Presseinformation 04.10.2016 Perfekte Ordnung am absoluten Nullpunkt Forscherteam beobachtet erstmals Anzeichen von Ferroelektrizität in Eis Einem Wissenschaftsteam der Universität Stuttgart sowie aus Russland und Tschechien ist es gelungen, Wassermoleküle so in einen Edelstein zu packen, dass erstmals Anzeichen von ferroelektrischer Ordnung beobachtet werden konnte. Dies liefert einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Physik des Wassers und eröffnet die Perspektive, auch das Funktionieren von Proteinen und Zellen besser zu verstehen. Das Fachmagazin Nature Communications berichtete Hochschulkommunikation Leiter Hochschulkommunikation und Pressesprecher Dr. Hans-Herwig Geyer Kontakt T 0711 685-82555 Ansprechpartnerin Andrea Mayer-Grenu Kontakt T 0711 685-82176 F 0711 685-82291 [email protected] www.uni-stuttgart.de darüber in seiner jüngsten Ausgabe. Smaragde und Aquamarine sind Beryll-Edelsteine, die ihre faszinierenden Farben durch unterschiedliche Verunreinigungen erhalten. Sie formen Nanometer große Röhren, die mit Wassermoleküle gefüllt sind, welche bei tiefen Temperaturen Quantenphänomene zeigen und Hinweise auf ferroelektrische Ordnung. Wasser ist bei weitem nicht so klar, wie es erscheint. Obwohl Wasser im täglichen Leben als Eis, Flüssigkeit und Dampf allgegenwärtig ist, obwohl es wissenschaftlich in jedem Detail so intensiv untersucht wird wie kein anderer Stoff auf der Erde, ist seine Physik bisher keineswegs Seite 1 Presseinformation verstanden. Warum Wasser zum Beispiel erst bei 100 Grad Celsius kocht, kann man nur mit Hilfe der Quantenmechanik erklären: Der Grund dafür sind die starken elektrischen Felder durch die beiden Wasserstoffatome am Sauerstoff in H2O. Selbst im kristallinen Eis bilden die elektrischen Dipole keine Ordnung. Das bedeutet, dass Eis entgegen aller einfachen Modelle nicht ferroelektrisch ist. Und dies gilt nicht nur für normales Eis, welches als hexagonales Eis Ih bezeichnet wird, sondern auch für 15 weitere Formen, die meist nur unter extremen Bedingungen im Labor oder auf den Planeten und Monden unseres Sonnensystems beobachtet werden. Brücken, die durch Wasserstoffbindungen zwischen benachbarten Wassermolekülen gebildet werden, verhindern dies. Dem Team aus Russland, Tschechien und Deutschland gelang es nun, Wassermoleküle so in einen Edelstein zu packen, dass erstmals Anzeichen von ferroelektrischer Ordnung beobachtet wurde. Hierzu verwenden sie Beryll-Kristalle: eine Familie von natürlich vorkommenden Mineralen, von denen der Smaragd mit seiner faszinierenden grünen Farbe der bekannteste ist. Isoliert, aber zu spüren In den Nanoröhren der Kristalle sind einzelne Wassermoleküle eingelagert, die so weit voneinander isoliert sind, dass sie keine Wasserstoffbrücken mehr bilden können, aber doch nah genug, um sich elektrisch zu spüren. Mittels optischer Untersuchungen in einem weiten Spektralbereich vom infraroten, über THz-Frequenzen bis hin zu Radiowellen, konnten die H2O Moleküle direkt beobachtet werden. Man erkannte, dass die elektrischen Dipole sich alle ausrichten, wenn die Temperatur bis nahe dem absoluten Nullpunkt von -273 Grad Celsius abgesenkt wird. Lediglich Quantenfluktuationen verhindern die perfekte ferroelektrische Ordnung der Wassermoleküle. Von Biologie bis Speichermedien Die Physiker vermuten, dass die Ferroelektrizität dieser isolierten Wassermoleküle auch in biologischen Systemen eine wichtige Rolle spielt. „Vielleicht gelingt es uns jetzt besser, das Funktionieren von Proteinen und Zellen zu verstehen, die elektrische Impulsübertragung mittels der Protonen in Nerven“, hofft Prof. Martin Dressel vom Seite 2 Presseinformation 1. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart. Möglicherweise könne man diese Prinzipien nun in Brennstoffzellen und Datenspeichern anwenden, in Lichtquellen und anderen elektronischen Bauteiler auf der Nanometer-Skala. *Originalpublikation: Boris Gorshunov et al., Martin Dressel: Incipient ferroelectricity of water molecules confined to nano-channels of beryl, Nature Communications 7, 12842 (2016) http://www.nature.com/ncomms/2016/160930/ncomms12842/full/ncomms1 2842.html Weitere Informationen: Prof. Dr. Martin Dressel, Universität Stuttgart, 1. Physikalisches Institut Tel.: 0711-685 64946, Email: [email protected] Seite 3
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