- Prothese Magazin Hamburg

Editorial
Der sterbende Printmarkt bäumt sich ein letztes
Mal auf: Mit atemberaubendem Aktionismus werden mehr
und mehr Magazine verlegt. Sie sollen im Namen der Printmedien
da anknüpfen, wo die virale Offensive der digitalen Medien an Reichweite
verliert. Sie sollen nicht nur Informationen verbreiten – das kann das Internet besser, schneller und, was wahrscheinlich damit einhergeht, auch billiger. Sie sollen gleichzeitig die Informationsverarbeitung mitorganisieren, sollen Reflexion, Kontemplation und
Interpretation mitliefern: „Slow-Journalism“ soll das Kind dann heißen. Ideologisch wird diese
Forderung und Hoffnung mit dem antimodernen Begriff der „Entschleunigung“ untermauert und
zusammengefasst. Die unzähligen Magazine sind heute die manifeste Evidenz, dass das Projekt Gutenberg nur qua neuester Maschinenstürmerei gegen das Internet und sein Presto erhalten werden kann.
Wer heute ein Magazin veröffentlicht, ist in schlechter Gesellschaft. Es wird auch dadurch nicht besser,
wenn es ein ausdrücklich studentisches Magazin sein soll. „Studentisch“ heißt nicht jung, frisch, dynamisch,
innovativ. Ein „Student“ ist ein Creditpoints sammelnder Nachwuchs des Arbeitsmarktes. „Studentisch“ steht
für die Abwesenheit von gesicherten Kompetenzen, Erfahrungen und Eigenkapital. Wer heute ein studentisches
Magazin veröffentlichen will, bekennt sich zur Beliebigkeit und Belanglosigkeit eines Milieus, das Narrenfreiheit genießt, die aber aufgrund von Zeitmangel (s. Krüger in diesem Band) selten kreativ realisiert werden kann.
Die studentische Text- und Ideenproduktion, die das Potenzial hätte, über die an die Lehre gebundene Text- und
Ideenreproduktion hinauszugehen, krankt daran, dass sie entweder völlig theoriefrei ist oder aber, was schlimmer sein kann, mit einer gewissen Personalunion von Autoren und Rezipienten operiert. Dann nämlich werden analytische Begriffe durch Kampfbegriffe ersetzt und die Brücke zur Debatte wird abgerissen: Statt um
den Gegenstand des Erkenntnisinteresses geht es dann bloß noch um selbstzufriedene Behaglichkeit im eigenen Nest. Das soll nicht heißen, dass interne Auseinandersetzungen in bestehenden Bezügen per se illegitim
sind, sie greifen nur zu kurz. Das „Hinausgreifende“ muss einen Anschluss finden, wenn es fruchtbar sein soll.
Heute ein Magazin zu veröffentlichen, ist weder ökonomisch noch politisch zu begründen. Verbraucht klingen Sätze wie: „The medium is the message“ im rauschenden Getöse der Informationsgesellschaft. In panischer Angst vor der Langeweile (s. Endemann) stöbern wir im Café (s. Deutschmann) nach dem Wetter
von morgen (s. Burschyk). In den Bann gezogen von unserem orakelnden iPhone (s. Groll), das wir mit
Geld erwarben, das dafür eigentlich nicht reicht (s. Gumprecht). Was einmal „Welt“ geheißen hat und
sich nur noch als Krieg (s. van den Berg) und Krise (s. Faissner) meldet, dringt kaum noch in die
grauen Kästen (s. Zöller), in denen wir uns vorsätzlich zur nächsten Generation professionsloser „Fachidioten“ zurichten lassen (s. Weise). Gibt es noch etwas zu sagen? (s. Boesken)
Wir hoffen, die Möglichkeit offenen prothetischen Denkens zu schaffen. In diesem Sinne freuen wir uns, Ihnen die erste Ausgabe zum Thema Der Mangel zu präsentieren.
Wir danken Herrn Dr. Martin Stempfhuber für seinen Gastbeitrag
Eine hübsche Unordnung von MacGuffins, auf den hier ausdrücklich hingewiesen sei.
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