Predigt Jahresempfang des KK.A.25.09.2016

Predigt zum Jahresempfang 2016
Regionalbischof Michael Grabow
Text: Römer 14, 17 – 19 (OP II, 18. N. Tr.)
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin
Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen
geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben. was zum Frieden
dient und zur Erbauung untereinander.
Liebe Festgemeinde,
eines der wichtigsten Gremien wird in keinem Kirchengesetz erwähnt. Es ist für mich der Kreis von Menschen, der sich vor Beginn des Gottesdienstes noch einmal zusammenstellt und gemeinsam um Gottes Geist für diesen Gottesdienst bittet.
Gerade waren alle noch aufgeregt umhergesprungen, haben noch
schnell dies abgesprochen, das geregelt und jenes organisiert.
Besonders bei festlichen Gottesdiensten mit großem Einzug der
Beteiligten ist das ja oft so. Und es ist meist gar nicht so einfach,
alle zusammenzufangen und dann miteinander still zu werden.
Nach dem gemeinsamen Gebet ist dann plötzlich dieses gemeinschaftliche Gefühl für das Ganze da. Und man kann sich gesammelt auf den Weg in den Gottesdienst machen.
Ganz ähnliches erlebe ich bei Kirchenvorstandssitzungen. Der
gemeinsame Beginn mit einer Andacht und der gemeinsame
Schluss mit Gebet und Segen geben nicht nur einen ordnenden
Rahmen, sondern, wenn es gelingt, eine gemeinsame Ausrichtung, einen gemeinsamen Geist.
In meiner ersten eigenen Gemeinde gingen wir nach jeder Sitzung hinüber in die Kirche, stellten uns gemeinsam im Halbkreis
vor den Altar, sangen ein Lied, sprachen das Vaterunser und
empfingen den Segen. Mochte es vorher noch so engagiert zugegangen sein, so war jetzt Gemeinschaft wieder hergestellt.
Ich denke deshalb, dass die gemeinschaftliche Bitte um Gottes
Begleitung und um seinen Geist für unser Kirchen- und Gemeindeleben nicht weniger wichtig ist als die Bemühung am Schreibtisch der Prediger und Predigerinnen oder für die Entwicklung
kommunikativer Gemeindestrukturen.
In Bezug auf die Zukunft der Kirche hat Martin Luther einmal
die folgenden wunderbaren Sätze gesagt: »Wir sind es doch
nicht, die da die Kirche erhalten könnten. Unsere Vorfahren sind
es auch nicht gewesen. Unsere Nachfahren werden's auch nicht
sein; sondern der ist's gewesen, ist's noch und wird's sein, der da
sagt: ,Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.'“
Dieses Stillwerden und Beten ist nicht nur ein Mittel der inneren
Disziplin und schon gar nicht der Disziplinierung. Es ist tatsächlich ein gemeinsamer Geist, der einkehrt und unserem Tun eine
gemeinsame Richtung und Ausrichtung gibt.
Das heißt für mich: Die Zuversicht, dass Gott unser Leben in
Zeit und Ewigkeit umspannt, befreit mich vom ständigen Ringen
um eigene Bedeutung, eigenen Erfolg. Sie macht mir Mut, immer wieder zu fragen: Wie werden wir dem biblischen Auftrag
gerecht, die Einheit der Christenheit zu leben? Wie schaffen wir
es, unsere Gemeinden auf den Weg mitzunehmen, sie zu leiten?
Denn das schaffen wir als Gottesdienstgestalter nicht allein aus
eigener Kraft. Das schaffe ich auch durch meine Predigt nicht,
und sei sie noch so gut vorbereitet.
Aber auch, wie schaffen wir es, uns den Fragen der Menschen
um uns herum zu stellen: Wie steht es um eine barmherzige Gerechtigkeit - in unserem Land, auf der Welt?
Wie können wir in Frieden zusammenleben in einer immer vielgestaltigeren Gesellschaft? Was bedeutet es, Frieden zu stiften?
Das zu fragen und Antworten darauf zu versuchen, sehe ich als
Teil des kirchlichen Auftrages. Martin Luther ist Vorbild für uns
heute, aus dem Glauben heraus, Standpunkte zu finden.
Luther weist uns mit Recht darauf hin, dem Wirken Gottes mehr
Zutrauen zu schenken. Hier geht es um ein Kernstück reformatorischer Theologie. Es ist zugleich das große Entlastungsprogramm für alle, die in der Kirche Verantwortung tragen und mitarbeiten.
Der Erfolg unserer Bemühungen ist von unseren Bemühungen
unabhängig. Wir haben dafür zu sorgen, dass Wort und Sakrament zu den Menschen kommen – fantasievoll, anspruchsvoll,
liebevoll, spirituell und weltbezogen. Mehr braucht es gar nicht,
dieses aber mit allem Eifer.
Den Rest, den Glauben der Menschen, besorgt der Heilige Geist,
so wie auch wir allein ihm unseren eigenen Glauben verdanken.
Das entlastet. So wird reformatorische Theologie für die Menschen relevant. Das Sakristeigebet mit Gemeindegliedern oder
das Gebet im KV sind Symbole dafür. Wenn sie nicht gepflegt
werden, fehlt dem Tun und Handeln die geistliche Basis – auch
in unseren Gremien.
Oder wie unser Predigtwort aus dem Römerbrief sagt: Das Reich
Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und
Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin Christus
dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet.
Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur
Erbauung untereinander dient.
Das ist unsere Aufgabe auf allen Ebenen und in allen Gremien
unserer Kirche.
Ich meine übrigens: das ist, bei aller notwendigen Trennung von
Kirche und Staat, auch Aufgabe aller staatlichen Organe: in einem Geiste für Gerechtigkeit und Frieden und Wohlergehen der
ihnen anvertrauten Menschen zu arbeiten. Dann wird auch die oft
genannte Politikverdrossenheit wieder abnehmen, weil die Menschen spüren: es geht nicht um persönliche Profilierung einzelner
oder um undurchsichtige Interessen, es geht auch nicht um kurzsichtigen Populismus, sondern um das Wohl der Menschen und
der Gesellschaft.
Dazu braucht es ein klares Bekenntnis zur Demokratie und ihren
Vollzügen. Dazu braucht es auch Transparenz. Wenn keine
Transparenz hergestellt ist, wenn Menschen nicht mit- und nachvollziehen können, was da verhandelt wird und warum so und
nicht anders entschieden wird, dann kommen Phantasien und
Verschwörungstheorien auf. Dann sinkt das Vertrauen in die
Verantwortlichen – egal ob in Kirche oder Staat. Wir leben nun
einmal in einer Informationsgesellschaft, die es gewohnt ist,
übers Internet Zugang zu allen Themen zu haben.
Letztlich geht es beim Staat um Bürgerbeteiligung und in der
Kirche um die Beteiligung der Gemeindeglieder. Hintergrund
dafür ist das Allgemeine Priestertum aller Glaubenden. Und dieses Grundprinzip unserer Kirche ist, recht verstanden, höchst
demokratisch. Wenn jedes Kirchenmitglied daran teilhat, dann
sind auch alle zu beteiligen. Und das könnte man im staatlichen
Bereich natürlich ganz säkular genauso formulieren.
Lassen Sie mich zwei kurze Beispiele nennen. Beide handeln
von Kirchenneugestaltungen. In der einen Gemeinde wurden die
Ideen zu einer Neugestaltung des Innenraumes erst viel zu spät
der Gemeinde nahe gebracht. Es kam darüber zu einer regelrechten Spaltung der Gemeinde, die lange nicht überwunden werden
konnte. Bei der Einweihung sagte mir die Organistin: „Wenn ich
nicht dienstverpflichtet wäre, so wäre ich heute nicht gekommen“.
In der anderen Gemeinde ging es um Abriss und Neubau. Die
ganze Gemeinde wurde mitgenommen, ohne die Rechte des Kirchenvorstandes zu beeinträchtigen. Vor kurzem durfte ich die
Kirche einweihen – es war ein rauschendes Fest.
Es braucht dazu nicht immer neue Gremien, Ausschüsse und Unterausschüsse. Sondern es braucht, was unser Predigttext sagt:
lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander dient.
Es braucht also Kommunikation, Kommunikation und Kommunikation. Es braucht Transparenz und Beteiligung. Es braucht das
aufeinander hören und miteinander reden. Es braucht das gemeinsame Suchen nach dem, was uns als Gemeinde zusammenhält – der gemeinsame Geist, der Geist Gottes.
Ich freue mich, wenn das gelingt. Und ich sehe mit großer Freude, wie das in den allermeisten Gemeinden gelingt.
Dabei ist das Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen in der
Gemeindeleitung ja gar nicht so einfach. Es besteht ja immer eine Spannung im wechselseitigen Bezug von Allgemeinem Priestertum und Amt.
Der theologische Sinn dieser Konstruktion ist klar: Die Freiheit
des Wortes Gottes soll erhalten bleiben; sie wird gefährdet, wenn
die Verantwortung dafür allein beim Amt liegt oder allein bei
Gemeinderepräsentanten.
Diesem theologischen Sinn entsprechen häufig auch praktische
Erfahrungen: Die Selbstständigkeit der Beteiligten wird gefördert, Kreativität wird freigesetzt und Vertrauen untereinander
gestiftet.
Das Streben nach dem, was zum Frieden dient und zur Erbauung
untereinander dient, wie Paulus schreibt, braucht diese konstruktive Spannung. Dann wird das Miteinander fruchtbar und bereichernd. So wird die Qualität der gemeinsamen Arbeit verbessert.
Wenn Haupt- und Ehrenamtliche aus ihren unterschiedlichen
Rollen heraus an einem Strang ziehen, dann kann Gremienarbeit
Lust machen. Und das macht sie auch, wie ich mit Freude immer
wieder feststelle, wenn ich in die Kirchenvorstände komme.
Ich staune immer wieder, was in den 157 schwäbischen Kirchenvorständen an wertvoller und höchst kompetenter Arbeit geschieht
– und in den anderen Kirchenkreisen natürlich auch. Deshalb haben wir die Mitglieder unserer schwäbischen Kirchenvorstände
heute eingeladen, um Danke zu sagen.
Stellvertretend für unsere ganze Kirche danke ich all denen sehr
herzlich, die gemeinsam mit den Pfarrerinnen und Pfarrern und
den anderen Hauptamtlichen (Diakonen, Sekretärinnen, KiTaMitarbeiterinnen, Kirchenmusikern und vielen anderen) die Geschicke ihrer Gemeinden leiten: Frauen, Männer, Junge und Alte.
Und ich danke in ganz gleicher Weise denen, die als Familienangehörige immer wieder Geduld haben, wenn die Ehemänner und
Ehefrauen wieder einmal nicht aus der Kirche zurückkommen;
oder die selbst an anderer Stelle tatkräftig mit anpacken und sich
engagieren. Auch Ihnen ein herzliches Dankeschön.
Und hier auch ein Danke an alle, die den heutigen Tag mit vorbereitet haben: aus den Gemeinden, speziell die Mitarbeitenden
von St. Ulrich und die Mitarbeitenden aus meinem Büro.
Man sieht, die Verantwortung ruht auf vielen Schultern. viele
Hände packen an, viele Köpfe denken mit, viele Herzen nehmen
Anteil, viele Münder erzählen von Gottes Liebe mitten hinein in
unsere Welt.
Dafür sind wir dankbar. Dafür sage ich heute ausdrücklich
“Danke“. Ohne Sie alle ginge das nicht. Ohne Sie alle wäre unsere Kirche handlungsunfähig und tot. Ohne Sie könnte Kirche die
Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten nicht leben. Ohne Sie
könnte Kirche nicht Menschen in allen Situationen des Lebens
beistehen – so wie der Kirchenvater Augustin es ausgedrückt hat:
„Kleinmütige trösten, sich der Schwachen annehmen, Ungebildete lehren, Träge wachrütteln, Händelsucher zurückhalten,
Streitende besänftigen, Armen helfen, Unterdrückte befreien, Gute ermutigen, Böse ertragen. Und, ach, alle lieben!“
Wie können wir das alles tun, ohne außer Atem zu geraten? wie
können wir das alles leisten, ohne uns überfordert zu fühlen?
Wie können wir unsere ganzen Aufgaben schultern, ohne mutlos
zu werden?
Nun, zum einen, weil wir es nicht allein tun müssen. Wir haben
Weggefährten, die uns begleiten (und manchmal für den nötigen
Aufbruch und Antrieb sorgen). Wir haben Familien, die uns tragen (und manchmal auch er-tragen). Wir haben Freunde, die uns
raten (und uns manchmal den Kopf zurechtrücken).
Wir haben Dekaninnen und Dekane, Synoden, Bischöfe und
Landeskirchenamt, die uns nach Kräften unterstützen (und zugegebenermaßen manchmal auch zusätzlich Arbeit machen).
Wir haben Gottesdienste und geistliches Leben, die uns auf Gott
hinweisen, der uns beim Tragen und Ertragen helfen will. Und
wir können um Gottes Geist bitten, im Sakristeigebet wie im Gebet vor der KV-Sitzung.
Wir können auf Gott vertrauen, der uns die Kraft und die nötige
Weisheit gibt, die wir fürs Arbeiten, Planen und Entscheiden
brauchen. „Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand dazu“, heißt ein bekannter Spruch.
Und gelegentlich soll ja auch in der Kirche der Heilige Geist wehen – vielleicht sogar dort, wo man es am wenigsten vermutet.
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin
Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen
geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden
dient und zur Erbauung untereinander
Es ist also unsere Aufgabe, am Reich Gottes mitzugestalten und
seine Gerechtigkeit in die Welt zu bringen. Wenn wir daran als
Kirchenleitung, und auch der KV ist Kirchenleitung, in aller Bescheidenheit mitwirken, dann geht Gott mit, dann sorgt er für
uns, dann wird uns zufallen, wessen wir bedürfen.
Oft genug haben wir Gottes Begleitung erlebt, wenn wir um die
richtige Entscheidung gerungen haben. Und wir sind gestärkt aus
mancher Not und manchem Konflikt herausgegangen. Haben
nicht nur Energie, Zeit und Kraft investiert, sondern auch neue
Energie und Motivation von Gott bekommen.
Die Sorge um die Zukunft von Gemeinde und Kirche dürfen wir
getrost Gott überlassen. Siehe Martin Luther: »Wir sind es doch
nicht, die da die Kirche erhalten könnten. Unsere Vorfahren sind
es auch nicht gewesen. Unsere Nachfahren werden's auch nicht
sein; sondern der ist's gewesen, ist's noch und wird's sein, der da
sagt: ,Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.'“
Gott sorgt für uns. Er gibt Zukunft: der Welt, der Kirche, den
Gemeinden und jedem, jeder Einzelnen von uns. Sein Segen begleitet uns.
Amen