Neue Zürcher Zeitung vom 01.10.1962

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Montag, 1. Oktober 1962
<3ürd|cr 3eifung
Morgenausgabe Blatt 6
genug fühle nnd vorerst noch ein bis iz w e
Jahre an sich selbst arbeiten wolle.
Als dann der neue Direktionswechsel kam nnd
Emil Meyer die Leitung der Anstalt übernahm,
begannen die Schwierigkeiten. Der Verteidiger erlung als Spott und Hohn empfand. Deubelbeiss erwähnte
mehrere Beispiele dafür,' daß dem Angewiderte den Gruß nicht, sondern packte den Direk- klagten die Prüfung seiner Gesuche zugesichert,
tor am Hemdkragen und drückte ihn gegen einen daß er aber immer wieder vertröstet wurde oder
trug
Aktenschrank. In der Hosentasche
er zu dieser überhaupt keine Antwort mehr erhielt. Es wird
Zeit ein scharf geschliffenes Messer, das er beim auch behauptet, Direktor Meyer habe verbindliche
Essen, aber auch bei seinen Kartonngearbeiten in Versprechungen nachträglich doch
nicht erfüllt.
Handgemenge,
der Zelle verwendete. Es kam zum
Man muß sich dabei vergegenwärtigen, daß Deuund Direktor Meyer wurde durch Faustschläge und belbeiss nun seit mehr als zehn Jahren in Einzeljeder
Messerstiche verletzt.
Gemeinschaftsarbeit ausgehaft sitzt, von
ist, nur in streng überwachtem IsolierDie Hilferufe des Direktors wurden gehört. Ein schlossen
gang einige
am Tag spazieren darf, keine
anderer Gefangener, der in der nahen Bibliothek Gelegenheit Minuten
erhält, am gemeinsamen Turnen oder
beschäftigt war, und später zwei Wärter eilten zu
auch im Bücherbezug
Deubelbeiss Musizieren teilzunehmen, undZusammenhang
Hilfe. Diese drei Helfer wurden vonüberwältigen
wurde
beschränkt ist. In diesem
mit dem Messer verletzt, als sie ihn zu
Verteidiger
sonderbare Strafe erwähnt,
versuchten. Die Anklageschrift macht ferner gel- vom Regensdorfeine speziellen
Fällen zur Anwenin
tend, Deubelbeiss habe zu dieser Zeit zwei selbst die in
«Dispens»
dung
hergestellte Pistolenattrappen und verschiedene
vom
kommt. Man nennt es dort
Spaziergang, aber in Wirklichkeit ist es ein VerDokumente auf sich getragen, aus denen sich erkenan dieser von den Gefangenen begehrten Freinen lasse, daß er die Absicht gehabt habe, den bot,
luftbewegung teilzunehmen. Der Verteidiger bezwingen,
Direktor zu
ihm und eventuell weitern klagte
sich auch darüber, daß es unter den MitSchwerverbrechern die Flucht unter Mitnahme der gefangenen
Lohngelder und
auch Denunzianten gegeben habe, die
für die Angestellten bestimmten
der Leitung erwerben; die
von Waffen und Munition zu ermöglichen. Die heu- sich dadurch die Gunst
tige Anklage lautet auf vorsätzliche Körperverlet- von Deubelbeiss verlangte Gegenüberstellung mit
zung, Gewalt und Drohung gegen Beamte und un- diesen Denunzianten wurde verweigert.
vollendeten Versuch der Meuterei. Ursprünglich
In rechtlicher Beziehung führte der Verteidiger
hatte die Ansicht bestanden, es liege Mordversuch aus, gegenüber dem Direktor könne zwar eine mit
vor, doch entschied die Staatsanwaltschaft mit Eventualvorsatz begangene vorsätzliche KörperBegründung,
Anklage
guter
zu verletzung angenommen werden, jedoch gegenüber
daß keine solche
erheben sei.
den zur Hilfe geeilten Personen handle es sich nur
fahrlässige Körperverletzung, weil der AngeStatthalter und Bezirksanwalt Bietenholz be- um
gründete die Anklage persönlich und beantragte, klagte hier nur noch in Abwehr gehandelt habe.
(Als Deubelbeiss bereits zu Boden gerissen worGefängnis
Deubelbeiss sei zu anderthalb Jahren
zu
war, hatte ihm ein Wärter das Knie auf die
verurteilen. Wenn auch auf eine Anklageerhebung den
wegen Mordversuchs verzichtet wurde, weil dem An- Gurgel gedrückt und ihm nachher noch Fußtritte
geklagten keine Tötungsabsicht nachgewiesen wer- an den Kopf versetzt.) Meutereiversuch liegt nach
Auffassung des Verteidigers schon deshalb
den konnte, so bleibt der Vorfall dennoch schwer- der
wiegend. Deubelbeiss erhielt die von ihm nach- nicht vor, weil der Angeklagte nicht mit andern
gesuchte Audienz sofort bewilligt, erwiderte aber Gefangenen konspiriert und seine Aufforderungen
abgeschickt hat. Der Tatden freundlichen Gruß des Direktors nicht, sondern zum Mitmachen nicht
griff diesen sofort tätlich an. Der Versuch des bestand der Meuterei (Art. 311 StGB) verlangt
Direktors, Deubelbeiss durch Zureden zur Vernunft jedoch die Zusammenrottung von Gefangenen;
zu bringen, blieb erfolglos. Als Antwort zückte «ein Einzelner kann sich nicht zusammenrotten».
Deubelbeiss das Messer. Im Handgemenge kam der
In einem letzten Abschnitt seines Plädoyers erAugenblick, da der Direktor durch einen rutschenhob der Verteidiger schwere Angriffe gegen die
den Teppich zu Boden fiel. In diesem Moment tra- heutige Leitung der Strafanstalt Regensdorf, der
Grundsatzlosigkeit und Unsicherheit vorwarf.
fen die ersten Helfer ein, die Deubelbeiss überwältigen konnten, dabei aber selbst verletzt wurden. er
Das wirke sich beim Personal und bei den GefanDer hilfsbereite Gefangene wurde später wegen genen aus. Wenn der Direktor abgegebene Versprechen nicht einhalte, führe das zu Disziplinseiner mutigen Tat begnadigt.
widrigkeiten. «Heuchler und Kriecher» würden
Zur Zeit der Tat trag Deubelbeiss vorbereitete
Regensdorf begünstigt
Schriftstücke auf sich, die eindeutig auf den Plan heute in
einer Meuterei schließen ließen. Wir wollen nicht
«Anklagen» des Verbrechers
eingehen,
näher auf diese Dokumente
die vom
Bezirksanwalt teilweise verlesen wurden, müssen
Eine persönliche Befragung des Angeklagten
erfolgt,
aber ihren wesentlichen Inhalt nennen. Direktor
ihm für sein SchlußMeyer sollte zwei Schriftstücke unterschreiben, war nicht ganze doch wurde
Stunde eingeräumt und auch kein
eine
wort
durch die das Personal aufgefordert worden wäre, Einspruch erhoben, als er diese Frist überschritt.
Ausführungen
den_ Meuterern widerstandslos die Türe zu öffnen. Seine
bildeten eine scharfe Anklage
Weitere Dokumente waren an ausgewählte Mit- gegen den heutigen Anstaltsdircktor Emil Meyer
gefangene gerichtet, denen eine Bedenkfrist von
gewisse
und
Wärter. Wenn man auch skeptisch
fünf Minuten eingeräumt wurde, um sich zu ent- sein muß, wenn ein zn lebenslänglichem Zuchthaus
schließen, ob sie an der Meuterei teilnehmen woll- verurteilter Mörder solche Anklagen erhebt, wird
ten. Interessanter als der Inhalt sind die Namen man doch nicht behaupten dürfen, daß er alles erder vorgesehenen Empfänger dieser Briefe. An funden nnd erlogen habe.
erster Stelle stand der ehemalige Komplize Kurt
Deubelbeiss schilderte, wie sich ein homosexuell
Schürmann, dann finden wir aber auch die Namen veranlagter
Aufseher vor dem Guckloch seiner
des aus dem Mordprozeß Eichenwald bekannten
Zelle produziert habe. Er schilderte, wie er beim
Theo Weber und des ebenfalls zu lebenslänglichem Isolierspaziergang
von vier Aufsehern bewacht
Zuchthaus verurteilten Donald Brown (früher wurde,
Hume), der nach dem mißglückten Ueberfall auf
die aus Angst vor ihrem Vorgesetzten die
die Gewerbebank an der Rämistraße einen ihn ver- schärfste Kontrolle ausübten. Eindrücklich schilfolgenden Taxichauffeur erschossen hatte.
und andere Schwerverbrecher
Man derte er auch, wie er
seien, wobei gewisse Wärter unkann schon sagen, daß sich Deubelbeiss eine «wür- schikaniert wordenhätten,
dige» Fluchtbegleitung ausgesucht haue. Die verhohlen erklärt
mit diesen Methoden sollGefangenen zum Selbstmord getrieben
Schreiben an die Mitgefangenen waren übrigens ten diese
Selbstmordkandidaten habe auch
auf den Tenor abgestimmt: «Freiheit ist nur für werden. Zu diesen
gehört.
Deubelbeiss sprach in dieBrown
die bestimmt, die bereit sind, dafür zu kämpfen.» Donald
sem Zusammenhang von «Gestapo-Methoden»; dieWie man aus dem früheren Prozeß weiß, stammt ses Wort fiel mehrmals.
Deubelbeiss aus ordentlichen Verhältnissen. Eine
Besonders empört ist Deubelbciss darüber, daß
Mechanikerlehre hat er mit gutem Erfolg abgeDirektor Meyer gegebene Versprechen nicht einschlossen. Er konnte seinen Beruf auch ausüben, hielt,
wofür er mehrere Beispiele anführte, sowie
beging daneben aber so viele Diebstähle, daß er
darüber, daß die Gefangenen ungleich behandelt
1945 von einem Gericht in Genf zu zwei Jahren
Deubelbeiss selbst konnte feststellen, wie
Zuchthaus verurteilt werden mußte. In der Straf- würden.
ehemaliger Komplize Schürmann begünstigt
anstalt Bochuz lernte er seinen spätem Komplizen sein
gehört heute noch zur untersten
Schürmann kennen. Mit fünfjähriger Bewährungs- wurde. Er selbst
Klasse. Das wird seine Gründe haben. Aber von
frist wurde er dort Ende Oktober 1946 bedingt seinem
Standpunkt aus mußte er es doch als stoentlassen. Nachher arbeitete er an verschiedenen
empfinden, daß Donald Brown, der nach dem
Stellen in Vororten von Zürich.
Der Bezirks- ßend
August 1960 einen Ueberfall auf einen Wärter
anwalt ging ziemlich eingehend auf die Motive ein, 24.
begangen hatte, was einen Großalarm und den EinAngeklagten
die den
zu seiner heute zu beurteilenTränengas auslöste, nach einiger Zeit in
den Tat getrieben haben j er bezeichnete dessen bis satz von
höhere Klasse befördert wurde und die Bein die Details ausgearbeiteten Flucht- und Meute- eine
willigung zur Installation eines Radioapparates in
reiplan als «irreal».
seiner Zelle erhielt.
Unter Nennung von Beispielen erhob DeubelRampenlicht
Wiedersehen mit einem Schwerverbrecher
reif
Nr. 3739
Im Bundeshaus
Aus dem Bezirksgericht Dielsdorf
Es ist ein merkwüriges Gefühl, wenn man
nach mehr als zehn Jahren an den Schranken eines
Gerichts einem Menschen begegnet, den man aus
einem andern Verfahren vor einem andern Gericht
wird. Der
kennt und seither nie mehr vergessen
anfangs Februar
1921 geborene Deubelbeiß stand
1953 vor dem Schwurgericht in Zürich, weil er in
der Nacht auf den 5. Dezember 1951 zusammen mit
seinem Komplizen Kurt Schürmann den Bankier
Bannwart nach bestialischer Folterung in
Armin abgelegenen
Teil des Reppischtals ermordet
einem
hatte. Wir wollen dieses furchtbare Verbrechen,
das in der Bevölkerung nicht vergessen worden ist,
nicht mehr «aufwärmen», aber wir wollen daran
erinnern, daß als Waffen Maschinenpistolen vei>
wendet wurden, die von den Gangstern im Juni
1951 samt Munition aus dem Zeughaus Höngg gestohlen und nachher von ihnen «zweckmäßig» abgeändert worden waren.
Das Schwurgericht verurteilte damals beide Anm
geklagten wegen Mordes zu lebenslängliche
Zuchthaus. Einige, Zweifel ergaben sich insofern, als
PsychiaDeubelbeiss nach dem Gutachten von zwei
einer «schleichenden»
tern ns c h o damals aneigentlich
Schizophrenie litt, was
eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit bewirkt und den
Richter gezwungen hätte, eine mildere Strafe auszusprechen. Das wäre stoßend gewesen, weilDeubelbeiss als der Initiant des Unternehmens erschien und es nicht verstanden worden wäre, wenn
verurteilt
er milder als sein Komplize Schürmann
worden wäre, besonders da durch die gleichen Gutachten festgestellt worden war, daß er gerade wegen
gemeingefährlich
bleiben
seines Geisteszustandes
werde, während bei Schürmann die begründete
Hoffnung bestand, daß er sich durch den Vollzug
langen
Strafe bessern lassen werde. Das Geeiner
richt konnte die in medizinischer Hinsicht sicher
richtigen Gutachten insofern übergehen, als die
forensischen Schlußfolgerungen nicht verbindlich
Ueberund auch nicht restlos überzeugend waren.
z.eugend war hingegen die eingehende Begründung,
mit der das Gericht auch Deubelbeiss»als voll zu-
rechnungsfähig erklärte.
Deubelbeiss und Schürmann
Die beiden wegen der gemeinsamen Tat vom
Schwurgericht zur gleichen Strafe verurteilten
Schwerverbrecher haben inzwischen ganz verschiedene Schicksale erlebt. Kurt Schürmann hat es
verstanden, sich durch Wohlvcrhalten eine bevorzugte Stellung zu erwerben. Vom katholischen Anstaltspfarrer wurde er als Meßdiener ausgewählt,
eine
er konnte zuerst eine Schneider- und dann MögElektrikerlehre absolvieren und soll heute die
lichkeit haben, sich ohne direkte Aufsicht außerhalb der Anstalt zu bewegen. Wir wollen hier nicht
darauf eingehen, daß behauptet wird, Schürmann
habe sich diese Vergünstigungen durch Denunziationen erworben.
Anders sieht das Schicksal des Angeklagten
Deubelbeiß aus. Seit Februar 1952 sitzt er in Regenseinem gemeinschaftdorf in Einzelhaft, Arbeit inverweigert;
das Schlalichen Arbeitsraum wird ihm
Die Teilfen in einem Gemeinschaftssaal ohnehin.verweigert,
nahme am Turnunterricht wird ihm
die für das individuelle Turnen in der Zelle notwendige Teppichunterlage wurde ihm weggenommen, den Spaziergang unter ungewöhnlich strenger
Ueberwachung des Sprechverbots hat er im Einzelgang zu absolvieren, im Winter früh, im Sommer
spät. Das ist sein Leben seit mehr als zehn Jahren,
was weiter nicht so schlimm wäre, wenn nicht
andere Gefangene, die kaum besser als er sind,
anders behandelt würden.
Wenn man Deubelbeiss auch nur einigen Glauben schenken will, muß man ihm zubilligen, daß er
über diese Behandlung empört war, wenn er sehen
und hören mußte, daß dahinter ein «System» stand.
Nach seinen Worten wollte man ihn zermürben und
schließlich «liquidieren», womit er sagen will, daß
man ihn zum Selbstmord habe treiben wollen. Das
sei ihm von einem ihm wohlgesinnten Wärter ausdrücklich bestätigt worden. Deubelbeiss stellt den
wechselnden Direktoren der Strafanstalt Regensdorf verschiedene Noten aus. Unter Direktor Reich,
dem späteren und seither verstorbenen Justizdirektor, ging es einigermaßen, unter Direktor Rütti
ging es gut, aber unter dessen Nachfolger, Direktor
Emil Meyer, ging es gar nicht. Man kann einer
solchen Beurteilung der Anstaltsleitung durch einen
Gefangenen
absprechen, aber es ist
.ieden Wert
doch auffallend, daß Deubelbeiss unter Direktor
Reich nur einmal disziplinarisch bestraft werden
mußte, unter Direktor Rütti überhaupt nie, während sich die Disziplinarstrafen in auffälliger Weise
häuften, nachdem Direktor Meyer sein Amt angetreten hatte. Den Höhepunkt der disziplinarischen Verstöße bildete der Vorfall vom 24. August
1960, der heute vom Bezirksgericht Dielsdorf zu
beurteilen ist.
Wir Berichterstatter hatten uns frühzeitig beim
alten Gerichtsgehäude in Dielsdorf eingefunden,
das in wenigen Wochen ausgedient haben wird, weil
das neue Bezirksgebäude praktisch bezugsbereit ist.
der
Wir wollten sehen, unter welcher Bewachung
Schwerverbrecher Deubelbeiss ins Haus geführt
würde. Die Photographen kamen nicht auf ihre
Rechnung. Unauffällig fuhr ein Auto vor. Ihm entstiegen einige Zivilisten. Einer von ihnen war
Deubelbeiss, die andern waren Polizisten. Niemand
hätte auch nur vermutet, daß hier ein Mann die
Treppe hinaufstieg, der seinerzeit
zwischen Tat
die gesamte Bevölkeund endlicher Verhaftung
rung in Angst und Schrecken gehalten hatte, weil
Komplize
noch
zu befürchten war, daß er und sein
weitere Schwerverbrechen begehen würden.
Die Anklage
Im kleinen und niedrigen, mit Blumen geschmückten Gerichtssaal nahmen die Richer ihre
Plätze ein. Hier durften die Photoreporter einmal
unbehindert «blitzen», und sie schwirrten sogar
noch im Saal herum, als die Verhandlung bereits
eröffnet war. Der Gerichtsschreiber verlas die Anklageschrift. Am 24. August 1960 hat Ernst Deubelbeiss kurz nach 14 Uhr das Direktionsbureau^ der
Strafanstalt betreten, nachdem ihm eine über einen
Wärter verlangte Audienz sofort bewilligt worden
war. Direktor Meyer verließ seinen Platz hinter dem
Schreibtisch und ging Deubelbeiss mit zum Gruß
vorgestreckter Hand mit den Worten entgegen:
«Grüezi, Herr Deubelbeiss, wie gaht'sf» Das brachte
den Angeklagten in Wut, weil er die freundliche
Anrede nach der seit Jahren erhaltenen Behand-
_
Strafanstaltsdirektor im
Rechtsanwalt Rosenbusch hat die (amtliche)
Verteidigung des Angeklagten erst vor kurzer Zeit
,
übernommen
nachdem der frühere Verteidiger sein
Mandat niedergelegt hatte, was dazu führte, daß
ursprünglich
der
auf Ende August angesetzte Prozeß nochmals verschoben werden mußte. Der Verteidiger beantragte dem Gericht, Ernst Dcubelbciss
nur wegen mit Eventualvorsatz begangener vorsätzlicher Körperverletzung gegenüber dem Direktor,
wegen fahrlässiger Körperverletzung gegenüber
dem Mitgefangenen und den beiden Wärtern und
wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte zu verurteilen, ihn hingegen von der Anklage wegCn
Meutereiversuchs freizusprechen und ihn wesentlich milder zu bestrafen.
Der Verteidiger verstand es, das heute zu beurteilende Verhalten in ein ganz anderes Licht zu
stellen, als es nach Anklage und Anklagebegründung erscheinen mußte. Es ist richtig, daß Deubelbeiss unter Direktor Reich im Jahre 1953 einmal
wegen Ausarbeitung eines Fluchtversuchs disziplinarisch bestraft werden mußte, aber es drängt sich
die Frage auf, ob er auf Weisung des Oberaufsehers durch einen Mitgefangenen provoziert
wiirde. Die von ihm verlangte Untersuchung über
die Hintergründe dieses Vorfalls wurde ihm verweigert.
Unter Direktor Rütti hat sich der Angeklagte einwandfrei gehalten and das ihm geschenkte Vertrauen nie mißbraucht. Deubelbeiss
war damals damit beauftragt, in seiner Freizeit
Pläne für die Verbesserung der «mittelalterlichen»
hygienischen Verhältnisse in den Zellen auszuarbeiten. Direktor Rütti soll ihm auch zweimal eine
«Beförderung» in dem Sinn vorgeschlagen haben,
daß er in einem Gemeinschaftssaal arbeiten dürfe.
Deubelbeiss will diese Angebote mit der Erklärung
ausgeschlagen haben, daß er sich dafür noch nicht
nur gegen den
gegenwärtigen Direktor, sondern auch gegen den
protestantischen Anstaltspfarrer und einen Oberaufseher. Wir wollen darauf nicht näher eintreten,
weil es Aufgabe der zuständigen Instanzen ist, diese
erhobenen Vorwürfe
in öffentlicher Verhandlung
zu überprüfen. Schwerwiegend scheint uns vor
allem der Vorwurf zu sein, in Regensdorf würden
die Gefangenen ungleich behandelt nnd es herrsche
eine Günstlingsvnrtschaft. Die Oeffentlichkeit hat
Anspruch darauf, von zuständiger Stelle darüber
orientiert zu werden, ob diese Vorwürfe, auch wenn
sie von einem zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilten Mörder erhoben werden, berechtigt sind.
Doch kehren wir zur Tat zurück. Auch wenn
man nicht die geringste Sympathie für diesen
Schwerverbrecher hat und versteht, daß die Anstaltsleitung gegen ihn mit besonderer Strenge vorging, kann man das Gefühl nicht ganz unterdrücken, daß Deubelbeiss unter der gegenwärtigen
Anstaltsleitung falsch angefaßt wurde. Man weiß
über seinen Geisteszustand Bescheid. Gerade solche
Menschen aber bedürfen einer besonderen Betreuung, auch wenn sie noch so gefährlich sind. Mehr
als zehn Jahre strengster Einzelhaft sind eine
Strafe, die einen Menschen entweder zur Zermürbung oder einmal zu einem «Haftknall» treiben
müssen, wie es bei Deubelbeiss am 24. August 1960
bciss schwerste Vorwürfe nicht
geschehen ist.
Das Urteil
Das tBezirksgerich Dielsdorf hat Ernst Deubelim wesentlichen den Anträgen der Verteidigung folgend, der vorsätzlichen Körperverletzung
gegenüber Direktor Meyer, der fahrlässigen Körperverletzung gegenüber den andern Geschädigten
und der Gewalt und Drohung gegen Beamte schuldig gesprochen, hingegen von der Anklage wegen
Versuchs der Meuterei freigesprochen und ihn zu
beiss,
Neue Zürcher Zeitung vom 01.10.1962
Eine Schulklasse hat soeben das Bundesratszimmer
neben der Wandelhalle besichtigt. Die Wandelhall?
ist neu möbliert worden; modern bezogene Bänke
und niedrige Tische haben die alten Plüschsessel
ersetzt.
Der Präsident der Sozialdemokratischen Fraktion,
Nationalrat Mathias Eggenberger aus St. Gallen
(links), im Gespräch mit seinem Fraktionskollegcn
Nationalrat Dr. Hans Oprecht, Zürich, dem früheren Präsidenten der SPS.
einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die geheime
Urteilsberatung dauerte ungefähr anderthalb Stunden.
Ohne die Urteilsbegründung zu kennen, kann
man das Urteil kaum kommentieren. Immerhin läßt
sich feststellen, daß vor diesem ländlichen Bezirksgericht auch einer der schlimmsten Mörder für
eine neue Straftat Richter gefunden hat, die sich
in ihrem Urteil nicht durch die früheren Untaten
des gleichen Täters blenden ließen. Das Urteil beweist aber auch, daß das Bezirksgericht Dielsdorf
ein gewisses Verständnis dafür aufgebracht hat,
was DeubelbcLss in diesen langen Jahren erlitten
hat und erleiden mußte, bis ihn die wahrscheinlich
freundlich gemeinte, aber nach allen Erfahrungen
als Spott empfundene Begrüssung «Herr Deubelbeiss» explodieren ließ.
Der Schiververbrecher
Deubelbeiss ist sicher nicht der berufene Ankläger
gegen die gegenwärtige Leitung der Strafanstalt
Regensdorf, aber wenn er auch ein noch so übler
Schwerverbrecher ist, sollten seine Anschuldigungen
doch nicht «schubladisiert» werden. Die Vorwürfe
müssen durch die zuständigen Stellen überprüft
werden.
Eine Richtigstellung
Regensdorf, 30. Sept. ag Im Prozeß vor dem
Bezirksgericht Dielsdorf vom vergangenen Donnerstag gegen Ernst Deubelbeiss, der am 24. August
1960 den Direktor der Strafanstalt Regensdorf,
Emil Meyer, mit einem Messer angegriffen und verletzt hatte (Deubelbeiss verbüßt in Regensdorf eine
lebenslängliche Zuchthausstrafo wegen der am
11. Februar 1952 erfolgten Ermordung des Bankiers Bannwart), hat der Angeklagte schwere Vorwürfe gegen Strafanstaltsdirektor Mef/er und den
reformierten Pfarrer der Anstalt, W.Stauffer, gerichtet. Der Anstaltspfarrer stellt nun der Presse
folgende Richtigstellung zu:
«Dem Ernst Deubelbeiß war in keinem Zeitpunkt von irgendeiner Seite her der Bezug von
Büchern aus der Anstaltsbibliothek gesperrt. Es
bestand dazu auch gar kein Anlaß. Deubelbeiß war
vielmehr jahrelang regelmäßig Bücherbezüger und
machte als Insasse der zweiten Disziplinarklasse
auch von seinem Rocht, Wünsche zu äußern, reichlich Gebrauch. Von rund 300 geäußerten Wünschen konnton nur deren 16 nicht erfüllt werden.
Als ihm Gelegenheit geboten wurde, auch seine
ziemlich zahlreichen eigenen Bücher noch zu benützen, verzichtete er selbst eine Zeitlang ausdrücklich auf Bezüge aus der Anstaltsbücherei. Nach
seinem Angriff auf Direktor Meyer wurde er in die
erste Disziplinarklasse zurückversetzt und mußte
auf verschiedene Vergünstigungen verzichten. Allen
Insassen, auch der untersten Stufe, aber werden
regelmäßig für je 14 Tage fünf bis sechs Bücher
ausgegeben. Am 5. November 1960
wies Deubelbeiß ein Bücherpaket zurück, aber schon am
10. Dezember des gleichen Jahres wünschte er wieder bedient zu werden und wurde seither regelmäßig mit Büchern versorgt.
_
Damit widerlegen wir die ungeheuerliche
hauptung, wir hätten Ernst Deubelbeiss über Beein
Jahr lang in seiner Zelle ohne Bücher gelassen. Es
ist bedauerlich, daß in der zweijährigen Unter-
suchung solche und andere Behauptungen in seinem Fall nicht im Beisein von Deubelbeiss mit
Direktion und Pfarramt der Anstalt abgeklärt wurden und so ungeprüft und unwidersprochen über
die Presse den Weg in die Oeffentlichkeit finden.»