Das Verbot zu reden - ff - Das Südtiroler Wochenmagazin

leitartikel
Das Verbot zu reden
In Südtirol herrscht in der Flüchtlingsdebatte bei Land und Caritas die Devise:
Am besten schweigen, wenn die anderen hetzen. Doch Schweigen und Wegducken
­lassen bloß ­Vorurteile und Unwissen wachsen.
von Georg Mair
Mit Redeverbot,
Wegducken,
Schweigen,
­minimalem
Einsatz­
kann man dem
Phänomen der
Migration nicht
begegnen.
F
ür die Titelgeschichte in dieser Ausgabe
hätten wir gerne mit einer Frau gesprochen, die sich seit Jahren mit Flüchtlingsfragen auseinandersetzt. Sie arbeitet in der Landesabteilung für Soziales. „Flüchtlinge, Sinti und
Roma“ steht hinter ihrem Namen.
ff hat also zuerst bei ihr um einen Gesprächstermin angefragt. Ich bin nicht befugt zu reden, so die Antwort, aber wenn es die zuständige
Amtsdirektorin erlaubt … Wir baten also Amtsdirektorin Brigitte Waldner darum, ihrer Mitarbeiterin die Gesprächserlaubnis zu erteilen. Die
Antwort kam von Luca Critelli, Direktor der Abteilung des Landes für Soziales. Die Antwort war:
Nein. Wenn es um Flüchtlinge geht, darf von den
Mitarbeitern im Haus von Landesrätin Martha
Stocker nur Critelli reden. Mitarbeiter, die in der
Sache einschlägige Kompetenzen haben, mit der
Angelegenheit weit länger beschäftigt sind als der
Direktor der Abteilung, bekommen einen Maulkorb umgehängt.
Warum dürfen sie nicht reden? Könnte ihre
Version von der offiziellen abweichen, könnten
sie gar Kritik üben, wie das Land mit Menschen
auf der Flucht umgeht? Denn die Linie des Landes
ist die: Gerade das Notwendigste tun, sonst kommen noch mehr. Das ist ein Argument, das man
nicht ganz von der Hand weisen kann, aber inzwischen leben 400 Asylsuchende, darunter auch
Familien mit Kindern, auf der Straße oder in prekären Unterkünften.
Gibt es für Landesangestellte nicht mehr die
Meinungsfreiheit? Müsste nicht gerade über diese Themen offen diskutiert werden, auch um das
Misstrauen eines Teils der Bevölkerung zu entkräften. Und wie sollen Landesangestellte mit
Maulkorb selbstständig arbeiten? Viele werden
bestimmt auch intern jedes Wort auf die Goldwaage legen, auf jede Eigeninitiative verzichten,
wenn man ihnen zu verstehen gibt, dass jedes offene Wort heikel ist. Das fördert Duckmäusertum.
® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Wenn es um den Umgang mit Flüchtlingen
geht, ist es nicht nur beim Land heikel. Warum
sagt etwa die Caritas nicht klar, dass es ein Skandal ist, dass 400 Asylsuchende in Bozen unter
sehr prekären Umständen leben, warum macht
sie sich nicht öffentlich für sie stark – wenn schon
diplomatische Bemühungen offensichtlich wenig
fruchten.
Doch Paolo Valente und Franz Kripp, die Direktoren der Caritas, bleiben stumm. Gewiss,
die Caritas tut viel, aber auch hier gilt: Wird es
(politisch) heikel, dürfen nur mehr die oben reden. Unten äußert man seine Meinung nur hinter vorgehaltener Hand. Das bedeutet, dass die
vom rechten Lager (Freiheitliche, Lega, Andreas Pöder, Casa Pound) bald jeden Tag hetzen und
die Fakten verdrehen dürfen, ohne dass ihnen jemand widerspricht. Die Landesbeamten nicht,
die Caritas nicht, die von der Mehrheitspartei
sowieso nicht. So entsteht Panik, das Problem
wird größer und größer, Gerüchte und Mutmaßungen ersetzen die Fakten. Fremdenfeindlichkeit setzt sich in den Köpfen fest. Mit Redeverboten, Schweigen, Wegducken, Sich-Winden, mit
minimalem Einsatz kann man dem Phänomen
von Flucht und Migration – und den Debatten
in der Gesellschaft – nicht begegnen.
Da braucht es schon ein Stück mehr Zivilcourage (müssen wir das in Südtirol immer
noch erst lernen?), ein eindeutiges Bekenntnis
zu Menschlichkeit und das Ernstnehmen der
christlich-abendländischen Kultur, die gerade
die Rechtspopulisten gerne in der ­Konfrontation
mit dem Islam beschwören. Ein Beispiel aus der
Bibel gefällig? Der barmherzige Samariter fragt
nicht nach, wer der Mann ist, dem er hilft, woher er kommt, wir erfahren nicht, welche Hautfarbe er hat. „Als er ihn sah“, heißt es, „hatte er
Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf
seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn
auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge
n
und sorgte für ihn.“ No. 39 / 2016