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text
Lara Fritzsche &
Lena Kampf
Eine
foto s
Ramon Haindl
Ihre Anwälte inszenieren sie als Kämpferin
für Frauenrechte, die Justiz hält sie für eine
welt
Lügnerin, sie selbst bezeichnet sich als
»Alice im Wunderland« –
voller
aber wer ist sie wirklich? Ein halbes Jahr
mit Gina-Lisa Lohfink
Schatzis
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Sü dde u t s ch e Z ei t u ng M ag a z i n
»Annelie« steht auf Gina-Lisa Lohfinks Unterarm: Der Name ihrer
Großmutter, die an Brustkrebs starb. Ihr Großvater Hans war Bierbrauer
und ist auch verewigt, ebenso wie ihre Mutter Petra. Auf ihren
Füßen stehen die Namen ihrer zwei Schwestern. Beide studieren noch.
E
s war ein irrer Sommer: Im Amtsgericht
Berlin-Tiergarten wurde sie von Jugendlichen bespuckt, auf Mallorca von Besoffenen ausgebuht und auf der Straße von
weinenden Fremden umarmt. Jetzt ist es
Ende September, die Luft riecht schon nach
Winter in den österreichischen Bergen. Gina-Lisa Lohfink
feiert auf einer Almhütte ihren dreißigsten Geburtstag. Oder
eher: Sie tut so.
Am Vorabend war sie mit Freunden in Frankfurt unterwegs, übermorgen will sie mit ihrer Familie hinterm Haus
grillen. Heute Abend feiert sie mit RTL. Die Gäste sind Menschen, die auch ins Fernsehen wollen: ihr neuer Gesangspartner Florian Wess, dessen Vater und Onkel, die gemeinsam als
»Botox Boys« auftreten, und eine professionelle Sambatänzerin, die später für ein paar gute Bilder sorgen wird. Es ist ruhig am
Geburtstagstisch, nur wenn die Kamera angeht, setzen alle ein Feiergesicht auf. Als Gina-Lisa sagt, sie würde am liebsten zurück ins Hotel,
sich hinlegen, ist es nicht mal zwölf.
Aber es geht weiter. Für halb eins
wurde Gina-Lisas Anwesenheit
einem örtlichen Barbesitzer zugesagt. Und RTL braucht eine Partyszene, am Käsefondue ist es zu urig.
Gina-Lisa Lohfink ist müde nach
diesem Prozess und trotzig: »Nie
wieder würde ich anzeigen«, sagt
sie. Was es die Leute überhaupt angehe, was sie mache, und überhaupt
will sie gar nichts mehr sagen. Aber
das wird RTL nicht senden. Passt
nicht zu Gina-Lisa.
Deutschland hat sich schnell ein
Bild gemacht. Für die einen ist GinaLisa Lohfink ein Justizopfer, ein Beispiel für die unzureichende Sexualgesetzgebung in Deutschland, die Täter schützt und Opfern Gerechtigkeit verwehrt.
Ein Symbol. Die Kämpferin. Für die anderen ist sie eine, die
in die Schlagzeilen will um jeden Preis und sich nicht davor
scheut, mit dem Privatesten berühmt zu werden. Eine Lügnerin, die ihre eigene Vergewaltigung nur erfunden hat, so
hat das Gericht am 22. August 2016 geurteilt. Das ist nicht
falsch, aber auch nicht ganz richtig. Denn in den zwölf beschlagnahmten Videos von jenem Sonntag im Juni 2012
sagt Gina-Lisa Lohfink durchaus auch Nein zu sexuellen
Handlungen und nicht nur zum Gefilmtwerden. Aber sie
tanzt auch, singt und lacht. Was zählt nun? Nein? Ja? Gibt
es ein Dazwischen? Wer ist die Frau, von der alle glauben,
sie hätten sie verstanden und die trotzdem bisher immer
missverstanden wurde?
Wer Gina-Lisa Lohfink treffen, sie kennenlernen will, bekommt von ihrem Management zwei Versionen angeboten:
die öffentliche Gina-Lisa – oder Gina-Lisa privat. Selbst der
Blick hinter die Kulissen ist eine zu buchende Option. So
geht es schon mal los.
Ein Landgasthof in Dorsten, April 2016. Blauer Teppich, Gardinen kariert, Holzbett, gelbes Laken, darauf sitzt die Frau,
die – egal mit wem man spricht – nie einen Nachnamen hat:
Gina-Lisa also. Sie hat die Decke bis zum Kinn gezogen. Sie
ist krank. Neben ihr auf der Bettkante sitzt ihre damalige
Managerin Alex Sinner. In die Ecke, unter die Dachschräge,
haben sich zwei Anwälte gezwängt.
Gina-Lisa Lohfink hat einen Magen-Darm-Infekt, sie hält
sich den Bauch. »Der Druck«, flüstert Sinner und nickt vielsagend. In wenigen Wochen, wenn der Prozess losgeht, wird
Gina-Lisa wieder in den Schlagzeilen sein. Dass ihr Fall mit
einem neuen Gesetz verknüpft werden wird, ahnt sie hier
noch nicht. Sie erwartet nur das Übliche: Boulevardpresse
und Privatfernsehen. Das ist schon genug. »Ich bin manchmal froh, wenn ich nicht in der Zeitung bin«, sagt sie. Ein
Satz zum Mitschreiben. Ist das nun
die private Gina-Lisa, die da spricht?
Und kann es stimmen?
Hin und wieder steht Gina-Lisa
vom Bett auf und geht ins Bad, um
sich zu übergeben, oder sie geht zu
einem der Anwälte und setzt sich
auf seinen Schoß. Dann muss das
Interview, das nie eines war, weil alle
Anwesenden die Fragen beantworten, nicht nur Gina-Lisa, kurz unterbrochen werden. Der Anwalt will
einen Videoanruf machen, um
einem Freund zu zeigen, wer auf seinem Schoß sitzt. Er will angeben.
Gina-Lisa ist umgeben von Menschen, die sie bezahlt und die sie als
Freunde bezeichnet. Wer auch immer auf einem ihrer zwei Handys
(das eine beruflich, das andere privat, aber alle haben beide Nummern) anruft, ist »Schatzi«. Ihr Strafrechtler, ihr Medienanwalt, die Tochter der Besitzerin vom Solarium, die alles, was Gina-Lisa in
der Kabine vergisst, in ein Kästchen hinter dem Tresen legt,
ihr Friseur, ihre Visagistinnen, ihre Dirndlschneiderin, alles
Schatzis. Alle sind lieb. Und sie ist es auch. Jede Interaktion
mit Gina-Lisa endet mit einer Sympathiebekundung, einer
Umarmung, einem Küsschen. Ohne Beteuerung der gegenseitigen Zuneigung kein Abschied. Mit ihrer Mutter ist es
sogar eine richtige Formel, die sie gemeinsam aufsagen. »Hab
dich lieb, pass auf dich auf, hab dich auch lieb, ja mach ich,
pass auch auf dich auf, okay, vermiss dich, ich dich auch, okay,
Kussi, Kuss, mein Schatz, hab dich lieb.«
Gina-Lisa setzt sich auf, in diesem Holzbett mit dem gelben Laken in Dorsten. Was soll sie bloß vor Gericht anziehen? Und wie soll sie sich geben? Inszenierung ist ihr Beruf.
Angefangen hat das 2008 mit Germany’s Next Topmodel. Seitdem sind Auftritte in Fernsehsendungen wie Das perfekte
Promi-Dinner, Die Alm oder im kommenden Januar im
Dschungelcamp die Voraussetzung für ihren Status als
C-Promi. Der wiederum ist Voraussetzung für ihr Geschäft:
Sie wertet mit ihrer Anwesenheit verschiedenste Events auf:
gina-lisa Lohfink
Selbstdarstellerin
Als junge Frau nahm
Gina-Lisa an Misswahlen teil, unter anderem
wurde sie Miss Darmstadt. 2008 machte sie
bei Germany’s Next
Topmodel mit (Foto
rechts) und
Inszenierung
ist Gina-Lisa
Lohfinks Beruf.
Alles, was sie
tut, ist Vorbereitung auf das
nächste Bild
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wurde deutschlandweit bekannt – auch für ihren JubelAusruf »Zack, die Bohne!«
Fotos: Peter Bischoff / Getty Images, Stephan Pick, Steffi Loos / C ommonLens/ddp images
Seit Sommer 2016
tritt Lohfink mit Florian Wess als Gesangsduo (oben) auf Mallorca und in Provinzdiskos auf. Wess
gehört auch zur Entourage, die Lohfink
an jedem Prozesstag
ans Amtsgericht Berlin (rechts) begleitete.
Diskoeröffnungen, die Eröffnung von Dessousläden, die Eröffnung von Erotikmessen. Es gibt Auftritte, da wird sie stundenlang fotografiert, aber nichts gefragt. »Ich bin oft nur
Dekoration«, sagt sie selbst. Dass sie ihre Gage wert ist, muss
sie über Bilder transportieren. Sie schmollt, sie schürzt, sie
beugt sich vor, sie lehnt sich zurück, deutet allerhand an und
senkt dann frivol die Lider. Für Menschen, die es gewohnt
sind, sich über das zu definieren, was sie sagen, mag das
merkwürdig klingen. Aber für Gina-Lisa ist es Alltag. Alles,
was sie tut, ist Vorbereitung auf das nächste Bild. Ein
typischer Tag, an dem sie keinen Auftritt hat, beinhaltet Solarium, Fitnessstudio und Drogeriemarkt. So wie ein Fotoshooting bereitet sie auch ihren Auftritt vor Gericht vor: »Es
muss alles perfekt rüberkommen«, sagt sie.
Das ist eine seltsame Äußerung für eine Frau, die beschuldigt wird, falsch beschuldigt zu haben und die ihrerseits sagt, sie sei vergewaltigt worden. Schon hier in diesem
Landgasthof im April 2016, vor dem Prozess und vor all der
Aufmerksamkeit, wird zum ersten Mal deutlich: Gina-Lisa
ist kein gutes Opfer.
Nicht wegen ihrer gemachten Brüste, der aufgespritzten
Lippen oder der angeklebten blonde Haare, nicht, weil es ihr
Beruf ist, sich zu inszenieren – sondern weil sie es auch vor
Gericht tut. Gina-Lisa kommt mit ihrer Entourage zum Pro-
zess: Neuer Manager, neuer Gesangspartner, zwei Anwälte,
ein Kamerateam. Sie weint, faltet für die Fotografen die Hände und senkt trauernd den Blick. Gina-Lisa macht, was sie
gut kann: Bilder produzieren. An jedem Verhandlungstag
sieht sie anders aus: Haare lang, dann kürzer, mal Sonnenbrille, mal Hornbrille. So entsteht jedesmal ein neues Bild.
Auch wenn es mehr so aussieht, als sei es die Inszenierung
einer überforderten Frau als die einer klugen Manipulantin,
für das Gericht macht es die Sache trotzdem schwierig. Was
ist echt, was ist Taktik?
Die Frage steht schon im Raum, als Gina-Lisa zunächst nur
gegen die Veröffentlichung des Videos aus der Nacht vorgeht.
Am 8. Juni 2012 erstattet ihr Anwalt Anzeige. Am 15. Juni,
eine Woche später, erweitert sie die Anzeige um den Vorwurf
der Vergewaltigung. Aber für die Aussage bei der Polizei wird
sie dann fünf Monate lang keine Zeit haben. Einen in zig
Briefen zwischen Anwalt und Staatsanwältin ausgehandelten
Termin sagt die Managerin am Vorabend per Mail ab: da
Gina-Lisa »sich gesundheitlich überhaupt nicht wohl fühlt«.
Für die Staatsanwältin ein Zeichen, dass die junge Frau
die Anklage nicht ernst meint. Die Skepsis, die ohnehin da
war, seit Gina-Lisa die Vorwürfe nachträglich verschärft hat,
wächst. Zu diesem Zeitpunkt ist noch Gina-Lisa die Klägerin. Sie wird teilweise Recht bekommen. Die Männer werden zu Geldstrafen von 4500 und 5400 Euro verurteilt, weil
sie die Videos gegen Gina-Lisas Willen veröffentlicht haben.
Aber eine Vergewaltigung sei darauf nicht zu sehen, findet
die Staatsanwältin und geht von Amts wegen gegen GinaLisa vor: wegen Falschbeschuldigung.
Was geschah wirklich? Und wie glaubwürdig ist GinaLisa? Bald diskutiert ganz Deutschland mit. Selbst die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig schaltet sich ein:
Ein »Hör auf« sei auch ein »Nein«, sagt sie und bezieht sich
damit direkt auf den Fall von Gina-Lisa, die man in einem
der frei zugänglichen Videos aus der Nacht deutlich »Hör
auf« sagen hört. Eine Debatte kommt in Gang, am Ende
dieser Debatte steht eine Verschäfung des Sexualstrafrechts.
Nein heißt jetzt Nein.
Ab dem zweiten Prozesstag am 27. Juni 2016 zeigen sich
vor dem Gericht Hunderte Frauen solidarisch mit Gina-Lisa.
»Auch nach tausend Mal Ja kann eine Frau noch Nein sagen«,
steht auf einem Plakat, das eine junge Frau vor dem Amtsgericht in die Luft hält. Gina-Lisa geht hin und drückt die
Demonstrantin. So viele Frauen, die nur für sie gekommen
sind. Für sie, die als Kind immer eine Stunde zu früh auf dem
Spielplatz stand, aus Angst, die anderen Kinder zu verpassen.
14 Jungs und die Gina-Lisa, erzählt sie, das war die Clique,
die nachmittags in Seligenstadt durch die Straßen zog, bis
alle zum Abendbrot nach Hause mussten. Mädchenfreundschaften hatte sie damals keine, obwohl sie sich welche gewünscht hätte. Dass sie nun Teil einer Frauengemeinschaft
ist, rührt sie vielleicht auch deshalb. Immer wieder tritt sie
an Einzelne heran, gibt ihnen die Hand, bedankt sich.
Einer Demonstrantin vor dem Amtsgericht will Gina-Lisa
sogar einen Hundert-Euro-Schein die Hand drücken. »Geht
schön was trinken«, sagt sie. Die junge Frau weiß nicht, wie
sie reagieren soll. Das ist wohl eine neue Erfahrung für sie:
Auf einer Demo für ihre Grundrechte einen Hunni für einen
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Cocktailabend zugesteckt zu bekommen. Aber sie nimmt
ihn. Und für Gina-Lisa ist neu, dass jemand hinter ihr steht,
dem sie gar nichts nützt, der kein Selfie mit ihr will und auch
nicht, dass sie auf seinem Schoß sitzt. Der nicht mal ihre
beiden Handynummern kennt. Sie will sich bedanken, und
sie tut es auf die Art, die ihr am aufrichtigsten scheint: keine
Szene, keine Tränen, kein Händefalten, sondern Geld.
Im Gerichtssaal ist es anders. Ständig drängen Gina-Lisas
Anwälte auf Verhandlungspausen, in denen Gina-Lisa draußen vor die Kameras treten soll. Auch sie selbst geben ständig Interviews, verkünden vollmundig, im Namen aller
gegen sexistische Gesetze zu kämpfen. Sie führen den Prozess medial. Im Gerichtsaal fahren sie eine andere Strategie:
Gina-Lisa habe der Polizei gegenüber nie gesagt, dass sie
vergewaltigt worden sei, sondern nur, dass sie den Sex nicht
gewollt habe. Eine Wortklauberei. Richterin und Staatsanwältin wirken wie Statistinnen und wollen sich das nicht
bieten lassen. Es wird ermahnt und viel gebrüllt. »So viel
Unfähigkeit habe ich noch nie erlebt«, sagt Gina-Lisas Anwalt, und die Staatsanwältin entgegnet: »Gleichfalls.« Die
Gerichtssprecherin verdreht die Augen: »Hier wird heute so
viel inszeniert, ich komm mir vor wie im Theater.«
Was im Rahmen dieses Prozesses abläuft, der so viel Aufmerksamkeit erfährt, ist auf viele Arten absurd. Gina-Lisas
Entourage ist es. Sie selbst ist es. Und auch die Anklage ist
es. Da wird ein Toxikologe zur Aussage geladen, der keine
einzige Substanz untersucht, sondern sich lediglich die
zwölf Videos angesehen hat. Er gibt ein zehnseitiges
Gutachten ab, in dem er befindet, dass Gina-Lisa, anders als
sie es vermutet, wahrscheinlich nicht unter dem Einfluss
von K.o.-Tropfen gestanden habe. Aber er findet noch etwas
heraus: Bei einer Google-Bildersuche stellt er fest, dass GinaLisa in den Videos oft den Blick aufgesetzt habe, den sie
auch als Kunstfigur aufsetzt. Lider leicht geschlossen,
Kopf gesenkt, Blick nach oben. Der Toxikologe analysiert:
Sie macht im Video ihr sexy Posing. Diese Beobachtung
findet später sogar Einzug in die Urteilsbegründung der
Richterin.
Was ist nun eigentlich genau geschehen an jenem Wochenende Anfang Juni 2012 in Berlin? Es war so: Gina-Lisa
feiert den Geburtstag ihrer Managerin Alex Sinner in Berlin.
Ihr Freund und Friseur Francek ist auch dabei. Die Feier beginnt in Sinners Zimmer im »Hotel Penta« in Köpenick.
Gegen Mitternacht kommen die drei im Club »Maxxim« in
Berlin an, wo Gina-Lisa und ihre Managerin schon am
Abend zuvor gefeiert haben. Wieder werden sie in den VIPBereich geleitet. Einer der späteren Beschuldigten, Sebastian
C., ist hier Promi-Animateur. Seine Visitenkarte: ein schwarzer glänzender Karton, darauf sein Name, seine Handynummer und der Beruf: »VIP-Betreuer« Er bringt Gina-Lisa und
den anderen im »Maxxim« den Champagner, Red Bull und
sorgt für gute Stimmung. Auch wieder da ist Pardis F., mit
ihm hat Gina-Lisa die vergangene Nacht verbracht. Er sagt,
sie sei seine Traumfrau. Bei der Vernehmung durch eine
Kommissarin wird Gina-Lisa erzählen, er habe ihr immer
wieder gesagt, sie sei seine große Liebe, und sie wisse natürlich, dass das »alles Schwachsinn« sei, aber sie habe ihn schon
auch gemocht. Die erste Nacht mit ihm war gut. Er hatte
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versucht, sie zu filmen, aber aufgehört, weil sie das nicht
wollte. An diesem zweiten Abend im »Maxxim«, als sie den
Geburtstag der Managerin feiern, unterhält sie sich wieder
mit ihm. Die Managerin und der Friseur wollen weiterziehen, Gina bleibt allein zurück bei Pardis F.
Kurz danach habe sie einen Filmriss gehabt, wisse nicht,
wie sie von dort in die Wohnung gekommen sei, wisse nichts
mehr von der Nacht, außer dass sie wegwollte und die Türen
zu waren, habe vage Erinnerungen an den Morgen, auch wiederbelebt durch die Fotos und Videos, die es davon gibt. Die
beiden Männer schildern den Zeitraum zwischen Party und
Aufwachen anders: Gina-Lisa habe Lust gehabt auf einen
Dreier, Pardis F. habe sie zu Sebastian C. in die Wohnung
gebracht, alle drei hätten dort weiter feiern wollen.
Gesicherte Informationen gibt es erst wieder ab dem
Moment, in dem die beiden Männer anfangen zu filmen:
Es ist hell in der Wohnung, Laminatboden, ein braunes
Sofa, gegenüber an der Wand läuft der Fernseher, neben
dem Sofa steht ein Computertisch mit Computer, im Flur
ein Bügelbrett. Hier entsteht das erste von zwölf Videos, die
später von der Polizei auf den Handys der beiden Männer
sichergestellt werden.
Pardis F. und Sebastian C. sind nackt, der eine reibt sich
seinen Penis, der andere filmt mit dem Handy. Aufgeregt tigern sie durch den Eingangsflur einer Wohnung. »Wen ficken
wir jetzt?«, fragt Pardis F., der Mann, der schon mit ihr geschlafen hat, und Sebastian C. flüstert ein bisschen verschämt
Gina-Lisas Namen. Dann fragt der andere lauter, fordernder
und skandiert die Antwort selbst. Immer wieder filmt Pardis
F. in den Spiegel, sodass man sie beide sehen kann. Nackt
strecken sie die Fäuste nach oben. »Champions«, sagt der
eine. Und der andere wiederholt das: »Wir sind Champions.«
Kurz bevor das Video abbricht, sagt Pardis F. noch stolz in die
Kamera, dass er sie geholt habe. Er habe gesagt, er hole sie,
also habe er sie auch geholt.
Auf einem späteren Video ist es taghell, es läuft laute Musik, Techno, Pardis F. liegt auf Gina-Lisa und penetriert sie.
Gina-Lisa wirkt teilnahmslos. Pardis F. sagt, Gina-Lisa habe
in der Nacht gemeinsam mit seinem Kumpel Drogen genommen. In jedem Fall wurde am Vorabend viel getrunken.
Während Pardis F. sie penetriert, feuert Sebastian C. im Hintergrund an: Er solle sie härter ficken. Daraufhin penetriert
Pardis F. sie schneller und fester. Gina-Lisa liegt ruhig unter
ihm. Sebastian C. tritt an die beiden auf dem Sofa heran und
filmt Gina-Lisa ins Gesicht, sie sagt ihm, er solle aufhören.
Hier endet eins der Videos, die im Internet zugänglich sind.
Es ist ein Ausschnitt einer viel längeren Sequenz, die folgendermaßen weitergeht: Sebastian C., der VIP-Betreuer, setzt
sich auf Gina-Lisas Brust und Schultern, ihre Arme sind
unter ihm eingeklemmt. Er presst seinen erigierten Penis
gegen ihre Lippen, sie dreht immer wieder den Kopf zur
Seite. Wieder sagt sie, er solle aufhören, mit Druck schiebt
er seinen Penis in ihren Mund, stößt mehrmals hinein.
Gina-Lisa drückt ihn weg, dann lässt er ab, steigt von ihr
herunter und wendet sich an seinen Kumpel, der Gina-Lisa
währenddessen weiter penetriert hat: Er wolle auch mal ran.
Pardis F. übergibt ihm Gina-Lisas angewinkelte Beine und
tritt beiseite.
Es gibt zehn weitere Videos und einige Bilder von diesem
Morgen des 3. Juni 2012 aus der Privatwohnung nahe
Ku’damm. Szenen, in denen Gina-Lisa ein Lied von Sido mitsingt, in denen sie lacht, tanzt, Alkohol trinkt. Szenen, in
denen sie schläft, Szenen, in den sie gewürgt wird und bittet,
damit aufzuhören, Szenen, in denen sie Nein sagt, als einer
der beiden sie an den Haaren zieht, versucht, ihr Gesicht in
Richtung Kamera zu drehen, unmotiviert an ihren Brüsten
herumknetet oder mit der flachen Hand darauf schlägt.
Braucht es diese genaue Schilderung der Situation? Ja. Weil
es dann im Prozess vor allem darum geht, ob der Sex einvernehmlich war. Das war er laut Gesetz, solange Gina-Lisa nie
in einer schutzlosen Lage war. Das war sie nicht. Zumindest
gibt es dafür keine Beweise. Aber einige Fragen wurden bisher
gar nicht gestellt. Es sind keine, die ein Gericht klären kann.
Sondern welche, die die Gesellschaft
beantworten muss: Wie nennt man
Sex, der juristisch keine Vergewaltigung ist, aber auch nicht gewollt?
Etwas, was immer wieder irgendwo
dazwischen liegt, zwischen Ja und
Nein? Wo etwas zwar nicht brutal
erzwungen werden muss, wo man
sich aber dennoch rücksichtslos holt,
was man will? Welche Rolle spielt
dabei die Ausübung von Macht? Von
Dominanz? Und die Tatsache, dass
eine der beteiligten Personen grundsätzlich Schwierigkeiten hat, Grenzen zu setzen?
Im Laufe der gesellschaftlichen
Debatte, die der Prozess anstieß, haben sich Frauen und Männer häufig
missverstanden. Selbst in den Köpfen
der empfindsamsten Männer kam
die Sorge auf, womöglich unbemerkt
zum Vergewaltiger zu werden, weil
man in einer Sekunde unaufmerksam ist gegenüber der Frau, ihren
Wünschen oder Bedürfnissen. Deswegen ist die Beschreibung dieser
Videos notwendig: Was da vor sich ging, war nicht Sex, sondern die Inszenierung einer gängigen VergewaltigungspornoÄsthetik. Spaß, Lust, Erotik sind offenbar keine Parameter
gewesen. Es ging darum, Bilder zu produzieren, die man verkaufen kann. Ermittelte SMS und Mails belegen, dass die
beiden Männer genau das geplant hatten.
Gina-Lisa sagt immer mal wieder »Nein« oder »Hör auf«
zum Filmen, zu Oralsex, zum Würgen und groben Griffen
ins Gesicht. Sie dreht häufig den Kopf weg, hat den Unterarm
über den Augen, liegt bewegungslos auf dem Rücken. Es gibt
in dem Video keinen Moment, in dem Gina-Lisa zur Penetration Nein sagt, laut wird oder gar die Wohnung verlassen
will. Aber: Es gibt auch keinen Moment, in dem sie lustvoll
teilhat, Gefallen äußert oder etwas initiiert. Stattdessen solche
Szenen: Der eine Mann würgt sie unter Anfeuerungsrufen
des anderen, lacht nervös, als sie sagt, er solle aufhören, und
bricht die Penetration ab. Er übergibt an den anderen.
Vorbild scheinen Sexfilme zu sein, die es überall im Internet
gibt: Sich über den Willen der Frau hinwegzusetzen ist darin
nur ein Charakteristikum von vielen, wie das verwackelte
Bild, laute Musik, dumpfes Klopfen von Becken gegen Becken, das einhändige Würgen und am Ende die Dokumentation des Ejakulats auf dem Steiß der Frau.
Gina-Lisa wird noch viele Monate eine SMS von Pardis F.
im Handyspeicher aufbewahren: »ich hab scheiße gemacht,
ich mag dich so sehr.« Sie schreibt ihm am Montag nach dem
Wochenende: »Bitte bitte tu mir nicht mehr weh, verletz
mich nicht.« Er antwortet: »Nein, niemals, du bist mir wichtig geworden, bin Arschloch gewesen, ich weiß.« Vor Gericht
wird er aussagen, Gina-Lisa habe »voll mitgemacht«. Sebas­
tian C. wird sagen, er habe am Nachmittag eine Gina-Lisa
verabschiedet, die »auf Wolke sieben« war. Von 500 Frauen,
mit denen er Sex hatte, hätten sich
497 nicht beschwert.
Gleich am ersten Prozesstag
bricht Gina-Lisa auf der Toilette des
Amtsgerichts zusammen. Die Sanitäterin des Amtsgerichts, Schwester
Doris, eine kleine Frau um die fünfzig, eilt auf die Toilette und wird
später freundlich, aber resolut die
skeptische Richterin davon überzeugen, dass »das Mädchen wirklich
einfach mal Ruhe braucht« und ein
neuer Termin festgesetzt werden
sollte. Gina-Lisa wird später sagen,
sie habe von Doris gar nicht weggewollt, sie habe sich so geborgen gefühlt bei ihr. Aber sie musste dann
weg, weiterdrehen. Zwei Privatsender begleiteten den Prozess im
Wechsel mit der Kamera. Im Gerichtssaal kam es einmal zu der
skurrilen Situation, dass Anwälte
und Kamerateam vor der Richterin
den nächsten Drehort absprachen.
Das Amtsgericht hätten sie ja gleich
im Kasten.
Kranksein verschafft Gina-Lisa Atempausen, wenn es sonst
niemand tut. Juni 2016, ein Auftritt in einer Großraumdisko
in Trittau, einem kleinen Ort zwischen Hamburg und Lübeck:
Es ist Mitternacht, Frauen in rosa Tops und Männer in gebügelten Hemden stehen am Einlass. Ein Teppich ist ausgerollt,
bunte Lichtkegel flitzen über den Boden, am Ende der Schlange geht es ins Dunkle der Disko, es dröhnt von dort und riecht
nach Alkohol. Alle Frauen mit pinkfarbener Kleidung dürfen
kostenlos rein und bekommen drinnen einen pinkfarbenen
Plastikbecher geschenkt, der ihnen zu einem Spezialpreis immer wieder aufgefüllt wird. Trittau ist ein Stopp auf Gina-Lisas
Tour durch deutsche Provinzdiskos. Um kurz vor Mitternacht
sagt Gina-Lisa via Facebook ab. Das Kassenteam, das währenddessen die Leute einlässt, weiß es noch gar nicht. »Aus gesundheitlichen Gründen«, schreibt Gina-Lisa. Sie, die sonst oft sympathisch prollig Klartext redet, wird ganz förmlich, wenn es
ums Kranksein geht. Man merkt: Das ist ihr ernst. Mit Krank-
Die Sanitäterin
des Amtsgerichts
überzeugt die
Richterin davon,
dass »das Mädchen
wirklich
einfach mal Ruhe
braucht«
Sü dde u t s ch e Z ei t u ng M ag a z i n
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heit, so scheint es, reagiert ihr Körper, wenn sie etwas nicht
mehr aushält. Ein letzter Ausweg, ein unumstößliches Argument im Leben einer Frau, die ehrgeizig ist, perfektionistisch,
und die erklärt, dass sie zu fast nichts Nein sagt. Nicht zu Fotos,
nicht zu Auftritten, nie zu Fans.
In Gina-Lisas Welt gibt es zwei Wege zu sagen, dass sie
eigentlich nicht will oder nicht mehr kann. Letzter Ausweg:
Kranksein. Aber davor versucht sie es so: Sie bittet um Erlaubnis, das tun zu dürfen, was sie möchte. Es ist Mitte Juni,
Gina-Lisa sitzt mit einer Freundin, die auch ihre Visagistin
ist, in Offenbach im Steakhaus. Gina-Lisa ist zu diesem Zeitpunkt schon ein politisches Symbol. Längst ruft nicht mehr
nur die Redaktion von Birgit Schrowange an, sondern auch
die von Sandra Maischberger. Überhaupt klingelt die ganze
Zeit eines von Gina-Lisas Handys.
Einmal, als sie gerade mit ihrem Anwalt telefoniert, ruft auf dem anderen Handy ihr Manager an und fordert ein, dass doch alle Anfragen
über ihn laufen sollten. Gina-Lisa
beruhigt ihn kurz, ja, das verstehe
sie, sie gebe das weiter, er habe ja so
recht, aber jetzt müsse sie auflegen,
denn sie habe ihren Anwalt am anderen Handy, und der habe tolle
Neuigkeiten. An diesem Abend
kommen viele tolle Neuigkeiten
rein: Es soll ein Film über Gina-Lisa
gedreht werden, Lanz will sie einladen, und der Justizminister Heiko
Maas kommt zur nächsten Verhandlung. Gina-Lisa strahlt hinter ihrer
Hummersuppe hervor. Es läuft rund,
so scheint es.
Oder eher: Es läuft schief. Jeder
verspricht ihr etwas, um, so scheint
es, der zu sein, der am wichtigsten
für sie ist. Dass nichts von den Dingen eingetreten ist, die ihr supereilig
in fünf Anrufen übermittelt wurden,
ist der beste Beweis dafür.
Ein sechster Termin aber bewahrheitet sich. Gina-Lisa hat eine Interviewanfrage von einer
Zeitung, sie soll morgen nach Marl kommen. Man könne sie
abholen lassen und alles arrangieren. Gina-Lisa hatte sich auf
einen Tag ohne Arbeit gefreut, sie hat Pläne gemacht, aber
sie sagt nicht Nein. Sie sagt: »Oh, bitte, ich brauche mal einen
Tag für mich, ich arbeite jeden Tag, ich mache alles, bitte lasst
mich morgen das Tattoo machen, ich hab auch schon Termin.« Kurze Pause am anderen Ende, dann die Entscheidung: O.k., sie darf. Gina-Lisa bedankt sich.
Das Tätowieren ist ihr wichtig, ihr Körper ist ihr Poesie­
album. Zwei Motive stehen für morgen zur Auswahl:
Kalaschnikow oder Schmetterling. Es ist eine schwierige Entscheidung, sie sei irgendwie beides, sagt Gina-Lisa.
Gina-Lisa wächst bei ihrer Mutter und dem Stiefvater
auf. Ihren leiblichen Vater kennt sie, hat aber bis heute
keinen Kontakt. Mutter und Stiefvater bekommen noch
zwei Töchter, Gina-Lisa fühlt sich manchmal als Außenseiterin in der eigenen Familie. Als Jugendliche zieht sie zur Großmutter, auch um sie zu pflegen. Gina-Lisa macht den Realschulabschluss, dann lernt sie Zahnarzthelferin. Am ersten
Tag ihrer Ausbildung in Offenbach am Main kommt es auf
dem Berufsschulklo zu einer Messerstecherei unter Frauen.
Wenn man sie heute fragt, was sie im Leben erreichen will,
sagt Gina-Lisa, sie wolle so sein wie ihre Oma. Eine robuste,
ehrliche Frau, die sich um alle kümmert. Und ein bisschen
ist sie das bereits. Gina-Lisa ernährt ihre Familie. Ihre Mutter
und ihre Schwestern sind in ihr Haus in einem Dorf bei
Offenbach eingezogen, sie ist Hauptverdienerin. Ihrer Mutter
hat sie ein Auto gekauft, den beiden kleinen Schwestern finanziert sie das Studium, Laptops, Handys, und in ihren begehbaren Kleiderschrank dürfen sie
auch. Gina-Lisa ist die Mutter – und
das Kind.
Sie sei »wie Alice im Wunderland«, sagt sie, naiv, ahnungslos und
»grundehrlich«. Bei der Vernehmung durch die Polizei spricht sie
von den Männern, die sie der Vergewaltigung beschuldigt, konsequent
als den »zwei Jungs«, denen sie eigentlich echt nichts anhängen wolle.
Als sie ihren Anwalt beauftragt, sie
im Verfahren gegen die beiden zu
vertreten, unterschreibt sie die Prozessvollmacht mit ihrem Namen,
darin statt i-Punkt ein Herzchen.
Ob sie oft ausgenutzt werde? »Ich
war schon immer gutgläubig, hab
immer die Kakerlaken angezogen,
die Leute, die mich reinlegen.« Und
man ahnt, dass viele der Kakerlaken
vorher mal Schatzis waren. Und dass
zumindest manche dieser Schatzis
keine von Grund auf bösen Menschen sind, sondern welche mit
Eigen­interessen, denen nie Nein gesagt wurde. Gina-Lisa ist nicht nur
das Opfer ihrer Entourage, die ihr
Termine vermeldet, die am Ende nicht klappen, oder die ihr
verspricht, das alles gut ausgeht. Es ist auch Gina-Lisa, die all
das einfordert, die diese Anrufe braucht, das Geschäftige, den
Stress, und sei es manchmal nur die Simulation von großem
Business. Sie ruft manchmal Leute an, um denen zu sagen,
dass sie gerade nicht telefonieren könne. Zu viel zu tun. Die
mit ihrem ansteckenden Enthusiasmus und ihrer Präsenz
die Menschen belohnt, die ihr am meisten bieten. Neue
Gigs, neue Titelseiten oder einfach nur Bewunderung.
Wenn Gina-Lisa einen Bürgersteig entlanggeht, behält sie
genau im Auge, ob sie auch von jedem registriert wurde. In
den Videos aus der Nacht, um die es vor Gericht geht, gibt
es eine Szene, in der man das Gefühl hat, die Stimmung
könnte kippen. Gina-Lisa hat vorher ein paarmal Nein gesagt, auch zu sexuellen Handlungen, widerwillig wurden die
aufgegeben. Gina-Lisa wirkt genervt, enttäuscht von dem
In Gina-Lisas
Leben hat das,
was vor ein paar
Minuten war,
nicht zwingend
etwas damit zu
tun, was in einer
halben Stunde
sein wird
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Sü dde u t s ch e Z ei t u ng M ag a z i n
Mann, mit dem sie schon am Vorabend Sex hatte. Jetzt das:
Gina-Lisa liegt im Bett, seitlich, die Beine angezogen. Einer
der beiden nähert sich, scherzt, baggert, will sie küssen, sie
schiebt ihn weg, zeigt ihm den doppelten Mittelfinger, er
kommt von der anderen Bettseite, versucht wieder sie zu
küssen. Dann sagt er: »Dein Gesicht ist bombe.« Gina-Lisa
lächelt.
In Gina-Lisas Leben hat das, was vor ein paar Minuten
war, nicht zwingend etwas damit zu tun, was morgen sein
wird. Oder auch nur in einer halben Stunde. Vieles wirkt
erstaunlich zusammenhangslos, affektgesteuert, unlogisch.
Sie redet davon, wie viel Gutes sie tut, und fährt dabei über
die rote Ampel: »Grad keine Lust zu warten.« Sie erzählt,
dass sie den Kindern aus einem Berliner Kinderheim versprochen hat, mal dort zu übernachten, so als wäre sie eine
Schulfreundin. Aber dann hat sie doch andere Termine: Ihr
Manager hat sie mit einem anderen Klienten von sich zusammengebracht, sie treten als Barbie und Ken in Diskos
auf und singen Barbie Girl von Aqua: »Life in plastic, it’s
fantastic.« Mal sagt sie, sie wolle eigentlich gar nicht, dass
über sie berichtet wird. Mal bezeichnet sie den Schnellhefter, in dem sie auf DIN-A4-Blättern mit Bleistift fein säuberlich ihre nächsten Auftritte notiert, als ihren größten Schatz.
Am letzten Prozesstag sagt Gina-Lisa: »Werdet nicht berühmt. Es ist eine schlimme Welt.« Und ein paar Wochen
später trägt sie im Rahmen einer Kunstperformance in
schwarzer Trauerkluft ihre Privatsphäre zu Grabe – sie, die
auch Telefonnummern von Boulevardreportern im Handy
gespeichert hat, um anzurufen, wenn sie sich erfolgreich
in irgendwas verwickelt hat. Wie nur wenige Stunden
nach der besagten Nacht, als sie mit Jérôme Boateng in
einer Hotellobby fotografiert wurde.
Wie kommt man Gina-Lisa wirklich nahe? Es gibt einige
Versuche in Dorsten, in Offenbach, in Kitzbühel, am Ende
ist es eine Autofahrt nach Mainz im Juni 2016, eine Stunde
auf der A3, die sich als größtmögliche Privatheit herausstellt, die man mit Gina-Lisa haben kann. Sie lenkt das
Auto, also kann sie, die gern impulsiv handelt, weggeht,
Gespräche abbricht, ein anderes Gespräch annimmt, nichts
anderes tun als zu fahren. Draußen regnet es heftig, und am
Horizont sieht man dazu die Sonne untergehen, aber in
ihrem Mercedes ist es ruhig, warm und sicher. Gina-Lisa hat
ihre Sitzheizung angemacht. Wie geht es, so zu leben? Ist
sie da drunter irgendwo? Wie passt all das zusammen – ihre
Sehnsucht nach einem einfachen Leben als gute Seele und
ihr großer Wunsch danach, berühmt zu sein? Es ist ein Paradoxon. Und es gehört zur Wahrheit dieser Geschichte,
dass Gina-Lisa selbst es nicht auflösen und auch nicht abstrakt besprechen kann. Sie sagt, sie wolle beides von
ganzem Herzen: bewundert werden und in Ruhe glücklich
leben.
Am Ende bleibt die Verabschiedung von einer Frau,
die es nicht leicht hat und es sich dann auch noch schwer
macht. Die offenlegt, was sie nicht erklären kann, auch ihre
Widersprüche. Wer mit ihren Fans spricht, sei es vor dem
Gericht oder in der Provinzdisko, hört immer wieder eines:
Sie sei echt. Irgendwie stimmt es: ehrlich, widersprüchlich.
Kein gutes Opfer.
Am 22. August 2016 ergeht das Urteil, gegen das Gina-Lisas
Anwälte bereits Berufung eingelegt haben. Gina-Lisa wird
wegen Falschbeschuldigung verurteilt. Aber ist sie wirklich
die Lügnerin, die das Gericht in ihr sieht?
Zwar wissen nur drei Menschen, was genau am 3. Juni
2012 in der Wohnung nahe Ku’damm passiert ist, aber jetzt
nach Einsicht in Gina-Lisas Welt kann man ein paar Fragen
durchaus klar beantworten. Ist Gina-Lisa auf dem Video aus
der Nacht benebelt? Ja. Ist sie weggetreten? Nein. Sagt sie laut
und deutlich Nein zu sexuellen Handlungen? Ja. Hören die
Männer dann damit auf? Ja, aber nicht sofort. Respektieren
sie Gina-Lisa? Null. War für die beiden Männer in der Situation erkennbar, dass Gina-Lisa das als Vergewaltigung empfindet? Nein. Ist es nachvollziehbar, dass Gina-Lisa das, als
sie es später sieht, als Vergewaltigung empfindet? Ja. Ist das
widersprüchlich? Ja. Ist es ehrlich? Ja. Auch.
lara frit Z sche & lena kampf
haben im vergangenen Sommer viele Diskussionen über Gina-Lisa
Lohfink verfolgt und viele Texte über sie gelesen – aber immer das
Gefühl gehabt, das Bild sei noch nicht vollständig.
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