Digital-Fotografie für Schwarzweiß-Fotografen Rainer Frädrich Eine Anmerkung vorab: Nach reiflicher Überlegung habe ich die bisher in den Text integrierten Bildbeispiele entfernt, um die Größe des Dokuments zu reduzieren. Sie können stattdessen viele Bildbeispiele online auf meiner Homepage (http://www.raifra.de) in der Rubrik Fotografie finden. Dieser Text wendet sich an Fotografen (beiderlei Geschlechts, aber das dürfte klar sein), die sich mit der digitalen Schwarzweiß-Fotografie beschäftigen möchten. Sei es als Umstieg oder Ergänzung zur klassischen Schwarzweiß-Fotografie auf Film, oder als Ergänzung zur digitalen Farbfotografie. Es gibt mittlerweile viel Literatur zum Thema Digital-Fotografie, allerdings vor allem aus Sicht der Farbfotografie. Nun könnte man sagen: »Na und? Wenn ich ein SchwarzweißFoto digital erstellen möchte, nehme ich einfach die Farbe raus aus dem Bild.« Doch so einfach ist es nicht. Wer sich heute für die Schwarzweiß-Fotografie als Ausdrucksmittel entscheidet, tut dies nicht aus technischer Notwendigkeit, sondern aus Gründen der Ästhetik. Schwarzweiß-Fotografie ist nicht Farbfotografie ohne Farbe. Sie ist eine ganz andere Art zu sehen und dies in Bildern auszudrücken. Die allermeisten Schwarzweiß-Fotografen, die sich mit der klassischen Fotografie auf Film beschäftigen, entwickeln ihre Filme selbst und vergrößern ihre Bilder selbst. Sie wissen, welche Qualität machbar ist, wenn man bei allen drei Phasen Belichtung, Entwicklung und Vergrößerung die größte Sorgfalt walten lässt. Die Ausgereiftheit der klassischen Schwarzweiß-Technik ermöglicht es erfahrenen Schwarzweiß-Fotografen, praktisch technisch perfekte Bilder zu erstellen. Warum sollten sie deshalb zur Digital-Fotografie wechseln? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Es besteht tatsächlich kein Grund, zur Digital-Fotografie zu wechseln. Die eigentliche Frage ist deshalb auch eine andere: Ist es beim heutigen Stand der Technik möglich, digital in schwarzweiß die gleichen qualitativ hochwertigen Ergebnisse zu erzielen wie in der klassischen Schwarzweiß-Fotografie? Dieser Text will zeigen, dass die Antwort ein eindeutiges Ja ist. Unser Weg beginnt damit, dass wir uns klar machen, was eigentlich bei der Belichtung in einer Digitalkamera geschieht. 1 Digitale Belichtung In jeder Digitalkamera befindet sich ein Chip mit Millionen lichtempfindlicher Zellen, deren elektrische Ladung sich je nach Helligkeit des auf sie treffenden Lichts ändert. Diese Ladungs-Werte können ausgewertet und digitalisiert werden, also in Zahlenwerte umgesetzt werden, z.B. kein Licht (schwarz) = 0, sehr viel Licht (weiß) = 65535 (oder ein anderer Maximalwert, hier geht es nur um das Prinzip). Die Zahlenwerte werden dann auf einer Speicherkarte in eine Datei geschrieben. Später kann diese Datei in einen Computer eingelesen und dort mit Hilfe eines Bildbearbeitungs-Programms bearbeitet werden. Soweit die Theorie. Die Praxis ist etwas komplizierter. Erste Hürde: Wo bitte ist denn die Farbe? Die lichtempfindlichen Zellen reagieren nur auf Helligkeit (es gibt Ausnahmen, aber wir befassen uns hier nur mit den am weitesten verbreiteten 1 Chips). Deshalb ist man gezwungen, Farbfilter vor die Zellen aufzubringen. Das sieht wie folgt aus: In der ersten Zeile auf dem Sensor-Chip haben die Zellen jeweils abwechselnd ein rotes (R) und dann ein grünes (G) Filter, also so: RGRGRGRG. . . In der darauffolgenden Zeile haben die Zellen ein grünes (G) und dann ein blaues (B) Filter, also so: GBGBGBGB. . . Dann kommt wieder eine Zeile mit RGRGRGRG. . . und dann eine Zeile mit GBGBGBGB. . . usw. Es gibt also doppelt so viele Zellen mit Grünfilter wie Zellen mit Rotfilter und Zellen mit Blaufilter. Man versucht damit, die höhere Empfindlichkeit unserer Augen für Grüntöne zu berücksichtigen. Dieses Filtermuster nennt sich nach seinem Entwickler Bayer-Muster. Mit diesem in 50% grüne Pixel, 25% rote Pixel und 25% blaue Pixel aufgespaltenen Bild kann ein Bildbearbeitungsprogramm nicht viel anfangen. Was wir brauchen, ist ein Farbwert (ein RGB-Wert) für jedes Pixel. Das Zauberwort dazu heisst Interpolation. Mit anderen Worten, mit Hilfe eines schlauen Algorithmus muss der Kamera-Computer die gefilterten Helligkeits-Informationen der einzelnen Zellen in RGB-Pixel umrechnen. Da die Kamera sich dazu nicht beliebig lange Zeit lassen kann, muss man einen Kompromiss finden zwischen Geschwindigkeit der Umrechnung und Qualität der Umrechnung. Und Kompromisse wollen qualitätsbewusste (Schwarzweiß-) Fotografen möglichst nicht eingehen. Sind wir also in einer Sackgasse? Nein, es gibt einen Ausweg, und der nennt sich Raw-Modus. Wir werden uns diesen Raw-Modus im nächsten Abschnitt genauer ansehen. Zuvor jedoch die zweite Hürde für jeden, der Spitzen-Qualität möchte: das Speicherformat der Bilddatei. Die Kamera legt in ihrer Grundeinstellung die interpolierten (also in RGB-Pixel umgerechneten) Bildinformationen im JPEG-Format ab. Dieses Format hat einige Vorteile, nämlich insbesondere, dass es von praktisch allen Bildbearbeitungs-Programmen sofort bearbeitet werden kann und dass es sehr kleine Dateigrößen ermöglicht (was bedeutet, dass wir viele Bilder auf einer Speicherkarte unterbringen können). Der Nachteil: die kleinen Dateigrößen werden erkauft durch eine verlustbehaftete Kompression, d.h. auch hier wird wieder ein Kompromiss eingegangen, diesmal zwischen Dateigröße und Bildqualität – je kleiner die Datei, umso geringer die Bildqualität. 2 Raw-Modus Wir wissen nun, dass es zwei Quellen des Ungemachs gibt, um die wir uns kümmern müssen, wenn wir an die volle Qualität heran wollen, die der in der Kamera eingebaute lichtempfindliche Chip zu liefern imstande ist. Da wäre als erstes die kamerainterne Interpolation der vom Chip gelieferten (gefilterten) Helligkeits-Informationen hin zu RGB-Werten und als zweites die verlustbehaftete Kompression der Bilddaten in der Bilddatei. Beide Probleme lassen sich überwinden, wenn auch nicht bei allen Kameras. Was wir brauchen, ist eine Kamera, die alternativ zum JPEG-Speichermodus den sogenannten Raw-Modus anbietet. In einer Raw-Datei befinden sich die originalen, vom Chip stammenden Helligkeitswerte, und zwar ohne jede Interpolation oder sonstige Manipulation. Raw-Dateien sind zwar in der Regel auch komprimiert, um Platz auf der Speicherkarte zu sparen; diese Komprimierung ist jedoch verlustfrei. Deshalb sind Raw-Dateien deutlich größer als JPEG-Dateien. Außerdem können Bildbearbeitungs-Programme zunächst einmal nicht viel mit Raw-Dateien anfangen. Was müssen wir tun? Wir müssen genau das tun, was auch die Kamera mit den Chip-Daten tut, nur besser. Wir haben ja im Computer auf unserem Schreibtisch eine ungleich höhere Rechenleistung zur Verfügung als die Kamera mit ihrem kleinen eingebauten Computerlein. Und wir wollen keine Qualität verschenken, um Zeit zu sparen. Also schaffen wir die Raw-Datei auf den Computer (kein Problem, machen wir entweder mit einem Kartenleser oder indem wir die 2 Kamera direkt an den Computer anschließen) und schauen uns anschließend nach einem geeigneten Interpolations-Programm um. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe Programme zum Aufbereiten von Raw-Daten, und deren Qualität ist auch stetig gestiegen. Meist liefert der Kamerahersteller (entweder kostenlos oder gegen Aufpreis) eine entsprechende Software, die aber leider oft nicht den höchsten Ansprüchen genügt. Und so gibt es Alternativen von Drittanbietern. Einige Beispiele: Capture One von der Firma Phase One, Photoshop und Lightroom von Adobe oder Darktable, ein Open Source Projekt. Es gibt natürlich noch mehr Hersteller mit KonverterSoftware, eine Internet-Recherche hilft Interessierten hier weiter. Eine Alternative will ich noch gesondert erwähnen: DCRaw. Das ist ein Konverter, den Dave Coffin kostenlos im Sourcecode anbietet, und der die Grundlage vieler kommerzieller Produkte ist. Mehr Infos unter: http://www.cybercom.net/∼dcoffin/dcraw/ 3 Raw-Konvertierung in der Praxis Rekapitulieren wir kurz: Um die bestmögliche Bildqualität aus der Digitalkamera zu holen, sollten wir auf jeden Fall im Raw-Modus arbeiten. Die Raw-Datei ist sozusagen unser digitales Negativ, also eine Datei, in der alle Bildinformationen unbearbeitet vorliegen, die wir aber erst entwickeln müssen, um mit den Bilddaten etwas anfangen zu können. Dieser digitale Entwickler ist ein Interpolations-Programm (Konverter-Programm). Wenn wir uns für ein Interpolations-Programm entschieden haben und dessen Möglichkeiten anschauen, machen wir eine überraschende Entdeckung: viele der Kamera-Einstellungen, die wir vor der Aufnahme vorgenommen haben, können für die Raw-Konvertierung wieder rückgängig gemacht oder verändert werden. Wie das? Es gibt eine ganze Reihe Einstellungen, die in Wirklichkeit gar nicht die Raw-Daten verändern, sondern nur mit den Raw-Daten zusammen in der Raw-Datei gespeichert werden, sozusagen als Hinweis, wie das Interpolations-Programm die Raw-Daten später verändern soll. Ein Beispiel dafür ist der Weißabgleich. Wenn ich den Weißabgleich an der Kamera z.B. auf Tageslicht stelle und dann ein Foto im Raw-Modus mache, dann wird in die Raw-Datei neben den eigentlichen Raw-Daten zusätzlich ein Hinweis gespeichert, dass ich den Weißabgleich-Typ Tageslicht eingestellt habe. Das Interpolations-Programm nimmt diesen Hinweis zur Kenntnis, muss ihn aber nicht berücksichtigen. Vielmehr machen es die meisten Interpolations-Programme so, dass sie uns anbieten, den Weißabgleich entweder zu übernehmen, wie er in der Kamera eingestellt wurde, oder uns einen anderen Weißabgleich auswählen zu lassen. Die meisten Interpolations-Programme ermöglichen es uns, die Raw-Daten entweder automatisch konvertieren zu lassen oder bei Bedarf manuelle Änderungen an den Parametern vorzunehmen, bevor die Konvertierung statt findet. Das Ergebnis wird dann meist in einer TIF-Datei gespeichert, die wiederum von Bildbearbeitungs-Programmen problemlos bearbeitet werden kann. Wichtig ist, das TIF-16-Bit-Format (genauer: 3 Mal 16 Bit für RGB) zu verwenden, nicht das 8Bit-Format. Da im 16-Bit-Format für jede Grundfarbe pro Pixel – wie der Name schon sagt – 16 Bits verwendet werden, haben wir viel mehr Möglichkeiten der Nachbearbeitung, ohne dass uns Kontrast, Helligkeit oder Farben wegbrechen. Der grundsätzliche Konvertierungs-Vorgang läuft wie folgt ab: Wir sehen zunächst ein Vorschau-Bild der Raw-Datei und können daran Änderungen vornehmen (Schwarzpunkt, Weißpunkt, Gamma, Weißabgleich usw.). Wenn wir soweit zufrieden sind, starten wir die Konvertierung. Das wars. Durch diese Vorgehensweise mittels Raw-Format haben wir die bestmögliche Qualität, die 3 die Kamera liefern kann, bewahrt und uns damit alle Möglichkeiten offen gelassen. In der Interpolations-Software optimieren wir das Bild vor der Konvertierung, sodass wir in der Bildbearbeitungs-Software nur noch Feinarbeiten vorzunehmen brauchen. Zu diesen Feinarbeiten gehört neben der Umrechnung des Farbbildes in ein Schwarzweiß-Bild das Feinanpassen von Kontrast und Helligkeit sowie partielle Veränderungen wie z.B. Abwedeln. 4 Aufnahme- und Bearbeitungs-Tipps Recht hilfreich für die anspruchsvolle Digitalfotografie sind Kameras, die neben dem Raw-Modus eine weiteres Feature bieten: das Histogramm. Die meisten Kameras lassen sich so einstellen, dass sie nach der Aufnahme auf dem Display nicht nur das eben gerade fotografierte Bild zeigen, sondern auch dessen Histogramm. Das hilft oft, die richtige Belichtung zu finden, sollte aber nicht das Einfühlen in die Lichtstimmung ersetzen. Es tut der Kamera nicht weh, ein Bild bewusst unter- oder überzubelichten, selbst wenn das Histogramm dann übel aussieht. Die Bildstimmung ist das Wichtige, nicht der technische Messvorgang. Die oft im Zusammenhang mit dem Histogramm einstellbare Überbelichtungs-Warnung kann ebenfalls hilfreich sein, aber auch durch ihr penetrantes Blinken stören. Wie das Histogramm ist auch die Überbelichtungs-Warnung jederzeit abschaltbar. Wie machen wir aus dem Farbbild ein Schwarzweiß-Bild? Es gibt je nach BildbearbeitungsProgramm verschiedene Möglichkeiten. In Photoshop kann man einfach den Modus Graustufen einstellen, oder den Kanalmixer verwenden oder das Bild komplett farbentsättigen. Es gibt auch die Möglichkeit, das Farbbild in ein LAB-Bild umzuwandeln, dann in der Kanal-Liste den Helligkeits-Kanal auszuwählen und schließlich den Modus Graustufen aufzurufen. Oder man weist dem Bild ein Graustufen-Profil (z.B. Gamma 2,2) zu. Der Unterschied der verschiedenen Verfahren liegt darin, dass einige Verfahren (z.B. die Entsättigung) einfach nur die Farbe rausnehmen, während andere Verfahren versuchen, das Helligkeitsempfinden unserer Augen für verschiedene Farben zu berücksichtigen. Am besten einfach selbst auszuprobieren. Meine Erfahrung ist die, dass insbesondere bei Fotos mit Hauttönen die einfache Entsättigungs-Methode mit ein wenig Kontrast-Erhöhung schon völlig ausreicht. Aber das ist natürlich ganz subjektiv. Wenn die Entsättigung als Umwandlungs-Methode ausreicht, kann man dies meist schon im Raw-Konverter machen, da die meisten Konverter eine Einstellung für die Farbsättigung haben. Es gibt auch Photoshop-Plugins zu kaufen, deren Funktion es ist, eine möglichst Schwarzweißfilm-getreue Umwandlung eines Farbbildes in ein Graustufenbild zu ermöglichen. Ob sich die Anschaffung eines derartigen Plugins lohnt, muss jeder für sich entscheiden. Wenn Sie ein Raw-Bild konvertiert haben und alle Arbeiten am Bild beendet haben, werfen Sie die Raw-Datei nicht weg. Würden Sie denn jemals ein Negativ wegwerfen, nur weil Sie eine Vergrößerung davon erstellt haben? Die Raw-Konvertierungs-Algorithmen sind noch längst nicht am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen, und es ist gut möglich, dass Raw-KonvertierungsProgramme der nächsten Jahre Details aus Ihren Raw-Dateien herauskitzeln, mit denen sie jetzt noch Mühe haben. Viel Spaß bei der Schwarzweiß-Digitalfotografie im Raw-Format! © 2004–2015 Rainer Frädrich ([email protected], www.raifra.de) Rev. 4.3 LATEX2e 4
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