Artikel als PDF lesen - ff - Das Südtiroler Wochenmagazin

leitartikel
Der Verlust der Macht
Athesia hat den Alto Adige übernommen. Das größte Verlagshaus versucht damit, ­
seinen zunehmenden Machtverlust im Land aufzuhalten. Das ist vergebens.
I
von Kurt W.
Zimmermann
mmer dann, wenn sich alle Kommentatoren
einig sind, dann muss man als unabhängiger
Geist vorsichtig sein. Wenn sich alle schnell einig sind, steigt die Wahrscheinlichkeit des kollektiven Irrtums ebenso schnell.
Als Dolomiten-Herausgeber Michl Ebner letzte
Woche den italienischsprachigen Alto Adige übernahm, waren sich die Kommentatoren von rechts
bis links sehr schnell einig: Der Kauf sei ein Tiefschlag für die Meinungsvielfalt in Südtirol.
„Der Druck auf die Politik wird zunehmen“,
wusste die Tageszeitung. Ein „demokratiepolitisch großes Fragezeichen“ setzte der Freiheitliche
Pius Leitner hinter den Kauf. „Demokratiepolitisch ziemlich verheerend“ erschien er dem Grünen Hans Heiss.
Mit der Übernahme des Alto Adige, so die kollektive Meinung, entstehe in Südtirol ein zweisprachiges Medien- und Meinungsmonopol der
übelsten Art. Das Verlagshaus Athesia werde nun
definitiv zum bestimmenden Machtfaktor im
Land und der Politik die Agenda diktieren.
Ich denke, das ist Unsinn. Das Gegenteil trifft
zu. Athesia erleidet derzeit einen Machtverlust wie
noch nie in seiner Geschichte. Und ich glaube,
dieser Machtverlust geht ungebremst weiter.
Athesia hält nun vier landesweite Medienangebote, die politisch relevant sind. Das sind die Tageszeitungen Dolomiten und Alto Adige, das Sonntagsblatt Zett und die Internet-Plattform Stol. Dem
stehen drei relevante landesweite Angebote anderer Medienhäuser gegenüber, die journalistisch oft
besser sind. Rai Südtirol, Tageszeitung und ff.
Auch in den Bezirken trifft Athesia auf gleichwertige, oft überlegene Konkurrenz. Im Pustertal
mit der Pustertaler Zeitung oder im Vinschgau mit
dem Vinschger Wind ist Athesia mit ihren Bezirksblättern nur die publizistische Nummer zwei. Sehr
beeindruckend ist das nicht.
Über alles gesehen dominiert Athesia zwar den
Medienmarkt. Aber ein Medienmonopol ist das
nicht, ein Meinungsmonopol schon gar nicht.
Der Erwerb des Alto Adige hat dieses Kräfteverhältnis nicht wesentlich verändert. Seien wir
ehrlich, der Alto Adige hat schon seit Jahren nicht
mehr in der obersten Liga der Südtiroler ­Medien
mitgespielt. Das Ethno-Blatt der Italiener ist
qualitativ dürftig, die Auflage seit Jahren im
No. 42 / 2016 Sturzflug, die Finanzen sind zerrüttet. Selbst die
italienischen Meinungsführer im Land nahmen
das Blatt immer weniger ernst. Hätte Athesia die
Zeitung nicht gerettet, wäre der Alto Adige bald
eingegangen. Und niemand hätte ihm große Tränen nachgeweint. Ein wichtiger Faktor der Meinungsbildung ist der Alto Adige nicht mehr. Es ist
darum nicht einleuchtend, dass aus dem Erwerb
dieses Sanierungsfalls ein Machtzuwachs für Athesia resultieren sollte.
Ich glaube, die Situation ist ganz anders, als
viele im Lande nach dem Alto Adige-Handel meinen. Ich glaube, Athesia hatte noch nie so wenig
Macht wie heute. Der Einfluss des Verlagshauses
auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung
des Landes Südtirol war noch nie so gering. Und
der Machtverlust von Athesia und ihres Besitzers
Michl Ebner wird unaufhaltsam weitergehen.
Den bisher spektakulärsten Beweis für den
schwindenden Einfluss der Athesia erlebten wir
rund um das Benko-Kaufhaus. Athesia und Michl
Ebner fuhren gegen das Projekt alle verfügbaren
Waffenarsenale auf. Über Jahre schossen die
­Dolomiten und ihre Schwestermedien gegen die
Benko-Idee. Als im Frühjahr der Termin für die
Volksbefragung zum Kaufhaus näher rückte, boten die Dolomiten immer hektischer selbst die obskursten Gefälligkeitspolitiker und -experten auf,
um gegen Benko Stimmung zu machen.
Und was geschah? Das Projekt wurde an
der Urne mit drei Viertel der Stimmen gutgeheißen. Es war eine Blamage von Athesia in der
Öffentlichkeit.
Ähnlich unerfreulich entwickelte sich das Verhältnis zum Landeshauptmann und zum Landtag. Nach dem störrischen Luis Durnwalder hatte
Ebner sehr darauf gebaut, dass sich sein Nachfolger Arno Kompatscher willfähriger zeigen würde.
Die Hoffnung lag in Kompatschers Charakterzug, dass es ihm sehr wichtig ist, in den Medien
gut wegzukommen und dass er auf journalistische
Kritik bisweilen sehr dünnhäutig reagiert. Ebner
sah sich darum in einer vorteilhaften Ausgangslage. Er wollte Druck machen.
Schon die erste Machtprobe jedoch wurde zu
einem Debakel für Athesia. Ebner versuchte, die
Mehrheit am IT-Unternehmen Brennercom zu
bekommen, und warf darum das Land Südtirol,
® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl
den wichtigsten Mitaktionär, aus dem Brennercom-Verwaltungsrat. Kompatscher legte darauf
den sogenannten „Anti-Athesia-Artikel“ vor, der
vom Landtag genehmigt wurde. Die Mehrheit an
Brennercom blieb Ebner damit verwehrt.
Die beiden Seiten einigten sich später auf einen lauwarmen Kompromiss, der Ebner halbwegs
das Gesicht wahren ließ. Aber der Eindruck verfestigte sich auch so: Athesia adieu.
Eine solche Niederlage wäre der alten, dominanten Athesia nie widerfahren.
Michl Ebner weiß natürlich auch, dass sein
­ edienimperium zunehmend an Bedeutung verM
liert. Der Mann hat eine vorausschauende Intelligenz wie wenige im Land. Sichtbar wurde das
schon vor acht Jahren, als sich Ebner zum Präsidenten der Handelskammer wählen ließ. Die
Weitsichtigen unter den Südtirolern haben sich
schon damals gefragt: Warum hat er das nötig?
Die Antwort war offenkundig: Weil er sonst immer weniger zu sagen hat.
Dieselbe Frage kann man nun stellen, nachdem Ebner den Alto Adige übernommen hat.
Warum hat der Ebner das nötig? Die Antwort ist
wieder offenkundig: Weil er sonst immer weniger
zu sagen hat.
Nun ist der Machtverlust von Athesia nicht
im Unvermögen ihrer Führungsebene begründet.
Verleger Michl Ebner und sein ChefredakteursBruder Toni Ebner sind sehr tüchtige Zeitungsleute. Ihre Dolomiten gehören, was etwa die Auflageentwicklung anbelangt, zu den erfolgreichsten
Regionalzeitungen im deutschsprachigen Raum.
Ihr Leserschwund ist deutlich kleiner als bei vergleichbaren Titeln.
Die wachsende Bedeutungslosigkeit von
­Athesia ist vielmehr die Folge eines grundsätzlichen Medienwandels. Überall verliert die Presse
an Relevanz. Früher waren Zeitungen eine geachtete Informationsinstanz. Heute sind sie ein zufälliger Informationsfaktor unter vielen. Manche sagen es noch pointierter. Sie reden dann von der
„Lügenpresse“.
Auch zu den großen Zeiten von Josef Rampold
haben die Leser nicht alles geglaubt, was in den
Dolomiten stand. Aber das behielten sie lieber für
sich. Gerade für Volksvertreter war es nicht empfehlenswert, sich öffentlich gegen das Tagblatt der
Südtiroler zu stellen. Die Zeitung machte damals
Karrieren, vor allem Karrieren in der SVP.
Auch dies ist vorbei. Als Michl Ebner 1979
­seine politische Laufbahn als Kammerabgeordneter begann, wurde er schnell einer der programmatisch wichtigsten Köpfe in der Partei. Man
hörte auf ihn und auf seine Personalpräferenzen.
® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Die Partei hatte damals 60 Prozent der Stimmen
und das alleinige Sagen im Land.
Heute ist Ebner immer noch respektiert in der
SVP. Aber die SVP ist nun auf dem direkten Weg
zu einem Wähleranteil von 40 Prozent. Von einem
Vordenker einer 60-Prozent-Partei zu einem Mitläufer einer 40-Prozent-Partei ist es eine bemerkenswert beschleunigte Rutschpartie im politischen Kräftefeld.
Akzentuiert wurde diese Bewegung durch den
Zerfall der gedruckten Presse. Es war der Zerfall
einer jahrhundertelangen Deutungshoheit. Vom
18. Jahrhundert bis vor zwanzig Jahren war die
gedruckte Presse, vor allem die Tageszeitung, das
Maß der medialen Dinge.
Es gab außerhalb der Presse allenfalls das
Fernsehen als Alternative der ernsthaften Informationsvermittlung. Man hatte sonst keine Wahl.
Man musste Zeitungen lesen. Und die Zeitungen
wussten, dass sie gelesen werden mussten.
Inzwischen ist man als Bewohner von Südtirol
oder Südafrika glänzend über die eigene ­ Region
und die Welt informiert, ohne sich die Finger an
Druckerschwärze schmutzig machen zu müssen.
Das Internet mit all seinen Portalen und Blogs,
mit Facebook, Google, Twitter und Instagram hat
die Information radikal demokratisiert. Es gab
noch nie eine derartige Meinungsvielfalt in Südtirol wie heute.
Tageszeitungen repräsentieren nicht mehr kommunikative Allmacht, sie sind nur noch kommunikative Accessoires. In den Zeitungsredaktionen
freut man sich nicht über diese Demokratisierung
der Medienwelt. Demokratie bricht immer Vormachtstrukturen. Niemand bejubelt seinen eigenen Verlust an Deutungskraft.
Man sagt zu dem Strukturwandel. Strukturwandel heißt, dass die alten Gesetze durch neue
Spielregeln gebrochen werden.
Und damit wären wir zurück bei Athesia.
Athesia war einmal eine unbestrittene Macht. Das
ist sie nicht mehr. Sie ist keine Macht mehr, weil
der Wandel der Medienwelt die Rolle der Tageszeitungen nicht nur in Südtirol, sondern weltweit relativierte. Die Zeiten sind vorbei, als Verleger öffentliche Meinung machen konnten. ­Athesia
bekommt auch keine Machtposition mehr, indem
sie nun italienische Zeitungen kauft, die niemand
liest.
All den besorgten Kommentatoren, die nun
ein Medien- und Meinungsmonopol im Land
befürchten, können wir also Entwarnung geben.
Oder biblisch gesprochen: Fürchtet Euch nicht.
Athesia kann kaufen, was sie will. Am Machtn
verlust von Athesia ändert das nichts. Der Einfluss der
Athesia auf die
politische und
wirtschaftliche
Entwicklung in
Südtirol war noch
nie so gering wie
heute.
No. 42 / 2016