Agenda
2016
/2017
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6
8
10
17 21 22
25 26 32
38
Agenda, Übersicht
Uraufführungen und
KomponistInnen
Ensemble und Team
Musik zwischen Logos und Pathos
—Hans Zender
Agenda, Details
Wort. Ton. Gestalt
Festliche Tage
Alter Musik
Für Lothar Knessl
ParZeFool – Der Tumbe Thor
Uraufführungen, Details
Hyena
2Inhalt
Sven Hartberger mit
Raphanus sativus var. sativus
Vielleicht geht es, ohne daß wir das so
richtig bemerkt hätten, schon seit
geraumer Zeit gar nicht mehr um Wissen.
Und schon gar nicht mehr um mehr
Wissen. Vielleicht geht es mittlerweile
darum, aus der ungeheueren Menge
verfügbarer Kenntnisse das Notwendige,
Wesentliche und Nützliche herauszufinden und dieses dann auch noch zu
verstehen.
„Wort. Ton. Gestalt“ einnehmen. Gemeinsam mit Hans Zender, dem Institut für
Philosophie an der Universität Wien und
seiner Leiterin, Violetta Waibel, wird sich
das Klangforum anhand des literarischen
Schaffens von Friedrich Hölderlin
(1770-1843) und Ikkyu Sojun (1394-1481)
mit drei Zugängen zum Phänomen des
Verstehens befassen: „Hölderlin Lesen.
Ikkyu Sojun Hören. Musik Denken“.
Was „Verstehen“ überhaupt und im
Allgemeinen bedeuten kann, und wovon,
im Besonderen, wir sprechen, wenn wir
sagen, daß wir eine bestimmte Musik
verstehen oder eben nicht verstehen:
Dieser Frage wird das Klangforum Wien in
seiner neuen Spielzeit hörend nachgehen.
Der mit diesem programmatischen
Anfang im Herbst 2016 gelegten Spur
folgt das Ensemble durch die gesamte
Spielzeit auf einem Weg, über dessen
einzelne Stationen die vorliegende
Agenda Aufschluß bietet. Den abschließenden Höhepunkt seiner musikalischen
Auseinandersetzung mit der Frage des
Verstehens setzt das Ensemble mit der
Uraufführung der im Auftrag der Wiener
Festwochen entstandenen Befragung von
Richard Wagners Parsifal-Partitur durch
Bernhard Lang. Mit seiner großen
Komposition ParZeFool-Der Tumbe Thor
hat der Komponist eine facettenreiche
Umkreisung von Wagners dichterischer
und musikalischer Deutung des ParsifalStoffes geschaffen, die Jonathan Meese
eine fruchtbare Grundlage für unterschiedliche Wege zu Begreifen, Einsicht
Wir tun das zunächst in den sieben
Konzerten unseres Zyklus „science?
fiction!“, in denen wir die – in Wahrheit
ziemlich engen – Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten ausloten
und, jenseits dieser Grenzen, nach
alternativen Formen von Einsicht und
Begreifen suchen. Einen zentralen Platz
auf dieser Suche wird das Symposion
3Vorwort
und Erkennen bieten wird. Den ersten
dieser Zugänge werden wir bei der
Première seiner Inszenierung erkunden
können, die unter dem Titel
MONDPARSIFAL 1-8 (ERZMUTTERZ
DER ABWEHRZ) im Juni 2017 die Saison
des Ensembles beschließen wird.
Den literarischen Einstieg in das Leitmotiv unserer Spielzeit und in die vorliegende Agenda bildet Hans Zenders
ungemein dichter Essay Musik zwischen
Logos und Pathos, den wir als Vorabdruck
aus seinem im Oktober erscheinenden
Buch Denken hören – Hören denken hier
als Erstveröffentlichung präsentieren
dürfen. Im November werden wir dann
den Autor, der nicht nur einer der herausragenden Komponisten, sondern gleichzeitig einer der bedeutendsten Musikdenker und -schriftsteller unserer Zeit ist, bei
dem aus Anlaß seines achtzigsten
Geburtstages ausgerichteten Symposion
in Wien ehren.
Im Namen des Ensembles wünsche ich
Ihnen eine erfüllende und inspirierende
Lektüre der neuen Agenda des Klang­
forum Wien, und uns Ihre angelegentliche
Begleitung auf den vielfältigen musikalischen Pfaden, die wir in dieser Spielzeit
beschreiten werden.
—Sven Hartberger
Agenda,
Übersicht
Konzert- und Musiktheaterprogramm
Konzertzyklus
Klangforum PLUS
Festliche Tage Alter Musik
22. Juli 2016
Salzburg, Universität Mozarteum
Internationale Sommerakademie
das kleine ICH BIN ICH
7. Oktober 2016
Graz, Helmut-List-Halle
Musikprotokoll
Verbinden & Abwenden
UA
UA EA EA EA EA
—
—
30. und 31. Juli 2016
Salzburg, Universität Mozarteum
Internationale Sommerakademie
Workshop Dirigieren
—
15. Oktober 2016
Donaueschingen, Donauhallen
Donaueschinger Musiktage
An Evening of Real Class Struggle
1. August 2016
Salzburg, Kollegienkirche
Salzburger Festspiele
Salzburg Contemporary/
Peter Eötvös
—
6. August 2016
Salzburg, Kollegienkirche
Salzburger Festspiele
Salzburg Contemporary/
Friedrich Cerha und György Kurtág
—
8. August 2016
Salzburg, Universität Mozarteum
Internationale Sommerakademie
Portrait Friedrich Cerha
—
5. September 2016
Wien, d51
Klangforum PLUS
NACHBARN
—
14. September 2016
Florenz, Tepidarium del Roster
Firenze Suona Contemporanea
Fallen Falls
UA UA
—
24. September 2016
Schwaz, SZentrum
Klangspuren
Klangspuren Finale
—
30. September 2016
Wien, d51
Saisoneröffnung
Hausfest
UA UA
—
UA UA UA
—
23. Oktober 2016
Tallinn, RO Estonia kammersaal
AFEKT Festival
domkrat polej i pustot
UA
—
28. Oktober 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
Klangforum PLUS
Fremde Ohren oder:
Wie Musiker das hören
—
28. Oktober 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
musique savante und
musique sauvage
EA EA
—
30. Oktober-1. November 2016
Wien, Dschungel
netzzeit/ Wien Modern
das kleine ICH BIN ICH
UA
—
31. Oktober 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
Internationale Musikbrücke
Der Klang nach Seide
UA UA UA UA UA UA
—
8. November 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
Wien Modern
Pulse Shadows
—
9. November 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
Wien Modern
Noch sind wir ein Wort...
UA
—
4
Agenda, Übersicht
12. November 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
Wien Modern/ science? fiction!
Dämonen
UA
—
19. November 2016
Huddersfield, St. Paul’s Hall
Huddersfield Contemporary
Music Festival
Hyena
—
20. November 2016
Huddersfield, St. Paul’s Hall
Huddersfield Contemporary
Music Festival
Skin
—
27.-29. November 2016
Wien, Semperdepot
Universität Wien, Institut für
Philosophie/ Wien Modern
Wort. Ton. Gestalt
EA
—
4. Dezember 2016
Salzburg, Universität Mozarteum
Internationale Sommerakademie
Portrait Friedrich Cerha
—
19. Januar 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
Festliche Tage Alter Musik
Endzeit
—
22. Januar 2017
Wien, Arnold Schönberg Center
Festliche Tage Alter Musik
Auf verwachsenem Pfade
—
EA EA
—
UA EA
—
23. April 2017
Wien
Wiener Konzerthaus
Für Lothar Knessl
EA
27. Januar 2017
Wien, Wien Museum
Festliche Tage Alter Musik
Voix Étouffées
—
1. Februar 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
Festliche Tage Alter Musik
Très Belle Époque
—
2. Februar 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
Festliche Tage Alter Musik
Spuren nach Darmstadt
—
10. Februar 2017
Graz, Helmut-List-Halle
Impuls
Neue Werke
UA UA UA UA UA
14. Dezember 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
Jenseits
20. April 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
Déjà-vu
—
21. Februar 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
Hinter den Spiegeln
—
3. Mai 2017
Hamburg
Elbphilharmonie
Speicher
—
4., 6. und 8. Juni 2017
Wien, Theater an der Wien
Wiener Festwochen
ParZeFool/
MONDPARSIFAL ALPHA 1-8
UA UA
—
19. Juni 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
Der Mensch muss weg
—
3.-19. Juli 2017
Aix-en-Provence, Grand Théâtre
de Provence
Festival d’Aix-en-Provence
Pinocchio
UA
—
EA
12. Januar 2017
Athen, Auditorium A. Onassis
Onassis Cultural Centre
Ebe und anders
—
—
21. März 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
künstlich intelligent
EA
—
6. April 2017
Graz, MUMUTH
Klangforum PLUS/ PPCM
SCAN III – Beat Furrer
—
5
15., 16. und 18. Oktober 2017
Berlin, Haus der Berliner Festspiele
Berliner Festspiele
ParZeFool/
Mondparsifal Beta 8-13
UA
—
Uraufführungen
Philippe Boesmans Manuela Kerer
— Pinocchio S. 29
— oscillare S. 36
Michail Paraskakis
— kama S. 40
Carolyn Chen
— We were dead
and we could
breathe. S. 41
Eva Reiter
— Noch sind wir
ein Wort ... S. 37
Richard Dünser
— der zeiten
spindel I S. 36
Beat Furrer
— intorno al
bianco S. 32
Bernhard Gander
— Cold Cadaver
With Thirteen
Scary Scars S. 35
Sehyung Kim
— Sijo_310516
S. 36
Bernhard Lang/
Klangforum Wien
— SCAN S. 24
Christoph Renhart
— miroirs noirs
Adam McCartney
— A way after
remains or
reflections S. 40
Rebecca Saunders
— Skin S. 35
Bernhard Lang
— ParZeFool –
Der Tumbe Thor/
Jonathan Meese
— MONDPARSIFAL
Zeynep Gedizlioğlu ALPHA 1-8/ BETA
— Verbinden &
8-13 S. 26
Abwenden S. 34
Simone Movio
Georg Friedrich
— Incanto VII S. 34
Haas
Oxana Omelchuk
— das kleine
— domkrat polej i
ICH BIN ICH S. 32
— Hyena
pustot S. 36
S. 38
6
Uraufführungen und KomponistInnen
S. 37
Benjamin Scheuer
— Nouveaux
Agréments S. 34
Diana Soh
— iota S. 40
Lorenzo Troiani
— We are
destroyed S. 41
Michael Wertmüller
— discorde S. 35
Erwin Wurm/
Andrea Cavallari
— Fallen Falls S. 33
KomponistInnen
Ondřej Adámek
Dieter Ammann
Alban Berg
Pierluigi Billone
Harrison Birtwistle
Lili Boulanger
Pierre Boulez
John Cage
André Caplet
Friedrich Cerha
Luigi Dallapiccola
John Dowland
Hanna Eimermacher
Peter Eötvös
Jean Françaix
Reinhard Fuchs
Henryk Górecki
Gérard Grisey
Wilhelm Grosz
Sofia Gubaidulina
Ye Guohui
Alois Hába
Adriana Hölszky
Klaus Huber
Clara Iannotta
Leoš Janáček
Mauricio Kagel
Johannes Kalitzke
Tatjana KozlovaJohannes
Ernst Krenek
György Kurtág
Michalis Lapidakis
György Ligeti
Olivier Messiaen
Luigi Nono
Enno Poppe
Alberto Posadas
Henri Pousseur
Maurice Ravel
Fausto Romitelli
Giacinto Scelsi
Franz Schreker
Alexander Skrjabin
Xu Shuya
Jean Sibelius
Karol Szymanowski
Germaine Tailleferre
Galina Uswolskaja
Anton Webern
Adolph Weiss
Iannis Xenakis
Eric Zeisl
Hans Zender
Vito Žuraj
Klangforum
Wien
Joonas Ahonen, Klavier
Annette Bik, Violine
Markus Deuter, Oboe
Lorelei Dowling, Fagott
Andreas Eberle, Posaune
Vera Fischer, Flöte
Eva Furrer, Flöte
Uli Fussenegger, Kontrabass
Gunde Jäch-Micko, Violine
Benedikt Leitner, Violoncello
Andreas Lindenbaum, Violoncello
Florian Müller, Klavier
Anders Nyqvist, Trompete
Dimitrios Polisoidis, Viola
Gerald Preinfalk, Saxophon
Sophie Schafleitner, Violine
Lukas Schiske, Schlagwerk
Krassimir Sterev, Akkordeon
Virginie Tarrête, Harfe
Olivier Vivarès, Klarinette
Christoph Walder, Horn
Björn Wilker, Schlagwerk
Bernhard Zachhuber, Klarinette
Ehrenmitglieder
Sylvain Cambreling
Friedrich Cerha
Beat Furrer
Vorstand
Thomas Stelzer
Markus Haffner
Armin Thurnher
Direktorium
Wolfgang Bürgler
Thomas Herndl
Friedrun Huemer
Hans Hurch
Stefan Klestil
Monika Knofler
Michael Landau
Marcel Landesmann
Katarina Noever
Hannah Rieger
Wolfgang Stocker
Dramaturgie
Uli Fussenegger
Andreas Lindenbaum
Sophie Schafleitner
Christoph Walder
Ensemblevertretung
Benedikt Leitner
Intendant
Sven Hartberger
Assistenz
Sidonie Forstreiter
Produktion
Bettina Mirus
Günther Bernhart
Michael Blamauer
Jürgen Semlitsch
Alexej Solowjow
Christine Weitzer
Marketing & PR
Emilija Jovanović
Therese Zalud
Büroorganisation
Marina Steiger
Buchhaltung
Doris Böhm
Haushalt
Anđa Pejić
Join us!
8
Ensemble und Team
9
Musik zwischen
Logos und Pathos
— Hans Zender
„Die Sinne springen auf in die Gedanken.“
(Meister Eckhart)
I.
In der chinesischen Sprach- und Schrifttradition hat das Schriftzeichen für
„Musik“ noch eine zweite Bedeutung. Es
heißt dann: „Freude“. In der Tat gibt es
wenig in unserem Leben, das eine solche
Fülle an beglückenden Energien für uns
bereithält, wie es die Musik tut – und
das auf mehreren und ganz verschiedenen Ebenen. Zunächst ist da die aktuelle
sinnliche Freude an Klang und Farbe.
Die Musik als klangliches Phänomen
überrascht uns durch ihr plötzliches
Erscheinen und bewirkt bei uns durch
diese Überraschung eine Distanz zu uns
selber. Im Augenblick der künstlerischen
Faszination steht für uns nicht mehr
unser persönliches Ich-Bewußtsein im
Mittelpunkt, sondern das Leben als Ganzes, in dem unser kleines Ich nur einen
Seitenplatz innehat.
Wir erleben im Hören den Klang als eines
der Urphänomene unserer sinnlichen
Wahrnehmung; und wir erleben durch
das Hören die Einbettung des Klangs
in die fließende Zeit: auf analoge Weise
wie wir durch das Sehen der Augen den
Raum erfahren und seine Gliederung
durch Gegenstände und Formen.
Zweifellos denken wir, wenn wir Musik
hören. Wenn ich diesen Satz ausspreche,
liegt darin die Absicht, von vornherein
einige Mißverständnisse auszuschließen. Allgemein herrscht die Vorstellung,
Musik zu hören oder gar sie zu bewerten,
sei eine Sache der Gefühle, und diese
seien ganz und gar der individuellen
Empfindung überlassen. Gefühle sind
aber noch keine Formen der Mitteilung:
dazu bedarf es Zeichen. Musik ist eine
Sprache aus Klangzeichen. Erst wenn
Klangzeichen unterschiedlicher qualitativer Beschaffenheit in einen Zusammenhang treten und sich zu einem neuen
Ganzen verbinden, kann man von Musik
sprechen. Klangzeichen, die sich im Lauf
der zeitlichen Dauer eines Musikstückes
zu einem sich immer neu knüpfenden
10
Musik zwischen Logos und Pathos
Netz formen, nimmt der Hörer zu seiner
Freude wahr, indem er ihre Muster in
einem spielerischen, zunächst halb
unbewußten, allmählich wachen und
intelligenten Prozeß entschlüsselt.
Wir bewegen uns beim Hören in der Zeit,
setzen die Töne zu mehr oder weniger
langen Strecken zusammen, die wir als
Einheiten empfinden; wir empfinden
auch die Verschiedenartigkeit solcher
Einheiten, unser Hörbewußtsein wird
durch diese Verschiedenheit geweckt
und geprägt. Mit einem Wort: wenn ich
sage: „Musik ist ein Denken mit den
Sinnen“, so gebrauche ich das Wort
„denken“ nicht im Sinne von Kant, also
als vorstellendes Denken von Subjekten; sondern ich rede von einer tieferen
Schicht des intelligenten Wahrnehmens,
welche die Intelligenz nicht abschneiden
will vom ganzheitlichen, also auch affektiven Empfinden.
Dieses „Denken“ in der Ton-Sprache ist
nicht identisch mit dem Denken in der
Wortsprache. Letzteres haben wir als ein
folgerichtiges, gegenständliches, mit unserem praktischen Leben eng verbundenes Denken erlernt; jedes ihrer Zeichen –
die ebenfalls „Klangzeichen“ sind – hat
eine bestimmte festgelegte Bedeutung,
und wir haben uns daran gewöhnt, die
Sprache der Worte als das Instrument
unseres rationalen, die Wirklichkeit voruns-stellenden, sie sich-uns-vorstellenden Denkens zu betrachten.
Dieser Charakter der Sprache ist ein
Ergebnis einer langen Entwicklung, in
der die Sprache von einem komplexen
Ausdrucksmittel allmählich zu einem
Instrument des objektivierenden, die
Umwelt genau beschreibenden Denkens
geworden ist. Jean-Jacques Rousseau
spricht geradezu von einer Mathematisierung der Sprache, und zwar im Sinne
einer allmählichen Degeneration der
Sprache, die so ihre ursprünglichen Fähigkeiten des Poetischen, Rhetorischen,
überhaupt ihrer emotionalen Ausdruckskraft verliert.
Hier nun kommt Rousseau auf den
Gedanken, daß es die Musik sei, die der
Sprache in dieser Lage beistehen könne,
ihre immer unsinnlicher und nüchterntechnisch werdende Erscheinungsform
wieder ganzheitlich werden zu lassen;
der Ton, meint er, sei ja das Zentrum der
Ausdruckskraft der Musik, und dessen
Erscheinungsform die Melodie. Die Griechen, welche Sprache und Musik in ihrer
Kunstform der Musike techne zu einem
nicht trennbaren Amalgam verschmolzen, hatten nach seiner Meinung die in
Wortbedeutung und Satzkonstruktion
erscheinende Gegenständlichkeit der
Sprache mittels der irrationalen Ausdruckskraft der Musik im Gesang zur
vollendeten Gestalt gebracht.
Was Rousseau hier übersieht, ist, daß
auch die Melodie nicht nur spontane
Geste des Gefühls, sondern auch, wie die
Sprache, Konstruktion ist: keine Melodie ohne das Tonsystem, in dem sie sich
definiert; kein Tonsystem, schon mal gar
kein griechisches, ohne die Intervallberechnungen, welche ihrerseits ohne die
zugehörige Mathematik nicht denkbar gewesen wären. Schon auf dieser
Entwicklungsstufe muß die Musik also,
wie die Sprache, als eine selbständige
Fügung aus konstruierter Form und irrationaler Affektivität angesehen werden –
was Rousseau in seinen Gedanken über
die Musik de facto auch nicht abstreitet;
im Gegenteil findet er in der Entwicklung
der Musik von der puren Einstimmigkeit
bei den Griechen (die er richtig als Folge
reiner Spektren beschreibt) bis hin zu
seiner eigenen Zeit eine analoge rationalistische Entartung und „Verkrustung“
wie die, welche die Sprache in ihre Krise
geführt hat. Dazu gehören die Erfindung
der quantifizierten Rhythmik, Mehrstimmigkeit und eine sich immer reicher
entfaltende Polyphonie, schließlich eine
autonome Harmonik, welcher Rousseau
jedoch alle Ausdruckskraft abspricht,
obwohl sie doch den musikalischen Sinn
der Melodie aufs vielfältigste steigern
und modifizieren kann.
Was in seinem Denken trotzdem bemerkenswert und vielleicht erst aus
heutiger Perspektive verständlich ist,
scheint mir die strikte Weigerung, die
Kunstgeschichte als Fortschrittsprozeß
anzusehen. Seit der Notre-Dame-Schule,
spätestens seit der Ars nova lösen
sich die verschiedenen musikalischen
Epochen in Europa in dem Bewußtsein
ab, jetzt etwas Neues, Niedagewesenes
an das vorherige Alte anzuschließen und
damit einen Fortschritt – sei es in struktureller Komplexität, sei es in expressiver Intensität – zu realisieren. Wagners
Leitspruch „Kinder, schafft Neues!“ führt
schließlich direkt zur revolutionären
Grundeinstellung der modernen Avantgarde. Vor diesem Hintergrund scheint
Rousseaus Vorstellung von einer in der
Vergangenheit liegenden klassischen,
stets als Leitbild zu betrachtenden Vollkommenheit der Künste reaktionär und
unfruchtbar. Wir werden aber im Lauf unserer Überlegungen den revolutionären
Begriff der Moderne bis zur Postmoderne und darüber hinaus verfolgen, und da
wird sich herausstellen, daß Rousseau
mit seinen hinterwäldlerisch scheinenden Thesen etwas vorausgeahnt hat, das
wir heute als den verdrängten Schatten
des dominierenden Fortschrittsbewußtseins erkennen können: die Vergangenheit ist gar nicht vergangen. Nicht nur
wäre ohne eine im Gedächtnis bewahrte
Vergangenheit der Fortschrittsgedanke
gar nicht denkbar; wir erleben heute eine
Wiederkehr scheinbar vergangener Epochen sowohl in den schrecklichen Rückfällen in endgültig überwunden geglaubte Barbarei wie auch in den sich neu ins
Bewußtsein einschreibenden vergessenen kulturellen Hoffnungszeichen früherer Zeiten. Dazu gehört fundamental die
enge Verbindung von Sprache und Musik
in den frühen Schöpfungen nahezu aller
Hochkulturen, wie sie Rousseau in seiner
Hervorhebung der griechischen Musike
techne betont; nicht aber seine rein
subjektivistisch gedachte Interpretation
der Musik als einer Sprache der Affekte.
(Nietzsche wird diese Interpretation bald
in der Geburt der Tragödie als eben durch
den Subjektivismus längst zur „Vorstellung“ gewordene Begriffskonstruktion
enttarnen.) Das künstlerische Denken,
das auf dem Denken der Sinne beruht,
stellt sich seine Zeichen – in der Musik
also: seine Klänge – nicht vor, sondern es
lebt unmittelbar in ihnen, badet, watet,
schwimmt in ihrer Materie und gestaltet
aus ihr neue geistige Lebensformen. Ich
unserer alltäglichen Auseinandersetzungen, Kämpfe und Unternehmungen. Ihr
Tun ist spielerischer Art; oberflächlich
betrachtet scheint es die Welt nur zu
spiegeln, nicht zu gestalten. Die Musik
bewegt sich nicht nur in unserem Kopf;
jeder musikalische Mensch spürt, wie
sie auch in den Körper eindringt und ihn
in Schwingung versetzt. Hören wir Musik
in Gemeinschaft mit anderen Menschen,
so spüren wir eine unwillkürliche Verbundenheit mit ihnen; Geist und Körper,
Bewußtes und Unbewußtes klingen
harmonisch zusammen: deswegen
bedeutet Musik zu Recht auch „Freude“.
Sie berührt in uns das, was wir Gefühle
nennen, und verbindet so die Entzifferung der musikalischen Muster frei mit
unserem Lebensvollzug.
Wir befinden uns jetzt bereits auf einer
zweiten Ebene der Wahrnehmung von
Musik: auf ihr versuchen wir die Musik zu
„verstehen“, indem wir mit unserer Reflexion in die Welt ihrer Formen eindringen.
Diese beruhen auf einem proportionalen Denken von Tonschwingungen und
rhythmischen Folgen, deren Bau sehr
einfach oder auch von abenteuerlicher
Kompliziertheit sein kann. Durch ihre
Beschreibung in Worten entsteht dann
eine weitere hochkomplexe Denkstruktur, noch komplexer als es etwa das
mathematische Denken ist, mit dem das
musikalische oft verglichen wird. Denn
obwohl die musikalische Form ohne Rest
in Zahlenproportionen beschreibbar ist
und sich als Zahlenkonstruktion bis ins
Detail der Analyse darbietet, ist damit
noch nichts von dem berührt, was die
rätselhafte Intensität ihrer Wirkung auf
unsere Psyche angeht. Das musikalische
Denken scheint in einzigartiger Weise
die rationale mit der irrationalen Seite
unseres Geistes zu verbinden.
In der chinesischen Sprach- und Schrifttradition
hat das Schriftzeichen für „Musik“ noch eine zweite
Bedeutung. Es heißt dann: „Freude“.
nenne das Musikdenken das „flüssige
Denken“, da hier die Klangzeichen von
jeder festen externen Bedeutung freigehalten werden; sie bedeuten nur sich
selber – im Gegensatz zu dem „gefrorenen Denken“ der Wortsprache, das durch
die an ihm haftenden Vorstellungen, das
heißt von Bedeutungen bildhafter oder
begrifflicher Art fixiert ist. Im Gegensatz zur Wortsprache findet sich die
Musik nicht eingebunden in die Tätigkeit
der Benennung und Entzifferung der
Gegenstände, in die sogenannte Realität
11
Durch den der Menschheit aufgegebenen
Weg einer allmählichen Bewußtwerdung
aller Vorgänge des Lebens ergibt sich für
die Musik im Lauf ihrer geschichtlichen
Entfaltung allmählich eine Zweiteilung
ihrer Erscheinungsform: Eine immer
mehr ihrer selbst bewußt werdende,
dann sich kritisch selber steuernde
Musik, für die wir heute das Wort „Kunst“
benutzen, setzt sich von einer anderen
ab, die – hier durchaus im Sinne Rousseaus – instinktive Unmittelbarkeit zu
bewahren sucht und die wir als unterhaltend, volkstümlich und unbelastet vom
Gewicht der geschichtlich überlieferten
Kunstformen empfinden.
In unserer heutigen kulturellen Situation
hat die Verbreitung und Pflege solch unterhaltender Musik eine nie dagewesene
Übermacht über die sogenannte Kunstmusik erlangt; es wäre aber vollkommen
verfehlt, darin die natürliche Dominanz
einer Musik der unverstellten Freude erblicken zu wollen, welche aller Belastung
durch die Problematik des gesellschaftlich geprägten Bewußtseins entgehen
könnte. Vielmehr kann man am Zustand
der heutigen Pop- und Unterhaltungsmusik sehr leicht die Verstrickungen ablesen, welche der Kunst, nicht anders als
allen anderen Sparten von Kultur, Politik,
Recht usw., zu schaffen machen.
Schon der Mythos warnt vor den Wirkungen einer Musik, welche das Bewußtsein
in den vorgegaukelten Glückszustand
einer passiv genießenden Natur zurück­
saugt. Odysseus verstopft sich die
Ohren und läßt sich an den Mastbaum
fesseln, um ihr nicht zu erliegen. Ikarus
stürzt ab, weil er nicht die kluge Kunstfertigkeit seines Vaters Daidalos erlernt
hat, welcher den Rausch des Fliegens,
auch des geistigen Flugs der Fantasie,
durch strenge Bewußtseinskontrolle der
Entwicklung des Menschen dienstbar
macht. Es gibt kein „Zurück zur Natur!“
ohne Regression des Bewußtseins.
Versetzen wir uns einen Moment in einen
glücklichen Naturzustand der Musik, wie
ihn uns Rousseau entwerfen würde, wie
wir ihn aber auch ähnlich in den wunderbaren Schriften der alten Chinesen
beschrieben finden. Voraussetzung für
die vollkommene Freude der schöpferischen Arbeit ist da die vollkommene
Selbstlosigkeit der Hingabe: jegliche
Art von Absicht, Streben nach Geld
oder persönlichem Vorteil, ja sogar jede
Anpassung an schon gegebene kulturelle Gewohnheiten würde diese Freude
mindern oder zerstören. Im äußersten
Kontrast dazu erleben wir in der heutigen Pop-Musikindustrie eine mit riesigen
Summen hantierende hochorganisierte
Kommerzialisierung, welche alle, die hier
mitspielen wollen, zu marktgerechtem
Konformismus verpflichtet. Alles ist von
Anfang an auf optimale Verkäuflichkeit
angelegt, genau wie es auch in anderen
Branchen der Wirtschaft üblich ist. Damit
verglichen mutet das heute ebenfalls
sich clever und geschäftsmäßig gebende Konzert- und Opern-Management
recht bescheiden an, was nicht darüber
hinwegtäuschen darf, daß auch hier fast
überall in immer steigendem Maße die
kommerzielle Absicherung und nicht
die künstlerische Lebendigkeit den
Ausschlag gibt. Allein gelassen und fast
völlig isoliert finden sich diejenigen Musiker am Rande der Existenzmöglichkeit
wieder, welche sich, etwa als Mitglieder
eines der wenigen Ensembles für neue
Musik, verstehen als Produzenten oder
ausschließliche Vermittler der unmittelbar frisch entstehenden und noch nicht
durchgesetzten Musik: jener Musik, die
noch heute allein aus innerer Notwendigkeit und Freude am Schöpferischen,
ohne Blick auf Geld oder eine sogenannte Karriere, entsteht. Es geht hier nicht
um Moral, sondern um die wichtigste
Voraussetzung der Kreativität. Die künstlerische Energie muß beim einzelnen
Künstler der allein ausschlaggebende
Gesichtspunkt seiner Handlungen sein,
sonst kann sich seine geistige Energie
nicht zu dem ihm erreichbaren Maximum
ballen. Für einen Staat, der öffentliche
Kunstförderung als seine Aufgabe
betrachtet und diese Aufgabe wirklich
ernst nehmen würde, bliebe die finanzielle Unterstützung nichtkommerzieller,
aber auf höchstem künstlerischem
Niveau arbeitenden Gruppen der erste
und wichtigste Auftrag, denn hier entfaltet die neue Musik das innerste Gesetz
der abendländischen Kultur: die unlösbare Verbindung von Erinnerung und
Neuformung unserer Geschichte.
Die Musik hat uns etwas zu sagen, was
nicht anders als eben durch Musik zu
sagen ist. Dies beim Namen zu nennen,
ist aber außerordentlich schwierig. Sehr
schnell passiert es in unserer arbeitsteiligen, zur Einseitigkeit neigenden
Gesellschaft, daß die Vertiefung auf
der einen Seite in die strukturellen, auf
der anderen in die psychologischen
und tiefenpsychologischen Aspekte der
Musik eine gewisse Fremdheit zwischen
den Fachdisziplinen der Wissenschaftler
und der musikalischen Praktiker erzeugt.
Oder um es etwas derber auszudrücken:
der Praktiker – das weiß ich von meinen
eigenen Anfängen sehr gut – schließt
sich schnell in seiner persönlichen, in
sich konsistenten Sphäre ab und pfeift
auf die in seinen Augen höchst überflüssige, weil bloß wiederspiegelnde fiktive
Welt der sprachlich-wissenschaftlichen
Reflexion; der Wissenschaftler dagegen
schaut oft genug und sehr zu Unrecht
auf das Tun der Praktiker wie auf eine
naive, eher geistlose Aktivität herab. Das
Problem vertieft sich, wenn man von der
Musik einen unmittelbaren gesellschaftlichen Nutzen oder gar ein politisches
Bekenntnis erwartet. Dies kann die
Sprache der Worte und Begriffe leisten,
nicht aber die Musik. Der Kritiker Marcel
Reich-Ranicki hat deswegen die Musik
als eine Hure bezeichnet, welche sich
bedenkenlos in den Dienst jeder beliebigen Ideologie stellen lasse. Auf die Idee,
12
Musik zwischen Logos und Pathos
daß sie uns eben nur nichtverbale Botschaften mitzuteilen habe, ist er leider
nicht gekommen, was im Zeitalter der
Tiefenpsychologie und der Hirnforschung
doch erstaunlich ist. Diese nichtverbalen Botschaften der Musik aufzufangen,
ernst zu nehmen und zu vermitteln ist
dann allerdings per se ein politischer
Akt, welcher den Menschen als lebendiges Wesen in all seinen Fähigkeiten
– und nicht nur als „animal rationale“ –
gelten läßt.
Wenn möglich in noch radikalerer Weise
als die übrigen Künste hat die Musik
in unserer Gesellschaft die „Funktion
der Funktionslosigkeit“, wie es Adorno
unübertrefflich ausgedrückt hat. In ihrer
offensichtlichen gesellschaftlichen Nutzlosigkeit verkörpert sie eben die Verwei­
gerung des Gebrauchs in der durch­
organisierten Gesellschaft und bewahrt
so die Kraft des individuellen ethischen
Widerstandes gegen totalitäre und gegen
ausschließlich quantitativ gehandhabte
demokratische Prinzipien. Deswegen ist
sie nicht „politisch“, darf es nicht sein,
um ihre geistige unabhängige Kraft nicht
zu schmälern. Wäre sie nur die verstärkende Stimme der gesellschaftlich fortschrittlichen Gesellschaftsenergien, so
würde sie nichts als eine Ästhetisierung
der Politik bedeuten, die das subversive
utopische Potential der Kunst, das sie
einfordert, wieder verspielen würde.
„Kunst ist Kritik als Praxis von Unfreiheit,
damit hebt ihre Wahrheit an.“ (Adorno)
Konkret läßt sich sagen, daß der Stellenwert der Musik in den Bildungsprogrammen von heute in grotesker Weise niedrig
ist, sodaß weder die mit keiner anderen
Weltkultur vergleichbare Bedeutung der
traditionellen europäischen Musik noch
die ihrem Grundimpuls der schöpfe­
rischen Erneuerung entspringende
moderne Kunst verantwortlich der
Zukunft vermittelt werden. Ihre unglaubliche individuelle Vielfalt droht in einem
immer stärker entdifferenzierenden
medialen Sumpf unterzugehen. War die
Musik in Antike und Mittelalter den Wissenschaften gleichgeordnet und stand
im Barock zusammen mit der Theologie
im Zentrum der Erziehung, so findet sie
sich samt der antiken und christlichen
Tradition vom Siegeszug der Naturwissenschaften immer mehr auf einen
marginalen Platz verdrängt. Noch mehr
gilt dies von der Massengesellschaft, in
der sie lediglich als Unterhaltungsware
geschätzt wird.
II.
Hier liegt auch der Grund für die in
unserer kulturellen Region bedrohlich
zunehmende Ahnungslosigkeit der politischen Kaste betreffs Kunst und Kultur.
Wie die breite Öffentlichkeit der „MusikKonsumenten“ fassen Politiker heute
Musik meist als eine etwas ausgefallene
Nische unserer Kultur auf, in der Arbeitsprozesse zur Herstellung von Produkten
zweifelhafter Wichtigkeit stattfinden.
Was Musik eigentlich ist, wird immer
weniger verstanden. Dies ist zum Teil
auch eine Schuld der Musiker, die sich oft
einer Reflexion auf die gesellschaftlichen
Bedingungen ihrer Kunst verweigern und
diese weder erklären noch verteidigen
können. Sie leben noch im Bewußtsein
jener glücklichen Zeiten unserer Klassiker, in denen die Musik, wie alle Kunst,
als direkt dem absoluten Geist entfließend, bzw. zu ihm hinführend, verstanden
wurde. Das – und nicht etwa primär die
Unabhängigkeit von der Sprache – ist
ja der eigentliche Sinn der Bezeichnung
„absolute Musik“, welche die Avantgarde
des 20. Jahrhunderts in naiver Selbsttäuschung von der Romantik übernahm.
Sie ist nicht denkbar ohne Hegels Lehre
vom absoluten Geist. Diese ist aber, wie
alle Metaphysik nach Hegel, durch die
geschichtliche Entwicklung zergangen.
Die heutige technische und materialis­
tische Gesellschaft hat vergessen, daß
die Künste, die Religionen und alle Humanwissenschaften der unentbehrliche
Humusboden für jegliches Gedeihen des
Wesens Mensch sind, sowie die Grundlage seiner Kreativität. Sie zeigt uns in
aller Deutlichkeit, daß Kultur nicht von
alleine entsteht. Kultur ist nur als unter
Mühen geplante und mit Opfern immer
neu hervorgebrachte Eigenleistung zu
haben.
Das zu erkennen, ist für die Künstler
lebenswichtig geworden. Die wissenschaftlich-technische Zivilisation, in der
wir leben, ist eine Gesellschaft, welche auf der Erstellung von Produkten,
und dem Handel damit, beruht. Diese
Produkte sind zu beschreiben als Kopien
von Modellen, die durch Maschinen hergestellt werden. Die Arbeit des Künstlers
dagegen ist Produktion im Sinn von Neuproduktion von Unikaten: der Künstler
arbeitet wie die Natur, welche niemals
Kopien liefert, sondern nicht-identische
Neuschöpfungen. Er befindet sich also
heute schon durch sein normales Tun
in einem nicht überbrückbaren Widerspruch zu unserer Zivilisation. Er lebt in
Die Musik hat uns etwas zu sagen, was nicht anders
als eben durch Musik zu sagen ist.
ihr wie ein Fremder bzw. wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Ich habe
hunderte Male bei Diskussionen erlebt,
wie es Politikern, Medienvertretern,
Mitgliedern von Gremien, welche über
die Existenz kultureller Institutionen
entscheiden, unmöglich war, dieses
Problem in seiner Tiefe zu erfassen.
Unser Bewußtsein ist heute bis ins
Mark geprägt durch das Paradigma des
technologischen Denkens; es fällt uns
schwer zu erkennen, daß ein Kunstwerk
von Haus aus nicht ein käufliches Objekt,
daß künstlerische Arbeit nicht ein beliebig quantifizierbarer und entsprechend
honorierbarer Prozeß ist, sondern daß
ein Kunstwerk wie eine Pflanze wächst
und nur unter bestimmten Bedingungen
gedeiht. Die Existenz von Kunst in unserer Gesellschaft ist in der gleichen Weise
gefährdet wie die Existenz von dem, was
wir als „Natur“ bezeichnen.
Niemand, noch nicht einmal Adorno,
hat das so präzise beschrieben und
begründet wie Georg Picht, dessen Buch
„Kunst und Mythos“ Pflichtlektüre aller
sein sollte, die für Kunst und künstle­
rische Institutionen verantwortlich sind.
Die ökologische Bewegung hat uns zwar
gelehrt, den unser Leben bedrohenden Konflikt zwischen den Ansprüchen
unserer natürlichen Lebensgrundlagen
und der sich nach den Gesetzen des
Marktes und des Geldes richtenden
Eigendynamik der Industrie zu erkennen und nach Kräften zu steuern; daß
die gesamte Sphäre von Kunst und
Kultur als natürliches Entwicklungsfeld
unseres Fühlens und Denkens und damit
als Grundlage der Menschlichkeit aber
in der gleichen Weise gefährdet ist wie
das, was wir „Natur“ nennen, scheint
seltsamerweise gerade den Vertretern
einer fortschrittlichen Ökologie nicht
verständlich zu sein. Zu sehr wird Kultur
immer noch als Domäne einer sogenannten elitären bürgerlichen Hochkultur
mißverstanden. Die Konservativen hingegen, längst infiziert von den Maximen
des Marktes, glauben Kultur durch
ihre Anpassung an die Gesetze dieses
Marktes retten zu können – sie wollen
den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Im Musikleben honoriert werden vor
allem die hochgezüchteten und deswegen meist entsprechend einseitigen
Spezialisten und Stars, während doch
das Heilmittel unserer Probleme nur in
einer größtmöglichen Vielseitigkeit des
Einzelnen liegen kann: in der Verbindung
von künstlerischer Praxis und schöpfe­
rischer Intelligenz. Die Griechen nannten
diese Verbindung Poiesis, und nicht
etwa Theoria: das heißt Fortsetzung des
schöpferischen Tuns der Natur, und nicht
Entwerfen von Modellen zur mechanischen Nachahmung.
13
Die innere Haltung, für schöpferische
Erneuerung zu kämpfen, anstatt ein
Museum perfekt zu verwalten: wie ist sie
für den reproduktiven Künstler anders
zu erreichen als durch aktive Teilnahme
an dem, was in der neuen Musik mit
oder ohne unsere Zustimmung vor sich
geht; durch persönliches Engagement im
Prozeß ihrer gesellschaftlichen Durchsetzung? Nur so ist unsere Musikkultur
zu retten – nicht durch eine noch so
umfassende Pflege der Tradition allein.
Auch wenn das einem sich am äußeren
Augenschein Orientierenden absurd
erscheinen mag: wir können das Lebensrecht von Kunst in unserer Gesellschaft
nur durch die Kunst unserer Zeit verteidigen, sei diese auch noch so unpopulär
und problematisch; andernfalls wird
unsere Musikkultur ihrem Ende zueilen.
Um die extremen Mittel zu rechtfertigen, welche die neue Musik bisweilen
gebraucht, genügt es nicht, auf ihre
Protesthaltung gegenüber der technischen Zivilisation hinzuweisen, wie es
die Frankfurter Schule ausführlich getan
hat. Als mindestens ebenso schwer zu
lösende Problematik erweist sich die
neue Situation, in die uns die Moderne
durch ihre für die Geschichte erstmalig
gleichzeitige und gleichberechtigte
Anwesenheit aller Weltkulturen, Religionen, Rechts- und Wirtschaftssysteme
gestellt hat. Georg Picht benutzt zur
die je entdeckt worden sind, gleichzeitig
gegenwärtig. Heute sind sie uns durch
Museen, Ausstellungen, Reproduktionen,
Schallplatten und Massenmedien sowie
durch ein in heterogene Stile und Welten
subtil eindringendes Kunstverständnis
unausweichlich nahegebracht.“ Picht
hat hier, längst bevor die Postmoderne
in der Kunstwelt zu einem Modebegriff
wurde, die ihr zugrunde liegende neue
Gegebenheit jeder heutigen künstlerischen Arbeit exakt beschrieben. Bei
Bernd Alois Zimmermann heißt diese
neue Situation „Kugelgestalt der Zeit“:
indem wir alle kulturellen Positionen
der geschichtlichen Zeiten neu ins
Bewußtsein heben, erfahren wir uns
als geschichtliche Wesen, und unsere
Kultur als ein in der Geschichte gewachsenes Kontinuum. Was wir auch tun, wir
müssen diese Geschichte interpretieren,
uns von ihr absetzen, sie fortsetzen oder
sie bewußt umwälzen; nur ignorieren
und tabuisieren können wir sie auf Dauer
nicht. Wir sind hier an einem Punkt der
geschichtlichen Entwicklung, an dem der
Fortschritt selber uns zu einer expliziten
Auseinandersetzung mit seiner eigenen
Vergangenheit, das heißt mit seiner
Geschichte, zwingt: und wer würde hier
nicht an Rousseau denken, der mitten im
vorwärts stürmenden Denken seiner Zeit
schon deutlich die verdeckte Rückseite
dieser dominanten Tendenz erkannte!
Besser als das inzwischen schon wieder
Wir können das Lebensrecht von Kunst in unserer
Gesellschaft nur durch die Kunst unserer Zeit
verteidigen.
Kennzeichnung dieser neuen kulturellen
Lage den von André Malraux geprägten Ausdruck „Musée imaginaire“. Im
modernen Museum hängt die gotische
Madonna neben der Landschaft von
Cézanne; neben dem Cézanne steht das
Urinal von Duchamp. Die so behauptete
Gleichartigkeit der Kunstwerke vor einer
universalen ästhetischen Konstante
begründet eine ganz neue Problematik.
Ich zitiere Picht: „Diese Universalität hat
einen ästhetischen Tatbestand geschaffen, der heute auf jede Art von künstlerischer Produktion in unkalkulierbarer
Weise zurückwirkt: die Omnipräsenz der
Kunstformen und Stile aller Zeiten und
aller Kulturen. Noch nie in der Geschichte waren für das künstlerische Bewußtsein alle ästhetischen Möglichkeiten,
problematisch gewordene Wort „ Postmoderne“ würde für die Gesamtsituation
der Kunst, wie sie Picht beschreibt, der
jüngere Begriff „Metamoderne“ passen.
Ich zitiere aus dem 2015 erschienenen
Büchlein von Robin van den Akker und
Timotheus Vermeulen „Anmerkungen zur
Metamoderne“: „Auf ontologischer Ebene oscilliert die Metamoderne zwischen
Moderne und Postmoderne. Sie pendelt
zwischen modernem Enthusiasmus und
postmoderner Ironie, zwischen Hoffnung und Melancholie. … Indem sie hin
und her und vor und zurück schwingt,
verhandelt die Metamoderne zwischen
Moderne und Postmoderne.“ Diese Oszillation wird beschrieben als ein Pendel,
das zwischen vielen Polen schwingt und
das nicht zu einem Zustand der Balance
führt. Eine Dynamik, welche sowohl
als modern wie auch als postmodern
auftritt, welche weder das eine noch das
andere, oder beides zugleich ist, wird
entworfen: „Die Metamoderne besteht
in der Spannung, nein, der Zwickmühle
zwischen dem modernen Wunsch nach
Sinn und dem postmodernen Zweifel am
Sinn überhaupt.“
Betrachten wir die geistige Situation
eines heutigen Komponisten, so sehen
wir ihn allein seiner persönlichen Freiheit
und Verantwortung ausgesetzt; keine kollektive Verbindlichkeit, keine vom Meister auf den Schüler vererbte stilistische
Haltung kann ihm helfen, sich zu orientieren. Folgt er dem Weg der Stilentwicklung, wie er nach Wagner sich abgezeichnet hat, so wird er ohne Zweifel in den
Strudel einer extrem individualistischen
Entwicklung geraten. Denn das erste,
was die geschichtliche Entwicklung
der Musik nach dem Zweiten Weltkrieg
gezeigt hat, war die Unmöglichkeit, als
Fortsetzung des Stilkreises der Romantik
eine verbindliche neue Musiksprache
in Form eines einheitlichen Zeitstils zu
entwickeln. Die Avantgarde nach dem
Zweiten Weltkrieg, die ich als junger Student von ihrem Beginn an miterlebt habe,
hatte noch die Wunschvorstellung, in der
Weiterführung der Schönbergschule zu
einer überpersönlichen, allgemein akzeptierbaren Kompositionsmethodik zu finden. Sie suchte und fand ihr Heil in dem
Strukturalismus der seriellen Technik: in
deren präziser, durch Zahlenproportionen realisierten Ordnung des Materials
von Klängen und Zeitdauern, die jede
individualistische Willkür ausschließen
wollte. In Wirklichkeit entwickelte sich
– nach einigen sehr fruchtbaren Jahren
des Serialismus mit Boulez und Stockhausen als führenden Köpfen – ein bis
heute anhaltendes Tohuwabohu der
unterschiedlichsten Personalstile; man
müßte eigentlich sagen „Privatstile“. Kein
Wunder angesichts der Situation nach
dem Zweiten Weltkrieg, in der plötzlich
alle Weltkulturen und Traditionen mitein­
ander kommunizierten, wirtschaftliche
und kulturelle Beziehungen entwickelten
und sich vermischten. Olivier Messiaen
war der Erste, der bewußt die Konsequenz zog: er definierte die Einheit der
Form durch eine Vielzahl von Stilen,
darunter auch außereuropäisch inspirierte; so reagierte er als Musiker auf das
Ende des Eurozentrismus, dessen letzte
Phase – den Serialismus – er noch mitgeprägt hatte. Ähnlich früh entwickelte
Bernd Alois Zimmermann seine Idee des
musikalischen Pluralismus, in geistiger
Frontstellung zur seriellen Schule, die
ihm wie übrigens auch Messiaen fremd
bis ablehnend gegenüberstand. Und
welche Fülle von neuen Stilen finden
wir in der Folgezeit – keiner dem andern
kompatibel, im Gegenteil solche Kompatibilität bewußt vermeidend: Cage,
14
Musik zwischen Logos und Pathos
Feldman, Earle Brown, Rihm, Scelsi,
Xenakis, Berio, Donatoni, Nono, Ligeti,
Kurtag, Lachenmann, Ferneyhough – ich
könnte noch lange fortfahren mit diesem
Aufruf unterschiedlichster Ästhetiken
und Kompositionstechniken, die sich nur
in einem einzigen Punkt einig sind: daß
sie nicht weiter den orthodox-seriellen
Weg beschreiten wollen.
Diese Orthodoxie – was war und ist sie
anderes als ein Abbild jener wissenschaftlich-technischen Prädominanz,
die nach dem Krieg unwiderruflich von
uns allen Besitz ergriff? Und was war der
Aufstand der individualistischen Ketzer
anderes als der Versuch, mit der Freiheit
von rational definierter Einheitlichkeit
das genuin künstlerische Potential der
Intuition wieder freizulegen?
Dazu gehörte auch die potentielle
Wiedergewinnung der vom Serialismus
tabuisierten Klänge, rhetorischen Gesten,
formalen Ordnungssysteme bis hin zu
Collage und Zitat.
Bernd Alois Zimmermann war es, der
just auf dem Höhepunkt der seriellen
Phase die Welt und besonders die Zunft
der Komponisten schockierte, indem er
durch seine provozierende Technik der
Collage zeigte, daß diese nicht einfach
Zitat historischen Materials ist, sondern
produktiver Umgang mit früheren Schichten unseres Bewußtseins werden kann.
Hört man in Photoptosis mitten in der
chromatischen Textur nacheinander das
Veni creator spiritus, einen Satz eines
Brandenburgischen Konzertes, den
2. Satz von Beethovens 9. Sinfonie und
Tschaikowskys Nußknacker-Suite auftauchen, so handelt es sich nicht um eine
erholsame Durchwanderung verschiedener historischer Landschaften, sondern
um die furchterregende, manchmal im
buchstäblichen Sinn haarsträubende
Beschwörung verschiedener, in uns durch
die Erfahrung in früheren Zeiten gewachsener psychischer Sensibilitäten, welche,
durch die Aura der Zitate aufgerufen, in
uns geradezu eine Schlacht extrem heterogener Kräfte entfesseln. Ich erwähnte
schon Zimmermanns Diktum von der
kugelförmigen Zeit, in der die musikalischen Potenzen aller historischer Zeiten
und Orte koexistieren. Mit solchen
Gewichten jonglierend umzugehen, ist
eine neue Gestalt der Kunst, die nach
dem von Hegel angekündigten „Ende der
Kunst“ die Möglichkeit eröffnet, durch
die Integration der eigenen Vergangen­
heit in die sich formende Musik der
Zukunft sich selber als „Spätform“ der
Kunstgeschichte erkennen zu geben.
Damit sind geschlossene Form und
logische Einheitlichkeit im Gebrauch ihrer
Mittel, die das Kennzeichen der klassischen europäischen Musikformen waren,
zur Disposition gestellt. Ob an ihre Stelle
numerische Konstruktion, Zufallstechniken oder individuelle Expressivität treten,
ist für jeden Komponisten offen. Der
Komponist der heutigen Moderne steht
nicht nur quer zur Praxis der technischen
Zivilisation, sondern auch zu ihrer Ideologie, welche für die Zukunft „unfehlbare
Sicherheit durch mehr Rationalität“ verheißt. Er zeigt die offene Wunde, die der
Kultur geschlagen wurde. Er provoziert
ebenso einen nostalgischen Ästhetizismus wie auch einen naiv-positivistischen
Fortschrittsglauben.
Kunst kann nicht lügen. Wenn wir nicht
verstehen, daß ihre Wahrheit nicht im
Belieben des komponierenden, malenden, dichtenden Subjektes liegt, sondern
daß ein Kunstwerk nur Kraft hat, wenn
es auf unwillkürliche Weise seine Epoche
ausdrückt, dann können wir überhaupt
Kunst nicht verstehen.
III.
Freude ist ein Affekt. Was ist ein Affekt?
Ich habe das Hören von Musik im Gegensatz zur festgefügten begriffsgestützten
Wortsprache als ein „flüssiges Denken“
bezeichnet. Ich nehme mir die Freiheit,
hier das Wort Affekt einen flüssigen
Begriff zu nennen. Es ist völlig unmöglich, seinen Sinn begrifflich zu fixieren;
das Wort Affekt weist aber auf eine nicht
mehr reduzierbare Tatsache unseres
Lebens hin: nämlich, daß wir unser
Dasein empfinden. Auch wenn wir Musik
hören, sind wir affektiv betroffen. Aber
wer empfindet hier was? Empfinden wir
uns, unser Dasein, oder die Musik? Und
wenn wir empfinden: handelt es sich um
die bewußte Empfindung eines Subjektes, oder handelt es sich um eine innere
Bewegung der vor- oder unbewußten
Schichten, des Körpers, der Natur in
uns?
Das Wort Affekt ist die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes Pathos.
Dieses betont noch mehr das Erleiden,
das Betroffen- oder Überwältigtwerden
von einer Erfahrung; nicht das Bewußtsein schafft diese Erfahrung, sondern
eine Macht außerhalb des Ich. Ein Affekt
bleibt immer eine individuelle Reaktion
des einzelnen Wesens auf seine Lebenssituation in der Welt; aus diesem Grund
kann er nie als reiner Begriff gedacht
werden. Noch etwas anderes kann uns
die Affektivität lehren. Die Affekte lassen
sich nie ganz voneinander trennen; sie
sind ambivalent. Sie verbinden das
Innen des Affizierten mit dem Außen des
Wahrgenommenen, sodaß man wohl von
einer allgemeinen, durch ein Symbol bezeichenbaren Affektivität sprechen kann,
nicht aber von einem einzelnen Affekt
als einer eindeutig verlaufenden Struktur. Jean Paul hat vom Komischen als
dem „umgekehrten Erhabenen“ gesprochen: die Frage ist, ob man das auch bei
der rein musikalischen Affektivität der
Musik darf. Man müßte ganz sicher sein,
daß aus der Sprache entlehntes diskursives Denken bei der Entstehung des
Eindrucks musikalischer Komik nicht mit
im Spiel ist – daß z. B. bei Zitaten nicht
schon durch kontextuelle Einflüsse eine
Verdinglichung der Affekte geschieht
(wie es etwa bei Opernzitaten der Fall ist:
Richard Wagner hat seine Leitmotivtechnik ganz bewußt aus solchen Wort-TonKonstellationen aufgebaut).
Höre ich unvorbereitet einen heftigen
Knall, so wird meine erste Reaktion
eine Mischung von Überraschung und
Erschrecken sein: Wieso der Knall?
Werde ich bedroht? Im nächsten Moment
kann der Affekt zur Freude über ein sich
im zeitlichen Verlauf bildendes rhythmisches Muster aus knallenden Schlägen
werden; dieses kann über eine andere
Funktion in einem artifiziell aufgebauten
Zusammenhang interpretiert werden
als erschreckend, komisch, brutal, etc.
Diese „verstehende“ Deutung kann über
verschiedenartige gegensätzliche Empfindungen gleiten, von der Erschütterung
bis hin zur Groteske usw.; sie kann auch
umschlagen in die Wahrnehmung von
realen Donnerschlägen eines Gewitters
oder den Lärm eines geplatzten Autoreifens. Alle möglichen Deutungen bleiben
aber im Bann der ersten überraschten
Empfindung von „lautem Knall“.
Die Abwehr von Deutungsfixierungen
von Affekten, die das eigene Wesen der
Musik verdunkeln, hat bei den Musikern
der frühen Avantgarde zu einer gewissen
Vereisung der Affekte geführt und eine
zeitbedingte Vorherrschaft des „kühlen“
konstruktivistischen Denkens, bis hin
zu einem positivistisch gehandhabten
Formalismus, begünstigt. Rückblickend
scheint mir, daß diese Entwicklung nötig
gewesen ist, um das vollständige Wesen
der Affektivität neu in den Blick zu
bekommen. Im Unterschied zu einer
schon fast bis zum Privaten verkommenen banalisierten Vorstellung von
„Gefühl“ am Ende des 19. Jahrhunderts
läßt uns heute eine entsubjektivierte
15
Neufindung des Affektiven eine Nahtstelle entdecken. Der Künstler ordnet
sein Material nicht in der Absicht, einen
bestimmten Affekt in seiner subjektiven
Weise für ein anderes Subjekt (den Hörer)
darzustellen; sondern er entdeckt in
seinem Material die affektive Eigenkraft
eben dieses Materials – die er nicht verdrängt oder zerstört, sondern bewahrt
der „schönen Form“. Wir sind aber in der
modernen Kunst inzwischen in einen
Bereich eingetreten, der keineswegs in
seiner Gesamtheit unter dem Begriff
„schön“ subsumiert werden kann. Unser
Begriff von Schönheit stammt aus der
klassischen griechischen Kultur; wir
müssen feststellen, daß wir seit über
einem Jahrhundert aus dieser Tradition
Liegt es nicht nahe, im nichtverbalen Denken der
Musik den Logos auf einer vorsprachlichen Stufe am
Werk zu sehen?
und ausbaut. Er entdeckt so den Punkt,
an dem im fließenden, noch wortlosen
Sprechen der Musik ein Übergang stattfindet: wo das menschliche Bewußtsein
sich von noch kreatürlich-kollektiver
Passivität langsam hinbewegt zu einer
individuell die Welt mitgestaltenden
Aktivität. Ist das nicht der Übergang vom
flüssigen zum gefrorenen Denken, vom
Affekt zum Logos? Liegt es nicht nahe,
im nichtverbalen Denken der Musik den
Logos auf einer vorsprachlichen Stufe
am Werk zu sehen?
In einem ethnologischen Museum entdeckte ich Zeichnungen einer sogenannten Affekttonleiter (meiner Erinnerung
nach indischen Ursprungs): entlang
eines Kreises waren die Namen von 10
bis 12 Affekten angeordnet: Freude,
Trauer, Haß, Liebe, Neid, Tapferkeit,
Angst, Gleichgültigkeit, Komik, Ekel… In
der Mitte des Kreises stand, offenbar
als Symbol für das Ganze (analog zu
„Freude“ bei den Chinesen), das Wort
„Ruhe“. Die Anordnung der Affekte in
eine Vielzahl verschiedener Empfindungscharaktere und einen im Zentrum
stehenden Hauptaffekt: sollte damit
gezeigt werden, daß Einzelaffekte aus
einer übergeordneten Einheit abgeleitet sind? Oder sollte vermittelt werden,
daß im Unterschied zu der Vielheit der
Affekte das Symbol ihrer sie zusammenfassenden Einheit einer höheren
Ordnung angehört? – Wir können noch
weitere Vermutungen ableiten. Seitdem
die Menschheit die Musenkunst betreibt,
wundert sie sich darüber, daß auch die
Gestaltung von Kummer und Schmerz,
Leiden und Tod im Bereich der Künste
nicht weiteren Kummer und Schmerz,
keine „negativen“ Affekte hervorruft,
sondern ungetrübte Freude an ihrer
Darstellung. Wir sagen dann: das ist eben
die Wirkung der Kunst, des Ästhetischen,
ausgestiegen sind. Die Tatsache aber,
daß wir auch moderne Kunstwerke als
begeisternde und stärkende seelische
Kraftquellen erfahren können, weist
darauf hin, daß hinter den individuellen
Schönheitsvorstellungen etwas ganz
anderes steckt. Man kann dieses Etwas
vielleicht als ungeteilte, noch nicht individuierte pure Lebenskraft bezeichnen;
wir haben sie schon im Visier gehabt, als
wir ganz im Anfang unserer Überlegungen die Freude der noch unreflektierten
Begegnung mit der Musik zu beschreiben versuchten. Das sich selbst empfindende Leben scheint hier in seinem
direkten schöpferischen Tun am Werk
zu sein. Seine Quelle ist einerseits im
Subjekt zu finden, andererseits auch in
dessen direkten Reaktionen auf äußeres
Geschehen. Die Affekte sind das erste
Geschenk des Lebens an die Lebenden;
aus ihnen entstehen durch unsere Arbeit
Bewußtsein, Kunst, Sprache, Denken.
So erscheinen die Affekte als archetypische Symbole für numinose Kräfte, nicht
präzise ortbar und deswegen auch vom
begrifflichen Denken nicht erfaßbar.
Hiermit ist letzten Endes gesagt, daß
der Logos, der von der abendländischgriechischen Tradition zumindest seit
Aristoteles allein der Sprache, als der
Kraft der Logik und Rationalität, zugesprochen und den affektiven Energien
entgegengesetzt wurde, in Wirklichkeit
hervorgeht aus dem affektiven, direkt
der Natur entströmenden „flüssigen“
Denken, das auch die Kunst kennzeichnet: ja dieses unmittelbar schöpferische
Denken ist die Grundlage für den stolzen
Bau aller Rationalität und Wissenschaft,
den die Menschheit errichtet hat. Wir
könnten von einer Geburt der Sprache
aus dem Geist der Musik reden, wobei
dieser Geist als sein Vokabular die noch
begriffslosen Klänge, Zeichen und rhythmischen Gesten aus dem pathischen
Erleben der Affekte gewinnen würde.
Die Wort- und Begriffssprache – und
auch hier führen uns unsere Gedanken
plötzlich zu Rousseau zurück – stellt
sich dann als erkaltete Abstraktion der
noch lebenswarmen Körpersprache der
Affekte dar. Hier würden wir uns aus der
Einseitigkeit des aristotelischen Logos
befreien und uns einer viel umfassenderen Vorstellung von Logos annähern, wie
sie etwa dem Logos des Heraklit oder
noch mehr dem des Johannesprologs mit
seiner Einbeziehung des Lebens in das
Erkennen entspricht. Musik scheint
dabei die Stimme unseres Lebens zu
sein – und doch! Sie führt uns weiter
zum Wort als dem Träger der Erkenntnis.
Das Zusammenwirken von Musik und
Wortkunst stellt also in dieser Sichtweise den vollständigen Logos in seiner
sinnlichen Erscheinung dar.
Den großen Dichtern aber oder Mystikern
wie Meister Eckhart gelingt es bisweilen, auch mit den Mitteln der reinen
Wortsprache, den Gegensatz von Affekt
und Begriff zu überbrücken und uns die
Einheit von flüssigem und gefrorenem
Denken erleben zu lassen. Marcel Proust
beschreibt in der „Recherche“ seine
Gedanken nach dem Besuch eines
Konzertes auf folgende Weise: „Und ich
fragte mich, ob nicht die Musik das
einzige Beispiel dessen sei, was – hätte
es keine Erfindung der Sprache, Bildung
von Wörtern, Analyse der Ideen gegeben – die mystische Gemeinschaft der
Seelen hätte werden können. Sie ist
wie eine Möglichkeit, der nicht weiter
stattgegeben wurde; die Menschheit
hat andere Wege eingeschlagen: die
der gesprochenen und geschriebenen
Sprache. Aber diese Rückkehr zum
Nichtanalysier­baren war so berauschend, daß mir beim Verlassen dieses
Paradieses die Berührungen mit mehr
oder weniger klugen Menschen banal
erschienen.“
Musik und Sprache erscheinen uns heute
als zwei verschiedene Systeme von
Kommunikation. Bei näherer Betrachtung haben wir gesehen, daß ihre polare
Gegensätzlichkeit auf eine ursprüngliche
Einheit hinweist, die uns als Abbild
unserer seelischen Ganzheit verloren­
gegangen ist.
16
Musik zwischen Logos und Pathos
Sie wiederzufinden ist nicht möglich
durch Rückkehr zu archaischen Urzuständen, sondern durch Neuintegration
der gegensätzlichen Systeme. Vielleicht
müssen wir eine Art „zweistimmiges
Denken“ erfinden, durch das wir lernen
könnten, mit den Differenzen dieser
Systeme produktiv umzugehen. Die
Musik, das Musische, die kontemplative
Kraft der Kunst – sie müssen in unserer
in Rationalismus und Technologie so
erfolgreichen, aber auch so festgefahrenen Zivilisation als geistige Kräfte
wiederentdeckt werden, um den Weg zu
einer umfassenderen Menschlichkeit zu
zeigen. Dann dürften wir für die Musik
nicht nur das chinesische Schriftzeichen
für „Freude“ gebrauchen, sondern das
Zeichen, das ihr das älteste Buch der
Chinesen, das „I Ging“, zugeteilt hat:
Yü, „die Begeisterung“.
www.klangforum.at/zender-en
Aus:
Hans Zender:
Denken hören – Hören denken.
Musik als Grunderfahrung des Lebens
(ISBN 978-3-495-48863-8)
Verlag Alber
www.verlag-alber.de/zender
Agenda,
Details
22. Juli 2016
Salzburg, Universität Mozarteum
Internationale Sommerakademie
das kleine ICH BIN ICH
Georg Friedrich Haas — das kleine ICH BIN ICH UA
Sabine Muhar, Solistin
Dirigent: Johannes Kalitzke
Details siehe S. 32
—
30. und 31. Juli 2016
Salzburg, Universität Mozarteum
Internationale Sommerakademie
Workshop Dirigieren
Friedrich Cerha — Bruchstück, geträumt
Leitung: Sylvain Cambreling
—
1. August 2016
Salzburg, Kollegienkirche
Salzburger Festspiele
Salzburg Contemporary/
Peter Eötvös
Peter Eötvös — Shadows
— Sonata per sei
— Chinese Opera
Vera Fischer, Flöte
Olivier Vivarès, Klarinette
Peter Böhm & Markus Urban, Klangregie
Dirigent: Peter Eötvös
—
6. August 2016
Salzburg, Kollegienkirche
Salzburger Festspiele
Salzburg Contemporary/
Friedrich Cerha und György Kurtág
Friedrich Cerha — Bruchstück, geträumt
— Les Adieux
Anton Webern — Sechs Stücke op. 6
György Kurtág — Die Botschaften des verstorbenen Fräulein R. V. Trussowa, op. 17
Natalia Zagorinskaya, Sopran
Dirigent: Sylvain Cambreling
—
17
8. August 2016
Salzburg, Universität Mozarteum
Internationale Sommerakademie
24. September 2016
Schwaz, SZentrum
Klangspuren
Portrait Friedrich Cerha
Klangspuren Finale
Friedrich Cerha — Deux éclats en réflexion
— 2. Streichquartett
— 9 Bagatellen
— 3 Stücke
— 8 Sätze nach Hölderlin-Fragmenten
—
Johannes Kalitzke — Angels Burnout Graffiti
Bernhard Gander — Take nine
Ondřej Adámek — Ça tourne ça bloque
Eva Reiter — Alle Verbindungen gelten nur jetzt
5. September 2016
Wien, d51
Klangforum PLUS
NACHBARN
Auf der Suche nach Begegnungen mit der lokalen
Bevölkerung wurde das Ensemble in seiner unmittelbaren
Nachbarschaft fündig: Nur wenige Meter von seinem
Proberaum entfernt, befindet sich die Volksschule
Am Hundsturm, mit der eine langfristige Partnerschaft
vereinbart werden konnte.
www.klangforum.at/nachbarn
www.klangforum.at/nachbarn-en
—
Peter Böhm & Florian Bogner, Klangregie
Dirigent: Johannes Kalitzke
—
30. September 2016
Wien, d51
Saisoneröffnung
Hausfest
Eva Reiter — In groben Zügen
Benjamin Scheuer — Nouveaux Agréments UA
Ernst Krenek — Pentagramm op. 163
— Symphonische Musik op. 11 (2. Satz)
Erich Zeisl — aus: November. Sechs Orchesterskizzen
op. 22 (2. Souvenir, 3. Ein Regentag)
Simone Movio — Incanto VII UA
Enno Poppe — Haare
14. September 2016
Florenz, Tepidarium del Roster
Firenze Suona Contemporanea
Fallen Falls
John Dowland — Lachrimae tristes
Annette Bik, Violine
Sophie Schafleitner, Violine
Dirigent: Leonhard Garms
Beat Furrer — intorno al bianco UA
Erwin Wurm/ Andrea Cavallari — Fallen Falls
(video-concert) UA
Gérard Grisey — Vortex temporum
Details siehe S. 34
Giulia Peri, Sopran
Bernhard Zachhuber, Klarinette
Florian Müller, Klavier
Michele Greco, Ton- und Videotechnik
7. Oktober 2016
Graz, Helmut-List-Halle
Musikprotokoll
Details siehe S. 32/33
—
—
Verbinden & Abwenden
Zeynep Gedizlioğlu — Verbinden & Abwenden UA
— Jetzt mit meiner linken Hand EA
Vito Žuraj — Quiet, please EA
— Changeover EA
— Runaround EA
RSO Wien
Klangforum Wien
Anders Nyqvist, Aleš Klančar, Trompete
Christoph Walder, Horn
Andreas Eberle, Posaune
Dirigent: Johannes Kalitzke
Details siehe S. 34
—
18
Agenda, Details
15. Oktober 2016
Donaueschingen, Donauhallen
Donaueschinger Musiktage
An Evening of Real Class Struggle
Michael Wertmüller — discorde UA
Bernhard Gander — Cold Cadaver With
Thirteen Scary Scars UA
Rebecca Saunders — Skin UA
Steamboat Switzerland
Klangforum Wien
Juliet Fraser, Sopran
Dirigent: Titus Engel
Dabei leitet uns das Interesse, einerseits tiefer in den jeweiligen individuellen Klangkosmos einer Komponistin/ eines
Komponisten vorzudringen, andererseits kennenzulernen, wie
andere Menschen Musik hören. Was und worauf hören sie? Was
ist ihnen wichtig, und warum? Welche Rolle spielen Gefühl,
Sinnlichkeit, Verstehen, kurz: In welchen Kategorien bewegt
sich ihr Zuhören?
Fremden Höreinstellungen zu begegnen, eröffnet stets die
Möglichkeit, sich aus vertrauten Hörmustern hinauszubewegen
und die Welt der eigenen Wahrnehmung zu erweitern.
Ein Schritt ins Unbekannte. (Björn Wilker)
Weitere Termine:
28. Oktober, 12. November, 14. Dezember 2016 und
21. Februar, 21. März, 20. April, 19. Juni 2017
Details siehe S. 35
—
www.klangforum.at/fremdeohren
www.klangforum.at/fremdeohren-en
—
23. Oktober 2016
Tallinn, RO Estonia kammersaal
AFEKT Festival
domkrat polej i pustot
28. Oktober 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
Oxana Omelchuk — domkrat polej i pustot UA
Tatjana Kozlova-Johannes — Disintegration chain
Beat Furrer — intorno al bianco
musique savante und
musique sauvage
Monika Mattiesen, Flöte
Bernhard Zachhuber, Klarinette
Florian Zwissler, EMS Synthesizer VCS3
Video: Julie Pfleiderer
Dirigent: Clark Rundell
Michael Wertmüller — discorde EA
Bernhard Gander — Cold Cadaver With
Thirteen Scary Scars EA
—
Steamboat Switzerland
Klangforum Wien
Dirigent: Titus Engel
—
28. Oktober 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
Klangforum PLUS
30. Oktober-1. November 2016
Wien, Dschungel
netzzeit/ Wien Modern
Fremde Ohren oder:
Wie Musiker das hören
das kleine ICH BIN ICH
Details siehe S. 36
Mitglieder des Klangforum Wien stellen unmittelbar vor den
Zykluskonzerten auf unorthodoxe Weise ihren sehr persönlichen Zugang zur Musik des jeweiligen Abends vor. Auf eine
fassbare, sinnliche Erfahrung abzielend, zeigen wir, was uns
begeistert.
Nicht, dass Neue Musik erklärt werden müsste. Nein.
Muss sie nicht.
Und doch lässt sich im persönlichen Kontakt mit den Künst­
lerInnen, im Gespräch mit den KomponistInnen, dem Amalgam
aus Person und Werk näher kommen. Wir haben das Glück,
dass die meisten KomponistInnen, deren Musik wir spielen,
noch sehr lebendig sind und uns diese Möglichkeit bieten.
Georg Friedrich Haas
— das kleine ICH BIN ICH UA der szenischen Fassung
Peter Gruber, Erzähler (Deutsch)
Massud Rahnama, Erzähler (Farsi und Arabisch)
Das kleine Ich bin ich: Franziska Adensamer
Inszenierung: Michael Scheidl
Ausstattung: Nora Scheidl
Visuals: Lilija Tchourlina
Dirigent: Bas Wiegers
Details siehe S. 32
—
19
31. Oktober 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
Internationale Musikbrücke
12. November 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
Wien Modern/ science? fiction!
Der Klang nach Seide
Dämonen
Manuela Kerer — oscillare UA
Sehyung Kim — Sijo_310516 UA
Richard Dünser — der zeiten spindel I UA
Christoph Renhart — miroirs noirs UA
Xu Shuya — Neues Werk UA
Ye Guohui — Neues Werk UA
Beat Furrer — Aer
Hyena UA
Text: Mollena Lee Williams-Haas
Musik: Georg Friedrich Haas
Georg Friedrich Haas — 9. Streichquartett UA
Dirigent: Clement Power
Mollena Lee Williams-Haas, Solistin
JACK Quartet
Klangforum Wien
Dirigent: Bas Wiegers
Details siehe S. 36/37
Details siehe S. 38/39
—
—
8. November 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
Wien Modern
19. November 2016
Huddersfield, St. Paul’s Hall
Huddersfield Contemporary Music Festival
Pulse Shadows
Hyena
Harrison Birtwistle — Pulse Shadows
— Stringquartet 1
— The Silk House Sequences EA
Hyena
Text: Mollena Lee Williams-Haas
Musik: Georg Friedrich Haas
Claron McFadden, Sopran
Arditti Quartet
Klangforum Wien
Dirigent: Bas Wiegers
—
Mollena Lee Williams-Haas, Solistin
Dirigent: Bas Wiegers
—
9. November 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
Wien Modern
Noch sind wir ein Wort ...
Eva Reiter — Noch sind wir ein Wort... UA
— In groben Zügen
— Alle Verbindungen gelten nur jetzt
Sofia Gubaidulina — Quattro
Friedrich Cerha — Relazioni fragili
John Cage — One3 = 4‘33“ (0‘0“) + [G clef]
Ursula Langmayr, Sopran
Johanna von der Deken, Mezzosopran
Eva Reiter, Kontrabassblockflöte, Performance
Florian Müller, Cembalo
Uli Fussenegger, Kontrabass
Peter Böhm & Florian Bogner, Klangregie
Dirigent: Bas Wiegers
Details siehe S. 37
—
20
Agenda, Details
20. November 2016
Huddersfield, St. Paul’s Hall
Huddersfield Contemporary Music Festival
Skin
Rebecca Saunders — Skin
Eva Reiter — Noch sind wir ein Wort...
Beat Furrer — intorno al bianco
Reinhard Fuchs — MANIA
Juliet Fraser, Sopran
Eva Reiter, Kontrabassblockflöte
Bernhard Zachhuber, Klarinette
Uli Fussenegger, Kontrabass
Peter Böhm & Florian Bogner, Klangregie
Dirigent: Bas Wiegers
—
27.-29. November 2016
Wien, Semperdepot
Universität Wien, Institut für Philosophie/ Wien Modern
4. Dezember 2016
Salzburg, Universität Mozarteum
Internationale Sommerakademie
Wort. Ton. Gestalt
Portrait Friedrich Cerha
Hans Zender — Ein Wandersmann... zornig...
(Hölderlin lesen V)
— Denn wiederkommen (Hölderlin lesen III)
— LO-SHU I
— FŪRIN NO KYŌ
— 4 Enso (LO-SHU VII) EA
Friedrich Cerha — 8 Sätze nach Hölderlin-Fragmenten
Giacinto Scelsi — Anahit
Klaus Huber — Ein Hauch von Unzeit VII
Friedrich Cerha — Deux éclats en réflexion — 2. Streichquartett
— Liederzyklus nach Texten von Ilija Jovanovic — 3 Stücke für Violoncello und Klavier — 8 Sätze nach Hölderlin-Fragmenten
Salome Kammer, Stimme
Claron McFadden, Sopran
Olivier Vivarès, Klarinette
Gunde Jäch-Micko, Violine
Uli Fussenegger, Kontrabass
Krassimir Sterev, Akkordeon
Dirigent: Emilio Pomàrico
14. Dezember 2016
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
Mit Beiträgen von Martin Vöhler (Thessaloniki),
Roland Reuss (Heidelberg), Helmut Jakob Deibl (Wien),
Violetta L. Waibel (Wien), Jörn-Peter Hiekel (Dresden),
Jörg Quenzer (Hamburg), Georg Stenger (Wien) u.a.
Wort. Ton. Gestalt
Hölderlin Lesen, Ikkyu Sojun Hören, Musik Denken
Zum 80. Geburtstag von Hans Zender
In einem dreitägigen Konzertsymposion präsentiert das
Klangforum Wien in Zusammenarbeit mit dem Institut für
Philosophie der Universität Wien Hans Zender als Schöpfer
eines vielfältigen musikalischen Werks und als einen der
wichtigsten Musikdenker unserer Zeit. In zehn thematisch
auf Kompositionen Hans Zenders bezogenen Vorträgen
werden sich PhilosophInnen, MusikwissenschaftlerInnen,
SprachwissenschaftlerInnen und TheologInnen mit zwei
wesentlichen Bereichen seines Schaffens auseinandersetzen: seiner Befassung mit der Dichtung Hölderlins und
seinem Studium japanischer Literatur und asiatischen
Denkens. Die Gespräche, für die im Verlauf des Symposions
breiter Raum vorgesehen ist, sollen auf diese Art wesentlich
musikalisch inspiriert und auf das dritte Thema des
Projekts fokussiert sein: Musik Denken.
Mit der breiten Anlage des Gesamtprojektes und der
intensiven, durch Teilnahme an Proben und Konzerten
gedoppelten Begegnung mit der Musik des Komponisten im
Rahmen eines mehrtägigen Zusammenseins wird den Erfordernissen von Zenders Musik und den Ansprüchen seines
literarischen Schaffens in einer Weise entsprochen, wie das
im gewöhnlichen Konzertleben nicht möglich ist. Die
dringend notwendige Auseinandersetzung mit Sinn,
Bedeutung und Bedingungen des Musikhörens unter seit
der Erfindung des Konzertsaals radikal gewandelten
gesellschaftlichen Voraussetzungen, ist ein wesentliches
Anliegen des Konzertsymposions.
—
21
Wolfgang Holzmair, Bariton
—
Jenseits
Fausto Romitelli — Your time is over EA
Clara Iannotta — Intent on Resurrection – Spring
or Some Such Thing EA
Gérard Grisey — Quatre chants pour franchir le seuil
Claron McFadden, Sopran
Benedikt Leitner, Violoncello
Dirigent: Sylvain Cambreling
—
12. Januar 2017
Athen, Auditorium Aristotle Onassis
Onassis Cultural Centre
Ebe und anders
Alberto Posadas — Tratado de lo inasible
Beat Furrer — linea dell’orizzonte
Michalis Lapidakis — Howl
Pierluigi Billone — Ebe und anders
Anders Nyqvist, Trompete
Gerald Preinfalk, Saxophon
Kevin Fairbairn, Posaune
Yaron Deutsch, E-Gitarre
Krassimir Sterev, Akkordeon
Dirigent: Bas Wiegers
—
Festliche Tage
Alter Musik
Wie sind wir eigentlich dahin gekommen,
wo wir jetzt stehen? Von welchem Ort
sind wir aufgebrochen, in welche Richtung, mit welcher Hoffnung und mit
welchem Ziel? Und was war es gleich
noch, das wir an diesem Ziel finden zu
können meinten?
Die „Festlichen Tage Alter Musik“
verhandeln diese Fragen in den fünf
Konzerten des kleinen, feinen Festivals,
das 2017 zwischen 19. Jänner und
2. Februar stattfinden wird. Ein verstehendes und erfüllendes Hören der
vielfältigen Musiken, welche die aktuelle
Kunstmusik Europas und der Welt
ausmachen, ist ohne eine eingehende
Überlegung dieser Themen nur schwer
vorstellbar. Die „Festlichen Tage“ bieten
die ebenso sinnlichen wie freudvollen
praktischen Übungen zu den hier vorgeschlagenen theoretischen Reflexionen.
Es ist ein immer wieder gleichermaßen
überraschendes und erhellendes Erlebnis
zu bemerken, wie zugänglich, bis zum
Lukullischen kulinarisch und bis zum
Romantischen melodisch jene Musik in
unseren Ohren klingt, die noch unseren
Großvätern als mutwilliger, antimusikalischer Lärm erschien und als solcher in
vorderster Linie gerade von den beamteten Musikauguren ihrer Entstehungszeit
verdammt wurde. Dass sich daran in den
vergangenen hundert Jahren nichts
geändert hat, wird durch die im vergangenen Juli in einem österreichischen
Intelligenzblatt erschienene kuriose
Einlassung eines der meistgelesenen und
-gehörten Musikkritiker des Landes
deutlich, derzufolge es sich mit Uraufführungen immer ein wenig so wie mit der
zivilisatorischen Verpflichtung zu
Besuchen beim Zahnarzt verhalte.
Die „Festlichen Tage Alter Musik 2017“
schließen eine Lücke im gängigen
Repertoire und bieten die Begegnung mit
dreiundzwanzig klingenden Pretiosen, die
auch sehr kenntnisreichen Musikfreunden nicht vertraut sein werden.
Im Jahr 2012 hat Friedrich Cerha angemerkt, dass es weder die Avantgarde
noch die klassische Moderne seien,
denen im aktuellen Musikleben nicht
adäquater Raum gegeben werde. Vielmehr sei es das Fehlen der Meisterwerke
22
Festliche Tage Alter Musik
aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf den Spielplänen der Konzerthäuser und in den Repertoires von
Orchestern und Ensem­bles, das nicht nur
in Hinblick auf die Bedeutung dieser
verschwundenen Werke selbst, sondern
vor allem auch für das Verständnis und
die Rezeption des aktuellen Musikschaffens ein gar nicht zu überschätzendes
Problem darstelle. Für die große Musik
dieser Zeit gebe es weder adäquate
Aufmerksamkeit seitens der Musikinstitutionen noch entsprechendes Engagement bei öffentlichen und privaten
Fördereinrichtungen.
Tatsächlich entspricht die Hörsituation, in
der das Publikum heute auf zeitgenössische Musik trifft, jener eines Musikfreundes, dessen letzte konsolidierte Hörerfahrung die Musik der Zauberflöte ist,
und der übergangslos mit Wagners
Tristan konfrontiert wird. Die 70 Jahre
Musikentwicklung und -geschichte, die
dazwischen fehlen, werden ihn kaum
mehr erleben lassen als unverständlichen, mutwilligen Lärm.
Als musikalische Brücke ins Heute
zeichnen die Konzertprogramme, Textdokumente, Konzertgespräche und neuen
literarischen Annäherungen des Festivals
den Kampf der Avantgarden des frühen
20. Jahrhunderts gegen die beharrenden
Kräfte. Ebenso zeigen sie das Ringen der
konservativen Komponisten dieser
Umbruchszeit um einen eigenen Weg, der
ein neues Schaffen innerhalb des alten
Regelwerks ermöglichen und zugleich der
Gefahr flachen Epigonentums entgehen
sollte.
Einen Abend seines Musikfests widmet
das Klangforum Wien, gemeinsam mit
dem Forum Voix Étouffées, jenen Komponisten, deren Werk von den verschiedenen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts
unterdrückt worden ist. Auf dem Programm dieses Konzerts stehen Werke von
Autoren, die wesentlich zur Formung
unseres Begriffs von Moderne beigetragen haben.
Forum Voix Étouffées
Wer erinnert sich heute an Viktor
Ullmann, Karol Rathaus oder Franz
Schreker? Wem sagen die Namen
Wilhelm Grosz, Alfred Tokayer, Stefan
Wolpe, Eric Zeisl oder Aldo Finzi noch
etwas? Einige dieser Komponisten
spielten vor der Machtergreifung der
Nazis eine bedeutende Rolle in der europäischen Musiklandschaft und haben
Werke hinterlassen, die zu den wichtigsten des weltweiten Musikkulturerbes
zählen. Andere, die noch am Anfang ihrer
Karriere standen, haben die Blüte ihres
vielversprechenden Talents nie erlebt.
Unter den Opfern des Dritten Reichs
nehmen diese „erstickten Stimmen“
einen besonderen Platz ein. Als Vertreter
verschiedenster Musikströmungen und
mehrheitlich jüdischer Abstammung
wurden sie aufgrund ihrer angeblich
„entarteten“ Musik zur Flucht ins Exil
gezwungen oder verschleppt und
ermordet.
Nicht irgendein diffuses Recht auf
Gedächtnis ist der Grund, weshalb das
Werk dieser Komponisten Gehör finden
soll, sondern die Bedeutung ihres
musikalischen Schaffens und auch das
Versprechen der Erneuerung, das ihre
Kompositionen für die moderne kulturelle Welt darstellen. Ihre Musik wurde
in einer Periode der wirtschaftlichen und
geistigen Not geschaffen, die unserer
aktuellen Situation in vielem frappant
ähnlich ist. Sie erklingt als Erinnerung,
als Mahnung, aber vor allen Dingen als
Ermutigung zur Utopie. Das ist es, was
Musik kann, auch und vor allem in Zeiten
großer Ratlosigkeit.
—
19. Januar 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
Festliche Tage Alter Musik
1. Februar 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
Festliche Tage Alter Musik
2. Februar 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
Festliche Tage Alter Musik
Endzeit
Très Belle Époque
Spuren nach Darmstadt
Alexander Skrjabin
— Vers la flamme. Poème op. 72
Jean Sibelius — Canzonetta op. 62a
Karol Szymanowski — Slopiewnie. Fünf Gesänge für Sopran und Orchester op. 46b
Franz Schreker
— Kammersymphonie
Alban Berg/ Richard Dünser
— Sonate op. 1
André Caplet — Légende
Maurice Ravel
— Introduction et Allegro
Jean Francaix — Quintett für Flöte,
Harfe und Streichtrio
Lili Boulanger — aus: Trois Morceaux pour Piano (1. D’un Vieux Jardin, 2. D’un Jardin Clair)
Germaine Tailleferre — aus: Le petit livre de harpe de Madame
Tardieu (Nr. 3, 6, 9, 11, 12, 18)
Adolph Weiss — Kammersymphonie
Luigi Dallapiccola
— Due Liriche di Anacreonte
Anton Webern — Konzert op. 24
Olivier Messiaen
— Mode de valeurs et d’intensités
Henri Pousseur — Quintett a la
memoire d’Anton Webern
Luigi Nono — Canti per 13
Agata Zubel, Sopran
Dirigent: Stefan Asbury
—
22. Januar 2017
Wien, Arnold Schönberg Center
Festliche Tage Alter Musik
Auf verwachsenem
Pfade
Leoš Janáček
— Auf verwachsenem Pfade
Alois Hába
— Fantasie für Nonett op. 40
Joonas Ahonen, Klavier
Florian Müller, Harmonium
Texte: Ferdinand Schmatz
—
27. Januar 2017
Wien, Wien Museum
Festliche Tage Alter Musik
Voix Étouffées
Ernst Krenek — Symphonische
Musik op. 11 (Adagio)
Wilhelm Grosz — Lieder an die Geliebte op. 18
Eric Zeisl — aus: November.
Sechs Orchesterskizzen op. 22
(2. Souvenir, 3. Ein Regentag)
Ernst Krenek — Pentagramm op. 163
Wilhelm Grosz
— Along the Santa Fe Trail
Sarah Wegener, Sopran
Agnes Heginger, Sopran
Texte: Matti Bunzl
—
Virginie Tarrête, Harfe
Texte: Ferdinand Schmatz
—
Giulia Peri, Sopran
Florian Müller, Klavier
Dirigentin: Catherine Larsen-Maguire
—
10. Februar 2017
Graz, Helmut-List-Halle
Impuls
6. April 2017
Graz, MUMUTH
Klangforum PLUS/ PPCM
Neue Werke
SCAN III – Beat Furrer
Adam McCartney — A way after remains or reflections UA
Michail Paraskakis — kama UA
Diana Soh — iota UA
Lorenzo Troiani — We are destroyed UA
Carolyn Chen — We were dead and we could breathe. UA
Ein Projekt im Rahmen des PPCM-Studiums an der
Kunstuniversität Graz, in Kooperation mit dem Institut für
Chormusik
Dirigent: Enno Poppe
Einstudierung: Uli Fussenegger und Dimitrios Polisoidis
Dirigent: Beat Furrer
—
Details siehe S. 40/41
impuls academy | competition | festival
—
21. Februar 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
Hinter den Spiegeln
Pierluigi Billone — AN NA
Alberto Posadas — Anamorfosis
Mauricio Kagel — In der Matratzengruft EA
Markus Brutscher, Tenor
Peter Böhm & Florian Bogner, Klangregie
Dirigent: Emilio Pomàrico
—
21. März 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
künstlich intelligent
Iannis Xenakis — Phlegra
Rebecca Saunders — Skin EA
Enno Poppe — Koffer
Juliet Fraser, Sopran
Dirigent: Baldur Brönnimann
—
24
Agenda, Details
20. April 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
Déjà-vu
Dieter Ammann — Le réseau des reprises EA
Ondřej Adámek — Ça tourne ça bloque
Bernhard Lang/ Klangforum Wien — SCAN UA
Peter Böhm & Florian Bogner, Klangregie
Dirigent: Bas Wiegers
SCAN ist ein interaktives Kompositions- und Improvisations­projekt, das integrativ MusikerInnen in einen neuen Modus
des musikalischen Gestaltens und Interagierens einbindet
und sie ihre Rolle des Performers/der Performerin neu
interpretieren lässt. Ausgehend von zwei Werken Bernhard
Langs, die im Verlauf der Performance auch in ihrer originalen Gestalt erklingen, werden horizontale und vertikale
Schichten der beiden Werke isoliert, uminstrumentiert,
musikalisch neu gedeutet. Aus und mit diesem neu
gewonnenen Material wird rekomponiert, improvisiert,
elektronisch sowie akustisch. –
­ Eine Rekontextualisierung
musikalischer Prozesse, die in der Erarbeitungsphase
teilweise determiniert, teilweise bewusst offen gelassen
wird, womit ein Komplexitätsgrad an „Durchleuchtung des
Materials“ erreicht werden kann, der mit traditionellen
Herangehensweisen undenkbar wäre. (Uli Fussenegger)
—
Aus Europas Osten.
Lothar Knessls
„Wunschkonzert“
zum (nach dem)
Neunziger
Unüblich: Das Ensemble verführt
seinen Abonnenten in den Entscheidungsnotstand, sich selbst nach
Gutdünken ein Konzertprogramm
zu küren. Nach Gutdünken klingt
verlockend, entfernt sich allerdings
rapide von der Realität. Mannigfache
Gründe: räumliche, ästhetische,
ökonomische… Man kann nicht von
allem haben, sagte weise schon die
Großmutter.
Das Rad der Überlegungen beginnt,
sich hin und her zu drehen. Genauer:
Es wälzen sich die Überlegungen,
werden gewälzt. Man ist kein Fan,
nicht begeistert auf einen oder wenige
Protegés fokussiert. Wäre Scheuklappenmentalität. – Womöglich doch auch
Fan? Allenfalls von Gesualdo. So richtet
25
man keinen Schaden an, lieber, aus
Überzeugung, das breite Spektrum, von
Josquin bis in die jüngste Gegenwart.
Sie beträfe die etwa Dreißigjährigen.
Diesfalls ist die weitgefasste Gegenwart
erwünscht.
Indes geziemt dem Ältestabonnenten die
nicht glorifizierende Rückbesinnung auf
die mehr oder weniger nahe Vergangenheit. Zudem obliegt ihm die durch
radikale Reduktion Schmerz provozierende Selektion auf vier bis sechs Stücke,
tunlichst selten gespielte, zu Unrecht
übergangene oder gar trendbedingt
„vergessene“. Wie soll, wie kann das
gut gehen?
Bliebe er suchend und wägend im
Lande, regnete es rundum Kränkungen.
Das mag er nun gar nicht. Beschränkte er
sich auf nur ein Nachbarland, erhöbe
sich ungehalten die Frage, warum nur
dieses? Andererseits, ein – wenn auch
qualifiziertes – Medley: wo bliebe da die
„Programmidee“?
Hoffnung einschalten. – Sonnenaufgang. – Blick nach Osten. – Wiens
Anrainer­position. – Schon Heine,
westlich orientiert, war europamüde. –
Auffrischung aus Europas Osten. –
Ist der Abonnent nicht letztlich gar ein
Osteuropa- oder Donauraumfan?
Verdacht keimt hoch. (Lothar Knessl)
23. April 2017
Wien
Wiener Konzerthaus
Für Lothar Knessl
György Ligeti — Zehn Stücke für Bläserquintett
György Kurtág — 12 Mikroludien
op. 13 (Hommage à Mihály András)
— 4 Lieder auf Gedichte von János Pilinszky op. 11
Adriana Hölszky — Segmente I EA
Henryk Górecki
— Musiquette 4, op. 28
Galina Ustwolskaja — Komposition Nr. 1 (Dona nobis pacem)
—
Bernhard Lang
— ParZeFool – Der Tumbe Thor
„Die Auseinandersetzung eines Künstlers mit einem künst­
lerischen Zeugnis der Vergangenheit wie etwa dem Werk
eines großen Dichters, wird auf eine ganz andere Weise vor
sich gehen als die eines Philosophen oder Literaturwissenschaftlers. [...] Der dichterische Text wird für den Künstler
zum Material, zu einem Fundus von Zeichen, die er mit den
Zeichen seiner eigenen Sprache in eine Verbindung bringen
muss. Wie das aber mit jedem Material so ist: je tiefer man
darauf eingeht, umso mehr stellt man nicht nur fest, dass
es einen Eigenanspruch entwickelt, sondern dass es letztlich zum heute lebenden Künstler sagt: Du denkst, dass ich
dein Material bin, aber in Wirklichkeit bist du ebenso mein
Material: ich bin es, das sich durch dich neu realisieren will.
Und so entsteht ein nie endender Verwandlungsprozess
paradoxen Charakters. Dieser wird zu einem Resultat führen, dessen Autorschaft nicht eindeutig zu bestimmen ist.
Betrachtet man eine solche Prozedur als Paradigma, so
wird man sogar sagen müssen, dass hier, ganz anders und
viel tiefer als in der methodischen Arbeit des Wissenschaftlers, das Wesen der Lektüre von Texten, ja das Wesen
kultureller Traditionsbildung überhaupt zum Ausdruck
kommt. Erinnerung ist immer auch Verwandlung des Erinnerten, und oft auch eine Weiterführung oder Erhellung
mancher verborgener in ihm enthaltener widersprüchlicher
Tendenzen. Mit anderen Worten: kulturelles Gedächtnis
kann gar nichts anderes sein als Neuinterpretation von
Geschichte.“
(Hans Zender, Ausgehend von Hölderlin ...,
in: Waches Hören, München 2014)
26
ParZeFool – Der Tumbe Thor
Der Parsifal ist heute, einhundertfünfunddreißig Jahre nach seiner Uraufführung im Festspielhaus von Bayreuth, vor
allen Dingen eines: eine enorme, ungeheuere Textmasse. Das war er schon
1882, und von Anfang an konnte nur eine
sehr naive und am Gesamtwerk und
seinem Gehalt in Wahrheit desinteressierte Lesart dieser gewaltigen Partitur
sich mit der möglichst schlichten
Bühnendarstellung von Dichtung und
Notentext begnügen. Diese waren schon
damals nicht mehr als ein – freilich
enormes – Vorgebirge, dessen gewaltige
Ausmaße wohl geeignet sind, den Blick
auf das Massiv der hinter ihnen sich
erhebenden philosophischen, psychologischen, religiösen, mythologischen,
sprachmystischen, sexualmagischen
und anderer Subtexte zu verstellen,
welche die eigentliche Erzählung des von
Richard Wagner in durchaus irreführender Weise zum „Bühnenweihfestspiel“
verharmlosten skandalösen Werkes
ausmachen.
Verwandlung dieses Erinnerten, Weiterführung, Erhellung verborgener und
vielleicht auch widersprüchlicher
Tendenzen, kurz: die Interpretation des
Werkes, die uns nicht nur erlaubt,
sondern die von uns gefordert ist, wenn
unser Erleben des Parsifal anderes und
mehr sein soll als eine jährliche Andachtsübung für Opernfreunde, kann
nicht bei der nur oberflächlich und
scheinbar werkgetreuen Wiedergabe
einer im späten 19. Jahrhundert versteinerten Partitur haltmachen. Sie muß
ganz im Gegenteil am Werk selbst
ansetzen.
Das muß sie schon deshalb, weil diese
Gesamtheit aus literarischem Text,
Komposition und den in beiden verdichteten Subtexten kein abgeschlossenes,
abgetanes und also totes Schrifttum ist.
Der Parsifal hat, wie jedes bedeutende
Kunstwerk, nicht aufgehört zu wachsen,
sich zu verändern und kurzum: zu leben.
Als kleiner Hinweis zum Beleg dieser
Feststellung mag an diesem Ort die
Erinnerung an die Tatsache genügen, daß
Sigmund Freud 1882, im Jahr der
Uraufführung des Parsifal, seine erste
Stelle im Wiener Allgemeinen Krankenhaus antrat, und daß die Publikation
seiner Traumlehre und seiner drei
Abhandlungen zur Sexualtheorie erst
rund zwanzig Jahre nach Richard
Wagners Tod erfolgte.
Natürlich ist es möglich, vor diesen und
anderen Erkenntnissen, Einsichten,
Entwicklungen und Reflexionen der
vergangenen einhundertfünfunddreißig
Jahre, die auf die Art und Weise, in der
ein Mensch des frühen 21. Jahrhunderts
den Parsifal erlebt, unmöglich ohne
Einfluß geblieben sein können, Augen,
Ohren, Herz und Sinne zu verschließen
und Dichtung und Komposition mit dem
Kinderglauben eines Sechsjährigen zu
hören, dem sich das Werk übrigens – auf
seiner Entwicklungsstufe – als ein
naives, berührendes Erlösungsmärchen
vollkommen erschließen wird. Eine
ernsthafte, erwachsene Auseinandersetzung muß allerdings erheblich tiefer
ansetzen, nämlich im Idealfall an der
Musik und am Text selbst, an ihren
historischen und an ihren aktuellen
Subtexten.
Wo beginnen? ist für ein solches Unterfangen die erste und zentrale Frage.
Bernhard Lang hat sich entschieden, die
Aufgabe von der musikalischen Seite her
in Angriff zu nehmen. Seine im Jahr 2007
begonnene und mittlerweile auf 32
Kompositionen angewachsene Monadologie-Serie, in der er sich mit literarischen oder musikalischen Vorlagen
anderer Autoren auseinandersetzt,
erscheint retrospektiv als die ideale
Vorbereitung auf die Titanenaufgabe
einer kompositorischen Interpretation
des Parsifal. Die Monadologie XIII,
uraufgeführt bei den vorletzten von
Armin Köhler geleiteten Musiktagen in
Donaueschingen im Oktober 2013, weist
auf eine im Rückblick fast geheimnisvoll
anmutende Art auf den Parsifal hin,
einerseits durch ihre Bewältigung der
Großform in einem monumentalen Werk
für zwei Orchestergruppen im Vierteltonabstand mit einer Spieldauer von mehr
als 70 Minuten, andererseits durch die
Wahl von Anton Bruckners Symphonie
Nr. 1 als Textvorlage.
Für seine Neukomposition hat sich
Bernhard Lang für die Erhaltung der
Gesangslinien und der auf einem
vierstimmigen Satz basierenden harmonischen Struktur der Parsifal-Komposition entschieden. Das schon in Wagners
Musik deutlich erkennbare spektrale
Denken wird in der kompositorischen
Interpretation durch die Erweiterung des
harmonischen Konzepts deutlicher
erfahrbar gemacht. Dies geschieht durch
die in unterschiedlicher, changierender
Intensität hörbar werdende Notation der
jeweils sechs Differenz- und Summationstöne der Grundstruktur. Erhalten sind
auch die Großstruktur des Werks, seine
Zeitgestalt und seine dramaturgischen
Proportionen.
27
Für die Neulektüre des Textes hat
Bernhard Lang die Technik der eidetischen Reduktion gewählt. Dieser
Filterprozeß, der die in den historischen,
neuen und neuesten Subtexten zu
Wagners Dichtung zu suchende Kernaussage freilegt und deutlich macht, führt
zu einer Verknappung des Textes auf
Schlüsselsätze und zentrale Begriffe.
Das fallweise Aufleuchten von Fremd­
artigem in Sprache und Musik der
Neudichtung hat unterschiedliche
Funktionen: das andersartige, kühlere
Pathos des Englischen ist dem Amfortas
zugewiesen, das Altgriechische charakterisiert die antikische Funktion des
Chors, das Französische für die Blumenmädchen ist auch eine kleine Hommage
an Judith Gautier, Jazz-Elemente
evozieren das Magische, BedrohlichAndere, Erotische von Klingsors Welt.
Wenn der Einsatz dieser Farben im
Wesentlichen ein dramaturgischer
Kunstgriff ist, haben die wenigen,
beinahe unauffälligen Eingriffe in den
Text entschieden größere inhaltliche
Sprengkraft. Auch dort, wo sie die
Aussage des Originals in ihr Gegenteil zu
verkehren scheinen, akzentuieren sie
tatsächlich nur eine Tendenz, die in
Wahrheit schon in der Vorlage angelegt
ist. Wenn etwa Amfortas auf die Frage
des Toren nach dem Wesen des Grals
nicht geheimnisvoll-raunend auf ein
unaussprechliches Geheimnis verweist
(„Das sagt sich nicht“), sondern ihm
unmißverständlich die Preisgabe eines
ihm selbst sehr wohl zugänglichen
Geheimwissens („Das sage ich nicht“)
verweigert, ist das keine grundsätzlich
neue Facette der Bruderschaft und ihres
Meisters, es setzt nur einen Aspekt des
militanten Männerordens, der ein
geheimnisvolles Heiligtum hütet, in ein
helleres Licht.
Auch an einer Schlüsselstelle des
zweiten Aktes greift Bernhard Lang in die
Textvorlage ein. Das große gnostische
Versprechen Kundrys: Bekenntnis wird
Schuld in Reue enden, Erkenntnis in Sinn
die Torheit wenden ... wird psychoanalytisch neu formuliert: – „Bekenntnis wird
dich vom Schuldgefühl erlösen, Erkenntnis wird Sinn in Narrheit finden ...“ – und
bereitet so das Finale des Akts vor, in
dem nicht nur Parsifal ihr, sondern auch
sie ihm in einem nunmehr gemeinsam
gesungenen: „Du weißt, wo Du mich
wiederfinden kannst!“ Erkenntnis und
Erlösung verspricht. Dieser nicht nur in
Hinblick auf die Geschlechterrollen
sondern in einem umfassenden Sinn
emanzipatorische Ansatz von Bernhard
Langs Neulektüre wird im letzten Akt
konsequent weiterverfolgt, wenn es
nicht Gurnemanz ist, sondern Kundry,
von der Parsifal die Salbung seines
Hauptes verlangt, „que maintenant, ma
bien aimée me purifie la tête“, die beide
einander schließlich gegenseitig gewähren: „Sois béni, Folle/Fou, par la Drogue
pure“, und die in einer kleinen Verschiebung im Schlußgebet gipfelt, mit dem
das Werk endet: „Erlösung von Erlösern!“
Mit seiner Neukomposition des Parsifal
hat Bernhard Lang nun seinerseits ein
Werk geschaffen, das selbst wieder der
Lektüre, der Deutung, dem lebendigen
Weiterdenken unterliegt. Jonathan
Meese wird das mit den Mitteln seiner
Kunst tun, zum ersten Mal für die
Uraufführung im Juni 2017 bei den
Wiener Festwochen, in deren Auftrag
diese Auseinandersetzung mit Richard
Wagners letzter Oper entstanden ist. sh
www.klangforum.at/parzefool-en
—
4., 6. und 8. Juni 2017
Wien, Theater an der Wien
Wiener Festwochen
ParZeFool/
MONDPARSIFAL
ALPHA 1-8
Bernhard Lang
— ParZeFool – Der Tumbe Thor UA
Jonathan Meese
— MONDPARSIFAL ALPHA 1-8 (ERZMUTTERZ DER ABWEHRZ) UA
Dirigentin: Simone Young
—
28
ParZeFool – Der Tumbe Thor
15., 16. und 18. Oktober 2017
Berlin, Haus der Berliner Festspiele
Berliner Festspiele
ParZeFool/
Mondparsifal
Beta 8-13
Bernhard Lang
— ParZeFool – Der Tumbe Thor
Jonathan Meese
— MONDPARSIFAL BETA 8-13
(VON EINEM, DER AUSZOG DEN „WAGNERIANERN DES GRAUENS“ DAS „GEILSTGRUSELN“ ZU ERZLEHREN...) UA
Dirigentin: Simone Young
—
3. Mai 2017
Hamburg
Elbphilharmonie
3.-19. Juli 2017
Aix-en-Provence, Grand Théâtre de Provence
Festival d’Aix-en-Provence
Speicher
Pinocchio
Enno Poppe — Speicher I-VI
Philippe Boesmans — Pinocchio UA
Dirigent: Enno Poppe
—
Libretto und Regie: Joël Pommerat
19. Juni 2017
Wien, Wiener Konzerthaus
science? fiction!
Der Mensch muss weg
Pierre Boulez — ...explosante-fixe...
— Répons
Eva Furrer, Vera Fischer, Thomas Frey, Flöte
Lukas Schiske, Xylophon
Björn Wilker, Vibraphon
Virginie Tarrête, Harfe
Joonas Ahonen, Florian Müller, Klavier
Jan Rokyta, Zymbal
Peter Böhm, Florian Bogner, Gilbert Nouno, Klangregie
Dirigent: Baldur Brönnimann
—
Pinocchio: Chloé Briot
Mauvais élève entraineur, ami de Pinocchio: Julie Bouliane
Directeur de petit cirque: Stéphane Degout
Le Père: Vincent Le Texier
Klangforum Wien
Fabrizio Cassol, Saxophon
Tcha Limberger, Violine
Philippe Turiot, Akkordeon
Dirigent: Emilio Pomàrico
Die 1881 entstandene Geschichte des toskanischen Autors
Carlo Collodi beschreibt die zahlreichen Abenteuer einer
hölzernen Marionette, die stets nur nach Lust und Laune
handelt. Nachdem er die Schule schwänzt, um zwei Schurken zu folgen, wird Pinocchio immer tiefer in die Welt der
Spielzeugfiguren hineingezogen und übernimmt dort eine
Reihe unterschiedlicher Rollen und Gestalten – wie die eines
Esels, der zunächst im Zirkus auftritt und sich dann im
Bauch eines Walfisches wiederfindet – bis zu jenem Tag, an
dem sich die Puppe in einen verantwortungsbewussten
kleinen Jungen verwandelt.
Nach der Adaptierung seines Theaterstücks Grâce à mes
yeux (Dank meiner Augen), aus der seine erste Opernarbeit
entstand, die 2011 beim Festival von Aix uraufgeführt wurde,
kehrt Joël Pommerat nun mit dieser neuen, von Philippe
Boesmans vertonten Oper für ein Publikum aller Altersklassen auf die Bühne zurück. Pinocchio ist seine zweite Zusammenarbeit mit dem belgischen Komponisten – die erste
Kooperation führte 2014 zur Entstehung der Oper Au Monde.
Die Bühnenfassung ist an der Grenze zwischen Wunderland
und Realität angesiedelt. Sie nähert sich der realen Welt aus
der Sicht eines Baumstammes, der sich unter dem Hobel des
Zimmermanns in ein Theater aus Brettern und Gerüsten
verwandelt. Stéphane Degout tauscht sein Pelléas-Kostüm
gegen das des Anführers jener Truppe, deren Hauptaufgabe
es ist, die Geschichte zu erzählen, während Chloé Briot, die
bereits mehrfach erfolgreich in Kinderrollen wie Yniold (2016)
und der Titelpartie in L’Enfant et les sortilèges (2012)
aufgetreten ist, die Partie der Puppe übernehmen wird.
(Festival d‘Aix-en-Provence)
www.klangforum.at/pinocchio-en
—
29
Hanna
Eimermacher
— Musiktheater
für 12 Musiker und
3 Sänger
Seit vier Jahren arbeite und forsche ich an
diesem Projekt. Ich möchte ein Musik­
theater kreieren, das von Anbeginn Klang,
Bewegung, Bild, visuelle Strukturen und
Raum vereint. Daher strukturiere und
komponiere ich alle diese Ebenen
gemeinsam und erforsche ihre Wechselwirkungen. Sobald ich einen Baustein
verschiebe, ändert sich das Gesamtgefüge. Dieser kreative Erfahrungsprozess
setzt bei mir, den MusikerInnen sowie den
HörerInnen gleichermaßen neue Elemente frei und ermöglicht neue Perspektiven,
die alle unsere Sinne aktivieren und
schärfen.
In den kommenden Monaten wird in
gemeinsamen Workshop-Phasen mit den
MusikerInnen des Klangforum und dem
Bühnenbildner und Lichtdesigner Daniel
Levy dieser Prozess in Gang gesetzt.
MusikerInnen sind für mich „Instrument“
und „Verstärker“ zugleich. Sie verkörpern
und schaffen eine Welt, die wir betreten
können; eine Welt jenseits von Worten
und Begriffen. Die Koordinaten unseres
Körpers bilden Raumachsen und
Raumunterteilungen. Durch die choreographierten Spielbewegungen der
MusikerInnen verschieben und verformen
sich diese Räume. Das Bühnenbild wird
zur Verlängerung und Vergrößerung dieser
Raum- und Hörachsen.
Wie höre ich, wenn das Licht auf einen
leeren Kubus scheint und aus dem
dunklen Teil der Bühne – nicht sichtbar
– ein Tutti-Ensembleklang erschallt?
Licht zeigt uns üblicherweise an, worauf
wir schauen sollen. Wenn nun diese
Gewohnheiten verschoben werden,
öffnen wir uns auf allen Ebenen, richten
unsere Aufmerksamkeit von Baustein zu
Baustein und erleben so neue Erkenntnisräume. Visuelle Wahrnehmungen
unterstützen und beeinflussen demnach
unser Hören. Unsere Hörempfindung
verändert sich je nachdem, auf welches
Bild und auf welche Bewegung der
gehörte Klang trifft. Eine Farbfläche, die
in einem bestimmten Kontext auftaucht,
kann so zum Beispiel weiterklingen, ohne
dass gespielt wird. Eine aufwärtsgehende
Bewegung und ein abwärtsgehender
Klang bilden einen neuen, andersartigen
Raum – man muss einen völlig neuen
Blick darauf werfen.
Wenn ich diese Wechselwirkungen bei
meiner Komposition bzw. Inszenierung in
den Vordergrund stelle, werden ZuschauerInnen und MusikerInnen gleichermaßen
involviert, haben die Möglichkeit einzutauchen, zu entdecken und werden jede/r
für sich ein eigenes Erfahrungsspektrum
ausbilden. Mir geht es darum, nicht nur
Informationen weiterzugeben, sondern
einen lebendigen und aktiven Erfahrungsraum zu schaffen. Denn es sind die
scheinbar bekannten Dinge, die – neu
zusammengesetzt – bei genauem
Hinschauen andersartige, wundersame
und magische Gebilde schaffen: Formen,
die wir vorher nicht wahrgenommen,
gesehen, gehört, durchdacht, erfahren
haben.
Diese Momente, Orte der Frische und
Unmittelbarkeit, benötigen wir, um die
Details in ihrem Fluss und ihrer Vereinigung lebendig wahrzunehmen – hier erst
wird es spannend und magisch. An diese
Orte möchte ich Sie mit meinem Musiktheater herzlich einladen. Erleben Sie
eine Welt voller Entdeckungen!
www.klangforum.at/eimermacher-en
—
30
Immer gleich und
immer anders.
Zur Musik von Roman
Haubenstock-Ramati
Am schönsten sind die Rätsel, die verschiedene Lösungen zulassen, so der Künstler
und unermüdlich nach Neuem Suchende,
Roman Haubenstock-Ramati. Die Hauptaufgabe des Komponisten sah er im
Erfinden neuartiger formaler Konzepte.
Das warf nicht nur Fragen nach einer
geeigneten Struktur sondern auch nach
dem Auflösen tradierter Verhältnisse
innerhalb eines künstlerischen Entstehungsprozesses und der Rezeption eines
Musikwerks auf.
Der Anstoß für seine „Mobiles“ kam von
den Konstruktionen Alexander Calders: Es
geht um Zusammenhänge, die sich nie
wiederholen werden, eben um Vieldeutigkeit. Immer gleich und immer anders. Ich
31
nannte das die „Dynamisch geschlossene
Form“. Je mehr Wiederholung, desto mehr
Variation. Gleichzeitig sah diese „variable
Musik“ eine offene Dramaturgie vor, indem
der Komponist zwar klare Spielregeln
vorgab, den Großteil der Autorenschaft
allerdings auf die InterpretInnen übertrug.
Das Spannungsverhältnis von Autonomie
und Beschränkung versuchte Roman
Haubenstock-Ramati über die Notation zu
lösen. So entwickelte der begabte Grafiker
und bildende Künstler mit einem außerordentlichen Gespür für instrumentale
Farben eine Notationstechnik, die noch
heute als bahnbrechend gilt. Durch die
spezifische Kombination von exakten und
assoziativen Notationselementen schaffte
er eine substanziell neue Verknüpfung von
Klang und Schriftbild. Ihn allerdings darauf
zu reduzieren, wäre ein Fehler, konstatiert
sein Schüler Beat Furrer in einem
Gespräch mit Lothar Knessl: ...das war für
ihn lediglich ein Weg auf der Suche nach
neuen Formen, eine Entwicklungsstation,
die er wieder verließ. [...] denn er hatte
schließlich gefunden, worum es ihm vor
allem ging: um die formale Beweglichkeit
von Musik.
Roman Haubenstock-Ramati war ein
unaufdringlicher, liebenswerter und
weltoffener Mensch. Seine visionären
Ideen sorgten für eine Erweiterung und
Neuordnung des Musikbegriffs. Hinterlassen hat er uns ein reiches, außerordentlich
subtiles Werk von geheimnisvoller Poesie,
dessen Rätsel zu lösen stets ein Spiel um
höchste Einsätze bedeutet.
CD Neuerscheinung
Roman Haubenstock-Ramati
KAIROS, 2016
Veröffentlicht in Zusammenarbeit mit dem
Adam Mickiewicz Institute als Teil des
Programms Polska Music.
—
Uraufführungen
2016/2017
Georg Friedrich
Haas
— das kleine
Auch meine Musik versucht nicht,
„kindlich“ zu sein. Ich nehme junge
Menschen ernst. Ich spreche meine
Sprache. Ich weiß, diese jungen Menschen sind wach genug, sie zu verstehen.
ICH BIN ICH
Den einzelnen Motiven des Textes
sind jeweils bestimmte Instrumente
zugeordnet:
Mira Lobes Das kleine Ich bin ich ist ein
großes Kunstwerk. Nicht nur der Inhalt
ist genial – in seiner Einfachheit, in
seiner Klarheit, mit seinem moralischen
Anspruch – auch die Sprachkunst ist auf
höchstem Niveau. Was Mira Lobe mit
Rhythmus und Reim macht, wie sie
Spannungen durch wechselnde Verslängen aufbaut, wie sie mit Wiederholungen
arbeitet: Das alles ist von beeindruckender poetischer Kunstfertigkeit.
Die Blumenwiese wird von der Flöte
repräsentiert,
Ein Beispiel: Der mehrfach wiederholte
Satz (quasi der „Refrain“ des Textes)
changiert in seiner Bedeutung, je
nachdem, wie er betont wird:
DENN ich bin, ich WEISS nicht wer,
SUCHe hin und SUCHe her,
SUCHe her und SUCHe hin,
MÖCHte wissen, WER ich bin.
wird zu:
Denn ich BIN, ich weiss nicht, WER,
suche HIN und suche HER,
suche HER und suche HIN,
möchte WISSen, wer ich BIN.
Mira Lobe macht keine Kompromisse in
der Sprache, um leichter verstanden zu
werden. „Kindliches“ Getue ist ihr fremd.
Sie scheut sich nicht einmal, vereinzelt
Wörter zu verwenden, die im üblichen
kindlichen Sprachgebrauch vermutlich
nicht vorkommen: Gaul, Kahn, dressiert…
der Frosch von der Trompete
(anfangs mit, am Ende ohne Dämpfer),
Pferdemutter und Pferdekind durch
Bariton- und Tenorsaxophon,
die Fische durch die Harfe,
die Flusspferdmutter durch die
Basstuba,
ihr Kind durch das Horn,
der Papagei durch die Bassklarinette,
die Hunde durch Englischhorn,
Klarinette und Posaune
und die große Seifenblase durch das
Kontraforte (bzw. Kontrafagott).
Wenn das kleine Ich bin Ich sich erkennt,
erklingt erstmals im Orchester ein
Obertonakkord – dieser Akkord bleibt
(in der Tonhöhe verschoben) bis zum
Ende.
Meine dritte Ehe ist vor einigen Jahren
zerbrochen. Meine Tochter Sarah lebt
seitdem nicht mehr bei mir. Ich sehe sie
nur mehr selten.
Das kleine Ich bin Ich war ihr Lieblingsbuch, als sie klein war. Ich hatte es ihr
hunderte Male vorlesen müssen.
Ihr ist das Werk gewidmet.
www.klangforum.at/ichbinich-en
UA 22. Juli 2016
UA der szenischen Fassung
30. Oktober 2016
32
Uraufführungen, Details
Beat Furrer
— intorno al
bianco
In das Extreme gedehnte Zeit –
gleichsam nach einem Absprung –,
langsam sich verschiebende harmonische
Konstellationen. Verschiedene Bewegungsmodelle, Vibrato, Umspielungen,
regelmäßige und unregelmäßige
Pulsationen entstehen immer wieder aus
den Schwebungen (Interferenzen) der
langsam und stetig glissandierenden
Klänge. Die Klarinette, ganz in den Klang
der Streicher integriert, befreit sich
erst allmählich, in einem stetigen
Accelerando, und wird dem Klang des
Streichquartettes gegenüber gestellt:
Die Kontinuität der prozesshaften
Transformation wird gebrochen. In der
zeitlichen Verdichtung und Dissoziation
der Klänge entsteht eine Folge von
sprachhaften Gesten, ineinander
geschnitten. Die Klänge werden in ihre
Einzelteile zerlegt.
www.klangforum.at/furrer-en
UA 14. September 2016
Mit Unterstützung von Pro Helvetia,
Schweizer Kulturstiftung
Erwin Wurm/
Andrea Cavallari
— Fallen Falls
Possiamo provare a ipotizzare che questo
lavoro sia una operazione di sottrazione
di peso, una riflessione sull’assenza di
gravità. Un occhio sul magico e unico
momento nel quale le forze opposte
(attrazione e repulsione) coincidono,
annientandosi reciprocamente. Un attimo
di gravità zero.
La famosa “parola perduta”, costantemente cercata durante la meditazione,
rappresenta il potere creativo del suono,
secondo tutte le cosmogonie arcaiche.
E’ il suono, quindi, che crea la realtà, il
cosmo: l’universo è stato creato dalla
sillaba mistica AUM (OM). L’idea che il
mondo sia nato da un “suono primordiale“ è pensiero comune di molte società
tribali, e oggi ne resta un’eco in molti
termini che riflettono l’identità tra suono
e luce, tra suono e materia.La leggerezza
del “suono” che materializzandosi e
acquistando peso, diventa materia.
La lenta e inesorabile pietrificazione
infatti non risparmia nessun aspetto della
vita e lo sguardo costante della Medusa è
sempre presente! Dov’è oggi Perseo, che
vola coi sandali alati, che si sostiene su
ciò che vi è di più leggero, i venti e le
nuvole? Con Italo Calvino, anche io sento
la tentazione di trovare in questo mito
un‘allegoria del rapporto dell’arte col
mondo, e quindi la leggerezza di cui
Perseo è l‘eroe non potrebbe essere
meglio rappresentata che da questo
gesto di rinfrescante gentilezza: vivere il
tentativo estremo di dissolvere la
pesantezza.
(video-concert)
Quindi leggerezza concepita come
sottrazione di peso, ritorno alle origini
del suono primordiale. La leggerezza è la
capacità di sottrarsi alla gravità e il
linguaggio della musica è lo strumento
che più di ogni altro sa sottrarsi alla
forza di gravità.
33
www.klangforum.at/cavallari
www.klangforum.at/cavallari-en
UA 14. September 2016
Simone Movio
— Incanto VII
(dopo la CouranteDouble BWV 1002
di J. S. Bach)
Una croce può essere di legno, o di ferro,
o di marmo,
ma la sua realtà non è il legno o il ferro o
il marmo
che riempie la sua forma, bensì quello
che sorge come
forma là dove non c‘è più materia.
(Massimo Scaligero, Segreti dello spazio
e del tempo)
La dimensione dell‘incanto è la via della
contemplazione che permette di vestire
l‘imago, intrecciandone la risonante
tunica.
Ein Auftrag von Gertraud und
Dieter Bogner
www.klangforum.at/movio
www.klangforum.at/movio-en
UA 30. September 2016
Benjamin
Scheuer
— Nouveaux
Agréments
Nouveaux Agréments sind im Rahmen
einer Residenz im Ernst Krenek-Institut
in Krems und inspiriert durch die
Beschäftigung mit dem Werk des
österreichisch-amerikanischen Komponisten entstanden. Krenek zeigt in
seinen Werken stets eine große Offenheit für die Innovationen und Denkweisen seiner Zeit. In seinen Welterfolg, die
Jazz-Oper Jonny spielt auf, integriert er
Elemente der zeitgenössischen Popularkultur. Musik darf bei ihm unterhalten.
Doch auch die Zwölftontechnik findet in
vielen seiner Werke Anwendung. Bedeutend für mich war außerdem, dass
Krenek sich schon in den 50er-Jahren
mit elektronischer Musik beschäftigte –
er arbeitete mit einem eigenen Synthesizer und verwendete Zuspielungen. Trotz
der Offenheit für all das Neue blieb er
immer in der Tradition verankert,
radikale Wege wie Schönberg, Webern
oder später Stockhausen schlug er nicht
wirklich ein. Dieser Widerspruch ist in
gewisser Weise charakteristisch für
34
Uraufführungen, Details
Kreneks Werk und soll auch die Ausgangsidee für das Ensemblestück
Nouveaux Agréments liefern. Hier werden
einzelne Elemente historischer Musiziertradition aus einem zeitgenössischen
Blickwinkel re-interpretiert. Ausgangspunkt sind dabei, in Anlehnung an den
Spätbarock, fiktive Ornamente als eine
Art Persiflage auf die französischen
Agréments.
Die Ornamente waren eine Möglichkeit
für den Interpreten, den vom Komponisten vorgegebenen Notentext zu variieren
und unter Einhaltung der Regeln der
jeweiligen Stilistik bis zu einem gewissen Grad darüber zu improvisieren.
Verzierungen bieten auf diese Weise eine
besondere Möglichkeit der individuellen
Aneignung des Materials: Sie erlauben
dem Ausführenden, seine Persönlichkeit
in eine Komposition einzuschreiben.
Ausgangspunkt für Nouveaux Agréments
sind einige längere Tapes, die aus
Improvisationen auf dem Klavier, der
Lotusflöte und dem japanischen elektronischen Instrument Otamatone entstanden sind. Wir haben es mit großen
Blöcken von rohem Material zu tun, an
denen wir uns wie ein Bildhauer abarbeiten: Es können verzierte Linien in sie
eingemeißelt werden. Oder sie können
am Stück verwendet und mit anderen
Elementen in neue Kontexte arrangiert
werden. Verzierungen können auch unter
die Oberfläche injiziert werden und so
die Grundraster der Blöcke verdrehen.
Die Nouveaux Agréments wurden in
mehreren Schichten komponiert: In jeder
neuen Überzeichnung wurden Verzierungen hinzugefügt und das Material immer
wieder neu belebt. Ein „zeitgemäßes“
Ornament darf sich dabei nicht nur auf
die Veränderung von Melodik und
Harmonik beschränken, sondern es müssen auch andere Parameter berücksichtigt werden: Es gibt Agréments, die einen
stabil gehaltenen Ton nervös zum Zittern
bringen, die Spieler hyperventilieren
lassen, den Klang in eine fahle Richtung
umfärben oder mit Schluckauf- und
Panikattacken die musikalischen
Abläufe stören.
Die Arbeit mit den Verzierungen ist im
Grunde ein Gedankenexperiment an
einem relativ frühen Zeitpunkt während
des Entstehungsprozesses des Stücks.
An manchen Stellen sind die Auswirkungen der Ornamente klar zu erkennen:
wenn einzelne Spieler Tapes doppeln
und dabei immer wieder Variationen
ergänzen. Die Tapeblöcke werden gegen
vom Spieler mit Verzierungen belebtes
Material gestellt. Das Otamatone-Solo
im zweiten Teil des Stücks besteht
eigentlich nur aus einem Ablauf von
verschiedenen, langen Glissandi, die von
so vielen Veränderungen durchzogen
werden, dass die Linien ständig von
absurden Ornamenten unterbrochen
werden. An anderen Stellen sind die
Agréments aber so stark in das Material
eingraviert, dass sich kaum unterscheiden lässt, welches Element Original und
welches Variante ist. Im Endeffekt sind
die Verzierungen eine Methode kompositorischen Ideenanstoßes – ein Mittel
zum Zweck. Wenn die Maschinerie erst
einmal ins Rollen geraten ist, werden sie
als Belebungsmittel weniger gebraucht
– zum Schluss sind sie dann ganz
verschwunden.
www.klangforum.at/scheuer-en
UA 30. September 2016
Zeynep
Gedizlioğlu
— Verbinden &
Abwenden
- Ensemble’in ve Orkestra’nin rolü,
birbirleri ile iliskilerinin türü, ic dinamigi
ne?
- Topluluk “ensemble” ve “orkestra”
karakteristigini koruyacak mi?
- Concerto grosso olmayacak!
- Toplulugu olusturan herbir bireyi
kafanda imgele.
- Esas özne kim? Ya da ne? :
-> Birine karsi digeri mi? (Topluluga karsi
‘Aygit’ mi?)
-> - ‘Ensemble’in Yankisi Olarak Orkestra- mi?
‘Aygit’ in icinde olusan kücük calgi
gruplari; bu kücük gruplar ile E. arasindaki iliski ne?
Aralarinda bir bag varsa eger, bu bagi
zorunlu kilan sey ne?
.......
(Senin dünyan. Kendi dünyanin icine cek
onlari.)
.......
E. konusmaya calisiyor, konusmayi
ögreniyor. E. konusuyor. ‘Topluluk’ tan
‘Topluluklar’a gecis. Orkestra cözülüyor.
Orkestra uzak bir gölge.
Orkestra yok.
www.klangforum.at/gedizlioglu
www.klangforum.at/gedizlioglu-en
UA 7. Oktober 2016
Michael Wertmüller
— discorde
One day I will dance to your music.
(King Buzzo)
Um eins gleich vorauszuschicken –
„Class Struggle“ klingt einfach gut!
Natürlich können wir nicht in diesem
Kontext von einem Klassenkampf im
Marx’schen Sinn sprechen, nicht von
philosophischen oder revolutionären
Ansätzen, sondern einfach von gegensätzlichen musikalischen Herangehensweisen, Denkarten, Vorlieben, Geschmäckern, Antagonismen.
Als ich mit meiner ersten eigenen Band
in der Roten Fabrik in Zürich ein Doppelkonzert mit den Melvins spielen durfte,
war ich noch richtig jung. The Melvins
galten schon damals als die beste
Rockband aller Zeiten, auf der ganzen
Welt und im Universum, und so ist es
noch jetzt. Kurt Cobain war vor seiner
Nirvana-Zeit der Roadie der Band.
Absolute Grunge Coolness aus Seattle.
Meine Band hieß Alboth! und wir galten
in Zürich als Berner Bildungsbürgersöhnchen, die so komische 12-TonJazzrockmusik machen; diese Stücke
waren meine ersten kompositorischen
Versuche. Tatsächlich kamen wir alle
frisch von der Musikhochschule, aber wir
haben von Anfang an den Dreck der
Straße abgekriegt, unzählige, kaum
bezahlte Gigs in italienischen, französischen, US-amerikanischen und spanischen Squats gespielt, beim ersten
Konzert in NY auf der Bühne im Club bei
minus 15 Grad im Schlagzeugteppich
eingerollt geschlafen etc. Jedenfalls gab
es ein paar Artikel in den Feuilletons,
man hatte gemerkt, dass wir da eine
eigenartige 12-Ton-Musik spielen,
„Schönberg auf Speed“ war ein Etikett.
Und da hing nun zur Annonce unseres
Konzertes in Zürich ein riesiges Plakat
mit der Überschrift:
MELVINS VS. ALBOTH!
AN EVENING OF REAL CLASS STRUGGLE
Ausverkauftes Haus also, ich war
dermaßen motiviert, dass ich gleich im
ersten Stück meine Snare gesprengt
habe. An Ersatz habe ich natürlich nicht
gedacht gehabt, ich spielte einfach
weiter, auf dem 12“ Hängetom anstatt
der Snare bis der Roadie der Melvins mir
ein Zeichen gab, nach dem Stück hinter
die Bühne zu kommen. Da bin ich also
hingeeilt und da stand der Superdrummer Dale Crover und drückte mir seine
Snare in die Hand. King Buzzo stand
neben ihm und raunte mir zu:
One day I will dance to your music.
Das ist die kleine Vorgeschichte zum
Titel und gleichzeitig ein Paradigma der
Entstehung meiner Musik.
Während meiner Zeit als Pauker/
Perkussionist in den Sinfonieorchestern
und als Kompositionsstudent (vornehmlich wurde die serielle Musik seziert) bei
Dieter Schnebel habe ich in den wildesten Jazz- und Rockbands gespielt, schon
früh und bis heute mit Peter Brötzmann.
Zwischen diesen Polen gibt es bis heute
eine dämmrige Schnittmenge aus
definitorischer Unschärfe, fachlicher
Unkenntnis und Vorurteilen. Betrachtet
man die zeitgenössische Musik in ihrer
ganzen Bandbreite, so haben sich
genreübergreifend über die letzten Jahre
neue Stile und Spielweisen entwickelt,
die sich der einfachen Kategorisierung
entziehen. Die Kontakte zwischen den
Sparten sind dennoch spärlich. Gerade
Musiker aus dem Bereich der Neuen
Musik beschäftigen sich eher selten mit
den Extremen von Rock und Jazz,
Avantgarde und Hardcore, Spielarten des
Techno und improvisierter Musik. [...]
mehr:
www.klangforum.at/wertmueller
www.klangforum.at/wertmueller-en
UA 15. Oktober 2016
Rebecca Saunders
— Skin
skin /Skin/ n.
a taut flexible continuous outer covering
or layering of the body or thing;
a film like a skin on the surface of a
liquid or solid;
the skin of a flayed animal with or
without the hair.
n. the delicate membrane separating the
body and its environment – implies the
phenomenon of touch, one of the five
external senses, and through which the
subsidiary sensory modalities of
temperature, pain and vibration are
partly perceived.
Touch, somatosensory, tactition or
mechanoreception: a neural perception
generally in the skin, but also in the
tongue, throat, and mucosa. Receptors
respond to variations in speed and
pressure (firm, brushing, sustained, etc.).
adj. somatic, tactile.
skin /Skin/ v.
to skin, to peel back the surface of;
to shed an animal of its skin.
Under one′s skin: so deeply penetrative
as to irritate, stimulate, provoke thought,
or otherwise excite.
Under the skin: beneath apparent or
surface differences: at heart.
Bernhard Gander
— Cold Cadaver
With Thirteen
Scary Scars
das notenblatt ist leer, kalt und leblos.
ich ritze mit meinem stift zeichen ins
papier, figuren, die wie wunden und
narben aussehen.
alte und abgenutze elemente werden
zerlegt und wieder neu zusammengesetzt.
angst vor der zahl 13?
ich verwende 13er rhythmen und formen
(2+2+3+2+4; 3+3+3+4; … 6+7)
bei 6+7 pocht ein alter bekannter an die
tür… schicksal?
www.klangforum.at/gander-en
UA 15. Oktober 2016
Skin as a metaphor for transience – the
continuous process of shedding dead
skin and the growing of new.
Struck by a recording of an early production of Samuel Beckett′s television play
The Ghost Trio (written in 1975 and first
broadcast in 1977), this text, spoken by
the narrator in Act 1, was the catalyst for
this piece:
...this is the rooms essence
not being
now look closer
mere dust
dust is the skin of a room
history is a skin
the older it gets the more
impressions are left on its surface
look again....
The main text in Skin is my own which
gradually materialised during the long
compositional process, and was partly
inspired by the extensive collaborative
sessions with Juliet Fraser. A section
from James Joyce′s Ulysses, from the
final passage of Molly Bloom′s Monologue, is quoted towards the end of Skin.
www.klangforum.at/saunders
35
UA 15. Oktober 2016
Oxana Omelchuk
— domkrat polej i
pustot
Случайно найденная старая
фотография вызывает прежде всего
чувство ностальгии, но прежде чем
повесить её на стену и умиляться,
стоит узнать её историю. (Дидрих
Дидрихсен, О поп-музыке)
В последних моих произведениях
процесс творчества начинается не с
листка нотной бумаги, а с построения
ассоциативной сети: поиска
контекстуальных примеров, аллюзий,
будь то определённый состав
инструментов, жанр или идея.
В данном случае я исxожу от двух
совершенно разных сольных
инструментов: созданного в 1969 году
первого переносного аналогового
синтeзатора EMS VCS3 и известной нам
ещё с доисторических времён флейты.
die der Tonhöhenänderungen zu verbessern. Spektakulär ist auch die Hypothese, wonach der Gehirnrhythmus einen
Einfluss auf das Bewusstsein hat.
Jedenfalls sind Rhythmen im Gehirn
ziemlich exakt mit Sprache synchronisiert. Dadurch helfen sie uns beispielsweise, einen andauernden Sprachfluss
zu verstehen. Noch relativ unbeleuchtet
ist hingegen die Rolle der Rhythmen bei
der Verarbeitung von komplexen Lauten.
Sind kortikale Rhythmen eine Folge aus
anderer Gehirnaktivität oder sind sie die
eigentliche Voraussetzung dafür, dass
die neuronale Verarbeitung geordnet
abläuft? Diese Frage ist einer der
gedanklichen Motoren hinter oscillare,
auch wenn das Stück sie nicht beantworten wird. Vielmehr versetzt es
musikalisch in ein oszillierendes Gehirn,
empfindet den neuronalen Informationstausch klanglich nach. Also bitte
schalten Sie Ihr Gehirn aus und lehnen
Sie sich zurück.
www.klangforum.at/kerer-en
И дело не только в возрасте обоих
инструментов, но и в способе
звукоизвлечения (электрический
инструмент/ акустический инструмент),
и в области применения (синтезатор
– прогрессивный рок/ флейта –
классическая музыка).
UA 31. Oktober 2016
С одной стороны, моё произведение
– своеобразная экспедиция в историю
обоих инструментов, с другой –
проекция на быт солистов, которая,
надеюсь, откроет их внутренний мир:
мысли, желания, мечты, разочарования.
Sijo_310516 является не просто
продолжением моего Цикла Sijo.
Здесь, я впервые выхожу за
ограничительные временные рамки,
тем самым расширяя не только
внешнее, но и внутреннее измерение.
По форме пьеса близка к теме с
вариациями, где каждая последующая
вариация основывается и
развертывается на серединном
материале предыдущей (вариация на
вариацию), таким образом образуя
бесконечный «Zooming-in». К примеру,
главная «тема» построена в
классической форме трехстрочной
корейской поэмы Sijo. Середина служит
основой материала для следующей
вариации, в которой данный материал
разбросан по разным ячейкам. И так
далее – с каждым разом, увеличивая
картину, мы обнаруживаем в ней
другую. Но круг внезапно замыкается,
и мы попадаем в первоначальное
состояние, куда когда-то изначально
вошли. Но выхода уже нет.
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UA 23. Oktober 2016
Manuela Kerer
­— oscillare
Unser Gehirn schwingt. Denn rhythmische elektrische Potenziale in den
Hirnarealen müssen sich synchronisieren, um Informationen auszutauschen.
Diese Hirnareale beginnen im Takt zu
arbeiten, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas richten. Während das
Gehirn bei geschlossenen Augen ganz
ruhig schwingt, rattern beim scharfen
Nachdenken extreme Wellen über den
Kortex. Diese „kortikale Oszillation“
scheint substanziell für die Erkennung
von musikalischen Sequenzen zu sein.
Rhythmen scheinen aber nicht nur die
Wahrnehmung der Tempi, sondern auch
Sehyung Kim
— Sijo_310516
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UA 31. Oktober 2016
Richard Dünser
— der zeiten
spindel I (时代主轴)
der zeiten spindel I (2016) bezieht sich
u.a. auf das Gedicht De Profundis von
Charles Baudelaire (in der Nachdichtung
von Stefan George), sowie die Bilder Die
Rückkehr der Jäger von Pieter Brueghel,
Dunkle Landschaft mit Regenbogen von
Caspar David Friedrich und den Anfang
der Erzählung Lenz von Georg Büchner.
Dies ergibt folgende formale
Anordnung:
The Returning Hunters I
The House with the Burning Chimney
The Far Mountains
The Chase (Memories I)
De Profundis
The Chase (Memories II)
Dark Landscape with Rainbow
Lenz
The Returning Hunters II
Bilddetails (die heimkehrenden Jäger,
das Haus mit dem brennenden Kamin im
Mittelgrund, die fernen Berge im Hintergrund, Assoziationen zum Bild – gemutmaßte Erinnerungen an nicht im Bild
sichtbare Ereignisse (Jagd I und II))
werden dabei in musikalische Metaphern, Bilder, Stimmungen und „Landschaften“ transformiert, die sich in eine
musikalische Gesamtdramaturgie
einordnen. Zusammen mit dem im
Zentrum stehenden Gedicht De Profundis von Charles Baudelaire, dessen
Sprachlichkeit sich in Instrumentalmusik verwandelt, werden die Instrumente
hier zu imaginären Singstimmen. Hierauf
folgt das Bild Landschaft mit Regenbogen, das mit spektralen Klängen und
einem radikalen Stillstand der Bewegung
„helldunkle“ Sphären-Räume entstehen
lässt und die niederschmetternde
Stimmung des Anfangs von Büchners
Lenz vorbereitet, wo die tragische
Hauptfigur durch eine Winterlandschaft
geht, aber in Wirklichkeit im Innersten
nicht von der Stelle kommt – in einer von
tiefster Verletzung und Zerstörung
geprägten Seelenverfasstheit gefangen –,
bevor die wieder – variativ verändert –
auftretenden heimkehrenden Jäger eine
große Klammer zum Anfang bilden.
Eine entscheidende weitere Farbe in
diesem sonst so abendländisch
geprägten Werk sind die chinesischen
Instrumente Erhu und Pipa, die dem
Werk wie in einer Schau aus weiter
Ferne zusätzliche Perspektive und
Dimension verleihen.
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UA 31. Oktober 2016
36
Uraufführungen, Details
Christoph Renhart
— miroirs noirs
Im seidenmatten Schwarz einer planen
Oberfläche tummeln sich Gesten und
Bewegungen wie verirrte Nachtfalter an
einer Glaswand. Es sind fahle Formen
ohne Kontur, deren Umrisse sich nur als
Schatten erahnen lassen. Die Silhouetten jener zerspiegelten Objekte, welche
davor im Obskuren verharren, vermitteln
eine Ahnung ihrer eigentlichen Gestalt,
einer unscharfen Erinnerung gleichend.
In miroirs noirs begegnen wir diesen
verschwommenen Echos in vielen
Momenten. Figuren, die unmittelbar
zurückgeworfen werden, erscheinen
näher, während das Gegenbild längerer
Prozesse erst im Lauf der Zeit erkennbar
wird.
Ich wollte in meinem Werk eine Perspektive der Erinnerung schaffen. Gleichzeitig formt sich aus dem Meer verflossener
Gesten und Fragmente ein Strom,
dessen Flusslauf einem vorgezeichneten
dramaturgischen Plan folgt. Markant
stürzt das Stück am Zenit einer langen
eruptiven Phase in sich zusammen, noch
bevor es seine Mitte überschreitet.
In den weiteren Abschnitten nimmt
miroirs noirs mehrmals den zum Gipfel
weisenden Kurs wieder auf, verliert
jedoch unaufhaltsam an Höhe. Durch die
Gedanken aus dem Vergangenen geprägt
und zerrieben in den Katarakten der Zeit,
steuert es unentwegt einem finalen
Tiefpunkt zu: Inmitten einer Wüste aus
Staub versiegt der Strom im Ästuar
seiner Erinnerungen.
miroirs noirs entstand zwischen Jänner
und Juni 2016. Das Stück ist selbst ein
unscharfes Gegenbild zu meinem Werk
Échos éloquents, welches parallel zu
miroirs noirs entstand. Beide Werke
schöpfen ihr Material, wie zwei verschwisterte Vulkane, aus einer Magmakammer.
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UA 31. Oktober 2016
37
Eva Reiter
— Noch sind wir
ein Wort ...
Es sind subtile soziale Prozesse, die
mich heute beschäftigen. Schon seit
einiger Zeit spielt die Faszination über
die Beschaffenheit und Motivation des
eigenen Handelns sowie über den
vielschichtigen Begriff sozialer Interaktion eine maßgebliche Rolle in meiner
kompositorischen Arbeit. So hat mich
auch im Falle meines aktuellen Werkes
Noch sind wir ein Wort… die eingehende
Beschäftigung mit den Fragen nach
„kollektiver“ und „individueller“ Identität
zu der recht ungewöhnlichen Disposition
eines Solisten-Duetts und eines zehnköpfigen Musikerchores geführt.
Der Chor übernimmt mit Blick auf das
inhaltliche Setting in seiner kollektiven
Rolle eine entscheidende Funktion und
inszeniert sich – ähnlich dem griechischen Theaterchor – zunehmend als
Instanz. Immer wieder treten einzelne
solistische Stimmen aus dem Chorischen
hervor, doch im Grunde repräsentiert und
beansprucht das Sprecherkollektiv die
Dimension der alleinigen Realität und
Wahrheit für sich. Betrachtet man diese
Situation aus der Perspektive Friedrich
Nietzsches, so ist die dramatische Handlung und sind ihre Protagonisten
ursprünglich insofern nur als Vision zu
sehen, als die Szene mit allen solistischen und kollektiven Aktionen auf der
Bühne (wie im Rahmen dieser Vision)
vom Chor erzeugt und konstruiert wird.
Die Handlung lässt sich beschreiben als
Weg des Individuums zurück in die
„Einheit alles Vorhandenen“. Überträgt
man diese Ideenwelt nun auf die klingende Realität dieser Komposition, so
wird klar, dass auch hier die solistisch
geführten Instrumente in ihrer so
individuellen Sprache aus der kollektiven
Klangmasse konstituiert wurden. Vom
Zeitpunkt ihres Erklingens, stehen sie
mit dem chorisch besetzten Tutti in einer
gleichsam dialektischen Disposition. Der
Chor entwirft das Format des solistischen Instruments und hat dennoch –
als Form und Kraft des Kollektivs – stets
ein ausgeprägtes Interesse daran, alles
in sich wieder aufzunehmen, den Weg
aus der Individuation in die Einheit
zurückzuführen.
Eine dabei wirksame Form der klanglichen Materialgestaltung bildete die
Transformation von Sprache zu Klang
sowie umgekehrt die Entwicklung einer
neuen „Klangsprache“ – im Sinne einer
phonemischen Struktur – aus dieser
intensiven Analyse instrumentaler
Artikulationsmöglichkeiten.
Die Musiker des Chores sind mit unterschiedlich langen – insgesamt chromatisch über drei Oktaven gestimmten –
Sprachrohren ausgestattet und agieren
zusätzlich noch mit anderen Hilfsmitteln
(wie Vuvuzelas, Voice Changers u. ä.), um
das rhetorische Material zum Ausdruck
zu bringen.
Am Beginn werden die zu Grunde
liegenden klanglich-phonemischen
Bausteine vorwiegend aus bestehenden
Silben zu generieren versucht, die
unterschiedlichen Textfragmenten
entnommen sind. Später aber dreht sich
die Situation um: Der Chor imitiert
zunehmend sprachlich jenes Material,
das sich instrumentenspezifisch am
„besten“ entwickelt hat und findet so zu
einer neuen Sprache.
Sei es im Sinne der Idee des griechischen Chors, sei es in der alltäglichen
Situation der kollektiven Gemeinschaft
– wie auch in der grundlegenden
Konstitution eines Musikerensembles –,
so kann dieses Stück als Ergebnis eines
Experimentierfeldes für individuell
motiviertes Handeln versus kollektiv
motivierter Aktion verstanden werden.
Damit wird also ein Spannungsverhältnis
reflektiert, welches nicht nur die
subtilsten sozialen Interaktionen,
sondern auch unser Selbstverständnis,
die Vorstellung und Bewertung unserer
Handlungen zu bestimmen vermag.
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UA 9. November 2016
Hyena
Text: Mollena Lee
Williams-Haas
Musik: Georg
Friedrich Haas
Georg Friedrich Haas: Seit Beginn
meines Komponierens beschäftige
ich mich mit der Integration von
Gesprochenem in meiner Musik –
vom Fragment für 29 Sprechstimmen
für Schulchor 1979 bis zur Oper
Morgen und Abend (eine der Hauptrollen wird von einem Schauspieler
realisiert) und das kleine ICH BIN ICH
für Sprechstimme und Kammerensemble (2015 bzw. 2016). Meine Frau
Mollena Williams tritt professionell
als Storytellerin auf. Es lag nahe,
unsere menschliche Nähe für ein
gemeinsames künstlerisches Projekt
zu nutzen.
Mollena Lee Williams-Haas: I never
wanted to talk about my recovery
from alcoholism. It feels too personal
and, in a way, already explored in
every medium, ad nauseam. I had
been invited to a very prestigious
storytelling evening in San Francisco
– Porchlight Storytelling – and when I
was asked what I wanted to talk
about my first thought out of nowhere
38Hyena
was “Definitely NOT about going to
rehab”. And so of course I was terrified, and so of course I had to do it. The
folks who hosted that event were hesitant for many of the same reasons I
was, but then I found myself having to
“sell” them an idea that I really was
terrified to share. The paradox drove
the performance. Afterward, over 50
people stood in a line to personally
talk to me about how they related to
my story... either people themselves in
recovery or who had a loved one in the
same struggle. It was humbling. The
producer for an amazing radio show
called “Snap Judgement” was in the
audience and she invited me to tell the
story for their program. That took it to
a whole new level. When Georg
suggested to make this a collaboration, I was again dizzy with fear and
absolutely screamed on the inside
that this was a Bad Idea. Therefore,
I knew it had to be done.
Mollenas Texte sind von intensiver
Qualität. Und ich weiß, wie sehr sie
fähig ist, ihre Inhalte zu vermitteln.
Ich weiß, wie stark ihre künstlerische
Persönlichkeit wirkt. Es ist eine
Herausforderung für mich, dazu einen
klanglichen Rahmen zu bilden: diese
existentielle Grenzsituation mittels
Musik zu formulieren. Und trotzdem
der Erzählung den Vortritt zu lassen.
That is something you have done
before, with operas. How does this
feel different?
In meiner Oper Nacht war das
Sprechen noch präzise komponiert:
Ich notierte komplexe Sprachrhythmen und einen ungefähren Tonhöhenverlauf. In der 2003 uraufgeführten Oper Die schöne Wunde wird zwar
frei gesprochen, aber meist sind es
nur wenige Worte, die zu genau
festgelegten Zeitpunkten erklingen
müssen. Auch das Sprachtempo habe
ich damals vorgeschrieben. In
Bluthaus und in Koma wendete ich
Techniken an, die die freie Sprache
synchronisieren sollten: Schlag­
instrumente steuern die Schauspielerinnen und Schauspieler, und es
gibt vernetzte Sprachpartituren, in
denen festgelegt wird, wo welche
Sprechstimme den Satz einer
anderen Sprechstimme durchkreuzen
soll. In Morgen und Abend und in das
kleine ICH BIN ICH kommen dann
auch ausgedehnte Passagen vor, an
denen längere Sätze frei innerhalb
eines bestimmten Zeitraumes
gesprochen werden sollen. Hier wird
Hyena fortsetzen: Ausgedehnte
Textabschnitte werden frei gesprochen, die Stimme kann auf die
jeweiligen Orchesterklänge spontan
reagieren, langsamer, schneller,
lauter, leiser werden, Konsonanten
überdeutlich artikulieren usw. – Das
ist möglich, weil die Sprechstimme in
diesem Werk – im Gegensatz zu
meinen Opern – elektronisch verstärkt sein muss.
39
I think that helps to allay some of my
initial terror. As a trained actor, I am
accustomed to strict interpretation, to
pre-ordained blocking [coordination of
played onstage movements] of scenes,
however as a professional storyteller I
am free to play with the audience, the
timing, my own interpretation in the
moment, to bring the piece to life. I was
afraid that this more rigid structure
would bleed out so much of what I love
and cherish about storytelling, which
is the connection with the audience
without restriction. But after speaking
with the conductor, Bas [Wiegers], and
his assurances that he would be able
to guide myself and the orchestra
together, it felt more achievable. I
suggested to you the approach of
writing the piece as a connected flow
of modular emotional musical phrases
that would envelop, support and
interweave each particular story
segment, underscoring that piece, then
transitioning (either abruptly or
smoothly, as is needed) into the next
bit. An emotional fugue of words, if you
will. And that made sense to you,
which also lifted up my confidence.
This also may help me to keep pace
with the story internally. This is
extremely vulnerable and, frankly,
terrifying for me. It is a strange tale,
and I am trusting a great deal in the
audience to hear what I have to say
and feel what I have felt.
Für mich als Komponist ist es leichter.
Die musikalische Sprache ist nicht so
direkt, so eindeutig. Ich brauche keine
Details zu beschreiben. Mich nicht
durch Worte bloßzustellen. Die
Wahrhaftigkeit des musikalischen
Ausdrucks bleibt – so exhibitionistisch sie auch sein mag – immer
abstrakt. Meine Aufgabe sehe ich
darin, einen emotionalen Rahmen für
deine Geschichte zu bilden, der dich
beschützt. Eine emotionale Basis, die
dich trägt.
Your trusting in me to tell the story has
given me at least enough bravery to
share. There are so many people who
struggle with so many addictions... so
many folks who love people who
struggle. It is rare that our lives aren’t
touched, in some way, by addiction.
Stories can be the perfect way to share
the reality of the weight of this fear
and pain. And, in the case of my story,
ultimately redemption. It might seem
like a contemporary fairy tale, or the
tracing of a descent into madness. I’ve
heard all sorts of theories about my
experiences, from the possibility of a
psychotic episode of unusual duration,
to a spiritual journey, to spontaneous
Gestalt-therapy, to the opening of the
eyes of a prophet to the will of God. But
whatever the listener’s interpretation
is, THAT is not my business. They can,
will and must make their own interpretation of the story. In the same way as
no two people will listen to any of your
pieces and walk away with the same
conclusions or emotional experience,
everyone will take away what they
need from my story. I am apprehensive
about this project, about how it will be
received, and yet mightily compelled to
share, to tell the story, to talk about
what it means to see your darkest
aspect and live to tell the tale.
www.klangforum.at/hyena
www.klangforum.at/hyena-en
UA 12. November 2016
Adam McCartney
— A way after
remains or
reflections
In his poem Bogland, Seamus Heaney
writes about the influence of the
landscape on the pioneers. He compares
the Prarie of the Western USA with the
Moores in Ireland.
A way after remains or reflections is
certainly not a long walk into the sunset.
The ground swallows
an endless horizon.
Every layer
contains
immaculate black.
The horizon
appears again
nonchalant
fleeting
it cleaves the ground
to the ground.
Sound is not only individually received as
the result of a physical process, but is
also in a broader context an interface to
abstract experience. Certain musical
elements appear to be historical artefacts. In fact they can cause resonances
in contemporary ears that to some
extent go beyond the borders of temporal and physical experience.
Michail Paraskakis
— kama
«Ο χυλός κριθαριού ή ένα κομμάτι
κριθαρένιου ψωμιού και νερό, ίσως δεν
αποτελούν ένα ευχάριστο γεύμα, μα τίποτα
δε δίνει πιο έντονη ηδονή από την
ικανότητα να αντλείς ηδονή ακόμη κι απ’
αυτό.» – Σένεκας
«Το ηλιολούλουδο δε θέλει να αντικρίσει
τον ήλιο, το πεύκο δε μάχεται τα παράσιτά
του και το παραμήκιο δε θέλει να αλλάξει
την κατεύθυνσή του. Λόγω έλλειψης
μυαλού, δε μπορούν να επιθημήσουν
τίποτα... Αντίθετα, σε μια περίπτωση
πλήρους επιθυμίας, ένα ον μπορεί να
σχηματίσει μια νοητή αναπαράσταση του
αντικειμένου που επιθυμεί, να συγκρίνει
την τωρινή κατάσταση με την αυτήν που
επιθυμεί και να αναλάβει δράση ώστε να
μειώσει την απόσταση των δύο
καταστάσεων. Μόνο ένα ον με
αξιοσημείωτη νοητική δύναμη έχει αυτές
τις ικανότητες.» (William B. Irvine)
www.klangforum.at/paraskakis
www.klangforum.at/paraskakis-en
UA 10. Februar 2017
Diana Soh
— iota
It is interesting for me, not only to listen in
a concert but also to observe the movements and gestural communications
between the performers.
www.klangforum.at/mccartney
UA 10. Februar 2017
I am interested not only in imagining the
sonic possibilities of the musical material
and its progression, but also in the
dramaturgy of the eventual physical
performance and how the material might
be personified by the instrumentalist.
Needless to say, theatricality – but only
as a sonic necessity – is of much importance to my music.
For me, composition is a way to have new
exciting experiences, and to keep learning
about music (and to make sense of our
world). Working as a composer needs to
be emotionally engaging, intellectually
stimulating, and a constant learning
process. It is in this spirit that I constantly
seek out different ways of composing, of
engaging with the material and of working
with different ensembles, and also of
exploring different disciplines like film
and interactive video that use sound in a
different way.
40
Uraufführungen, Details
In this particular piece iota for Klangforum Wien, I wanted to build rich and
constant changes in timbre using small
attacks at the starting point; to use the
combination of instruments to create a
composite rhythmic and melodic line.
I also wanted a work that has a clear
pulse/ groove as one of its characteristics.
The idea is to use the smallest “insignificant” details and to create a larger global
richness. The melodic lines are often
short and split between different instruments and making sense of it all requires
taking in the global sound of the entire
ensemble. (Klangfarbenmelodie, if you
must.)
In Chinese characters, each stroke itself
encompasses the energy and movement
stemming from the physical act of writing.
So depending on its combination, we get
a graphical symbol (a character) from
which we can now derive its connotation
and very often its meaning.
Linguistically, the combination of characters sometimes then changes the
significance of the characters itself to
create contextual meaning.
Eg. the chinese name for the smallest calligraphic stroke (点diǎn): in combination
with other characters it could mean
illuminate – (点亮) diǎn liàng
highlight – (亮点) liàng diǎn
origin – (原点) yuán diǎn
destination – (终点) zhōng diǎn
I find all the ideas of “insignificant”
details and things used in combination to
build a strong and larger global richness
to be uplifting and beautiful, especially in
the state of affairs of the world today.
It is in this spirit that I started writing
iota.
www.klangforum.at/soh
UA 10. Februar 2017
Lorenzo Troiani
— We are
destroyed
Che succederebbe se provassimo a
guardare il negativo delle cose?
Solo l’ombra che proiettano. Come
un’incisione.
E spegnere la luce. Rinunciando alla
scintillante brillantezza delle forme.
E noi lì, parte di una topografia fatta di
superfici essiccate, di figure deformate,
di pulsazioni instabili. Nel buio.
E possiamo vedere solo forme sfumate.
Muoviamo allora le mani. Le vediamo
uscire dall’oscurità e poi, lentamente,
scomparire di nuovo.
Ancora lì, osservando i confini erodersi.
I nostri stessi confini. Perché anche noi
siamo incisi.
E allora cominciamo a sentire le cose
pulsare, oscillare. Perché sono vive, così
denudate. E noi stessi nudi, senza
confini. Come funamboli. Oscillando
sulle rovine.
We are destroyed parte da questa idea
dando vita a una sorta di organismo, di
corpo ferito, una continua trasformazione di stati sonori dai confini sfumati.
Instabili.
www.klangforum.at/troiani
www.klangforum.at/troiani-en
UA 10. Februar 2017
Carolyn Chen
— We were dead
and we could
breathe.
I don’t usually think about breathing,
unless I have to. I become aware of my
breath when practicing yoga, tai chi or
aikido, because they are movement
traditions centered around breath as a
fundamental force that can coordinate
higher order actions. I have to breathe to
move. In times of distress, breathing is
also a way to return to feeling like myself.
I started thinking about this piece while
living in Beijing last summer, observing
the vicissitudes of the city’s storied air
quality index from a sixth floor window.
41
At close range it could be hard to
distinguish air pollution from humidity.
From a distance, I watched haze smear
sunlight, moonlight, traffic lights, street
lights. On some days I felt it tickle my
throat, or my eyes. This made me uneasy,
but of course, I couldn’t just stop
breathing. I mulled over the idea of these
tiny particles, some smaller than viruses,
individually imperceptible, but horrific in
aggregate – gradually filling the lungs, or
passing directly into the bloodstream.
Their effect on our bodies is a slow sort
of harm, a subtle violence. I thought
about these small, slow destroyers and
their origins in fossil fuels, once the
bodies of ancient plants and animals.
Ordinary house dust is itself mostly
human skin. I thought about breathing in
the bodies of these creatures of the
past, breathing in human bodies, human
history – the weight of all that living,
dying, suffering, distilled into tiny
particles that enter our soft lungs which
slowly gray and blacken over time.
It is impossible at this moment to think
of breathing without thinking of Eric
Garner, the unarmed black man who
gasped that he couldn’t breathe as he
was choked by a New York police officer
in 2014. His death is a direct and vivid
act of violence, but the environment that
produced it might seem more like those
invisible particles in the air, all-pervasive
and impossible not to breathe in.
I thought about all these invisible things,
and how they disappear into what seems
normal.
In this piece, sounds camouflage other
sounds. Louder strikes and hits mask
subtler activity. Still things move
internally. What is constant, smeared
light, becomes so normal, it might not
need listening at all. I thought of the sho,
the Japanese mouth organ that seems to
hold forever. Toward the end of the
writing process, I ran into this line by
Paul Celan, which seems to encapsulate
the contradiction of living in permanent
emergency.
www.klangforum.at/chen
UA 10. Februar 2017
Klangforum Wien
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Impressum
Herausgeber und Verleger:
Klangforum Wien
Redaktion: Emilija Jovanović
Design: Bueronardin
Herstellung: Donau Forum Druck
Hauptsponsor
Kooperationen
impuls academy | competition | festival
Fördernde Institutionen
Wenn nicht anders angegeben,
stammen alle in der Agenda
2016/2017 des Klangforum
Wien enthaltenen Textbeiträge
zu den neuen Werken dieser
Saison von den jeweiligen
KomponistInnen.
Bildnachweise:
Cover: Constantin Luser für das
Klangforum Wien, 2016
(Foto: Markus Rössle)
S. 3: Therese Zalud
S. 9: Edgar Honetschläger
S. 23: Robert Haas: Suska, Wien
30er Jahre (© Wien Museum)
S. 25: Johannes Cizek
S. 27: Portrait Jonathan Meese 2016
(© Photography Jan Bauer/
Courtesy Jonathan Meese)
S. 28: Parsifal Bühnenbild
(© J. Kiefel)
S. 30: Hanna Eimermacher
S. 31: CD Cover nach: untitled (1971),
Roman Haubenstock-Ramati
(Sammlung Martin Rummel)
S. 33: Studio Erwin Wurm
S. 38: Mollena Lee Williams-Haas
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Beiträge von Körperschaften
öffentlichen Rechts
Wie klingt
Gemütlichkeit?
Was braucht man heute zum Glücklichsein? Einen Ort zum Verschnaufen.
Einen Ort zum Träumen. Einen Ort, um Kraft zu sammeln für die Reise in
den Alltag oder ins Unbekannte. Einen Ort für alle, die durchs Leben reisen.
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