04 / 05 „Dem Volk aufs Maul schauen ist etwas ganz anderes als dem Volk nach dem Mund reden.“ (Bertolt Brecht) Nov 2016 Populistische Strömungen haben Konjunktur. Einige sprechen von einer neuen „populistischen Situation“. Von links bis rechts wird die Krise gesellschaftlicher und politischer Repräsentation als Entstehung einer postdemokratischen oder patrimonialen Herrschaft gedeutet, die die Kluft zwischen Volk und Eliten vertieft. Gramsci scheint den Weg zu allen Formen populistischer Kritik und Strategie geebnet zu haben: Er sprach von einem „gesunden Kern“ des Alltagsverstands. Er zeigte, dass die untergeordneten Klassen ohne die Herausbildung eines „national-popularen Kollektivwillens“ nicht ins politische Leben treten können. Zugleich aber kritisierte er jede Anbiederung an die „primitiven“ Momente des Alltagsbewusstseins, da sie nur „langweilige und papageienhafte Phraseologie“ hervorbringt. Sie blockiert die Herausbildung einer „neuen Kultur“, die für die Befreiung der subalternen Klassen erforderlich ist. Gramsci gebrauchen, ohne ihn zu kritisieren ist Verrat. – In diesem Sinn nehmen die Braunschweiger Gramsci Tage ihr 10-jähriges Jubiläum zum Anlass, Kategorien und Begriffe der praktischen Philosophie Gramscis historisch-kritisch zu hinterfragen und mit aktuellen Entwicklungen zu konfrontieren. Können sich gegenwärtige populistische Befunde und Strategien tatsächlich auf Gramscis Konzepte des Alltagsverstands und der Hegemonie berufen? Befinden wir uns wirklich in einer „populistischen Situation“, die nur durch einen linken Populismus beantwortet werden kann, um neo-faschistische Entwicklungen abzuwenden? Lassen sich heute Formen eines autoritären Populismus von popular-demokratischen Ausformungen unterscheiden? 10. BRAUNSCHWEIGER GRAMSCI TAGE Vorträge Diskussionen Workshops Literarischwissenschaftliche Montage und Jazz Termin: Freitag, 04. November 2016 ab 16 Uhr Samstag, 05. November 2016 von 9.30 -17.00 Uhr Ort: Gewerkschaftshaus Braunschweig Wilhelmstr. 5, 38100 Braunschweig Tagungsbeitrag: 10 Euro / ermäßigt 5 Euro Anmeldung erbeten unter: HEGEMONIE UND ALLTAGSVERSTAND [email protected] oder: BIAP c/o Norbert Kueß Roonstr. 17, 38102 Braunschweig weitere Informationen auf unserer Homepage: www.biap-braunschweig.de Veranstalter: Region SON Braunschweiger Initiative für eine andere Politik Zur Aktualität von linkem und rechtem Populismus in Kooperation mit: Gestaltung: Susanne Hesch „Brecht gebrauchen, ohne ihn zu kritisieren ist Verrat“ – so umriss Heiner Müller einen möglichen Umgang mit dem Werk des Klassikers der sozialistischen Weltliteratur. Auch das Werk Antonio Gramscis gehört inzwischen zum Repertoire der Klassiker. Aus ihm kann scheinbar beliebig abgegriffen werden. Seine in den Gefängnisheften entwickelten analytischen Begriffe verwandeln sich dabei oft in inhaltsleeres Geplapper: Hegemonie besitzen immer dann die anderen, wenn eigene Positionen nicht mehrheitsfähig oder durchsetzbar sind. Sie wird auf Meinungsführerschaft reduziert. Nur durch die Symbiose mit dem Volk scheint eine andere Hegemonie erreichbar. Nicht mehr die Überwindung der „primitiven Philosophie des Alltagsverstands“ (Gramsci) gilt als Ziel. Stattdessen wird das Alltagsbewusstsein zum gegebenen und scheinbar unveränderbaren Maßstab politischer Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit. Gewerkschaftshaus Braunschweig Braunschweiger Initiative für eine andere Politik ANTONIO GRAMSCI wurde 1891 in Ales auf Sardinien, Italien, geboren. Als Journalist begleitete und analysierte er die Turiner Fabrikräte bewegung. 1921 wurde er Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens. Bis zu seiner Inhaftierung durch die Faschisten 1926 war er Abgeordneter des italienischen Parlaments. Im Gefängnis verfasste er Studien zu e iner marxistischen „Philosophie der Praxis“. Darin verknüpfte er die schonungslose Analyse der Stabilität bürgerlicher Herrschaft und der Niederlage der Fabrikräte mit Fragen einer strategischen Erneuerung der Arbeiterbewegung. Sie gelten bis heute als wegweisend für jede praxisorientierte Kapitalismuskritik. Gramsci starb am 27. April 1937 an den Folgen seiner Inhaftierung. 10. BRAUNSCHWEIGER GRAMSCI TAGE Die Braunschweiger Gramsci Tage finden seit 2007 jährlich statt. Sie verknüpfen aktuelle politökonomische Diskussionen mit der Vermittlung von theoriegeleiteten Fertigkeiten zur dialektischen Analyse kapitalistischer Zusammenhänge, die Marx als historisch geworden und vorübergehend analysiert. Der Nachweis der „Vergänglichkeit aller Dinge“, so Bertolt Brecht, ist nicht „umstürzend“. Die „Große Methode“, mit der Brecht die marxsche Kritik der politischen Ökonomie benannte, verlangt, „dass man davon spricht, wie gewisse Dinge zum Vergehen gebracht werden können“. In der Tradition von Gramscis Philosophie der Praxis wollen die Braunschweiger Gramsci Tage einen Raum bieten, in dem die Aneignung von Wissen sich mit der lebendigen Debatte über theoretische und praktische Probleme der Emanzipation von Herrschaft und Unterwerfung paart. Populismus: etymologisch aus dem lateinischen populus, ‚Volk’, aber auch ‚Pöbel’ (aus dem französischen peuple), bezeichnet ein weit gefächertes Repertoire politischer Praxen, die an der Kluft zwischen ‚Volk’ und ‚Herrschaftseliten’ ansetzen, um gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Populismus bezeichnet eine Strategie des Machterwerbs „ohne gesellschaftstheoretisches Substrat“ (Karin Priester). In einer an Gramsci anknüpfenden anti-ökonomistischen Strömung des Marxismus werden linkspopulistische Strategien zur Bedingung von „Volksrevolutionen“. Sie gründen weniger auf dem Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital, sondern auf dem Gegensatz „Volk/Machtblock“. Ernesto Laclau gilt als Begründer einer „popular-hegemonischen Neuorientierung“ der Linken. FREITAG, 04. NOVEMBER 2016 SAMSTAG, 05. NOVEMBER 2016 ab 16.00 h | Einlass, Anmeldung ab 09.30 h | Einlass bei Kaffee und Tee 15.00 h | Kaffeepause 17.00 h | Begrüßungen Andreas Klepp / BIAP, Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen Hansi Volkmann / DGB Region SüdOstNiedersachsen 10.00 h | Streitgespräch Wozu Populismus? Theorien, Geschichten und Praxisformen emanzipatorischer Bewegungen zwischen Anspruch und Alltagsverstand mit: Prof. Dr. Uwe Hirschfeld / Evangelische Hochschule Dresden, Schwerpunkt Politische Theorie, Bildung und Soziale Arbeit Ingar Solty / Institut für Gesellschaftsanalyse, Rosa-Luxemburg- Stiftung Berlin N.N. Moderation: Dr. Bernd Röttger 15.30 h | Abschlussdiskussion Zwischen Anpassung, Aufklärung und Widerstand. Alltagsverstand und politische Praxis mit: Oliver Holzhauer / VK-Leitung VW Braunschweig David Janzen / Bündnis gegen Rechts, Braunschweig u. a. Moderation: Andreas Klepp 17.30 h | Einführung ins Thema Dr. Bernd Röttger / freier Sozialwissenschaftler, Autor, Lehrbeauftragter 18.00 h | Vortrag und Diskussionen Prof. Dr. Alex Demirovic / Vorstand Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, Redaktion Prokla Repräsentative Demokratie und populistische Herausforderung. Entwicklungstendenzen moderner Klassengesellschaften anschließend: Debatte im Plenum 12.00 h | Möglichkeit zum Imbiss 19.30 h | Pause mit der Möglichkeit zum Imbiss ab 13.00 h | Parallele Workshops 20.15 h | Kultur im Restaurant – Literarisch-wissenschaftliche Montage und Jazz „Und du wärest schon froh, [...] die Gülle flösse ab.“ Streifzüge durch das Leben des Antonio Gramsci zwischen Volksbewegungen und marxistischer Erneuerung Dr. Bernd Röttger / Text, Rezitation Bernd Dallmann / Saxophon und Klarinette Peter Haas / Akkordeon Dominik Lamby / Bass (1) Zur Einführung in die Theorie Antonio Gramscis Orhan Sat / Ver.di Bezirk Region Süd-Ost-Niedersachsen danach gemeinsamer Ausklang (2) Zu Alltagsverstand und Emanzipation bei Antonio Gramsci Prof. Dr. Uwe Hirschfeld / Evangelische Hochschule Dresden, Schwerpunkt Politische Theorie, Bildung und Soziale Arbeit (3) Zu den Chancen eines neuen linken Populismus Ingar Solty / Institut für Gesellschaftsanalyse, Rosa-Luxemburg- Stiftung Berlin 17.00 h | Ende
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