35130^ l^SlSS VS^Sl^r - Neue Zürcher Zeitung

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Leidenden, mit denen er leidet und
schweigt. In seiner Ruhe verhaucht alles
und Grelle. Selbst die große
Welt scheint in ihr zu verdämmern und
nur noch wie eine verirrte Fliege zu
Lärmige
summen. Es riecht darin nach Schtcä'mErde,
nach
und feuchtwarmer
men
nassem Laub und blauschwarzen Bromist,
lautlosen
als ob in seiner
beeren. Es
Kühle auch die Erinnerungen länger konserviert bleiben. Die Küsse und Umarmungen, die intimen Gespräche und
Kinderspiele haben hier gleichsam ein
freundliches Zuhause. Ist es nicht, als ob
zwischen seinen rissigen, harztropfenden
Eines Morgens, wenn du die grünen Läden aufstößt,
liegt noch Nacht über dem Nachbarhaus. Du hörst
Klirren der Eimer, die der Milchmann auf die
Treppe stellt, aber ihn seihst siehst du nicht. Er
kommt aus dem Dunkel und geht ins Dunkel, während deine Familie noch schlaft, die kalte Bettflasche
an dfn Füßen.
Wenn du den Mick in die Höhe hebst, sprühen am
Himmel die letzten Sterne wie zitternde Mcerquallcn.
Aus dem Park grüßt dich nicht mehr das orgiastische
Konzert der Vögel. Ganz still ist es geworden. Aber
in der Stille schwingt die Freude, daß alles in der
Natur zur Vollendung gelangte. Es ist, als blähe dir
die kühle
die Lungen wie zwei Segel auf;
das
Luft
AbendStammen die Fundamente il
weniger vernehmlich krachten?
landes
Manchmal überkommt dich sogar die Lust,
ins weiche Moos zu sinken, um darin faulenzend
xu schnarchen, unbekümmert um die poetischen
Hörner- und Bratschenklänge, die dich im (Oberon*
immer so entzückten. Aber die Angst vor dem
mel das Hageln zu verbieten. Wir wollen den Gourmets auch nicht den Duft des Wildbrets vergönnen,
denn er gehört zu den Köstlichkeiten der herbstlichen
Tafel, um derctwillen es sich verlohnt, von den
Vegetariern als Kannibale verachtet zu werden. Aber
alljährlich, wenn die Hunde der fluchtigen Beute
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zend muskelstarke, in den Handgelenken empfind-
liche Manner auf Stühlen manövrieren, damit der
zarte Riese nicht am Hoden nachschleift, erfordert
ihre Manipulation große Kunst. Es gibt da Frösch»,
die ihre smaragdgrünen Augen rollen. Schmetterlinge mit nippenden Flügeln, vielgliedrige Tausendfüßler, die im leisesten Windhauch zu kribbligem
Leben entfachen. Katzen, die ihre dielten Pfoten
beuvgen, und Goldfische mit nervösen Schwänzen.
Die heimtückischsten sind tm i feinen Haken verteilen, um den Gegner zu kapern, während die
Lyriker unter den Drachen mit kürbisartigen Barnbusinstrtimenten aufsteigen, die im Wind wie
frühlingshafte Aeohharjen zirpen. Die großartigste
Form nimmt diese unblutige HimmelsscMncht alter
winzige
nachts an. Ditnn hangen an den Drachen
lampions, die wie heimwchsüchtigc Sterne zur
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zurück. Wieder glitzern in den Augen der
Mädchen Tranen, wenn die europäisierte Madame
Butterfly oder ihre Kollegin, die Mimi aus der
(Boheme*, mit den bei der Kohlennot doppelt eisihre SiJinsuchtsaricn schluchzt.
kalten Händche
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Sie verbergen sie aber nicht mehr verschämt hinter
Facher,
sondern stecken mil manikürten Fineinem
gern burschikos ein Praline in den Mund. Die Heuchlerinnen, wollen sie uns vortäuschen, daß sie unromantischer seien ah ihre Großmütter? Auch die
Commis, die das (Lache, Bajazzo!* mit tragischen
Hochgefühlen erfüllt, sind entschlossen, ihr durch
geht es ihnen so,
schotfördern. Vielleicht
iric^rm Dante,
Frage
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tischen Edelmann, der auf die
(Versucht
ob er geigen könne, gelassen antwortete:
hob ich's noch nie, Mylady! Aber ich zweifle nicht
daran!
Milchstraße schweben, von der sie schließlich in
kapriziösen Schnerkenwindiingen zurückkehren, nie
ermattet von der Fahrt ins
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nbekannte.
Ein kluger Spötter hat behauptet, Angeln sei die
einzige Philosophic, die satt mache, liier ist sogar
im Trüben erlaubt, sofern man dazu
das Fischen
die behördliche Beicilligiing besitzt. Sie kostet für
den oSchlcikcr» im Zürichsee dreißig Franken, die
jeder in Form von zappelnder Reute wieder herausholen kann. Geduld, das ist die erste Tugend der
Angler, welche die Diplomaten entweder besonders
reichlich zu besitzen oder zu benöligen scheinen,
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Räume, liegt die rostbraune
mus kehren die Bühnenschtcärmer zu den Theatern
die musikalischen Seelenvilamine erschüttertes
Gleichgeicicht in der nächsten Pause durch eine
Zigarette wieder in den alten Zustand zurückzubc-
trauische eine
ter! haben, u IC man in der Politik d<;is Angeln betreiben muH.
Eifrig betrieben u iril bei uns der Fang der Hechle,
von denen man behauptet (Fischerlatein?), sie beißen
Velofahrerinnen nach. Manchmal nickt ihm Eine übermütig zu,
aber die Meisten denken: <;Hat der Schafskopf am
frühen Morgen wirklich nichts Besseres zu tun, als
meine hübschen Beine zu begaffen?* Um elf Uhr
Xr. Ib79 (4!)
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denn es gibt keine leidenschaftlicheren Sportfischer
(Fliegenals sie. Sir Edward Grey hat über das
geschrieben, hinter dem Mißfischen'' ein lineli
symbolische Lehre der Kunst geteil-
schwebend gehst du durch die Straßen, die Hände
in den Hosentaschen, obwohl du weißt, daß es flegelhaft ist. Der Rasen in den städtischen Alleen seufzt
nun nicht mehr nach Regen. Kr hat frische Hacken
wie du utili lächelt sogar, wenn die Hunde auf ihm
herumtänzeln. Ein junger Mann steht am Rand des
Trottoirs und sieht den kiirzgeschürzten
Schleppe des Herbstes. Schön ist es jetzt, in den
Wald zu gehen. Er ist die Kirche der Einsamen und
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Gejagte
Auf der Erde hat es schon immer Jäger und
gegeben, auch unter den
Pflanzen und Tieren. Sich
dagegen zu wehren, tfäre so ztrecklos, wie dem Him-
all
Hand drücken, durch das Matthias Claudius für e
jene Tiere spricht, die jetzt irgendwo im Wald verbluten
Auf den Kronen der
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Rheuma jagt dich schneller wieder auf die Beine,
als man es von einem älteren Herrn erwartet hätte.
nachsetzen, sollte man den Jägern mit den Patronen
das ^Schreiben eines parforcegejaglen Hirschen an
den Fürsten, der ihn parforcegejagl hatte* in die
kommen die Maler in die Cafes. Sie blättern in allen
Zeitungen und Zeitschriften nach neuen Weltbewerben, heroisch entschlossen, ihnen nicht die Ehre anzutun, daran teilzunehmen. Aber schon beginnen auf
den Marmortischen ihre Einfälle Form zu werden,
kurzsichtigste Jury ihr
denn einmal muß ja auch die
Talent entdecken. Im Atelier entmottet inzwischen
die Frau die 1'orhänge und Winteriiberzieher, eine
Zigarette zwischen ihn himbeerroten Lippen. Nur die
Vorfenster stehen noch in der Finsternis des cnlrümpften Estrichs.
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am liebsten bei Windstille, zwei Stunden bevor
die Sonne im Zenilh steht, an. Dieser gefräßige
Raubfisch, der wenige Meter unter dem glitzernden
geduldig
Wasserspiegel
auf Heute lauert und ebenso
ist wie seine Jager, tut keinem Stümper den Gefallen,
anzubeissen. Er muß mil Strategie überlistet werden,
ob er nun nur ein paar Pfund schwer ist oder zicanzig Kilo. Die Einen suchen ihn mil der Schleppangel zu ködern, die andern blu'fen ihn mit dem
wirbelnden Riech vom Ufer, wo sie mit einer geschmeidigen II
urfnile am liebsten an jenen Orten
operieren, an denen sich das Schilf zu tci<; hurtiger
steigert
Fläche öffnet. Mit der Neige des Herbstes
Vngehcttre, denn
sich die Freßgier des Hechtes ins
je eisiger der See wird, umso seltnerer fällt es ihm,
seinen Riesenappetit zu stillen. Jetzt sieht er ein
verführerisches l.ilimilancrtccscn vorbeischicänzcln.
schuppcnglänzendo
tSctbst ist der Fisch!», delikt der
Egoist, und schon steckt ihm der Köder tief im
spitzigen Maul.
Früher als sonst beginnen jetzt die elektrischen
Bogenlampen
aufzuflammen. Mit neuem Enthusiasm
Neue Zürcher Zeitung vom 11.10.1986
Sonntagnachmittag im Freien: Die Spaziergänger
belagern die rohen Gartentische der Wirtschaften
gelb ist wie
und trinken neuen Most, der fast so
die Wespen, die ihn umtorkeln. Erhitzte Kinder
wippen auf der Schaukel, während die festbeinigcn
Kellnerinnen Platten mil Speck, Fladen und Käse auf
gibt die
ihren Handschaufeln balancieren. Heiter
Erde ihre Geschenke, wie eine Mutter das Brot ihren
Kindern. Wie Katzen rakeln sich die Erwachsenen
Stumpen, deren
an der Sunne. Die Männer rauchen
dünner Rauch blau-grau aufsteigt, wie der Rauch
glühen.
der Kartoffelstauden, die auf den Aeckern
Eine heilere Melancholie liegt über dem ganzen
Land, in dessen Bauerngärten Astern und Dahlien,
Malven, Chrysanthemen und Sonnenblumen lcie
leicht bezechte Hochzeitstage feurige Köpfe tragen.
O/i/ gelben Hirnen hänget und voll mil wilden
10 hat der unRosen das Land in den See ...»
glücklich-glückliche Hölderlin seinen Herbst erlebt.
Der Herbst: das ist die Zeit, in der die U inzer tm i
schlieren Rallen aus den Rebbergen steigen, um die
nachtblauen und ahorngelben Heeren in die sauerZeit, in der
duftenden Bottiche zu schütten: die
gelangen
die Nüsse und Kastanien zur letzten Reife
Schrebergärtner
grünbescliürzten
die Ernte
und die
Zeit,
der man
in
die
einsammeln:
ihre
Mühsal
für
in kühlen Hotelzimmern schläft, um wandernd und
gelieble
wechselim
Heimat
reisend noch einmal die
vollen Spiel des Nebels, der Oktobersonne und des
gläsernen Mondglanzes zu sehen: die Zeil, die in
der Jugend uralle Indianerinstinkte wachküßt und
das leih vom Sauser, teils von romantischen Sehnsüchten aufgewirbelte Herz zu kecken Taten aufdieses sonderbare Menschenherz, das der
muntert
(Laboratorium der täligen
Wandsbecker Bote das
Freundschaft und die einsiedlerische If erkstälto
galiannl hat, (WO die Liebe ihre stillen Wünsche, ihre
schmachtenden Seufzer und den heimlichen, süßen
Gram ausbrütet».