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Die Radiopredigten
Auf Radio SRF 2 Kultur und Radio SRF Musikwelle gehört, zur Ergänzung notiert.
Es gilt das gesprochene Wort
Christian Rutishauser, röm.-kath.
25. September 2016
Nikolaus von Flüe – Mensch, Mystiker, Mittler
Jes 55, 1ff und Psalm 127, 1 und Mt 6, 33
Wundergeschichten und Heiligenlegenden sind der frommen Seele seit jeher willkommen. Zuweilen wird Heiligenverehrung so zentral, dass selbst
Gott an den Rand gedrückt wird. Daher hat die katholische Kirche in der
Konzilsreform vor 50 Jahren liturgisch ausgekehrt. Heiligengedenktage sollten im Kirchenjahr nicht wuchern. Im Zentrum soll Gottes Geschichte zum
Heil der Menschen stehen, so wie sie die Bibel erzählt. Daher wurde die
Regel aufgestellt, dass ein Heiligengedenktag, der in einem Jahr auf einen
Sonntag fällt, nicht begangen wird. Der Sonntag als Tag der Auferstehung
Jesu Christi geht vor. Doch gerade dieser Grundsatz erfährt am heutigen
Tag eine Ausnahme: Obwohl Sonntag, wird das Hochfest von Bruder Klaus
begangen.
Zu Lebzeiten schon als heilig verehrt, hat Nikolaus von Flüe im 20. Jahrhundert erneut grosse Popularität erreicht. Auch ich bin als Knabe mit meinen Eltern jedes Jahr einmal zu ihm gepilgert. Für viele Schweizer Katholiken hat seine Fürbitte zur Verschonung der Schweiz vor HitlerDeutschland beigetragen. Daher wurde er 1947 auch offiziell heiliggesprochen. Zugleich hat die historische Forschung in den letzten Jahrzehnten
kräftig an der Legendenbildung rund um Bruder Klaus gekratzt. Nicht zum
Schaden, im Gegenteil! Ein äusserst kerniges Porträt eines Eidgenossen des
15. Jahrhunderts kam zum Vorschein. Er war standesgemäss an politischen
und kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt, ein Bauer mit Frau und
zehn Kindern. Obwohl äusserlich etabliert, geriet er zur Lebensmitte hin in
eine tiefe Krise:
Depression, mentale Aussetzungen, innere Zerrüttung, Ekel an der Welt,
innere Schreckbilder, aber auch Visionen waren Symptome. Es schien kaum
einen Ausweg zu geben.
Sprache für seine innere Krise hat Nikolaus von Flüe in der spätmittelalterlichen Kreuzesmystik gefunden, im Betrachten der Passion Jesu. Einige
Priester haben ihm, dem Analphabeten, geholfen, mit seinen inneren Erfahrungen umzugehen. Von den Waldmönchen inspiriert, hat er schliesslich die
Familie verlassen und durch ein hartes Ringen seine eigene, eigentlich unglaubliche Form des Einsiedlerlebens gefunden: In einer Klause in der
Ranftschlucht, wenige hundert Meter entfernt von seinem Hof, wo Frau
und Kinder weiter wirtschafteten. Er lebte fastend und betend, ist hinabgestiegen in den dunkel-schattigen Wald, dem Schrecklichen, das ihn immer
wieder heimsucht, und dem Bösen die Stirn bietend. In dieser Tiefe verankert er sich in Gott. Wie die Wüstenväter im Frühchristentum in der Einöde
ihren inneren Dämonen begegnet sind, weil sie sie auf niemanden mehr
projizieren konnten, so stieg Bruder Klaus in die Einsamkeit des Ranft hinab. Sein innerer Abgrund öffnete sich noch mehr. Er stellte sich dem inneren Kampf. Ein Antlitz im Lichtglanz überfiel ihn wie ein Blitzlicht.
Schmerzhaft, wie bei den Wehen einer Frau, hat sich die Gottesgeburt in
seinem Seelengrund ereignet. Er wurde ein wilder Mann und ein heiliger
Mann zugleich.
Das innere Ringen machte ihn authentisch und durchlässig auf Gott hin.
Daher hörten die rauen Eidgenossen auf seine Autorität; auch 1481 an der
Schwelle zum Bruderkrieg. Intuitiv nahmen sie seine Friedensbotschaft auf.
Ihren genauen Inhalt kennen wir bis heute nicht. Doch wir sehen die Wirkung: Luzern und die Urkantone lassen sich neu zusammen schweissen;
Fribourg und Solothurn werden kompromissbereit in den Bund aufgenommen. Der Einsiedler Bruder Klaus, der sich vom öffentlichen Leben
verabschiedet hat, bestimmt die Politik. Wir stehen vor einem Paradox! Der
Einsiedler wirkt um einiges nachhaltiger als viele aktive Weltgestalter. Noch
600 Jahre danach staunen wir darüber, ob katholisch oder reformiert, gläubig oder säkular.
Eine seiner Visionen möchte ich hier herausgreifen. Treffend erfasst sie die
Mentalität der Eidgenossen und spricht bis heute: Auf einem Platz sieht
Bruder Klaus Menschen fleissig arbeiten und wundert sich, dass sie doch
arm bleiben.
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Als er daneben einen Tabernakel sieht, ist darin eine öffentliche Küche und
oberhalb einer Treppe ein gewaltiger Brunnen. Aus ihm fliessen mit Getöse
Wein, Öl und Honig. Überquellend der Brunnen, doch Bruder Klaus wundert sie abermals, dass nur ganz wenige Leute hingehen und schöpfen.
Vielmehr erblickt er die Menschen auf dem Platz: Einige, wie sie einen
Zaun machen und zu den Dabeistehenden sprechen: „Ihr kommt nur hinein, wenn ihr einen Pfennig bezahlt.“ Er sieht Andere, die Musik machen
und auch einen Pfennig verlangen, und weiter Handwerker, die alle einen
Pfennig haben wollen. Doch die Menschen bleiben alle ganz arm. Bruder
Klaus wundert sich erneut, dass sie nicht aus dem Brunnen schöpfen. Soweit das Traumbild. Sagt diese Brunnenvision nicht vieles über die armreichen Eidgenossen!? Sie sind fleissig, aber weil sie horten und stets zuerst
etwas wollen, bevor sie geben, sind sie doch kleinlich eingezäunt, ängstlich
auf ihren Pfennig bedacht. Den wahren Überfluss, der aus dem Brunnen
kommt, die Fülle göttlichen Lebens, kennen sie nicht. Ja die eigene Geschäftigkeit verstellt sogar den Weg dahin.
Dutzende von Worten aus der Heiligen Schrift kommen mir ob dieser Vision in den Sinn. So ruft Jesaja: „Auf ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser!
Auch wer kein Geld hat, soll kommen... Kommt und kauft ohne Geld...
Warum bezahlt ihr mit Geld, was euch nicht nährt?“ (Jes 55,1f) Und der
Psalmist spricht: „Wenn nicht Gott das Haus baut, baut jeder umsonst.“ (Ps
127,1) Schliesslich fordert Jesus: „Euch aber muss es zuerst um das Reich
Gottes und seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6,33) Das Eigene loslassen, gerade die eigene Leistung. Sich
ganz nach den göttlichen Gütern, die im Überfluss da sind, ausstrecken. Die
Prioritäten richtig setzen: Zuerst Gott, dann das Eigene. Nicht sich zuerst
einrichten und sich dann auch noch für Religion interessieren.
Bruder Klaus hat die Prioritäten des Christseins radikal vorgelebt. Er hat
alles verlassen und ist reich beschenkt worden. So schliesst denn die Brunnenvision mit folgender Wendung: Wie Bruder Klaus so dastand und den
Leuten auf dem Platz zusah, da verwandelte sich die Gegend, wurde zu
einer wüsten Steinhalde und gleich der Gegend um seine Zelle. Und er erkannte, dieser Tabernakel wäre er selbst. Genau hingehört: Bruder Klaus
identifiziert sich nicht mit dem göttlichen Brunnen, keine göttliche Aufblähung des eigenen Ichs. Er ist der Tabernakel, der Ort, wo die Kommunion
aufbewahrt wird und Gott ganz gegenwärtig ist. Er hat die reiche Quelle in
sich, zugleich die Küche, die allen Menschen offensteht.
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Alle, die einst bei ihm Rat suchten, und alle Pilger heute, die in den Ranft
kommen, steigen gleichsam aus ihrem Alltag aus und bei Bruder Klaus ein.
Sie kommen zur Quelle Gottes. Jeder kann so viel aus dieser Quelle schöpfen, wie sein Schöpfgefäss zu fassen vermag. Dazu muss es leer sein. Der
Pilger muss sich losgelassen haben, den eigenen Zaun, den eigenen Pfennig.
Christian Rutishauser
Hirchengraben 74, 8001 Zürich
[email protected]
Auf Radio SRF 2 Kultur und auf Radio SRF Musikwelle um 9.30 Uhr (kath.) und
um 9.45 Uhr (ref.)
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