Interview mit Markus Wild im Bund Vorlesungsreihe

«Auch das schmerzlose Töten von Tieren ist
falsch»
Tiere hätten ebenso ein Recht auf Unversehrtheit wie Menschen, sagt der Basler Professor Markus
Wild.
Bernhard Ott
Redaktor Ressort Bern
@Ott_Bernhard 15.10.2016
Der Tierflüsterer
Markus Wild hat Philosophie und Germanistik
an der Universität Basel studiert. Von 2003 bis
2012 war er Assistent am Institut für
Philosophie der Humboldt-Universität Berlin.
Danach hatte er für zwei Jahre eine
Förderprofessur an der Universität Freiburg
inne.
«Die Interessen von Lebewesen werden dann verletzt, wenn diese empfindungsfähig sind»:
Tierethiker Markus Wild. Bild: Adrian Moser
Herr Wild, warum wurde die Facebook-Seite Ihres Hundes gesperrt?
Die Seite hiess: «Titus Der Hund». Da es sich nicht um eine Person handelt, wurde
sie abgeschaltet. Für Haustiere gibt es spezielle «Pet Pages». Dort haben meine Frau
und ich ihn aber nicht angemeldet, weil es eher Fanseiten sind, auf denen eine
Kommunikation wie bei personalisierten Seiten nicht möglich ist.
Haben Sie die Abschaltung provoziert?
Nein. Es gibt ja viele, die mit einem Avatar auf Facebook sind. Das wollte ich nicht,
und so haben wir eine Seite für den Hund eröffnet. Das gab uns die Möglichkeit,
Dinge auf spielerische Weise aus der Hundeperspektive zu kommentieren. Ich
nehme den Hund ja auch an Sitzungen und Vorlesungen mit. Ich nenne das «animal
mainstreaming».
Nehmen Sie den Hund wegen der Menschen oder wegen des Hundes an
die Sitzungen mit?
Bringe ich den Hund mit, verändert sich die Stimmung in einer Gruppe sofort
positiv. Aber ich nehme den Hund in erster Linie wegen des Hunds mit. Ich will
nicht, dass er alleine zu Hause bleiben muss.
Es ist also artgerechter, wenn Sie den Hund an die Uni mitnehmen, als
wenn Sie ihn zu Hause lassen?
Ja. Hunde haben eine lange Co-Evolution mit Menschen. Wenn sie mit ihnen
zusammen sind, geht es ihnen gut. Schäferhunde wie Titus passen sich zudem stark
den Verhältnissen an. Wie Sie sehen, liegt Titus unter dem Tisch und schläft. Wenn
ich Hochdeutsch sprechen würde, würde er noch tiefer schlafen, weil ich dies sonst
nur in den Vorlesungen tue. Er weiss dann, dass es jetzt nicht um ihn geht.
Ihr Hund hat Vorlesungen also lieber als Sitzungen?
Ja, aber nicht wegen des Schlafens. Die Vorlesungen hat er gerne, weil er viele der
Studierenden bereits gut kennt. Er begrüsst sie jeweils mit Schwanzwedeln oder legt
sich auf den Rücken, damit man den Bauch kraulen kann. Aber er bleibt immer in
In der Öffentlichkeit wurde er 2012 durch sein
Gutachten zu Bewusstsein und
Schmerzempfinden der Fische bekannt, das er
im Auftrag der Eidgenössischen
Ethikkommission für die Biotechnologie im
Ausserhumanbereich verfasst hatte. Wild lebt
mit Frau und Hund im Baselbiet. Am Mittwoch,
19. Oktober, 18.15 Uhr, hält er ein Gastreferat
im Auditorium Maximum der Universität Bern
zum Thema «Grundrechte für Primaten». (bob)
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der ersten Reihe, weil es auch Studierende gibt, denen es nicht wohl ist neben einem
Hund.
Sie haben die Stellung Ihres Hundes mit der Stellung eines Kleinkindes
verglichen. Beiden gegenüber habe der Mensch eine «Garantenposition».
Aber die Lernfähigkeit von Kleinkindern ist doch grösser?
Natürlich ist sie grösser. Auch hört die Analogie irgendwann mal auf. Aber es gibt
Aspekte, die gleich sind: Hunde wie Kleinkinder brauchen Bindung, Erziehung,
Pflege und Fürsorge.
Sie treten für Grundrechte für gewisse Tiere ein und sagen: «Wenn
Neugeborene, Alte und geistig Behinderte Grundrechte haben, warum
nicht auch der Affe und die Kuh?» Wie meinen Sie das?
Warum schliessen wir Tiere von Grundrechten aus? Wegen der Sprache oder der
Fähigkeit zum Denken? Aber kommunizieren denn Raben und Delfine nicht auch?
Es gibt kein Kriterium, das alle Menschen gegenüber Tieren auszeichnet. Ein blosser
Verweis aufs Menschsein reicht nicht. Wenn Kleinkinder und Menschen mit
schweren Behinderungen Grundrechte haben, dann sollten sie auch für gewisse Tiere
gelten.
Vielleicht braucht man Kuhfleisch zum Überleben?
Nein, das braucht man nicht. In unseren Breitengraden könnte man problemlos ohne
Kuhfleisch leben. Das Essen von Kuhfleisch ist eine Gewohnheit.
Früher fanden Sie die Kuhhaltung tolerierbar, heute nicht mehr.
Die Interessen von Lebewesen werden dann verletzt, wenn diese empfindungsfähig
sind. Empfindungsfähig sind nicht nur Menschen, sondern auch Kühe, Hunde,
Katzen und Schafe. Sie alle haben ein Recht auf Leben. Viele Leute finden es
verwerflich, Kühe zu quälen. Sie finden aber ein schmerzloses Töten in Ordnung.
Früher dachte ich das auch, heute halte ich es für falsch.
Ein Zürcher Bauer sorgte jüngst für Schlagzeilen, weil er seine Kühe auf
der Weide einzeln abschiesst.
Für unseren riesigen Fleischkonsum ist diese sanfte Tötungsart viel zu wenig
effizient. Wir müssten dadurch unseren Konsum massiv einschränken. Ich bin aber
gegen die Tötung dieser Tiere. Beim Menschen würden wir uns auch nicht für
schmerzlose Tötungsmethoden aussprechen. Man würde sagen, dies verletze sein
Recht auf Leben.
Die Schafnutzung finden Sie aber okay im Gegensatz zur Kuhnutzung?
Kühe geben ja nicht einfach Milch, sondern erst, wenn sie künstlich geschwängert
werden. Angesichts der künstlichen Besamung von Kühen ist es eigenartig
anzunehmen, die Herstellung von Milchprodukten sei natürlich. Bringen Sie
Jungtiere zur Welt, werden diese normalerweise geschlachtet. Die Massentierhaltung
zur Produktion von Milch bedingt also die Tötung von Tieren. Das ist vergleichbar
mit der Eierproduktion, wo die männlichen Küken auch geschreddert werden. Bei
Schafen und Geissen gibt es eine Herdenhaltung, die ohne Tötung von Jungtieren
funktioniert. Aber auch da müssten wir unseren Konsum stark verändern.
Ihr Grossvater war Landwirt. Hatten Sie von Anfang an Vorbehalte gegen
sein Metier?
Nein. Viele Leute beklagen sich bei meinen Vorträgen, heute sei man bei Tieren zu
empfindlich. Früher seien Schlachtungen auf dem Bauernhof normal gewesen. Meist
räumen sie dann aber ein, dass es für sie als Kind schlimm gewesen sei, die lieb
gewonnene Sau zu schlachten. Viele Kinder werden von ihrer natürlichen Reaktion
abgehalten.
Kinder finden das Töten von Tieren schlimm, essen aber gerne Fleisch.
Auch Erwachsene haben dieses gespaltene Bewusstsein. Eigentlich wissen sie, wie
Tiere gehalten werden und was in einem Schlachthaus passiert. Sie konsumieren
aber trotzdem Fleisch. Psychologisch spricht man von einer kognitiven Dissonanz.
Die einfachste Art des Umgangs damit ist Verdrängung.
Nochmals: Wann haben Sie zum Vegetarismus gewechselt?
dem Kurznachrichtendienst.
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Ich habe mich lange historisch mit dem Verhältnis von Mensch und Tier und mit der
Tierforschung beschäftigt. Ich wurde aber immer wieder aufgefordert, etwas über
Tierethik zu sagen. Schliesslich habe ich im Vorfeld eines TV-Podiums eine Analyse
gemacht und die Argumente pro und kontra Tierhaltung abgewogen. Dabei kam ich
zum Schluss, dass mein Konsumverhalten falsch war.
Sie assen gerne Fleisch?
Ja. Meine Mutter war eine Metzgerstochter und hat oft Innereien zubereitet. Ich
habe den Vegetarismus aber nie bereut. Man schränkt sich nicht ein, man entdeckt
Neues. Die Küche des Nahen Ostens etwa war eine Entdeckung für mich.
Warum sollten wir uns für Tierrechte einsetzen, wenn wir nicht einmal
Menschenrechte für alle gewährleisten können?
Da muss man zwischen Prinzip und Wirklichkeit unterscheiden. Im Prinzip haben
fast alle Staaten die Menschenrechte anerkannt, auch wenn sie sich nicht immer
daran halten. Die Tierrechte sind aber noch nicht anerkannt. Im Kanton Basel-Stadt
läuft zurzeit die Unterschriftensammlung für die Initiative «Grundrechte für
Primaten». Sie sollen ein Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf
Leben erhalten. In der Schweiz können wir mit relativ wenig Mitteln erreichen, dass
das Leid von Tieren verhindert wird.
Die Initiative richtet sich gegen Tierversuche?
Nur gegen Tierversuche, bei denen die Primaten letztlich getötet werden. Versuche
im Bereich Verhaltensbiologie und die Haltung wären erlaubt. Forschung an Affen
wird ohnehin kaum mehr möglich sein. Die Debatte über die Wiederzulassung von
neurologischen Forschungen an Rhesus-Affen an der ETH Zürich ist ein
Rückzugsgefecht.
Gibt es in Basel denn viele Primaten?
Laut Initianten gibt es 300.
Was wäre denn eine artgerechte Haltung von Affen im Zoo?
Es kommt auf die Art an: Bei Schimpansen müsste es ein Gehege in der Grösse des
Kantons Basel-Stadt sein.
Orang-Utans zum Beispiel verlassen ihr Revier aber kaum.
Orang-Utans sind ein Spezialfall, weil sie eher solitär leben. Sie verlassen ihr Gebiet
tatsächlich nicht. Wenn sie sich paaren, gehen sie aber auf die Suche. Man könnte
auch sagen: In Berlin gibt es Leute, die verlassen Kreuzberg nie. Aber es wäre keine
artgerechte Haltung, sie in Kreuzberg einzusperren.
Sie sind gegen die Haltung von Wildtieren in Zoos?
Ich bin dagegen, wenn sie auf engem Platz gehalten werden. Gerade bei Raubtieren
ist das meistens der Fall. Das Problem mit den Zoos ist, dass sie etwas versprechen,
das sie nicht halten können. Der Zoo verspricht, er vermehre das Wissen über Tiere
und leiste einen Beitrag zum Artenschutz.
Der Berner Tierparkdirektor Bernd Schildger sagt, ohne Zoos wären
europäische Wisente und Przewalski-Pferde ausgestorben. Auch gäbe es
kein Taubenkonzept in Bern.
Herr Schildger kommt immer mit dem Taubenkonzept, und das wars dann.
Solcherart wissenschaftliche Beiträge wären auch ohne Zoos möglich. Und Tiere
sterben dann nicht aus, wenn man reale Habitate schützt. Es geht nicht darum,
künstliche Habitate zu schaffen.
Ohne Masoala-Halle im Zürcher Zoo hätte Madagaskar das Gebiet einem
Holzkonzern verschachert.
Das Zürcher Engagement war ja nur ein Faktor unter vielen. Die Madagassen haben
selber gemerkt, dass es besser ist, Gebiete zu schützen. Aber wieso braucht es Tiere
aus diesen Gebieten in Zoos?
Weil die Leute sich beim Besuch der Masoala-Halle mit diesem Gebiet
und den Tieren auseinandersetzen.
Das ist das übliche Argument. Aber der Einfluss von Filmen auf die Menschen ist
grösser als der Einfluss von Zoos. Der Zoo macht manchmal etwas. Aber er
behauptet permanent, dass er massgeblichen Einfluss auf unser Verhältnis zu Tieren
hat, was nicht erwiesen ist.
Hatten Sie als Kind nie ein Schlüsselerlebnis im Zoo?
Als Kind lief ich einmal ins Nashorngehe im Rapperswiler Zoo hinein, weil das Gitter
offen war. Der Wärter hat mich sofort wieder herausgeholt. Das war mein bestes
Erlebnis im Zoo, weil ich Tiere immer von Nahe erleben wollte und die Abtrennung
durch Zäune und Gräben als unangenehm empfand.
Vielleicht haben Sie sich ja darum für Tierrechte engagiert?
Nein. Ich habe viel mehr über Tiere durch Naturfilme, Lektüre und Streifzüge im
Wald gelernt.
Reale Erlebnisse sind doch viel eindrücklicher für Kinder, zum Beispiel
eine Seehundfütterung.
Seehundfütterungen sind enorm grotesk. Die Becken sind viel zu klein für Seehunde.
Und wir machen sie bei den Fütterungen zu Clowns. Das entspricht nicht den
Möglichkeiten dieser Tiere.
Viele Kinder können nicht so weit reisen, um Seehunde zu sehen.
Angesichts des enormen Reiseverkehrs zählt dieses Argument nicht mehr. Es ist ja
nicht so, dass wir gar keine Tiere mehr in Zoos halten sollten. So wären Reptilienoder Insektenzoos unbedenklich.
Im Dählhölzli will man sich auf einheimische Tiere beschränken.
Wenn es um Erlebnisse mit Dachs, Fuchs oder Hirsch geht, kann man diese auch in
der Natur oder in der Stadt haben.
Zwei kanadische Autoren haben folgende Einteilung vorgeschlagen:
Haustiere sind die Staatsbürger, wilde Tiere in der Stadt die Einwohner
und Wildtiere die Eingeborenen.
Dieser Ansatz überzeugt mich, weil er deutlich macht, dass unser Umgang mit den
verschiedenen Arten von Tieren eine politische Aufgabe ist. Die Beziehungen
zwischen Mensch und Tier müssen verrechtlicht werden, weil in unserer Verfassung
der Schutz der Kreatur verankert ist. Denken Sie nur an den Wolf. Einige Schafhalter
würden ihn nach wie vor lieber erschiessen, als ihre Herden anständig zu schützen.
Eine Klärung des rechtlichen Status beider Tierarten könnte hier Klarheit schaffen.
Zuerst stellen Sie die Alpwirtschaft infrage und jetzt die Schafhaltung.
Ich bin nicht gegen Schaf- oder Kuhhaltung in den Alpen, wenn sie dazu dient, die
Vergandung zu verhindern. Aber sie müsste ohne Schlachten auskommen.
Wovon sollen die Bauern leben?
Ihr Einkommen ist bereits heute nur zum Teil selbst erwirtschaftet. Zudem braucht
ein Bauer nicht von der Fleischproduktion zu leben. Er kann auch Gemüse und Obst
anpflanzen.
Die gesammelten Samstagsinterviews unter www.samstagsinterviews.derbund.ch
(Der Bund)
(Erstellt: 15.10.2016, 08:40 Uhr)