ISSN: 1863-4699 Branchenfokus Automotive Kompressionsdichtungen vom „Fließband“ Kleben 14 Wenn die Folie nicht haftet Im Fokus: Polymere Viel Potenzial 34 T R I A L O G D E R D I C H T U N G S - , K L E B E - U N D P O LY M E R T E C H N I K 40 3.2016 | € 8,50 34 | KLEBEN Wenn die Folie nicht haftet Atmosphärendruckplasma als Troubleshooter in der Touchfolien-Verklebung ELEKTRONIK/AUTOMOTIVE_MASCHINEN UND ANLAGEN – Die Bildung von Blasen in der Grenzschicht ist in der Folienverklebung ein bekanntes und gefürchtetes Phänomen: Bei einem süddeutschen Automobilzulieferer versagte im Klimatest plötzlich die bis dahin gut haftende Verklebung der Touchfolie mit dem neuen Polycarbonat-3D-Bedienfeld. Mit dem Einsatz von Atmosphärendruckplasma konnte der Hersteller die Serienproduktion sicherstellen. Dass sich auch eine vermutlich gute Klebverbindung unerwartet wieder lösen kann, zeigt sich manchmal erst dann, wenn ein Stresstest, wie z.B. eine Klimaprüfung, ansteht. Diese Erfahrung musste auch der zu Joyson Electronics gehörende deutsche Autozulieferer Preh in der Entwicklungsphase eines neuen Bediensystems für den Ford Lincoln MKZ machen. Das Center-Stack ist das Herzstück der Mittelkonsole und ein Funktionspackage auf engstem Raum »1. In der unteren Hälfte verfügt es über Slider mit kapazitiver Touch-Funktion zur Einstellung von Lautstärke und Gebläse sowie über berührungssensitive Flächen mit entsprechenden Icons für weitere Funktionen. Bei der im Spritzguss gefertigten Polycarbonat-Blende des Center-Stacks wird die bereits mit einem Klebefilm versehene PETTouchfolie mittels einer Laminiervorrichtung auf die Blendenrückseite geklebt »2. Auf der Folie befinden sich mehrere übereinander im Siebdruck aufgebrachte Schichten mit gedruckter Elektronik, die bereits alle spezifischen elektrischen Funktionen enthalten »3. Ihre Verklebung verlief zufriedenstellend bis es beim Klimatest zu einem unerwarteten Problem kam. Keine Haftung im Klimatest Haftungstests im Automobilbau erfolgen unter Extrembedingungen und ein Klimatest stellt an eine Folienverklebung höchste Ansprüche. In ihm wird das Langzeitverhalten des Produkts unter verschärften Umweltbedingungen simuliert. Dabei gilt es, Produktschwächen zu entdecken, die vor3.2016 her nicht erkennbar waren. Die Ford-Spezifikation verlangte, dass sich die Haftung der Klebverbindung in einer 100-h-Klimalagerung bei 85 °C und 85% Luftfeuchte beweisen musste. Doch als die Blende die Klimakammer verließ, hatten sich in der Grenzschicht zwischen Kunststoffträger und Folie große Blasen gebildet. Der Kontaktkleber des Klebefilms hatte sich an diesen Stellen gelöst. Eine solche Delamination würde zum Versagen der späteren Funktionen führen. Deshalb wurde zunächst nach alternativen Klebstoffen gesucht und es wurden die unterschiedlichsten getestet – vom einfachen Industrieklebstoff bis hin zu OCAs (Optical Clear Adhesives). Bei den einfachen Klebstoffen zeigten sich große Blasen, bei den Hightech-Klebstoffen waren die Blasen minimiert, aber das Problem blieb dasselbe – der Klebefilm löste sich. Ursachenforschung Nachdem klar war, dass eine Klebstoffänderung keine Lösung brachte, konzentrierte man sich sofort auf das zu verklebende Bauteil, die PC-Blende. Man vermutete als wahrscheinlichste Ursache der Blasenbildung eine Ausgasung von Additiven im Kunststoff aufgrund der hohen Erwärmung im Klimatest bzw. auch eine Diffusion der Luftfeuchtigkeit in die Grenzschicht. Auch Lufteinschlüsse durch nicht sichtbare Feinstäube waren nicht auszuschließen. Da das Material der Blende jedoch nicht geändert werden konnte, gab es nur eine Lösung: eine effektive Vorbehandlung der Kunststoffoberfläche. Zum Einsatz kam die von Plasmatreat entwickelte Openair-Plasma Technologie. Plasmabehandlung mit Dreifacheffekt Das Verfahren basiert auf der Entwicklung von Plasmadüsen. Für diese hochwirksame und umweltfreundliche Vorbehandlungsmethode werden lediglich Luft als Prozessgas und elektrische Energie benötigt. Mit Atmosphärendruckplasma arbeitet man – im Gegensatz zum Niederdruckplasma – nicht in einer Vakuumkammer, sondern unter ganz normalen Luftbedingungen. Der »1 Das Center-Stack des Ford Lincoln MKZ Mittelkonsole. Die unter Slidern verborgene Touchfolie wird zur blasenfreien Laminierung mit Atmosphärendruckplasma vorbehandelt (Bild: © Plasmatreat GmbH) trockene Vorbehandlungsprozess kann problemlos in neue oder bestehende Fertigungslinien „inline“ integriert oder auch extern eingesetzt werden. Dabei erledigt das Verfahren drei Arbeitsschritte in einem einzigen, sekundenschnellen Vorgang: Es sorgt für die Feinstreinigung der Kunststoffoberfläche, bewirkt deren elektrostatische Entladung und simultan ihre ortsselektive Aktivierung. Dieser Mehrfacheffekt übertrifft die Wirksamkeit herkömmlicher Vorbehandlungssysteme. Bei der Reinigung werden durch das hohe Energieniveau des Plasmas organische Stoffe an der Oberfläche des Materials gezielt in ihrer Struktur aufgebrochen und auch empfindliche Substrate werden von jeglichen Kontaminationen befreit, d.h. mikrofein gereinigt. Die hohe elektrostatische Entladungswirkung des freien Plasmastrahls bringt dem Anwender einen besonderen Nutzen: In der Luft befindliche Feinstaubpartikel werden von der Oberfläche nicht mehr angezogen. Dieser Effekt wird zusätzlich positiv durch die sehr hohe Ausströmungsgeschwindigkeit des Plasmas beeinflusst, wodurch auch lose anhaftende Partikel von der Oberfläche entfernt werden. Eine zusätzliche Vorbehandlung durch manuelles Wischen mit Alkohol, durch Bürsten oder Abwaschen entfällt beim Einsatz dieser Plasmatechnik. Unpolare Kunststoffe haben meist eine geringe Oberflächenenergie zwischen < 28 bis 40 mJ/m² – zu niedrig für eine vollflächige Benetzbarkeit mit flüssigem Klebstoff oder eine Lackierung. Die Oberflächenenergie dieser Kunststoffe muss durch eine Aktivierung zunächst erhöht werden, denn erst Werte ab etwa 42 mJ/m² erlauben erfahrungsgemäß gute Haftungsvoraussetzungen. Trifft das Plasma auf eine Kunststoffoberfläche, wie in diesem Fall die Polycarbonat-Blende, so werden dabei sauerstoff- und stickstoffhaltige Gruppierungen in die unpolare Polymermatrix eingebaut. Die Oberfläche wird somit modifiziert bzw. aktiviert und die Oberflächenenergie steigt deutlich an. Möglich wird diese Wirkung durch die im Plasma vorhandenen energiereichen Radikale, KLEBEN »2 Die Polycarbonat-Blende in der Laminiervorrichtung vor der Verklebung der Touchfolie (Bild: © Plasmatreat GmbH) »3 Auf der mit einem Klebefilm versehenen PET-Touchfolie befinden sich mehrere Schichten gedruckter Elektronik (Bild: © Plasmatreat GmbH) Ionen, Atome und Molekülfragmente, die ihre Energie an die Oberfläche des zu behandelnden Materials abgeben und dadurch chemische Reaktionen initiieren. Die entstandenen funktionellen Hydroxyl-, Carbonyl-, Carboxyl- und Ethergruppen (aber auch Sauerstoffverbindungen des Stickstoffs) gehen mit Klebstoffen und Lacken feste chemische Bindungen ein und tragen so zur Verbesserung der Haftung bei. unbehandelten Zustand auf über 50mJ/m², also auf mehr als das Doppelte, nach der Plasmabehandlung angestiegen. Ob dieser Wert jedoch ausreichte, um eine Blasenbildung und die Delamination der Folie zu verhindern, das musste sich erst noch zeigen. Die Spezifikationsversuche liefen gut und der Plasmaprozess erwies sich als prozesssicher und aufs Genaueste reproduzierbar. Doch noch musste der Klimatest den endgültigen Haftungsbeweis bringen. Fakten für Konstrukteure Als diesmal die PC-Blende nach mehr als vier Tagen Lagerung in Extremhitze und hoher Luftfeuchtigkeit der Klimakammer entnommen wurde, war keine Blase mehr erkennbar. Die Folienhaftung war zu 100% gegeben und damit hatte die Verklebung die hohen Anforderungen erfüllt. Ein zusätzlicher, sich anschließender FunktionsKlimatest des fertig bestückten CenterStacks verlief ebenso positiv. Zum einen hatte das Plasma eine mikrofein gereinigte Oberfläche sichergestellt. Zum andern aber, und das war der entscheidende Punkt, war die plasmaaktivierte Kunststoffoberfläche nun eine viel festere Verbindung mit dem Klebstoff eingegangen. Die Haftung von Folie und Blende war jetzt so stark, dass Ausgasungen aus dem Kunststoff oder Luftfeuchte aus der Folie nicht mehr die Kraft besaßen, bis in die Grenzschicht vorzudringen. Fakten für Qualitätsmanager Nachfolgende Prozesse wie das Beschichten, Verkleben oder Bedrucken können unmittelbar nach der Plasmabehandlung vorgenommen werden. Die Einwirkzeit des mit hoher Geschwindigkeit auf die Oberfläche auftreffenden Plasmas ist so kurz, dass weder thermische noch andere Beeinträchtigungen an den Bauteilen auftreten. Durch die Entwicklung spezieller und besonders schonend arbeitender Rotationsdüsen gelang es dem Hersteller zudem, die im Plasma vorhandene Spannung so abzuleiten, dass der Plasmastrahl praktisch potenzialfrei auf die Oberfläche strömt, so dass selbst empfindliche elektronische Bauteile behandelt werden können. Hundertprozentige Folienhaftung Schon die ersten Labortests verliefen positiv. Die Oberflächenenergie war von 25mJ/m² im • Mit einer atmosphärischen Plasma-Vorbehandlung von Kunststoffbauteilen lassen sich Verklebungsprobleme einfach lösen Fakten für Einkäufer • Kurze Prozesszeiten und einfache Integration in eine vollautomatische Fertigung machen die Atmosphärendruckplasma-Vorbehandlung interessant • Mit der Plasmavorbehandlung und der genauen Reproduzierbarkeit des Verfahrens konnte eine hohe Prozesssicherheit erreicht und damit die Spezifikationen des Autoherstellers erfüllt werden Weitere Informationen Plasmatreat GmbH 1 www.plasmatreat.de Preh GmbH 2 www.preh.de Autor: Inès A. Melamies, Journalistin, Facts4You Kontakt: Peter Langhof, Market- und Projektmanager 1, Martin Geis, Fertigungstechniker 2 Plasma im Workflow Das Openair-Plasma-System reiht sich nahtlos in die halbautomatische Fertigungslinie ein. Die im Halbkreis angeordneten Fertigungszellen werden manuell bestückt. Auf die im hauseigenen Spritzguss produzierte Polycarbonat-Blende werden zunächst im Heißstemmverfahren die Slider-Chromspangen fixiert. Bereits im nächsten Arbeitsschritt erfolgt die Vorbehandlung mit dem Atmosphärendruckplasma. Eine von einem Dreiachsroboter gesteuerte Rotationsdüse des Typs RD1004 verteilt das Plasma ortsselektiv, d.h. gezielt auf der Innenseite der Blende in genau dem Bereich, wo anschließend die Folienverklebung erfolgt. Der rotative Düsenstrahl erfasst jeden Winkel der 3D-Kontur. Nach 10 s ist die Kunststoffoberfläche porentief gereinigt und aktiviert. Etwa alle 2 min wird ein behandeltes Bauteil entnommen und ein neues eingelegt. Die Verklebung mit der Touchfolie erfolgt im unmittelbaren Anschluss an die Plasmabehandlung. Da diese eine hohe Anfangshaftung gewährleistet, kann die Presse schnell wieder geöffnet werden, was kurze Taktzeiten ermöglicht. Die Plasmaanlage ist platzsparend. Eine patentierte Rotationsdüse verteilt das Plasma auf der Innenseite der Blende gezielt in dem Bereich, wo anschließend die Folienverklebung erfolgt (Bild: © Plasmatreat GmbH) 3.2016 | 35
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