Dokument öffnen - Plasmatreat GmbH

ISSN: 1863-4699
Branchenfokus Automotive
Kompressionsdichtungen
vom „Fließband“
Kleben
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Wenn die Folie
nicht haftet
Im Fokus: Polymere
Viel Potenzial
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T R I A L O G D E R D I C H T U N G S - , K L E B E - U N D P O LY M E R T E C H N I K
40
3.2016 | € 8,50
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KLEBEN
Wenn die Folie nicht haftet
Atmosphärendruckplasma als
Troubleshooter in der Touchfolien-Verklebung
ELEKTRONIK/AUTOMOTIVE_MASCHINEN
UND ANLAGEN – Die Bildung von Blasen in
der Grenzschicht ist in der Folienverklebung ein bekanntes und gefürchtetes Phänomen: Bei einem süddeutschen Automobilzulieferer versagte im Klimatest plötzlich die bis dahin gut haftende Verklebung
der Touchfolie mit dem neuen Polycarbonat-3D-Bedienfeld. Mit dem Einsatz von
Atmosphärendruckplasma konnte der Hersteller die Serienproduktion sicherstellen.
Dass sich auch eine vermutlich gute Klebverbindung unerwartet wieder lösen kann,
zeigt sich manchmal erst dann, wenn ein
Stresstest, wie z.B. eine Klimaprüfung, ansteht. Diese Erfahrung musste auch der zu
Joyson Electronics gehörende deutsche Autozulieferer Preh in der Entwicklungsphase
eines neuen Bediensystems für den Ford
Lincoln MKZ machen. Das Center-Stack ist
das Herzstück der Mittelkonsole und ein
Funktionspackage auf engstem Raum »1.
In der unteren Hälfte verfügt es über Slider
mit kapazitiver Touch-Funktion zur Einstellung von Lautstärke und Gebläse sowie über
berührungssensitive Flächen mit entsprechenden Icons für weitere Funktionen.
Bei der im Spritzguss gefertigten Polycarbonat-Blende des Center-Stacks wird die bereits mit einem Klebefilm versehene PETTouchfolie mittels einer Laminiervorrichtung
auf die Blendenrückseite geklebt »2. Auf
der Folie befinden sich mehrere übereinander im Siebdruck aufgebrachte Schichten
mit gedruckter Elektronik, die bereits alle
spezifischen elektrischen Funktionen enthalten »3. Ihre Verklebung verlief zufriedenstellend bis es beim Klimatest zu einem
unerwarteten Problem kam.
Keine Haftung im Klimatest
Haftungstests im Automobilbau erfolgen
unter Extrembedingungen und ein Klimatest stellt an eine Folienverklebung höchste
Ansprüche. In ihm wird das Langzeitverhalten des Produkts unter verschärften Umweltbedingungen simuliert. Dabei gilt es,
Produktschwächen zu entdecken, die vor3.2016
her nicht erkennbar waren. Die Ford-Spezifikation verlangte, dass sich die Haftung der
Klebverbindung in einer 100-h-Klimalagerung bei 85 °C und 85% Luftfeuchte beweisen musste. Doch als die Blende die Klimakammer verließ, hatten sich in der Grenzschicht zwischen Kunststoffträger und Folie
große Blasen gebildet. Der Kontaktkleber
des Klebefilms hatte sich an diesen Stellen
gelöst. Eine solche Delamination würde zum
Versagen der späteren Funktionen führen.
Deshalb wurde zunächst nach alternativen
Klebstoffen gesucht und es wurden die unterschiedlichsten getestet – vom einfachen
Industrieklebstoff bis hin zu OCAs (Optical
Clear Adhesives). Bei den einfachen Klebstoffen zeigten sich große Blasen, bei den
Hightech-Klebstoffen waren die Blasen minimiert, aber das Problem blieb dasselbe –
der Klebefilm löste sich.
Ursachenforschung
Nachdem klar war, dass eine Klebstoffänderung keine Lösung brachte, konzentrierte
man sich sofort auf das zu verklebende
Bauteil, die PC-Blende. Man vermutete als
wahrscheinlichste Ursache der Blasenbildung
eine Ausgasung von Additiven im Kunststoff
aufgrund der hohen Erwärmung im Klimatest bzw. auch eine Diffusion der Luftfeuchtigkeit in die Grenzschicht. Auch Lufteinschlüsse durch nicht sichtbare Feinstäube
waren nicht auszuschließen. Da das Material
der Blende jedoch nicht geändert werden
konnte, gab es nur eine Lösung: eine effektive Vorbehandlung der Kunststoffoberfläche.
Zum Einsatz kam die von Plasmatreat entwickelte Openair-Plasma Technologie.
Plasmabehandlung mit Dreifacheffekt
Das Verfahren basiert auf der Entwicklung
von Plasmadüsen. Für diese hochwirksame
und umweltfreundliche Vorbehandlungsmethode werden lediglich Luft als Prozessgas und elektrische Energie benötigt. Mit
Atmosphärendruckplasma arbeitet man –
im Gegensatz zum Niederdruckplasma –
nicht in einer Vakuumkammer, sondern
unter ganz normalen Luftbedingungen. Der
»1 Das Center-Stack des
Ford Lincoln MKZ Mittelkonsole. Die unter Slidern verborgene Touchfolie wird zur
blasenfreien Laminierung
mit Atmosphärendruckplasma vorbehandelt
(Bild: © Plasmatreat GmbH)
trockene Vorbehandlungsprozess kann problemlos in neue oder bestehende Fertigungslinien „inline“ integriert oder auch extern
eingesetzt werden. Dabei erledigt das Verfahren drei Arbeitsschritte in einem einzigen, sekundenschnellen Vorgang: Es sorgt
für die Feinstreinigung der Kunststoffoberfläche, bewirkt deren elektrostatische Entladung und simultan ihre ortsselektive Aktivierung. Dieser Mehrfacheffekt übertrifft
die Wirksamkeit herkömmlicher Vorbehandlungssysteme.
Bei der Reinigung werden durch das hohe
Energieniveau des Plasmas organische Stoffe an der Oberfläche des Materials gezielt
in ihrer Struktur aufgebrochen und auch
empfindliche Substrate werden von jeglichen
Kontaminationen befreit, d.h. mikrofein gereinigt. Die hohe elektrostatische Entladungswirkung des freien Plasmastrahls bringt dem
Anwender einen besonderen Nutzen: In der
Luft befindliche Feinstaubpartikel werden
von der Oberfläche nicht mehr angezogen.
Dieser Effekt wird zusätzlich positiv durch
die sehr hohe Ausströmungsgeschwindigkeit des Plasmas beeinflusst, wodurch auch
lose anhaftende Partikel von der Oberfläche
entfernt werden. Eine zusätzliche Vorbehandlung durch manuelles Wischen mit Alkohol,
durch Bürsten oder Abwaschen entfällt beim
Einsatz dieser Plasmatechnik.
Unpolare Kunststoffe haben meist eine geringe Oberflächenenergie zwischen < 28 bis
40 mJ/m² – zu niedrig für eine vollflächige
Benetzbarkeit mit flüssigem Klebstoff oder
eine Lackierung. Die Oberflächenenergie
dieser Kunststoffe muss durch eine Aktivierung zunächst erhöht werden, denn erst
Werte ab etwa 42 mJ/m² erlauben erfahrungsgemäß gute Haftungsvoraussetzungen.
Trifft das Plasma auf eine Kunststoffoberfläche,
wie in diesem Fall die Polycarbonat-Blende,
so werden dabei sauerstoff- und stickstoffhaltige Gruppierungen in die unpolare Polymermatrix eingebaut. Die Oberfläche wird
somit modifiziert bzw. aktiviert und die
Oberflächenenergie steigt deutlich an. Möglich wird diese Wirkung durch die im Plasma vorhandenen energiereichen Radikale,
KLEBEN
»2 Die Polycarbonat-Blende in der Laminiervorrichtung vor der Verklebung der Touchfolie
(Bild: © Plasmatreat GmbH)
»3 Auf der mit einem Klebefilm versehenen
PET-Touchfolie befinden sich mehrere Schichten
gedruckter Elektronik (Bild: © Plasmatreat GmbH)
Ionen, Atome und Molekülfragmente, die
ihre Energie an die Oberfläche des zu behandelnden Materials abgeben und dadurch
chemische Reaktionen initiieren. Die entstandenen funktionellen Hydroxyl-, Carbonyl-,
Carboxyl- und Ethergruppen (aber auch
Sauerstoffverbindungen des Stickstoffs) gehen mit Klebstoffen und Lacken feste chemische Bindungen ein und tragen so zur
Verbesserung der Haftung bei.
unbehandelten Zustand auf über 50mJ/m²,
also auf mehr als das Doppelte, nach der
Plasmabehandlung angestiegen. Ob dieser
Wert jedoch ausreichte, um eine Blasenbildung und die Delamination der Folie zu
verhindern, das musste sich erst noch zeigen. Die Spezifikationsversuche liefen gut
und der Plasmaprozess erwies sich als prozesssicher und aufs Genaueste reproduzierbar. Doch noch musste der Klimatest
den endgültigen Haftungsbeweis bringen.
Fakten für Konstrukteure
Als diesmal die PC-Blende nach mehr als
vier Tagen Lagerung in Extremhitze und hoher Luftfeuchtigkeit der Klimakammer entnommen wurde, war keine Blase mehr erkennbar. Die Folienhaftung war zu 100%
gegeben und damit hatte die Verklebung
die hohen Anforderungen erfüllt. Ein zusätzlicher, sich anschließender FunktionsKlimatest des fertig bestückten CenterStacks verlief ebenso positiv. Zum einen
hatte das Plasma eine mikrofein gereinigte
Oberfläche sichergestellt. Zum andern aber,
und das war der entscheidende Punkt, war
die plasmaaktivierte Kunststoffoberfläche
nun eine viel festere Verbindung mit dem
Klebstoff eingegangen. Die Haftung von Folie und Blende war jetzt so stark, dass Ausgasungen aus dem Kunststoff oder Luftfeuchte aus der Folie nicht mehr die Kraft besaßen,
bis in die Grenzschicht vorzudringen.
Fakten für Qualitätsmanager
Nachfolgende Prozesse wie das Beschichten, Verkleben oder Bedrucken können unmittelbar nach der Plasmabehandlung vorgenommen werden. Die Einwirkzeit des mit
hoher Geschwindigkeit auf die Oberfläche
auftreffenden Plasmas ist so kurz, dass weder thermische noch andere Beeinträchtigungen an den Bauteilen auftreten. Durch
die Entwicklung spezieller und besonders
schonend arbeitender Rotationsdüsen gelang es dem Hersteller zudem, die im Plasma vorhandene Spannung so abzuleiten,
dass der Plasmastrahl praktisch potenzialfrei auf die Oberfläche strömt, so dass selbst
empfindliche elektronische Bauteile behandelt werden können.
Hundertprozentige Folienhaftung
Schon die ersten Labortests verliefen positiv.
Die Oberflächenenergie war von 25mJ/m² im
• Mit einer atmosphärischen Plasma-Vorbehandlung von Kunststoffbauteilen lassen
sich Verklebungsprobleme einfach lösen
Fakten für Einkäufer
• Kurze Prozesszeiten und einfache
Integration in eine vollautomatische
Fertigung machen die Atmosphärendruckplasma-Vorbehandlung interessant
• Mit der Plasmavorbehandlung und der
genauen Reproduzierbarkeit des Verfahrens konnte eine hohe Prozesssicherheit erreicht und damit die Spezifikationen des Autoherstellers erfüllt werden
Weitere Informationen
Plasmatreat GmbH 1
www.plasmatreat.de
Preh GmbH 2
www.preh.de
Autor: Inès A. Melamies, Journalistin,
Facts4You
Kontakt: Peter Langhof, Market- und
Projektmanager 1,
Martin Geis, Fertigungstechniker 2
Plasma im Workflow
Das Openair-Plasma-System reiht sich nahtlos in die halbautomatische Fertigungslinie
ein. Die im Halbkreis angeordneten Fertigungszellen werden manuell bestückt. Auf die
im hauseigenen Spritzguss produzierte Polycarbonat-Blende werden zunächst im Heißstemmverfahren die Slider-Chromspangen fixiert. Bereits im nächsten Arbeitsschritt erfolgt die Vorbehandlung mit dem Atmosphärendruckplasma. Eine von einem Dreiachsroboter gesteuerte Rotationsdüse des Typs RD1004 verteilt das Plasma ortsselektiv,
d.h. gezielt auf der Innenseite der Blende in genau dem Bereich, wo anschließend die
Folienverklebung erfolgt. Der rotative Düsenstrahl erfasst jeden Winkel der 3D-Kontur.
Nach 10 s ist die Kunststoffoberfläche porentief gereinigt und aktiviert. Etwa alle 2 min
wird ein behandeltes Bauteil entnommen und ein neues eingelegt. Die Verklebung mit
der Touchfolie erfolgt im unmittelbaren Anschluss an die Plasmabehandlung. Da diese
eine hohe Anfangshaftung gewährleistet, kann die Presse schnell wieder geöffnet werden,
was kurze Taktzeiten ermöglicht.
Die Plasmaanlage ist platzsparend. Eine patentierte Rotationsdüse verteilt das Plasma auf der
Innenseite der Blende gezielt in dem Bereich,
wo anschließend die Folienverklebung erfolgt
(Bild: © Plasmatreat GmbH)
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