Agenda 2016 /2017 4 6 8 10 17 21 22 25 26 32 38 Agenda, Übersicht Uraufführungen und KomponistInnen Ensemble und Team Musik zwischen Logos und Pathos —Hans Zender Agenda, Details Wort. Ton. Gestalt Festliche Tage Alter Musik Für Lothar Knessl ParZeFool – Der Tumbe Thor Uraufführungen, Details Hyena 2Inhalt Sven Hartberger mit Raphanus sativus var. sativus Vielleicht geht es, ohne daß wir das so richtig bemerkt hätten, schon seit geraumer Zeit gar nicht mehr um Wissen. Und schon gar nicht mehr um mehr Wissen. Vielleicht geht es mittlerweile darum, aus der ungeheueren Menge verfügbarer Kenntnisse das Notwendige, Wesentliche und Nützliche herauszufinden und dieses dann auch noch zu verstehen. „Wort. Ton. Gestalt“ einnehmen. Gemeinsam mit Hans Zender, dem Institut für Philosophie an der Universität Wien und seiner Leiterin, Violetta Waibel, wird sich das Klangforum anhand des literarischen Schaffens von Friedrich Hölderlin (1770-1843) und Ikkyu Sojun (1394-1481) mit drei Zugängen zum Phänomen des Verstehens befassen: „Hölderlin Lesen. Ikkyu Sojun Hören. Musik Denken“. Was „Verstehen“ überhaupt und im Allgemeinen bedeuten kann, und wovon, im Besonderen, wir sprechen, wenn wir sagen, daß wir eine bestimmte Musik verstehen oder eben nicht verstehen: Dieser Frage wird das Klangforum Wien in seiner neuen Spielzeit hörend nachgehen. Der mit diesem programmatischen Anfang im Herbst 2016 gelegten Spur folgt das Ensemble durch die gesamte Spielzeit auf einem Weg, über dessen einzelne Stationen die vorliegende Agenda Aufschluß bietet. Den abschließenden Höhepunkt seiner musikalischen Auseinandersetzung mit der Frage des Verstehens setzt das Ensemble mit der Uraufführung der im Auftrag der Wiener Festwochen entstandenen Befragung von Richard Wagners Parsifal-Partitur durch Bernhard Lang. Mit seiner großen Komposition ParZeFool-Der Tumbe Thor hat der Komponist eine facettenreiche Umkreisung von Wagners dichterischer und musikalischer Deutung des ParsifalStoffes geschaffen, die Jonathan Meese eine fruchtbare Grundlage für unterschiedliche Wege zu Begreifen, Einsicht Wir tun das zunächst in den sieben Konzerten unseres Zyklus „science? fiction!“, in denen wir die – in Wahrheit ziemlich engen – Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten ausloten und, jenseits dieser Grenzen, nach alternativen Formen von Einsicht und Begreifen suchen. Einen zentralen Platz auf dieser Suche wird das Symposion 3Vorwort und Erkennen bieten wird. Den ersten dieser Zugänge werden wir bei der Première seiner Inszenierung erkunden können, die unter dem Titel MONDPARSIFAL 1-8 (ERZMUTTERZ DER ABWEHRZ) im Juni 2017 die Saison des Ensembles beschließen wird. Den literarischen Einstieg in das Leitmotiv unserer Spielzeit und in die vorliegende Agenda bildet Hans Zenders ungemein dichter Essay Musik zwischen Logos und Pathos, den wir als Vorabdruck aus seinem im Oktober erscheinenden Buch Denken hören – Hören denken hier als Erstveröffentlichung präsentieren dürfen. Im November werden wir dann den Autor, der nicht nur einer der herausragenden Komponisten, sondern gleichzeitig einer der bedeutendsten Musikdenker und -schriftsteller unserer Zeit ist, bei dem aus Anlaß seines achtzigsten Geburtstages ausgerichteten Symposion in Wien ehren. Im Namen des Ensembles wünsche ich Ihnen eine erfüllende und inspirierende Lektüre der neuen Agenda des Klang forum Wien, und uns Ihre angelegentliche Begleitung auf den vielfältigen musikalischen Pfaden, die wir in dieser Spielzeit beschreiten werden. —Sven Hartberger Agenda, Übersicht Konzert- und Musiktheaterprogramm Konzertzyklus Klangforum PLUS Festliche Tage Alter Musik 22. Juli 2016 Salzburg, Universität Mozarteum Internationale Sommerakademie das kleine ICH BIN ICH 7. Oktober 2016 Graz, Helmut-List-Halle Musikprotokoll Verbinden & Abwenden UA UA EA EA EA EA — — 30. und 31. Juli 2016 Salzburg, Universität Mozarteum Internationale Sommerakademie Workshop Dirigieren — 15. Oktober 2016 Donaueschingen, Donauhallen Donaueschinger Musiktage An Evening of Real Class Struggle 1. August 2016 Salzburg, Kollegienkirche Salzburger Festspiele Salzburg Contemporary/ Peter Eötvös — 6. August 2016 Salzburg, Kollegienkirche Salzburger Festspiele Salzburg Contemporary/ Friedrich Cerha und György Kurtág — 8. August 2016 Salzburg, Universität Mozarteum Internationale Sommerakademie Portrait Friedrich Cerha — 5. September 2016 Wien, d51 Klangforum PLUS NACHBARN — 14. September 2016 Florenz, Tepidarium del Roster Firenze Suona Contemporanea Fallen Falls UA UA — 24. September 2016 Schwaz, SZentrum Klangspuren Klangspuren Finale — 30. September 2016 Wien, d51 Saisoneröffnung Hausfest UA UA — UA UA UA — 23. Oktober 2016 Tallinn, RO Estonia kammersaal AFEKT Festival domkrat polej i pustot UA — 28. Oktober 2016 Wien, Wiener Konzerthaus Klangforum PLUS Fremde Ohren oder: Wie Musiker das hören — 28. Oktober 2016 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! musique savante und musique sauvage EA EA — 30. Oktober-1. November 2016 Wien, Dschungel netzzeit/ Wien Modern das kleine ICH BIN ICH UA — 31. Oktober 2016 Wien, Wiener Konzerthaus Internationale Musikbrücke Der Klang nach Seide UA UA UA UA UA UA — 8. November 2016 Wien, Wiener Konzerthaus Wien Modern Pulse Shadows — 9. November 2016 Wien, Wiener Konzerthaus Wien Modern Noch sind wir ein Wort... UA — 4 Agenda, Übersicht 12. November 2016 Wien, Wiener Konzerthaus Wien Modern/ science? fiction! Dämonen UA — 19. November 2016 Huddersfield, St. Paul’s Hall Huddersfield Contemporary Music Festival Hyena — 20. November 2016 Huddersfield, St. Paul’s Hall Huddersfield Contemporary Music Festival Skin — 27.-29. November 2016 Wien, Semperdepot Universität Wien, Institut für Philosophie/ Wien Modern Wort. Ton. Gestalt EA — 4. Dezember 2016 Salzburg, Universität Mozarteum Internationale Sommerakademie Portrait Friedrich Cerha — 19. Januar 2017 Wien, Wiener Konzerthaus Festliche Tage Alter Musik Endzeit — 22. Januar 2017 Wien, Arnold Schönberg Center Festliche Tage Alter Musik Auf verwachsenem Pfade — EA EA — UA EA — 23. April 2017 Wien Wiener Konzerthaus Für Lothar Knessl EA 27. Januar 2017 Wien, Wien Museum Festliche Tage Alter Musik Voix Étouffées — 1. Februar 2017 Wien, Wiener Konzerthaus Festliche Tage Alter Musik Très Belle Époque — 2. Februar 2017 Wien, Wiener Konzerthaus Festliche Tage Alter Musik Spuren nach Darmstadt — 10. Februar 2017 Graz, Helmut-List-Halle Impuls Neue Werke UA UA UA UA UA 14. Dezember 2016 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! Jenseits 20. April 2017 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! Déjà-vu — 21. Februar 2017 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! Hinter den Spiegeln — 3. Mai 2017 Hamburg Elbphilharmonie Speicher — 4., 6. und 8. Juni 2017 Wien, Theater an der Wien Wiener Festwochen ParZeFool/ MONDPARSIFAL ALPHA 1-8 UA UA — 19. Juni 2017 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! Der Mensch muss weg — 3.-19. Juli 2017 Aix-en-Provence, Grand Théâtre de Provence Festival d’Aix-en-Provence Pinocchio UA — EA 12. Januar 2017 Athen, Auditorium A. Onassis Onassis Cultural Centre Ebe und anders — — 21. März 2017 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! künstlich intelligent EA — 6. April 2017 Graz, MUMUTH Klangforum PLUS/ PPCM SCAN III – Beat Furrer — 5 15., 16. und 18. Oktober 2017 Berlin, Haus der Berliner Festspiele Berliner Festspiele ParZeFool/ Mondparsifal Beta 8-13 UA — Uraufführungen Philippe Boesmans Manuela Kerer — Pinocchio S. 29 — oscillare S. 36 Michail Paraskakis — kama S. 40 Carolyn Chen — We were dead and we could breathe. S. 41 Eva Reiter — Noch sind wir ein Wort ... S. 37 Richard Dünser — der zeiten spindel I S. 36 Beat Furrer — intorno al bianco S. 32 Bernhard Gander — Cold Cadaver With Thirteen Scary Scars S. 35 Sehyung Kim — Sijo_310516 S. 36 Bernhard Lang/ Klangforum Wien — SCAN S. 24 Christoph Renhart — miroirs noirs Adam McCartney — A way after remains or reflections S. 40 Rebecca Saunders — Skin S. 35 Bernhard Lang — ParZeFool – Der Tumbe Thor/ Jonathan Meese — MONDPARSIFAL Zeynep Gedizlioğlu ALPHA 1-8/ BETA — Verbinden & 8-13 S. 26 Abwenden S. 34 Simone Movio Georg Friedrich — Incanto VII S. 34 Haas Oxana Omelchuk — das kleine — domkrat polej i ICH BIN ICH S. 32 — Hyena pustot S. 36 S. 38 6 Uraufführungen und KomponistInnen S. 37 Benjamin Scheuer — Nouveaux Agréments S. 34 Diana Soh — iota S. 40 Lorenzo Troiani — We are destroyed S. 41 Michael Wertmüller — discorde S. 35 Erwin Wurm/ Andrea Cavallari — Fallen Falls S. 33 KomponistInnen Ondřej Adámek Dieter Ammann Alban Berg Pierluigi Billone Harrison Birtwistle Lili Boulanger Pierre Boulez John Cage André Caplet Friedrich Cerha Luigi Dallapiccola John Dowland Hanna Eimermacher Peter Eötvös Jean Françaix Reinhard Fuchs Henryk Górecki Gérard Grisey Wilhelm Grosz Sofia Gubaidulina Ye Guohui Alois Hába Adriana Hölszky Klaus Huber Clara Iannotta Leoš Janáček Mauricio Kagel Johannes Kalitzke Tatjana KozlovaJohannes Ernst Krenek György Kurtág Michalis Lapidakis György Ligeti Olivier Messiaen Luigi Nono Enno Poppe Alberto Posadas Henri Pousseur Maurice Ravel Fausto Romitelli Giacinto Scelsi Franz Schreker Alexander Skrjabin Xu Shuya Jean Sibelius Karol Szymanowski Germaine Tailleferre Galina Uswolskaja Anton Webern Adolph Weiss Iannis Xenakis Eric Zeisl Hans Zender Vito Žuraj Klangforum Wien Joonas Ahonen, Klavier Annette Bik, Violine Markus Deuter, Oboe Lorelei Dowling, Fagott Andreas Eberle, Posaune Vera Fischer, Flöte Eva Furrer, Flöte Uli Fussenegger, Kontrabass Gunde Jäch-Micko, Violine Benedikt Leitner, Violoncello Andreas Lindenbaum, Violoncello Florian Müller, Klavier Anders Nyqvist, Trompete Dimitrios Polisoidis, Viola Gerald Preinfalk, Saxophon Sophie Schafleitner, Violine Lukas Schiske, Schlagwerk Krassimir Sterev, Akkordeon Virginie Tarrête, Harfe Olivier Vivarès, Klarinette Christoph Walder, Horn Björn Wilker, Schlagwerk Bernhard Zachhuber, Klarinette Ehrenmitglieder Sylvain Cambreling Friedrich Cerha Beat Furrer Vorstand Thomas Stelzer Markus Haffner Armin Thurnher Direktorium Wolfgang Bürgler Thomas Herndl Friedrun Huemer Hans Hurch Stefan Klestil Monika Knofler Michael Landau Marcel Landesmann Katarina Noever Hannah Rieger Wolfgang Stocker Dramaturgie Uli Fussenegger Andreas Lindenbaum Sophie Schafleitner Christoph Walder Ensemblevertretung Benedikt Leitner Intendant Sven Hartberger Assistenz Sidonie Forstreiter Produktion Bettina Mirus Günther Bernhart Michael Blamauer Jürgen Semlitsch Alexej Solowjow Christine Weitzer Marketing & PR Emilija Jovanović Therese Zalud Büroorganisation Marina Steiger Buchhaltung Doris Böhm Haushalt Anđa Pejić Join us! 8 Ensemble und Team 9 Musik zwischen Logos und Pathos — Hans Zender „Die Sinne springen auf in die Gedanken.“ (Meister Eckhart) I. In der chinesischen Sprach- und Schrifttradition hat das Schriftzeichen für „Musik“ noch eine zweite Bedeutung. Es heißt dann: „Freude“. In der Tat gibt es wenig in unserem Leben, das eine solche Fülle an beglückenden Energien für uns bereithält, wie es die Musik tut – und das auf mehreren und ganz verschiedenen Ebenen. Zunächst ist da die aktuelle sinnliche Freude an Klang und Farbe. Die Musik als klangliches Phänomen überrascht uns durch ihr plötzliches Erscheinen und bewirkt bei uns durch diese Überraschung eine Distanz zu uns selber. Im Augenblick der künstlerischen Faszination steht für uns nicht mehr unser persönliches Ich-Bewußtsein im Mittelpunkt, sondern das Leben als Ganzes, in dem unser kleines Ich nur einen Seitenplatz innehat. Wir erleben im Hören den Klang als eines der Urphänomene unserer sinnlichen Wahrnehmung; und wir erleben durch das Hören die Einbettung des Klangs in die fließende Zeit: auf analoge Weise wie wir durch das Sehen der Augen den Raum erfahren und seine Gliederung durch Gegenstände und Formen. Zweifellos denken wir, wenn wir Musik hören. Wenn ich diesen Satz ausspreche, liegt darin die Absicht, von vornherein einige Mißverständnisse auszuschließen. Allgemein herrscht die Vorstellung, Musik zu hören oder gar sie zu bewerten, sei eine Sache der Gefühle, und diese seien ganz und gar der individuellen Empfindung überlassen. Gefühle sind aber noch keine Formen der Mitteilung: dazu bedarf es Zeichen. Musik ist eine Sprache aus Klangzeichen. Erst wenn Klangzeichen unterschiedlicher qualitativer Beschaffenheit in einen Zusammenhang treten und sich zu einem neuen Ganzen verbinden, kann man von Musik sprechen. Klangzeichen, die sich im Lauf der zeitlichen Dauer eines Musikstückes zu einem sich immer neu knüpfenden 10 Musik zwischen Logos und Pathos Netz formen, nimmt der Hörer zu seiner Freude wahr, indem er ihre Muster in einem spielerischen, zunächst halb unbewußten, allmählich wachen und intelligenten Prozeß entschlüsselt. Wir bewegen uns beim Hören in der Zeit, setzen die Töne zu mehr oder weniger langen Strecken zusammen, die wir als Einheiten empfinden; wir empfinden auch die Verschiedenartigkeit solcher Einheiten, unser Hörbewußtsein wird durch diese Verschiedenheit geweckt und geprägt. Mit einem Wort: wenn ich sage: „Musik ist ein Denken mit den Sinnen“, so gebrauche ich das Wort „denken“ nicht im Sinne von Kant, also als vorstellendes Denken von Subjekten; sondern ich rede von einer tieferen Schicht des intelligenten Wahrnehmens, welche die Intelligenz nicht abschneiden will vom ganzheitlichen, also auch affektiven Empfinden. Dieses „Denken“ in der Ton-Sprache ist nicht identisch mit dem Denken in der Wortsprache. Letzteres haben wir als ein folgerichtiges, gegenständliches, mit unserem praktischen Leben eng verbundenes Denken erlernt; jedes ihrer Zeichen – die ebenfalls „Klangzeichen“ sind – hat eine bestimmte festgelegte Bedeutung, und wir haben uns daran gewöhnt, die Sprache der Worte als das Instrument unseres rationalen, die Wirklichkeit voruns-stellenden, sie sich-uns-vorstellenden Denkens zu betrachten. Dieser Charakter der Sprache ist ein Ergebnis einer langen Entwicklung, in der die Sprache von einem komplexen Ausdrucksmittel allmählich zu einem Instrument des objektivierenden, die Umwelt genau beschreibenden Denkens geworden ist. Jean-Jacques Rousseau spricht geradezu von einer Mathematisierung der Sprache, und zwar im Sinne einer allmählichen Degeneration der Sprache, die so ihre ursprünglichen Fähigkeiten des Poetischen, Rhetorischen, überhaupt ihrer emotionalen Ausdruckskraft verliert. Hier nun kommt Rousseau auf den Gedanken, daß es die Musik sei, die der Sprache in dieser Lage beistehen könne, ihre immer unsinnlicher und nüchterntechnisch werdende Erscheinungsform wieder ganzheitlich werden zu lassen; der Ton, meint er, sei ja das Zentrum der Ausdruckskraft der Musik, und dessen Erscheinungsform die Melodie. Die Griechen, welche Sprache und Musik in ihrer Kunstform der Musike techne zu einem nicht trennbaren Amalgam verschmolzen, hatten nach seiner Meinung die in Wortbedeutung und Satzkonstruktion erscheinende Gegenständlichkeit der Sprache mittels der irrationalen Ausdruckskraft der Musik im Gesang zur vollendeten Gestalt gebracht. Was Rousseau hier übersieht, ist, daß auch die Melodie nicht nur spontane Geste des Gefühls, sondern auch, wie die Sprache, Konstruktion ist: keine Melodie ohne das Tonsystem, in dem sie sich definiert; kein Tonsystem, schon mal gar kein griechisches, ohne die Intervallberechnungen, welche ihrerseits ohne die zugehörige Mathematik nicht denkbar gewesen wären. Schon auf dieser Entwicklungsstufe muß die Musik also, wie die Sprache, als eine selbständige Fügung aus konstruierter Form und irrationaler Affektivität angesehen werden – was Rousseau in seinen Gedanken über die Musik de facto auch nicht abstreitet; im Gegenteil findet er in der Entwicklung der Musik von der puren Einstimmigkeit bei den Griechen (die er richtig als Folge reiner Spektren beschreibt) bis hin zu seiner eigenen Zeit eine analoge rationalistische Entartung und „Verkrustung“ wie die, welche die Sprache in ihre Krise geführt hat. Dazu gehören die Erfindung der quantifizierten Rhythmik, Mehrstimmigkeit und eine sich immer reicher entfaltende Polyphonie, schließlich eine autonome Harmonik, welcher Rousseau jedoch alle Ausdruckskraft abspricht, obwohl sie doch den musikalischen Sinn der Melodie aufs vielfältigste steigern und modifizieren kann. Was in seinem Denken trotzdem bemerkenswert und vielleicht erst aus heutiger Perspektive verständlich ist, scheint mir die strikte Weigerung, die Kunstgeschichte als Fortschrittsprozeß anzusehen. Seit der Notre-Dame-Schule, spätestens seit der Ars nova lösen sich die verschiedenen musikalischen Epochen in Europa in dem Bewußtsein ab, jetzt etwas Neues, Niedagewesenes an das vorherige Alte anzuschließen und damit einen Fortschritt – sei es in struktureller Komplexität, sei es in expressiver Intensität – zu realisieren. Wagners Leitspruch „Kinder, schafft Neues!“ führt schließlich direkt zur revolutionären Grundeinstellung der modernen Avantgarde. Vor diesem Hintergrund scheint Rousseaus Vorstellung von einer in der Vergangenheit liegenden klassischen, stets als Leitbild zu betrachtenden Vollkommenheit der Künste reaktionär und unfruchtbar. Wir werden aber im Lauf unserer Überlegungen den revolutionären Begriff der Moderne bis zur Postmoderne und darüber hinaus verfolgen, und da wird sich herausstellen, daß Rousseau mit seinen hinterwäldlerisch scheinenden Thesen etwas vorausgeahnt hat, das wir heute als den verdrängten Schatten des dominierenden Fortschrittsbewußtseins erkennen können: die Vergangenheit ist gar nicht vergangen. Nicht nur wäre ohne eine im Gedächtnis bewahrte Vergangenheit der Fortschrittsgedanke gar nicht denkbar; wir erleben heute eine Wiederkehr scheinbar vergangener Epochen sowohl in den schrecklichen Rückfällen in endgültig überwunden geglaubte Barbarei wie auch in den sich neu ins Bewußtsein einschreibenden vergessenen kulturellen Hoffnungszeichen früherer Zeiten. Dazu gehört fundamental die enge Verbindung von Sprache und Musik in den frühen Schöpfungen nahezu aller Hochkulturen, wie sie Rousseau in seiner Hervorhebung der griechischen Musike techne betont; nicht aber seine rein subjektivistisch gedachte Interpretation der Musik als einer Sprache der Affekte. (Nietzsche wird diese Interpretation bald in der Geburt der Tragödie als eben durch den Subjektivismus längst zur „Vorstellung“ gewordene Begriffskonstruktion enttarnen.) Das künstlerische Denken, das auf dem Denken der Sinne beruht, stellt sich seine Zeichen – in der Musik also: seine Klänge – nicht vor, sondern es lebt unmittelbar in ihnen, badet, watet, schwimmt in ihrer Materie und gestaltet aus ihr neue geistige Lebensformen. Ich unserer alltäglichen Auseinandersetzungen, Kämpfe und Unternehmungen. Ihr Tun ist spielerischer Art; oberflächlich betrachtet scheint es die Welt nur zu spiegeln, nicht zu gestalten. Die Musik bewegt sich nicht nur in unserem Kopf; jeder musikalische Mensch spürt, wie sie auch in den Körper eindringt und ihn in Schwingung versetzt. Hören wir Musik in Gemeinschaft mit anderen Menschen, so spüren wir eine unwillkürliche Verbundenheit mit ihnen; Geist und Körper, Bewußtes und Unbewußtes klingen harmonisch zusammen: deswegen bedeutet Musik zu Recht auch „Freude“. Sie berührt in uns das, was wir Gefühle nennen, und verbindet so die Entzifferung der musikalischen Muster frei mit unserem Lebensvollzug. Wir befinden uns jetzt bereits auf einer zweiten Ebene der Wahrnehmung von Musik: auf ihr versuchen wir die Musik zu „verstehen“, indem wir mit unserer Reflexion in die Welt ihrer Formen eindringen. Diese beruhen auf einem proportionalen Denken von Tonschwingungen und rhythmischen Folgen, deren Bau sehr einfach oder auch von abenteuerlicher Kompliziertheit sein kann. Durch ihre Beschreibung in Worten entsteht dann eine weitere hochkomplexe Denkstruktur, noch komplexer als es etwa das mathematische Denken ist, mit dem das musikalische oft verglichen wird. Denn obwohl die musikalische Form ohne Rest in Zahlenproportionen beschreibbar ist und sich als Zahlenkonstruktion bis ins Detail der Analyse darbietet, ist damit noch nichts von dem berührt, was die rätselhafte Intensität ihrer Wirkung auf unsere Psyche angeht. Das musikalische Denken scheint in einzigartiger Weise die rationale mit der irrationalen Seite unseres Geistes zu verbinden. In der chinesischen Sprach- und Schrifttradition hat das Schriftzeichen für „Musik“ noch eine zweite Bedeutung. Es heißt dann: „Freude“. nenne das Musikdenken das „flüssige Denken“, da hier die Klangzeichen von jeder festen externen Bedeutung freigehalten werden; sie bedeuten nur sich selber – im Gegensatz zu dem „gefrorenen Denken“ der Wortsprache, das durch die an ihm haftenden Vorstellungen, das heißt von Bedeutungen bildhafter oder begrifflicher Art fixiert ist. Im Gegensatz zur Wortsprache findet sich die Musik nicht eingebunden in die Tätigkeit der Benennung und Entzifferung der Gegenstände, in die sogenannte Realität 11 Durch den der Menschheit aufgegebenen Weg einer allmählichen Bewußtwerdung aller Vorgänge des Lebens ergibt sich für die Musik im Lauf ihrer geschichtlichen Entfaltung allmählich eine Zweiteilung ihrer Erscheinungsform: Eine immer mehr ihrer selbst bewußt werdende, dann sich kritisch selber steuernde Musik, für die wir heute das Wort „Kunst“ benutzen, setzt sich von einer anderen ab, die – hier durchaus im Sinne Rousseaus – instinktive Unmittelbarkeit zu bewahren sucht und die wir als unterhaltend, volkstümlich und unbelastet vom Gewicht der geschichtlich überlieferten Kunstformen empfinden. In unserer heutigen kulturellen Situation hat die Verbreitung und Pflege solch unterhaltender Musik eine nie dagewesene Übermacht über die sogenannte Kunstmusik erlangt; es wäre aber vollkommen verfehlt, darin die natürliche Dominanz einer Musik der unverstellten Freude erblicken zu wollen, welche aller Belastung durch die Problematik des gesellschaftlich geprägten Bewußtseins entgehen könnte. Vielmehr kann man am Zustand der heutigen Pop- und Unterhaltungsmusik sehr leicht die Verstrickungen ablesen, welche der Kunst, nicht anders als allen anderen Sparten von Kultur, Politik, Recht usw., zu schaffen machen. Schon der Mythos warnt vor den Wirkungen einer Musik, welche das Bewußtsein in den vorgegaukelten Glückszustand einer passiv genießenden Natur zurück saugt. Odysseus verstopft sich die Ohren und läßt sich an den Mastbaum fesseln, um ihr nicht zu erliegen. Ikarus stürzt ab, weil er nicht die kluge Kunstfertigkeit seines Vaters Daidalos erlernt hat, welcher den Rausch des Fliegens, auch des geistigen Flugs der Fantasie, durch strenge Bewußtseinskontrolle der Entwicklung des Menschen dienstbar macht. Es gibt kein „Zurück zur Natur!“ ohne Regression des Bewußtseins. Versetzen wir uns einen Moment in einen glücklichen Naturzustand der Musik, wie ihn uns Rousseau entwerfen würde, wie wir ihn aber auch ähnlich in den wunderbaren Schriften der alten Chinesen beschrieben finden. Voraussetzung für die vollkommene Freude der schöpferischen Arbeit ist da die vollkommene Selbstlosigkeit der Hingabe: jegliche Art von Absicht, Streben nach Geld oder persönlichem Vorteil, ja sogar jede Anpassung an schon gegebene kulturelle Gewohnheiten würde diese Freude mindern oder zerstören. Im äußersten Kontrast dazu erleben wir in der heutigen Pop-Musikindustrie eine mit riesigen Summen hantierende hochorganisierte Kommerzialisierung, welche alle, die hier mitspielen wollen, zu marktgerechtem Konformismus verpflichtet. Alles ist von Anfang an auf optimale Verkäuflichkeit angelegt, genau wie es auch in anderen Branchen der Wirtschaft üblich ist. Damit verglichen mutet das heute ebenfalls sich clever und geschäftsmäßig gebende Konzert- und Opern-Management recht bescheiden an, was nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß auch hier fast überall in immer steigendem Maße die kommerzielle Absicherung und nicht die künstlerische Lebendigkeit den Ausschlag gibt. Allein gelassen und fast völlig isoliert finden sich diejenigen Musiker am Rande der Existenzmöglichkeit wieder, welche sich, etwa als Mitglieder eines der wenigen Ensembles für neue Musik, verstehen als Produzenten oder ausschließliche Vermittler der unmittelbar frisch entstehenden und noch nicht durchgesetzten Musik: jener Musik, die noch heute allein aus innerer Notwendigkeit und Freude am Schöpferischen, ohne Blick auf Geld oder eine sogenannte Karriere, entsteht. Es geht hier nicht um Moral, sondern um die wichtigste Voraussetzung der Kreativität. Die künstlerische Energie muß beim einzelnen Künstler der allein ausschlaggebende Gesichtspunkt seiner Handlungen sein, sonst kann sich seine geistige Energie nicht zu dem ihm erreichbaren Maximum ballen. Für einen Staat, der öffentliche Kunstförderung als seine Aufgabe betrachtet und diese Aufgabe wirklich ernst nehmen würde, bliebe die finanzielle Unterstützung nichtkommerzieller, aber auf höchstem künstlerischem Niveau arbeitenden Gruppen der erste und wichtigste Auftrag, denn hier entfaltet die neue Musik das innerste Gesetz der abendländischen Kultur: die unlösbare Verbindung von Erinnerung und Neuformung unserer Geschichte. Die Musik hat uns etwas zu sagen, was nicht anders als eben durch Musik zu sagen ist. Dies beim Namen zu nennen, ist aber außerordentlich schwierig. Sehr schnell passiert es in unserer arbeitsteiligen, zur Einseitigkeit neigenden Gesellschaft, daß die Vertiefung auf der einen Seite in die strukturellen, auf der anderen in die psychologischen und tiefenpsychologischen Aspekte der Musik eine gewisse Fremdheit zwischen den Fachdisziplinen der Wissenschaftler und der musikalischen Praktiker erzeugt. Oder um es etwas derber auszudrücken: der Praktiker – das weiß ich von meinen eigenen Anfängen sehr gut – schließt sich schnell in seiner persönlichen, in sich konsistenten Sphäre ab und pfeift auf die in seinen Augen höchst überflüssige, weil bloß wiederspiegelnde fiktive Welt der sprachlich-wissenschaftlichen Reflexion; der Wissenschaftler dagegen schaut oft genug und sehr zu Unrecht auf das Tun der Praktiker wie auf eine naive, eher geistlose Aktivität herab. Das Problem vertieft sich, wenn man von der Musik einen unmittelbaren gesellschaftlichen Nutzen oder gar ein politisches Bekenntnis erwartet. Dies kann die Sprache der Worte und Begriffe leisten, nicht aber die Musik. Der Kritiker Marcel Reich-Ranicki hat deswegen die Musik als eine Hure bezeichnet, welche sich bedenkenlos in den Dienst jeder beliebigen Ideologie stellen lasse. Auf die Idee, 12 Musik zwischen Logos und Pathos daß sie uns eben nur nichtverbale Botschaften mitzuteilen habe, ist er leider nicht gekommen, was im Zeitalter der Tiefenpsychologie und der Hirnforschung doch erstaunlich ist. Diese nichtverbalen Botschaften der Musik aufzufangen, ernst zu nehmen und zu vermitteln ist dann allerdings per se ein politischer Akt, welcher den Menschen als lebendiges Wesen in all seinen Fähigkeiten – und nicht nur als „animal rationale“ – gelten läßt. Wenn möglich in noch radikalerer Weise als die übrigen Künste hat die Musik in unserer Gesellschaft die „Funktion der Funktionslosigkeit“, wie es Adorno unübertrefflich ausgedrückt hat. In ihrer offensichtlichen gesellschaftlichen Nutzlosigkeit verkörpert sie eben die Verwei gerung des Gebrauchs in der durch organisierten Gesellschaft und bewahrt so die Kraft des individuellen ethischen Widerstandes gegen totalitäre und gegen ausschließlich quantitativ gehandhabte demokratische Prinzipien. Deswegen ist sie nicht „politisch“, darf es nicht sein, um ihre geistige unabhängige Kraft nicht zu schmälern. Wäre sie nur die verstärkende Stimme der gesellschaftlich fortschrittlichen Gesellschaftsenergien, so würde sie nichts als eine Ästhetisierung der Politik bedeuten, die das subversive utopische Potential der Kunst, das sie einfordert, wieder verspielen würde. „Kunst ist Kritik als Praxis von Unfreiheit, damit hebt ihre Wahrheit an.“ (Adorno) Konkret läßt sich sagen, daß der Stellenwert der Musik in den Bildungsprogrammen von heute in grotesker Weise niedrig ist, sodaß weder die mit keiner anderen Weltkultur vergleichbare Bedeutung der traditionellen europäischen Musik noch die ihrem Grundimpuls der schöpfe rischen Erneuerung entspringende moderne Kunst verantwortlich der Zukunft vermittelt werden. Ihre unglaubliche individuelle Vielfalt droht in einem immer stärker entdifferenzierenden medialen Sumpf unterzugehen. War die Musik in Antike und Mittelalter den Wissenschaften gleichgeordnet und stand im Barock zusammen mit der Theologie im Zentrum der Erziehung, so findet sie sich samt der antiken und christlichen Tradition vom Siegeszug der Naturwissenschaften immer mehr auf einen marginalen Platz verdrängt. Noch mehr gilt dies von der Massengesellschaft, in der sie lediglich als Unterhaltungsware geschätzt wird. II. Hier liegt auch der Grund für die in unserer kulturellen Region bedrohlich zunehmende Ahnungslosigkeit der politischen Kaste betreffs Kunst und Kultur. Wie die breite Öffentlichkeit der „MusikKonsumenten“ fassen Politiker heute Musik meist als eine etwas ausgefallene Nische unserer Kultur auf, in der Arbeitsprozesse zur Herstellung von Produkten zweifelhafter Wichtigkeit stattfinden. Was Musik eigentlich ist, wird immer weniger verstanden. Dies ist zum Teil auch eine Schuld der Musiker, die sich oft einer Reflexion auf die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Kunst verweigern und diese weder erklären noch verteidigen können. Sie leben noch im Bewußtsein jener glücklichen Zeiten unserer Klassiker, in denen die Musik, wie alle Kunst, als direkt dem absoluten Geist entfließend, bzw. zu ihm hinführend, verstanden wurde. Das – und nicht etwa primär die Unabhängigkeit von der Sprache – ist ja der eigentliche Sinn der Bezeichnung „absolute Musik“, welche die Avantgarde des 20. Jahrhunderts in naiver Selbsttäuschung von der Romantik übernahm. Sie ist nicht denkbar ohne Hegels Lehre vom absoluten Geist. Diese ist aber, wie alle Metaphysik nach Hegel, durch die geschichtliche Entwicklung zergangen. Die heutige technische und materialis tische Gesellschaft hat vergessen, daß die Künste, die Religionen und alle Humanwissenschaften der unentbehrliche Humusboden für jegliches Gedeihen des Wesens Mensch sind, sowie die Grundlage seiner Kreativität. Sie zeigt uns in aller Deutlichkeit, daß Kultur nicht von alleine entsteht. Kultur ist nur als unter Mühen geplante und mit Opfern immer neu hervorgebrachte Eigenleistung zu haben. Das zu erkennen, ist für die Künstler lebenswichtig geworden. Die wissenschaftlich-technische Zivilisation, in der wir leben, ist eine Gesellschaft, welche auf der Erstellung von Produkten, und dem Handel damit, beruht. Diese Produkte sind zu beschreiben als Kopien von Modellen, die durch Maschinen hergestellt werden. Die Arbeit des Künstlers dagegen ist Produktion im Sinn von Neuproduktion von Unikaten: der Künstler arbeitet wie die Natur, welche niemals Kopien liefert, sondern nicht-identische Neuschöpfungen. Er befindet sich also heute schon durch sein normales Tun in einem nicht überbrückbaren Widerspruch zu unserer Zivilisation. Er lebt in Die Musik hat uns etwas zu sagen, was nicht anders als eben durch Musik zu sagen ist. ihr wie ein Fremder bzw. wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Ich habe hunderte Male bei Diskussionen erlebt, wie es Politikern, Medienvertretern, Mitgliedern von Gremien, welche über die Existenz kultureller Institutionen entscheiden, unmöglich war, dieses Problem in seiner Tiefe zu erfassen. Unser Bewußtsein ist heute bis ins Mark geprägt durch das Paradigma des technologischen Denkens; es fällt uns schwer zu erkennen, daß ein Kunstwerk von Haus aus nicht ein käufliches Objekt, daß künstlerische Arbeit nicht ein beliebig quantifizierbarer und entsprechend honorierbarer Prozeß ist, sondern daß ein Kunstwerk wie eine Pflanze wächst und nur unter bestimmten Bedingungen gedeiht. Die Existenz von Kunst in unserer Gesellschaft ist in der gleichen Weise gefährdet wie die Existenz von dem, was wir als „Natur“ bezeichnen. Niemand, noch nicht einmal Adorno, hat das so präzise beschrieben und begründet wie Georg Picht, dessen Buch „Kunst und Mythos“ Pflichtlektüre aller sein sollte, die für Kunst und künstle rische Institutionen verantwortlich sind. Die ökologische Bewegung hat uns zwar gelehrt, den unser Leben bedrohenden Konflikt zwischen den Ansprüchen unserer natürlichen Lebensgrundlagen und der sich nach den Gesetzen des Marktes und des Geldes richtenden Eigendynamik der Industrie zu erkennen und nach Kräften zu steuern; daß die gesamte Sphäre von Kunst und Kultur als natürliches Entwicklungsfeld unseres Fühlens und Denkens und damit als Grundlage der Menschlichkeit aber in der gleichen Weise gefährdet ist wie das, was wir „Natur“ nennen, scheint seltsamerweise gerade den Vertretern einer fortschrittlichen Ökologie nicht verständlich zu sein. Zu sehr wird Kultur immer noch als Domäne einer sogenannten elitären bürgerlichen Hochkultur mißverstanden. Die Konservativen hingegen, längst infiziert von den Maximen des Marktes, glauben Kultur durch ihre Anpassung an die Gesetze dieses Marktes retten zu können – sie wollen den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Im Musikleben honoriert werden vor allem die hochgezüchteten und deswegen meist entsprechend einseitigen Spezialisten und Stars, während doch das Heilmittel unserer Probleme nur in einer größtmöglichen Vielseitigkeit des Einzelnen liegen kann: in der Verbindung von künstlerischer Praxis und schöpfe rischer Intelligenz. Die Griechen nannten diese Verbindung Poiesis, und nicht etwa Theoria: das heißt Fortsetzung des schöpferischen Tuns der Natur, und nicht Entwerfen von Modellen zur mechanischen Nachahmung. 13 Die innere Haltung, für schöpferische Erneuerung zu kämpfen, anstatt ein Museum perfekt zu verwalten: wie ist sie für den reproduktiven Künstler anders zu erreichen als durch aktive Teilnahme an dem, was in der neuen Musik mit oder ohne unsere Zustimmung vor sich geht; durch persönliches Engagement im Prozeß ihrer gesellschaftlichen Durchsetzung? Nur so ist unsere Musikkultur zu retten – nicht durch eine noch so umfassende Pflege der Tradition allein. Auch wenn das einem sich am äußeren Augenschein Orientierenden absurd erscheinen mag: wir können das Lebensrecht von Kunst in unserer Gesellschaft nur durch die Kunst unserer Zeit verteidigen, sei diese auch noch so unpopulär und problematisch; andernfalls wird unsere Musikkultur ihrem Ende zueilen. Um die extremen Mittel zu rechtfertigen, welche die neue Musik bisweilen gebraucht, genügt es nicht, auf ihre Protesthaltung gegenüber der technischen Zivilisation hinzuweisen, wie es die Frankfurter Schule ausführlich getan hat. Als mindestens ebenso schwer zu lösende Problematik erweist sich die neue Situation, in die uns die Moderne durch ihre für die Geschichte erstmalig gleichzeitige und gleichberechtigte Anwesenheit aller Weltkulturen, Religionen, Rechts- und Wirtschaftssysteme gestellt hat. Georg Picht benutzt zur die je entdeckt worden sind, gleichzeitig gegenwärtig. Heute sind sie uns durch Museen, Ausstellungen, Reproduktionen, Schallplatten und Massenmedien sowie durch ein in heterogene Stile und Welten subtil eindringendes Kunstverständnis unausweichlich nahegebracht.“ Picht hat hier, längst bevor die Postmoderne in der Kunstwelt zu einem Modebegriff wurde, die ihr zugrunde liegende neue Gegebenheit jeder heutigen künstlerischen Arbeit exakt beschrieben. Bei Bernd Alois Zimmermann heißt diese neue Situation „Kugelgestalt der Zeit“: indem wir alle kulturellen Positionen der geschichtlichen Zeiten neu ins Bewußtsein heben, erfahren wir uns als geschichtliche Wesen, und unsere Kultur als ein in der Geschichte gewachsenes Kontinuum. Was wir auch tun, wir müssen diese Geschichte interpretieren, uns von ihr absetzen, sie fortsetzen oder sie bewußt umwälzen; nur ignorieren und tabuisieren können wir sie auf Dauer nicht. Wir sind hier an einem Punkt der geschichtlichen Entwicklung, an dem der Fortschritt selber uns zu einer expliziten Auseinandersetzung mit seiner eigenen Vergangenheit, das heißt mit seiner Geschichte, zwingt: und wer würde hier nicht an Rousseau denken, der mitten im vorwärts stürmenden Denken seiner Zeit schon deutlich die verdeckte Rückseite dieser dominanten Tendenz erkannte! Besser als das inzwischen schon wieder Wir können das Lebensrecht von Kunst in unserer Gesellschaft nur durch die Kunst unserer Zeit verteidigen. Kennzeichnung dieser neuen kulturellen Lage den von André Malraux geprägten Ausdruck „Musée imaginaire“. Im modernen Museum hängt die gotische Madonna neben der Landschaft von Cézanne; neben dem Cézanne steht das Urinal von Duchamp. Die so behauptete Gleichartigkeit der Kunstwerke vor einer universalen ästhetischen Konstante begründet eine ganz neue Problematik. Ich zitiere Picht: „Diese Universalität hat einen ästhetischen Tatbestand geschaffen, der heute auf jede Art von künstlerischer Produktion in unkalkulierbarer Weise zurückwirkt: die Omnipräsenz der Kunstformen und Stile aller Zeiten und aller Kulturen. Noch nie in der Geschichte waren für das künstlerische Bewußtsein alle ästhetischen Möglichkeiten, problematisch gewordene Wort „ Postmoderne“ würde für die Gesamtsituation der Kunst, wie sie Picht beschreibt, der jüngere Begriff „Metamoderne“ passen. Ich zitiere aus dem 2015 erschienenen Büchlein von Robin van den Akker und Timotheus Vermeulen „Anmerkungen zur Metamoderne“: „Auf ontologischer Ebene oscilliert die Metamoderne zwischen Moderne und Postmoderne. Sie pendelt zwischen modernem Enthusiasmus und postmoderner Ironie, zwischen Hoffnung und Melancholie. … Indem sie hin und her und vor und zurück schwingt, verhandelt die Metamoderne zwischen Moderne und Postmoderne.“ Diese Oszillation wird beschrieben als ein Pendel, das zwischen vielen Polen schwingt und das nicht zu einem Zustand der Balance führt. Eine Dynamik, welche sowohl als modern wie auch als postmodern auftritt, welche weder das eine noch das andere, oder beides zugleich ist, wird entworfen: „Die Metamoderne besteht in der Spannung, nein, der Zwickmühle zwischen dem modernen Wunsch nach Sinn und dem postmodernen Zweifel am Sinn überhaupt.“ Betrachten wir die geistige Situation eines heutigen Komponisten, so sehen wir ihn allein seiner persönlichen Freiheit und Verantwortung ausgesetzt; keine kollektive Verbindlichkeit, keine vom Meister auf den Schüler vererbte stilistische Haltung kann ihm helfen, sich zu orientieren. Folgt er dem Weg der Stilentwicklung, wie er nach Wagner sich abgezeichnet hat, so wird er ohne Zweifel in den Strudel einer extrem individualistischen Entwicklung geraten. Denn das erste, was die geschichtliche Entwicklung der Musik nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt hat, war die Unmöglichkeit, als Fortsetzung des Stilkreises der Romantik eine verbindliche neue Musiksprache in Form eines einheitlichen Zeitstils zu entwickeln. Die Avantgarde nach dem Zweiten Weltkrieg, die ich als junger Student von ihrem Beginn an miterlebt habe, hatte noch die Wunschvorstellung, in der Weiterführung der Schönbergschule zu einer überpersönlichen, allgemein akzeptierbaren Kompositionsmethodik zu finden. Sie suchte und fand ihr Heil in dem Strukturalismus der seriellen Technik: in deren präziser, durch Zahlenproportionen realisierten Ordnung des Materials von Klängen und Zeitdauern, die jede individualistische Willkür ausschließen wollte. In Wirklichkeit entwickelte sich – nach einigen sehr fruchtbaren Jahren des Serialismus mit Boulez und Stockhausen als führenden Köpfen – ein bis heute anhaltendes Tohuwabohu der unterschiedlichsten Personalstile; man müßte eigentlich sagen „Privatstile“. Kein Wunder angesichts der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg, in der plötzlich alle Weltkulturen und Traditionen mitein ander kommunizierten, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen entwickelten und sich vermischten. Olivier Messiaen war der Erste, der bewußt die Konsequenz zog: er definierte die Einheit der Form durch eine Vielzahl von Stilen, darunter auch außereuropäisch inspirierte; so reagierte er als Musiker auf das Ende des Eurozentrismus, dessen letzte Phase – den Serialismus – er noch mitgeprägt hatte. Ähnlich früh entwickelte Bernd Alois Zimmermann seine Idee des musikalischen Pluralismus, in geistiger Frontstellung zur seriellen Schule, die ihm wie übrigens auch Messiaen fremd bis ablehnend gegenüberstand. Und welche Fülle von neuen Stilen finden wir in der Folgezeit – keiner dem andern kompatibel, im Gegenteil solche Kompatibilität bewußt vermeidend: Cage, 14 Musik zwischen Logos und Pathos Feldman, Earle Brown, Rihm, Scelsi, Xenakis, Berio, Donatoni, Nono, Ligeti, Kurtag, Lachenmann, Ferneyhough – ich könnte noch lange fortfahren mit diesem Aufruf unterschiedlichster Ästhetiken und Kompositionstechniken, die sich nur in einem einzigen Punkt einig sind: daß sie nicht weiter den orthodox-seriellen Weg beschreiten wollen. Diese Orthodoxie – was war und ist sie anderes als ein Abbild jener wissenschaftlich-technischen Prädominanz, die nach dem Krieg unwiderruflich von uns allen Besitz ergriff? Und was war der Aufstand der individualistischen Ketzer anderes als der Versuch, mit der Freiheit von rational definierter Einheitlichkeit das genuin künstlerische Potential der Intuition wieder freizulegen? Dazu gehörte auch die potentielle Wiedergewinnung der vom Serialismus tabuisierten Klänge, rhetorischen Gesten, formalen Ordnungssysteme bis hin zu Collage und Zitat. Bernd Alois Zimmermann war es, der just auf dem Höhepunkt der seriellen Phase die Welt und besonders die Zunft der Komponisten schockierte, indem er durch seine provozierende Technik der Collage zeigte, daß diese nicht einfach Zitat historischen Materials ist, sondern produktiver Umgang mit früheren Schichten unseres Bewußtseins werden kann. Hört man in Photoptosis mitten in der chromatischen Textur nacheinander das Veni creator spiritus, einen Satz eines Brandenburgischen Konzertes, den 2. Satz von Beethovens 9. Sinfonie und Tschaikowskys Nußknacker-Suite auftauchen, so handelt es sich nicht um eine erholsame Durchwanderung verschiedener historischer Landschaften, sondern um die furchterregende, manchmal im buchstäblichen Sinn haarsträubende Beschwörung verschiedener, in uns durch die Erfahrung in früheren Zeiten gewachsener psychischer Sensibilitäten, welche, durch die Aura der Zitate aufgerufen, in uns geradezu eine Schlacht extrem heterogener Kräfte entfesseln. Ich erwähnte schon Zimmermanns Diktum von der kugelförmigen Zeit, in der die musikalischen Potenzen aller historischer Zeiten und Orte koexistieren. Mit solchen Gewichten jonglierend umzugehen, ist eine neue Gestalt der Kunst, die nach dem von Hegel angekündigten „Ende der Kunst“ die Möglichkeit eröffnet, durch die Integration der eigenen Vergangen heit in die sich formende Musik der Zukunft sich selber als „Spätform“ der Kunstgeschichte erkennen zu geben. Damit sind geschlossene Form und logische Einheitlichkeit im Gebrauch ihrer Mittel, die das Kennzeichen der klassischen europäischen Musikformen waren, zur Disposition gestellt. Ob an ihre Stelle numerische Konstruktion, Zufallstechniken oder individuelle Expressivität treten, ist für jeden Komponisten offen. Der Komponist der heutigen Moderne steht nicht nur quer zur Praxis der technischen Zivilisation, sondern auch zu ihrer Ideologie, welche für die Zukunft „unfehlbare Sicherheit durch mehr Rationalität“ verheißt. Er zeigt die offene Wunde, die der Kultur geschlagen wurde. Er provoziert ebenso einen nostalgischen Ästhetizismus wie auch einen naiv-positivistischen Fortschrittsglauben. Kunst kann nicht lügen. Wenn wir nicht verstehen, daß ihre Wahrheit nicht im Belieben des komponierenden, malenden, dichtenden Subjektes liegt, sondern daß ein Kunstwerk nur Kraft hat, wenn es auf unwillkürliche Weise seine Epoche ausdrückt, dann können wir überhaupt Kunst nicht verstehen. III. Freude ist ein Affekt. Was ist ein Affekt? Ich habe das Hören von Musik im Gegensatz zur festgefügten begriffsgestützten Wortsprache als ein „flüssiges Denken“ bezeichnet. Ich nehme mir die Freiheit, hier das Wort Affekt einen flüssigen Begriff zu nennen. Es ist völlig unmöglich, seinen Sinn begrifflich zu fixieren; das Wort Affekt weist aber auf eine nicht mehr reduzierbare Tatsache unseres Lebens hin: nämlich, daß wir unser Dasein empfinden. Auch wenn wir Musik hören, sind wir affektiv betroffen. Aber wer empfindet hier was? Empfinden wir uns, unser Dasein, oder die Musik? Und wenn wir empfinden: handelt es sich um die bewußte Empfindung eines Subjektes, oder handelt es sich um eine innere Bewegung der vor- oder unbewußten Schichten, des Körpers, der Natur in uns? Das Wort Affekt ist die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes Pathos. Dieses betont noch mehr das Erleiden, das Betroffen- oder Überwältigtwerden von einer Erfahrung; nicht das Bewußtsein schafft diese Erfahrung, sondern eine Macht außerhalb des Ich. Ein Affekt bleibt immer eine individuelle Reaktion des einzelnen Wesens auf seine Lebenssituation in der Welt; aus diesem Grund kann er nie als reiner Begriff gedacht werden. Noch etwas anderes kann uns die Affektivität lehren. Die Affekte lassen sich nie ganz voneinander trennen; sie sind ambivalent. Sie verbinden das Innen des Affizierten mit dem Außen des Wahrgenommenen, sodaß man wohl von einer allgemeinen, durch ein Symbol bezeichenbaren Affektivität sprechen kann, nicht aber von einem einzelnen Affekt als einer eindeutig verlaufenden Struktur. Jean Paul hat vom Komischen als dem „umgekehrten Erhabenen“ gesprochen: die Frage ist, ob man das auch bei der rein musikalischen Affektivität der Musik darf. Man müßte ganz sicher sein, daß aus der Sprache entlehntes diskursives Denken bei der Entstehung des Eindrucks musikalischer Komik nicht mit im Spiel ist – daß z. B. bei Zitaten nicht schon durch kontextuelle Einflüsse eine Verdinglichung der Affekte geschieht (wie es etwa bei Opernzitaten der Fall ist: Richard Wagner hat seine Leitmotivtechnik ganz bewußt aus solchen Wort-TonKonstellationen aufgebaut). Höre ich unvorbereitet einen heftigen Knall, so wird meine erste Reaktion eine Mischung von Überraschung und Erschrecken sein: Wieso der Knall? Werde ich bedroht? Im nächsten Moment kann der Affekt zur Freude über ein sich im zeitlichen Verlauf bildendes rhythmisches Muster aus knallenden Schlägen werden; dieses kann über eine andere Funktion in einem artifiziell aufgebauten Zusammenhang interpretiert werden als erschreckend, komisch, brutal, etc. Diese „verstehende“ Deutung kann über verschiedenartige gegensätzliche Empfindungen gleiten, von der Erschütterung bis hin zur Groteske usw.; sie kann auch umschlagen in die Wahrnehmung von realen Donnerschlägen eines Gewitters oder den Lärm eines geplatzten Autoreifens. Alle möglichen Deutungen bleiben aber im Bann der ersten überraschten Empfindung von „lautem Knall“. Die Abwehr von Deutungsfixierungen von Affekten, die das eigene Wesen der Musik verdunkeln, hat bei den Musikern der frühen Avantgarde zu einer gewissen Vereisung der Affekte geführt und eine zeitbedingte Vorherrschaft des „kühlen“ konstruktivistischen Denkens, bis hin zu einem positivistisch gehandhabten Formalismus, begünstigt. Rückblickend scheint mir, daß diese Entwicklung nötig gewesen ist, um das vollständige Wesen der Affektivität neu in den Blick zu bekommen. Im Unterschied zu einer schon fast bis zum Privaten verkommenen banalisierten Vorstellung von „Gefühl“ am Ende des 19. Jahrhunderts läßt uns heute eine entsubjektivierte 15 Neufindung des Affektiven eine Nahtstelle entdecken. Der Künstler ordnet sein Material nicht in der Absicht, einen bestimmten Affekt in seiner subjektiven Weise für ein anderes Subjekt (den Hörer) darzustellen; sondern er entdeckt in seinem Material die affektive Eigenkraft eben dieses Materials – die er nicht verdrängt oder zerstört, sondern bewahrt der „schönen Form“. Wir sind aber in der modernen Kunst inzwischen in einen Bereich eingetreten, der keineswegs in seiner Gesamtheit unter dem Begriff „schön“ subsumiert werden kann. Unser Begriff von Schönheit stammt aus der klassischen griechischen Kultur; wir müssen feststellen, daß wir seit über einem Jahrhundert aus dieser Tradition Liegt es nicht nahe, im nichtverbalen Denken der Musik den Logos auf einer vorsprachlichen Stufe am Werk zu sehen? und ausbaut. Er entdeckt so den Punkt, an dem im fließenden, noch wortlosen Sprechen der Musik ein Übergang stattfindet: wo das menschliche Bewußtsein sich von noch kreatürlich-kollektiver Passivität langsam hinbewegt zu einer individuell die Welt mitgestaltenden Aktivität. Ist das nicht der Übergang vom flüssigen zum gefrorenen Denken, vom Affekt zum Logos? Liegt es nicht nahe, im nichtverbalen Denken der Musik den Logos auf einer vorsprachlichen Stufe am Werk zu sehen? In einem ethnologischen Museum entdeckte ich Zeichnungen einer sogenannten Affekttonleiter (meiner Erinnerung nach indischen Ursprungs): entlang eines Kreises waren die Namen von 10 bis 12 Affekten angeordnet: Freude, Trauer, Haß, Liebe, Neid, Tapferkeit, Angst, Gleichgültigkeit, Komik, Ekel… In der Mitte des Kreises stand, offenbar als Symbol für das Ganze (analog zu „Freude“ bei den Chinesen), das Wort „Ruhe“. Die Anordnung der Affekte in eine Vielzahl verschiedener Empfindungscharaktere und einen im Zentrum stehenden Hauptaffekt: sollte damit gezeigt werden, daß Einzelaffekte aus einer übergeordneten Einheit abgeleitet sind? Oder sollte vermittelt werden, daß im Unterschied zu der Vielheit der Affekte das Symbol ihrer sie zusammenfassenden Einheit einer höheren Ordnung angehört? – Wir können noch weitere Vermutungen ableiten. Seitdem die Menschheit die Musenkunst betreibt, wundert sie sich darüber, daß auch die Gestaltung von Kummer und Schmerz, Leiden und Tod im Bereich der Künste nicht weiteren Kummer und Schmerz, keine „negativen“ Affekte hervorruft, sondern ungetrübte Freude an ihrer Darstellung. Wir sagen dann: das ist eben die Wirkung der Kunst, des Ästhetischen, ausgestiegen sind. Die Tatsache aber, daß wir auch moderne Kunstwerke als begeisternde und stärkende seelische Kraftquellen erfahren können, weist darauf hin, daß hinter den individuellen Schönheitsvorstellungen etwas ganz anderes steckt. Man kann dieses Etwas vielleicht als ungeteilte, noch nicht individuierte pure Lebenskraft bezeichnen; wir haben sie schon im Visier gehabt, als wir ganz im Anfang unserer Überlegungen die Freude der noch unreflektierten Begegnung mit der Musik zu beschreiben versuchten. Das sich selbst empfindende Leben scheint hier in seinem direkten schöpferischen Tun am Werk zu sein. Seine Quelle ist einerseits im Subjekt zu finden, andererseits auch in dessen direkten Reaktionen auf äußeres Geschehen. Die Affekte sind das erste Geschenk des Lebens an die Lebenden; aus ihnen entstehen durch unsere Arbeit Bewußtsein, Kunst, Sprache, Denken. So erscheinen die Affekte als archetypische Symbole für numinose Kräfte, nicht präzise ortbar und deswegen auch vom begrifflichen Denken nicht erfaßbar. Hiermit ist letzten Endes gesagt, daß der Logos, der von der abendländischgriechischen Tradition zumindest seit Aristoteles allein der Sprache, als der Kraft der Logik und Rationalität, zugesprochen und den affektiven Energien entgegengesetzt wurde, in Wirklichkeit hervorgeht aus dem affektiven, direkt der Natur entströmenden „flüssigen“ Denken, das auch die Kunst kennzeichnet: ja dieses unmittelbar schöpferische Denken ist die Grundlage für den stolzen Bau aller Rationalität und Wissenschaft, den die Menschheit errichtet hat. Wir könnten von einer Geburt der Sprache aus dem Geist der Musik reden, wobei dieser Geist als sein Vokabular die noch begriffslosen Klänge, Zeichen und rhythmischen Gesten aus dem pathischen Erleben der Affekte gewinnen würde. Die Wort- und Begriffssprache – und auch hier führen uns unsere Gedanken plötzlich zu Rousseau zurück – stellt sich dann als erkaltete Abstraktion der noch lebenswarmen Körpersprache der Affekte dar. Hier würden wir uns aus der Einseitigkeit des aristotelischen Logos befreien und uns einer viel umfassenderen Vorstellung von Logos annähern, wie sie etwa dem Logos des Heraklit oder noch mehr dem des Johannesprologs mit seiner Einbeziehung des Lebens in das Erkennen entspricht. Musik scheint dabei die Stimme unseres Lebens zu sein – und doch! Sie führt uns weiter zum Wort als dem Träger der Erkenntnis. Das Zusammenwirken von Musik und Wortkunst stellt also in dieser Sichtweise den vollständigen Logos in seiner sinnlichen Erscheinung dar. Den großen Dichtern aber oder Mystikern wie Meister Eckhart gelingt es bisweilen, auch mit den Mitteln der reinen Wortsprache, den Gegensatz von Affekt und Begriff zu überbrücken und uns die Einheit von flüssigem und gefrorenem Denken erleben zu lassen. Marcel Proust beschreibt in der „Recherche“ seine Gedanken nach dem Besuch eines Konzertes auf folgende Weise: „Und ich fragte mich, ob nicht die Musik das einzige Beispiel dessen sei, was – hätte es keine Erfindung der Sprache, Bildung von Wörtern, Analyse der Ideen gegeben – die mystische Gemeinschaft der Seelen hätte werden können. Sie ist wie eine Möglichkeit, der nicht weiter stattgegeben wurde; die Menschheit hat andere Wege eingeschlagen: die der gesprochenen und geschriebenen Sprache. Aber diese Rückkehr zum Nichtanalysierbaren war so berauschend, daß mir beim Verlassen dieses Paradieses die Berührungen mit mehr oder weniger klugen Menschen banal erschienen.“ Musik und Sprache erscheinen uns heute als zwei verschiedene Systeme von Kommunikation. Bei näherer Betrachtung haben wir gesehen, daß ihre polare Gegensätzlichkeit auf eine ursprüngliche Einheit hinweist, die uns als Abbild unserer seelischen Ganzheit verloren gegangen ist. 16 Musik zwischen Logos und Pathos Sie wiederzufinden ist nicht möglich durch Rückkehr zu archaischen Urzuständen, sondern durch Neuintegration der gegensätzlichen Systeme. Vielleicht müssen wir eine Art „zweistimmiges Denken“ erfinden, durch das wir lernen könnten, mit den Differenzen dieser Systeme produktiv umzugehen. Die Musik, das Musische, die kontemplative Kraft der Kunst – sie müssen in unserer in Rationalismus und Technologie so erfolgreichen, aber auch so festgefahrenen Zivilisation als geistige Kräfte wiederentdeckt werden, um den Weg zu einer umfassenderen Menschlichkeit zu zeigen. Dann dürften wir für die Musik nicht nur das chinesische Schriftzeichen für „Freude“ gebrauchen, sondern das Zeichen, das ihr das älteste Buch der Chinesen, das „I Ging“, zugeteilt hat: Yü, „die Begeisterung“. www.klangforum.at/zender-en Aus: Hans Zender: Denken hören – Hören denken. Musik als Grunderfahrung des Lebens (ISBN 978-3-495-48863-8) Verlag Alber www.verlag-alber.de/zender Agenda, Details 22. Juli 2016 Salzburg, Universität Mozarteum Internationale Sommerakademie das kleine ICH BIN ICH Georg Friedrich Haas — das kleine ICH BIN ICH UA Sabine Muhar, Solistin Dirigent: Johannes Kalitzke Details siehe S. 32 — 30. und 31. Juli 2016 Salzburg, Universität Mozarteum Internationale Sommerakademie Workshop Dirigieren Friedrich Cerha — Bruchstück, geträumt Leitung: Sylvain Cambreling — 1. August 2016 Salzburg, Kollegienkirche Salzburger Festspiele Salzburg Contemporary/ Peter Eötvös Peter Eötvös — Shadows — Sonata per sei — Chinese Opera Vera Fischer, Flöte Olivier Vivarès, Klarinette Peter Böhm & Markus Urban, Klangregie Dirigent: Peter Eötvös — 6. August 2016 Salzburg, Kollegienkirche Salzburger Festspiele Salzburg Contemporary/ Friedrich Cerha und György Kurtág Friedrich Cerha — Bruchstück, geträumt — Les Adieux Anton Webern — Sechs Stücke op. 6 György Kurtág — Die Botschaften des verstorbenen Fräulein R. V. Trussowa, op. 17 Natalia Zagorinskaya, Sopran Dirigent: Sylvain Cambreling — 17 8. August 2016 Salzburg, Universität Mozarteum Internationale Sommerakademie 24. September 2016 Schwaz, SZentrum Klangspuren Portrait Friedrich Cerha Klangspuren Finale Friedrich Cerha — Deux éclats en réflexion — 2. Streichquartett — 9 Bagatellen — 3 Stücke — 8 Sätze nach Hölderlin-Fragmenten — Johannes Kalitzke — Angels Burnout Graffiti Bernhard Gander — Take nine Ondřej Adámek — Ça tourne ça bloque Eva Reiter — Alle Verbindungen gelten nur jetzt 5. September 2016 Wien, d51 Klangforum PLUS NACHBARN Auf der Suche nach Begegnungen mit der lokalen Bevölkerung wurde das Ensemble in seiner unmittelbaren Nachbarschaft fündig: Nur wenige Meter von seinem Proberaum entfernt, befindet sich die Volksschule Am Hundsturm, mit der eine langfristige Partnerschaft vereinbart werden konnte. www.klangforum.at/nachbarn www.klangforum.at/nachbarn-en — Peter Böhm & Florian Bogner, Klangregie Dirigent: Johannes Kalitzke — 30. September 2016 Wien, d51 Saisoneröffnung Hausfest Eva Reiter — In groben Zügen Benjamin Scheuer — Nouveaux Agréments UA Ernst Krenek — Pentagramm op. 163 — Symphonische Musik op. 11 (2. Satz) Erich Zeisl — aus: November. Sechs Orchesterskizzen op. 22 (2. Souvenir, 3. Ein Regentag) Simone Movio — Incanto VII UA Enno Poppe — Haare 14. September 2016 Florenz, Tepidarium del Roster Firenze Suona Contemporanea Fallen Falls John Dowland — Lachrimae tristes Annette Bik, Violine Sophie Schafleitner, Violine Dirigent: Leonhard Garms Beat Furrer — intorno al bianco UA Erwin Wurm/ Andrea Cavallari — Fallen Falls (video-concert) UA Gérard Grisey — Vortex temporum Details siehe S. 34 Giulia Peri, Sopran Bernhard Zachhuber, Klarinette Florian Müller, Klavier Michele Greco, Ton- und Videotechnik 7. Oktober 2016 Graz, Helmut-List-Halle Musikprotokoll Details siehe S. 32/33 — — Verbinden & Abwenden Zeynep Gedizlioğlu — Verbinden & Abwenden UA — Jetzt mit meiner linken Hand EA Vito Žuraj — Quiet, please EA — Changeover EA — Runaround EA RSO Wien Klangforum Wien Anders Nyqvist, Aleš Klančar, Trompete Christoph Walder, Horn Andreas Eberle, Posaune Dirigent: Johannes Kalitzke Details siehe S. 34 — 18 Agenda, Details 15. Oktober 2016 Donaueschingen, Donauhallen Donaueschinger Musiktage An Evening of Real Class Struggle Michael Wertmüller — discorde UA Bernhard Gander — Cold Cadaver With Thirteen Scary Scars UA Rebecca Saunders — Skin UA Steamboat Switzerland Klangforum Wien Juliet Fraser, Sopran Dirigent: Titus Engel Dabei leitet uns das Interesse, einerseits tiefer in den jeweiligen individuellen Klangkosmos einer Komponistin/ eines Komponisten vorzudringen, andererseits kennenzulernen, wie andere Menschen Musik hören. Was und worauf hören sie? Was ist ihnen wichtig, und warum? Welche Rolle spielen Gefühl, Sinnlichkeit, Verstehen, kurz: In welchen Kategorien bewegt sich ihr Zuhören? Fremden Höreinstellungen zu begegnen, eröffnet stets die Möglichkeit, sich aus vertrauten Hörmustern hinauszubewegen und die Welt der eigenen Wahrnehmung zu erweitern. Ein Schritt ins Unbekannte. (Björn Wilker) Weitere Termine: 28. Oktober, 12. November, 14. Dezember 2016 und 21. Februar, 21. März, 20. April, 19. Juni 2017 Details siehe S. 35 — www.klangforum.at/fremdeohren www.klangforum.at/fremdeohren-en — 23. Oktober 2016 Tallinn, RO Estonia kammersaal AFEKT Festival domkrat polej i pustot 28. Oktober 2016 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! Oxana Omelchuk — domkrat polej i pustot UA Tatjana Kozlova-Johannes — Disintegration chain Beat Furrer — intorno al bianco musique savante und musique sauvage Monika Mattiesen, Flöte Bernhard Zachhuber, Klarinette Florian Zwissler, EMS Synthesizer VCS3 Video: Julie Pfleiderer Dirigent: Clark Rundell Michael Wertmüller — discorde EA Bernhard Gander — Cold Cadaver With Thirteen Scary Scars EA — Steamboat Switzerland Klangforum Wien Dirigent: Titus Engel — 28. Oktober 2016 Wien, Wiener Konzerthaus Klangforum PLUS 30. Oktober-1. November 2016 Wien, Dschungel netzzeit/ Wien Modern Fremde Ohren oder: Wie Musiker das hören das kleine ICH BIN ICH Details siehe S. 36 Mitglieder des Klangforum Wien stellen unmittelbar vor den Zykluskonzerten auf unorthodoxe Weise ihren sehr persönlichen Zugang zur Musik des jeweiligen Abends vor. Auf eine fassbare, sinnliche Erfahrung abzielend, zeigen wir, was uns begeistert. Nicht, dass Neue Musik erklärt werden müsste. Nein. Muss sie nicht. Und doch lässt sich im persönlichen Kontakt mit den Künst lerInnen, im Gespräch mit den KomponistInnen, dem Amalgam aus Person und Werk näher kommen. Wir haben das Glück, dass die meisten KomponistInnen, deren Musik wir spielen, noch sehr lebendig sind und uns diese Möglichkeit bieten. Georg Friedrich Haas — das kleine ICH BIN ICH UA der szenischen Fassung Peter Gruber, Erzähler (Deutsch) Massud Rahnama, Erzähler (Farsi und Arabisch) Das kleine Ich bin ich: Franziska Adensamer Inszenierung: Michael Scheidl Ausstattung: Nora Scheidl Visuals: Lilija Tchourlina Dirigent: Bas Wiegers Details siehe S. 32 — 19 31. Oktober 2016 Wien, Wiener Konzerthaus Internationale Musikbrücke 12. November 2016 Wien, Wiener Konzerthaus Wien Modern/ science? fiction! Der Klang nach Seide Dämonen Manuela Kerer — oscillare UA Sehyung Kim — Sijo_310516 UA Richard Dünser — der zeiten spindel I UA Christoph Renhart — miroirs noirs UA Xu Shuya — Neues Werk UA Ye Guohui — Neues Werk UA Beat Furrer — Aer Hyena UA Text: Mollena Lee Williams-Haas Musik: Georg Friedrich Haas Georg Friedrich Haas — 9. Streichquartett UA Dirigent: Clement Power Mollena Lee Williams-Haas, Solistin JACK Quartet Klangforum Wien Dirigent: Bas Wiegers Details siehe S. 36/37 Details siehe S. 38/39 — — 8. November 2016 Wien, Wiener Konzerthaus Wien Modern 19. November 2016 Huddersfield, St. Paul’s Hall Huddersfield Contemporary Music Festival Pulse Shadows Hyena Harrison Birtwistle — Pulse Shadows — Stringquartet 1 — The Silk House Sequences EA Hyena Text: Mollena Lee Williams-Haas Musik: Georg Friedrich Haas Claron McFadden, Sopran Arditti Quartet Klangforum Wien Dirigent: Bas Wiegers — Mollena Lee Williams-Haas, Solistin Dirigent: Bas Wiegers — 9. November 2016 Wien, Wiener Konzerthaus Wien Modern Noch sind wir ein Wort ... Eva Reiter — Noch sind wir ein Wort... UA — In groben Zügen — Alle Verbindungen gelten nur jetzt Sofia Gubaidulina — Quattro Friedrich Cerha — Relazioni fragili John Cage — One3 = 4‘33“ (0‘0“) + [G clef] Ursula Langmayr, Sopran Johanna von der Deken, Mezzosopran Eva Reiter, Kontrabassblockflöte, Performance Florian Müller, Cembalo Uli Fussenegger, Kontrabass Peter Böhm & Florian Bogner, Klangregie Dirigent: Bas Wiegers Details siehe S. 37 — 20 Agenda, Details 20. November 2016 Huddersfield, St. Paul’s Hall Huddersfield Contemporary Music Festival Skin Rebecca Saunders — Skin Eva Reiter — Noch sind wir ein Wort... Beat Furrer — intorno al bianco Reinhard Fuchs — MANIA Juliet Fraser, Sopran Eva Reiter, Kontrabassblockflöte Bernhard Zachhuber, Klarinette Uli Fussenegger, Kontrabass Peter Böhm & Florian Bogner, Klangregie Dirigent: Bas Wiegers — 27.-29. November 2016 Wien, Semperdepot Universität Wien, Institut für Philosophie/ Wien Modern 4. Dezember 2016 Salzburg, Universität Mozarteum Internationale Sommerakademie Wort. Ton. Gestalt Portrait Friedrich Cerha Hans Zender — Ein Wandersmann... zornig... (Hölderlin lesen V) — Denn wiederkommen (Hölderlin lesen III) — LO-SHU I — FŪRIN NO KYŌ — 4 Enso (LO-SHU VII) EA Friedrich Cerha — 8 Sätze nach Hölderlin-Fragmenten Giacinto Scelsi — Anahit Klaus Huber — Ein Hauch von Unzeit VII Friedrich Cerha — Deux éclats en réflexion — 2. Streichquartett — Liederzyklus nach Texten von Ilija Jovanovic — 3 Stücke für Violoncello und Klavier — 8 Sätze nach Hölderlin-Fragmenten Salome Kammer, Stimme Claron McFadden, Sopran Olivier Vivarès, Klarinette Gunde Jäch-Micko, Violine Uli Fussenegger, Kontrabass Krassimir Sterev, Akkordeon Dirigent: Emilio Pomàrico 14. Dezember 2016 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! Mit Beiträgen von Martin Vöhler (Thessaloniki), Roland Reuss (Heidelberg), Helmut Jakob Deibl (Wien), Violetta L. Waibel (Wien), Jörn-Peter Hiekel (Dresden), Jörg Quenzer (Hamburg), Georg Stenger (Wien) u.a. Wort. Ton. Gestalt Hölderlin Lesen, Ikkyu Sojun Hören, Musik Denken Zum 80. Geburtstag von Hans Zender In einem dreitägigen Konzertsymposion präsentiert das Klangforum Wien in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Wien Hans Zender als Schöpfer eines vielfältigen musikalischen Werks und als einen der wichtigsten Musikdenker unserer Zeit. In zehn thematisch auf Kompositionen Hans Zenders bezogenen Vorträgen werden sich PhilosophInnen, MusikwissenschaftlerInnen, SprachwissenschaftlerInnen und TheologInnen mit zwei wesentlichen Bereichen seines Schaffens auseinandersetzen: seiner Befassung mit der Dichtung Hölderlins und seinem Studium japanischer Literatur und asiatischen Denkens. Die Gespräche, für die im Verlauf des Symposions breiter Raum vorgesehen ist, sollen auf diese Art wesentlich musikalisch inspiriert und auf das dritte Thema des Projekts fokussiert sein: Musik Denken. Mit der breiten Anlage des Gesamtprojektes und der intensiven, durch Teilnahme an Proben und Konzerten gedoppelten Begegnung mit der Musik des Komponisten im Rahmen eines mehrtägigen Zusammenseins wird den Erfordernissen von Zenders Musik und den Ansprüchen seines literarischen Schaffens in einer Weise entsprochen, wie das im gewöhnlichen Konzertleben nicht möglich ist. Die dringend notwendige Auseinandersetzung mit Sinn, Bedeutung und Bedingungen des Musikhörens unter seit der Erfindung des Konzertsaals radikal gewandelten gesellschaftlichen Voraussetzungen, ist ein wesentliches Anliegen des Konzertsymposions. — 21 Wolfgang Holzmair, Bariton — Jenseits Fausto Romitelli — Your time is over EA Clara Iannotta — Intent on Resurrection – Spring or Some Such Thing EA Gérard Grisey — Quatre chants pour franchir le seuil Claron McFadden, Sopran Benedikt Leitner, Violoncello Dirigent: Sylvain Cambreling — 12. Januar 2017 Athen, Auditorium Aristotle Onassis Onassis Cultural Centre Ebe und anders Alberto Posadas — Tratado de lo inasible Beat Furrer — linea dell’orizzonte Michalis Lapidakis — Howl Pierluigi Billone — Ebe und anders Anders Nyqvist, Trompete Gerald Preinfalk, Saxophon Kevin Fairbairn, Posaune Yaron Deutsch, E-Gitarre Krassimir Sterev, Akkordeon Dirigent: Bas Wiegers — Festliche Tage Alter Musik Wie sind wir eigentlich dahin gekommen, wo wir jetzt stehen? Von welchem Ort sind wir aufgebrochen, in welche Richtung, mit welcher Hoffnung und mit welchem Ziel? Und was war es gleich noch, das wir an diesem Ziel finden zu können meinten? Die „Festlichen Tage Alter Musik“ verhandeln diese Fragen in den fünf Konzerten des kleinen, feinen Festivals, das 2017 zwischen 19. Jänner und 2. Februar stattfinden wird. Ein verstehendes und erfüllendes Hören der vielfältigen Musiken, welche die aktuelle Kunstmusik Europas und der Welt ausmachen, ist ohne eine eingehende Überlegung dieser Themen nur schwer vorstellbar. Die „Festlichen Tage“ bieten die ebenso sinnlichen wie freudvollen praktischen Übungen zu den hier vorgeschlagenen theoretischen Reflexionen. Es ist ein immer wieder gleichermaßen überraschendes und erhellendes Erlebnis zu bemerken, wie zugänglich, bis zum Lukullischen kulinarisch und bis zum Romantischen melodisch jene Musik in unseren Ohren klingt, die noch unseren Großvätern als mutwilliger, antimusikalischer Lärm erschien und als solcher in vorderster Linie gerade von den beamteten Musikauguren ihrer Entstehungszeit verdammt wurde. Dass sich daran in den vergangenen hundert Jahren nichts geändert hat, wird durch die im vergangenen Juli in einem österreichischen Intelligenzblatt erschienene kuriose Einlassung eines der meistgelesenen und -gehörten Musikkritiker des Landes deutlich, derzufolge es sich mit Uraufführungen immer ein wenig so wie mit der zivilisatorischen Verpflichtung zu Besuchen beim Zahnarzt verhalte. Die „Festlichen Tage Alter Musik 2017“ schließen eine Lücke im gängigen Repertoire und bieten die Begegnung mit dreiundzwanzig klingenden Pretiosen, die auch sehr kenntnisreichen Musikfreunden nicht vertraut sein werden. Im Jahr 2012 hat Friedrich Cerha angemerkt, dass es weder die Avantgarde noch die klassische Moderne seien, denen im aktuellen Musikleben nicht adäquater Raum gegeben werde. Vielmehr sei es das Fehlen der Meisterwerke 22 Festliche Tage Alter Musik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf den Spielplänen der Konzerthäuser und in den Repertoires von Orchestern und Ensembles, das nicht nur in Hinblick auf die Bedeutung dieser verschwundenen Werke selbst, sondern vor allem auch für das Verständnis und die Rezeption des aktuellen Musikschaffens ein gar nicht zu überschätzendes Problem darstelle. Für die große Musik dieser Zeit gebe es weder adäquate Aufmerksamkeit seitens der Musikinstitutionen noch entsprechendes Engagement bei öffentlichen und privaten Fördereinrichtungen. Tatsächlich entspricht die Hörsituation, in der das Publikum heute auf zeitgenössische Musik trifft, jener eines Musikfreundes, dessen letzte konsolidierte Hörerfahrung die Musik der Zauberflöte ist, und der übergangslos mit Wagners Tristan konfrontiert wird. Die 70 Jahre Musikentwicklung und -geschichte, die dazwischen fehlen, werden ihn kaum mehr erleben lassen als unverständlichen, mutwilligen Lärm. Als musikalische Brücke ins Heute zeichnen die Konzertprogramme, Textdokumente, Konzertgespräche und neuen literarischen Annäherungen des Festivals den Kampf der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts gegen die beharrenden Kräfte. Ebenso zeigen sie das Ringen der konservativen Komponisten dieser Umbruchszeit um einen eigenen Weg, der ein neues Schaffen innerhalb des alten Regelwerks ermöglichen und zugleich der Gefahr flachen Epigonentums entgehen sollte. Einen Abend seines Musikfests widmet das Klangforum Wien, gemeinsam mit dem Forum Voix Étouffées, jenen Komponisten, deren Werk von den verschiedenen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts unterdrückt worden ist. Auf dem Programm dieses Konzerts stehen Werke von Autoren, die wesentlich zur Formung unseres Begriffs von Moderne beigetragen haben. Forum Voix Étouffées Wer erinnert sich heute an Viktor Ullmann, Karol Rathaus oder Franz Schreker? Wem sagen die Namen Wilhelm Grosz, Alfred Tokayer, Stefan Wolpe, Eric Zeisl oder Aldo Finzi noch etwas? Einige dieser Komponisten spielten vor der Machtergreifung der Nazis eine bedeutende Rolle in der europäischen Musiklandschaft und haben Werke hinterlassen, die zu den wichtigsten des weltweiten Musikkulturerbes zählen. Andere, die noch am Anfang ihrer Karriere standen, haben die Blüte ihres vielversprechenden Talents nie erlebt. Unter den Opfern des Dritten Reichs nehmen diese „erstickten Stimmen“ einen besonderen Platz ein. Als Vertreter verschiedenster Musikströmungen und mehrheitlich jüdischer Abstammung wurden sie aufgrund ihrer angeblich „entarteten“ Musik zur Flucht ins Exil gezwungen oder verschleppt und ermordet. Nicht irgendein diffuses Recht auf Gedächtnis ist der Grund, weshalb das Werk dieser Komponisten Gehör finden soll, sondern die Bedeutung ihres musikalischen Schaffens und auch das Versprechen der Erneuerung, das ihre Kompositionen für die moderne kulturelle Welt darstellen. Ihre Musik wurde in einer Periode der wirtschaftlichen und geistigen Not geschaffen, die unserer aktuellen Situation in vielem frappant ähnlich ist. Sie erklingt als Erinnerung, als Mahnung, aber vor allen Dingen als Ermutigung zur Utopie. Das ist es, was Musik kann, auch und vor allem in Zeiten großer Ratlosigkeit. — 19. Januar 2017 Wien, Wiener Konzerthaus Festliche Tage Alter Musik 1. Februar 2017 Wien, Wiener Konzerthaus Festliche Tage Alter Musik 2. Februar 2017 Wien, Wiener Konzerthaus Festliche Tage Alter Musik Endzeit Très Belle Époque Spuren nach Darmstadt Alexander Skrjabin — Vers la flamme. Poème op. 72 Jean Sibelius — Canzonetta op. 62a Karol Szymanowski — Slopiewnie. Fünf Gesänge für Sopran und Orchester op. 46b Franz Schreker — Kammersymphonie Alban Berg/ Richard Dünser — Sonate op. 1 André Caplet — Légende Maurice Ravel — Introduction et Allegro Jean Francaix — Quintett für Flöte, Harfe und Streichtrio Lili Boulanger — aus: Trois Morceaux pour Piano (1. D’un Vieux Jardin, 2. D’un Jardin Clair) Germaine Tailleferre — aus: Le petit livre de harpe de Madame Tardieu (Nr. 3, 6, 9, 11, 12, 18) Adolph Weiss — Kammersymphonie Luigi Dallapiccola — Due Liriche di Anacreonte Anton Webern — Konzert op. 24 Olivier Messiaen — Mode de valeurs et d’intensités Henri Pousseur — Quintett a la memoire d’Anton Webern Luigi Nono — Canti per 13 Agata Zubel, Sopran Dirigent: Stefan Asbury — 22. Januar 2017 Wien, Arnold Schönberg Center Festliche Tage Alter Musik Auf verwachsenem Pfade Leoš Janáček — Auf verwachsenem Pfade Alois Hába — Fantasie für Nonett op. 40 Joonas Ahonen, Klavier Florian Müller, Harmonium Texte: Ferdinand Schmatz — 27. Januar 2017 Wien, Wien Museum Festliche Tage Alter Musik Voix Étouffées Ernst Krenek — Symphonische Musik op. 11 (Adagio) Wilhelm Grosz — Lieder an die Geliebte op. 18 Eric Zeisl — aus: November. Sechs Orchesterskizzen op. 22 (2. Souvenir, 3. Ein Regentag) Ernst Krenek — Pentagramm op. 163 Wilhelm Grosz — Along the Santa Fe Trail Sarah Wegener, Sopran Agnes Heginger, Sopran Texte: Matti Bunzl — Virginie Tarrête, Harfe Texte: Ferdinand Schmatz — Giulia Peri, Sopran Florian Müller, Klavier Dirigentin: Catherine Larsen-Maguire — 10. Februar 2017 Graz, Helmut-List-Halle Impuls 6. April 2017 Graz, MUMUTH Klangforum PLUS/ PPCM Neue Werke SCAN III – Beat Furrer Adam McCartney — A way after remains or reflections UA Michail Paraskakis — kama UA Diana Soh — iota UA Lorenzo Troiani — We are destroyed UA Carolyn Chen — We were dead and we could breathe. UA Ein Projekt im Rahmen des PPCM-Studiums an der Kunstuniversität Graz, in Kooperation mit dem Institut für Chormusik Dirigent: Enno Poppe Einstudierung: Uli Fussenegger und Dimitrios Polisoidis Dirigent: Beat Furrer — Details siehe S. 40/41 impuls academy | competition | festival — 21. Februar 2017 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! Hinter den Spiegeln Pierluigi Billone — AN NA Alberto Posadas — Anamorfosis Mauricio Kagel — In der Matratzengruft EA Markus Brutscher, Tenor Peter Böhm & Florian Bogner, Klangregie Dirigent: Emilio Pomàrico — 21. März 2017 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! künstlich intelligent Iannis Xenakis — Phlegra Rebecca Saunders — Skin EA Enno Poppe — Koffer Juliet Fraser, Sopran Dirigent: Baldur Brönnimann — 24 Agenda, Details 20. April 2017 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! Déjà-vu Dieter Ammann — Le réseau des reprises EA Ondřej Adámek — Ça tourne ça bloque Bernhard Lang/ Klangforum Wien — SCAN UA Peter Böhm & Florian Bogner, Klangregie Dirigent: Bas Wiegers SCAN ist ein interaktives Kompositions- und Improvisationsprojekt, das integrativ MusikerInnen in einen neuen Modus des musikalischen Gestaltens und Interagierens einbindet und sie ihre Rolle des Performers/der Performerin neu interpretieren lässt. Ausgehend von zwei Werken Bernhard Langs, die im Verlauf der Performance auch in ihrer originalen Gestalt erklingen, werden horizontale und vertikale Schichten der beiden Werke isoliert, uminstrumentiert, musikalisch neu gedeutet. Aus und mit diesem neu gewonnenen Material wird rekomponiert, improvisiert, elektronisch sowie akustisch. – Eine Rekontextualisierung musikalischer Prozesse, die in der Erarbeitungsphase teilweise determiniert, teilweise bewusst offen gelassen wird, womit ein Komplexitätsgrad an „Durchleuchtung des Materials“ erreicht werden kann, der mit traditionellen Herangehensweisen undenkbar wäre. (Uli Fussenegger) — Aus Europas Osten. Lothar Knessls „Wunschkonzert“ zum (nach dem) Neunziger Unüblich: Das Ensemble verführt seinen Abonnenten in den Entscheidungsnotstand, sich selbst nach Gutdünken ein Konzertprogramm zu küren. Nach Gutdünken klingt verlockend, entfernt sich allerdings rapide von der Realität. Mannigfache Gründe: räumliche, ästhetische, ökonomische… Man kann nicht von allem haben, sagte weise schon die Großmutter. Das Rad der Überlegungen beginnt, sich hin und her zu drehen. Genauer: Es wälzen sich die Überlegungen, werden gewälzt. Man ist kein Fan, nicht begeistert auf einen oder wenige Protegés fokussiert. Wäre Scheuklappenmentalität. – Womöglich doch auch Fan? Allenfalls von Gesualdo. So richtet 25 man keinen Schaden an, lieber, aus Überzeugung, das breite Spektrum, von Josquin bis in die jüngste Gegenwart. Sie beträfe die etwa Dreißigjährigen. Diesfalls ist die weitgefasste Gegenwart erwünscht. Indes geziemt dem Ältestabonnenten die nicht glorifizierende Rückbesinnung auf die mehr oder weniger nahe Vergangenheit. Zudem obliegt ihm die durch radikale Reduktion Schmerz provozierende Selektion auf vier bis sechs Stücke, tunlichst selten gespielte, zu Unrecht übergangene oder gar trendbedingt „vergessene“. Wie soll, wie kann das gut gehen? Bliebe er suchend und wägend im Lande, regnete es rundum Kränkungen. Das mag er nun gar nicht. Beschränkte er sich auf nur ein Nachbarland, erhöbe sich ungehalten die Frage, warum nur dieses? Andererseits, ein – wenn auch qualifiziertes – Medley: wo bliebe da die „Programmidee“? Hoffnung einschalten. – Sonnenaufgang. – Blick nach Osten. – Wiens Anrainerposition. – Schon Heine, westlich orientiert, war europamüde. – Auffrischung aus Europas Osten. – Ist der Abonnent nicht letztlich gar ein Osteuropa- oder Donauraumfan? Verdacht keimt hoch. (Lothar Knessl) 23. April 2017 Wien Wiener Konzerthaus Für Lothar Knessl György Ligeti — Zehn Stücke für Bläserquintett György Kurtág — 12 Mikroludien op. 13 (Hommage à Mihály András) — 4 Lieder auf Gedichte von János Pilinszky op. 11 Adriana Hölszky — Segmente I EA Henryk Górecki — Musiquette 4, op. 28 Galina Ustwolskaja — Komposition Nr. 1 (Dona nobis pacem) — Bernhard Lang — ParZeFool – Der Tumbe Thor „Die Auseinandersetzung eines Künstlers mit einem künst lerischen Zeugnis der Vergangenheit wie etwa dem Werk eines großen Dichters, wird auf eine ganz andere Weise vor sich gehen als die eines Philosophen oder Literaturwissenschaftlers. [...] Der dichterische Text wird für den Künstler zum Material, zu einem Fundus von Zeichen, die er mit den Zeichen seiner eigenen Sprache in eine Verbindung bringen muss. Wie das aber mit jedem Material so ist: je tiefer man darauf eingeht, umso mehr stellt man nicht nur fest, dass es einen Eigenanspruch entwickelt, sondern dass es letztlich zum heute lebenden Künstler sagt: Du denkst, dass ich dein Material bin, aber in Wirklichkeit bist du ebenso mein Material: ich bin es, das sich durch dich neu realisieren will. Und so entsteht ein nie endender Verwandlungsprozess paradoxen Charakters. Dieser wird zu einem Resultat führen, dessen Autorschaft nicht eindeutig zu bestimmen ist. Betrachtet man eine solche Prozedur als Paradigma, so wird man sogar sagen müssen, dass hier, ganz anders und viel tiefer als in der methodischen Arbeit des Wissenschaftlers, das Wesen der Lektüre von Texten, ja das Wesen kultureller Traditionsbildung überhaupt zum Ausdruck kommt. Erinnerung ist immer auch Verwandlung des Erinnerten, und oft auch eine Weiterführung oder Erhellung mancher verborgener in ihm enthaltener widersprüchlicher Tendenzen. Mit anderen Worten: kulturelles Gedächtnis kann gar nichts anderes sein als Neuinterpretation von Geschichte.“ (Hans Zender, Ausgehend von Hölderlin ..., in: Waches Hören, München 2014) 26 ParZeFool – Der Tumbe Thor Der Parsifal ist heute, einhundertfünfunddreißig Jahre nach seiner Uraufführung im Festspielhaus von Bayreuth, vor allen Dingen eines: eine enorme, ungeheuere Textmasse. Das war er schon 1882, und von Anfang an konnte nur eine sehr naive und am Gesamtwerk und seinem Gehalt in Wahrheit desinteressierte Lesart dieser gewaltigen Partitur sich mit der möglichst schlichten Bühnendarstellung von Dichtung und Notentext begnügen. Diese waren schon damals nicht mehr als ein – freilich enormes – Vorgebirge, dessen gewaltige Ausmaße wohl geeignet sind, den Blick auf das Massiv der hinter ihnen sich erhebenden philosophischen, psychologischen, religiösen, mythologischen, sprachmystischen, sexualmagischen und anderer Subtexte zu verstellen, welche die eigentliche Erzählung des von Richard Wagner in durchaus irreführender Weise zum „Bühnenweihfestspiel“ verharmlosten skandalösen Werkes ausmachen. Verwandlung dieses Erinnerten, Weiterführung, Erhellung verborgener und vielleicht auch widersprüchlicher Tendenzen, kurz: die Interpretation des Werkes, die uns nicht nur erlaubt, sondern die von uns gefordert ist, wenn unser Erleben des Parsifal anderes und mehr sein soll als eine jährliche Andachtsübung für Opernfreunde, kann nicht bei der nur oberflächlich und scheinbar werkgetreuen Wiedergabe einer im späten 19. Jahrhundert versteinerten Partitur haltmachen. Sie muß ganz im Gegenteil am Werk selbst ansetzen. Das muß sie schon deshalb, weil diese Gesamtheit aus literarischem Text, Komposition und den in beiden verdichteten Subtexten kein abgeschlossenes, abgetanes und also totes Schrifttum ist. Der Parsifal hat, wie jedes bedeutende Kunstwerk, nicht aufgehört zu wachsen, sich zu verändern und kurzum: zu leben. Als kleiner Hinweis zum Beleg dieser Feststellung mag an diesem Ort die Erinnerung an die Tatsache genügen, daß Sigmund Freud 1882, im Jahr der Uraufführung des Parsifal, seine erste Stelle im Wiener Allgemeinen Krankenhaus antrat, und daß die Publikation seiner Traumlehre und seiner drei Abhandlungen zur Sexualtheorie erst rund zwanzig Jahre nach Richard Wagners Tod erfolgte. Natürlich ist es möglich, vor diesen und anderen Erkenntnissen, Einsichten, Entwicklungen und Reflexionen der vergangenen einhundertfünfunddreißig Jahre, die auf die Art und Weise, in der ein Mensch des frühen 21. Jahrhunderts den Parsifal erlebt, unmöglich ohne Einfluß geblieben sein können, Augen, Ohren, Herz und Sinne zu verschließen und Dichtung und Komposition mit dem Kinderglauben eines Sechsjährigen zu hören, dem sich das Werk übrigens – auf seiner Entwicklungsstufe – als ein naives, berührendes Erlösungsmärchen vollkommen erschließen wird. Eine ernsthafte, erwachsene Auseinandersetzung muß allerdings erheblich tiefer ansetzen, nämlich im Idealfall an der Musik und am Text selbst, an ihren historischen und an ihren aktuellen Subtexten. Wo beginnen? ist für ein solches Unterfangen die erste und zentrale Frage. Bernhard Lang hat sich entschieden, die Aufgabe von der musikalischen Seite her in Angriff zu nehmen. Seine im Jahr 2007 begonnene und mittlerweile auf 32 Kompositionen angewachsene Monadologie-Serie, in der er sich mit literarischen oder musikalischen Vorlagen anderer Autoren auseinandersetzt, erscheint retrospektiv als die ideale Vorbereitung auf die Titanenaufgabe einer kompositorischen Interpretation des Parsifal. Die Monadologie XIII, uraufgeführt bei den vorletzten von Armin Köhler geleiteten Musiktagen in Donaueschingen im Oktober 2013, weist auf eine im Rückblick fast geheimnisvoll anmutende Art auf den Parsifal hin, einerseits durch ihre Bewältigung der Großform in einem monumentalen Werk für zwei Orchestergruppen im Vierteltonabstand mit einer Spieldauer von mehr als 70 Minuten, andererseits durch die Wahl von Anton Bruckners Symphonie Nr. 1 als Textvorlage. Für seine Neukomposition hat sich Bernhard Lang für die Erhaltung der Gesangslinien und der auf einem vierstimmigen Satz basierenden harmonischen Struktur der Parsifal-Komposition entschieden. Das schon in Wagners Musik deutlich erkennbare spektrale Denken wird in der kompositorischen Interpretation durch die Erweiterung des harmonischen Konzepts deutlicher erfahrbar gemacht. Dies geschieht durch die in unterschiedlicher, changierender Intensität hörbar werdende Notation der jeweils sechs Differenz- und Summationstöne der Grundstruktur. Erhalten sind auch die Großstruktur des Werks, seine Zeitgestalt und seine dramaturgischen Proportionen. 27 Für die Neulektüre des Textes hat Bernhard Lang die Technik der eidetischen Reduktion gewählt. Dieser Filterprozeß, der die in den historischen, neuen und neuesten Subtexten zu Wagners Dichtung zu suchende Kernaussage freilegt und deutlich macht, führt zu einer Verknappung des Textes auf Schlüsselsätze und zentrale Begriffe. Das fallweise Aufleuchten von Fremd artigem in Sprache und Musik der Neudichtung hat unterschiedliche Funktionen: das andersartige, kühlere Pathos des Englischen ist dem Amfortas zugewiesen, das Altgriechische charakterisiert die antikische Funktion des Chors, das Französische für die Blumenmädchen ist auch eine kleine Hommage an Judith Gautier, Jazz-Elemente evozieren das Magische, BedrohlichAndere, Erotische von Klingsors Welt. Wenn der Einsatz dieser Farben im Wesentlichen ein dramaturgischer Kunstgriff ist, haben die wenigen, beinahe unauffälligen Eingriffe in den Text entschieden größere inhaltliche Sprengkraft. Auch dort, wo sie die Aussage des Originals in ihr Gegenteil zu verkehren scheinen, akzentuieren sie tatsächlich nur eine Tendenz, die in Wahrheit schon in der Vorlage angelegt ist. Wenn etwa Amfortas auf die Frage des Toren nach dem Wesen des Grals nicht geheimnisvoll-raunend auf ein unaussprechliches Geheimnis verweist („Das sagt sich nicht“), sondern ihm unmißverständlich die Preisgabe eines ihm selbst sehr wohl zugänglichen Geheimwissens („Das sage ich nicht“) verweigert, ist das keine grundsätzlich neue Facette der Bruderschaft und ihres Meisters, es setzt nur einen Aspekt des militanten Männerordens, der ein geheimnisvolles Heiligtum hütet, in ein helleres Licht. Auch an einer Schlüsselstelle des zweiten Aktes greift Bernhard Lang in die Textvorlage ein. Das große gnostische Versprechen Kundrys: Bekenntnis wird Schuld in Reue enden, Erkenntnis in Sinn die Torheit wenden ... wird psychoanalytisch neu formuliert: – „Bekenntnis wird dich vom Schuldgefühl erlösen, Erkenntnis wird Sinn in Narrheit finden ...“ – und bereitet so das Finale des Akts vor, in dem nicht nur Parsifal ihr, sondern auch sie ihm in einem nunmehr gemeinsam gesungenen: „Du weißt, wo Du mich wiederfinden kannst!“ Erkenntnis und Erlösung verspricht. Dieser nicht nur in Hinblick auf die Geschlechterrollen sondern in einem umfassenden Sinn emanzipatorische Ansatz von Bernhard Langs Neulektüre wird im letzten Akt konsequent weiterverfolgt, wenn es nicht Gurnemanz ist, sondern Kundry, von der Parsifal die Salbung seines Hauptes verlangt, „que maintenant, ma bien aimée me purifie la tête“, die beide einander schließlich gegenseitig gewähren: „Sois béni, Folle/Fou, par la Drogue pure“, und die in einer kleinen Verschiebung im Schlußgebet gipfelt, mit dem das Werk endet: „Erlösung von Erlösern!“ Mit seiner Neukomposition des Parsifal hat Bernhard Lang nun seinerseits ein Werk geschaffen, das selbst wieder der Lektüre, der Deutung, dem lebendigen Weiterdenken unterliegt. Jonathan Meese wird das mit den Mitteln seiner Kunst tun, zum ersten Mal für die Uraufführung im Juni 2017 bei den Wiener Festwochen, in deren Auftrag diese Auseinandersetzung mit Richard Wagners letzter Oper entstanden ist. sh www.klangforum.at/parzefool-en — 4., 6. und 8. Juni 2017 Wien, Theater an der Wien Wiener Festwochen ParZeFool/ MONDPARSIFAL ALPHA 1-8 Bernhard Lang — ParZeFool – Der Tumbe Thor UA Jonathan Meese — MONDPARSIFAL ALPHA 1-8 (ERZMUTTERZ DER ABWEHRZ) UA Dirigentin: Simone Young — 28 ParZeFool – Der Tumbe Thor 15., 16. und 18. Oktober 2017 Berlin, Haus der Berliner Festspiele Berliner Festspiele ParZeFool/ Mondparsifal Beta 8-13 Bernhard Lang — ParZeFool – Der Tumbe Thor Jonathan Meese — MONDPARSIFAL BETA 8-13 (VON EINEM, DER AUSZOG DEN „WAGNERIANERN DES GRAUENS“ DAS „GEILSTGRUSELN“ ZU ERZLEHREN...) UA Dirigentin: Simone Young — 3. Mai 2017 Hamburg Elbphilharmonie 3.-19. Juli 2017 Aix-en-Provence, Grand Théâtre de Provence Festival d’Aix-en-Provence Speicher Pinocchio Enno Poppe — Speicher I-VI Philippe Boesmans — Pinocchio UA Dirigent: Enno Poppe — Libretto und Regie: Joël Pommerat 19. Juni 2017 Wien, Wiener Konzerthaus science? fiction! Der Mensch muss weg Pierre Boulez — ...explosante-fixe... — Répons Eva Furrer, Vera Fischer, Thomas Frey, Flöte Lukas Schiske, Xylophon Björn Wilker, Vibraphon Virginie Tarrête, Harfe Joonas Ahonen, Florian Müller, Klavier Jan Rokyta, Zymbal Peter Böhm, Florian Bogner, Gilbert Nouno, Klangregie Dirigent: Baldur Brönnimann — Pinocchio: Chloé Briot Mauvais élève entraineur, ami de Pinocchio: Julie Bouliane Directeur de petit cirque: Stéphane Degout Le Père: Vincent Le Texier Klangforum Wien Fabrizio Cassol, Saxophon Tcha Limberger, Violine Philippe Turiot, Akkordeon Dirigent: Emilio Pomàrico Die 1881 entstandene Geschichte des toskanischen Autors Carlo Collodi beschreibt die zahlreichen Abenteuer einer hölzernen Marionette, die stets nur nach Lust und Laune handelt. Nachdem er die Schule schwänzt, um zwei Schurken zu folgen, wird Pinocchio immer tiefer in die Welt der Spielzeugfiguren hineingezogen und übernimmt dort eine Reihe unterschiedlicher Rollen und Gestalten – wie die eines Esels, der zunächst im Zirkus auftritt und sich dann im Bauch eines Walfisches wiederfindet – bis zu jenem Tag, an dem sich die Puppe in einen verantwortungsbewussten kleinen Jungen verwandelt. Nach der Adaptierung seines Theaterstücks Grâce à mes yeux (Dank meiner Augen), aus der seine erste Opernarbeit entstand, die 2011 beim Festival von Aix uraufgeführt wurde, kehrt Joël Pommerat nun mit dieser neuen, von Philippe Boesmans vertonten Oper für ein Publikum aller Altersklassen auf die Bühne zurück. Pinocchio ist seine zweite Zusammenarbeit mit dem belgischen Komponisten – die erste Kooperation führte 2014 zur Entstehung der Oper Au Monde. Die Bühnenfassung ist an der Grenze zwischen Wunderland und Realität angesiedelt. Sie nähert sich der realen Welt aus der Sicht eines Baumstammes, der sich unter dem Hobel des Zimmermanns in ein Theater aus Brettern und Gerüsten verwandelt. Stéphane Degout tauscht sein Pelléas-Kostüm gegen das des Anführers jener Truppe, deren Hauptaufgabe es ist, die Geschichte zu erzählen, während Chloé Briot, die bereits mehrfach erfolgreich in Kinderrollen wie Yniold (2016) und der Titelpartie in L’Enfant et les sortilèges (2012) aufgetreten ist, die Partie der Puppe übernehmen wird. (Festival d‘Aix-en-Provence) www.klangforum.at/pinocchio-en — 29 Hanna Eimermacher — Musiktheater für 12 Musiker und 3 Sänger Seit vier Jahren arbeite und forsche ich an diesem Projekt. Ich möchte ein Musik theater kreieren, das von Anbeginn Klang, Bewegung, Bild, visuelle Strukturen und Raum vereint. Daher strukturiere und komponiere ich alle diese Ebenen gemeinsam und erforsche ihre Wechselwirkungen. Sobald ich einen Baustein verschiebe, ändert sich das Gesamtgefüge. Dieser kreative Erfahrungsprozess setzt bei mir, den MusikerInnen sowie den HörerInnen gleichermaßen neue Elemente frei und ermöglicht neue Perspektiven, die alle unsere Sinne aktivieren und schärfen. In den kommenden Monaten wird in gemeinsamen Workshop-Phasen mit den MusikerInnen des Klangforum und dem Bühnenbildner und Lichtdesigner Daniel Levy dieser Prozess in Gang gesetzt. MusikerInnen sind für mich „Instrument“ und „Verstärker“ zugleich. Sie verkörpern und schaffen eine Welt, die wir betreten können; eine Welt jenseits von Worten und Begriffen. Die Koordinaten unseres Körpers bilden Raumachsen und Raumunterteilungen. Durch die choreographierten Spielbewegungen der MusikerInnen verschieben und verformen sich diese Räume. Das Bühnenbild wird zur Verlängerung und Vergrößerung dieser Raum- und Hörachsen. Wie höre ich, wenn das Licht auf einen leeren Kubus scheint und aus dem dunklen Teil der Bühne – nicht sichtbar – ein Tutti-Ensembleklang erschallt? Licht zeigt uns üblicherweise an, worauf wir schauen sollen. Wenn nun diese Gewohnheiten verschoben werden, öffnen wir uns auf allen Ebenen, richten unsere Aufmerksamkeit von Baustein zu Baustein und erleben so neue Erkenntnisräume. Visuelle Wahrnehmungen unterstützen und beeinflussen demnach unser Hören. Unsere Hörempfindung verändert sich je nachdem, auf welches Bild und auf welche Bewegung der gehörte Klang trifft. Eine Farbfläche, die in einem bestimmten Kontext auftaucht, kann so zum Beispiel weiterklingen, ohne dass gespielt wird. Eine aufwärtsgehende Bewegung und ein abwärtsgehender Klang bilden einen neuen, andersartigen Raum – man muss einen völlig neuen Blick darauf werfen. Wenn ich diese Wechselwirkungen bei meiner Komposition bzw. Inszenierung in den Vordergrund stelle, werden ZuschauerInnen und MusikerInnen gleichermaßen involviert, haben die Möglichkeit einzutauchen, zu entdecken und werden jede/r für sich ein eigenes Erfahrungsspektrum ausbilden. Mir geht es darum, nicht nur Informationen weiterzugeben, sondern einen lebendigen und aktiven Erfahrungsraum zu schaffen. Denn es sind die scheinbar bekannten Dinge, die – neu zusammengesetzt – bei genauem Hinschauen andersartige, wundersame und magische Gebilde schaffen: Formen, die wir vorher nicht wahrgenommen, gesehen, gehört, durchdacht, erfahren haben. Diese Momente, Orte der Frische und Unmittelbarkeit, benötigen wir, um die Details in ihrem Fluss und ihrer Vereinigung lebendig wahrzunehmen – hier erst wird es spannend und magisch. An diese Orte möchte ich Sie mit meinem Musiktheater herzlich einladen. Erleben Sie eine Welt voller Entdeckungen! www.klangforum.at/eimermacher-en — 30 Immer gleich und immer anders. Zur Musik von Roman Haubenstock-Ramati Am schönsten sind die Rätsel, die verschiedene Lösungen zulassen, so der Künstler und unermüdlich nach Neuem Suchende, Roman Haubenstock-Ramati. Die Hauptaufgabe des Komponisten sah er im Erfinden neuartiger formaler Konzepte. Das warf nicht nur Fragen nach einer geeigneten Struktur sondern auch nach dem Auflösen tradierter Verhältnisse innerhalb eines künstlerischen Entstehungsprozesses und der Rezeption eines Musikwerks auf. Der Anstoß für seine „Mobiles“ kam von den Konstruktionen Alexander Calders: Es geht um Zusammenhänge, die sich nie wiederholen werden, eben um Vieldeutigkeit. Immer gleich und immer anders. Ich 31 nannte das die „Dynamisch geschlossene Form“. Je mehr Wiederholung, desto mehr Variation. Gleichzeitig sah diese „variable Musik“ eine offene Dramaturgie vor, indem der Komponist zwar klare Spielregeln vorgab, den Großteil der Autorenschaft allerdings auf die InterpretInnen übertrug. Das Spannungsverhältnis von Autonomie und Beschränkung versuchte Roman Haubenstock-Ramati über die Notation zu lösen. So entwickelte der begabte Grafiker und bildende Künstler mit einem außerordentlichen Gespür für instrumentale Farben eine Notationstechnik, die noch heute als bahnbrechend gilt. Durch die spezifische Kombination von exakten und assoziativen Notationselementen schaffte er eine substanziell neue Verknüpfung von Klang und Schriftbild. Ihn allerdings darauf zu reduzieren, wäre ein Fehler, konstatiert sein Schüler Beat Furrer in einem Gespräch mit Lothar Knessl: ...das war für ihn lediglich ein Weg auf der Suche nach neuen Formen, eine Entwicklungsstation, die er wieder verließ. [...] denn er hatte schließlich gefunden, worum es ihm vor allem ging: um die formale Beweglichkeit von Musik. Roman Haubenstock-Ramati war ein unaufdringlicher, liebenswerter und weltoffener Mensch. Seine visionären Ideen sorgten für eine Erweiterung und Neuordnung des Musikbegriffs. Hinterlassen hat er uns ein reiches, außerordentlich subtiles Werk von geheimnisvoller Poesie, dessen Rätsel zu lösen stets ein Spiel um höchste Einsätze bedeutet. CD Neuerscheinung Roman Haubenstock-Ramati KAIROS, 2016 Veröffentlicht in Zusammenarbeit mit dem Adam Mickiewicz Institute als Teil des Programms Polska Music. — Uraufführungen 2016/2017 Georg Friedrich Haas — das kleine Auch meine Musik versucht nicht, „kindlich“ zu sein. Ich nehme junge Menschen ernst. Ich spreche meine Sprache. Ich weiß, diese jungen Menschen sind wach genug, sie zu verstehen. ICH BIN ICH Den einzelnen Motiven des Textes sind jeweils bestimmte Instrumente zugeordnet: Mira Lobes Das kleine Ich bin ich ist ein großes Kunstwerk. Nicht nur der Inhalt ist genial – in seiner Einfachheit, in seiner Klarheit, mit seinem moralischen Anspruch – auch die Sprachkunst ist auf höchstem Niveau. Was Mira Lobe mit Rhythmus und Reim macht, wie sie Spannungen durch wechselnde Verslängen aufbaut, wie sie mit Wiederholungen arbeitet: Das alles ist von beeindruckender poetischer Kunstfertigkeit. Die Blumenwiese wird von der Flöte repräsentiert, Ein Beispiel: Der mehrfach wiederholte Satz (quasi der „Refrain“ des Textes) changiert in seiner Bedeutung, je nachdem, wie er betont wird: DENN ich bin, ich WEISS nicht wer, SUCHe hin und SUCHe her, SUCHe her und SUCHe hin, MÖCHte wissen, WER ich bin. wird zu: Denn ich BIN, ich weiss nicht, WER, suche HIN und suche HER, suche HER und suche HIN, möchte WISSen, wer ich BIN. Mira Lobe macht keine Kompromisse in der Sprache, um leichter verstanden zu werden. „Kindliches“ Getue ist ihr fremd. Sie scheut sich nicht einmal, vereinzelt Wörter zu verwenden, die im üblichen kindlichen Sprachgebrauch vermutlich nicht vorkommen: Gaul, Kahn, dressiert… der Frosch von der Trompete (anfangs mit, am Ende ohne Dämpfer), Pferdemutter und Pferdekind durch Bariton- und Tenorsaxophon, die Fische durch die Harfe, die Flusspferdmutter durch die Basstuba, ihr Kind durch das Horn, der Papagei durch die Bassklarinette, die Hunde durch Englischhorn, Klarinette und Posaune und die große Seifenblase durch das Kontraforte (bzw. Kontrafagott). Wenn das kleine Ich bin Ich sich erkennt, erklingt erstmals im Orchester ein Obertonakkord – dieser Akkord bleibt (in der Tonhöhe verschoben) bis zum Ende. Meine dritte Ehe ist vor einigen Jahren zerbrochen. Meine Tochter Sarah lebt seitdem nicht mehr bei mir. Ich sehe sie nur mehr selten. Das kleine Ich bin Ich war ihr Lieblingsbuch, als sie klein war. Ich hatte es ihr hunderte Male vorlesen müssen. Ihr ist das Werk gewidmet. www.klangforum.at/ichbinich-en UA 22. Juli 2016 UA der szenischen Fassung 30. Oktober 2016 32 Uraufführungen, Details Beat Furrer — intorno al bianco In das Extreme gedehnte Zeit – gleichsam nach einem Absprung –, langsam sich verschiebende harmonische Konstellationen. Verschiedene Bewegungsmodelle, Vibrato, Umspielungen, regelmäßige und unregelmäßige Pulsationen entstehen immer wieder aus den Schwebungen (Interferenzen) der langsam und stetig glissandierenden Klänge. Die Klarinette, ganz in den Klang der Streicher integriert, befreit sich erst allmählich, in einem stetigen Accelerando, und wird dem Klang des Streichquartettes gegenüber gestellt: Die Kontinuität der prozesshaften Transformation wird gebrochen. In der zeitlichen Verdichtung und Dissoziation der Klänge entsteht eine Folge von sprachhaften Gesten, ineinander geschnitten. Die Klänge werden in ihre Einzelteile zerlegt. www.klangforum.at/furrer-en UA 14. September 2016 Mit Unterstützung von Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung Erwin Wurm/ Andrea Cavallari — Fallen Falls Possiamo provare a ipotizzare che questo lavoro sia una operazione di sottrazione di peso, una riflessione sull’assenza di gravità. Un occhio sul magico e unico momento nel quale le forze opposte (attrazione e repulsione) coincidono, annientandosi reciprocamente. Un attimo di gravità zero. La famosa “parola perduta”, costantemente cercata durante la meditazione, rappresenta il potere creativo del suono, secondo tutte le cosmogonie arcaiche. E’ il suono, quindi, che crea la realtà, il cosmo: l’universo è stato creato dalla sillaba mistica AUM (OM). L’idea che il mondo sia nato da un “suono primordiale“ è pensiero comune di molte società tribali, e oggi ne resta un’eco in molti termini che riflettono l’identità tra suono e luce, tra suono e materia.La leggerezza del “suono” che materializzandosi e acquistando peso, diventa materia. La lenta e inesorabile pietrificazione infatti non risparmia nessun aspetto della vita e lo sguardo costante della Medusa è sempre presente! Dov’è oggi Perseo, che vola coi sandali alati, che si sostiene su ciò che vi è di più leggero, i venti e le nuvole? Con Italo Calvino, anche io sento la tentazione di trovare in questo mito un‘allegoria del rapporto dell’arte col mondo, e quindi la leggerezza di cui Perseo è l‘eroe non potrebbe essere meglio rappresentata che da questo gesto di rinfrescante gentilezza: vivere il tentativo estremo di dissolvere la pesantezza. (video-concert) Quindi leggerezza concepita come sottrazione di peso, ritorno alle origini del suono primordiale. La leggerezza è la capacità di sottrarsi alla gravità e il linguaggio della musica è lo strumento che più di ogni altro sa sottrarsi alla forza di gravità. 33 www.klangforum.at/cavallari www.klangforum.at/cavallari-en UA 14. September 2016 Simone Movio — Incanto VII (dopo la CouranteDouble BWV 1002 di J. S. Bach) Una croce può essere di legno, o di ferro, o di marmo, ma la sua realtà non è il legno o il ferro o il marmo che riempie la sua forma, bensì quello che sorge come forma là dove non c‘è più materia. (Massimo Scaligero, Segreti dello spazio e del tempo) La dimensione dell‘incanto è la via della contemplazione che permette di vestire l‘imago, intrecciandone la risonante tunica. Ein Auftrag von Gertraud und Dieter Bogner www.klangforum.at/movio www.klangforum.at/movio-en UA 30. September 2016 Benjamin Scheuer — Nouveaux Agréments Nouveaux Agréments sind im Rahmen einer Residenz im Ernst Krenek-Institut in Krems und inspiriert durch die Beschäftigung mit dem Werk des österreichisch-amerikanischen Komponisten entstanden. Krenek zeigt in seinen Werken stets eine große Offenheit für die Innovationen und Denkweisen seiner Zeit. In seinen Welterfolg, die Jazz-Oper Jonny spielt auf, integriert er Elemente der zeitgenössischen Popularkultur. Musik darf bei ihm unterhalten. Doch auch die Zwölftontechnik findet in vielen seiner Werke Anwendung. Bedeutend für mich war außerdem, dass Krenek sich schon in den 50er-Jahren mit elektronischer Musik beschäftigte – er arbeitete mit einem eigenen Synthesizer und verwendete Zuspielungen. Trotz der Offenheit für all das Neue blieb er immer in der Tradition verankert, radikale Wege wie Schönberg, Webern oder später Stockhausen schlug er nicht wirklich ein. Dieser Widerspruch ist in gewisser Weise charakteristisch für 34 Uraufführungen, Details Kreneks Werk und soll auch die Ausgangsidee für das Ensemblestück Nouveaux Agréments liefern. Hier werden einzelne Elemente historischer Musiziertradition aus einem zeitgenössischen Blickwinkel re-interpretiert. Ausgangspunkt sind dabei, in Anlehnung an den Spätbarock, fiktive Ornamente als eine Art Persiflage auf die französischen Agréments. Die Ornamente waren eine Möglichkeit für den Interpreten, den vom Komponisten vorgegebenen Notentext zu variieren und unter Einhaltung der Regeln der jeweiligen Stilistik bis zu einem gewissen Grad darüber zu improvisieren. Verzierungen bieten auf diese Weise eine besondere Möglichkeit der individuellen Aneignung des Materials: Sie erlauben dem Ausführenden, seine Persönlichkeit in eine Komposition einzuschreiben. Ausgangspunkt für Nouveaux Agréments sind einige längere Tapes, die aus Improvisationen auf dem Klavier, der Lotusflöte und dem japanischen elektronischen Instrument Otamatone entstanden sind. Wir haben es mit großen Blöcken von rohem Material zu tun, an denen wir uns wie ein Bildhauer abarbeiten: Es können verzierte Linien in sie eingemeißelt werden. Oder sie können am Stück verwendet und mit anderen Elementen in neue Kontexte arrangiert werden. Verzierungen können auch unter die Oberfläche injiziert werden und so die Grundraster der Blöcke verdrehen. Die Nouveaux Agréments wurden in mehreren Schichten komponiert: In jeder neuen Überzeichnung wurden Verzierungen hinzugefügt und das Material immer wieder neu belebt. Ein „zeitgemäßes“ Ornament darf sich dabei nicht nur auf die Veränderung von Melodik und Harmonik beschränken, sondern es müssen auch andere Parameter berücksichtigt werden: Es gibt Agréments, die einen stabil gehaltenen Ton nervös zum Zittern bringen, die Spieler hyperventilieren lassen, den Klang in eine fahle Richtung umfärben oder mit Schluckauf- und Panikattacken die musikalischen Abläufe stören. Die Arbeit mit den Verzierungen ist im Grunde ein Gedankenexperiment an einem relativ frühen Zeitpunkt während des Entstehungsprozesses des Stücks. An manchen Stellen sind die Auswirkungen der Ornamente klar zu erkennen: wenn einzelne Spieler Tapes doppeln und dabei immer wieder Variationen ergänzen. Die Tapeblöcke werden gegen vom Spieler mit Verzierungen belebtes Material gestellt. Das Otamatone-Solo im zweiten Teil des Stücks besteht eigentlich nur aus einem Ablauf von verschiedenen, langen Glissandi, die von so vielen Veränderungen durchzogen werden, dass die Linien ständig von absurden Ornamenten unterbrochen werden. An anderen Stellen sind die Agréments aber so stark in das Material eingraviert, dass sich kaum unterscheiden lässt, welches Element Original und welches Variante ist. Im Endeffekt sind die Verzierungen eine Methode kompositorischen Ideenanstoßes – ein Mittel zum Zweck. Wenn die Maschinerie erst einmal ins Rollen geraten ist, werden sie als Belebungsmittel weniger gebraucht – zum Schluss sind sie dann ganz verschwunden. www.klangforum.at/scheuer-en UA 30. September 2016 Zeynep Gedizlioğlu — Verbinden & Abwenden - Ensemble’in ve Orkestra’nin rolü, birbirleri ile iliskilerinin türü, ic dinamigi ne? - Topluluk “ensemble” ve “orkestra” karakteristigini koruyacak mi? - Concerto grosso olmayacak! - Toplulugu olusturan herbir bireyi kafanda imgele. - Esas özne kim? Ya da ne? : -> Birine karsi digeri mi? (Topluluga karsi ‘Aygit’ mi?) -> - ‘Ensemble’in Yankisi Olarak Orkestra- mi? ‘Aygit’ in icinde olusan kücük calgi gruplari; bu kücük gruplar ile E. arasindaki iliski ne? Aralarinda bir bag varsa eger, bu bagi zorunlu kilan sey ne? ....... (Senin dünyan. Kendi dünyanin icine cek onlari.) ....... E. konusmaya calisiyor, konusmayi ögreniyor. E. konusuyor. ‘Topluluk’ tan ‘Topluluklar’a gecis. Orkestra cözülüyor. Orkestra uzak bir gölge. Orkestra yok. www.klangforum.at/gedizlioglu www.klangforum.at/gedizlioglu-en UA 7. Oktober 2016 Michael Wertmüller — discorde One day I will dance to your music. (King Buzzo) Um eins gleich vorauszuschicken – „Class Struggle“ klingt einfach gut! Natürlich können wir nicht in diesem Kontext von einem Klassenkampf im Marx’schen Sinn sprechen, nicht von philosophischen oder revolutionären Ansätzen, sondern einfach von gegensätzlichen musikalischen Herangehensweisen, Denkarten, Vorlieben, Geschmäckern, Antagonismen. Als ich mit meiner ersten eigenen Band in der Roten Fabrik in Zürich ein Doppelkonzert mit den Melvins spielen durfte, war ich noch richtig jung. The Melvins galten schon damals als die beste Rockband aller Zeiten, auf der ganzen Welt und im Universum, und so ist es noch jetzt. Kurt Cobain war vor seiner Nirvana-Zeit der Roadie der Band. Absolute Grunge Coolness aus Seattle. Meine Band hieß Alboth! und wir galten in Zürich als Berner Bildungsbürgersöhnchen, die so komische 12-TonJazzrockmusik machen; diese Stücke waren meine ersten kompositorischen Versuche. Tatsächlich kamen wir alle frisch von der Musikhochschule, aber wir haben von Anfang an den Dreck der Straße abgekriegt, unzählige, kaum bezahlte Gigs in italienischen, französischen, US-amerikanischen und spanischen Squats gespielt, beim ersten Konzert in NY auf der Bühne im Club bei minus 15 Grad im Schlagzeugteppich eingerollt geschlafen etc. Jedenfalls gab es ein paar Artikel in den Feuilletons, man hatte gemerkt, dass wir da eine eigenartige 12-Ton-Musik spielen, „Schönberg auf Speed“ war ein Etikett. Und da hing nun zur Annonce unseres Konzertes in Zürich ein riesiges Plakat mit der Überschrift: MELVINS VS. ALBOTH! AN EVENING OF REAL CLASS STRUGGLE Ausverkauftes Haus also, ich war dermaßen motiviert, dass ich gleich im ersten Stück meine Snare gesprengt habe. An Ersatz habe ich natürlich nicht gedacht gehabt, ich spielte einfach weiter, auf dem 12“ Hängetom anstatt der Snare bis der Roadie der Melvins mir ein Zeichen gab, nach dem Stück hinter die Bühne zu kommen. Da bin ich also hingeeilt und da stand der Superdrummer Dale Crover und drückte mir seine Snare in die Hand. King Buzzo stand neben ihm und raunte mir zu: One day I will dance to your music. Das ist die kleine Vorgeschichte zum Titel und gleichzeitig ein Paradigma der Entstehung meiner Musik. Während meiner Zeit als Pauker/ Perkussionist in den Sinfonieorchestern und als Kompositionsstudent (vornehmlich wurde die serielle Musik seziert) bei Dieter Schnebel habe ich in den wildesten Jazz- und Rockbands gespielt, schon früh und bis heute mit Peter Brötzmann. Zwischen diesen Polen gibt es bis heute eine dämmrige Schnittmenge aus definitorischer Unschärfe, fachlicher Unkenntnis und Vorurteilen. Betrachtet man die zeitgenössische Musik in ihrer ganzen Bandbreite, so haben sich genreübergreifend über die letzten Jahre neue Stile und Spielweisen entwickelt, die sich der einfachen Kategorisierung entziehen. Die Kontakte zwischen den Sparten sind dennoch spärlich. Gerade Musiker aus dem Bereich der Neuen Musik beschäftigen sich eher selten mit den Extremen von Rock und Jazz, Avantgarde und Hardcore, Spielarten des Techno und improvisierter Musik. [...] mehr: www.klangforum.at/wertmueller www.klangforum.at/wertmueller-en UA 15. Oktober 2016 Rebecca Saunders — Skin skin /Skin/ n. a taut flexible continuous outer covering or layering of the body or thing; a film like a skin on the surface of a liquid or solid; the skin of a flayed animal with or without the hair. n. the delicate membrane separating the body and its environment – implies the phenomenon of touch, one of the five external senses, and through which the subsidiary sensory modalities of temperature, pain and vibration are partly perceived. Touch, somatosensory, tactition or mechanoreception: a neural perception generally in the skin, but also in the tongue, throat, and mucosa. Receptors respond to variations in speed and pressure (firm, brushing, sustained, etc.). adj. somatic, tactile. skin /Skin/ v. to skin, to peel back the surface of; to shed an animal of its skin. Under one′s skin: so deeply penetrative as to irritate, stimulate, provoke thought, or otherwise excite. Under the skin: beneath apparent or surface differences: at heart. Bernhard Gander — Cold Cadaver With Thirteen Scary Scars das notenblatt ist leer, kalt und leblos. ich ritze mit meinem stift zeichen ins papier, figuren, die wie wunden und narben aussehen. alte und abgenutze elemente werden zerlegt und wieder neu zusammengesetzt. angst vor der zahl 13? ich verwende 13er rhythmen und formen (2+2+3+2+4; 3+3+3+4; … 6+7) bei 6+7 pocht ein alter bekannter an die tür… schicksal? www.klangforum.at/gander-en UA 15. Oktober 2016 Skin as a metaphor for transience – the continuous process of shedding dead skin and the growing of new. Struck by a recording of an early production of Samuel Beckett′s television play The Ghost Trio (written in 1975 and first broadcast in 1977), this text, spoken by the narrator in Act 1, was the catalyst for this piece: ...this is the rooms essence not being now look closer mere dust dust is the skin of a room history is a skin the older it gets the more impressions are left on its surface look again.... The main text in Skin is my own which gradually materialised during the long compositional process, and was partly inspired by the extensive collaborative sessions with Juliet Fraser. A section from James Joyce′s Ulysses, from the final passage of Molly Bloom′s Monologue, is quoted towards the end of Skin. www.klangforum.at/saunders 35 UA 15. Oktober 2016 Oxana Omelchuk — domkrat polej i pustot Случайно найденная старая фотография вызывает прежде всего чувство ностальгии, но прежде чем повесить её на стену и умиляться, стоит узнать её историю. (Дидрих Дидрихсен, О поп-музыке) В последних моих произведениях процесс творчества начинается не с листка нотной бумаги, а с построения ассоциативной сети: поиска контекстуальных примеров, аллюзий, будь то определённый состав инструментов, жанр или идея. В данном случае я исxожу от двух совершенно разных сольных инструментов: созданного в 1969 году первого переносного аналогового синтeзатора EMS VCS3 и известной нам ещё с доисторических времён флейты. die der Tonhöhenänderungen zu verbessern. Spektakulär ist auch die Hypothese, wonach der Gehirnrhythmus einen Einfluss auf das Bewusstsein hat. Jedenfalls sind Rhythmen im Gehirn ziemlich exakt mit Sprache synchronisiert. Dadurch helfen sie uns beispielsweise, einen andauernden Sprachfluss zu verstehen. Noch relativ unbeleuchtet ist hingegen die Rolle der Rhythmen bei der Verarbeitung von komplexen Lauten. Sind kortikale Rhythmen eine Folge aus anderer Gehirnaktivität oder sind sie die eigentliche Voraussetzung dafür, dass die neuronale Verarbeitung geordnet abläuft? Diese Frage ist einer der gedanklichen Motoren hinter oscillare, auch wenn das Stück sie nicht beantworten wird. Vielmehr versetzt es musikalisch in ein oszillierendes Gehirn, empfindet den neuronalen Informationstausch klanglich nach. Also bitte schalten Sie Ihr Gehirn aus und lehnen Sie sich zurück. www.klangforum.at/kerer-en И дело не только в возрасте обоих инструментов, но и в способе звукоизвлечения (электрический инструмент/ акустический инструмент), и в области применения (синтезатор – прогрессивный рок/ флейта – классическая музыка). UA 31. Oktober 2016 С одной стороны, моё произведение – своеобразная экспедиция в историю обоих инструментов, с другой – проекция на быт солистов, которая, надеюсь, откроет их внутренний мир: мысли, желания, мечты, разочарования. Sijo_310516 является не просто продолжением моего Цикла Sijo. Здесь, я впервые выхожу за ограничительные временные рамки, тем самым расширяя не только внешнее, но и внутреннее измерение. По форме пьеса близка к теме с вариациями, где каждая последующая вариация основывается и развертывается на серединном материале предыдущей (вариация на вариацию), таким образом образуя бесконечный «Zooming-in». К примеру, главная «тема» построена в классической форме трехстрочной корейской поэмы Sijo. Середина служит основой материала для следующей вариации, в которой данный материал разбросан по разным ячейкам. И так далее – с каждым разом, увеличивая картину, мы обнаруживаем в ней другую. Но круг внезапно замыкается, и мы попадаем в первоначальное состояние, куда когда-то изначально вошли. Но выхода уже нет. www.klangforum.at/omelchuk www.klangforum.at/omelchuk-en UA 23. Oktober 2016 Manuela Kerer — oscillare Unser Gehirn schwingt. Denn rhythmische elektrische Potenziale in den Hirnarealen müssen sich synchronisieren, um Informationen auszutauschen. Diese Hirnareale beginnen im Takt zu arbeiten, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas richten. Während das Gehirn bei geschlossenen Augen ganz ruhig schwingt, rattern beim scharfen Nachdenken extreme Wellen über den Kortex. Diese „kortikale Oszillation“ scheint substanziell für die Erkennung von musikalischen Sequenzen zu sein. Rhythmen scheinen aber nicht nur die Wahrnehmung der Tempi, sondern auch Sehyung Kim — Sijo_310516 www.klangforum.at/kim www.klangforum.at/kim-en UA 31. Oktober 2016 Richard Dünser — der zeiten spindel I (时代主轴) der zeiten spindel I (2016) bezieht sich u.a. auf das Gedicht De Profundis von Charles Baudelaire (in der Nachdichtung von Stefan George), sowie die Bilder Die Rückkehr der Jäger von Pieter Brueghel, Dunkle Landschaft mit Regenbogen von Caspar David Friedrich und den Anfang der Erzählung Lenz von Georg Büchner. Dies ergibt folgende formale Anordnung: The Returning Hunters I The House with the Burning Chimney The Far Mountains The Chase (Memories I) De Profundis The Chase (Memories II) Dark Landscape with Rainbow Lenz The Returning Hunters II Bilddetails (die heimkehrenden Jäger, das Haus mit dem brennenden Kamin im Mittelgrund, die fernen Berge im Hintergrund, Assoziationen zum Bild – gemutmaßte Erinnerungen an nicht im Bild sichtbare Ereignisse (Jagd I und II)) werden dabei in musikalische Metaphern, Bilder, Stimmungen und „Landschaften“ transformiert, die sich in eine musikalische Gesamtdramaturgie einordnen. Zusammen mit dem im Zentrum stehenden Gedicht De Profundis von Charles Baudelaire, dessen Sprachlichkeit sich in Instrumentalmusik verwandelt, werden die Instrumente hier zu imaginären Singstimmen. Hierauf folgt das Bild Landschaft mit Regenbogen, das mit spektralen Klängen und einem radikalen Stillstand der Bewegung „helldunkle“ Sphären-Räume entstehen lässt und die niederschmetternde Stimmung des Anfangs von Büchners Lenz vorbereitet, wo die tragische Hauptfigur durch eine Winterlandschaft geht, aber in Wirklichkeit im Innersten nicht von der Stelle kommt – in einer von tiefster Verletzung und Zerstörung geprägten Seelenverfasstheit gefangen –, bevor die wieder – variativ verändert – auftretenden heimkehrenden Jäger eine große Klammer zum Anfang bilden. Eine entscheidende weitere Farbe in diesem sonst so abendländisch geprägten Werk sind die chinesischen Instrumente Erhu und Pipa, die dem Werk wie in einer Schau aus weiter Ferne zusätzliche Perspektive und Dimension verleihen. www.klangforum.at/duenser-en UA 31. Oktober 2016 36 Uraufführungen, Details Christoph Renhart — miroirs noirs Im seidenmatten Schwarz einer planen Oberfläche tummeln sich Gesten und Bewegungen wie verirrte Nachtfalter an einer Glaswand. Es sind fahle Formen ohne Kontur, deren Umrisse sich nur als Schatten erahnen lassen. Die Silhouetten jener zerspiegelten Objekte, welche davor im Obskuren verharren, vermitteln eine Ahnung ihrer eigentlichen Gestalt, einer unscharfen Erinnerung gleichend. In miroirs noirs begegnen wir diesen verschwommenen Echos in vielen Momenten. Figuren, die unmittelbar zurückgeworfen werden, erscheinen näher, während das Gegenbild längerer Prozesse erst im Lauf der Zeit erkennbar wird. Ich wollte in meinem Werk eine Perspektive der Erinnerung schaffen. Gleichzeitig formt sich aus dem Meer verflossener Gesten und Fragmente ein Strom, dessen Flusslauf einem vorgezeichneten dramaturgischen Plan folgt. Markant stürzt das Stück am Zenit einer langen eruptiven Phase in sich zusammen, noch bevor es seine Mitte überschreitet. In den weiteren Abschnitten nimmt miroirs noirs mehrmals den zum Gipfel weisenden Kurs wieder auf, verliert jedoch unaufhaltsam an Höhe. Durch die Gedanken aus dem Vergangenen geprägt und zerrieben in den Katarakten der Zeit, steuert es unentwegt einem finalen Tiefpunkt zu: Inmitten einer Wüste aus Staub versiegt der Strom im Ästuar seiner Erinnerungen. miroirs noirs entstand zwischen Jänner und Juni 2016. Das Stück ist selbst ein unscharfes Gegenbild zu meinem Werk Échos éloquents, welches parallel zu miroirs noirs entstand. Beide Werke schöpfen ihr Material, wie zwei verschwisterte Vulkane, aus einer Magmakammer. www.klangforum.at/renhart-en UA 31. Oktober 2016 37 Eva Reiter — Noch sind wir ein Wort ... Es sind subtile soziale Prozesse, die mich heute beschäftigen. Schon seit einiger Zeit spielt die Faszination über die Beschaffenheit und Motivation des eigenen Handelns sowie über den vielschichtigen Begriff sozialer Interaktion eine maßgebliche Rolle in meiner kompositorischen Arbeit. So hat mich auch im Falle meines aktuellen Werkes Noch sind wir ein Wort… die eingehende Beschäftigung mit den Fragen nach „kollektiver“ und „individueller“ Identität zu der recht ungewöhnlichen Disposition eines Solisten-Duetts und eines zehnköpfigen Musikerchores geführt. Der Chor übernimmt mit Blick auf das inhaltliche Setting in seiner kollektiven Rolle eine entscheidende Funktion und inszeniert sich – ähnlich dem griechischen Theaterchor – zunehmend als Instanz. Immer wieder treten einzelne solistische Stimmen aus dem Chorischen hervor, doch im Grunde repräsentiert und beansprucht das Sprecherkollektiv die Dimension der alleinigen Realität und Wahrheit für sich. Betrachtet man diese Situation aus der Perspektive Friedrich Nietzsches, so ist die dramatische Handlung und sind ihre Protagonisten ursprünglich insofern nur als Vision zu sehen, als die Szene mit allen solistischen und kollektiven Aktionen auf der Bühne (wie im Rahmen dieser Vision) vom Chor erzeugt und konstruiert wird. Die Handlung lässt sich beschreiben als Weg des Individuums zurück in die „Einheit alles Vorhandenen“. Überträgt man diese Ideenwelt nun auf die klingende Realität dieser Komposition, so wird klar, dass auch hier die solistisch geführten Instrumente in ihrer so individuellen Sprache aus der kollektiven Klangmasse konstituiert wurden. Vom Zeitpunkt ihres Erklingens, stehen sie mit dem chorisch besetzten Tutti in einer gleichsam dialektischen Disposition. Der Chor entwirft das Format des solistischen Instruments und hat dennoch – als Form und Kraft des Kollektivs – stets ein ausgeprägtes Interesse daran, alles in sich wieder aufzunehmen, den Weg aus der Individuation in die Einheit zurückzuführen. Eine dabei wirksame Form der klanglichen Materialgestaltung bildete die Transformation von Sprache zu Klang sowie umgekehrt die Entwicklung einer neuen „Klangsprache“ – im Sinne einer phonemischen Struktur – aus dieser intensiven Analyse instrumentaler Artikulationsmöglichkeiten. Die Musiker des Chores sind mit unterschiedlich langen – insgesamt chromatisch über drei Oktaven gestimmten – Sprachrohren ausgestattet und agieren zusätzlich noch mit anderen Hilfsmitteln (wie Vuvuzelas, Voice Changers u. ä.), um das rhetorische Material zum Ausdruck zu bringen. Am Beginn werden die zu Grunde liegenden klanglich-phonemischen Bausteine vorwiegend aus bestehenden Silben zu generieren versucht, die unterschiedlichen Textfragmenten entnommen sind. Später aber dreht sich die Situation um: Der Chor imitiert zunehmend sprachlich jenes Material, das sich instrumentenspezifisch am „besten“ entwickelt hat und findet so zu einer neuen Sprache. Sei es im Sinne der Idee des griechischen Chors, sei es in der alltäglichen Situation der kollektiven Gemeinschaft – wie auch in der grundlegenden Konstitution eines Musikerensembles –, so kann dieses Stück als Ergebnis eines Experimentierfeldes für individuell motiviertes Handeln versus kollektiv motivierter Aktion verstanden werden. Damit wird also ein Spannungsverhältnis reflektiert, welches nicht nur die subtilsten sozialen Interaktionen, sondern auch unser Selbstverständnis, die Vorstellung und Bewertung unserer Handlungen zu bestimmen vermag. www.klangforum.at/reiter-en UA 9. November 2016 Hyena Text: Mollena Lee Williams-Haas Musik: Georg Friedrich Haas Georg Friedrich Haas: Seit Beginn meines Komponierens beschäftige ich mich mit der Integration von Gesprochenem in meiner Musik – vom Fragment für 29 Sprechstimmen für Schulchor 1979 bis zur Oper Morgen und Abend (eine der Hauptrollen wird von einem Schauspieler realisiert) und das kleine ICH BIN ICH für Sprechstimme und Kammerensemble (2015 bzw. 2016). Meine Frau Mollena Williams tritt professionell als Storytellerin auf. Es lag nahe, unsere menschliche Nähe für ein gemeinsames künstlerisches Projekt zu nutzen. Mollena Lee Williams-Haas: I never wanted to talk about my recovery from alcoholism. It feels too personal and, in a way, already explored in every medium, ad nauseam. I had been invited to a very prestigious storytelling evening in San Francisco – Porchlight Storytelling – and when I was asked what I wanted to talk about my first thought out of nowhere 38Hyena was “Definitely NOT about going to rehab”. And so of course I was terrified, and so of course I had to do it. The folks who hosted that event were hesitant for many of the same reasons I was, but then I found myself having to “sell” them an idea that I really was terrified to share. The paradox drove the performance. Afterward, over 50 people stood in a line to personally talk to me about how they related to my story... either people themselves in recovery or who had a loved one in the same struggle. It was humbling. The producer for an amazing radio show called “Snap Judgement” was in the audience and she invited me to tell the story for their program. That took it to a whole new level. When Georg suggested to make this a collaboration, I was again dizzy with fear and absolutely screamed on the inside that this was a Bad Idea. Therefore, I knew it had to be done. Mollenas Texte sind von intensiver Qualität. Und ich weiß, wie sehr sie fähig ist, ihre Inhalte zu vermitteln. Ich weiß, wie stark ihre künstlerische Persönlichkeit wirkt. Es ist eine Herausforderung für mich, dazu einen klanglichen Rahmen zu bilden: diese existentielle Grenzsituation mittels Musik zu formulieren. Und trotzdem der Erzählung den Vortritt zu lassen. That is something you have done before, with operas. How does this feel different? In meiner Oper Nacht war das Sprechen noch präzise komponiert: Ich notierte komplexe Sprachrhythmen und einen ungefähren Tonhöhenverlauf. In der 2003 uraufgeführten Oper Die schöne Wunde wird zwar frei gesprochen, aber meist sind es nur wenige Worte, die zu genau festgelegten Zeitpunkten erklingen müssen. Auch das Sprachtempo habe ich damals vorgeschrieben. In Bluthaus und in Koma wendete ich Techniken an, die die freie Sprache synchronisieren sollten: Schlag instrumente steuern die Schauspielerinnen und Schauspieler, und es gibt vernetzte Sprachpartituren, in denen festgelegt wird, wo welche Sprechstimme den Satz einer anderen Sprechstimme durchkreuzen soll. In Morgen und Abend und in das kleine ICH BIN ICH kommen dann auch ausgedehnte Passagen vor, an denen längere Sätze frei innerhalb eines bestimmten Zeitraumes gesprochen werden sollen. Hier wird Hyena fortsetzen: Ausgedehnte Textabschnitte werden frei gesprochen, die Stimme kann auf die jeweiligen Orchesterklänge spontan reagieren, langsamer, schneller, lauter, leiser werden, Konsonanten überdeutlich artikulieren usw. – Das ist möglich, weil die Sprechstimme in diesem Werk – im Gegensatz zu meinen Opern – elektronisch verstärkt sein muss. 39 I think that helps to allay some of my initial terror. As a trained actor, I am accustomed to strict interpretation, to pre-ordained blocking [coordination of played onstage movements] of scenes, however as a professional storyteller I am free to play with the audience, the timing, my own interpretation in the moment, to bring the piece to life. I was afraid that this more rigid structure would bleed out so much of what I love and cherish about storytelling, which is the connection with the audience without restriction. But after speaking with the conductor, Bas [Wiegers], and his assurances that he would be able to guide myself and the orchestra together, it felt more achievable. I suggested to you the approach of writing the piece as a connected flow of modular emotional musical phrases that would envelop, support and interweave each particular story segment, underscoring that piece, then transitioning (either abruptly or smoothly, as is needed) into the next bit. An emotional fugue of words, if you will. And that made sense to you, which also lifted up my confidence. This also may help me to keep pace with the story internally. This is extremely vulnerable and, frankly, terrifying for me. It is a strange tale, and I am trusting a great deal in the audience to hear what I have to say and feel what I have felt. Für mich als Komponist ist es leichter. Die musikalische Sprache ist nicht so direkt, so eindeutig. Ich brauche keine Details zu beschreiben. Mich nicht durch Worte bloßzustellen. Die Wahrhaftigkeit des musikalischen Ausdrucks bleibt – so exhibitionistisch sie auch sein mag – immer abstrakt. Meine Aufgabe sehe ich darin, einen emotionalen Rahmen für deine Geschichte zu bilden, der dich beschützt. Eine emotionale Basis, die dich trägt. Your trusting in me to tell the story has given me at least enough bravery to share. There are so many people who struggle with so many addictions... so many folks who love people who struggle. It is rare that our lives aren’t touched, in some way, by addiction. Stories can be the perfect way to share the reality of the weight of this fear and pain. And, in the case of my story, ultimately redemption. It might seem like a contemporary fairy tale, or the tracing of a descent into madness. I’ve heard all sorts of theories about my experiences, from the possibility of a psychotic episode of unusual duration, to a spiritual journey, to spontaneous Gestalt-therapy, to the opening of the eyes of a prophet to the will of God. But whatever the listener’s interpretation is, THAT is not my business. They can, will and must make their own interpretation of the story. In the same way as no two people will listen to any of your pieces and walk away with the same conclusions or emotional experience, everyone will take away what they need from my story. I am apprehensive about this project, about how it will be received, and yet mightily compelled to share, to tell the story, to talk about what it means to see your darkest aspect and live to tell the tale. www.klangforum.at/hyena www.klangforum.at/hyena-en UA 12. November 2016 Adam McCartney — A way after remains or reflections In his poem Bogland, Seamus Heaney writes about the influence of the landscape on the pioneers. He compares the Prarie of the Western USA with the Moores in Ireland. A way after remains or reflections is certainly not a long walk into the sunset. The ground swallows an endless horizon. Every layer contains immaculate black. The horizon appears again nonchalant fleeting it cleaves the ground to the ground. Sound is not only individually received as the result of a physical process, but is also in a broader context an interface to abstract experience. Certain musical elements appear to be historical artefacts. In fact they can cause resonances in contemporary ears that to some extent go beyond the borders of temporal and physical experience. Michail Paraskakis — kama «Ο χυλός κριθαριού ή ένα κομμάτι κριθαρένιου ψωμιού και νερό, ίσως δεν αποτελούν ένα ευχάριστο γεύμα, μα τίποτα δε δίνει πιο έντονη ηδονή από την ικανότητα να αντλείς ηδονή ακόμη κι απ’ αυτό.» – Σένεκας «Το ηλιολούλουδο δε θέλει να αντικρίσει τον ήλιο, το πεύκο δε μάχεται τα παράσιτά του και το παραμήκιο δε θέλει να αλλάξει την κατεύθυνσή του. Λόγω έλλειψης μυαλού, δε μπορούν να επιθημήσουν τίποτα... Αντίθετα, σε μια περίπτωση πλήρους επιθυμίας, ένα ον μπορεί να σχηματίσει μια νοητή αναπαράσταση του αντικειμένου που επιθυμεί, να συγκρίνει την τωρινή κατάσταση με την αυτήν που επιθυμεί και να αναλάβει δράση ώστε να μειώσει την απόσταση των δύο καταστάσεων. Μόνο ένα ον με αξιοσημείωτη νοητική δύναμη έχει αυτές τις ικανότητες.» (William B. Irvine) www.klangforum.at/paraskakis www.klangforum.at/paraskakis-en UA 10. Februar 2017 Diana Soh — iota It is interesting for me, not only to listen in a concert but also to observe the movements and gestural communications between the performers. www.klangforum.at/mccartney UA 10. Februar 2017 I am interested not only in imagining the sonic possibilities of the musical material and its progression, but also in the dramaturgy of the eventual physical performance and how the material might be personified by the instrumentalist. Needless to say, theatricality – but only as a sonic necessity – is of much importance to my music. For me, composition is a way to have new exciting experiences, and to keep learning about music (and to make sense of our world). Working as a composer needs to be emotionally engaging, intellectually stimulating, and a constant learning process. It is in this spirit that I constantly seek out different ways of composing, of engaging with the material and of working with different ensembles, and also of exploring different disciplines like film and interactive video that use sound in a different way. 40 Uraufführungen, Details In this particular piece iota for Klangforum Wien, I wanted to build rich and constant changes in timbre using small attacks at the starting point; to use the combination of instruments to create a composite rhythmic and melodic line. I also wanted a work that has a clear pulse/ groove as one of its characteristics. The idea is to use the smallest “insignificant” details and to create a larger global richness. The melodic lines are often short and split between different instruments and making sense of it all requires taking in the global sound of the entire ensemble. (Klangfarbenmelodie, if you must.) In Chinese characters, each stroke itself encompasses the energy and movement stemming from the physical act of writing. So depending on its combination, we get a graphical symbol (a character) from which we can now derive its connotation and very often its meaning. Linguistically, the combination of characters sometimes then changes the significance of the characters itself to create contextual meaning. Eg. the chinese name for the smallest calligraphic stroke (点diǎn): in combination with other characters it could mean illuminate – (点亮) diǎn liàng highlight – (亮点) liàng diǎn origin – (原点) yuán diǎn destination – (终点) zhōng diǎn I find all the ideas of “insignificant” details and things used in combination to build a strong and larger global richness to be uplifting and beautiful, especially in the state of affairs of the world today. It is in this spirit that I started writing iota. www.klangforum.at/soh UA 10. Februar 2017 Lorenzo Troiani — We are destroyed Che succederebbe se provassimo a guardare il negativo delle cose? Solo l’ombra che proiettano. Come un’incisione. E spegnere la luce. Rinunciando alla scintillante brillantezza delle forme. E noi lì, parte di una topografia fatta di superfici essiccate, di figure deformate, di pulsazioni instabili. Nel buio. E possiamo vedere solo forme sfumate. Muoviamo allora le mani. Le vediamo uscire dall’oscurità e poi, lentamente, scomparire di nuovo. Ancora lì, osservando i confini erodersi. I nostri stessi confini. Perché anche noi siamo incisi. E allora cominciamo a sentire le cose pulsare, oscillare. Perché sono vive, così denudate. E noi stessi nudi, senza confini. Come funamboli. Oscillando sulle rovine. We are destroyed parte da questa idea dando vita a una sorta di organismo, di corpo ferito, una continua trasformazione di stati sonori dai confini sfumati. Instabili. www.klangforum.at/troiani www.klangforum.at/troiani-en UA 10. Februar 2017 Carolyn Chen — We were dead and we could breathe. I don’t usually think about breathing, unless I have to. I become aware of my breath when practicing yoga, tai chi or aikido, because they are movement traditions centered around breath as a fundamental force that can coordinate higher order actions. I have to breathe to move. In times of distress, breathing is also a way to return to feeling like myself. I started thinking about this piece while living in Beijing last summer, observing the vicissitudes of the city’s storied air quality index from a sixth floor window. 41 At close range it could be hard to distinguish air pollution from humidity. From a distance, I watched haze smear sunlight, moonlight, traffic lights, street lights. On some days I felt it tickle my throat, or my eyes. This made me uneasy, but of course, I couldn’t just stop breathing. I mulled over the idea of these tiny particles, some smaller than viruses, individually imperceptible, but horrific in aggregate – gradually filling the lungs, or passing directly into the bloodstream. Their effect on our bodies is a slow sort of harm, a subtle violence. I thought about these small, slow destroyers and their origins in fossil fuels, once the bodies of ancient plants and animals. Ordinary house dust is itself mostly human skin. I thought about breathing in the bodies of these creatures of the past, breathing in human bodies, human history – the weight of all that living, dying, suffering, distilled into tiny particles that enter our soft lungs which slowly gray and blacken over time. It is impossible at this moment to think of breathing without thinking of Eric Garner, the unarmed black man who gasped that he couldn’t breathe as he was choked by a New York police officer in 2014. His death is a direct and vivid act of violence, but the environment that produced it might seem more like those invisible particles in the air, all-pervasive and impossible not to breathe in. I thought about all these invisible things, and how they disappear into what seems normal. In this piece, sounds camouflage other sounds. Louder strikes and hits mask subtler activity. Still things move internally. What is constant, smeared light, becomes so normal, it might not need listening at all. I thought of the sho, the Japanese mouth organ that seems to hold forever. Toward the end of the writing process, I ran into this line by Paul Celan, which seems to encapsulate the contradiction of living in permanent emergency. www.klangforum.at/chen UA 10. Februar 2017 Klangforum Wien Diehlgasse 51, 1050 Wien T +43 1 521 67-0 F +43 1 521 67-30 [email protected] www.klangforum.at Impressum Herausgeber und Verleger: Klangforum Wien Redaktion: Emilija Jovanović Design: Bueronardin Herstellung: Donau Forum Druck Hauptsponsor Kooperationen impuls academy | competition | festival Fördernde Institutionen Wenn nicht anders angegeben, stammen alle in der Agenda 2016/2017 des Klangforum Wien enthaltenen Textbeiträge zu den neuen Werken dieser Saison von den jeweiligen KomponistInnen. Bildnachweise: Cover: Constantin Luser für das Klangforum Wien, 2016 (Foto: Markus Rössle) S. 3: Therese Zalud S. 9: Edgar Honetschläger S. 23: Robert Haas: Suska, Wien 30er Jahre (© Wien Museum) S. 25: Johannes Cizek S. 27: Portrait Jonathan Meese 2016 (© Photography Jan Bauer/ Courtesy Jonathan Meese) S. 28: Parsifal Bühnenbild (© J. Kiefel) S. 30: Hanna Eimermacher S. 31: CD Cover nach: untitled (1971), Roman Haubenstock-Ramati (Sammlung Martin Rummel) S. 33: Studio Erwin Wurm S. 38: Mollena Lee Williams-Haas 42 Beiträge von Körperschaften öffentlichen Rechts Wie klingt Gemütlichkeit? Was braucht man heute zum Glücklichsein? Einen Ort zum Verschnaufen. Einen Ort zum Träumen. Einen Ort, um Kraft zu sammeln für die Reise in den Alltag oder ins Unbekannte. Einen Ort für alle, die durchs Leben reisen. A-1070 Vienna | Austria | Kirchengasse 41 | T +43-1/522 66 66 | www.altstadt.at | [email protected]
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