Ansprache von Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe

Ansprache
von Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe
zur Kranzniederlegung anlässlich des 50. Todestages von Wieland Wagner
auf dem Stadtfriedhof Bayreuth
(17.10.2016)
Verehrte Mitglieder der Familien Wagner,
lieber Wolf-Siegfried Wagner,
liebe Nike Wagner,
liebe Daphne Wagner,
sehr geehrte Eva-Wagner-Pasquier,
sehr geehrte Katharina Wagner,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
das Nachrichten-Magazin Spiegel schrieb im Oktober des Jahres 1966 in einem Nachruf zu
Wieland Wagner, dem wir heute und nicht nur heute gedenken, ich zitiere in Auszügen:
„Als sich vor anderthalb Jahrzehnten, auf dem Grünen Hügel der Samtvorhang wieder teilte
und erstmals eine Neu-Bayreuther "Parsifal"-Szene freigab, da flüsterte es entsetzt aus der
Wagner-Loge: "Und das von einem Wagner-Enkel."
Die Widersacher des Wieland-Wagner-Stils verspürten allemal einen nicht entschuldbaren
Mangel an Pietät, an Pomp und Plüsch und Butzenscheiben.
Das gab Jubel und Gebuhe; beides ließ ihn unbeirrt.
Unbeirrt holte er sich auch Musik-Avantgardisten aus aller Welt ans Bayreuther DirigentenPult, so 1953 den aus Nazi-Deutschland emigrierten Neuton-Komponisten Paul Hindemith,
so 1966, zum letzten Festival seines Lebens, den französischen Serien-Techniker Pierre
Boulez. Denn was, fragte er, "hilft es, auf der Bühne neue Wege zu gehen, wenn im Geist
des vorigen Jahrhunderts musiziert wird"?
"Man kann es nicht immer nur Richard Wagner anlasten, dass er die Hirne der Menschen
vernebelt - die sind auch ohne Richard Wagner vernebelt genug", so verteidigte Wieland
Wagner seinen Großvater.“
Der Nachruf des Spiegel schließt mit dem Satz:
„Sicher ist, dass Richards Enkel Wieland Wagner zur weiteren Vernebelung deutscher Hirne
nichts beigetragen hat.“
Verehrte Gäste,
Wieland und Wolfgang Wagner gelang mit dem Neustart der Festspiele im Jahr 1951 der
Abschied von den Obsessionen der Vergangenheit.
Die moralisch diskreditierten Festspiele wie auch Wahnfried, in dem - nicht allein aber
insbesondere eben auch - das Deutsch-Nationale wie auch Antisemitismus ihren Platz
hatten und Bayreuth, das als NS-Gauhauptstadt, als kultureller Wallfahrtsort Hitlers alles
andere als eine rühmliche Rolle gespielt hat, hatten eine Chance, dass nicht mehr die
kompromittierende Vergangenheit im Fokus des Interesses stand.
Wieland Wagners Entrümpelung, der Abschied von der Weihestätte, der Abschied vom
völkischen Getue und Gehabe öffnete Bayreuth. Mit Wieland Wagners Inszenierung des
„Parsifal“ des Jahres 1951 sind es Gegenwart und Zukunft der Festspiele, auf die sich die
Augen richten.
Die Welt, die sich hätte – nach allem, was ihr der Nationalsozialismus angetan hat – die sich
hätte gegenüber Bayreuth unnachsichtig zeigen können, entschied sich für Milde gegenüber
Bayreuth.
Selbstverständlich war dies nicht. Wieland Wagner, als Maler und Fotograf ausgebildet und
schon in frühen Jahren für Bühnenbilder bei den Festspielen verantwortlich,
vom Kriegsdienst befreit, als 21-Jähriger Mitglied der NSDAP, erfährt so manche Gunst. Sich
nicht gegen seine, wie es Tochter Nike formuliert hat, „Vereinnahmung wehrend,
konnte er darüber nicht wirklich sprechen.“
Seine Sprache waren seine Arbeiten, sei es am Festspielhaus, sei es in einem der anderen
Opernhäuser dieser Welt.
Und mit dieser, seiner Sprache gelang es ihm, das Werk des Großvaters aus braunem Dunst
und Nebel hervorzuholen. Bernd Mayer formulierte in „Bayreuth eine Stadt wird
entnazifiziert“ hierzu: „Fest steht, dass der Wagnerenkel bald nach Kriegsende eine politischmoralische Kehrtwende und einen fundamentalen Bruch mit seiner eigenen Vergangenheit
vollzogen hat.“
Dieser Bruch, diese Kehrtwende waren es, die es ihm ermöglichten, das Werk seines
Großvaters Richard neu zu denken und der Bühne eine bis dahin neue und unbekannte
Magie zu verleihen, neu zu gestalten, weiter zu denken,
neue Perspektiven zu öffnen, neu zu deuten.
Die Stadt Bayreuth hat ihm auf ganz unterschiedlichen Feldern vielerlei zu verdanken. Ihm
ist es mit zu verdanken, dass die Stadt ein neues, ein anderes Ansehen erhalten hat: die
„Weltdiskussion um Bayreuth“, „Weg vom Wagner-Kult, hin zum kultischen Theater.“
Es dürfte alles andere als ein leichter Weg gewesen sein,
der im Jahr 1951 begann und ein Zeitalter einläutete, das an seinem Ende ein goldenes war.
Da kam etwas Neues, das das Publikum schockierte wie begeisterte.
Damit einher ging eben nicht nur eine Veränderung des Rufs der Stadt, sondern auch eine
bis dahin nicht gekannte positive wirtschaftliche Entwicklung, das Reiseziel Bayreuth war
plötzlich interessant,
ausgebucht die Stadt,
ausgebucht die Hotels,
ausgebucht die Kinder- oder Wohnzimmer in vielen Bayreuther Familien. Die Zahl der Pilger,
die dies sehen wollten, wurde immer größer, die Wartelisten für die Tickets immer länger.
Bayreuth rückte mit den Inszenierungen Wieland Wagners in den Mittelpunkt,
sie brachten eine ganz andere, neue Art der Wagner-Begeisterung,
machten Bayreuth zur ersten Wagner-Adresse der Welt. Entrümpelung und szenische
Revolution, an deren Ende Magie und Mythos stehen.
Beleuchtung, Lichtregie, Bühnenbilder, kreisrunde Flächen, symmetrische Formen,
das Mausoleum am Grünen Hügel wurde Zentrum der Avantgarde.
Die Stadt Bayreuth verneigt sich im ehrenden Angedenken an Wieland Wagner.