Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Seitenwechsel
Clemens Lennermann über das Behindertentheater, das er
mitbegründete und in dem er nach seinem Schlaganfall nun selbst
mitspielt
Von Mit Clemens Lennermann spricht Patrick Batarilo
Sendung: Freitag, 7. Oktober 2016, 10.05 Uhr
Redaktion: Petra Mallwitz
Produktion: SWR 2016
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TRANSKRIPT.
Patrick Batarilo:
Clemens Lennermann, Sie sitzen jetzt hier im Rollstuhl bei uns im Studio. War das
für Sie jetzt mühsam, hier zu uns ins Studio zu kommen?
Clemens Lennermann:
Das hatte ich schon schlimmer.
Patrick Batarilo:
Sie sind ja auch im Theater aktiv - darüber sprechen wir noch... Wie ist es denn im
Theater in Karlsruhe, also im Sandkorntheater? Kommen Sie da gut hin? Auf die
Bühne, hinter die Bühne?
Clemens Lennermann:
Also, das Sandkorn ist weitgehend barrierefrei, ja. Die haben gottseidank seit einiger
Zeit einen Aufzug, wo man in die Probenbühne im ersten Stock kommen kann dann.
Patrick Batarilo:
Haben Sie so für sich im Alltag immer so einen Moment, wo Sie denken: Geht das
jetzt? Kann ich da problemlos hin?
Clemens Lennermann:
Im Gegensatz zu früher, als ich noch nicht auf einen Rollstuhl angewiesen war, muss
ich jetzt halt planen. Wohin gehe ich? Und im Zweifelsfall es mir vorher angucken
oder jemanden hinschicken und sagen: Guck Dir das mal an, ob das geht, ob es
funktioniert oder nicht. Klar, das kommt ständig vor eigentlich.
Patrick Batarilo:
Clemens Lennermann, Sie hatten einen Schlaganfall und haben also seitdem die
Schwierigkeit, dass Sie im Rollstuhl sitzen und Sie hatten auch Probleme mit dem
Sprechen. Wie viel ist denn davon heute wieder da? Also, wenn Sie sich jetzt mit
dem Clemens Lennermann vor dem Schlaganfall vor 6 Jahren vergleichen. Wo sind
Sie da wieder?
Clemens Lennermann:
Also, es war eben eine sehr schwere Sprechstörung, aber da hilft jetzt eben auch
das Theaterspielen, das Trainieren eben, regelmäßig zu sprechen und sauber zu
sprechen. Ich glaube, ich habe ziemlich viel aufgearbeitet.
Patrick Batarilo:
Wenn Sie es auf einer Skala von 0 bis 100 einordnen würden, wo wären Sie da
heute?
Clemens Lennermann:
Ich würde mich bei 75 sehen vielleicht.
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Patrick Batarilo:
Sie sind aus Karlsruhe und Sie haben sich auch schon im Zivildienst für Behinderte
engagiert. Was haben Sie denn da getan, konkret?
Clemens Lennermann:
Also, damals war es so, dass ich wie viele andere auch, Abitur gemacht habe und
Schule als vollkommen sinnentleert erlebt habe, also, man lernt irgendwas, man weiß
nicht, für was man es gebrauchen kann und man hat eigentlich auch nach der Schule
keinen Plan, was man machen möchte im Leben. Und da kam dieser Zivildienst
genau richtig, weil da war plötzlich mal etwas Sinnvolles zu tun. Das hat mich
gefreut. Und der erste Kontakt zu den Leuten mit Behinderung war halt sofort direkt.
Wenn man da Spaß hatte, hatte man sofort einen um den Hals hängen. Und man hat
zusammen gelacht und das hat mich eigentlich motiviert. Das hat Spaß gemacht,
dieses Direkte, unverfälscht einfach Emotionen rauslassen. Das hat mir saugut
gefallen damals.
Patrick Batarilo:
Also, dieses Sich-an-den-Hals-hängen, das muss Ihnen so gut gefallen haben, dass
Sie auch weitergemacht haben da, denn Sie haben die Arbeit mit Behinderten dann
auch zum Beruf gemacht. Inwiefern denn?
Clemens Lennermann:
Ich habe in einem Wohnheim Alltagsbegleitung für Menschen mit Behinderung
gemacht: Arztbesuche begleiten und Freizeitangebote gestalten und Ähnliches eben.
Gemeinsam einkaufen gehen, überlegen, was wollen wir zum Mittagessen machen?
Und dann gemeinsam kochen und anschließend auch die Küche wieder ordentlich
aufräumen und solche Dinge eben. Schwimmen gehen, kegeln gehen, am
Wochenende Ausflüge planen, irgendwo hinfahren, ein bisschen wandern gehen,
solche Dinge habe ich gemacht.
Patrick Batarilo:
Da gab es ja sicher auch schwierige Momente - Momente, in denen man auch mal
genervt war?
Clemens Lennermann:
Das gehört, glaube ich, in jedem Beruf dazu. Die gibt es zwangsläufig, natürlich. Aber
wir haben es eigentlich immer, wenn es schwierig war, geschafft, anschließend so
Konflikte irgendwie auszutragen, dass man sich anschließend wieder in die Augen
schauen konnte. Das ist, glaube ich, auch etwas, was Leute mit Behinderung
auszeichnet. Die können halt mal wirklich sauer sein und böse sein und dann
vielleicht auch mal rumschreien und anschließend aber glätten sich die Wogen auch
wieder. Und dann wird es einem auch nicht irgendwie nachgetragen.
Patrick Batarilo:
Ich bin selbst in meiner Familie mit dem Thema Behinderung in Berührung
gekommen. Mein Bruder hat das Down-Syndrom. Und ich habe früh gemerkt, dass
der sehr kreativ ist, dass er eine natürliche Theaterbegabung hat, also sowohl die
kleinen Szenen im Alltag, wo er sich gern mal in den Vordergrund spielt auf eine sehr
charmante Art, als auch wenn man ihm so die Möglichkeit gibt, mal selbst Theater zu
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machen. Wie haben Sie das denn gemerkt zum ersten Mal? Dieses kreative
Potential von Menschen, die ja sonst eher negativ definiert werden, nämlich über
das, was Ihnen fehlt, und nicht über das, was sie können.
Clemens Lennermann:
Bei uns fing es eigentlich damit an, dass eben der Verein, der Träger dieser
Einrichtung ist, einmal im Jahr eine große Weihnachtsfeier gemacht hat und da war
das Anliegen, dass möglichst aus jedem der Wohnheime eine Gruppe irgendeinen
Beitrag liefert, einen kreativen. Und dann haben wir eben in dem Wohnheim
rumgefragt, wer hätte Lust, wer würde da mitmachen? Und da haben wir uns halt
überlegt: Was können wir machen? Machen wir was mit Musik? Oder sprechen? Und
dann war klar: Sprechen wollen die Meisten eher nicht. Dann haben wir zu einer
Musik eine kleine Inszenierung gemacht, sind dann regelmäßig in die Turnhalle der
Werkstatt gefahren und haben das abends einstudiert und auf der Weihnachtsfeier
dann vorgeführt. Das war so quasi die Kerntruppe derer, die später dann auch
theaterspielen gegangen sind.
Patrick Batarilo:
Das Karlsruher integrative Theaterprojekt "Die Spinner" arbeitet mit Schauspielern
mit geistiger Behinderung und mit professionellen Schauspielern des Karlsruher
Sandkorntheaters. Das Theater, diese Truppe, die haben Sie vor 14 Jahren
mitbegründet gemeinsam mit Regisseurin und Theaterleiterin Steffi Lackner. Wie
sind Sie denn damals auf den Namen gekommen? "Die Spinner"
Clemens Lennermann:
"Die Spinner" kam tatsächlich von einem der Teilnehmer.
Patrick Batarilo:
Also von einer Person mit einer geistigen Behinderung?
Clemens Lennermann:
Ja, genau. Die gesagt haben: "Die sagen ja immer, wie spinnen" Und so sind wir
drauf gekommen. Das hat sich etabliert und dabei blieb es dann auch.
Patrick Batarilo:
Man kann ja auch kreativ rumspinnen.
Clemens Lennermann:
Ja, genau.
Patrick Batarilo:
Damals... was war denn da Ihre Rolle in diesem Ensemble ganz am Anfang? Was
haben Sie da konkret gemacht?
Clemens Lennermann:
Ja, also, es war so, dass ich dann irgendwann aus dem Wohnheimbereich, aus der
praktischen Arbeit mit den Menschen mit Behinderungen raus bin. Ich habe
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Öffentlichkeitsarbeit dann übernommen für den Verein "Lebenshilfe", der das Projekt
finanziert.
Patrick Batarilo:
Ich sage es ganz kurz:
Die "Lebenshilfe" ist ein gemeinnütziger Verein, der Menschen mit geistiger
Behinderung fördert und unterstützt.
Clemens Lennermann:
Ich habe meine Rolle als Öffentlichkeitsarbeiter eben genutzt, auch Werbung zu
machen für "Die Spinner" und ich stand mit auf der Bühne und war eben auch bei der
Stückentwicklung dabei, weil unsere Stücke entstehen nie so, dass wir ein festes
Buch haben, sondern wir haben eine Idee: Wohin könnte die Reise gehen? Und wir
improvisieren gemeinsam dann einzelne kleine Szenen, alles wird mitgeschrieben,
wer was gesagt hat und auch wie er es gesagt hat. Und das bildet letztendlich den
Kern der Stücke, die wir dann gemeinsam entwickeln.
Patrick Batarilo:
Also, wenn wir nochmal in diese Zeit zurückkehren, ganz am Anfang, als Sie ohne
Behinderung mit den geistig behinderten Menschen auf der Bühne standen. Wie war
denn diese Arbeit mit denen? Musste man da so eine besondere Rücksicht nehmen
die ganze Zeit? Oder war das völlig gleich auf Augenhöhe?
Clemens Lennermann:
Also, das ist es, glaube ich, was das Projekt von Anfang an ausgezeichnet hat, vor
allem im Theater eben: die Professionalität, also professionelle Bedingungen, d.h.
eben richtige Technik, richtiges Licht, nicht so dieses Behindertentheater, wie ich es
bis dahin gekannt habe, irgendwie selber gezimmerte schlechte Kulissen und der
Mensch mit Behinderung steht hinter der Kulisse und kriegt dann im schlechtesten
Fall von der Seite den Text eingesagt, den er aufsagen soll dann, sondern es war
immer der Anspruch: Die sollen selber sprechen mit eigener Stimme. Deswegen
auch das Improvisieren, dass man eben... also, letztendlich in einem unserer Stücke
sagt nie ein Mensch mit Behinderung irgendwas, was er nicht vorher selbst schon
einmal so gesagt hat.
Patrick Batarilo:
Also, geändert hat sich die Situation am 10.10.2010. Das war der Tag, an dem Sie
Ihren Schlaganfall erlitten haben. Was ist denn da passiert?
Clemens Lennermann:
Man geht ja oft davon aus, dass Schlaganfall gewisse Risikofaktoren hat, wo man so
im Vorfeld das irgendwie erkennen kann. Ich war eigentlich gesund, topfit, jede
Vorsorgeuntersuchung gemacht. Ich war 48 und kam gerade aus einem
mehrwöchigen Urlaub in Griechenland zurück, wo ich mich super erholt habe,
eigentlich drei Wochen unter einer Palme gelegen, muss man sagen. Und es war
mein letzter Urlaubstag, bevor ich wieder anfangen sollte zu arbeiten. Da habe ich
gesagt: oh, da mache ich abends was Schönes zu essen zuhause und habe
eingekauft und war in der Küche und habe gekocht. Und dann kam meine Frau, da
haben wir angefangen zu essen und dann habe ich irgendwann gesagt: Weißt Du
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was - ich hole jetzt noch... letzter Tag vom Urlaub... ich hole jetzt noch eine Flasche
Wein in der Küche. Dann ist sie irgendwann hinterhergekommen, weil sie gedacht
hat: So lange hat der Kerl noch nie gebraucht, um eine Flasche Wein zu holen. Da
stand ich irgendwie in der Küche und habe versucht, diese Flasche unter dem Arm
zu fixieren, um sie zu öffnen. Also, da konnte ich schon nicht mehr mit der linken
Hand richtig greifen. Da hing schon die Lippe, also Gesichtslähmung war schon da.
Und dann hat sie einen Arzt angerufen. Die Jungs kamen rein und haben sofort
erkannt: Das ist ein Schlaganfall. Und haben gesagt: Zack, zack, jetzt muss es
schnell gehen!
Patrick Batarilo:
Was waren denn die unmittelbaren Folgen davon? Wie ging es Ihnen dann
körperlich?
Clemens Lennermann:
Daran habe ich jetzt gar nicht mehr so konkrete Erinnerungen, weil ich wurde relativ
schnell in ein künstliches Koma versetzt. Als ich wieder halbwegs klar denken
konnte, wusste ich eigentlich nicht, was ist mit mir passiert. Also, ich konnte nicht
sprechen, weil ich hatte einen Luftröhrenschnitt. Und ich habe versucht als
Allererstes, mich an die Geburtsdaten meiner Töchter zu erinnern. Ich habe gedacht,
wenn Du die noch weißt, dann bist Du nicht ganz gaga. Weil das war eine Sorge.
Patrick Batarilo:
Und - waren die da?
Clemens Lennermann:
Also, ich wusste ja wirklich nicht: Habe ich jetzt einen Blumenkohl statt ein Gehirn?
Aber die Geburtsdaten konnte ich erinnern.
Patrick Batarilo:
Was war denn dann sozusagen der Stand? Was ging nicht mehr und was ging noch?
Clemens Lennermann:
Also, ich konnte das rechte Bein bewegen und den rechten Arm bewegen, aber das
linke Bein und den linken Arm überhaupt nicht mehr.
Patrick Batarilo:
Das ist ja eine ganz schlimme Situation, die dann über einen so hereinbricht - wie
haben Sie sich denn da gefühlt? Waren Sie einfach verzweifelt?
Clemens Lennermann:
Ich glaube, ich war schon sehr verzweifelt zwischendurch, auf jeden Fall, ja. Und
habe mir auch so Gedanken gemacht: Warum musste ich das jetzt eigentlich
überleben? Wäre es nicht besser gewesen, ich wäre an dem Schlaganfall
gestorben? Viel hat tatsächlich nicht gefehlt. Also eine Nacht muss es wohl richtig
arg auf der Kippe gestanden sein, da haben die mich nochmal notoperiert, weil
irgendwie so ein Blutgerinnsel sich im Kopf gelöst hatte, was dann nachgeblutet hat
nach innen. Das heißt also, ich war im Prinzip klinisch tot ein paar Mal. Also, wenn
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ich eine Patientenverfügung gehabt hätte, säße ich heute jetzt nicht mehr hier. Das
haben die meine Frau nachts auf dem Flur gefragt. Hat er was unterschrieben oder
nicht? Dann hat sie gefragt: Ja, was wäre, wenn er was unterschrieben hätte? Da hat
der Arzt gesagt: Dann würden wir jetzt aufhören. Und was passiert dann? Dann ist er
tot. Dann hat sie gesagt: Ne, weitermachen! Ich bin mir sicher, er wollte das nicht,
dass Sie jetzt aufhören.
Patrick Batarilo:
Also ein ganz ganz schlimmer Moment. Jetzt bin ich aber erstmal froh, dass Sie hier
sitzen bei uns und auch weiter Theater machen konnten. Was war denn... dazu
kommen wir jetzt natürlich, wie Sie wieder zum Theater gekommen sind... was war
denn damals erstmal die Prognose? Also, was hat man Ihnen gesagt? Das und das
kann wieder werden.
Clemens Lennermann:
Also, es war relativ schnell klar: ich werde wohl nicht mehr berufstätig sein können,
weil ich hatte eben auch Konzentrationsstörungen und einen Neglect. Das ist eine
ganz super Sache. Toll! Eine Aufmerksamkeitsstörung, d.h. ich habe Dinge, die links
von mir waren, dann irgendwann nicht mehr wahrgenommen. Ich habe meinen Teller
nur auf der rechten Seite leergegessen und nur die rechte Seite des Gesichts rasiert.
Das heißt, also wirklich in Reinform. Oliver Sacks, der bekannte Neurologe,
beschreibt es in einem seiner Bücher auch so. Der Mann, der nur die halbe Pizza
gegessen hat.
Patrick Batarilo:
Also, wenn wir jetzt schon bei Richtungen sind oder Seiten, das natürlich eine Frage,
die im Theater eine große Rolle spielt. Welche Rolle hat denn das Theater in Ihrer
Arbeit am Körper, an Ihrer Rehabilitation denn gespielt?
Clemens Lennermann:
Ich glaube, das ist einfach ein Supertraining. Also, das ist ein umfassendes Training,
alles, also Gedächtnisleistung und eben dieses erwähnte: wo stehe ich auf der
Bühne? Wo sind die anderen? Das ist etwas ganz Wichtiges im Theater, dass man
eben, auch ohne dass man jetzt direkt immer hingucken muss, ungefähr weiß eben,
ah, ja, ok, Hans-Peter steht rechts hinter mir, oder so. Das hat viel geholfen, glaube
ich, das Training Theater.
Patrick Batarilo:
Haben Sie denn während dieser ganz schlimmen Zeit, als das gerade passiert war,
hatten Sie da noch Gedanken an "Die Spinner", an das Theater, an Ihre Rolle,
vielleicht auch in laufenden Projekten?
Clemens Lennermann:
Also, ich wollte unbedingt da wieder rein in das Projekt. Das war schon Motivation,
wieder sich anzustrengen, sich zu bemühen und... also, ich konnte mir nicht
vorstellen, das aufzugeben.
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Patrick Batarilo:
Wann haben Sie denn zum ersten Mal wieder auf der Bühne gestanden bei den
Spinnern?
Clemens Lennermann:
Da gab es einen Miniauftritt mit einer alten Szene, die ich auch noch draufhatte, also,
das war ein sehr warmer Moment. Also, mit den anderen gemeinsam rauskommen,
im Rollstuhl und dann eben so bis an den Bühnenrand vorfahren und dann die
Gesichter im Publikum zu sehen. Ah, da ist der Kollege oder die Kollegin, die
dahinten sitzt, die verdrückt sich gerade ein Tränchen. Es war ein wirklich sehr
emotionaler Moment.
Patrick Batarilo:
Was war denn auf der Bühne plötzlich anders? Also, ich stelle mir das vor: Sie sind
da zum ersten Mal nach dem Schlaganfall, sitzen im Rollstuhl und wollen irgendwie
an diese alten Rollen ran, aber dann ist da dieses Gerät und man ist sich... Sie waren
auch gelähmt auf der linken Seite?
Clemens Lennermann:
Die ganze linke Seite.
Patrick Batarilo:
Die ganze linke Seite gelähmt. Was war da schwierig und was war einfach
unmöglich?
Clemens Lennermann:
Was ganz am Anfang das Schwierigste war, war wieder das frei sprechen eigentlich,
darauf zu vertrauen, es funktioniert. Die Stimme kommt. Das war schwierig.
Patrick Batarilo:
Jetzt ist es ja auch so eine Sache, dass man, wenn man zum Behinderten wird auf
eine gewisse Art, auf einmal auch merkt, dass die Menschen einen anders
wahrnehmen. Wie war das denn für Sie, auf der Bühne zu sein im Rollstuhl? War da
auch so ein Gefühl eventuell von Scham? Oder: ich bin hier in einer neuen Rolle da,
werden die mich mögen? Werden die mich annehmen wie vorher dabei?
Clemens Lennermann:
Das kann ich so gar nicht sagen, ne. Also, das Einzige, was mir unangenehm
gewesen wäre, wäre, wenn jemand vermutet hätte: da sitzt jetzt ein Nichtbehinderter
und spielt den Rollstuhlfahrer, was einem ja leider oft genug auch im Fernsehen so
vorkommt, ne? Anstatt Schauspieler mit Behinderungen, die tatsächlich im Rollstuhl
sitzen, zu nehmen. Oder Werbefotos - ganz krass! Ich bin jetzt eben... seit ich in der
Rolle bin, beschäftige ich mich ein bisschen mehr mit dem Thema eben auch so über
soziale Medien. Raul Krauthausen ist da ein sehr aktiver Mann so in dieser
Empowerment für Leute mit Behinderung Bewegung. Die nervt es unendlich, wenn
eben so falsche Behinderte - das sage ich jetzt in Anführungszeichen - dann in so
einem schlechten Rollstuhl drinsitzen und den dann irgendwie mimen. Also, was mir
gut gefallen hat, war: Wir haben ja oft im Publikum auch Menschen mit
Behinderungen, Rollifahrer dann naturgemäß dann eben eher in den vorderen
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Reihen. Wenn ich da dann einen sehe und ich bei dem so eine Art Solidarität in den
Augen sehe, das gefällt mir gut. Also, wenn der mir quasi signalisiert: hey, du hockst
im Rollstuhl wie ich. Aber das finde ich gut, dass Du da vorne bist. Das gefällt mir
gut. Das sind schöne Momente. Das macht Spaß dann.
Patrick Batarilo:
Ich habe Anfang des Jahres eine Aufführung des Theaters "Die Spinner" gesehen,
also Ihr Theaterprojekt, am Sandkorntheater in Karlsruhe, und zwar das Stück "Als
der Markgraf die Inklusion verschlief". Das hat mich wirklich sehr beeindruckt, und
zwar ganz unabhängig davon, dass es sich um ein integratives Theaterprojekt
handelt, war das nämlich tolles modernes Theater. Hören wir uns mal einen kurzen
Ausschnitt an aus dieser Aufführung, den ich damals aufgenommen habe. In dem
Ausschnitt geht es um die Frage, wie man eigentlich über Behinderung spricht, also
welche Wörter können verletzend sein? Aber auch darum, zu welchen Absurditäten
eine politisch korrekte Sprache führen kann. Die Szene spielt in einer fiktiven Familie,
die Kinder sind gerade von der Schule nach Hause gekommen und sie berichten von
den neuen Mitschülern mit Behinderung, die jetzt auch in ihrer Klasse sind. Und die
"Normalen", die werden dabei von den Behinderten gespielt.
(O-Ton Theaterstück)
Patrick Batarilo:
Ein Ausschnitt aus einer Aufführung der Theatergruppe "Die Spinner" in Karlsruhe.
Clemens Lennermann, Sie sind da auch drin in der Szene. Also, Sie haben jetzt
gerade nochmal über die Szene gelacht. Ich ja auch. Es ist sehr lustig. Und sie
haben auf der Bühne auch gelacht, während Sie sich selbst quasi als Krüppel
bezeichnen.
Clemens Lennermann:
Ja.
Patrick Batarilo:
Also, sich so öffentlich zu zeigen, im Rollstuhl, verletzlich - wie schwer oder leicht fällt
Ihnen das eigentlich?
Clemens Lennermann:
Also, ich muss sagen, mittlerweile fällt es mir eigentlich relativ leicht. Da habe ich ein
bisschen gebraucht dazu, aber da ist das Theater ein gutes Übungsfeld. Also, das
finde ich jetzt mal für mich persönlich ein gutes Übungsfeld. Also, das finde ich jetzt
mal für mich persönlich nicht so schwierig, weil ich bestimme die Situation. Was mich
eher nervt, sind so Blicke auf der Straße. Also, beispielsweise, ich muss es leider
gestehen, ich rauche auch noch, also, das ist krass, wenn man als Rollifahrer auf der
Straße steht in der Fußgängerzone in Karlsruhe, eine Zigarette raucht: die Blicke, die
man dann kriegt. Jetzt sitzt er schon im Rollstuhl und muss immer noch rauchen!! So
ungefähr. Auf die Blicke könnte ich manchmal verzichten. Also lieber im Theater, wo
es klar ist, hier geht jetzt das Licht an und ich stehe da und ich sage das, aber wenn
dann eine Reaktion kommt im Publikum, freut es mich ja, also wenn die Leute
lachen, finde ich das grandios, das beflügelt mich geradezu.
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Patrick Batarilo:
Jetzt ist dieses Wort... "Krüppel" ist ja ein sehr hartes Wort, so ähnlich wie heute das
Wort "Behinderte" ja auch schon von manchen Menschen abgelehnt wird als ein
schwieriges, vielleicht potentiell beleidigendes Wort, obwohl es ja selbst mal
eingeführt wurde, um zumindest bei geistig Behinderten die Bezeichnung
"Schwachsinnige" zu ersetzen. Da entsteht ja auch irgendwie so ein
sprachpolitisches Rennen, so ein bisschen Hase und Igel. Man versucht, ein
neutrales Wort zu finden und dann wird es ganz schnell wieder negativ belegt. Wie
sehen Sie das vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Erfahrungen? Ist es besser, dann
nach neuen Bezeichnungen zu suchen? Oder eher mit Selbstbewusstsein alte
Bezeichnungen zu vertreten?
Clemens Lennermann:
Es ist vielleicht manchmal besser, statt eben dieser umständlichen
Drumrumgerederei, wenn man einfach offensiv einfach die Dinge benennt, wie sie
sind. Vielleicht ein blödes Beispiel jetzt: diese Schwulenbewegung z.B. "Schwul" war
früher ein schlimmes Schimpfwort und heute benutzen es die Homosexuellen quasi
als Kampfbegriff, d.h. die haben es, glaube ich, ganz gut geschafft, so einen Begriff
dann einfach offensiv für sich zu nutzen. Und wenn man dann genau hinschaut...
gerne wird Handicap verwendet, was aber eigentlich auch ein verletzender Begriff
ist...
Patrick Batarilo:
Also Handicap statt Mensch mit Behinderung, dann hat der halt ein Handicap.
Clemens Lennermann:
Genau. Handicap... wenn man es von der Geschichte her sich anguckt, heißt das
eigentlich Cup in the Hand, also den Becher in der Hand. Daher kommt das Wort vom Betteln, weil ja eben früher viele von den Menschen mit Behinderungen auf's
Betteln angewiesen waren, um sich einen Lebensunterhalt irgendwie zu
erwirtschaften. Und Handicap kommt tatsächlich von diesem Betteln eigentlich. So
gesehen ein extrem abwertender Begriff, den man gerne benutzt, weil der hört sich
eben englisch an und elegant und dann denkt man: ja, das ist dann nicht so schlimm.
Patrick Batarilo:
Jetzt haben Sie mit dem Schlaganfall natürlich auch einen ganz krassen
Perspektivwechsel durchgemacht. Also, vorher waren sie als "Normaler" mit den
Behinderten auf der Bühne, jetzt sind Sie einer von denen auf der Bühne. Wie waren
denn die Reaktionen und wie sind die Reaktionen heute der geistig Behinderten auf
Sie, wenn Sie im Rollstuhl sitzen?
Clemens Lennermann:
Das ist ganz unterschiedlich. Das hat sich auch ein bisschen gewandelt und
angepasst. Also, ich glaube, einem aus der Truppe, dem gefällt es sehr gut, dass er
jetzt quasi der ist, der auch mir mal helfen kann. Das stärkt sein Selbstbewusstsein,
glaube ich, so ein bisschen jetzt auch. Wir haben eben eine Probenbühne und da
muss man, um auf die Bühne hochzukommen, eine relativ große Stufe bewältigen.
Da ist er gerne und jederzeit bereit, mir da irgendwie beim Hochsteigen zu helfen und
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noch den Rolli hinterher hochlupfen und so. Ganz selbstverständlich, ohne großes
Gewese drum zu machen. Es ist mittlerweile fast normal so.
Patrick Batarilo:
Ihr Theater "Die Spinner" in Karlsruhe, das nennt sich "integratives Theaterprojekt".
Da gibt es auch andere Bezeichnungen. Man könnte Behindertentheater sagen,
Inklusionstheater oder Disabled Theatre. Was trifft es denn für Sie am besten,
welcher Ausdruck?
Clemens Lennermann:
Wir verstehen das als "inklusives Theater". Das trifft es, glaube ich, am ehesten.
Patrick Batarilo:
Was halten Sie denn von "Behindertentheater" als Ausdruck?
Clemens Lennermann:
Da habe ich halt schlimme Bilder im Kopf. Mit viel gutem Willen machen da
irgendwelche Sozialarbeiter was und so. Es ist meistens nicht richtig gut und es
verheizt halt so ein bisschen die Leute mit Behinderung. Sie werden im schlimmsten
Falle ausgestellt und kommen nicht gut weg dabei. Und was wir jetzt eben in
unserem Projekt gelernt haben, ist, mit der entsprechenden professionellen
Begleitung, also Technik professionell und Regie professionell und Unterstützung
eben auch durch Profischauspieler, können die wirklich zu großen Leistungen
heranwachsen. Und deswegen fände ich es schade, wenn es eben so dieses
Behindertentheater und... da wird einer, der ist halt behindert... den stellt man eben
irgendwo hin und er kriegt im blödesten Falle ein doofes Hütchen auf oder so... das
ist dann so ein bisschen Karneval. Ne. Die Leute mit Behinderung bei uns, die
können was sagen und die haben auch was zu sagen. Und das ist toll, wenn sie da
die Chance kriegen, das auszudrücken. Also, wir wollten eben weg so ein bisschen
von dieser Hilfsempfängerschiene. Menschen mit Behinderung sind nur welche, die
brauchen immer Hilfsleistungen und kosten im schlimmsten Fall einen Haufen Geld
und so. Ne. Wir wollten eben auch die andere Seite ein bisschen hervorheben. Die
können, wenn sie gute Rahmenbedingungen haben, tolle Sachen machen und
haben viel zu geben auch.
Patrick Batarilo:
Ich will jetzt nochmal gern ganz konkret fragen: Warum brauchen wir denn in unserer
Gesellschaft inklusives Theater?
Clemens Lennermann:
Ich sage jetzt mal ganz platt: Vielleicht öffnet es manchen Leuten ein Fensterchen,
was sie vorher so noch nicht gesehen hatten, einen Blick auf Menschen eben mit
einer Behinderung, und die stellen plötzlich fest: Oh, das ist ja ganz anders, als ich
mir das immer vorgestellt habe. Das ist ja gar nicht so fürchterlich traurig und arm
und denen geht's immer nur furchtbar schlecht und so. Also, das, was mir passiert
ist, kann ja anderen auch passieren. Also, ein Unfall ist schnell passiert und durch
einen Unfall kann man sehr schnell eben die Situation geraten, in der ich jetzt bin.
Und wenn so jemand vorher vielleicht unser Theater gesehen hat, dann hat der
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vielleicht auf sein Schicksal einen anderen Blick dadurch. Im besten Falle. Wenn uns
das gelänge, dann wäre es eine tolle Sache.
Patrick Batarilo:
Also, ein Theater, in dem Behinderte mitspielen, hat ja im Prinzip zwei Möglichkeiten:
Entweder spricht man explizit über Behinderung so wie jetzt in dem Stück, das ich
gesehen habe bei Ihnen. Oder umgekehrt, das Theater kann versuchen,
Behinderungen ganz normal zu machen, also indem man die Behinderung eben
nicht thematisiert und Behinderte über ganz andere Themen sprechen lässt. Was ist
denn so Ihrer Erfahrung nach die bessere Marschrichtung?
Clemens Lennermann:
Also, bei uns war es eigentlich immer so, dass wir eigentlich gesagt haben: Uns wäre
es ganz recht, wenn eigentlich die Leute, die im Publikum sitzen, durch das Stück so
gepackt werden, dass sie irgendwann aufhören, darüber nachzudenken: Ja, wer von
denen ist denn jetzt der Behinderte? Und wer ist denn jetzt der Schauspieler, der
Profi? Wenn das irgendwann wegfällt, einfach weil die Materie fasziniert oder weil es
spannend ist.
Patrick Batarilo:
Wir nähern uns jetzt dem Ende unseres Gesprächs. Herr Lennermann, Ihr
Schlaganfall und die Folgen - wenn Sie da zurückblicken: Was hat Ihnen am meisten
geholfen? Was war so die Ressource, wo Sie sagen: Das war um wichtigsten für
mich, um weiterzugehen und wieder zu einer gewissen Stärke zu finden und auch
zurück auf die Bühne zu finden?
Clemens Lennermann:
Über alles gesehen würde ich sagen: einfach Menschen, die einem das Gefühl
geben, sie glauben an Dich, also nicht diese Mitleidsnummer fahren, sondern eher
halt wirklich so ein bisschen pushen, auch sagen: hey, komm, Du schaffst das! Wir
sind uns da sicher. Und wir gehen den Weg auch mit Dir zusammen. Das, würde ich
sagen, sind die, die mir am meisten geholfen haben.
Patrick Batarilo:
Haben Sie so für sich jetzt so ein grundlegendes Gefühl von Optimismus gefunden
oder gibt es da auch Momente, wo Sie dann doch nochmal verzweifelt sind?
Clemens Lennermann:
Es gibt schon immer wieder Situationen, wo man denkt: Oh ne! Das schaffe ich jetzt
wirklich nicht mehr. Ich bin irgendwie jetzt mit meinen Kräften... jetzt habe ich es
lange genug ausgehalten, jetzt könnte es ja mal gut sein wieder... so ungefähr. Also,
wie wenn man sich ein Bein bricht und das wird dann eingegipst. Dann hat man
vielleicht mal eine Zeit lang Stress, da muss man sich anstrengen und so. Und
irgendwann kommt der Gips runter, und dann ist aber auch wieder gut. Und dann
kann man wieder weitermachen, wo man vorher aufgehört hat. Das wird halt jetzt bei
mir nicht mehr stattfinden in der Form. Das ist manchmal immer noch sehr schwer,
sich darüber bewusst zu werden und das zu realisieren. Aber ich versuche, damit
zurechtzukommen.
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Patrick Batarilo:
Also, in solchen Momenten, da helfen Ihnen andere Menschen, haben Sie gesagt.
Auch das Theater?
Clemens Lennermann:
Auf jeden Fall. Theater ist ein großartiger Egopusher, sage ich jetzt mal. Es gibt
nichts Schöneres, als wenn man jetzt wirklich hart gearbeitet hat für so ein Stück und
das dann abliefert und man hat so... ich würde jetzt mal sagen, so den Flow. Man hat
so ein Gefühl während der Vorstellung: Hey, heute läuft es gut. Im besten Falle
kommt dann nicht noch ein grandioser Fehler und es läuft auch durch. Und wenn
man anschließend sich verbeugen darf im Licht und die Leute begeistert sind und
klatschen, das ist einfach ein toller Moment. Das gibt mir viel.
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