Die Schweiz hat Aufholbedarf

Datum: 15.10.2016
«Die Schweiz hat Aufho bedarf»
Frauenfrage In der Schweiz sind Frauen nur selten in den Chefetagen zu finden. Es gibt aber Ausnahmen: Eine davon ist Julie Fitzgerald.
Sie ist Mitglied in der Geschäftsleitung des Wirtschaftsprüfers PwC Schweiz, vierfache Mutter und mitverantwortlich für 2600 Mitarbeiter.
MIT JULIE FITZGERALD SPRACH
sich in diesem Bereich etwas bewegt
DOROTHEA WURMBRAND STUPPACH
und sich Frauen besser entwickeln können. Eine Quotenregelung könnte hierfür wichtige Inputs geben. Erfolg versprechender erscheint mir jedoch, dass
meinem Willen, Dingen auf den Grund
zu gehen. Was ich tue, will ich auch beFrau Fitzgerald, Sie sind in der Ge- greifen. Ich möchte aber auch den Menschäftsleitung von Price Waterhouse schen und seine Motivation verstehen
Coopers (PwC) Schweiz, arbeiten aller- und begreifen, was jemand in seiner
dings in Teilzeit. Warum sind Sie mehr Karriere erreichen will - und wie ich
die Ausnahme als die Regel in der dabei helfen kann.
Schweiz?
Dass Teilzeitpensen bei meinem Arbeit- Auf der höheren Führungsebene sind
geber unterstützt werden, ist tatsäch- Frauen in der Schweiz mit 6,7 Prozent
lich ein Privileg. PwC hat mir auch nach vertreten. Der internationale Durchder Beförderung nie nahegelegt, wieder schnitt beträgt 13,8 Prozent, wie eine
100 Prozent zu arbeiten. Das Hauptkri- aktuell veröffentliche Studie der Credit
terium für meine Beförderung war Suisse zeigt. Warum denken Sie, hinkt
meine Qualifikation. Es war nicht rele- die Schweiz hier derart hinterher?
vant, ob jemand voll oder Teilzeit arbei- Die Gründe sind meiner Ansicht nach
tet. Ich wünschte mir, dass dies viel ver- vielfältig: Einerseits ist es eine kulturelle
breiteter wäre.
Frage: In den USA oder England sind
Frauen, die Kinder und Karriere unter
Firmen klare Ziele haben, was ihre
weiblichen Führungskräfte betrifft.
Diese Ziele müssen ernst genommen
und die Firmen müssen daran gemessen werden - wie dies bei anderen Zielen auch der Fall ist. Bei PwC Schweiz
haben wir uns klare Ziele gesetzt.
Sie haben vor einem Jahr selber das
Netzwerk «WATT» gegründet. Es steht
für «Women at The Top». Was wollen
Sie damit konkret erreichen?
Unser Ziel ist es, den Frauenanteil in
Führungspositionen bei Schweizer Un-
Was würden Sie jenen Frauen raten, einen Hut bringen, gesellschaftlich akbei denen die Unternehmenskultur zeptierter als bei uns. Auf Unterneh- ternehmen laufend zu erhöhen, zum
kein Teilzeitpensum in Führungsposi- mensebene sind insbesondere klare Beispiel mit Mentoring-Programmen,
spezifischen Workshops und Gelegentionen zulässt?
Ziele und messbare Frauenförderpro-
Ich rate ihnen, sich mit anderen Frauen
zu vernetzen und sich mit Ausdauer für
ihre Anliegen einzusetzen: Die Chefetage erreicht man nicht über Nacht. Bei
mir kam der grosse Aufstieg mit 46 Jahren. Damals wurde ich in die Schweizer
Geschäftsleitung von PwC gewählt und
war ab sofort mitverantwortlich für gut
2600 Mitarbeiter.
heiten, das Netzwerk zu pflegen und zu
gramme wichtig - hier hat die Schweiz
noch Aufholbedarf. Bei PwC Schweiz
haben wir uns konkrete Ziele gesetzt,
um den Anteil weiblicher Partnerinnen
(Geschäftsleitungsmitglieder) zu erhöhen.
Wie erreichen Sie das bei PwC?
Damit wir diese Ziele erreichen, achten
erweitern. Dies ist ein Faktor, den
man nicht vernachlässigen darf. Denn
die meisten Verwaltungsratspositionen
werden gar nicht erst ausgeschrieben,
sondern über persönliche Kontakte besetzt. Hier wollen wir die Frauen unterstützen, ihren Weg in Zukunft erfolgreich zu gehen.
wir darauf, Frauen mit Potenzial für «WATT» ist Teil des Firmennetzwerks
Sie ergänzen seit Kurzem auch das Gloeine Führungsfunktion bereits früh zu
bal Executive Team von PwC und sind
fördern und ihnen konkrete Wege aufvierfache Mutter. Wie oft werden Sie zuzeigen, wie sie diesen Karriereschritt
danach gefragt, wie sie das alles schaf- machen können.
fen?
Sehr oft. Ich sehe die globale Rolle als Die Zahl von Frauen in Führungsposiein grosses Privileg. Für mich persön- tionen steigt. Denken Sie, dass die Entlich ist es eine grosse Freude, diese Auf- wicklung zu langsam ist?
gabe auszuüben. Meine Kinder sind je- Ja, ich denke, es könnte schneller
gehen.
doch genauso wichtig.
Wie haben Sie es geschafft, als Mutter
von vier Kindern so erfolgreich zu werden?
Geschafft habe ich meinen Weg dank
meiner disziplinierten Arbeitsweise und
Themen-Nr.: 660.003
«Advance - Women in Swiss Business»,
dessen Ziel lautet: Bis 2020 den Frauenanteil in Führungspositionen auf 20
Prozent erhöhen. Glauben Sie, dass dies
gelingen wird?
In unserem Netzwerk haben sich 20 der
einflussreichsten Managerinnen der
Schweiz zusammengeschlossen. Auch
Konzerne unterstützen dieses Netzwerk
aktiv - bis jetzt sind es schon 40 GrossWürde eine Frauenquote diese Ent- firmen. Damit sind wir auf dem richtiwicklung nicht beschleunigen? Und gen Weg zu mehr Frauen für eine stärwürden Sie sich für eine Quote ausspre- kere Schweizer Wirtschaft.
chen?
Wichtiger als eine Quote ist mir, dass «Manche Frauen motzen, beklagen sich
Abo-Nr.: 660003
Auflage: 17'000
Argus Ref.: 63076664
Datum: 15.10.2016
und wollen den Karriereschritt dann Wird sich die Arbeitswelt so verändern,
doch nicht machen», haben Sie in dass sich die Frauenfrage in einigen
einem Interview gegenüber dem «Ta- Jahren von selbst in Luft auflösen wird?
gesanzeiger» gesagt. Das klingt so, als Die Digitalisierung, aber auch die neue
wären Frauen teilweise auch selber Generation von Arbeitskräften, werden
Schuld?
die Arbeitswelt weiter verändern. Somit
Nein, so hatte ich das nicht gemeint.
passen sich auch die Frauenförderungsprogramme an: In der Vergangenheit
Was machen Frauen aber falsch?
wurden die Männer oft ausgeschlossen.
Ich denke nicht, dass sie etwas falsch Hier ist ein Umdenken gefragt. Bei PwC
machen - aber sie könnten vielleicht ein stärken wir deshalb die Zusammenarpaar Dinge anders oder besser machen. beit mit den Männern, um den Frauenanteil bis hin zur Partnerebene zu erhöWas denken Sie, was könnten Frauen hen.Wenn Frauen und Männer am gleianders bzw. besser machen?
chen Strick ziehen, wird sich die FrauMeiner Erfahrung nach könnten sich enfrage vielleicht eines Tages in Luft
viele Frauen noch mehr Möglichkeiten auflösen.
schaffen, um unternehmensübergreifende Beziehungen aufzubauen. Dabei
geht es einerseits darum, das Netzwerk
mit Männern zu stärken. In der Position, die für Beförderungen verantwortlich ist, sitzt heute meist ein Mann. Andererseits ist es genauso wichtig, mit
anderen Frauen ein Netzwerk zu bilden.
Netzwerke wie «Advance» können Frau-
en dabei unterstützen, ihr volles Potenzial zu entfalten und somit zu den Architektinnen ihrer eigenen Karrieren zu
werden.
Die Digitalisierung macht flexibleres
Arbeiten möglich. Schlägt das Pendel in
eine für Frauen sehr günstige Richtung?
Ja, ich bin überzeugt, dass die Digitalisierung flexibles Arbeiten vereinfachen
wird, insbesondere durch das Homeof-
fice. Wir werden wegkommen vom
Denkansatz «Wen man am Arbeitsplatz
sieht, der arbeitet, wer nicht im Büro ist,
arbeitet nicht». Das erfordert eine Ver-
trauenskultur. Ich habe die Erfahrung
gemacht, dass, wer sich seine Arbeitszeit selber einteilen kann, viel produktiver ist. Zudem schont es die Umwelt
(weniger Pendler) und reduziert Gebäudekosten.
Organisationen verändern sich, Hierarchien werden flacher und manche
Firmen experimentieren damit, Führungskräfte per Wahl zu bestimmen.
Themen-Nr.: 660.003
Abo-Nr.: 660003
Auflage: 17'000
Argus Ref.: 63076664
Datum: 15.10.2016
1
Zur Person
Julie Fitzgerald ist diplomierte
Wirtschaftsprüferin und vierfache
Mutter. Die gebürtige Engländerin
war zunächst bei der Beratungsgesellschaft PwC in Grossbritannien
tätig, bevor sie 1993 zu PwC
Schweiz wechselte. Dort wurde sie
1999 zur Partnerin ernannt. Per Juli
2013 wurde Fitzgerald zur Leiterin
Growth & Markets von PwC Schweiz
und zum Mitglied der Geschäftsleitung ernannt. Seit Juli 2016 ist sie
Mitglied des Global Executive
Teams von PwC. Zudem hat sie das
Netzwerk «Women at the top»
(WATT) mitbegründet. In diesem
Elite-Netzwerk haben sich 20 der
einflussreichsten Managerinnen der
Schweiz zusammengeschlossen.
WATT ist ein Teil von «Advance
Die vierfache Mutter gehört in der Schweizer Finanzbranche zu den nur
Bild: Daniel Schwendener
sechs Prozent Frauen an den Schalthebeln der Macht.
Themen-Nr.: 660.003
Abo-Nr.: 660003
Women in Swiss Business».
Auflage: 17'000
Argus Ref.: 63076664