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Gottesdienst am 21. Sonntag nach Trinitatis
16. Oktober 2016 um 9.30 Uhr Kreuzkirche in Schiffbek
Wochenspruch: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!
Röm 12,21
Pastorin Dr. Kirstin Faupel-Drevs
Die geistliche Waffenrüstung
10 Zuletzt: Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. 11 Zieht an
die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des
Teufels. 12 Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit
Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis
herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. 13 Deshalb ergreift die
Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles
überwinden und das Feld behalten könnt.
14 So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem
Panzer der Gerechtigkeit 15 und an den Beinen gestiefelt, bereit einzutreten für das
Evangelium des Friedens. 16 Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des
Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, 17 und
nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort
Gottes.
Als mein Sohn noch ein kleiner Junge war, liebte er es zu kämpfen. Da er das größte
Waffenarsenal der Umgebung hatte, kamen alle Naslang kleine Jungs aus der
Nachbarschaft in unseren Pfarrgarten und dann ging´s hoch her und die Schwerter
aus Holz kamen zum Einsatz, oder später fast echt aus sehende Laserschwerter der
Starwars-Helden und Jediritter, zu denen sie sich zählten und gemeinsam in eine
ganz eigene Welt eintauchten. Und ausgerechnet mein Mann, anerkannter
Wehrdienstverweigerer und unbedingt friedensaktivistisch unterwegs, verhalf den
kleinen Jungs zu ihrem Glück. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er auf ein
frischlakiertes schwarzes Holzgewehr silberne Nieten nagelt und es auf den
Geburtstagstisch legt. So war das, und alle fanden es ein wenig strange, am meisten
ich selbst. Aber mein Mann und ich wußten auch: Wenn kleine Jungs kämpfen
wollen, dann tun sie es. Notfalls beißen sie sich ihr Toastbrot zurecht und machen
„Peng, peng!“ So sind nun mal die Gene, jedenfalls bei den meisten, und da machen
auch Pfarrerskinder keine Ausnahme.
Übrigens gibt sich das mit den Jahren. Heute verachtet mein Sohn jede Form von
Gewalt. Aber damals war es eben anders. Jedenfalls tagsüber. Kaum war die Nacht
gekommen, und mit ihr die Dunkelheit, fragte der Kleine, kaum dass er die
Nachrichten irgendwie mitbekam, angstvoll: „Zu uns kommt doch kein Krieg,
oder?“ und die Tür zum Kinderzimmer musste immer ein wenig offenstehen, damit
Licht reinfiel.
1
Angst vor dem Dunkel, vor den „Mächten der Finsternis“, haben die Kleinen wie die
Großen. Wir kennen sie alle. Paulus spricht von den „Herren der Welt, die in der
Finsternis herrschen“ und die nicht mehr zu unterscheiden sind von den „bösen
Geistern unter dem Himmel“, die nicht aus Fleisch und Blut sind. Das Böse, früher
sprach man noch leichter vom Dämonischen, das ganz offensichtlich Besitz von
Menschen ergreift, so dass sie im Wahn Bomben bauen und auch zünden, dass sie in
angstvoll verzerrte Gesichter sehen und trotzdem mit Gewehr, Axt und Machete
zuschlagen, dass sie wie in Aleppo Bomben auf die Zivilbevölkerung werfen, die
sogar Kellern und Bunker zerstören und alles was lebt und sich regt, zermalmen.
Nie werde ich begreifen, warum der Mensch dem Menschen so brutal zusetzen kann.
Wir haben doch alle „Spiegelneuronen“ in uns, und ein Gespür für Schmerz, und
den Wegweiser der eigenen Angst.
Und doch – wer kennt es nicht – das Gefühl großer, maßloser Wut, die im
Innern aufsteigt und die blind macht für alles andere. Wir sind nicht frei von all dem,
was uns ängstet, und die Schicht der Zivilisation, die alles unter der Oberfläche hält,
ist sehr dünn. Wer Zeiten von Krieg und Mangel an Lebensmitteln erlebt hat, weiß
das nur allzugut.
Und dann ausgerechnet diese Bilder von der „Geistlichen Waffenrüstung“, die
Paulus verwendet: Der Gürtel der Wahrheit, Panzer der Gerechtigkeit, gestiefelte
Beine, bereit das Evangelium zu verkünden, Schild des Glaubens, um die Pfeile des
Bösen auszulöschen, Helm des Heils, Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes.
Vorbild dafür die Soldaten des römischen Kaisers damals in Israel und Judäa.
Paulus, selbst römischer Bürger, kannte das alles, vermutlich stand er selbst unter
der Waffe. Ausgerechnet Paulus verwendet diese Bilder, Paulus, der doch sonst
nichts anderes tun wollte, als Christus den Gekreuzigten und Auferstandenen zu
verkündigen. Diesen Jesus, der den Waffen des Gesetzes hilflos ausgeliefert war, den
Tritten der Soldaten und ihren Peitschen. Der nichts hatte, um sich zu verteidigen
und der schutzlos und nackt am Kreuz verreckte. Paulus, der selbst von der Kraft
Gottes spricht, die gerade in den Schwachen mächtig ist. Was macht das für einen
Sinn?
Ich gestehe, ich tue mich schwer mit dieser martialischen Sprache, auch wenn jedes
Teil der Rüstung mit einer christlichen Tugend verbunden ist. Die Bilder sind zu
stark und als Kriegskinder und Kriegsenkel sind wir alle noch immer versehrt in den
Tiefenschichten unserer Seelen von dem, was unsere Väter und Mütter an Traumata
erlebt haben. Die alten Bilder kehren zurück in dieser Zeit, in der Bombenhagel,
Massaker und Fluchtgeschichten sich wiederholen. Und sie können uns irre machen,
auch an unseren Gottesbildern, die nicht mehr tragen. Wenn Gott „gut“ und
„allmächtig“ ist, warum errettet er die Menschen nicht aus der Hölle von Aleppo??
Hat unser Beten überhaupt einen Sinn? Und noch fataler die Frage, die gerade Opfer
von Gewalt sich häufig stellen: Habe ich mit Schuld an meinem Leid, weil mein
Glauben und Beten nicht stark genug waren?
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Ich möchte trotz aller Vorbehalte versuchen, die „gute Nachricht“ des Evangeliums
aus den Worten des Bibeltextes heraus zu schälen. Es gibt ja immer noch die andere
Seite in der Deutung und die gilt es zu finden, auch um den dunklen Bildern
widerstehen zu können.
„So steht nun fest!“ heißt es da. Was für ein festes Stehen ist damit gemeint? Sicher
ein anderes als das militärische. Das nämlich ist ein steifes Stehen:
Die Grundstellung, durch das Kommando „Stillgestanden“ befohlen, bedeutet:
• Die Füße stehen mit den Hacken aneinander.
• Die Fußspitzen zeigen in einem Winkel von ca. 60° nach außen.
• Das Körpergewicht ruht gleichmäßig auf beiden Füßen.
• Die Brust ist vorgewölbt.
• Die Schultern sind in gleicher Höhe leicht zurückgenommen.
• Die Arme hängen herab, der Zwischenraum zwischen Ellenbogen und Körper beträgt etwa
eine Handbreite.
• Die Hände liegen mit ausgestreckten, aneinander liegenden Fingern mit den Handflächen
an der Außenseite der Oberschenkel an. Der Kopf wird aufrecht gehalten, der Blick
ist geradeaus gerichtet, der Mund ist geschlossen. (Quelle: Wikipedia)
Wer so steif steht, muss nur von der Seite angestoßen werden, dann kippt er um.
Ähnlich und doch anders die „Grundhaltung“ des aufrechten Stehens in
verschiedenen Formen von Leibarbeit: Hier sind die Füße hüftbreit auseinander
gestellt, die Knie sind locker, der Leib aufrecht, aber ganz beweglich. Ein Stoß von
der Seite kann ausgeglichen werden und wer so steht, kann auch „einem Pfeil des
Bösen“ viel besser ausweichen und ihn an sich vorbeizischen lassen.
„So steht nun fest!“ Es geht also um eine Festigkeit anderer Art. Nicht „stocksteif“,
sondern aufrecht, beweglich, wachsam. Diese Haltung stellt sich meistens nicht von
selbst ein. Sie muss geübt werden. Ich denke an die Kultur der „Exerzitien“ des
Ignatius von Loyola. Auch ein Wort aus dem militärischen Jargon, mit dem jedoch
etwas anderes gemeint ist: ein geistlicher Übungsweg, für den ein Mensch sich für
längere Zeit an einem anderen Ort in die Stille zurück zieht. Dazu gehört auch eine
gewisse Strenge im Tagesablauf. Jeder Tag ist strukturiert durch Andachten und
persönliches Gebet, Mahlzeiten Bibellektüre, Spaziergänge in der Natur. Alles
geschieht in der Stille. Sie ist die beste Lehrmeisterin und sie kann eine harte Schule
sein. Denn auf dem Übungsweg begegne ich mir selbst, ich steige in die
Tiefenschichten meiner Seelenwelt wie in einen Brunnen, ich bin mit meinen eigenen
Dämonen und Ängsten konfrontiert. ABER: Wenn ich meine eigenen Abgründe
lerne auszuhalten, halte ich auch die Welt besser aus. Wenn ich unter und inmitten
allen Dunkels und aller Fragen doch von Gott gefunden werde, sein heilendes Licht
erlebe, das alles verwandeln kann, dann erkenne ich dieses Licht auch woanders.
Wenn ich Frieden in mir spüre, kann ich auch in der Welt zum Friedensboten
werden. Es ist die Stärke, die aus dem Innersten kommt, die mich aufrichtet und die
mir die Kraft gibt, dem Bösen und seiner Macht im Ernstfall entgegenzutreten.
„So steht nun fest!“ Was das im Ernstfall bedeutet, zeigt der berührende Film „Von
Menschen und Göttern“. Es geht um die wahre Geschichte einer kleinen
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Gemeinschaft von Trappistenmönchen im Kloster von Thibirine, gelegen im
Atlasgebirge von Algerien, die im Jahr 1996 von Islamisten ermordet wurden. Ihre
enge Beziehung zu den in der Nähe lebenden muslimischen Dorfbewohnern und die
Treue zu ihrer Berufung hindern sie, den Ort zu verlassen, als radikale Islamisten die
Gegend bedrohen und alle Ausländer zum Gehen zwingen wollen. „Die Vögel sind
wir, ihr seid der Baum“, sagt eine junge Frau aus dem Dorf zu den Mönchen und
bittet sie zu bleiben und die Dorfbewohner nicht alleine zu lassen. Trotz aller Ängste
und berechtigter Sorgen entscheiden sich die Mönche tatsächlich dafür zu bleiben
und bezahlen mit ihrem Leben.
Aber ihre innere Stärke, die Kraft ihrer Liebe zu Christus und zu ihrer
Gemeinschaft wird auf berührende Weise immer deutlicher. In einer der letzten
Szenen feiern die Brüder miteinander Weihnachten. Sie rechnen mit ihrem baldigen
Tod und doch feiern sei ein Fest: sie hören Musik, sie essen gut, sie beten voller
Dankbarkeit, sie sind getragen von ihrem Glauben und einer großen Freiheit, die
darin liegt.
Liebe Gemeinde, wir wissen alle nicht, welche Zeiten auf uns zukommen. Keiner von
uns weiß, was ihm oder ihr noch einmal abgefordert sein wird. Darum: lasst uns
festhalten an Gottes Wort und darin wachsen. Das ist unser Feld und unsere Aufgabe
in der Welt, wie auch immer sie sich gebärdet. Wenn wir an Gott festhalten und an
seiner Liebe, so wird der böse Feind seine Macht verlieren.
Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig.
So sei es, Amen.
Es wird kommen der Tag,
da verlasse ich, zaghaft
zuerst, dann beherzt,
meine einsame Insel
Wage mich endlich hervor
Aus dem bewährten Versteck
Und der sicheren Deckung,
fast ohne Angst und ohne
noch einmal mich umzusehen.
Meine Rüstung tue ich
Ab und alle Waffen,
das Wenn und Aber
und steige ins Boot.
Wehrlos werde ich sein
Und verwundbar, ich weiß,
auf dem offenen Meer
und einzig beschützt
von der Liebe
Lothar Zenetti
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