Titelthema Kundenmanagement Aktuelle Strompreisstudie Zyklische Effekte im Strompreisverhalten Das Handelsvolumen an den Energiebörsen steigt stetig. Gleichzeitig ist der Strompreis von immer neuen Einflussfaktoren abhängig. Dies führt vermehrt zu Kursschwankungen und erschwert Prognosen über die Preisentwicklung. In einer aktuellen Abschlussarbeit der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit der Energieforen Leipzig GmbH wurde das Strompreisverhalten untersucht und dabei Methoden aus der Finanzbranche auf ihre Tauglichkeit im Energiehandel geprüft. Die Handelsvolumina der European Energy Exchange AG (EEX) als auch die des bilateralen Markts steigen seit Jahren kontinuierlich. Gleichzeitig wird der Strompreis von immer mehr Faktoren beeinflusst, was starke Kursschwankungen zur Folge hat und Preisprognosen erschwert. Folglich gewinnt die Analyse des Strompreisverhaltens zunehmend an Bedeutung für den Vertrieb, die Beschaffung, das Risikomanagement und die Handelsabteilungen der Stadtwerke und Energieversorgungsunternehmen. Um der komplexen Marktsituation gerecht zu werden, bedarf es neuer stochastischer Methoden zur Analyse des Preisverhaltens. Vorbild Finanzbranche Auf den Finanzmärkten sind stochastische Verfahren zur Analyse von Zeitreihen ein etabliertes Werkzeug. Besonders bei stark volatilen Preisreihen, wie sie auch auf dem Strommarkt zu beobachten sind, hat sich die Garch-Modellierung als robustes Instrument für die Analyse des Preisverhaltens bewährt. Diese Modelle ermöglichen Mittelwertgleichung mit einer Mittelwert- und einer Varianzgleichung Aussagen über die Rendite einer Zeitreihe und deren Schwankungen. Ausgehend von der Annahme, dass sich die stündlichen Großhandelspreise auch als Renditen darstellen lassen, scheint es naheliegend, dass das Garch-Modell auch im Energiehandel signifikante Ergebnisse liefern kann (Bild 1). Zur Überprüfung dieser These wurden in der Studie die stündlichen EEX-Spotmarktpreise seit dem Start des Börsenhandels im Jahr 2000 bis Ende 2014 mit einem Garch-Modell untersucht. Zusätz- Die Mittelwertgleichung stellt Renditen Rt in lineare Beziehung zur Konstanten , zur Summe der Dummyvariablen Dj,t mit j = 1, …, t und dem Fehlerterm t. t Rt = α + ∑ γ j Dj,t + ε t j=1 Varianzgleichung p q t k =1 l =1 j=1 Die Varianzgleichung stellt die bedingte Varianz ht in Abhängigkeit der quadrierten Residuen 2t–k mit k = 1, …, p, der vergangenen Varianz ht–l mit l = 1, …, q, sowie den Dummyvariablen Dj,t mit j = 1, …, t dar. ht = β + ∑ ηk ε t2– k + ∑ zl ht – l + ∑ θ j Dj,t Datenbasis: stündliche Spotmarktpreise der Epex Spot 2000 – 2014 180 80 12.2014 4.2014 8.2013 11.2012 3.2012 7.2011 10.2010 2.2010 5.2009 9.2008 1.2008 4.2007 8.2006 12.2005 3.2005 7.2004 10.2003 2.2003 6.2002 –20 9.2001 30 1.2001 Preis € 43079.1 Bild 1. Die Garch-Modellierung im Überblick PDF 7364 aus ew 9 | 2016, S. 39-41 39 Titelthema Kundenmanagement 80 €/MWh 70 60 Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag Preise 50 40 30 20 10 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Uhrzeit niedrigere Preisniveau am Wochenende begründet werden. Die Volatilität ist davon jedoch unberührt und hat an Werktagen meist ein vergleichbares Niveau wie am Wochenende. Bei der Untersuchung des zeitlichen Einflusses der Monate sowie Jahreszeiten wurden die Monate Mai, Juni und Dezember beziehungsweise der Frühling als Zeiträume mit den volatilsten Strompreisen identifiziert. Zum Verhalten der Renditen konnte das Modell dagegen keine signifikanten Ergebnisse liefern. Generell lässt sich festhalten, dass das um Dummy-Variablen erweiterte Garch-Modell sehr gut zur Identifikation saisonaler Effekte in Preisreihen geeignet ist und die Erkenntnisse aus der Finanzbranche auch auf den Energiemarkt übertragen werden können. 43079.2 Standardlastprofil auf dem Prüfstand Bild 2. Verbrauchsprofile für alle Wochentage 80 €/MWh 70 Frühling Sommer Herbst Winter 60 Preise 50 40 30 20 10 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Uhrzeit 43079.3 Bild 3. Das Verbrauchsprofil für den durchschnittlichen Tag einer Jahreszeit lich wurde das Modell zur Identifikation zeitlicher Einflussfaktoren um Dummyvariablen erweitert (Bild 1). Dies ermöglicht die Bestimmung des Einflusses zeitlicher Aspekte, wie Wochentags- und Jahreszeiteneffekte, auf die Großhandelspreise. Zyklische Strompreiseffekte Das so erstellte Modell kann auf Basis der genutzten Daten signifikante Ergebnisse berechnen. Interessant ist vor allem die Untersuchung saisonaler Einflüsse. Diese werden in Form der Dummies in der Modellierung abgebildet und errechnet. Wird beispielsweise für jeden Wochentag ein Dummy integriert, lässt sich durch das Modell der Einfluss eines spezifischen Wochentages auf den Börsenpreis be- 40 9 | 2016 stimmen. Dabei erwies sich der Montag als Tag mit den höchsten Renditen sowie der stärksten Varianz im Vergleich zu den übrigen Wochentagen. Montagseffekte sind an den Finanzmärkten keine Seltenheit. Ihre Ursache ist allerdings umstritten und wird überwiegend mit psychologischen Aspekten gerechtfertigt. Wegen technischer Restriktionen in der Stromerzeugung sowie des geringen Anteils spekulativer Handelsteilnehmer überrascht das Auftreten dieses Effekts im Energiemarkt und sollte weitergehend untersucht werden. Bestätigt wurde des Weiteren die intuitive Annahme, dass an Werktagen höhere Renditen zu erwarten sind als am Wochenende. Dies kann durch das allgemein Die Erkenntnisse aus der Untersuchung der Renditen und der Varianz, die durch die Modellierung gewonnen wurde, lassen sich auch auf den Verlauf der Strompreise übertragen. Hierzu wurden in der Studie individuelle Verbrauchsprofile für alle Wochentage (Bild 2) sowie Jahreszeiten (Bild 3) erstellt. Dabei bestätigte sich, dass das zyklische Verhalten der Renditen auch in den Preisen selbst wiederzufinden ist. Es wurde deutlich, dass die Annahme eines einheitlichen Standardlastprofils für Verbrauchsprognosen den gestiegenen Anforderungen des Markts nicht gerecht wird. Zwischen den Werktagen und dem Wochenende bestehen Preisunterschiede von 10 bis 30 €/MWh. Darüber hinaus ist das bekannte Standardlastprofil, mit zwei Höchstwerten am Mittag und Abend in den Frühlingsund Sommermonaten nicht zutreffend. Mit diesen Informationen können Absatz- und Verbrauchsprognosen weiter geschärft werden. Zusätzlich sollten differenzierte, kundenspezifische Lastprofile im Produktmanagement sowie zur Entwicklung neuer Produkte im Energievertrieb eingesetzt werden. Einführung der Direktvermarktung senkt die Volatilität im Markt Das angewandte Garch-Modell eignet sich ebenfalls für die Analyse der Wirkung spezifischer Ereignisse. Einhergehend mit der vermehrten Einspeisung aus Erneuerbare-Energien-Anlagen steigt die Volatilität der Börsenpreise. Zur Förderung einer bedarfsgerechten Stromerzeugung und folglich zur Verhinderung kurzfristiger Preisschwankungen wurde der Mechanismus der Direktvermarktung geschaffen. Titelthema Kundenmanagement 6 Monate 90 €/MWh 80 58 70 56 60 Preis Preis 62 €/MWh 60 54 50 52 40 50 Jan 2011 Feb 2011 Mrz Apr 2011 2011 Datum Mai 2011 Jun 2011 30 7 Jahre Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez Dez 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Datum 43079.4 Bild 4. Der Fukushima-Schock über verschiedene Beobachtungszeiträume Zur Überprüfung der Wirkungsweise der Direktvermarktung wurden die Varianzen vor und nach der Einführung des Systems berechnet und miteinander verglichen. Die Ergebnisse bestätigten, dass die Varianz im Stromhandel nach der Einführung der Direktvermarkung zurückging und das System folglich wie gewünscht zu einem stabileren Großhandelsmarkt beiträgt. Ereignisanalysen, wie sie dargestellt wurden, können mit einem um Dummyvariablen erweiterten Garch-Modell durchgeführt werden. Für die Signifikanz der Ergebnisse ist jedoch die Festlegung entsprechender Untersuchungszeiträume ausschlaggebend. Diese sollten sich unmittelbar an das zu untersuchende Ereignis anschließen und nicht länger als zwölf Monate sein. Schwächen der Garch-Modellierung auf dem Energiemarkt Bei den Untersuchungen mit dem GarchModell wurde deutlich, dass die Länge des betrachteten Untersuchungszeitraums einen großen Einfluss auf die Qualität der Ergebnisse hat. Dies erscheint insofern intuitiv, als dass der Einfluss eines Ereignisses auf die Strompreisrenditen sowie deren Varianz mit der Zeit abnimmt. In der Praxis bedeutet dies, dass eine kurzfristige Preisänderung, wie sie beispielsweise beim Atomunfall in Fukushima auftrat (12-prozentiger Preissprung), zwar kurzfristig in der Zeitreihe erkennbar ist, aber langfristig in der normalen Schwankungsbreite untergeht und in der Modellierung ihren Informationsgehalt verliert (Bild 4). Für die Nutzung Ergebnisse im Überblick óó óó óó óó Garch-Modelle eignen sich für die Untersuchung des Preisverhaltens auf dem Energiemarkt. Ergebnisse der Saisonalitätsuntersuchung: 1.höchste Renditen und Volatilitäten an Montagen 2.höhere Rendite an Werktagen als an Wochenenden 3.negative Preise vor allem an Feiertagen und Sonntagen, stark positive an besonders heißen und kalten Tagen 4.Strompreise in den Monaten Mai, Juni und Dezember sind am volatilsten. isolierte Ereignisse lassen sich mit Garch-Modellen nur über kurze Zeiträume untersuchen Die Signifikanz der Ergebnisse nimmt mit zunehmendem Untersuchungszeitraum ab. des Garch-Modells sind daher eher kurze Untersuchungszeiträume zu empfehlen. Fazit Die mit der Garch-Verfahren gewonnen Informationen liefern wichtige Hinweise für die Beschaffung, den Handel und das Risikomanagement. Zyklisch auftretende Muster in der Preisentwicklung können vor allem im Handel und in der Beschaffung für Absicherungsstrategien genutzt werden und sollten zur Ergebnissicherung in die bestehenden Handelsroutinen aufgenommen werden. Wobei das Modell vor allem für den Day-ahead- und Intraday-Handel robuste Ergebnisse liefert. Darüber hinaus können die Ergebnisse durch das Risikomanagement zur Feststellung von Marktpreisrisiken genutzt werden. Für längerfristige Betrachtungen sind Handlungsempfehlungen auf Grundlage der Garch-Modellierung dagegen mit Vorsicht zu betrachten. Die Ergebnisse waren oft bedeutungslos und könnten auch von weiteren Faktoren beeinflusst sein. Abschließend lässt sich festhalten, dass sich das Garch-Modell für die Ermittlung allgemeiner saisonaler Effekte auf dem Energiemarkt bewährt hat. Es ermöglicht den Handelsabteilungen der Energieversorgungsunternehmen individuelle Analysen zur Aufdeckung wiederkehrender Renditeeffekte sowie zur Bestimmung des Risikos von Preisschwankungen. Des Weiteren eignet sich das Modell für kurze Beobachtungszeiträume zur Evaluierung der Wirkung spezifischer Ereignisse auf den Energiemarkt. Patrick Walther, Referent Kompetenzfeld Controlling, Finanzen & Risikomanagement, Energieforen Leipzig GmbH, Leipzig >>[email protected] >>www.energieforen.de 43079 9 | 2016 41
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