Predigt zum Jahresempfang 2016 Regionalbischof Michael Grabow Text: Römer 14, 17 – 19 (OP II, 18. N. Tr.) Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben. was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander. Liebe Festgemeinde, eines der wichtigsten Gremien wird in keinem Kirchengesetz erwähnt. Es ist für mich der Kreis von Menschen, der sich vor Beginn des Gottesdienstes noch einmal zusammenstellt und gemeinsam um Gottes Geist für diesen Gottesdienst bittet. Gerade waren alle noch aufgeregt umhergesprungen, haben noch schnell dies abgesprochen, das geregelt und jenes organisiert. Besonders bei festlichen Gottesdiensten mit großem Einzug der Beteiligten ist das ja oft so. Und es ist meist gar nicht so einfach, alle zusammenzufangen und dann miteinander still zu werden. Nach dem gemeinsamen Gebet ist dann plötzlich dieses gemeinschaftliche Gefühl für das Ganze da. Und man kann sich gesammelt auf den Weg in den Gottesdienst machen. Ganz ähnliches erlebe ich bei Kirchenvorstandssitzungen. Der gemeinsame Beginn mit einer Andacht und der gemeinsame Schluss mit Gebet und Segen geben nicht nur einen ordnenden Rahmen, sondern, wenn es gelingt, eine gemeinsame Ausrichtung, einen gemeinsamen Geist. In meiner ersten eigenen Gemeinde gingen wir nach jeder Sitzung hinüber in die Kirche, stellten uns gemeinsam im Halbkreis vor den Altar, sangen ein Lied, sprachen das Vaterunser und empfingen den Segen. Mochte es vorher noch so engagiert zugegangen sein, so war jetzt Gemeinschaft wieder hergestellt. Ich denke deshalb, dass die gemeinschaftliche Bitte um Gottes Begleitung und um seinen Geist für unser Kirchen- und Gemeindeleben nicht weniger wichtig ist als die Bemühung am Schreibtisch der Prediger und Predigerinnen oder für die Entwicklung kommunikativer Gemeindestrukturen. In Bezug auf die Zukunft der Kirche hat Martin Luther einmal die folgenden wunderbaren Sätze gesagt: »Wir sind es doch nicht, die da die Kirche erhalten könnten. Unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen. Unsere Nachfahren werden's auch nicht sein; sondern der ist's gewesen, ist's noch und wird's sein, der da sagt: ,Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.'“ Dieses Stillwerden und Beten ist nicht nur ein Mittel der inneren Disziplin und schon gar nicht der Disziplinierung. Es ist tatsächlich ein gemeinsamer Geist, der einkehrt und unserem Tun eine gemeinsame Richtung und Ausrichtung gibt. Das heißt für mich: Die Zuversicht, dass Gott unser Leben in Zeit und Ewigkeit umspannt, befreit mich vom ständigen Ringen um eigene Bedeutung, eigenen Erfolg. Sie macht mir Mut, immer wieder zu fragen: Wie werden wir dem biblischen Auftrag gerecht, die Einheit der Christenheit zu leben? Wie schaffen wir es, unsere Gemeinden auf den Weg mitzunehmen, sie zu leiten? Denn das schaffen wir als Gottesdienstgestalter nicht allein aus eigener Kraft. Das schaffe ich auch durch meine Predigt nicht, und sei sie noch so gut vorbereitet. Aber auch, wie schaffen wir es, uns den Fragen der Menschen um uns herum zu stellen: Wie steht es um eine barmherzige Gerechtigkeit - in unserem Land, auf der Welt? Wie können wir in Frieden zusammenleben in einer immer vielgestaltigeren Gesellschaft? Was bedeutet es, Frieden zu stiften? Das zu fragen und Antworten darauf zu versuchen, sehe ich als Teil des kirchlichen Auftrages. Martin Luther ist Vorbild für uns heute, aus dem Glauben heraus, Standpunkte zu finden. Luther weist uns mit Recht darauf hin, dem Wirken Gottes mehr Zutrauen zu schenken. Hier geht es um ein Kernstück reformatorischer Theologie. Es ist zugleich das große Entlastungsprogramm für alle, die in der Kirche Verantwortung tragen und mitarbeiten. Der Erfolg unserer Bemühungen ist von unseren Bemühungen unabhängig. Wir haben dafür zu sorgen, dass Wort und Sakrament zu den Menschen kommen – fantasievoll, anspruchsvoll, liebevoll, spirituell und weltbezogen. Mehr braucht es gar nicht, dieses aber mit allem Eifer. Den Rest, den Glauben der Menschen, besorgt der Heilige Geist, so wie auch wir allein ihm unseren eigenen Glauben verdanken. Das entlastet. So wird reformatorische Theologie für die Menschen relevant. Das Sakristeigebet mit Gemeindegliedern oder das Gebet im KV sind Symbole dafür. Wenn sie nicht gepflegt werden, fehlt dem Tun und Handeln die geistliche Basis – auch in unseren Gremien. Oder wie unser Predigtwort aus dem Römerbrief sagt: Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander dient. Das ist unsere Aufgabe auf allen Ebenen und in allen Gremien unserer Kirche. Ich meine übrigens: das ist, bei aller notwendigen Trennung von Kirche und Staat, auch Aufgabe aller staatlichen Organe: in einem Geiste für Gerechtigkeit und Frieden und Wohlergehen der ihnen anvertrauten Menschen zu arbeiten. Dann wird auch die oft genannte Politikverdrossenheit wieder abnehmen, weil die Menschen spüren: es geht nicht um persönliche Profilierung einzelner oder um undurchsichtige Interessen, es geht auch nicht um kurzsichtigen Populismus, sondern um das Wohl der Menschen und der Gesellschaft. Dazu braucht es ein klares Bekenntnis zur Demokratie und ihren Vollzügen. Dazu braucht es auch Transparenz. Wenn keine Transparenz hergestellt ist, wenn Menschen nicht mit- und nachvollziehen können, was da verhandelt wird und warum so und nicht anders entschieden wird, dann kommen Phantasien und Verschwörungstheorien auf. Dann sinkt das Vertrauen in die Verantwortlichen – egal ob in Kirche oder Staat. Wir leben nun einmal in einer Informationsgesellschaft, die es gewohnt ist, übers Internet Zugang zu allen Themen zu haben. Letztlich geht es beim Staat um Bürgerbeteiligung und in der Kirche um die Beteiligung der Gemeindeglieder. Hintergrund dafür ist das Allgemeine Priestertum aller Glaubenden. Und dieses Grundprinzip unserer Kirche ist, recht verstanden, höchst demokratisch. Wenn jedes Kirchenmitglied daran teilhat, dann sind auch alle zu beteiligen. Und das könnte man im staatlichen Bereich natürlich ganz säkular genauso formulieren. Lassen Sie mich zwei kurze Beispiele nennen. Beide handeln von Kirchenneugestaltungen. In der einen Gemeinde wurden die Ideen zu einer Neugestaltung des Innenraumes erst viel zu spät der Gemeinde nahe gebracht. Es kam darüber zu einer regelrechten Spaltung der Gemeinde, die lange nicht überwunden werden konnte. Bei der Einweihung sagte mir die Organistin: „Wenn ich nicht dienstverpflichtet wäre, so wäre ich heute nicht gekommen“. In der anderen Gemeinde ging es um Abriss und Neubau. Die ganze Gemeinde wurde mitgenommen, ohne die Rechte des Kirchenvorstandes zu beeinträchtigen. Vor kurzem durfte ich die Kirche einweihen – es war ein rauschendes Fest. Es braucht dazu nicht immer neue Gremien, Ausschüsse und Unterausschüsse. Sondern es braucht, was unser Predigttext sagt: lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander dient. Es braucht also Kommunikation, Kommunikation und Kommunikation. Es braucht Transparenz und Beteiligung. Es braucht das aufeinander hören und miteinander reden. Es braucht das gemeinsame Suchen nach dem, was uns als Gemeinde zusammenhält – der gemeinsame Geist, der Geist Gottes. Ich freue mich, wenn das gelingt. Und ich sehe mit großer Freude, wie das in den allermeisten Gemeinden gelingt. Dabei ist das Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen in der Gemeindeleitung ja gar nicht so einfach. Es besteht ja immer eine Spannung im wechselseitigen Bezug von Allgemeinem Priestertum und Amt. Der theologische Sinn dieser Konstruktion ist klar: Die Freiheit des Wortes Gottes soll erhalten bleiben; sie wird gefährdet, wenn die Verantwortung dafür allein beim Amt liegt oder allein bei Gemeinderepräsentanten. Diesem theologischen Sinn entsprechen häufig auch praktische Erfahrungen: Die Selbstständigkeit der Beteiligten wird gefördert, Kreativität wird freigesetzt und Vertrauen untereinander gestiftet. Das Streben nach dem, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander dient, wie Paulus schreibt, braucht diese konstruktive Spannung. Dann wird das Miteinander fruchtbar und bereichernd. So wird die Qualität der gemeinsamen Arbeit verbessert. Wenn Haupt- und Ehrenamtliche aus ihren unterschiedlichen Rollen heraus an einem Strang ziehen, dann kann Gremienarbeit Lust machen. Und das macht sie auch, wie ich mit Freude immer wieder feststelle, wenn ich in die Kirchenvorstände komme. Ich staune immer wieder, was in den 157 schwäbischen Kirchenvorständen an wertvoller und höchst kompetenter Arbeit geschieht – und in den anderen Kirchenkreisen natürlich auch. Deshalb haben wir die Mitglieder unserer schwäbischen Kirchenvorstände heute eingeladen, um Danke zu sagen. Stellvertretend für unsere ganze Kirche danke ich all denen sehr herzlich, die gemeinsam mit den Pfarrerinnen und Pfarrern und den anderen Hauptamtlichen (Diakonen, Sekretärinnen, KiTaMitarbeiterinnen, Kirchenmusikern und vielen anderen) die Geschicke ihrer Gemeinden leiten: Frauen, Männer, Junge und Alte. Und ich danke in ganz gleicher Weise denen, die als Familienangehörige immer wieder Geduld haben, wenn die Ehemänner und Ehefrauen wieder einmal nicht aus der Kirche zurückkommen; oder die selbst an anderer Stelle tatkräftig mit anpacken und sich engagieren. Auch Ihnen ein herzliches Dankeschön. Und hier auch ein Danke an alle, die den heutigen Tag mit vorbereitet haben: aus den Gemeinden, speziell die Mitarbeitenden von St. Ulrich und die Mitarbeitenden aus meinem Büro. Man sieht, die Verantwortung ruht auf vielen Schultern. viele Hände packen an, viele Köpfe denken mit, viele Herzen nehmen Anteil, viele Münder erzählen von Gottes Liebe mitten hinein in unsere Welt. Dafür sind wir dankbar. Dafür sage ich heute ausdrücklich “Danke“. Ohne Sie alle ginge das nicht. Ohne Sie alle wäre unsere Kirche handlungsunfähig und tot. Ohne Sie könnte Kirche die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten nicht leben. Ohne Sie könnte Kirche nicht Menschen in allen Situationen des Lebens beistehen – so wie der Kirchenvater Augustin es ausgedrückt hat: „Kleinmütige trösten, sich der Schwachen annehmen, Ungebildete lehren, Träge wachrütteln, Händelsucher zurückhalten, Streitende besänftigen, Armen helfen, Unterdrückte befreien, Gute ermutigen, Böse ertragen. Und, ach, alle lieben!“ Wie können wir das alles tun, ohne außer Atem zu geraten? wie können wir das alles leisten, ohne uns überfordert zu fühlen? Wie können wir unsere ganzen Aufgaben schultern, ohne mutlos zu werden? Nun, zum einen, weil wir es nicht allein tun müssen. Wir haben Weggefährten, die uns begleiten (und manchmal für den nötigen Aufbruch und Antrieb sorgen). Wir haben Familien, die uns tragen (und manchmal auch er-tragen). Wir haben Freunde, die uns raten (und uns manchmal den Kopf zurechtrücken). Wir haben Dekaninnen und Dekane, Synoden, Bischöfe und Landeskirchenamt, die uns nach Kräften unterstützen (und zugegebenermaßen manchmal auch zusätzlich Arbeit machen). Wir haben Gottesdienste und geistliches Leben, die uns auf Gott hinweisen, der uns beim Tragen und Ertragen helfen will. Und wir können um Gottes Geist bitten, im Sakristeigebet wie im Gebet vor der KV-Sitzung. Wir können auf Gott vertrauen, der uns die Kraft und die nötige Weisheit gibt, die wir fürs Arbeiten, Planen und Entscheiden brauchen. „Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand dazu“, heißt ein bekannter Spruch. Und gelegentlich soll ja auch in der Kirche der Heilige Geist wehen – vielleicht sogar dort, wo man es am wenigsten vermutet. Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander Es ist also unsere Aufgabe, am Reich Gottes mitzugestalten und seine Gerechtigkeit in die Welt zu bringen. Wenn wir daran als Kirchenleitung, und auch der KV ist Kirchenleitung, in aller Bescheidenheit mitwirken, dann geht Gott mit, dann sorgt er für uns, dann wird uns zufallen, wessen wir bedürfen. Oft genug haben wir Gottes Begleitung erlebt, wenn wir um die richtige Entscheidung gerungen haben. Und wir sind gestärkt aus mancher Not und manchem Konflikt herausgegangen. Haben nicht nur Energie, Zeit und Kraft investiert, sondern auch neue Energie und Motivation von Gott bekommen. Die Sorge um die Zukunft von Gemeinde und Kirche dürfen wir getrost Gott überlassen. Siehe Martin Luther: »Wir sind es doch nicht, die da die Kirche erhalten könnten. Unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen. Unsere Nachfahren werden's auch nicht sein; sondern der ist's gewesen, ist's noch und wird's sein, der da sagt: ,Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.'“ Gott sorgt für uns. Er gibt Zukunft: der Welt, der Kirche, den Gemeinden und jedem, jeder Einzelnen von uns. Sein Segen begleitet uns. Amen
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