Stationärer Handel und Online-Shops müssen nicht im Wettbewerb stehen. Im Gegenteil: Produkte, die der Kunde im Internet entdeckt, kann er im Geschäft anfassen, bestaunen und kaufen. „Die Wirtschaft“ verrät, wie lokale Händler vom Internet profitieren. Von bis eCommerce Stationärer Handel und Online-Shops Hand in Hand TITELTHEMA REPORTAGE „Der Online-Handel hat uns die Existenz gesichert.“ Wenn Dirk Stein von seinem ersten Online-Shop erzählt, entführt er seine Zuhörer in die Steinzeit des Internets. Bereits 1988 hatte er sein Einzelhandelsgeschäft „Dance Fit“ für Tanzsportartikel in Siegburg eröffnet. 2002 begann er damit, Musik für den karnevalistischen Tanzsport über das Web zu verkaufen. „Einen Warenkorb gab es damals noch nicht, die Kunden bestellten per Mail. Ein Online-Bezahlsystem existierte ebenfalls nicht und Hörproben waren undenkbar. Also spielten wir den Kunden die Musik per Telefon vor“, sagt er und muss über die alten Zeiten lachen. Karnevalistische Tänzer trainierten damals gern zur Musik von James Last oder zu verpoppten klassischen Stücken, etwa von Richard Wagner. „Die Musik kam von schlecht kopierten Kassetten. Es hörte sich grauenvoll an“, meint Stein. „In den Plattenläden gab es kaum CDs mit dieser Musik, sie waren nicht massentauglich. Die Tänzer haben stundenlang auf Wühltischen danach gesucht und kaum etwas gefunden.“ Das änderte sich mit seinem Online-Shop. Stein - selbst leidenschaftlicher Tänzer - gab zudem eine eigene CD mit den tanzbarsten Stücken heraus. Luft nach oben Der Online-Handel mit Waren wächst und wächst. Aus dem „Factbook Handel 2016“ geht hervor, dass die Deutschen im Jahr 2015 für 41,9 Milliarden Euro Kleidung, DVDs, Bücher, Möbel und sogar Lebensmittel im Internet kauften. Hinzu kamen knapp elfMilliarden Euro für Güter und Dienstleistungen wie Reisen und Konzerte. „Das Wachstumspotenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft“, sagt Prof. Dr. Stephan Wimmers, Geschäftsführer Handel, Raumplanung, Tourismus und Verkehr der IHK Bonn/Rhein-Sieg. „Die Entwicklung des Multichannel-Handels und des Mobile Commerce, also des Einkaufs per Smartphone, nimmt weiter Fahrt auf. Stationäre Einzelhändler suchen nach Wegen, um am Internethandel teilzunehmen – möglichst ohne hohe Kosten.“ Für den Kunden liegen die Vorteile des Multichannel-Handels auf der Hand: Er kann von zuhause aus Produkte vergleichen, sich über Preise informieren und dann gezielt ein Geschäft aufsuchen. Der Vorteil für den Händler: Ein ansprechender OnlineShop lockt neue Kunden ins Geschäft, die Produkte sehen, hören und fühlen möchten. Zusätzlich punktet der Händler, wenn er die Kunden persönlich berät und das Produkt innerhalb kurzer Zeit liefern kann. „Multichannel-Händler, die den Kunden auf mehreren Kanälen ansprechen und erreichen, sind die klaren Gewinner“, heißt es im „Factbook Handel 2016“. Zeit, Geld und Know-how Allerdings ist die Pflege eines Online-Auftritts zeitaufwendig. Sie erfordert ein festes Budget und spezielles Wissen. Zeit, Geld, Know-how – an diesen Faktoren scheitern viele Händler. Aus einer Studer CIMA Beratung + Management GmbH, die in Bayern erhoben wurde, geht hervor, dass zwar 83 Prozent der Einzelhändler eine eigene Homepage haben. Doch nur 31 Prozent pflegen ihre Webseiten und nur 22 Prozent nutzen Suchmaschinenoptimierung (SEO). Die Teilnahme an einem Online-Marktplatz, der mehreren Händlern eine Plattform liefert, oder ein eigener Online-Shop sind deutlich aufwendiger als eine Homepage. Denn alle Waren müssen fotografiert und digitalisiert werden. Ein Warenwirtschaftssystem, das Informationen über jedes einzelne Produkt enthält, ist ebenfalls Voraussetzung. Für einen Juwelier mit ausgewählten Uhren und Dirk Stein gründete 1988 als 19jähriger sein Unternehmen. Er begann mit einem Geschäft für Tanzsportartikel in Siegburg. Die Wirtschaft Oktober 2016 9 TITELTHEMA Alle Artikel, die im Ladenlokal von Dance-Fit ausgestellt sind, kann der Kunde auch online kaufen. Kleidung verkauft Schmuckstücken mag es noch überschaubar sein, die Daten seiner Produkte ins Warenwirtschaftssystem einzupflegen. Was aber macht ein Bekleidungshaus mit Dutzenden Lieferanten und hunderten von Produkten? Top-Seller: Tanzstrumpfhosen zurückzunehmen, es seien Hygieneartikel.“ Stein schwamm gegen den Strom. Er nahm die Reklamationen an und bot den Kunden auch dann den Umtausch an, wenn die Strumpfhosen nicht bei ihm gekauft worden waren. So gewann er zahlreiche Stammkunden hinzu. Auch in anderer Hinsicht zieht Stein Parallelen zwischen Online-Shop und Ladenlokal. „So wie ich meinen Laden sauber halte, muss ich auch im Online-Shop durchwischen und Altes aussortieren. Wenn die Einrichtung nicht mehr stimmt, wird es Zeit, die Menüstruktur zu ändern.“ Dirk Steins Unternehmen ist über die Jahre kontinuierlich gewachsen – online und stationär. Er beschäftigt 14 Mitarbeiter, die Musik-CDs, Tanzsport- und Karnevalskleidung verkaufen. Der Online-Handel über dance-fit.de macht etwa 60 Prozent des Umsatzes aus. Hinzu kommen die beiDer stationäre Handel den Läden Dance-Fit in Siegburg und die Bonner muss reagieren Ballett Boutique. Jährlich gehen etwa 5.000 PäckAlle Prognosen sagen voraus, dass der Online-Handel chen und Pakete an die Online-Kunden. „Für den weiter zunehmen wird. Deutsche Verbraucher shopkarnevalistischen Tanzsport sind wir einer der größten deutschen Händler im Internet.“ pen besonders gern online, wie aus dem Europa KonTanzstiefel und Tanzstrumpfhosen sind die Topsumbarometer 2015 der Commerz Finanz GmbH herSeller bei dance-fit.de. Der Erfolg beim Verkauf von vorgeht. 49 Prozent von ihnen geben an, sich mehr Zeit Strumpfhosen für Käufe im Internet zu nehzeigt, dass sich men. 36 Proein guter SerZeit für Käufe: 2009 - 2015 vice auch für zent sagen, dass sie weniger Zeit Online-Händnehmen sich nehmen sich ler auszahlt. in Geschäften mehr Zeit weniger Zeit „Der Marktfühverbringen. „Der für Käufe für Käufe rer für Tanzstationäre Hanim Internet. vor Ort. strumpf hosen del lässt sich wurde aufgedeshalb viel einjew. Deutschland Quelle: Europa Konsum barometer 2015/Commerz Finanz GmbH kauft und verfallen, um den schwand. Eine Wünschen der Zeitlang waren nur Strumpfhosen aus schlechKonsumenten zu entsprechen“, sagt Wimmers. tem Material erhältlich, die beim Anziehen zerDie Dynamik des Internets nimmt zu. Die Abstände, in denen sich grundlegende Regeln des rissen. Viele Händler weigerten sich, diese Artikel 50% 36% 10 Die Wirtschaft Oktober 2016 TITELTHEMA sich online am besten, gefolgt von Unterhaltungselektronik und Büchern. Webs ändern, werden immer kürzer. Sobald sich herumspricht, dass Google seine Kriterien für das Ranking ändert, greifen Heerscharen von Programmierern in die Tasten, um die Suchmaschinenoptimierung zu aktualisieren. Vor ein paar Jahren galt es noch als Gift für einen Online-Händler, wenn Besucher auf seinen Seiten nach unten scrollen mussten, um die Ware zu sehen. Heute gelten „One Page Websites“, also einseitige Webseiten, als hip. Die Einrichtung eines Online-Shops ohne professionelle Hilfe und ein ausreichendes Budget ist kaum noch denkbar. Allein die vielen englischen Fachbegriffe stellen Menschen, die eigentlich nur ihre Ware verkaufen möchten, vor eine große Aufgabe. Hinzu kommen je nach Produkt ganz unterschiedliche Anforderungen zu Transport, Haltbarkeitsdatum, Kommissionsware oder FSK 18, um nur einige Themen zu nennen. Dennoch: Der Trend ist nicht aufzuhalten. Dirk Stein hat ihn mit dance-fit.de früh erkannt: „Der Online-Handel hat uns die ExisUrsula Katthöfer tenz gesichert.“ Ihre IHKAnsprechpartner zum Thema Handel Prof. Dr. Stephan Wimmers Telefon 0228 2284 142, E-Mail: [email protected] Til Bornstedt, Telefon 0228 2284 145, E-Mail: [email protected] SOZIAL/KOMPETENT/LEISTUNGSSTARK – Wir sind eine anerkannte Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und Partner für Industrie, Handel und Handwerk an vier Standorten. Für die Auftragsabwicklung stehen über 1.100 Mitarbeiter/-innen mit unterschiedlichsten Qualifikationen zur Verfügung. Bei einer Auftragsvergabe können gemäß § 140 SGB IX, 50 % der anrechenbaren Arbeitsleistung auf eine eventuell zu zahlende Ausgleichsabgabe angerechnet werden. Unsere Produktionsbereiche sind: • • • • • • Büro- und Versanddienste/EDV Druckerei Elektronik E-Recycling Garten- und Landschaftsbau Holzbe- und -verarbeitung • • • • • • Küche/Verpflegungsmanagement Lager/Logistik Metallverarbeitung Montage Näherei Verpackung Gemeinnützige GmbH Zentralverwaltung Allerstraße 43, 53332 Bornheim-Hersel Tel.: 02222 / 83 02-0 www.bonnerwerkstaetten.de SOZIAL KOMPETENT LEISTUNGSSTARK TITELTHEMA Viele Wege führen in die Innenstadt Die Generation Y denkt anders. Diese jungen Konsumenten in der Altersgruppe zwischen 19 und 39 sind internetaffin und tauschfreudig. Es ist trendy, Bücher weiterzugeben und secondhand zu kaufen. Das eigene Auto hat einen weniger großen Stellenwert. Auch ältere Kunden folgen dieser Entwicklung. Das geänderte Kundenverhalten beeinflusst den Einzelhandel, auch mit Blick auf die Verkehrsströme. Die Anzahl der Fahrgäste im Liniennahverkehr in Deutschland ist seit 2004 (9,95 Mrd.) bis 2013 (10,99 Mrd.) kontinuierlich gewachsen. Für diese Kunden ist entscheidend, ob sie die Innenstadt gut zu Fuß, per Rad oder mit Bus und Bahn erreichen können. Die Reaktionen sind spürbar: Die Stadt München verbreitert Fuß- und Radwege, Autohersteller investieren in CarSharing (car2go, DriveNow), an Vorortbahnhöfen und U-Bahnstationen entstehen große Parkplätze. Dennoch ist der Einzelhandel darauf angewiesen, auch per Pkw gut erreichbar zu sein. Die Händler der Bonner Innenstadt blicken daher mit Skepsis auf die kommenden Jahre, in denen in und um Bonn Autobahnen und Brücken saniert werden. Lieferung noch am gleichen Tag Der Lieferverkehr spielt durch Online-Einkäufe samt Retouren eine besondere Rolle. Die IHK Bochum geht in ihrer Studie „Auswirkungen des eCommerce auf die Ver- Stadtportal Troisdorf: Mehr als Sonderangebote „Schuhe“ – wer dieses Suchwort bei www.troisdorf.city eingibt, findet 94 Einträge. Vom alteingesessenen Schuhhändler bis zum Discounter, von der Modeboutique bis zum Kinderflohmarkt. Beim Suchwort „Immobilien“ sind es 61 Treffer, bei „Pizza“ 21. Troisdorf.City ist ein Stadtportal, in dem Gewerbetreibende ihr Geschäft kostenlos vorstellen können. Initiiert wurde das Portal von der Troisdorfer Wirtschaftsförderungs- und Stadtmar- Das Online-Stadtportal Troisdorf City ist erfolgreich, weil die Zusammenarbeit stimmt: Dirk Pohlscheidt, Geschäftsführer, und Partnerberaterin Claudia Piller von der Mediata Communications GmbH, Schmuck- und Modehändlerin Silke Brinkmann und Wirtschaftsförderer Fabian Wagner von der Trowista. 16 Die Wirtschaft Oktober 2016 keting GmbH (Trowista), der Werbegemeinschaft Troisdorf Aktiv e.V. und dem Presseamt der Stadt. Ihre Idee: Die Verbindung von stationärem Handel und Onlineauftritt zieht die Menschen in die Läden. Wer sich zuhause informiert, geht gezielt in die Geschäfte. „Wir wollen Geschichten über Troisdorf erzählen und darüber den Handel vorstellen“, sagt Fabian Wagner von der Trowista. „Wir zeigen wichtige Treffpunkte in der Stadt und geben Veranstaltungstipps. Die Besucher sehen mehr als Sonderangebote.“ Insgesamt hat das Portal 800 Einträge, mehrere hundert sind von Einzelhändlern. „Wir haben etwa 40.000 Seitenaufrufe pro Monat“, sagt Dirk Pohlscheidt, Geschäftsführer der Troisdorfer Internetagentur Mediata Communications GmbH, die das Portal programmiert hat. Claudia Piller, Mitarbeiterin bei Mediata, besucht Gewerbetreibende in allen zwölf Stadtteilen Troisdorfs, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Jeder, der sich bisher ins Portal eintragen lassen wollte, wurde beraten und fotografiert. Dirk Pohlscheidt: „Wesentlich für das Gelingen ist, dass wir selbst aus Troisdorf kommen und unsere Stadt gut kennen. Ein Stadtportal lebt immer von den Akteuren vor Ort.“ Er sucht Sponsoren, die das Portal mittragen. „Es könnte sich für große Unternehmen z. B. bei der Personalentwicklung auszahlen. Denn Fachkräfte, die von außen kommen, möchten in einer attraktiven Stadt leben.“ Die Unternehmen könnten Stellenanzeigen oder Pressemitteilungen über das Portal veröffentlichen. www.troisdorf.city In Ballungsräumen liefert das Bonner Unternehmen DHL Ware noch am gleichen Tag. kehrsströme innerstädtischer Einzelhandelsstandorte“ davon aus, dass die Städte sich auf mehr Verkehr einstellen müssen und ihre Infrastruktur dementsprechend planen sollten. Vor allem die Verknüpfung von digitalem und stationärem Handel führe zu mehr Güterverkehr. Denn einerseits ließe der Kunde sich Bücher und Schuhe nach Hause bringen. Andererseits fahre er in die Stadt, um dort online bestellte Ware abzuholen oder zurückzugeben. Auch wachse der Anteil mobiler Senioren. Die Zahl der Fahrzeuge steige mit zunehmendem Alter der Gesellschaft. Hinzu kommen neue Lieferkonzepte der lokalen Händler, die ihren Kunden die Produkte so schnell wie möglich nach Hause bringen möchten. Das lohnt sich für Lebensmittel und Medikamente ebenso wie für dringend benötigte Ersatzteile. Dafür benötigt man geeignete Spediteure, die diese Aufgabe in Bonn und Handel³ – Die dritte Dimension des Einzelhandels Stand: Februar 2016 TITELTHEMA Die Aktion „Heimat shoppen“ ist nur eine Facette, mit der Händler das Gemeinwohl in ihrer Stadt stärken. Die Studie „Handel³ – Die dritte Dimension des Handel3 Die dritte Dimension des Einzelhandels Einzelhandels“ der IHKs in NRW untersucht das ehrenamtliche Engagement der Händler am Beispiel von 16 Modellstädten. So gaben alle teilnehmenden Einzelhändler aus Much an, überbetrieblich aktiv zu sein. Schreibwarenhändler Michael Klement zur Rolle des Einzelhandels: „Da, wo engagiert gearbeitet wird, kann Einzelhandel wahrgenommen werden.“ Allerdings bemängeln einige der Befragten, dass zu wenig passiert. Es fehle an Eigeninitiative und gutem Willen. Die Studie steht unter www.ihk-bonn.de | Webcode 2827 zum Download bereit. IHK_Titel_Studie Handel_hoch3_RZ.ind d 2 02.02.16 16:12 den größeren Städten des Rhein-Sieg-Kreises übernehmen können. Das Bonner Unternehmen DHL hat bereits innerhalb mehrerer Ballungsräume die sogenannte SameDay-Lieferung eingerichtet. Für den Transport von Lebensmitteln und Kühlware bietet DHL eine eigene Mehrwegverpackung an. Ursula Katthöfer Auf in neue Märkte! 9000 Seemeilen. 20 Tage. Ihr Export. Lassen Sie Ihr Know-how die Welt sehen. Wir helfen Ihnen dabei. Egal, ob in Übersee oder Europa – wir unterstützen mittel ständische Unternehmen dabei, mit ihren Produkten oder Dienstleistungen neue Märkte zu erschließen. 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