12 Obwalden/Nidwalden Montag, 17. Oktober 2016 Wenn der Zauber sichtbar wird Sarnen Urs Kafaders Debüt als Theaterregisseur ist gelungen. Ein ideenreiches Ensemble zaubert Gegensätze zwischen England und Italien malerisch auf die Bühne. Romano Cuonz [email protected] Leseraktion «Ich bi sicher, dr italiänisch Rägä isch besser als dr änglisch», ruft die britische Lady Lotty Wilton (von Nadine Halter quirlig temperamentvoll gespielt) in schierer Verzweiflung. Ja, sie möchte im Stück «Verzaibertä April» von Matthew Barber dem nebligen Grauschwarz auf der Bühne entrinnen. Vor allem dem englischen Regen, den Bühnenbildner Adrian Hossli unentwegt sicht- und hörbar niederprasseln lässt. Dass es nicht nur Regen und Tristesse des Nachkriegs-London sind, vor denen die Frau fliehen will, wird bald klar. Spätestens wenn sie verspätet nach Hause kommt und dort ihren ungeduldig auf Nachtessen und «Times» wartenden Ehemann und Rechtsanwalt Mellersch antrifft. Ihn mimt Florian Sulzbach mit feinem Gespür für umwerfende Komik. Zum Glück hat Lotty inzwischen eine Leidensgenossin angetroffen: Lady Rose Arnott (von Fabienne Zeugin gewollt und gekonnt gegensätzlich dargestellt). Auch sie leidet unter ihrem Ehemann. Frederick heisst er und ist ein nicht so ganz treuer Poet und Partylöwe. In diese Rolle schlüpft Melchior Amgarten mit allen dazu nötigen Attitüden. Magische Annonce in der «Times» Dass Lotty, zum Leidwesen ihres Gatten, die «Times» nicht nach Hause bringt, hat einen triftigen Grund. Sie hat darin eine Annonce entdeckt: Künstler Antony Wilding (Laurin Moor in der Doppelrolle als gewiefter Akteur und Musiker) will sein etwas marodes 5-mal 2 Tickets für Sarner Theater Für unsere Abonnenten verlosen wir heute 5-mal 2 Billette für die Aufführung von «Verzaibertä April» des Sarner Theaters vom Freitag, 21. Oktober, 20 Uhr im Alten Gymnasium. 041 618 62 82 Und so funktionierts: Wählen Sie heute zwischen 14.15 und 14.30 Uhr die obige Telefonnummer. Wenn Sie unter den Ersten sind, die durchkommen, haben Sie bereits gewonnen. Zwei Londoner Frauen wollen dem Nebel entflieht: Sie mieten von einem Künstler ein Haus in der Toscana. Von links Laurin Moor, Fabienne Zeugin, und Nadine Halter. Bild: Romano Cuonz Schlösschen in Italien den ganzen April vermieten. In einer Zeit, in der dort die Sonne scheint und jede Menge Blumen blühen. Lotty und die wortwörtlich überredete Rose erkennen, dass dies die einzige Chance ist, aus ihren Käfigen auszubrechen. Nur: Die Miete ist für ihre Verhältnisse etwas zu hoch. So machen sie sich auf die Suche nach gut betuchten Leidensgenossinnen. Und die finden sie auch: Lady Caroline (Juliane Steinert gibt ihr ein glamouröses und doch einsames Wesen) möchte dem Nachtleben der Goldenen Zwanziger entrinnen. Möchte zu sich finden. Die alternde Mrs Graves – sie trauert unentwegt der guten Viktorianischen Zeit nach – tritt mit ihrem Stock herrisch gestikulierend, voller Verbitterung auf. Höchste Zeit, in den Süden auszubrechen! Diese fulminante Rolle scheint Barbara Keiser auf den Leib geschrieben. Mit der Sonne kommt der Wandel Noch im Zug nach Italien bitten Lotty und Rose – erschrocken über ihren eigenen Mut – der Verzweiflung nahe Gott um Hilfe. Doch dann, im Schlösschen mit dem vielsagenden Namen «San Salvatore», kommen Rettung und Wandel, wird der Zauber des Südens sichtbar! Umsorgt von Zofe Costanza (Martina Brunner als Debütantin bringt Italianità pur auf die Bühne) und dem Gärtner (Willy Zumstein vielsagend in einer stummen Rolle) gewinnen die vier Frauen Lebensmut und Freude zurück. Wie davon sogar ihre mehr als skurrilen Ehemänner profitieren, sei hier nur in einem Satz von Lotty angedeutet: «Mit Liebe dürfen wir nicht geizen.» Urs Kafader führt als Regisseur – das macht schon sein Erstlingswerk sichtbar – eine äusserst feine Klinge. Sprachwitz und Mimik, auch wenn sie noch so versteckt daherkommen, werden hör- und sichtbar. Über die Sprache erhalten die Figuren ihr Profil. Bald mit gewollten Pausen, bald mit rhythmisch schnellen Szenenwechseln sorgt Kafader für Spannung und wirksame Pointen. Was ihn auch auszeichnet: Er nimmt die Unterstützung seiner Mitarbeiter hinter der Bühne dankbar an. Das wunderschön gegensätzliche Bühnenbild von Adrian Hossli etwa: Trist und grau im ersten Teil, opulent und wortwörtlich in hundert Farben aufblühend in der südlichen Pracht des zweiten Teils. Ein Highlight sind die detailliert angefertigten Kostüme von Barbara Medici. Für einmal spielen und erzählen sie mit. Genau wie die Maske, für die Maria del Mar Puente sorgt. Oder die treffend lautmalerische Musik von Laurin Moor und der sparsam, aber eben effektvoll eingesetzte Lichtzauber von Bruno Gisler. Florian Sulzbach bringt auf den Punkt, was den Erfolg des Stücks ausmacht: «Dass ich in einem Frauenroman mitspiele? Dafür muss er verdammt gut sein.» Hinweis Theater Sarnen: «Verzaibertä April». Noch elf Aufführungen im Alten Gymnasium bis zum 5. November. www.theater-sarnen.ch Jeder Mensch hat ein Recht auf Würde Stans Eine Podiumsdiskussion von Pro Senectute Nidwalden griff das Thema «Würdevoll leben – würdevoll sterben» auf. Dabei zeigte sich: Ein intaktes Umfeld ist eine der wichtigsten Voraussetzungen. Es ist kein frommer Wunsch. Jeder Mensch möchte bis zuletzt in Würde leben und ebenso in Würde sterben. Doch was bedeutet «würdevoll» überhaupt? Ein Anlass von Pro Senectute Nidwalden vergangenen Freitag griff dieses Thema auf. «Heute werden wir nicht nur alt, sondern zum Teil sehr alt», sagte Referent Heinz Rüegger, Theologe, Ethiker und Gerontologe, vor der stattlichen Zahl von rund 440 Besuchern. «Während die meisten im dritten Lebensabschnitt zwischen 60 und 80 noch aktiv, gesund und selbstständig sind, fängt die echte Herausforderung des Lebens ab 80 plus an.» Eine der grössten Ängste sei, die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und damit die Würde zu verlieren. «Dies hat dazu geführt, dass man rechtzeitig etwas unternehmen will, um abzutreten, bevor man pflegebedürftig wird und anderen zur Last fällt. Sterben als finaler Akt. Doch ist das der Kern und die Substanz?» Heinz Rüegger stellte in den Raum, dass es weit verbreitet sei, dass würdevoll gleichbedeutend mit gesund, unabhängig und fit sei. «Ich halte dies für sehr problematisch.» Das Leben sei in allen Phasen wichtig Links: Moderatorin Brigitt Flüeler im Gespräch mit Heinz Rüegger. Rechts: Ursula Niederberger und Walter Wyrsch legen ihre Positionen dar. Bilder: Birgit Scheidegger und wertvoll, und jeder sollte Ja sagen zum Alter mit all den Möglichkeiten, Defiziten und Herausforderungen. «Wir sollten erhobenen Hauptes älter werden, auch in Ausschöpfung von Möglichkeiten, die in jüngeren Jahren nicht möglich waren, und mit Defiziten konstruktiv umgehen.» Dazu gehöre auch, so Heinz Rüegger, dass man Hilfe akzeptiere, wenn man auf diese angewiesen sei, und dies nicht als Verlust von Würde sehe. «Vorausset- «Wir sollten erhobenen Hauptes älter werden und mit Defiziten konstruktiv umgehen.» Heinz Rüegger Referent zung für ein würdevolles Leben und Sterben ist ein gesellschaftliches Umfeld, dass die Wünsche ernst nimmt und respektiert.» Das Altern hat viele Herausforderungen In der Podiumsrunde diskutierten auch Walter Wyrsch, Geschäftsführer Spitex Nidwalden, Ursula Niederegger, Dallenwiler Gemeindevizepräsidentin und Sozialvorsteherin, sowie Margrit Zimmermann, Leiterin Pflege und Betreuung im Wohnheim Nägeligasse in Stans, mit. Moderatorin Brigitt Flüeler wollte von Walter Wyrsch wissen, ob die Pflegenden Ansprechpartner haben, wenn sie eine Art «Ohnmacht» erleben. «Man ist allein in der Pflege, deshalb ist es wichtig, ein Gefäss zum ‹Abladen› zu haben», betonte er. Ursula Niederberger warf ein, dass das richtige Gespür, vor allem auch für die Angehörigen, wichtig sei. «Wir haben den Vorteil», so wiederum Wyrsch, «dass wir von der Spitex bei den pflegebedürftigen Menschen Gast sind. So sehen wir zum Beispiel auch Bilder aus guten Zeiten an den Wänden. Anders ist dies im Spital oder in einer Institution.» Als schwierig bezeichnete Margrith Zimmermann Situationen, in denen die Angehörigen etwas fordern würden, das nicht möglich sei. Eine grosse Herausforderung für die Spitex sei hingegen die Zeit. «Da braucht es eine gründliche Analyse, um zu sehen, wie eine würdevolle Betreuung möglich ist», unterstrich Walter Wyrsch. «Mir liegt auch am Herzen, dass man sieht, was die Angehörigen in der Pflege leisten, und ihnen mehr Anerken- nung zeigt», betonte Niederberger. Teils gehe die Pflege über ihre Grenzen und Belastbarkeit. «Wie stellen Sie sich Ihren Tod vor?» Brigitt Flüeler fragte die Teilnehmer, was sie unter einem guten Tod verstehen. «Ich bestimme, wo ich mitspiele», meinte Heinz Rüegger. Auch Ursula Niederberger äusserte den Wunsch der Selbstbestimmung. Den begleiteten Suizid sollte man ebenfalls ernst nehmen. «Und wie stellen Sie sich Ihren Tod vor?», warf die Moderatorin in die Runde. Während Walter Wyrsch sich einen Tag wünscht, an dem der Föhn zusammenbricht, will Ursula Niederberger mit sich im Reinen sein, Margrith Zimmermann gesund sterben und vom Leben gesättigt sein und Heinz Rüegger nicht lange leiden. Im Schlusswort zeigte sich Brigitta Stocker, Geschäftsführerin von Pro Senectute, tief berührt. «Diese Gespräche und das Referat werden uns noch lange begleiten.» Birgit Scheidegger [email protected]
© Copyright 2024 ExpyDoc