hellweg: „Sogenannte adaptive Häuser passen sich wechselnden klimatischen Verhält nissen und den Jahreszeiten an. Sie stellen sich energe tisch darauf ein.“ Häuserfassaden sind dann viel mehr als eine bloße Hülle, die vor Kälte und Nässe schützt – sie werden Teil der Haustechnik. Die Fassade absorbiert das Tageslicht und produziert Wärme wie in einer solarthermi schen Anlage. „Diese Gebäude funktionieren auch als Energie speicher“, erklärt von Radecki. Und sie können überschüssige Windräder Wenn ein Büroangestellter im Jahr 80 Plastikflaschen verbraucht, kann aus dem Abfall eine wärmedämmende Bauplatte recycelt werden Büroaufzug Gärten Büros Energie an Elektrofahrzeuge abgeben, die vor dem Haus an einer Schnellladestation parken. Zusammen mit den Nachbar gebäuden bilden sie smarte Verteilernetze. „Intelligente Algo rithmen verarbeiten Bedarf und Angebot an Energie und sorgen dafür, dass immer genau so viel produziert wird, wie die Bevölkerung gerade braucht“, sagt der Experte. Algen für die Stromproduktion Aber Windräder und Fotovoltaikanlagen bleiben nicht die ein zigen Technologien zur Strom- und Wärmeerzeugung. Das Hamburger Projekt BIQ etwa setzt auf biologische Energie gewinnung. Dafür werden Mikroalgen in Glaselementen an der Hausfassade gezüchtet. Die Fassade fungiert als Biohaut: Ein Wasserkreislauf versorgt die Algen mit flüssigen Nähr ▶ 23 Wissenschaft ALLES UNTER EINEM DACH Ob Zugfahren, Einkaufen, Essen oder Arbeiten: Der Entwurf verknüpft unterschiedliche Lebensbereiche auf mehreren Etagen miteinander „Der technische Fortschritt eröffnet uns neue Konstruktionswelten.“ Uli Hellweg, bis 2013 Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA) GIGANTISCHES BAHNDREHKREUZ EIN BAHNHOF FÜR ALLE FÄLLE Wohnen, arbeiten, Freizeit – alles an einem Ort über einem zentralen Bahnhof. Der Entwurf „Urban Alloy Towers“ des Büros AMLGM aus San Francisco zeigt eine komplexe Architekturlösung für Ballungszentren wie New York Luxuswohnungen Die Struktur des Drehkreuzes mit seinen verschiedenen Ebenen Flächen für Sport, Erholung und Freizeitgestaltung Büros Bahnhofshalle Wohnungen und Flächen für den Einzelhandel Bahngleise Bahngleise Arbeitsstätten Bahnhofswartung VIELFÄLTIGE FLÄCHEN Auch für Büros, Kantinen und Aufenthaltsräume bietet die Gitterstruktur Platz Energie braucht und gleichzeitig hohe statische und energe tische Fähigkeiten besitzt“, sagt Hellweg. stoffen und Kohlendioxid, die winzigen Organismen können aufgrund der Sonneneinstrahlung Fotosynthese betreiben und wachsen. Sobald sie erntereif sind, landen sie als zäh flüssiger Brei im Technikraum. Eine Biogasanlage wandelt die Masse schließlich in Energie um. Das Ergebnis: warmes Wasser und eine laufende Heizung. Energie aus Algen? Derzeit wird das Verfahren weltweit zum ersten Mal in Hamburg erprobt. Für den Masseneinsatz ist die Herstellung noch zu teuer und aufwendig. Aber Stadtplaner 24 Hellweg weiß auch: „Als vor 30 oder 40 Jahren damit begonnen wurde, mit Fotovoltaik zu experimentieren, haben die meisten das noch für Spinnerei gehalten.“ Er glaubt an das Potenzial der Algentechnologie. „Möbelhäuser zum Beispiel haben Zehntausende Quadratmeter tote Fassade und könnten sich für energieproduzierende Algenfassaden eignen.“ In puncto Baumaterialien jedoch setzen Architekten auch auf einen uralten Baustoff: Holz. „Dieser Rohstoff wird eine große Rolle spielen, weil er der natürlichste nachwachsende ist“, versichert Hellweg. Es gibt auch bereits Prototypen mehr geschossiger Wohnhäuser aus Holz. Ein Ansatz, der in Deutschland wegen Brandschutzauflagen lange undenkbar war. Jetzt werden Gebäude aus Massivholz gebaut, die wen iger feuergefährlich sind und zum Teil auch ohne Chemikalien wie schadstoffhaltige Kleber oder Dämmmaterial auskom men. Aber auch klassische Materialien wie beispielsweise Beton werden weiterentwickelt. „Die nächste Entwicklungs stufe ist Hyper-Leichtbeton, der bei der Produktion weniger Noch weiter in die Zukunft denken die Stuttgarter Forscher der Fraunhofer-Gesellschaft. Sie planen Gebäude über ihren gesamten Existenzzyklus hinaus. „Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik hat ein Verfahren entwickelt, das Beton in sei ne Molekularstrukturen zersetzt, damit er für neue Gebäude w iederverwendet werden kann“, erklärt von Radecki. Hinter diesen Ansätzen steckt ein übergeordnetes Ziel: „Null Abfall, null Kohlendioxid“, fasst der Experte zusammen. Eine klima freundliche Metropole mit einem geschlossenen Ressourcen kreislauf – das spart Ressourcen. Die Baumaterialien ändern sich, aber auch die Architektur und Gestaltung von Ge bäuden. „Der technische Fortschritt eröffnet uns neue ▶ ILLUSTRATIONEN: AMLGMLABS.COM Null Abfall, null Kohlendioxid 25 Wissenschaft HIGHTECH-LANDWIRTSCHAFT Vom freien Acker ins Hochhaus: Vertikale Gewächshäuser sollen die Landwirtschaft in die Stadt holen. Dort wächst Gemüse unter künstlich geschaffenen Idealbedingungen auf mehreren Ebenen Neue Formen von Wohn- und Baugemeinschaften etwa, Mehr generationenwohnen oder städti sche Nachbarschaften können das soziale Miteinander fördern. Nahrung aus Agrartürmen Das große Ziel der Zukunftsstädte: Sie sollen nachhaltig funktionieren. Nicht nur bei Energieerzeugung und Straßenverkehr, sondern auch bei der Nahrungsmittelversorgung. Deshalb wächst der Salat in der Metropole von übermorgen nicht mehr auf irgend einem weit entfernten Feld, sondern mitten in der Stadt. In ver tikalen Gewächshochhäusern, platzsparend auf 20 Stockwer ken. Unter künstlich geschaffenen Idealbeding ungen gedeihen Erdbeeren und andere Nutzpflanzen dort das ganze Jahr über. So sehen es zumindest visionäre Designstudien, Architekten und Forscher vor – etwa die der Universität Hohenheim. Ihr Pro jekt Skyfarming widmet sich dem Reisanbau im Hightech-Hoch haus. Vorteile: unter anderem geringerer Dünger- und Wasser verbrauch, ein Vielfaches an Ertrag pro Fläche sowie kurze Transportwege. Auch Professor Uwe Schmidt, Agrarwissen GRÜNE BRÜCKE Ein sprießender Garten über der Themse: Die „Garden Bridge“ könnte Londons neues Wahrzeichen werden. Derzeit streiten aber noch Befürworter und Gegner des Projekts Gebäude in allen denkbaren Formen Eine Smart City braucht smarte Häuser – und die müssen mehr können als Energie umwandeln. Die Stadt von morgen er fordert neue Wohnungsarchitekturen. „Die klassische Familienrollenverteilung, nach der die meisten Wohnungen des 20. Jahrhunderts gebaut wurden, ist überholt“, glaubt Hellweg. Familienverhältnisse und berufliche Situationen verä ndern sich schneller denn je. Die Grenzen zwischen A rbeiten und Wohnen verschwimmen, weil immer mehr Berufstätige morgens nicht mehr ins Büro fahren, sondern von zu Hause aus tätig sind. Die Digitalisierung bringt den 26 „Das Miteinander von Menschen und Maschinen, Technik und Natur schafft visuellen Reichtum.“ Prof. Tobias Wallisser, Laboratory for Visionary Architecture ILLUSTRATIONEN: ARUP (2), CHRIS JACOBS, MOKA-STUDIO Konstruktionswelten“, sagt Hellweg. „Wir können heute kom plexe Polygone, also Vielecke berechnen, was früher gar nicht möglich oder sehr aufwendig war.“ Superleichte Konstruktio nen von morgen übertragen Eigenschaften der Natur auf die Gebäude: So wie der menschliche Körper in der Wachstums phase stärkere Knochen ausbildet, können Architekten Brü cken mit dynamischen Werkstoffen bauen, die darauf reagie ren, wenn und wo sie belastet werden. „Wir stehen am Anfang einer neuen Entwicklung, bei der noch gar nicht abzusehen ist, wo sie uns hinführt.“ Arbeitsplatz zum Arbeitnehmer. Gleichzeitig treten neue Wohn formen auf, etwa Wohngemein schaften und Mehrgenerationen wohnen. „Diese neuen Lebensstile erfordern neue Grundrisse“, sagt Hellweg. „Das Wohnzimmer muss sich für ein paar Stunden am Tag in ein Arbeits z immer verwandeln können.“ Die Gebäude der Zukunft sollen sich den unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnis sen ihrer Bewohner anpassen, Räume und ganze Wohnungen müssen erweiterbar und flexibel in ihrer Aufteilung sein. Möglich machen das sogenannte Hybridhäuser. Gebäude, die baulich leicht verändert werden können. Hellweg: „Kon struktionen mit großen Spannweiten erlauben es, schnell Zwischenwände rein- und rauszunehmen und so den Grund riss zu variieren.“ Die Wände für ein Kinderzimmer können dann je nach Bedarf eingezogen und wieder abgetrennt, Tei le der Wohnung in separate Büros umgewandelt und zurück gebaut, Abstellkammern zum Fahrstuhlschacht erweitert werden, damit die Bewohner auch im Alter in ihren Wohnun gen bleiben können. Auch die Technik im Haus entwickelt sich weiter: Heute bereits senken Thermostate die Tempe ratur, wenn niemand zu Hause ist, Waschmaschinen lassen sich per Smartphone fernsteuern. In Zukunft registrieren Kühlschränke, wenn die Milch zur Neige geht, und bestellen online neue. Intelligente Haustechnik macht das Leben kom fortabler, Hightech-Wohnungen bieten immer mehr Möglich keiten. Aber: „Smart Home ist längst nicht nur Technik“, stellt Hellweg klar. „Smart Home meint auch eine sozia le und kul turelle Weiterentwicklung der Städte und Stadtquartiere.“ schaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin, sagt: „Es bringt durchaus Vorteile, die Nahrungsmittelproduktion in die Nähe von Megacitys zu holen.“ Bereits heute wachsen auf zahl reichen Großstadtdächern vielerlei Gemüsesorten und Kräu ter, aber noch kann diese urbane Landwirtschaft nicht den Be darf ganzer Städte decken. Mangels breiter Fläche muss dazu der Anbau in die Höhe v orangetrieben werden. In Japan, Sin gapur und den Niederlanden gibt es schon Hightech-Gewächs häuser, wenn auch noch nicht baulich übereinandergestapelt. Doch wie realistisch sind Agrartürme? Zumindest der An bau von Pflanzen in vertikalen Gewächshäusern ist technisch möglich. Allerdings nur, wenn sie nicht in Erde kultiviert werden. Das hohe Gewicht der Erdmassen würde Gebäude ▶ FUTURISTISCHES BERLIN Elektro-Velomobile statt Autos und jede Menge Grün: Der Entwurf denkt die Energieund Mobilitätswende weiter 27 Wissenschaft PROTOTYP Die südkoreanische Planstadt Songdo City wurde aus dem Boden gestampft – und soll das Zuhause von 70.000 Menschen werden an die Belastungsgrenze bringen, außerdem müssten enorme Mengen Erde zu den Hochhäusern transportiert und wieder entsorgt werden. Logistisch kaum vorstellbar und ökologisch wie ökonomisch unsinnig. Einen Ausweg bietet die Hydro ponik. „Alles, was die Pflanze an Nährstoffen braucht, bringt ein Bewässerungssystem zu den Pflanzenwurzeln“, erklärt Agrarwissenschaftler Schmidt das Verfahren. Die Pflanzen stehen in Matten aus Steinwolle oder Blähschiefer, ihre Wur zeln wachsen in diese mineralischen Substrate ein. Geschlos sene Kreisläufe versorgen sie mit einem Gemisch aus Wasser und Nährsalzen. „Der Anbau mit Hydroponik ist in Hinsicht auf Kulturführung und die Steuerung der Nährstoffrezeptu ren sehr anspruchsvoll. Dafür minimiert er den Wasserein satz und erhöht die Erträge“, sagt Schmidt. Außerdem kommt die Hydroponik mit weniger Pflanzenschutzmitteln aus als die herkömmliche Bewirtschaftung. FOTOS: CORBIS, BRAUNE DEL ANGEL/EPD-BILD, BERNDGABRIEL Norwegen für Entdecker Die Zukunft beginnt in Asien wird. Ob es dann in der Metropole von übermorgen wirklich viel nützliches Grün anstelle von Staus, Smog und weniger Straßenlärm gibt, wird sich zeigen. Erste Ansätze, derartige Zu kunftsstädte zu bauen, gibt es bereits. Allerdings nicht bei uns, sondern zunächst in China, Südkorea und Saudi-Arabien. Dort So stellen sich Architekten die Zukunftsstadt vor Wie sieht eine moderne Stadt im Jahr 2050 aus? Welche Trends setzen sich durch? Das sagen Experten Prof. Albert Speer jr. Gründer des Architekturbüros AS&P – Albert Speer & Partner. Bisherige Projekte: Masterplan für die Expo 2000 in Hannover, Masterplan für die Fußball-WM in Katar, Europaviertel Frankfurt/M. n „Die gravierendsten Veränderungen werden das „Internet der Dinge“ und die Möglichkeiten der Smart City bewirken. Die Produktion kehrt teilweise wieder in die Stadt zurück und die Steuerung des Systems Stadt wird optimiert. Unser Lebensraum wird grundsätzlich kaum anders aussehen als heute, aber die Lebensqualität wird verbessert, die Stadt wird schöner, grüner, sauberer, sicherer und vielfältiger.“ 28 Tobias Wallisser Professor für Innovative Bauund Raumkonzepte an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart sowie Mitbegründer des Laboratory for Visionary Architecture (LAVA) n „Aus einem Verschmelzen von natürlichen und von Menschen geschaffenen Elementen entsteht eine neue Qualität der Städte. Dezentrale Systeme zur Energie- und Wasser versorgung sowie vernetzte Verkehrssysteme werden die Weiterentwicklung prägen. Die Integration von Energieund Nahrungserzeugung in der Stadt, ein Miteinander von Menschen und Maschinen, Technik und Natur schaffen visuellen Reichtum. Daraus wächst bildhaft die technische Natur des postindustriellen Zeitalters.“ Peter Cachola Schmal Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt/M. n „Wir erleben einen spannenden Moment in der Geschichte: das Ende des automobilen Zeitalters. Prognosen zufolge dominiert schon in 15 Jahren das selbstfahrende Fahrzeug. Die Folgen wären allumfassend. In unseren heutigen Städten werden immens große Flächen für den fahrenden und parkenden Verkehr gebraucht. Diese Areale würden frei werden, denn es werden kaum noch Autos benötigt, wenn sie selbstfahrend ständig unterwegs und verfügbar sind. Die Entfernungen würden zusammenschrumpfen und damit die Vorstädte wieder interessant werden – zurück ins Grüne!“ wachsen Prototypen futuristischer Städte praktisch aus dem Nichts. Stadtplaner entwerfen sie am Computer – mit dem Vor satz, „ideale“ Orte zu schaffen. „Bislang funktionieren solche Städte allerdings nur aus technologischer Sicht, nicht aus der des alltäglichen Lebens“, räumt von Radecki ein. „Dort fehlt Raum, den die Stadtbewohner selbst entwickeln und gestalten können.“ Die menschli che Komponente lässt sich halt nicht komplett am Computer planen. Alanus von Radecki, Projektleiter der „Morgenstadt“ Songdo City in Südkorea ist so eine Reißbrettstadt auf einer künstlichen Insel: Millionen Sensoren liefern Daten an einen Zent ralrechner, der das städtische Leben regelt. Von der Verkehrsführung bis zum unterirdischen Müllentsorgungs system. Städtische Mitarbeiter beobachten den Energiever brauch in Echtzeit an jedem Knotenpunkt, können die Produk tion dem Verbrauch anpassen und die Energie verteilen. „Die größte Barriere in der Weiterentwicklung intelligenter Städte ist die Datenfrage.“ Eine Frage der Kontrolle Vorteile, denen aber auch Risiken gegenüberstehen: Eine hoch technisierte Stadt bietet Angriffsflächen für Hacker und Sabo tage. Ein Virus könnte das öffentliche Leben lahmlegen. Und: Eine Stadt, die alles überwacht und speichert, kann ihre Einwohner vollends zu gläsernen Menschen machen. Die Tausenden Kame ras in Songdo City filmen nicht nur jedes falsch geparkte Auto, sondern auch jeden, der sein Haus verlässt, wann und für wie lange. „Je mehr Daten e rfasst werden, desto größer ist die Ge fahr, dass sie in Hände gelangen, in die sie nicht gelangen soll ten“, gibt von Radecki zu bedenken. „Die größte Barriere in der Weiterentwicklung der intelligenten Städte ist nicht die Technik, sondern die Datenfrage.“ Was wird gespeichert? Wer hat Zu griff? Wer kontrolliert die Kontrolleure? Fragen, die noch offen sind – und für die es Regelungen geben muss. MANUEL OPITZ Foto: Erika Tiren Für realistisch hält Schmidt die Agrartürme in absehbarer Zeit trotzdem nicht. „Die Lebensmittelpreise sind so gering, dass ein Abweichen von den bisher üblichen Produktionstechnolo gien nur schwer vorstellbar ist.“ Landwirtschaft braucht be stimmte Bedingungen, um gute Erträge zu erzielen. Die wich tigste: der Faktor Licht. „Nichts ist so preiswert wie natürliches Tageslicht“, erklärt der Agrarwissenschaftler. V ertikale Ge wächshäuser müssten aber auf künstliches Licht zurückgrei fen – und das ist derzeit noch sehr teuer. „Da ist zunächst ein Umdenken bei Verbraucher und Handel erforderlich“, sagt Schmidt. Deshalb glaubt er, dass der Nahrungsm ittelanbau mit Gewächshäusern zunächst an die Stadtränder heranrücken Der Moment ist jetzt 25% Frühbucher-Ermäßigu ng bis zum 31.03.15* 12 Tage Seereise inkl. VP, pro Person ab 1.339 € Jetzt im Reisebüro oder www.hurtigruten.de Hurtigruten GmbH Burchardstr. 14 • 20095 Hamburg Tel. (040) 874 086 16 Mo – Fr: 9 – 20 Uhr, Sa: 9 – 18.30 Uhr, So: 10 – 18.30 Uhr *Limitiertes Kontingent
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