PRESSEMITTEILUNG - Universität Hohenheim

UNIVERSITÄT HOHENHEIM
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29.09.2016
PRESSEMITTEILUNG
Vernetzte Autos:
Nutzer sind mit Schutz ihrer Daten häufig überfordert
Studie der Universität Hohenheim: Besitzer von vernetzten Autos vertrauen Herstellern,
haben aber wenig Kontrolle über ihre Daten. Ein Werkstattbericht
PRESSEFOTOS unter www.uni-hohenheim.de
Wichtige Infos und hohen Komfort versprechen sogenannte vernetzte Autos, die Daten
sammeln und mit ihrer Umgebung kommunizieren. Doch erste Ergebnisse einer laufenden
Studie der Universität Hohenheim zeigen: vernetzte Autofahrer unterschätzen die Brisanz
der Daten, die sie preisgeben. Dabei speichern manche vernetzten Autos Daten, die
Schlüsse auf Fahrstil und Gefahrenverhalten des Fahrers zulassen und ihn zum gläsernen
Fahrer machen. Das erste Fazit des Studienleiters Dr. Thilo von Pape: „Nutzer können ihre
Daten nicht schützen, wenn sie nicht wissen was zu welchem Zweck gespeichert wird. Wir
wollen Transparenz schaffen und die Fahrer darin unterstützen zu bestimmen, was sie
über sich preisgeben. Wir brauchen technische Lösungen, die Nutzern erlauben, dies zu
beeinflussen und sie vor Gefahren des Missbrauchs schützen.“ Das Bundesministerium
für Bildung und Forschung fördert das Projekt mit 198.000 Euro. Damit zählt es zu den
Schwergewichten der Forschung an der Universität Hohenheim.
Ein Navigationssystem, das Stauinformationen in Echtzeit empfängt und Routen entsprechend
anpasst, die Lieblings-Playlist aus dem Internet, die App, die das Auto vom Restaurant aus
abschließen kann und natürlich WLAN für alle Fahrgäste: Für den versprochenen Zugewinn an
Komfort und Flexibilität müssen Besitzer vernetzter Autos viele Daten preisgeben.
Wie Nutzer mit dieser Situation umgehen, erforscht Dr. von Pape,
Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hohenheim. In ausführlichen Interviews haben
er und sein Team 17 Nutzer von vernetzten Autos im Raum Stuttgart interviewt. Eine
bundesweite, repräsentative Befragung von Autofahrern mit und ohne vernetztes Auto steht kurz
bevor.
Ziel des Projektes: Geprüfte Lösungen, durch die vernetzte Autofahrer ihr Recht auf
informationelle Selbstbestimmung gezielter und einfacher ausüben können. Dazu arbeiten die
Forscher der Universität Hohenheim mit Partnern aus den Bereichen Datenschutz, Industrie,
Informatik und Usability zusammen, die die Befragungsergebnisse und Wünsche der Nutzer mit
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rechtlichen und technischen Vorgaben verknüpfen.
Sensible Daten, überforderte Nutzer
Bereits die ersten Ergebnisse der Nutzerbefragung überraschten Dr. von Pape: „Für die meisten
Befragten hatte Datenschutz keine hohe Priorität.“ Mehr Funktionen und ein besserer Zugriff auf
Daten von anderen Geräten wünschten sich die meisten Befragten, besondere Vorsicht im
Umgang mit den Daten sei aber nicht zu bemerken: „Die Nutzer meinen, das Auto würde ohnehin
‚nur‘ technische Daten sammeln.“
Doch so einfach ist es nicht, so Dr. von Pape: Daten, die eigentlich zu Wartungs- oder
Sicherheitszwecken anfallen, ließen auch Rückschlüsse auf das Gefahrenverhalten der Fahrer zu
– wenn sie nicht umfassend geschützt werden. Solche Rückschlüsse könnten zum Beispiel aus
den Müdigkeitswarnungen oder Auslösungen des Gurtstraffers gewonnen werden.
Parkpositionen und die in das Navigationssystem eingegebenen Adressen könnten weitere
Schlüsse auf sensible Alltagsgewohnheiten und Vorlieben der Fahrer erlauben, wie Arzt- oder
Kneipenbesuche.
Bereits jetzt bieten Versicherer vergünstigte Tarife an, wenn Autobesitzer eine sogenannte Black
Box einbauen, die Daten über das Fahrerverhalten übermittelt. „Ob eine solche Nutzung von
Daten im Interesse der Autofahrer ist oder lieber gesetzlich eingeschränkt werden sollte, diese
Diskussion müssen wir als Gesellschaft führen.“
Wenig Bewusstsein für Datenschutz bei Nutzern
Doch um die Risiken zu durchschauen, fehlt es manchen Nutzern allein schon am technischen
Wissen. „Anders als erwartet waren unter den frühen Nutzern nicht nur technikbegeisterte
Menschen. Manche von ihnen hatten gar nicht unbedingt vor, ein vernetztes Auto zu kaufen. Sie
bekamen die Technik beim Autokauf als neuen Standard präsentiert oder sie nutzen das Auto nur
mit, das der Partner gekauft hat.“
Das wirke sich auch auf die Datensicherheit aus: „Zum Teil bekommen solche Nutzer dann das
System eingerichtet, ohne einmal gelesen zu haben, welche Daten übermittelt werden und wie
sie diese schützen können.“
Viele der Systeme fragten zudem nur ein einziges Mal pauschal ab, ob Nutzer mit der
Datenverwendung einverstanden sind. „Wer an diesem Punkt zustimmt oder sogar jemand
anderen mit der Einrichtung beauftragt, der dann die Zustimmung gibt, macht dies später meist
nicht mehr rückgängig“, so Dr. von Pape.
Um Daten wirkungsvoll schützen zu können, müssen die Nutzer zunächst wissen, welche Daten
wo, wann und zu welchem Zweck im Auto erhoben werden. Dann können sie einfach per
Knopfdruck entscheiden, ob sie den Dienst abschalten oder nicht.
Chance für Datenschutz und Herausforderung für Anbieter
Aber auch die technisch bewanderten Nutzer setzen sich kaum mit dem Schutz ihrer Daten
auseinander. Sie legen häufig ein großes Vertrauen in die Autohersteller. „Die Sensibilität für das
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Thema scheint bei den Autoherstellern, die dieses Projekt mit uns gestartet haben, sogar
ausgeprägter zu sein.“
Tatsächlich meinten viele der befragten Nutzer, die Autohersteller hätten ohnehin keine
Verwendung für private Daten. Diese Vorstellung könnte sich laut Dr. von Pape aber in den
nächsten Jahren ändern: „Noch betrachten die Nutzer die Hersteller im klassischen Sinne als
reine Auto-Bauer, denen es nur um den Verkauf von Fahrzeugen gehe. Mit der Vernetzung der
Autos geht aber bei vielen Herstellern auch ein Wandel im Selbstverständnis einher – hin zu
Mobilitätsdienstleistern, die neben Autos auch Apps anbieten, über die man dann etwa
Car-Sharing nutzen kann.“
Welche Vielzahl von Diensteanbietern – vom Automobilclub bis zur Zimmervermittlung – im
Internet sich schon heute für Fahrer- und Routendaten interessieren, ist vielen Autofahrern nicht
bewusst. Dass ihre Daten für einen App-Anbieter interessant wären, könnten die Nutzer sich
vermutlich schon eher vorstellen. Dann sei zu erwarten, dass sie sich auch die
Datenschutzlösungen kritischer anschauen, so Dr. von Pape.
Bislang stellt Dr. von Pape in seiner Nutzerbefragung jedoch ein Gefühl der Machtlosigkeit fest.
Beim Thema Datenschutz habe sich ein lähmender Fatalismus breitgemacht. „Viele unserer
Befragten haben das Gefühl, ihre Daten in der vernetzten Welt sowieso nicht schützen zu
können. Und die Vernetzung gehört für sie zum modernen Leben einfach dazu.“
Beim vernetzten Fahrzeug bestehe jetzt die Chance, den Nutzern diesen Fatalismus zu nehmen:
„Dafür müssen jedoch die beteiligten Interessengruppen die Datenschutzinteressen der
Verbraucher in den Mittelpunkt stellen und besser durchsetzen.“ Die Anbieter müssten sich nun
im Umgang mit Daten als glaubwürdige Adressen bewähren. In punkto Datenschutz könnten sie
dann auch anderen Branchen als Vorbild dienen.
Schutz und Kontrollmöglichkeiten für Nutzer
Für einen erfolgreichen Schutz der Daten im vernetzten Auto schlägt Dr. von Pape ein
zweigleisiges Vorgehen vor: „Nutzer können ihre Daten bei einer derart komplexen Technik nicht
alleine schützen. Wir müssen sie darin mehr unterstützen, brauchen aber auch technische
Lösungen, die Nutzer ohne ihr Zutun besser vor den größten Gefahren bewahren.“
Solche technischen Lösungen seien heute zum Teil bereits im Einsatz. So würden die Daten von
Müdigkeitswarnern bei vielen Anbietern automatisch gelöscht, sobald der Motor anhält oder die
Tür geöffnet wird.
Außerdem sollten die Nutzer beim Schutz ihrer eigenen Daten stärker unterstützt werden. Einen
Ansatzpunkt dazu sieht Dr. von Pape im Prozess der Anschaffung und Einrichtung eines
vernetzten Autos. „Bei jedem neuen Smartphone gehört es selbstverständlich dazu, dass man im
Zuge der Einrichtung auch Privatheitseinstellungen trifft. Beim Kauf eines Neuwagens kommt
dies für viele überraschend.“ Umso wichtiger sei es, dass man sich Zeit für diese Einstellungen
nimmt, damit die Kunden ihre Tragweite verstehen. Allerdings sollte man sich nicht zufrieden
geben mit den Lösungen, die derzeit bei Smartphones gängig sind.
Eine mögliche Lösung: Entscheidungen situationsabhängig treffen
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Zusätzlich sollte man einen Teil der Privatheitsentscheidungen aus dem Moment der Einrichtung
heraus verlagern in die Situationen, in denen Daten tatsächlich fließen. „Sinnvoll wäre ein
System, bei dem Nutzer kontextabhängig immer aufs Neue entscheiden können, ob sie ihre
Daten für ein Angebot in einer bestimmten Situation preisgeben möchten oder nicht.“
Sinnvoll sei in Zeiten des Car-Sharing und der flexiblen Nutzung von Mietfahrzeugen auch die
Möglichkeit, solche Einstellungen individuell zu treffen und zum Beispiel über das Handy oder
einen Datenträger von Fahrzeug zu Fahrzeug zu übertragen und wieder löschen zu können.
Solche benutzerfreundliche Technik zu entwickeln ist gemeinsames Ziel des Projektes.
Solche situationsabhängigen Einverständniserklärungen gelten aber noch als schwer umsetzbar.
Sie bedeuten einen Mehraufwand, den die meisten Kunden nicht leisten würden. Hier setzt Dr.
von Pape auf die Zusammenarbeit mit Technikern, Juristen und Industrie, um in einer späteren
Projektphase neue Ansätze zu finden.
Hintergrund: Schwergewichte der Forschung
31,2 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim 2015
für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“
herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 250.000
Euro bei den Experimental- bzw. 125.000 Euro bei den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften.
Text: Barsch / Töpfer
Kontakt für Medien:
Dr. phil. Thilo von Pape, Universität Hohenheim, Fachgebiet Kommunikationswissenschaft, insbesondere
Medienpsychologie,
T 0711 459 24795, E [email protected]
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