Computerprogramme sollen bald unseren Alltag

Wissenschaft
PARIS 2050
Grün, umweltfreundlich – und hypermodern: Der Architekt Vincent Callebaut
visioniert Frankreichs Hauptstadt als
Prototyp einer ganz neuen Städtegeneration
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ILLUSTRATIONEN UND FOTO: VINCENT CALLEBAUT ARCHITECTURES – WWW.VINCENT.CALLEBAUT.ORG
Computerprogramme sollen
bald unseren Alltag regeln,
intelligente Häuser unser
Leben erleichtern. Doch die
KOMPLETTE VERNETZUNG der
Smart Citys birgt auch Risiken
assermassen stürzen von Hochhaus­
spitzen hundert Meter in die Tiefe und
treiben Generatoren an. Große Gebäude
sind mit einer biologischen Haut über­
zogen, in der Millionen von Mikroalgen
leben, die Energie spenden. Zahlreiche
Anti-­Smog-Tower filtern Rußpartikel aus
der Atmosphäre und sorgen für saubere
Luft. In 30-stöckigen Hightech-Agrartür­
men sprießen Tomaten und Gurken unter
idealen Bedingungen und bringen Frische in
die Stadt. Die Menschen leben platzsparend
in Wohnmodulen, die an überdimensionale Honigwaben
erinnern. So soll die Metropole der Zukunft aussehen – zu­
mindest wenn es nach dem belgischen Architekten Vincent
Callebaut und seiner Vision von „Paris 2050“ geht.
Was wie utopische Science-Fiction anmuten mag, ist in Tei­
len tatsächlich bereits heute technisch möglich. Uli Hellweg,
Stadtplaner und bis 2013 Geschäftsführer der Internationalen
Bauausstellung Hamburg (IBA), glaubt: „Wir stehen an der
Schwelle zur dritten Industrialisierung.“ Und die eröffnet
­völlig neue Möglichkeiten in Sachen Architektur und Bauma­
terialien. Das ist auch nötig, denn die Metropolen der Welt ste­
hen vor gewaltigen Herausforderun­
gen: Weltweit ziehen Menschen vom
Land in urbane Räume. „Wir erleben
eine Renaissance der Stadt“, stellt
Hellweg fest. 2050 werden 70 Prozent
aller Menschen in Städten leben, ▶
HOCHHAUS IN
DNA-ANMUTUNG
Der 20-stöckige Wohnkomplex „Agora Garden“
wird derzeit in Taiwan
­gebaut. Er schraubt sich
helixförmig empor
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prognostiziert die UNO – insgesamt 6,4 Milliarden Menschen.
Eine Zahl, die Stadtplaner, Architekten und Ingenieure vor
­i mmense Probleme stellt: Wie können die Menschen in Mega­
städten ernährt werden? Woher kommt die Energie? Wie
­verhindern wir den drohenden Verkehrskollaps?
Aufgrund der drängenden Fragen hat das Bundesforschungs­
ministerium 2015 zum Wissenschaftsjahr „Zukunftsstadt“ aus­
gerufen. Auch die Fraunhofer-Gesellschaft untersucht mit dem
Projekt „Morgenstadt – City Insights“, wie wir in Zukunft leben
und arbeiten werden. Ein Forschungsschwerpunkt ist die
­i ntelligente Stadt, die Smart City. „Das ist eine Stadt, die Daten
erhebt, um urbane Prozesse zu verbessern“, sagt Alanus von
Radecki, Projektleiter der „Morgenstadt“. Gemeint sind Ver­
kehrsdaten, Wetterdaten, Gebäudedaten, Energiedaten, Han­
Wissenschaft
6,4 Milliarden
Menschen werden laut UNOPrognose 2050 in Städten leben
ORGANISCHER WOLKENKRATZER
Die Idee des Londoner „Organic Skyscraper“:
ein Büroturm, der aus dem Papier- und
Plastikmüll der Angestellten erwächst. Die
Designer haben sich bei ihrem Entwurf vom
biologischen Wachstum von Pflanzen und
dem Bambusgerüstbau in Asien inspirieren
lassen. Ihren Plänen zufolge kann das
­Hochhaus während des laufenden Betriebs
Stockwerk für Stockwerk erweitert werden
dydaten. Die gesammelten Informationen werden in zentralen
Computersystemen verarbeitet, die Abläufe optimiert.
Beispiel Verkehr: „In der Stadt der Zukunft überwachen
­Kameras und Geschwindigkeitssensoren den Straßenverkehr
und erfassen die Fließgeschwindigkeit in Echtzeit“, sagt von
Radecki. Ampelsysteme richten ihre Rot- und Grünphasen
entsprechend aus – und verhindern Staus. Die Parkplatzsuche
entfällt, das Smartphone weist den Weg zum nächsten
freien Parkplatz und warnt vor Unfällen. Auch die
verkehrsbehindernde Müllentsorgung wird optimiert:
„Intelligente Mülltonnen melden ihren Füllhöhestand“,
erklärt von Radecki. „Die Müllabfuhr wird nur zu Con­
tainern dirigiert, die tatsächlich voll sind. Das entlastet
die Straßen.“ Der Stadtentwicklungsexperte hält den Ver­
kehr für die derzeit größte Herausforderung. „Der Trend“,
meint von Radecki, „geht dahin, Autos aus der Innenstadt
zu verdrängen und autofreie oder reine Elektroautozonen
einzurichten.“ Das bedeutet: weniger Feinstaub, weniger
Verkehrslärm. Zwischen Bahn, Rad, E-Bike, Carsharing
und Bus hin und her zu wechseln soll in Zukunft wesent­
lich einfacher sein. Apps treiben die Mobilität voran.
So funktioniert das
Recycling-Hochhaus
Alternative zu Beton: Das Projekt „Hybride Erschließung“ in Hamburg
setzt auf vorgefertigte Holzmodule. Die Mieter können in einem Haus
wohnen und arbeiten, die Grundrisse sind flexibel (siehe oben)
DIE ALGENFASSADE
Mikroalgen in Glaselementen
­wandeln Sonnenenergie um und
versorgen das ganze Haus „BIQ“ in
Hamburg mit Wärme und Strom
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Windräder
Aufzug zur Aussichtsplattform und
für Bauarbeiter
Bauhof
Wiederaufbereitungs-­
anlage für Plastik
Wiederaufbereitungsanlage für Papier
Räumlichkeiten
für Angestellte
FOTOS: GRIMMENSTEIN/ARLT/IBA HAMBURG GMBH; ILLUSTRATIONEN: CHARTIER-CORBASSON/REX FEATURES
DIE WOHNUNG VON MORGEN
Aussichtsplattform
Wenn ein Angestellter im Jahr
75 Kilo Altpapier fabriziert,
sollen daraus zwei Bauplatten
recycelt werden
Städte verbrauchen zwei Drittel der Energie
Ohnehin haben die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit bei
der Stadtplanung einen zentralen Stellenwert. Der Handlungs­
bedarf ist enorm: Städte verbrauchen rund 75 Prozent der welt­
weit benötigten Energie und stoßen 80 Prozent aller emittier­
ten Treibhausgase aus. Ob London, New York oder Kopenhagen:
In zahlreichen Metropolen gibt es ehrgeizige Projekte zur
­Verbesserung von Umwelt und Lebensqualität – gegen graue
Betonwüsten. Alte Bahntrassen verwandeln sich in Parks, auf
Hausdächern wachsen Bäume, Naherholungsgebiete bieten
eine Auszeit vom Alltag. Mehr Grün verbessert die Luft­qualität
und reguliert die Temperatur. In Green Citys liegen Na­
turräume nicht mehr vor den Toren der Städte – sondern
mittendrin. „Parks und Wasserlandschaften werden eine
größere Rolle spielen und Metropolen attraktiver ma­
chen“, ist sich von Radecki sicher. Schließlich befinden
sich die Städte untereinander in einem Wettbewerb und
konkurrieren um die Zuzügler.
Um auch in Zukunft genug Strom und Wärme zu ha­
ben, produzieren die Bewohner ihre Energie zu Hause
selbst – teilweise mehr, als sie brauchen. Über intelligen­
te Zähler können sie den eigenen Verbrauch steuern und
kontrollieren. Häuser werden mit Sonnen- und Wind­
energie zu Minikraftwerken, gleichermaßen umwelt­
freundlich wie effizient. Hellweg: „Sogenannte adaptive
Häuser passen sich wechselnden klimatischen Verhält­
nissen und den Jahreszeiten an. Sie stellen sich energe­
tisch darauf ein.“ Häuserfassaden sind dann viel mehr als
eine bloße Hülle, die vor Kälte und Nässe schützt – sie
werden Teil der Haustechnik. Die Fassade absorbiert das
Tageslicht und produziert Wärme wie in einer solarthermi­
schen Anlage. „Diese Gebäude funktionieren auch als Energie­
speicher“, erklärt von Radecki. Und sie können überschüssige
Windräder
Wenn ein Büroangestellter
im Jahr 80 Plastikflaschen
verbraucht, kann aus dem
Abfall eine wärmedämmende
Bauplatte recycelt werden
Büroaufzug
Gärten
Büros
Energie an Elektrofahrzeuge abgeben, die vor dem Haus an
­einer Schnellladestation parken. Zusammen mit den Nachbar­
gebäuden bilden sie smarte Verteilernetze. „Intelligente Algo­
rithmen verarbeiten Bedarf und Angebot an Energie und
sorgen dafür, dass immer genau so viel produziert wird, wie die
Bevölkerung gerade braucht“, sagt der Experte.
Algen für die Stromproduktion
Aber Windräder und Fotovoltaikanlagen bleiben nicht die ein­
zigen Technologien zur Strom- und Wärmeerzeugung. Das
Hamburger Projekt BIQ etwa setzt auf biologische Energie­
gewinnung. Dafür werden Mikroalgen in Glaselementen an der
Hausfassade gezüchtet. Die Fassade fungiert als Biohaut: Ein
Wasserkreislauf versorgt die Algen mit flüssigen Nähr­ ▶
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Wissenschaft
ALLES UNTER EINEM DACH
Ob Zugfahren, Einkaufen, Essen
oder Arbeiten: Der Entwurf verknüpft
unterschiedliche Lebensbereiche
auf mehreren Etagen miteinander
„Der technische Fortschritt eröffnet
uns neue Konstruktionswelten.“
Uli Hellweg, bis 2013 Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA)
GIGANTISCHES
BAHNDREHKREUZ
EIN BAHNHOF
FÜR ALLE FÄLLE
Wohnen, arbeiten, Freizeit – alles
an einem Ort über einem zentralen
Bahnhof. Der Entwurf „Urban Alloy
Towers“ des Büros AMLGM aus
San Francisco zeigt eine komplexe
Architekturlösung für Ballungszentren wie New York
Luxuswohnungen
Die Struktur des
Drehkreuzes mit seinen
verschiedenen Ebenen
Flächen für Sport, Erholung
und Freizeitgestaltung
Büros
Bahnhofshalle
Wohnungen und Flächen
für den Einzelhandel
Bahngleise
Bahngleise
Arbeitsstätten
Bahnhofswartung
VIELFÄLTIGE FLÄCHEN
Auch für Büros, Kantinen
und Aufenthaltsräume bietet
die Gitterstruktur Platz
Energie braucht und gleichzeitig hohe statische und energe­
tische Fähigkeiten besitzt“, sagt Hellweg.
stoffen und Kohlendioxid, die winzigen Organismen können
aufgrund der Sonneneinstrahlung Fotosynthese betreiben
und wachsen. Sobald sie erntereif sind, landen sie als zäh­
flüssiger Brei im Technikraum. Eine Biogasanlage wandelt
die Masse schließlich in Energie um. Das Ergebnis: warmes
Wasser und eine laufende Heizung.
Energie aus Algen? Derzeit wird das Verfahren weltweit zum
ersten Mal in Hamburg erprobt. Für den Masseneinsatz ist die
Herstellung noch zu teuer und aufwendig. Aber Stadtplaner
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Hellweg weiß auch: „Als vor 30 oder 40 Jahren damit begonnen
wurde, mit Fotovoltaik zu experimentieren, haben die meisten
das noch für Spinnerei gehalten.“ Er glaubt an das Potenzial
der Algentechnologie. „Möbelhäuser zum Beispiel haben
Zehntausende Quadratmeter tote Fassade und könnten sich
für energieproduzierende Algenfassaden eignen.“
In puncto Baumaterialien jedoch setzen Architekten auch
auf einen uralten Baustoff: Holz. „Dieser Rohstoff wird eine
große Rolle spielen, weil er der natürlichste nachwachsende
ist“, versichert Hellweg. Es gibt auch bereits Prototypen mehr­
geschossiger Wohnhäuser aus Holz. Ein Ansatz, der in
Deutschland wegen Brandschutzauflagen lange undenkbar
war. Jetzt werden Gebäude aus Massivholz gebaut, die ­we­n iger
feuergefährlich sind und zum Teil auch ohne Chemikalien
wie schadstoffhaltige Kleber oder Dämmmaterial auskom­
men. Aber auch klassische Materialien wie beispiels­weise
­Beton werden weiterentwickelt. „Die nächste Entwicklungs­
stufe ist Hyper-Leichtbeton, der bei der Produktion weniger
Noch weiter in die Zukunft denken die Stuttgarter Forscher
der Fraunhofer-Gesellschaft. Sie planen Gebäude über ihren
­gesamten Existenzzyklus hinaus. „Das Fraunhofer-Institut
für Bauphysik hat ein Verfahren entwickelt, das Beton in sei­
ne ­Molekularstrukturen zersetzt, damit er für neue Gebäude
­w iederverwendet werden kann“, erklärt von Radecki. Hinter
diesen Ansätzen steckt ein übergeordnetes Ziel: „Null Abfall,
null Kohlendioxid“, fasst der Experte zusammen. Eine klima­
freundliche Metropole mit einem geschlossenen Ressourcen­
kreislauf – das spart Ressourcen. Die Baumaterialien ändern
sich, aber auch die Architektur und Gestaltung von Ge­
bäuden. „Der technische Fortschritt eröffnet uns neue ▶
ILLUSTRATIONEN: AMLGMLABS.COM
Null Abfall, null Kohlendioxid
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Wissenschaft
HIGHTECH-LANDWIRTSCHAFT
Vom freien Acker ins Hochhaus:
Vertikale Gewächshäuser sollen die Landwirtschaft in die Stadt holen. Dort wächst
Gemüse unter künstlich geschaffenen
­Idealbedingungen auf mehreren Ebenen
Neue Formen von Wohn- und
Baugemeinschaften etwa, Mehr­
generationenwohnen oder städti­
sche Nachbarschaften können
das soziale Miteinander fördern.
Nahrung aus Agrartürmen
Das große Ziel der Zukunftsstädte:
Sie sollen nachhaltig funktionieren.
Nicht nur bei Energieerzeugung und Straßenverkehr, sondern
auch bei der Nahrungsmittelversorgung. Deshalb wächst der
Salat in der Metropole von übermorgen nicht mehr auf irgend­
einem weit entfernten Feld, sondern mitten in der Stadt. In ver­
tikalen Gewächshochhäusern, platzsparend auf 20 Stockwer­
ken. Unter künstlich geschaf­fenen Idealbedin­g ungen gedeihen
Erdbeeren und andere Nutzpflanzen dort das ganze Jahr über.
So sehen es zumindest visionäre Design­studien, Architekten
und Forscher vor – etwa die der Universität Hohenheim. Ihr Pro­
jekt Skyfarming widmet sich dem Reisanbau im Hightech-Hoch­
haus. Vorteile: unter anderem geringerer Dünger- und Wasser­
verbrauch, ein Vielfaches an Ertrag pro Fläche sowie kurze
Transportwege. Auch Professor Uwe Schmidt, Agrarwissen­
GRÜNE BRÜCKE
Ein sprießender Garten über der Themse:
Die „Garden Bridge“ könnte Londons neues
Wahrzeichen werden. Derzeit streiten aber
noch Befürworter und Gegner des Projekts
Gebäude in allen denkbaren Formen
Eine Smart City braucht smarte Häuser – und die müssen
mehr können als Energie umwandeln. Die Stadt von morgen
er­
fordert neue Wohnungsarchitekturen. „Die klassische
­Familienrollenverteilung, nach der die meisten Wohnungen
des 20. Jahrhunderts gebaut wurden, ist überholt“, glaubt
Hellweg. Familienverhältnisse und berufliche Situationen
ver­ä ndern sich schneller denn je. Die Grenzen zwischen
­A rbeiten und Wohnen verschwimmen, weil immer mehr
­Berufstätige ­morgens nicht mehr ins Büro fahren, sondern
von zu Hause aus tätig sind. Die Digitalisierung bringt den
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„Das Miteinander von Menschen
und Maschinen, Technik und Natur
schafft visuellen Reichtum.“
Prof. Tobias Wallisser, Laboratory for Visionary Architecture
ILLUSTRATIONEN: ARUP (2), CHRIS JACOBS, MOKA-STUDIO
Konstruktionswelten“, sagt Hellweg. „Wir können heute kom­
plexe Polygone, also Vielecke berechnen, was früher gar nicht
möglich oder sehr aufwendig war.“ Superleichte Konstruktio­
nen von morgen übertragen Eigenschaften der Natur auf die
Gebäude: So wie der menschliche Körper in der Wachstums­
phase stärkere Knochen ausbildet, können Architekten Brü­
cken mit dynamischen Werkstoffen bauen, die darauf reagie­
ren, wenn und wo sie belastet werden. „Wir stehen am Anfang
einer neuen Entwicklung, bei der noch gar nicht abzusehen ist,
wo sie uns hinführt.“
Arbeitsplatz zum Arbeitnehmer.
Gleichzeitig treten neue Wohn­
formen auf, etwa Wohngemein­
schaften und Mehrgenerationen­
wohnen. „Diese neuen Lebens­stile
erfordern neue Grundrisse“, sagt
Hellweg. „Das Wohnzimmer muss
sich für ein paar Stunden am Tag in
ein Arbeits­
z immer verwandeln
können.“ Die Gebäude der Zukunft
sollen sich den unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnis­
sen ihrer Bewohner anpassen, Räume und ganze Wohnungen
müssen erweiterbar und flexibel in ihrer Aufteilung sein.
Möglich machen das sogenannte Hybridhäuser. Gebäude,
die baulich leicht verändert werden können. Hellweg: „Kon­
struktionen mit großen Spannweiten erlauben es, schnell
­Zwischenwände rein- und rauszunehmen und so den Grund­
riss zu variieren.“ Die Wände für ein Kinderzimmer können
dann je nach Bedarf eingezogen und wieder abgetrennt, Tei­
le der Wohnung in separate Büros umgewandelt und zurück­
gebaut, Abstellkammern zum Fahrstuhlschacht erweitert
werden, damit die Bewohner auch im Alter in ihren Wohnun­
gen bleiben können. Auch die Technik im Haus entwickelt
sich weiter: Heute bereits senken Thermostate die Tempe­
ratur, wenn niemand zu Hause ist, Waschmaschinen lassen
sich per Smartphone fernsteuern. In Zukunft registrieren
Kühlschränke, wenn die Milch zur Neige geht, und bestellen
online neue. Intelligente Haus­technik macht das Leben kom­
fortabler, Hightech-Wohnungen bieten immer mehr Möglich­
keiten. Aber: „Smart Home ist längst nicht nur Technik“, stellt
Hellweg klar. „Smart Home meint auch eine sozi­a le und kul­
turelle Weiterentwicklung der Städte und Stadtquartiere.“
schaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin, sagt: „Es
bringt durchaus Vor­teile, die Nahrungsmittelproduktion in die
Nähe von Megacitys zu holen.“ Bereits heute wachsen auf zahl­
reichen Großstadt­dächern vielerlei Gemüsesorten und Kräu­
ter, aber noch kann diese urbane Landwirtschaft nicht den Be­
darf ganzer Städte decken. Mangels breiter Fläche muss dazu
der Anbau in die Höhe v­ orangetrieben werden. In Japan, Sin­
gapur und den Niederlanden gibt es schon Hightech-Gewächs­
häuser, wenn auch noch nicht baulich übereinandergestapelt.
Doch wie realistisch sind Agrartürme? Zumindest der An­
bau von Pflanzen in vertikalen Gewächshäusern ist technisch
möglich. Allerdings nur, wenn sie nicht in Erde kultiviert
­werden. Das hohe Gewicht der Erdmassen würde Gebäude ▶
FUTURISTISCHES BERLIN
Elektro-Velomobile statt
Autos und jede Menge Grün:
Der Entwurf denkt die Energieund Mobilitätswende weiter
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Wissenschaft
PROTOTYP
Die südkoreanische Planstadt
Songdo City wurde aus dem Boden
gestampft – und soll das Zuhause
von 70.000 Menschen werden
an die Belastungsgrenze bringen, außerdem müssten enorme
Mengen Erde zu den Hochhäusern transportiert und wieder
entsorgt werden. Logistisch kaum vorstellbar und ökologisch
wie ökonomisch unsinnig. Einen Ausweg bietet die Hydro­
ponik. „Alles, was die Pflanze an Nährstoffen braucht, bringt
ein Bewässerungssystem zu den Pflanzenwurzeln“, erklärt
Agrarwissenschaftler Schmidt das Verfahren. Die Pflanzen
stehen in Matten aus Steinwolle oder Blähschiefer, ihre Wur­
zeln wachsen in diese mineralischen Substrate ein. Geschlos­
sene Kreisläufe ver­sorgen sie mit einem Gemisch aus Wasser
und Nährsalzen. „Der Anbau mit Hydroponik ist in Hinsicht
auf Kulturführung und die Steuerung der Nährstoffrezeptu­
ren sehr anspruchsvoll. Dafür minimiert er den Wasserein­
satz und erhöht die Erträge“, sagt Schmidt. Außerdem kommt
die Hydroponik mit weniger Pflanzenschutzmitteln aus als
die herkömmliche Bewirtschaftung.
FOTOS: CORBIS, BRAUNE DEL ANGEL/EPD-BILD, BERNDGABRIEL
Norwegen für Entdecker
Die Zukunft beginnt in Asien
wird. Ob es dann in der Metropole von über­morgen wirklich
viel nützliches Grün anstelle von Staus, Smog und weniger
Straßenlärm gibt, wird sich zeigen. Erste Ansätze, derartige Zu­
kunftsstädte zu bauen, gibt es bereits. Allerdings nicht bei uns,
sondern zunächst in China, Südkorea und Saudi-Arabien. Dort
So stellen sich Architekten die Zukunftsstadt vor
Wie sieht eine moderne Stadt
im Jahr 2050 aus? Welche
Trends setzen sich durch?
Das sagen Experten
Prof. Albert Speer jr.
Gründer des Architekturbüros
AS&P – Albert Speer & Partner.
Bisherige Projekte: Masterplan
für die Expo 2000 in Hannover,
Masterplan für die Fußball-WM in
Katar, Europaviertel Frankfurt/M.
n „Die gravierendsten
Veränderungen werden
das „Internet der Dinge“
und die Möglichkeiten der
Smart City bewirken. Die
Produktion kehrt teilweise
wieder in die Stadt zurück und die Steuerung des Systems Stadt wird optimiert.
Unser Lebensraum wird grundsätzlich
kaum anders aussehen als heute, aber
die Lebensqualität wird ver­bessert,
die Stadt wird schöner, grüner, sauberer,
sicherer und vielfältiger.“
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Tobias Wallisser
Professor für
Innovative Bauund Raumkonzepte
an der Akademie
der Bildenden Künste
Stuttgart sowie
Mitbegründer des
Laboratory for
Visionary Architecture
(LAVA)
n „Aus einem
Verschmelzen
von natürlichen und von Menschen
­geschaffenen Elementen entsteht eine
neue Qualität der Städte. Dezentrale
Systeme zur Energie- und Wasser­
versorgung sowie vernetzte Verkehrssysteme werden die Weiterentwicklung
prägen. Die Integration von Energieund Nahrungserzeugung in der Stadt,
ein Miteinander von Menschen
und Maschinen, Technik und Natur
schaffen visuellen Reichtum. Daraus
wächst ­bildhaft die technische Natur
des postindustriellen Zeitalters.“
Peter Cachola
Schmal
Direktor des
Deutschen
Architekturmuseums
in Frankfurt/M.
n „Wir erleben
­einen spannenden Moment in
der Geschichte:
das Ende des
­automobilen
Zeit­alters. Prognosen zufolge dominiert schon in 15 Jahren das selbstfahrende Fahrzeug. Die
Folgen wären allumfassend. In unseren
heutigen Städten werden immens große
Flächen für den fahrenden und parkenden Verkehr gebraucht. Diese Areale
würden frei werden, denn es werden
kaum noch Autos benötigt, wenn sie
selbstfahrend ständig unterwegs und
verfügbar sind. Die Entfernungen
­würden zusammenschrumpfen und
damit die Vorstädte wieder interessant
werden – zurück ins Grüne!“
wachsen Prototypen futuristischer Städte praktisch aus dem
Nichts. Stadtplaner entwerfen sie am Computer – mit dem Vor­
satz, „ideale“ Orte zu schaffen. „Bislang funktionieren solche
Städte allerdings nur aus technologischer Sicht, nicht aus der
des alltäglichen Lebens“,
räumt von Radecki ein.
„Dort fehlt Raum, den
die Stadtbewohner selbst
entwickeln und gestalten
können.“ Die menschli­
che Komponente lässt
sich halt nicht komplett
am Computer planen.
Alanus von Radecki, Projektleiter der „Morgenstadt“
Songdo City in Südkorea
ist so eine Reißbrettstadt
auf einer künstlichen Insel: Millionen Sensoren liefern Daten
an einen Zen­t ralrechner, der das städtische Leben regelt. Von
der Verkehrsführung bis zum unterirdischen Müllentsorgungs­
system. Städtische Mitarbeiter beobachten den Energiever­
brauch in Echtzeit an jedem Knotenpunkt, können die Produk­
tion dem Verbrauch anpassen und die Energie verteilen.
„Die größte Barriere in
der Weiterentwicklung
intelligenter Städte
ist die Datenfrage.“
Eine Frage der Kontrolle
Vorteile, denen aber auch Risiken gegenüberstehen: Eine hoch
technisierte Stadt bietet Angriffsflächen für Hacker und Sabo­
tage. Ein Virus könnte das öffentliche Leben lahmlegen. Und: Eine
Stadt, die alles überwacht und speichert, kann ihre Einwohner
vollends zu gläsernen Menschen machen. Die Tausenden Kame­
ras in Songdo City filmen nicht nur jedes falsch geparkte Auto,
sondern auch jeden, der sein Haus verlässt, wann und für wie
lange. „Je mehr Daten e­ rfasst werden, desto größer ist die Ge­
fahr, dass sie in Hände gelangen, in die sie nicht gelangen soll­
ten“, gibt von Radecki zu bedenken. „Die größte Barriere in der
Weiterentwicklung der intelligenten Städte ist nicht die Technik,
sondern die Datenfrage.“ Was wird gespeichert? Wer hat Zu­
griff? Wer kontrolliert die Kontrolleure? Fragen, die noch offen
sind – und für die es Regelungen geben muss. MANUEL OPITZ
Foto: Erika Tiren
Für realistisch hält Schmidt die Agrartürme in ab­sehbarer Zeit
trotzdem nicht. „Die Lebensmittel­preise sind so gering, dass
ein Abweichen von den bisher üblichen Produktionstechnolo­
gien nur schwer vorstellbar ist.“ Landwirtschaft braucht be­
stimmte Bedingungen, um gute Erträge zu erzielen. Die wich­
tigste: der Faktor Licht. „Nichts ist so preiswert wie natürliches
Tageslicht“, erklärt der Agrarwissenschaftler. V
­ ertikale Ge­
wächshäuser müssten aber auf künstliches Licht zurückgrei­
fen – und das ist derzeit noch sehr teuer. „Da ist ­zunächst ein
Umdenken bei Verbraucher und Handel erforderlich“, sagt
Schmidt. Deshalb glaubt er, dass der Nahrungs­m ittelanbau mit
Gewächshäusern zunächst an die Stadt­ränder heranrücken
Der Moment ist jetzt
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