SWR2 Wissen

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Protzbauten des Mittelalters
Abschied von Klischees über Burgen
Von Matthias Hennies
Sendung: Mittwoch, 19. Oktober 2016, 08.30 Uhr
Redaktion: Sonja Striegl
Regie: Autorenproduktion
Produktion: SWR 2016
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MANUSKRIPT
1. O-Ton – Führung:
Dann möchte ich Sie herzlich willkommen heißen, hier auf unserer Burg Querfurt, die
Burg Querfurt zählt zu den größten, ältesten und besterhaltenen Burgen in
Mitteldeutschland, sie hat eine Geschichte von über 1200 Jahren, das erste Mal
wurde sie erwähnt im Hersfelder Zehntverzeichnis im 9. Jahrhundert… (Blende)
Autor:
Mächtige halbrunde Bastionen erheben sich aus dem übergrünten Burggraben, über
eine steinerne Brücke geht es zu einem Tor im bestens erhaltenen Mauerring,
dahinter öffnet sich der Hof. Eine weite Rasenfläche, darum herum graues
Mauerwerk und rote Ziegeldächer: Wohnbauten, Kirche, Kornspeicher, bewacht von
drei hoch aufragenden Türmen. So präsentiert sich die Burg am Rand des
mitteldeutschen Städtchens Querfurt.
Andere Burgen liegen halb zerfallen im dichten Wald, die Mauern überwuchert von
Dorngestrüpp, fast schon ein Teil der Natur: Doch ob Ruine oder gepflegtes
Ausflugsziel, immer regen Burgen die Phantasie an – und beschäftigen auch die
Wissenschaft. Forscher können heute erstaunliche Neuigkeiten über die alten
Gemäuer erzählen.
Zitator:
„Protzbauten des Mittelalters – Abschied von Klischees über Burgen“. Eine
Sendung von Matthias Hennies.
2. O-Ton – Führung:
… im 10. Jahrhundert war die erste Erwähnung, dass die Edlen von Querfurt hier auf
der Burg gelebt haben… Blende
Autor:
Eine Gruppe aus Halle ist auf ihrem Betriebsausflug nach Querfurt
herübergekommen. Was hat sie zu dieser Besichtigung gelockt?
3. O-Ton – Collage:
Besucher: Die Frolleins!
Leiterin: (Gelächter) Die Burgfräulein. Ich habe das für die anderen ausgesucht, weil
ich denke, das haben noch nicht viele gesehen, obwohl sie hier in der Region
wohnen und da sind wir einfach drauf gekommen, uns das hier anzuschauen.
Besucher: Wir waren woanders schon und das ist jetzt noch der zweite Teil des
Tagesausfluges.
Besucherin: Das Mittelalter. Und was Sachsen-Anhalt an Burgen bietet, ist ja doch
sehr interessant.
Besucherin: 'schuldigen Sie, wir müssen hinterher!
2
Autor:
Sachsen-Anhalt zählt zu den Burgen-reichsten Bundesländern in Deutschland. Die
Gegend um Naumburg an der Saale wurde mit gutem Grund „Burgenlandkreis“
getauft. Von dort ziehen sich die alten, turmbewehrten Adelssitze über Querfurt und
den Kyffhäuserberg bis zum Harz hinauf nach Norden: Zeugnis dafür, dass die
Region im Frühen Mittelalter, in der Epoche der Ottonen und Salier, eine wichtige
Rolle in der deutschen Geschichte spielte.
I. Atmo: Schritte, Stimmen im Hof
Autor:
Die Querfurter Burg bietet so viel gut restauriertes, historisches Gemäuer, dass sie
sich einen Ruf als Filmkulisse erworben hat. Während die Gäste aus Halle zu den
Stellen geführt werden, an denen „Die Päpstin“ und „Der Medicus“ gedreht wurden –
II. Atmo: Schlüsselklirren, Tür knarrt …
Autor:
– öffnet Reinhard Schmitt, der wohl beste Kenner der Anlage, eine Tür ins
Untergeschoss: Nicht zum Verließ, sondern zum ältesten Gebäude der Burg. Schmitt
kennt hier buchstäblich jeden Stein: Für die Denkmalpflegebehörden der DDR hat er
die Burg in den achtziger Jahren gründlich erforscht, vor kurzem ist er in Pension
gegangen.
III. Atmo: Schritte in Keller hinab
4. O-Ton – Reinhard Schmitt:
Das ist ein Torhaus, ein Torhaus aus dem mittleren 11. Jahrhundert, das
wahrscheinlich mindestens im deutschsprachigen Raum älteste erhalten gebliebene
Torhaus aus dieser frühen Zeit –
Autor:
– doch die Einfahrt, durch die einst Reiter und Fuhrwerke herein kamen, steckt heute
tief im Boden unter dem Kornspeicher. Draußen liegt das Laufniveau jetzt 2 Meter
höher, erläutert Denkmalpfleger Schmitt, weil sich im Burghof im Lauf der
Jahrhunderte immer mehr Erde abgelagert hat. Nachdem sich die Augen an das
Halbdunkel gewöhnt haben, zeigt er die seltenen, frühromanischen Kapitelle der
Wandpfeiler.
IV. Atmo: Schritte im Keller
Autor:
Dann führt er in ein düsteres Nachbargewölbe: Das „Lapidarium“, eine Sammlung
zerbrochener Grabsteine, die auf dem festgestampften Erdboden ausgelegt sind.
5. O-Ton – Reinhard Schmitt:
Nebendran gibt es noch einen älteren Bau, den ich um 1000 datiere, der ist leider
nicht exakt datierbar, das sind die ältesten Wohnbauten, von denen noch etwa 7
Meter hoch das Mauerwerk erhalten geblieben ist und auch das zählt zu den
absoluten Raritäten in Deutschland.
3
Autor:
Ein unterirdischer Saal ist erhalten. In der Mitte stützt eine Arkade aus schweren
roten Sandsteinbögen die niedrige Decke. Unwillkürlich meint man im flackernden
Licht bärtige Männer an langen Holztischen sitzen zu sehen, die sich mit gewaltigen
Pokalen zuprosten. Der Denkmalpfleger aber weist nüchtern auf eine romanische Tür
hin, die hoch oben an der Wand klebt. Was hier wann entstand, weiß nur der
Fachmann, denn die Edelherren von Querfurt haben das Gebäude aus- und
umgebaut und schließlich zu einem repräsentativen Palast aufgestockt – aus dem
am Ende der Kornspeicher wurde, den heutige Besucher sehen.
V. Atmo: Tür wird verschlossen, Schritte außen
Autor:
Steht man blinzelnd wieder oben im Tageslicht, fällt der Blick gegenüber auf den
„Dicken Heinrich“, den hoch aufragenden, runden Turm aus behauenen
Quadersteinen. Aus dem schmalen, in unerreichbarer Höhe gelegenen Eingang
hängt ein mehrfach geflochtenes Seil herab wie der Zopf der Rapunzel im Märchen –
ein schönes Symbol dafür, dass der Turm normalen Menschen nicht zugänglich ist.
Das ist der Bergfried.
6. O-Ton – Reinhard Schmitt:
Aber er hatte nicht die Funktion, die Bergfrieden seit der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts zugeschrieben wurde, nämlich der letzte Zufluchtsort für die
Burgherrenfamilie zu sein –
Autor:
– denn das wäre nicht sinnvoll gewesen. Wenn Feinde die Burg schon erobert
hatten, brauchten sie ja nur vor dem Turm zu warten, bis der Hunger die letzten
Überlebenden heraustrieb. Burgenforscher sind sich heute einig: Der weithin
sichtbare, für viel Geld aufgetürmte Bergfried diente vor allem als Symbol. Wie ein
mahnender Zeigefinger erinnerte er die Untertanen immer daran, wer ihr Herr war.
Und adeligen Nachbarn und Besuchern signalisierte er:
7. O-Ton – Reinhard Schmitt:
Seht her, das kann ich mir leisten. Ich, als Edelherr von Querfurt.
Autor:
Schon vor Jahren hat die Wissenschaft viele herkömmliche Klischees über Burgen
widerlegt, doch ihre Erkenntnisse haben sich nicht herumgesprochen. Weit verbreitet
ist noch immer die romantisierende Sicht des 19. Jahrhunderts, dass Burgen trutzige
Wehrbauten seien, in denen stolze Ritter in schimmernder Rüstung zuhause waren.
Heute halten Forscher die symbolische Funktion der Burgen für ebenso wichtig. So
wurden sie seit dem 11. Jahrhundert oft auf Bergkuppen errichtet – dort waren sie
besser zu verteidigen, aber zugleich auch weithin sichtbar, ein eindeutiges Zeichen,
wer die Region beherrschte.
Auch viele bauliche Details mögen der Verteidigung gedient haben, demonstrierten
vor allem aber den Wohlstand der Bewohner. Reinhard Schmitt deutet auf die Zinnen
auf dem stark befestigten Westtor: Bezeichnend, dass sie im 19. Jahrhundert
hinzugefügt wurden.
4
8. O-Ton – Reinhard Schmitt:
Die moderne Forschung sieht in Zinnen selbstverständlich ein Wehrelement, aber es
stand nicht hinter jeder Zinne ein Soldat, sondern die Zinne ist wie eine große
Ansammlung von Schießscharten oder auch die Bergfriede ein Element der
Repräsentation und der Wichtigtuerei!
Autor:
Darum finden sich Zinnen eben nicht nur auf mittelalterlichen Befestigungen, sondern
auch auf Wohnbauten. Manche Wissenschaftler meinen: Da Zinnen allein dem Adel
vorbehalten waren, sei es sogar vorgekommen, dass sie entfernt werden mussten,
wenn herauskam, dass der Erbauer nicht von adeligem Stand war.
Burgen werden in Deutschland seit langer Zeit vor allem von freiberuflichen
Bauforschern und Hobby-Historikern untersucht, an Universitäten wird
Burgenforschung nur selten betrieben. Eine Ausnahme bildet der Lehrstuhl von
Professor Peter Ettel in Jena. Der Archäologe, der in der Nähe von Querfurt eine
untergegangene Burg ausgräbt, geht das Thema aus einem neuen Blickwinkel an.
9. O-Ton – Peter Ettel:
Wie steht die Burg im Kontext? Das ist jetzt die Frage, die uns Burgenforscher –
zumindest einen Teil der Burgenforscher interessiert. Manche interessiert tatsächlich
nur die Burg, kunstgeschichtlich und dergleichen. Während wir Archäologen eher die
Fragestellung im Kopf haben, wie steht eine Burg im Siedlungszusammenhang im
Kontext.
Autor:
Daher untersucht Ettel die Reste der Kuckenburg, die im 9. Jahrhundert in Sichtweite
von Querfurt auf einem Bergsporn über der Landschaft thronte. Beide Burgen sind im
„Hersfelder Zehntverzeichnis“ genannt, unterstanden also dem mächtigen Kloster in
Hersfeld im heutigen Hessen. Sie gehörten zu einem größeren,
zusammenhängenden Netz von Burgen, die nicht nur militärischen Zwecken dienten.
10. O-Ton – Peter Ettel:
Im Hersfelder Zehntverzeichnis wird sehr schön berichtet, dass wir 18 Burgen hatten,
hier wurde eben der Kirchenzehnt erhoben aus den umliegenden Dörfern und
Siedlungen. Da wird eigentlich schlaglichtartig klar, welche Rolle administrativer Art
die Burgen gespielt haben: Dieses ganze Gebiet westlich der Saale ist hier eigentlich
kontrolliert gewesen fortifikatorisch, aber eben auch administrativ. Wir haben hier
eine fest geordnete Landschaft und die Burgen haben hier die entsprechenden
Mittelpunkte gebildet.
Autor:
Archäologen haben in den letzten Jahren zahllose Standorte von Burgen identifiziert,
die oberirdisch nicht mehr erkennbar waren. In Deutschland wurden viel mehr
Burgen errichtet, als man bisher dachte, sagt Ettel. Anfangs war dem König das
Recht des Burgenbaus vorbehalten, doch im 9. und mehr noch im 10. Jahrhundert
begannen Adelige selbstständig damit. Sie entwickelten erstmals ein Verständnis für
den Raum und fingen an, durch ein System von Burgen ihr Territorium zu
strukturieren.
5
11. O-Ton – Peter Ettel:
Wir haben es im 10. Jahrhundert mit einer unwahrscheinlichen Modernisierung der
Burgen zu tun. Mit Steinmauern, Türmen davor, mehreren Gräben davor und
letztendlich kommen dann auch bereits auf die Adeligen, die jetzt ein gewisses
repräsentatives Bedürfnis haben, und die Burg spielt jetzt als Wohnbau der Adeligen
eine wichtige Rolle.
Autor:
Ihre Blüte erlebte die deutsche Adelsburg im 11. und 12. Jahrhundert. Wie sich das
Leben dort abspielte, wissen die Historiker nicht genau, denn die zeitgenössischen
Quellen berichten so gut wie nichts über den Alltag – aber sehr vornehm ging es dort
wohl nie zu. Wer auf einer Burg lebte wie die weitverzweigte Sippe derer von
Querfurt, versorgte sich weitgehend selbst. Also lag auf dem Burghof ein stinkender
Misthaufen, Gänse und Schweine, Hunde und kleine Kinder liefen herum. Die
Edelherren verwalteten hier ihren Besitz, hielten Empfänge und
Gerichtsverhandlungen ab, ihre Frauen besorgten den Haushalt.
Etwa 60 bis 80 Menschen könnten zu Friedenszeiten in der weitläufigen Anlage in
Querfurt gelebt haben. Immer wurde an Mauern, Häusern, und Türmen gemauert
und ausgebessert – oder gleich neu gebaut: Im Lauf der Zeit ließen die Edelherren
den mächtigen Bergfried hinzufügen, den Palast, einen Wohnturm und die
erstaunlich große Kirche, die mitten im Burghof steht – in den meisten Burgen findet
sich nur eine Kapelle, angefügt an die Wohnräume. Reinhard Schmitt ist auch der
Baugeschichte der Kirche auf den Grund gegangen.
VI. Atmo: Schritte auf Stein außen, Kirche innen
12. O-Ton – Reinhard Schmitt:
Ich habe 1980 angefangen mit den ersten bauarchäologischen Untersuchungen in
der Kirche, weil ein neues Fußbodenniveau gewünscht war. Und daraus ist dann
eine fast dreijährige Ausgrabung geworden.
Autor:
Zwei Vorgängerbauten und die ehemalige Grabstätte der Edelherren hat der
Denkmalpfleger damals unter dem Fußboden der romanischen Kirche gefunden.
Seine langfristige Untersuchung – auch in der DDR eine Seltenheit – lieferte die
Grundlage für die folgende, umfassende Sanierung.
13. O-Ton – Reinhard Schmitt:
Hier haben wir den Glücksfall, dass es den VEB Denkmalpflege gab, also
Volkseigener Betrieb Denkmalpflege, der für jeden Bezirk gegründet wurde und der
zuständig war für Baumaßnahmen an wichtigen Gebäuden. Die nicht nur durch die
Denkmalpflege, sondern durch politische Entscheidungsträger festgelegt worden
sind. Dort wurde dann investiert. Also dieser Betrieb war ein hochspezialisierter
Fachbetrieb mit allen Gewerken, die man brauchte für die Instandsetzung von
mittelalterlichen Bauwerken – das was heute wieder fehlt – und eine solche Brigade
des VEB Denkmalpflege hat hier intensiv gearbeitet, so dass Burg Querfurt am Ende
der DDR-Zeit in einem guten Zustand dastand.
6
Autor:
Dieses Glück hatten nicht alle alten Adelssitze in Sachsen-Anhalt. Das Land ist voll
von Burgen, denn vor allem im Frühen Mittelalter unterhielten Könige und Fürsten
hier Residenzen. Es waren damals tatsächlich „blühende Landschaften“: Im Harz und
im Mansfelder Raum förderten Bergwerke Edelmetalle zutage, in der Magdeburger
Börde und auf der „Querfurter Platte“ lieferten die fruchtbaren Ackerböden
außergewöhnlich reiche Erträge.
Eine systematische Erforschung der Burgen fand in der DDR nicht statt, doch an
einigen Orten brachten Archäologen und Denkmalpfleger wichtige Erkenntnisse ans
Licht. Die frühmittelalterliche Königspfalz Tilleda etwa ist heute eine der
besterforschten deutschen Pfalzen. Sie liegt eine halbe Autostunde von Querfurt zu
Füßen des bekannten ebenfalls Burg-bestandenen Kyffhäuserbergs. Noch zu DDRZeiten wurde sie aufwändig rekonstruiert und schließlich in ein Freilichtmuseum
umgewandelt.
VII. Atmo: Schritte nach draußen / Stimmen / „Müssen Sie noch mal rein?“
Autor:
In der Querfurter Burg geht es zum Abschluss auf den so genannten „Pariser Turm“,
den einzigen der drei Türme, den Besucher besteigen dürfen.
VIII. Atmo: Schritte, Treppensteigen
Autor:
Durch einen Seitenraum des Burgmuseums führt der Weg über hölzerne Treppen
nach oben, zuerst in einen Wohnraum – mit einem großen Loch im Fußboden: dem
Zugang zum Verließ.
14. O-Ton – Reinhard Schmitt:
Das ist sozusagen das wohnlichere Geschoss des Pariser Turms. Mit den Fenstern,
die groß sind, ja, Wandnischen, wo man was ablegen konnte, wo ne Maus nicht
hinspringen sollte. Hier ist die Öffnung zum Verließ. Können Sie reinschauen. Ist im
Grunde genommen nur ein kleiner gemauerter Schacht.
Autor:
15 Meter geht der schmale Schacht in die Tiefe. Manche Burgenforscher bezweifeln,
dass wirklich Menschen in solche engen Verliese ohne Licht und Luft
hinuntergelassen wurden. Schließlich sollten Gefangene oft ein Lösegeld einbringen
– also mussten sie bei guter Gesundheit sein, wenn man sie austauschte. Die
Verliese hätten demnach eher als Lagerräume gedient. Reinhard Schmitt kennt aber
aktuelle Untersuchungen, die bestätigen, dass diese Schächte sehr wohl als
Gefängnisse gedacht waren.
15. O-Ton – Reinhard Schmitt:
Wenn Sie der Edelherr oder die Edelfrau gewesen sind, hätten Sie bestimmt nicht in
dem Turm wohnen wollen, wo Sie ständig die Geräusche von den Verurteilten in den
Ohren gehabt hätten. Also hier hat kein vornehmer Herr gewohnt, sondern der
Turmwächter.
7
IX. Atmo: Knarrende Dielen / Schritte / „Höher geht es für uns nicht. Reicht auch.“
Autor:
Die Edelherren von Querfurt blieben immer ihrer Region verbunden. Sie gründeten
aber kein eigenes Territorium, sondern begnügten sich mit verstreuten Besitzungen,
die ihre Einnahmen garantierten. Obwohl sich die Gelegenheit bot, verzichteten sie
auch darauf, den Grafen-Titel zu erwerben. Für ein Adelsgeschlecht eine ziemlich
untypische Geschichte.
16. O-Ton – Reinhard Schmitt:
Von hier oben aus hat man einen schönen Überblick über das Areal, das eigentlich
den Edelherren von Querfurt gehörte. Und das waren vier Dörfer. Mehr nicht.
Autor:
Die Burgenforschung wirft auch neues Licht auf die Entwicklung des Adels. Diesem
Zusammenhang geht Professor Sigrid Hirbodian nach, Historikerin an der Universität
Tübingen. Die Spezialistin für die Geschichte Südwestdeutschlands leitet den
Promotionsverbund „Burg und Adel“: eines der wenigen Universitäts-Projekte zur
Burgenforschung in Deutschland – und wohl das einzige, das sich dem Thema
interdisziplinär nähert.
17. O-Ton – Sigrid Hirbodian:
Was uns wirklich interessiert, ist, so eine „Burgenlandschaft“ zusammenhängend zu
verstehen und von allen Disziplinen in den Kontext zu stellen. Dass man am Ende
sagen kann: Wie entwickelt sich im Hochmittelalter so eine Landschaft, wie
entwickeln sich Herrschaftsstrukturen, wo sind die Zentren, von wo aus wird es
beherrscht, in welcher Form wird es beherrscht, gibt es auch wirtschaftliche
Strukturen, die man überhaupt erst in dieser Kooperation erkennen kann?
Autor:
Die Wissenschaftlerin interessiert sich insbesondere dafür, wie der Adel entstand und
wie er sich wandelte. Seit langem meinen Historiker, dass Adelsherrschaft im Frühen
Mittelalter auf einem Verbund zwischen einzelnen Personen beruhte, der oft auch
über große Entfernungen hinweg funktionierte. Im 11. Jahrhundert verlegten dann
viele Adelige ihre Burgen von den Dörfern auf die Berge: eine dramatische
Veränderung, Ausdruck eines neuen Machtbewusstseins. Von ihren Wohnsitzen auf
der Höhe, so die gängige Meinung im Fach, begannen sie nun, den Raum zu
durchdringen. Von jetzt an stützten sie sich auf ein Territorium – das ihrem
Geschlecht übrigens oft den Namen gab. Sigrid Hirbodian bezweifelt jedoch, dass
sich dieser Zusammenhang so einfach verallgemeinern lässt:
17a. O-Ton – Sigrid Hirbodian:
Es ist eben nicht so, dass im 11. Jahrhundert plötzlich der Adel auf die Berge geht
mit den Burgen und von da aus beginnt, seine Landesherrschaft zu etablieren,
sondern wir haben – und das wissen wir durch die Archäologen – schon in sehr viel
früherer Zeit burgähnliche Strukturen und die Frage ist jetzt:
Autor:
Fand der spektakuläre Umzug auf die Bergkuppen schon früher statt? Die Antwort
suchen Doktoranden des Projektes in den zahllosen Burgen am Rand der
8
Schwäbischen Alb: Die konkrete Untersuchung dieser Einzelfälle soll ein
differenzierteres Bild der zeitlichen Abläufe liefern.
Neben Historikern und Bauforschern spielen Archäologen schon lange eine wichtige
Rolle für die Burgenforschung, doch in Tübingen bringen sie jetzt auch innovative
Methoden ein: Unter Leitung von Professor Jörn Staecker versuchen sie,
Wirtschaftsfaktoren und Kommunikationsverbindungen im Umland einer Burg
aufzuspüren – selten durch teure Ausgrabungen, sondern vor allem durch die
Auswertung von LIDAR-Scans.
LIDAR-Aufnahmen entstehen, wenn der Erdboden von einem Flugzeug aus mit
Laserstrahlen abgetastet wird. Die Reflexion der Strahlen ergibt eine hoch präzise
Karte des Geländes, sogar nur wenige Zentimeter hohe Unebenheiten werden
aufgezeichnet. Fachleute können daran regelmäßige, möglicherweise von Menschen
geschaffene Strukturen identifizieren, ähnlich wie in der herkömmlichen LuftbildArchäologie. Clou bei LIDAR: Wo die Sicht auf den Boden behindert ist, durch
Wälder etwa, kann man die Bäume am Computer einfach aus dem Bild
herausrechnen.
18. O-Ton – Jörn Staecker:
Und das ist natürlich eine ganz andere Geschichte, weil wir bewaldete Areale, die
bislang für uns nichts anderes waren als riesige schwarze Löcher, diese Wälder
zeigen jetzt plötzlich Hohlwege, sie zeigen Kohlenmeiler, so dass Sie sehen können,
hier ist irgendwo auch Eisen produziert worden, Sie können vielleicht sogar Stollen
für Bergwerke erkennen, ne ganze Reihe von Fischteichen um Klöster herum erkennt
man auch auf diesen Scans, das ist Wahnsinn, das gibt uns eine Ebene,
hineinzutauchen in die Geschichte – nicht mit diesem Label zu sagen, das ist 1152
oder 53, das können wir nicht, aber wir können erst mal überhaupt sagen, da ist was.
Autor:
Eine gravierende Einschränkung: LIDAR-Scans zeigen nicht, wann die neu
entdeckten Meilerplätze, Stollen oder Fischteiche angelegt wurden. Wer sie datieren
will, muss sie ausgraben. Aber die neue, kulturgeografische Analysetechnik liefert
erstmals eine Übersicht über große Flächen, so dass Wissenschaftler Wegenetze,
Sichtachsen oder wirtschaftliche Zentren in Beziehung zu den Burgen in einer
Region setzen können.
Sigrid Hirbodian nennt noch einen weiteren Ansatz des Forschungsverbundes, der
das Handwerkszeug der Historiker ergänzt: die literaturwissenschaftliche Analyse
mittelalterlicher Epen.
19. O-Ton – Sigrid Hirbodian:
Die Ebene des Verwaltungsschriftguts, der Selbstdarstellung von Klöstern oder der
rechtlichen Absicherung in den Urkunden, auf dieser Ebene können wir
argumentieren, aber die Frage, wie wird so eine Burg wahrgenommen, wie hat die
ideale Burg zu sein, in der Vorstellung der Zeitgenossen? Aus der Literatur haben wir
noch mal einen völlig neuen Blick, der eben auch zeigt, worauf kommt es eigentlich
an bei einer Burg?
X. Atmo: Schritte auf Sandweg, außen
9
Autor:
Ein Mitarbeiter des Tübinger Projekts ist der Historiker Christian Kübler, der oft bei
Bad Urach über die Schwäbische Alb wandert, um neue Erkenntnisse für seine
Doktorarbeit zu sammeln. Er erforscht die zahllosen Burgen am Albtrauf, dem steilen
Nordwesthang, an dem die Alb ins Neckartal abfällt.
20. O-Ton – Christian Kübler:
(Schritte) Dann können wir vielleicht da vorne, bevor wir zum Runden Berg gehen,
gehen wir vielleicht mal da hin, dann können wir vielleicht mal das Tal schon
einsehen. Das ist eigentlich kein großer Umweg.
Autor:
Der „Runde Berg“ ist einer der dicht bewaldeten, separaten Bergkegel, die der
Albhochfläche vorgelagert sind. Die verfallene Burg auf dem Gipfel spielt eine
zentrale Rolle in der Dissertation.
21. O-Ton – Christian Kübler:
(Schritte) Sehen Sie jetzt mal, wie wunderschön das ist! Wenn das mal kein Ausblick
ist. Und jetzt hier, Runder Berg direkt vor uns, Sie sehen, ein ganz schmaler Grat, wir
laufen ja gleich noch rüber, also eine optimale Position zu verteidigen, denn Sie
kommen von unten nicht hoch, viel zu hoch, viel zu steil. Also der einzige
Zugangspunkt ist hier über die Albfläche, wo wir jetzt auch gelaufen sind. Und die ist
einfach über diesen schmalen Grat so gut abgesichert, dann haut man einfach zwei,
drei Gräben rein, dann ist das Ding optimal geschützt.
Autor:
Ein eindrucksvoller Ausblick bietet sich vom Rand der Hochfläche. Die Burgreste auf
dem Runden Berg sind zwischen den Bäumen zwar nicht zu erkennen. Aber gleich
dahinter, auf dem nächsten Kegel, ragen aus dem rot und gelb verfärbten Laub die
übereinander gestaffelten Mauern und Türme einer zweiten Burg auf.
22. O-Ton – Christian Kübler:
Das ist der Hohenurach.
Autor:
Auf einem anderen Gipfel, weiter Richtung Norden, zeichnen sich im
Schönwetterdunst die bläulichen Umrisse der nächsten gewaltigen Befestigung ab.
23. O-Ton – Christian Kübler:
Das ist der Hohenneufen.
Autor:
Wer die Burgen in dieser spektakulären Landschaft errichtete, wann und vor allem
warum, zu welchem Zweck, das ist das Thema von Christian Kübler. Was er sucht,
blieb lange unbeachtet: Lagen hier vielleicht Eisenerzminen oder gab es
Handelswege, die die Burgen überwachen sollten? Die schriftlichen Quellen aus dem
Mittelalter schweigen dazu meist. Also braucht der Historiker die neue Technik. Aus
seinem Rucksack zieht er den Ausdruck eines LIDAR-Scans, der den Runden Berg
von oben zeigt, ohne Bäume, in schwarzweiß.
10
24. O-Ton – Christian Kübler:
(Knistert) Es ist für ein ungeübtes Auge gar nicht so viel. Man muss schon sehr
genau hingucken. Sie sehen hier 1, 2, 3 und 4 wird hier beschriftet mit
Abschnittsbefestigungen am Grat zur Albhochfläche. Sehen Sie was? Das sind
einfach Vertiefungen. Dunkler ist Vertiefung und heller ist Erhöhung, sozusagen. Sie
sehen dann auch hier Nummer 7 und Nummer 8, erkennt man mit bloßem Auge
eigentlich gar nicht so richtig, aber das sind Terrassen am Hang, die auch besiedelt
waren, im Frühmittelalter –
Autor:
– während die Nummern 1-4 Gräben bezeichnen, die den Zugang über den Grat
sperrten. Doch sicher sein kann man erst, betont der Wissenschaftler, wenn man den
Scan mit den Spuren im Gelände vergleicht. Also, Rucksack auf und hinüber zum
Runden Berg!
XI. Atmo: Schritte
Autor:
Auf dem schmalen Grat, der in die ehemalige Burg hineinführt, finden sich schnell die
Spuren, die der LIDAR-Scan zeigt.
25. O-Ton – Christian Kübler:
Sie sehen, daneben ist noch die Aufschüttung. Also Sie haben hier nen Graben, er
ist ja hier im Gelände noch zu erkennen und Sie sehen die Aufschüttung, also das
typische Wall-Graben-System.
XII. Atmo: Schritte im Laub
Autor:
Das ehemalige Gelände der Burg ist verwildert. Im hohen, vertrockneten Gras stehen
Birken, die roten Beeren der Ebereschen leuchten in der Sonne, Kiefern wachsen um
den Rand des Plateaus. Der Platz war über viele Jahrhunderte besiedelt, das haben
Ausgrabungen gezeigt, doch ihre große Zeit erlebte die Burg im 9. und 10.
Jahrhundert:
26. O-Ton – Christian Kübler:
Da wird die Anlage hier wieder neu aufgebaut und diesmal wird sie aus Stein
aufgebaut. Hier entsteht auf einmal eine relativ große Anlage mit einer
Steinbefestigung, mit wahrscheinlich Türmen und auch mit Steingebäuden innerhalb.
Und da wiederum ist besonders, dass man Kachelöfen gefunden hat: Im 9.
Jahrhundert, das ist extrem früh, zu dieser Zeit findet man sowas eigentlich eher auf
Pfalzen, großen Klöstern. Noch viel interessanter: Wir haben Scherben von
Glasfenstern. Das ist eine Ausstattung, zu dieser Zeit ist das nur bekannt aus wirklich
großen Reichsanlagen.
Autor:
Wo sich jetzt Eidechsen auf den Mauerresten sonnen, muss vor rund 1000 Jahren
ein reicher, mächtiger Herr residiert haben. In der Burg lag eine Reitertruppe, das
Hämmern der Schmiede hallte zwischen den Mauern wider, Händler lieferten Waren
aus fernen Regionen aus und in einer großen Halle trafen die Edlen zu Empfängen
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und Festen zusammen. Der Runde Berg mit seinem Reichtum war damals offenbar
Mittelpunkt der Region, ein Zentralort, wie die Wissenschaftler sagen – und ist heute:
ein Rätsel.
Niemand weiß, wer hier residierte, keine Chronik berichtet von den Empfängen und
Christian Kübler hat auch vergeblich nach den Quellen des Wohlstands gesucht. In
der Nähe wurde einst Eisenerz abgebaut – doch da war der Runde Berg nicht
besiedelt. Ein Handelsweg führte durch das Tal – da war die Burg schon
untergegangen. Der Historiker schüttelt den Kopf und setzt seinen Rucksack wieder
auf.
XIII. Atmo: Schritte
Autor:
Die Burgenforschung hat eine Fülle neuer Einsichten gebracht, alte Klischees
widerlegt: Zinnen-bekrönte Mauern und hoch aufragende Bergfriede dienten nicht
nur der Verteidigung, sondern zur Demonstration von Macht und Reichtum. Viele,
oberirdisch kaum noch erkennbare Burgen bildeten weiträumige Netzwerke: als
Stützpunkte zum Eintreiben von Abgaben, zur Kontrolle von Bergwerken und
Verhüttungsplätzen oder zur militärischen Sicherung eines Territoriums. Kurz gesagt:
27. O-Ton – Christian Kübler:
Das ist vielleicht die ganz wichtige Erkenntnis: Die Multifunktionalität der Burg – und
vielleicht auch die Einzigartigkeit jeder Burganlage.
Autor:
Trotz interdisziplinärer Bemühungen, trotz LIDAR-Scans und Ausgrabungen
bewahren manche Burgen ein Geheimnis. Hin und wieder stimmt das alte Klischee
dann doch.
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