Papa und Tim Eine Geschichte vom Anfang als pdf-File

„Papa, erzähl mir von früher“, sagte Tim.
„Also von ganz früher, von so früher, daß es
kein davor gibt.
Erzähl mir vom Anfang, Papa.“
„O, lass mich nachdenken“, meinte Tims
Papa.
„So einfach ist das gar nicht.
Weil: Am Anfang war ja gar keiner dabei.
Aber die Menschen haben trotzdem immer
wieder davon erzählt, von diesem Anfang.
Aber immer ein bisschen anders, so wie sie
es verstanden haben.
Eine von diesen Geschichten mag ich
besonders.
Da wird erzählt, wie Gott arbeitet.
Also so richtig viel und vielleicht hat er
sogar ein bisschen geschwitzt dabei.
Jedenfalls hat er in die Hände gespuckt und
sich an eine erste Arbeit gemacht.
Da hat er gearbeitet wie eine Töpferin, so
ähnlich wie hier die Frau Frenger neben der
Kirche.
Und er hat einen Menschen geformt aus
Lehm.
Das war schon keine so leichte Aufgabe und
Arbeit.
Und dann lag da dieser Mensch, der Adam
genannt wurde – weil er nämlich aus
Ackerboden gemacht war und solcher Boden
heißt auf Hebräisch, der Sprache der alten
Geschichten: adamah.
Der Adam aus adamah gemacht.
Und jetzt liegt der da so rum –
und rührt sich nicht.
Wie könnte er auch –
die Figuren von Frau Frenger bewegen sich
ja auch nicht von selbst.
Man kann sie aber bewegen und herumtragen
und dann bekommen sie Leben von dem, der
sie trägt und bewegt.
Und Gott macht das genauso.
Er bläst dem Adam von seinem eigenen
Atem etwas in die Nase.
Und plötzlich beginnt Adam selbst zu atmen
und streckt sich ein bisschen und entdeckt
sich selbst:
‚Hallo, Adam!‘, sagt er vorsichtig zu sich
selbst,
denn das Sprechen geht noch nicht so leicht
und er erschrickt auch ein bisschen, als er
sich das erste Mal hört.
Und dann schaut er sich um –
und sieht – nichts Gescheites.
Aber er hört etwas:
Er hört, wie da geharkt und gepflügt und
gegossen wird und er merkt, dass Gott da am
Arbeiten ist, wie ein Gärtner.
Und was macht ein Gärtner?
Er pflanzt einen Garten.
Und plötzlich zupft es den Adam hinten am
Hals
und es hebt ihn hoch
und er findet sich genau in diesem Garten
wieder, den Gott gepflanzt hat – extra für
ihn.
‚Ui, das ist ja wie im Paradies‘, denkt Adam
– und Gott sagt: ‚Das ist das Paradies.‘
Und dann sagt er:
‚Adam, spitz die Ohren und höre genau zu:
Ich habe mir Arbeit gemacht mit dir und jetzt
mit dem Garten, damit du es schön hast.
Und jetzt will ich dir diesen Garten gern
schenken –
aber du musst mir versprechen:
Lass es dir gut gehen,
arbeite: pflanze und häckle und lass das
Unkraut nicht zu viel werden und guck
danach, dass auch anständig gegossen wird.
Und vor allem:
Ich will segnen und dir Schönes wachsen
lassen.
Und dann kannst du ernten und dich daran
freuen, was gewachsen ist und dann beißt du
kräftig in den Apfel und denkst an mich –
oder noch besser: an uns beide – und wie gut
wir das mit diesem schönen süßen Apfel
hinbekommen haben!‘“
„Papa!“, sagt Tim.
„Glaubst du, dass das früher wirklich so
gewesen ist?“
Und Papa meint: „Ich glaube, dass es heute
so ist! Und ich glaube, ich habe jetzt Lust auf
einen Apfel.“
(Alexander Behrend, 9/2016)