Augenblicke Jahrgang Nr. 10 absolvierte die Ostkreuzschule für Fotografie. Einblicke in die Abschlussarbeiten auf 24 Seiten Extra Sonnabend/Sonntag, 8./9. Oktober 2016 71. Jahrgang/Nr. 236 Bundesausgabe 2,30 € www.neues-deutschland.de STANDPUNKT Rückenwind für Santos Martin Ling zum Friedensnobelpreis für Kolumbiens Präsidenten »Es ist leichter, einen Krieg anzufangen, als ihn zu beenden.« Diese Worte stammen aus »Hundert Jahre Einsamkeit« von Kolumbiens erstem Nobelpreisträger der Geschichte: Schriftsteller Gabriel García Márquez. Für das Unterfangen, den seit 1964 währenden bewaffneten internen Konflikt in Kolumbien beizulegen, wurde als erst zweiter Kolumbianer überhaupt Präsident Juan Manuel Santos mit einem Nobelpreis ausgezeichnet: dem für Frieden. Rückenwind kann Santos nach der knappen Ablehnung des Friedensabkommens beim Plebiszit gebrauchen. Offenbar haben manche Kolumbianer unterschätzt, wie schwer es ist, einen Krieg zu beenden und einige derjenigen, die aus dem Gefühl mangelnder Gerechtigkeit für zigtausende Opfer mit Nein gestimmt hatten, haben ihre Reue inzwischen öffentlich bekundet. Das Osloer Nobelpreiskomitee hatte nicht den Mut, den FARCGuerillachef Rodrigo Londoño als geläuterten Freiheitskämpfer wie einst Yasser Arafat ebenfalls auszuzeichnen. Dass die Würdigung ausdrücklich dem kolumbianischen Volk gilt, »das all den erlittenen Missbräuchen zum Trotz nicht die Hoffnung, einen gerechten Frieden zu erreichen, aufgegeben hat und allen, die zum Friedensprozess beigetragen haben«, schließt die FARC jedoch indirekt in die Auszeichnung ein. Denn eins ist sicher: Nur wenn Regierung, FARC und die Bevölkerung sich über den Weg zum Frieden einigen, kann er Realität werden. Der Nobelpreis kann ein Ansporn dafür sein. UNTEN LINKS Als noch Sommer war, hatte man es mit den Freibadbrüllern, den hysterisch durch die Straßen rennenden dauerkreischenden Nervtrötenkindern, den freilaufenden »Der-tut-nichts!«-Hundehaltern, dem Public-Viewing-Geschmeiß, den Sinnlos-An-Hausecken-Herumstehern, den ÖffentlicheGrünanlagen-Betrommlern, den Bierflaschenherumkickern, den Zeitungsabo-Bauernfängern und den sich öffentlich zeigenden Kurze-Hosen- und Sandalenträgern und Spaghetti-vor-dem-Essen-Kleinschneidern zu tun. Damit ist jetzt Schluss. Dafür ist man jetzt, im Herbst, wieder verstärkt mit den Stricklieseln, den däumchendrehenden Stubenhockern, den Chipstütenkinoknisterern, den sich durch die Schwimmhallen kämpfenden Schwimmfaschisten, den selbsternannten Hausordnungseinhaltungsbeauftragten und Benimmregelaufstellern, den S-Bahn-Telefonierern, den Nachbarn, den Haustürklinglern und Sigmar Gabriel konfrontiert. Keiner hat gesagt, dass das Leben einfach ist. tbl ISSN 0323-3375 Friedensnobelpreis geht nach Bogotá Rettende Balkanroute Vor mehr als 70 Jahren flohen Zehntausende über das Mittelmeer vor den Nazis Kolumbiens Präsident für Abkommen mit Rebellen ausgezeichnet Oslo. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos sieht im Friedensnobelpreis ein Mandat, sich weiter für ein Ende des Krieges einzusetzen. »Dieser Preis gehört euch. Und ganz besonders den unzähligen Opfern«, sagte Santos am Freitag in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Zuvor hatte das norwegische Nobelpreis-Komitee bekannt gegeben, dass der Preis an Santos geht. Die Vorsitzende des norwegischen Nobel-Komitees, Kaci Kullmann Five, sagte am Freitag in Oslo, Santos werde für seine »entschlossenen Bemühungen« ausgezeichnet, den »mehr als 50 Jahre langen Bürgerkrieg in dem Land zu beenden«. Santos hatte nach jahrzehntelangem Konflikt ein Friedensabkommen mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) geschlossen, das allerdings am vergangenen Sonntag von der Bevölkerung in einem Referendum abgelehnt wurde. Dieses Votum bedeute aber »nicht zwangsläufig, dass der Friedensprozess tot ist«, sagte Kullmann Five. Agenturen/nd Seite 7 Flüchtlingskinder angegriffen Justizminister Maas wirft Sachsens Regierung Versäumnisse vor Berlin. Kein Tag, an dem nicht irgendwo in Europa tätliche oder verbale Übergriffe auf Flüchtlinge stattfinden, an deren Unterkünften gezündelt wird oder Asylverschärfungen gefordert werden. Keine Woche, in der die vor Krieg und Armut Geflüchteten nicht durch Hassdemonstrationen, Wutausbrüche oder scheele Blicke zu spüren bekommen, wie wenig erwünscht sie sind in dem Land ihrer Hoffnung auf Frieden, Arbeit und ein kleines Glück. Kein Monat, in dem nicht Politiker irgendwo in Europa betonen, es sei nun aber genug mit Hilfe und Unterstützung, die Belastungsgrenzen seien erreicht und die Kosten viel zu hoch. Dass die Deutschen Meister in der Verdrängung sind, haben sie schon oft bewiesen. Dabei würde ein Blick in die Geschichte durchaus lohnen. Denn während des Zweiten Weltkriegs gab es auch eine Balkanroute – in umgekehrter Richtung. Vor mehr als 70 Jahren entkamen zehntausende Europäer den Nazis über die Ägäis. Täglich legten auf den griechischen Inseln Fischerboote mit Flüchtlingen in Richtung Türkei ab. Für rund 3000 Juden wurden die von den britischen Truppen errichteten Lager in der Türkei, in Palästina, Ägypten und Syrien (u.a. in Aleppo) zur Rettung. Ihr Leben verdankten die Flüchtenden nicht zuletzt selbstlosen Helfern, die aus vielen Ländern kamen – und erfindungsreich waren, den Mangel an Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidung wettzumachen. So, wie das heute auch ungeachtet des feindlichen Klimas in jedem Dorf und in jeder Stadt in Deutschland geschieht, in denen Menschen aus Syrien, Irak, Eritrea oder Afghanistan untergekommen sind. oer Seiten 17, 18 und 19 Foto: UNRRA-Archiv Gut für die Jobs, schlecht für den Wettbewerb Tengelmann, Edeka und Rewe wollen sich bis 17. Oktober gütlich über die Kaiser’s-Filialen einigen Überraschende Wende in Sachen Kaiser’s-Übernahme durch Edeka: Die Konkurrenten werden ihren gerichtlichen Widerstand dagegen wohl aufgeben. Von Kurt Stenger Bei den Betriebsräten der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann herrscht Erleichterung vor. Die Chancen, dass die Übernahme durch den Marktführer Edeka nun doch zustande kommt, ist nach dem jüngsten Treffen der Chefs von Tengelmann, Edeka sowie der Konkurrenten Rewe, Norma und Markant mit der ver.di-Gewerkschaftsspitze gestiegen. Es bestehe die Hoffnung, dass nun alle Arbeitsplätze zumindest für fünf Jahre erhalten bleiben, sagte der Betriebsratsvorsitzende der Kette in Nordrhein-Westfalen, Rainer Schroers, den »Ruhr Nachrichten«. Bundesweit beschäftigt Kaiser’s noch rund 16 000 Menschen in gut 400 Filialen. Nach dem Treffen am Donnerstagabend war zwar Stillschweigen vereinbart worden. Von Seiten von ver.di war in einer Erklärung von einer überraschenden Wende in dem Konflikt die Rede: »Die Parteien haben sich auf das Ziel verständigt, dass die Ministererlaubnis nach Rücknahme der anhängigen Beschwerden umgesetzt werden kann und bis zum 17. Oktober 2016 eine einvernehmliche Einigung gefunden wird.« Die Tengelmann-Eigentümer hatten sich vor zwei Jahren mit Edeka auf eine Übernahme der Kaiser’s-Filialen geeinigt. Das Kartellamt untersagte den Deal, wurde jedoch von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) überstimmt, der die Übernahme unter der Auflage genehmigte, dass sämtliche Jobs in den Filialen für fünf Jahre garantiert und auch die drei Birkenhof-Fleischwerke fortgeführt werden. Die Konkurrenten wollten dies stoppen und bekamen vor Gericht Recht. Es drohte eine lange Hängepartie, weshalb Tengelmann-Eigentümer Carl-Erivan Haub eine Frist bis Freitag setzte und mit der Zerschlagung drohte. Nach dem Spit- »Die Arbeitsplätze, Tarifverträge und Betriebsratsstrukturen müssen erhalten bleiben.« Michael Schlecht, LINKE zentreffen am Donnerstag erklärte Haub, er sei »vorsichtig optimistisch«, dass eine Lösung für alle Mitarbeiter erreicht werden könne. Ziel sei es nun, bis zum 17. Oktober eine Einigung zu erzielen. Dafür müssten die Konkurrenten ihre Beschwerden gegen die Ministererlaubnis zurücknehmen. Michael Schlecht, der wirtschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, begrüßte die Entwicklung. »Rewe und Co. müssen wissen, dass es das eigene Ansehen in der Öffentlichkeit schwer beschädigen würde, wenn sie im Konkurrenzkampf die Arbeitslosigkeit von bis zu 16 000 Beschäftigten billigend in Kauf nähmen«, sagte Schlecht. »Die bestehenden Arbeitsplätze, Tarifverträge und Betriebsratsstrukturen müssen erhalten bleiben.« Kritik kam dagegen vom Abteilungsleiter Unternehmen und Märkte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Tomaso Duso. »So wie sie zur Zeit geplant ist, wird die Fusion von Edeka und Kaiser’s voraussichtlich negative Auswirkungen auf den lokalen Wettbewerb haben«, erklärte Duso. Das könne »teuer für viele Verbraucher werden«. Zudem würde die Rettung von Arbeitsplätzen bei Kaiser’s wohl auf Kosten von Arbeitsplätzen bei den Wettbewerbern oder bei Edeka erfolgen. Kommentar Seite 2 Merseburg. Bei einer vermutlich fremdenfeindlichen Attacke sind in Merseburg (Sachsen-Anhalt) drei Menschen verletzt worden. Laut Polizei klingelten zwei stark betrunkene Männer am Donnerstagabend an der Wohnungstür des 44-jährigen Mannes aus Liberia. Unvermittelt schlugen sie mit einem Schlagstock sowie einem Schlagring auf ihr Opfer ein. Auch die 47-jährige deutsche Lebensgefährtin und ihr fünf Jahre altes Enkelkind wurden bei der Attacke verletzt. Beamte nahmen noch vor Ort einen 63-jährigen Mann fest. Im sächsischen Sebnitz bedrohte eine Gruppe Jugendlicher drei syrische Flüchtlingskinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren mit einem Messer. Laut Polizei skandierten die Angreifer rechte Parolen. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte zuvor Sachsens Landesregierung Versäumnisse im Umgang mit rechtsradikalen Tendenzen vorgeworfen. Die Türkisch-Islamische Union beklagte indes eine Zunahme von Übergriffen auf ihre Moscheen. Agenturen/nd Haiti: Hunderte Tote durch Sturm Hurrikan »Matthew« nahm Kurs auf die Ostküste der USA Port-au-Prince. Der Wirbelsturm »Matthew« hat in Haiti mindestens 400 Menschen in den Tod gerissen. Diese Zahl sei noch vorläufig, viele betroffene Gebiete seien sehr schwer zugänglich, sagte am Freitag Senator Hervé Fourcand. Vor allem der Süden Haitis war von »Matthew« voll getroffen worden. Der aus der Region stammende Senator berichtete, dass einige Ortschaften noch immer nicht von den Rettungskräften erreicht worden seien. Laut UN-Büro für humanitäre Hilfe ist die Hälfte der elf Millionen Einwohner in dem Karibikstaat von dem Wirbelsturm betroffen. Angesichts der Not bat die Regierung von Haiti um internationale Unterstützung. Deutschland stellte daraufhin 600 000 Euro Soforthilfe bereit. Derweil bewegte sich der Hurrikan auf die US-Ostküste zu, erste Ausläufer peitschten am Freitag mit Geschwindigkeiten von bis zu 195 Kilometern pro Stunde über Florida. An geordnet war die Evakuierung von drei Millionen Menschen in den Staaten Florida, Georgia und South Carolina. AFP/nd
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