LESERFORUM Freie Presse Mittwoch, 12. Oktober 2016 LESEROBMANN Deutliche Mahnung REINHARD OLDEWEME TELEFON: 0371 656-65666 (10-12 Uhr) TELEFAX: 0371 656-17041 E-MAIL: [email protected] M it gegensätzlicheren Gefühlen konnten die beiden Gedanken eigentlich nicht verbunden sein, die mir durch den Kopf schossen, als ich in der vergangenen Woche nach dem Feiertag die Zeitung aus dem Briefkasten nahm. Zum einen war ich froh, auch erleichtert: Auf der Titelseite war zu dem Artikel „Schimpftiraden zum Tag der Einheit“ ein Foto zu sehen, das zeigte, wie Pegida-Anhänger demonstrierten und ihre Plakate in die Luft hielten, sodass es für die Politiker und Gäste zu einem wahren Spießrutenlauf wurde. Gedacht habe ich: Schaut in diese Gesichter, diese hasserfüllten Menschen gibt es, sie sind mitten unter uns und sie sorgen mit ihrem Auftritt dafür, dass Sachsen und Deutschland über die eigenen Grenzen hinaus in Verruf geraten. Ich war den Kollegen dankbar für dieses Foto, weil ich überzeugt bin, dass wir niemals die Augen davor verschließen dürfen und immer unsere Stimme erheben sollten, um dagegen vorzugehen. Ich war mir sicher: Dieses Bild ist eine Mahnung, wie sie deutlicher nicht ausfallen konnte. Zum anderen aber war ich besorgt, denn mir war klar, dass es viele Leser gibt, die das andersherum sehen. Letztendlich waren es mehr als 30, die uns angerufen oder geschrieben haben, weil sie sich maßlos über das Foto und die Tatsache geärgert hatten, dass sich der Bericht auf der Titelseite nur mit der Kehrseite der Feierlichkeiten in Dresden beschäftigte und das Foto noch mehr den Finger in die Wunde legte; das Schöne und die Freude des Festes seien dagegen zu wenig beschrieben worden (siehe Leserbriefe auf dieser Seite). Man würde der Pegida geradezu ein Podium bieten, eine bessere Werbung könne sich die fremdenfeindliche Bewegung nicht wünschen. Dieses Argument kann ich nicht entkräften, es hat seine Berechtigung. Warum haben sich meine Kollegen trotzdem so entschieden? Diese hässlichen Szenen, die nichts mit Anstand zu tun haben und einfach beschämend sind, haben von der Wirkung und der öffentlichen Wahrnehmung her die wunderbaren und hochwertigen anderen Veranstaltungen des Festwochenendes einschließlich des Bürgerfestes in den Schatten gestellt und waren die zentrale Nachricht dieser drei Tage. Gerade mit Blick auf die Bedenken, den Störenfrieden keine Plattform zu bieten, haben meine Kollegen in dem Artikel auf der Titelseite und vor allem in der Reportage „Der Ruf von Dresden“ auf der Seite „Zeitgeschehen“ die Vorfälle bewertet und so richtig eingeordnet, dass die Feierlichkeiten selbst und das Angebot an Veranstaltungen keinesfalls unter den Tisch fielen und entsprechend gewürdigt wurden. Für mich schließt sich hier der Kreis. Zur journalistischen Verantwortung gehört es, sorgfältig abzuwägen und genau zu analysieren, wann und in welchem Umfang ich die Gefahr benenne, die unbestritten da ist und uns alle etwas angeht. Meine Haltung ist deshalb diese: Der Bericht und das Foto auf der Titelseite haben uns dies mit Nachdruck vor Augen gehalten; das war gut so. HINWEIS Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe sinnwahrend zu bearbeiten. Leserbriefe geben stets die Meinung ihres Verfassers und nicht die der Redaktion wieder. E-Mails müssen die vollständige Adresse enthalten. Anonyme Zuschriften werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Briefkasten Freie Presse, Ressort Chef vom Dienst Postfach 261 09002 Chemnitz. Fax: 0371/656-17041 E-Mail: [email protected] Seite B1 Reicht das: Nur peinlich für Sachsen? mert. Vor allen Dingen aber wurde im Kontext der Geschichte Rückschau und Ausschau gehalten – ohne erhobenen Zeigefinger, wobei sogar der Humor nicht zu kurz kam. Für uns, die wir 1990 vierzig Jahre und älter waren und uns bis heute, oftmals großen Widrigkeiten zum Trotz, nicht nur um unser Wohl und Wehe gekümmert haben, war es eine herzerwärmende Rede. Elisabeth Ostrowski, Zwickau Nachdem sie die Berichte „Schimpftiraden zum Tag der Einheit“ und „Der Ruf von Dresden“ über die Veranstaltungen in Dresden zum Tag der Deutschen Einheit gelesen hatten, haben viele Leser sich entschieden, uns ihre Meinung dazu mitzuteilen. Vor allem schädlich für Sachsen Sicher, es waren bloß ein paar Hundert, die so laut gegen den Staat krakeelt haben. Und für die meisten ist die Wiedervereinigung eine freudige Erinnerung. Dennoch wird durch die Störungen der Feier ein negatives Bild von Sachsen in die Welt hinausgetragen. Es sind peinliche Bilder. Peinlich, weil Aussprüche wie „Wir sind das Volk“, „Volksverräter“ oder „Und wer rettet uns?“ auf einen großen Mangel an demokratischer Bildung und Gesinnung hindeuten und zudem recht dümmlich wirken. Peinlich für Sachsen ist auch, dass dieses Gebaren flankiert wird von dem Versuch von Teilen der sächsischen CDU, der Beliebtheit der AfD mit an Pegida erinnernder Thematik und Rhetorik entgegenwirken zu wollen. Nicht anders ist der Versuch einer mit Patriotismus etikettierten, aber tatsächlich nationalistische und rassistische Ressentiments bedienenden Leitkulturdebatte einzuordnen. Dies wird am Ende der CDU selbst auf die Füße fallen, ist aber vor allem schädlich für Sachsen. Andreas Dreier, Zwickau Das erinnert sehr an früher Dankbar können wir Ostdeutschen auf 26 Jahre Einheit zurückblicken. Wenn bei den Feiern zum Nationalfeiertag Regierende und Gäste beschimpft werden, ist das nicht in Ordnung und hat nichts mit Anstand zu tun. Aber wo liegen die Ursachen, dass ein Teil der Bürger besonders in Ostdeutschland zur AfD und zu Pegida rennt? Diese Frage müssen Politiker aller Parteien für sich selbst beantworten. Es reicht eben nicht, vor einer Landtags- oder Bundestagswahl mit Röschen und Bildchen die Menschen zur Wahl aufzufordern. Da begrüßen Merkel und Gauck eine Gruppe ausgewählter Zuschauer, aber das erinnert an vergangene Zeiten. Wenn sich die Volksparteien nicht besinnen, mehr den Kontakt zum Volk zu suchen, wird die Unzufriedenheit in bestimmeten Gruppen weiter steigen. Lothar Schumann, Chemnitz Jetzt endlich aufwachen Wie traurig: Intensiver kann man das Ansehen von Sachsen über Deutschland hinaus nicht schädigen. Dazu haben beigetragen: die Ministerpräsident Stanislaw Tillich begrüßt beim Bürgerfest an der 100 Meter langen Kaffeetafel im Zwinger die Mitglieder der Bürgerdelegationen aus allen 16 Bundesländern. FOTO: ARNO BURGI/DPA Justiz, die kein Kreuz hat, Demonstrationen anlässlich der Einheitsfeier in Dresden nicht zu genehmigen. Die Polizei, die nicht energisch gegen derart unwürdiges und beleidigendes Verhalten von Unverbesserlichen vorgeht. Und auch die „Freie Presse“, die kein besseres Bild auf die Titelseite setzt als das einer Gruppe mit dem Plakat „Merkel muss weg“. Wenn der Staat nicht bald entschlossener solchem Auftreten entgegenwirkt, werden wir wohl erst aufwachen, wenn wir einer erneuten braunen Situation gegenüberstehen. Helmut Walenski, Adorf Nichts mit Streitkultur zu tun Was sich ein kleiner Teil erlaubt hat gegen unsere Regierungsvertreter, ist mehr als peinlich. Dies hat nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun, es ist abscheulich. Wenn ich auf den Bildern sehe, wo inmitten dieser Leute auch Kinder sowie Jugendliche sind und den Mittelfinger zeigen sowie die Zunge herausstrecken gegen die Verantwortungsträger, fehlen mir die Worte. Wie sollen Jugendliche und Kinder dann noch Respekt vor etwas bekommen, wenn sie so etwas vorgelebt bekommen? Außerdem frage ich mich, wo die älteren Menschen zu DDR-Zeiten waren, ob sie da auch Schilder hochgehalten haben mit „Honecker muss weg“? Was dort in Dresden von diesem Pulk von Menschen gemacht wurde, hat nichts mit Streitkultur zu tun. Es werden nie alle einer Meinung sein, aber dies sollte auf eine vernünftige Art miteinander ausgetragen werden. Aber auf keinen Fall bei einem Nationalfeiertag. Christoph Wieland, Thalheim Der völlig falsche Weg Es gibt wieder politische „Märtyrer“, werbende „Rattenfänger“ und klug schwätzende „Retter Deutschlands“ mit lockenden, jedoch meist leeren Versprechungen. Es heißt, wer aus der Geschichte nichts lernt, ist gezwungen, sie zu wiederholen. Das sollten nicht nur die Mitläufer der Pegida in Dresden oder die Wähler von radikalen und extremen Parteien niemals vergessen, trotz berechtigter Proteste gegen oftmalige Missachtung der breiten Bürgermeinung durch die Regierenden. Das Schreiben hasserfüllter Parolen und Beschimpfungen und Pöbeleien sind dabei ein völlig falscher Weg. Eine Wiederholung der Geschichte in Deutschland zwischen 1918 und 1945, wenn auch in anderen Varianten als damals, würde eine Demokratie nicht überleben und einem erneuten, noch größeren Chaos den Weg ebnen. Horst Kühnert, Mittweida Politikverdrossenheit nimmt zu Es ist wenig verwunderlich und macht traurig, dass ein Festakt zur Meinungsbekundung genutzt wird, wenn sonst keiner zuhört. Traurig sind auch die Tränen der Ehefrau von Wirtschaftsminister Martin Dulig, die offenbar so abgeschottet lebt, dass sie erst an diesem Tag sah, wie große Teile der Bevölkerung die Arbeit der Regierung bewerten. Es waren ja auch alle großen Namen anwesend und haben sich gleichzeitig auf den Schlips getreten gefühlt, schließlich wählen sich die meisten gegenseitig ins Amt. Die Kernaussage an diesem Tag: Das Volk, nicht die Politiker haben die Wiedervereinigung herbeigeführt, die Politikverdrossenheit nimmt zuungunsten der Regierung zu. Michael Weißpflug, Glauchau Doch besser einfach ingorieren Herzlichen Glückwunsch den 500 Menschen, die bei den Feierlichkeiten in Dresden gepöbelt haben. Sie haben ihr Ziel erreicht, auf sich aufmerksam zu machen. Die Medien sind voll darauf eingegangen, und auch bei der „Freien Presse“ haben sie es auf die Titelseite geschafft. Ignoriert doch einfach solche Leute, damit nehmt Ihr denen den Wind aus den Segeln. Oliver Meister, Rosenbach Ohne erhobenen Zeigefinger Die Anhänger von Pegida werden sich auf die Schenkel klopfen vor Freude über so viel Werbung: im Großformat auf der Titelseite. Was will man mehr? Es sind zu wenig Optimismus versprühende Zeilen zu finden in diesem Rückblick auf den Tag der Einheit. Zu wenig über die Feierstimmung am Sonnabend und Sonntag. Pfeifen mit Trillerpfeifen übertönen nicht nur akustisch, sondern auch optisch das Fest. Hier hätte der Abdruck des Wortlautes der Rede des Bundestagspräsidenten Abhilfe schaffen können für diejenigen, die sie nicht im Fernsehen verfolgen konnten. Darin wurde nichts beschönigt, aber auch nicht gejam- Starkes Rückgrat gefragt Für die nächsten Monate wünscht man sich Demokraten mit Rückgrat, wie es der erste Bürgermeister Dresdens zu besitzen scheint. In der von Politik und Medien hysterisch geführten Pöbelei-Debatte bleibt Detlef Sittel cool und weist darauf hin, dass er sich keinen Staat wünsche, in dem die Regierenden ungestört feiern und der Bürger seine Meinung nicht sagen darf. Genau so ein Staat sei durch die Friedliche Revolution abgeschafft worden. Es wird die Aufgabe eben dieser friedlichen Demokraten in naher Zukunft sein, einen solchen unter Mühe abgeschafften Staat nicht durch die Hintertür wieder hineinschleichen zu lassen. Dazu gehört Mut und ein starkes Rückgrat, um sich einem öffentlichen Druck nicht zu beugen. Werner Arning, Mörfelden Es gibt sie, diese Stimmen Sicher gehören diese Rufe in die unterste Schublade und werden zurecht gerügt. Wie hat man sich aber einen Dialog mit Claudia Roth („der liebe Gott möge Hirn ausschütten“) vorzustellen? Zur Trillerpfeife greifen, Sprechchöre skandieren oder grüne Farbbeutel werfen? Oder alle vier Jahre brav auf eine Wahl setzen, wo in der Vorschau schon jetzt die farbigen Karten (ohne Blau) nach rein machterhaltenden Prioritäten gelegt werden? Es folgt eine Legislaturperiode, und der Souverän muss selbst bei Entscheidungen epochaler Tragweite wie 2015 nicht einmal gefragt werden. Diesen Protest deshalb pauschal mit „Hass“ zu umschreiben, ist ein Totschlagargument, weil ich glaube, dass dahinter auch viel Ohnmacht steht, und ich hoffe – und hier unterstelle ich das einfach –, dass zuvor andere Formen der politischen Einflussnahme und Artikulation stattgefunden haben. Die Gescholtenen in der Königsloge werden es ertragen müssen, dass sich Menschen mit einer Reihe ihrer Entscheidungen kritisch auseinandersetzen und nicht zum Pack (Gabriel) in Dunkeldeutschland gehören, saßen sie doch mit am Tisch des Herrn Dulig, nahmen an Diskussionen bei Herrn Richter teil und schreiben an Zeitungen und Mandatsträger zu ihrer Sicht auf politische und gesellschaftliche Prozesse. Es gibt sie: leise, kritische Stimmen. Leider werden sie nicht gehört oder einfach negiert. Achim Tröger, Zwickau Eine Politik jenseits sozialer und christlicher Werte Zum Bericht „Prognose: Rentenniveau sinkt drastisch“ haben zwei Leser uns ihre Meinung mitgeteilt. Besser den Steuersatz senken Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles will im November ein neues Rentenkonzept vorlegen. Wenn ich an ihre Mindestlohneinführung denke, habe ich jetzt schon Angst um meine Rente. Sie hat wiederholt behauptet, dass der Mindestlohn keinen Einfluss auf die Preise habe. Da möchte ich doch gerne wissen, wo sie einkauft, in welches Restaurant sie geht oder zu welchem Friseur. Hat sie bei der Abstimmung ihres Konzeptes vielleicht einmal daran gedacht, dass die Besteuerung der Rente doch -– vorsichtig formuliert – eine sehr große Ungerechtigkeit ist? Der Bruttolohn wird richtigerweise versteuert und davon zurzeit 18,7 Prozent in die Rentenkasse (wohlgemerkt versteuert) eingezahlt. Wieso nimmt der Fiskus dem Rentner noch einmal Steuern ab? Nach den jetzigen gesetzlichen Regelungen muss der Staat eingreifen, wenn das Rentenniveau unter 43 Prozent sinkt. Also, lieber Staat: Senke den Steuersatz auf die Rente – und das Rentenniveau bleibt stabil und es wird kein Rentenkonzept von der zuständigen Bundesministerin benötigt. Lothar Frohberg, Chemnitz Die Botschaft des Demonstranten ist eindeutig. FOTO: STEPHANIE PILICK/DPA Über den Tellerrand gucken Von denen, die über die Entwicklung des Rentenniveaus debattieren, wird wohl niemand selbst betroffen sein, denn sie bekommen später Pensionen und können sich ihre Altersversorgung selbst finanzieren. Das dürfte der Grund sein, warum sie nicht über ihren Tellerrand gucken oder nicht ernsthaft darüber reden wollen, was sie sehen. In anderen Ländern gibt es funktionierende Rentenkassen, in die alle einzahlen, also auch die Beamten und Selbstständigen. Und wenn durch Robotereinsatz Arbeitsplätze wegfallen, sollte es angebracht sein, Unternehmen eine Automatensteuer abzuverlangen. Nichts davon. Die Privilegierten sollen privilegiert bleiben dürfen, zum Beispiel ohne Begrenzung der Vorstandsgehälter, und die allermeisten Rentner weiter in ihrem eigenen Saft schmoren und mit Rente ab 70 und kräftiger Beitragserhöhung auf härtere Zeiten einge- stimmt werden, vor wichtigen Wahlen beschwichtigt mit Rentenerhöhungen zu Lasten der Steuerzahler und der nachfolgenden Rentengenerationen. Wenn ich mir die Eckdaten im Armutsbericht und zum Beispiel das Gemauschel um die absurd hohen Gehälter der Sparkassenvorstände vor Augen führe, bin ich einmal mehr entsetzt über das die Würde von Millionen Menschen existenziell antastende Ausmaß dieser sozialen Schieflage. Auf christlichen und sozialen Werten beruhende Politik sieht für mich ganz anders aus. Aber wir bekommen die Politiker, die wir verdienen. Die Unterschiede zwischen den größeren Parteien sind eher gering. Die Proteste gehen in die falsche Richtung. Werner Steffens, Schloßchemnitz
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