de r NK T, PU SS FU ÜB ER DE M CH SI LE S AL ER H EB T R 1 NA DI Auftakt Aus der Lust, gemeinsam zu publizieren, bildete sich der Plan zu einem Periodikum, gerichtet an Freunde und Menschen, die unsere Freunde sein könnten. Denn Bücher sind, wie Jean Paul schrieb, dickere Briefe. Sie sind Gesten der Freundschaft, die in die Fremde gehen, als Ruf an oft unbekannte Empfänger, verbunden mit der Einladung, auf den Ruf zu antworten. Die Herausgeber sind Metallbildhauer und in der Sache parteiisch. Darum ist NADIR keine Publikation, die sich wechselnden Avantgarden, beliebigen Experimenten oder instrumentalisierenden Ansprüchen von Politik und Kulturindustrie verpflichtet sieht. Die Themen, zu denen vorgetragen wird, sind nicht willkürlich ausgedacht. Sie wurden aus unterschiedlichen Anlässen, von „außen“ an die Autoren herangetragen. In der Absicht, den Dialog mit den Lesern an2 zuregen zuregen, wird bewußt der Charakter des Fragmentarischen von uns angestrebt. Wie es scheint, hat die Skulptur keine feste Bestimmung, keinen gesellschaftlichen Ort mehr. Sie ist, wie Günther Anders schrieb, obdachlos geworden. Von ihrem Begriff, ihrem Wert, ihrem Ursprung abgelöst, wurde sie das Opfer endloser, inhaltsleerer Selbstreproduktion. Dabei ist das Wesen der Skulptur aus dem Blick geraten und damit auch der Reichtum an Wissen, das einst ihrem Entstehen zugrunde lag. Doch die Produktion der Bastarderzeugnisse, die an die Stelle der Skulptur traten, wuchert in alle Richtungen, ohne daß es zu deren Entstehen eines Gedankens oder auch nur eines Blickes bedürfte. Die großen Themen der Skulptur sind verdrängt. Wer an sie erinnert, Gestalt und schöpferische Verwandlung des Materials fordert, macht sich verdächtig. Die Feinde der Skulptur geben in der Öffentlichkeit den Ton an. Es ist Zeit, im Namen der Skulptur das Wort zu ergreifen. Nicht daß wir meinten, die Skulptur müsse verteidigt werden. Was nicht aus sich selbst zu bestehen vermag, kann nicht bewahrt werden. Darin stimmen wir mit Baudrillard überein. Doch kämpfen müssen wir: gegen den Nihilismus, gegen die Beliebigkeit, gegen die Dummheit, gegen den Verrat. In diesem Kampf sind wir, denen vor allem die Praxis wesentlich ist, streitende Partei und werden in diesem Streit keine Rücksicht nehmen auf das, was der Zeitgeist angeblich von uns fordert. Mit der gewählten Form folgen wir dem Vorbild Pascals und dessen angeblich an einen Freund gerichteten Briefen. Wie für Pascal sind auch unsere Interventionen Ergänzungen der mündlichen Ansprache, die andere Hälfte des Dialogs, wie Aristoteles sagte. Unsere Interventionen sind aber zugleich auch ein Angriff auf die Tendenzen jener Kulturagenten, die sich darin gefallen, die Skulptur öffentlich zu diskreditieren. Obwohl diese Agenten uns weder neue Erkenntnisse eröffnen, noch überkommene Einsichten bestätigen, und obwohl sie keine konkreten Veränderungen bewirken, müssen wir doch erkennen, daß sie trotz der Inkongruenz, die zwischen ihren Worten und den Gegenständen, auf die sie sich berufen besteht, eine immense Wirkung erzielen und dafür verantwortlich sind, daß immer mehr Menschen die Beliebigkeit sich gegenseitig überbietender Effekte bewundern und verehren. So wird das Bestreben der Skulptur, ein Werk zu sein, herabgesetzt, verdorben und verlottert. Sie wird dadurch zum ahistorischen Konsumgegenstand für Anspruchslose. Wir sprechen in NADIR nicht als über der Sache stehende Richter, die das Für und Wider im Namen von Wahrheit und Gerechtigkeit zu erwägen suchen. Wir sprechen auch nicht als Intellektuelle, bemüht, zwischen den sie bedrängenden Dingen sich selbst ideologisch in Balance zu halten. Wir sprechen über das allen Bildhauern Gemeinsame: die Leidenschaft für das Handwerk, die Bewunderung für das authentische Werk jenes 3 Spiels, das uns befähigt, stets von können, eine wissenschaftliche TuNeuem das Wunderbare im Einfa- gend machen zu dürfen. chen zu entdecken. Mit NADIR hoffen wir, die Dinge vom Wir betrachten es als unzulässig, Kopf wieder auf die Füße stellen zu die Skulpturen aus Metall mit de- können. nen aus Stein, Holz oder Keramik zu vergleichen. Denn die Skulpturen aus Metall beschränken sich nicht darauf, vorgegebene Motive nachzubilden, um im Anthropomorphen das Göttliche zu beschwören. Die Autarkie der Skulptur aus Metall entstammt dem Gestaltwillen des Materials und der diesem Willen angemessenen handwerklichen Produktionsbedingungen. Tatsächlich repräsentieren die Skulpturen aus Metall noch immer eine junge und neue Form der Kunst, so daß wir mit Recht sagen können, daß wir sie noch in statu nascendi erleben. Nichts davon erfahren wir in den veröffentlichten Kommentaren zur Skulptur aus Metall. Meist beschränken sich die Kommentatoren auf Auskünfte, als unterschieden sich Skulpturen nicht von irgendwelchen massenhaft gefertigten Konsumgütern. Nicht umsonst rühmen sich die Agenten der Kulturindustrie selbst gern der Wertfreiheit ihrer Gedanken und meinen so, aus ihrer Unfähigkeit, differenzieren zu Eberhard Fiebig Angelika Summa 4 OMNIA IN UNO DIE BERGE, DIE WOLKEN, DAS WASSER, DAS GEHIRN, DIE HAUT, DIE VEGETATION, ALLES IST VON DER FALTE GEPRÄGT. ALLES UNTER EINEM HIMMEL Falten heißt, einen einfachen Akt zu vollziehen. Heißt, ein undifferenziertes Material zu differenzieren, zu prägen, zu transformieren. Dabei vollzieht sich, einer Epigenese vergleichbar, die Entwicklung einer Gestalt. In der Aufeinanderfolge von Faltvorgängen verwandelt sich das Material vom Allgemeinen zum Besonderen. Von der blockhaften Skulptur wird gesagt, daß die Masse jene Gestalt, die der Bildhauer, einer Geburt vergleichbar, aus dem Material herauslöst, vorgeprägt in sich verborgen hält. Demgegenüber ließe sich vom nicht blockhaften, zur Faltung fähigen Material sagen, daß es die Fähigkeit, sich zu falten als Fähigkeit zum Akt, als einheitliche Kraft in sich trägt. Einheitlich, weil trotz der Ähnlichkeit aller Falten diesen eine unbegrenzte Vielfalt differenzierender Schattierungen innewohnt. Weshalb sich, bei aller Ähnlichkeit, die Falten dennoch in unterschiedlichen Abstufungen entfalten lassen, was eine unüberschaubare Reihe von Skulpturen verschiedenster Klassifikation zur Folge hat. Die Gestalt der Skulptur, die aus der Falte entsteht, tritt nicht als Erscheinung eines vorgeprägten Ganzen aus dem Material hervor. Sie entwickelt sich phasenweise, als Folge definierter Akte, die das Material schrittweise, klar, deutlich und sichtbar verwandeln. Dieser Verwandlung des Materials zur Gestalt liegt keine vordefinierte Gestaltvorstellung zugrunde. Die sich in Schritten entwickelnde Gestalt ist immer das Ergebnis von Faltakten, die aufeinander einwirken und zwischen dem Ganzen und seinen Teilen fortschreitend neue Beziehungen herstellen. Indem wir diesen Prozeß betreiben und beobachten, verändert und erweitert sich unsere Vorstellung, die wir vom Körper haben. Diesem Körper, der für uns bisher nur definiert war durch die Signifikanz seiner Masse, ummantelt von einer geschlossenen Oberfläche, in der sich auch die Wesenhaftigkeit jener Skulpturen bewahrt. Das Falten entstammt als Verfahren der Geometrie und ist ein präzises, vergnügliches Spiel. Prädestiniert, etwas darzustellen, nicht etwas zu erläutern. Darum sind alle meine Skulpturen immer operatorischer und nicht erklärender Art. Jeder von uns weiß, was es heißt, Papier oder ein Taschentuch zu falten. Aber niemand vor mir hat das Falten als Prozeß übergreifender Harmonie, als Konzept für eine unmittelbare, einzigartige und vollkommen individuelle Skulptur 5 Mutter Gottes des Michael Erhart 6 formuliert. In der Beschreibung meiner Methode und den Phasen ihrer stufenweisen Entwicklung spreche ich von Transformation. Damit meine ich nicht nur die Transformationen des sich faltenden Materials, sondern auch die Umwandlung meines Leibs in einen Zustand neuer Einsicht und Erkenntnis. In diesen Zusammenhang gehören die Beziehungen und Ähnlichkeiten, die sich aufdecken lassen zwischen meinen Skulpturen, die als Faltungen unmittelbar zu erkennen sind und meinen Skulpturen, denen als Material der Peiner zugrunde liegt. Beide Skulpturengruppen sind ihrer Erscheinung nach so verschieden, daß es unwahrscheinlich scheint, daß beide aus der Falte hervorgehen. Aber auch den Skulpturen aus Peinern liegt das topologische Modell der Faltung zugrunde. Auch sie sind, wie sich mit Hilfe einer 3D-orientierten CAD-Konstruktion demonstrieren läßt, entlang einer Leitkurve gefaltet. Diese einfache Tatsache ist es, die mich zu der Annahme verleitet, in meinen Skulpturen eine gemeinsame Ursache, einen morphologischen Zusammenhang zu vermuten. Im Französischen heißt Falte „le pli“, wodurch die Vorgänge „Falten“ und „Entfalten“ ausdrücklich als Form des Explizierens hervorgehoben sind. Es handelt sich in meinen Skulpturen also nicht nur um eine begreifbare Gliederung, durch die sie in einen ästhetisch funktionalen Zusammenhang gefaßt werden können, sondern um einen energetischen Aspekt, in dem die Falte sich dem Material, das sie in ihrer Lust, das Material zur Skulptur zu transformieren, als einheitliche, schöpferische Kraft übergreifender Harmonie eingräbt. Während die Kraft, die aus dem massigen Block die Gestalt als Einheit „entbindet“, in dem sie den Block gewaltsam zerschlägt, prägt die Kraft, die das Material mannigfaltig verwandelnd faltet und aktualisiert, ohne es zu zerstören. Tatsächlich unterliegt das Material in diesen Akten des Faltens und Entfaltens auch der Veränderung, nicht aber seiner Zerstörung oder Vernichtung. Die Falte, die das Material teilt und zwischen innen und außen scharf unterscheidet, Sattel und Mulde bildet, ist selbst keine Trennung. Denn die Falte bezeichnet nur einen Unterschied, der zugleich eine Verbindung beschreibt, die sich im weiteren Falten entfaltet. Indem ich falte, entfalte ich im Akt wirklichen Hervorbringens eine Gestalt, in der nichts reproduziert wird, als der Akt des Faltens, in dem nichts als wahr vorgetäuscht, sondern nur die Fähigkeit zu entfalten demonstriert wird. Nichts ist hier ausgeborgt bei der beobachteten Wirklichkeit. Die oberflächlichen, naturorientierten Bezüge, die konventionellen Figurationen, sind in diesen Skulpturen aufgehoben. Es kann darum auch nicht mehr gefragt werden, welchem gegebenen oder vorgefaßten Gegenstand diese Skulpturen entsprechen könnten. Gefragt werden kann nur, welch verborgenem Prinzip sie entstammen. Die Skulpturen, die aus der Faltung hervorgehen, sind von anderen Merkmalen geprägt und von anderer Intensität als jene, die dem Block entstammen, oder das Ergebnis nachträglich zusammengefaßter Volumina sind. Ich nenne diese andere Intensität die Struktur oder die Textur des Körpers und meine damit eine Intensität, dem Charakter, der Höhe, der Dauer oder der Farbe eines akustischen Klangs vergleichbar. Das Falten erzeugt in mir eine Lust, die sich aus körperlicher Resonanz ergibt. Ähnlich jener Resonanz, die ich beim Rauschen des Meeres oder beim Rascheln des Laubs empfinde. Diese Resonanz zu empfinden, bedeutet für mich, im eigenen Leib einen Zusammenklang anzuschlagen. Auf ihrer höchsten Stufe bringt die Kunst derartige Resonanzen hervor. Haute Sculpture, Angelika Summa 7 Der größte Teil der Kunsttheorie besteht heute nur noch aus Behauptungen oder spektakulären Verlautbarungen, deren oft im Modeton der Epoche als politische Aussage postulierten Inhalte nicht mehr sind, als Maskeraden. Es ist darum ein besonderes Wagnis, als Zeuge in eigener Sache zu sprechen. Immer muß auch dieser Zeuge sich nachvollziehbar ausweisen und erkennbar machen, aus welcher Sicht, welcher Praxis und welchem Antrieb heraus er spricht. Darum ist die Frage berechtigt: Was ist die produktive Leistung der Autoren, und woran kann der Leser sie erkennen? Die Herausgeber halten es daher für notwendig, nicht nur ihre Gedanken offenzulegen, sondern auch anhand von Bildern zu zeigen, worauf ihr Werk in Praxis gründet, woran sie gegenwärtig arbeiten und in welchen Schritten sich ihr Werk entwickelte. 8 AUF DRAHT SEIN Eisenmangel war nie mein Problem Affinität zu Metall besitze ich, sagt man aber eher muskelbepackten Männern nach, die nach landläufiger Meinung eher die richtigen körperlichen Voraussetzungen für den Umgang mit dem als hart und kalt bezeichneten Material haben. Bei jungen und auch nicht mehr ganz so taufrischen Mädchen gilt Metallverarbeitung eher als artfremd, weshalb Erklärungsversuche verlangt werden, die inzwischen zu meinem beruflichen Pflichtprogramm gehören. Und man – nein, frau - gerät dabei fast ständig in Rechtfertigungsnöte: Die Bearbeitung von Metall gehört in den Bereich der Technik; Technik ist männlich besetzt. Schlecht für eine Frau. Erleichterung macht sich breit, wenn ich darauf beharre, daß ich eine besondere Vorliebe für traditionelle (weibliche) Handarbeitstechniken hege: Draht kann man wickeln, stricken, häkeln, verknoten, knüpfen, spinnen usw. Und erst dann, wenn es gar nicht anders geht, weil auch eine bestimmte Dimension in Größe und Material bewältigt werden soll, auf industrielle Verfahrensweisen wie Schweißen, Löten, Nieten usw. zurückgreife. „Rotation“ Baustahl Angelika Summa 10 AHA Draht ist formbar und relativ beständig. Draht taugt dazu, verschiedene Teile miteinander zu verbinden, eignet sich als Leitung ebenso wie als Zaun. Die Vielseitigkeit der Verwendung verleiht ihm gar metaphorische Kraft. Dass jemand „auf Draht“ ist, meint, er ist geschickt, klug im Bewältigen außergewöhnlicher Lebenssituationen. Aber auch das Moment des Improvisierens schwingt in solcher Zuschreibung immer mit. Draht ist ein sehr ambivalentes Multitalent, ohne das unsere Industriegesellschaft nicht denkbar wäre. Wir sind rund um den Erdball vernetzt. Auch wenn unsere Kommunikationstechnik heute auf Digitalelektronik basiert, Drahtverbindungen sind immer noch die unverzichtbare Basis dieser Vernetzung und unseres technischen Alltags. In der Kunst ist die Verwendung von Draht seit Picassos Drahtkonstruktionen (ab ca. 1928) präsent. Er studierte die Bündelung und Überschneidung von Strichen und deren Entsprechung in der Skulptur. Mein persönliches Aha-Erlebnis mit Draht hatte ich 1990 in meiner Werkstatt, als ich die Idee hatte, dieses störende Stück HasendrahtZaun verschwinden zu lassen, indem ich die verzwirbelten Drähte aufdröselte. Die abgrenzende Ordnung der Sechseckstrukturen verwandelte sich in frei schwebende Tentakel, die vibrierten und Kontakt suchen. „Wildwuchs“ Draht Angelika Summa 11 Von da an faszinierte mich die Wandlungsfähigkeit dieses störrischen Materials; es entstanden und es entstehen auch heute noch die aus verschiedenartigen Drähten gewickelten und weiterbearbeiteten Knäuel: mal aufgezwickt, mal ausgehöhlt, in Form gedrückt, gebohrt, mit der Flex geköpft... Hand-Arbeiten eben. Knäuel, Angelika Summa 12 Sinnkugel Nr. 1 Angelika Summa Diese spontane Arbeitsweise habe ich seitdem beibehalten. Auf durchdachte Pläne und Modelle für meine Drahtwerke verzichte ich, selbst dort, wo sie Dimensionen erreichen, die meine körperliche Kraft weit überfordern. Meine Figuren orientieren sich in der Regel an geometrischen Grundformen und basieren auf einer im Kopf gespeicherten Idee. Sie wachsen prozeßhaft aus der Hand und entwickeln sich organisch. Während des Arbeitsprozesses ist mir Distanz zu meiner Arbeit nicht möglich, ich bin mit Haut und Haaren darin verwickelt. Die Geometrie – Kugeln, Quader, Würfel – wird benötigt, um Ordnung im Chaos zu schaffen. Es geht mir nicht darum, eine neue, originelle Gestalt zu erfinden. Sondern um die Gestaltung von Vorhandenem zu etwas Allgemeingültigem, das zeitlose Gültigkeit beansprucht. Das Besondere daran ist die Umdeutung der Widerspenstigkeit des Materials unter Ausnützung seiner spezifischen Eigenschaft, nämlich Teile miteinander zu verbinden. Es ergeben sich oftmals unendliche Möglichkeiten; für eine muß man sich entscheiden. Am gelungensten ist die Verbindung in einem geschlossenen System, Angelika Summa wenn sich Anfang und Ende nicht mehr ausmachen lassen. 13 ICH BIN AUTOD Nach einem wechselvollen Leben als Bauer, Holzfäller, Händler von Haus zu Haus und Chemielaborant beschloß ich 1960, im Alter von 30 Jahren Bildhauer zu werden. Die prekäre finanzielle Lage zwang mich aber, nebenbei als Drucker, Fotograf, und Journalist tätig zu sein. Aus Passion, nicht eines akademischen Titels wegen, studierte ich Philosophie bei Adorno, Horkheimer, Liebrucks und Haag. 1974 wurde ich als Hochschullehrer für das Fach Stahlskulptur an die Universität Kassel berufen. Mein Werk geht hervor aus handwerklicher Praxis. Nicht aus bildungsbürgerlicher, akademischer Spekulation. Kunstwerke werden nicht gefunden. Kunstwerke werden geschaffen. Auf der Grundlage unterschiedlicher Bedingungen. Bedingungen, die der „Künstler“, den Zielen seines poietischen Handelns gemäß, modifiziert. Das Denken allein bewegt nichts. Um ein Werk in seiner Vielfalt verstehen zu können, ist es notwendig zu wissen, aus welcher Lebenspraxis es hervorging. Immer überschatten sich gegenseitig Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Nur in diesem Zusammenhang läßt sich die historische Dimension begreifen, innerhalb der jedes Werk den ihm gebührenden Platz einnimmt. 14 Wie jeder Junge meiner Generation, besaß auch ich ein Taschenmesser mit großer Klinge. Mein Großvater mütterlicherseits schenkte es mir, im rituellen Tausch, zu meinem 8. Geburtstag. Ritueller Tausch heißt: Ich gab meinem Großvater im Gegenzug für das Messer einen Pfennig. Messer, Scheren, Sägen dürfen nicht verschenkt werden, sie zerschneiden sonst die Freundschaft. Der rituelle Tausch durchbricht diesen Fluch. DIDAKT Das Taschenmesser war für uns Jungen das Werkzeug aller Werkzeuge. Mit ihm schnitzten wir Borkenschiffe, Pfeifen und Flöten aus Weidenholz, Bogen, Pfeile und Angelruten. Schnitten unsere Namen in Parkbänke und bohrten Löcher in die Bauzäune. Nahezu alles, was wir brauchten, stellten wir uns mit Hilfe unserer Messer selbst her. Wir lernten, mit dem, was uns zu Händen war, auszukommen. Den einfachen Materialien entsprach die begrenzte Zahl der Werkzeuge, die oft nicht einmal in direktem Bezug zur augenblicklichen Aufgabe standen. Oft genug hatten wir den Schreinern, Schuhmachern, Spenglern, Schmieden, Stellmachern, Schneidern, Polsterern, Glasern, Drechslern, Malern, Stukkateuren zugeschaut und gelegentlich helfend zugegriffen, um eingeübt zu sein in die handwerkliche Praxis der Gewerke, die auf den Hinterhöfen der Mietskasernen so ziemlich alles, was unsere Eltern an Dingen brauchten, herstellten oder reparierten. Außerdem würde sich jeder von uns, so dachten wir, später einmal für einen dieser Berufe als Lebensgrundlage entscheiden müssen. Es lag darum für uns auf der Hand, uns möglichst früh mit dem vertraut zu machen, was die Gesellschaft uns als Lebensformen anbot. Es sind diese, auf den Berliner Hinterhöfen gesammelten Erfahrungen, die mich später befähigten, mit einfachen Werkzeugen meine ersten Skulpturen aus Holz, Stein, Gips, Ton, und Messingschrott zu fertigen. Ich folgte wechselnden Vorbildern, um im Vergleich mit diesen, mein eigenes Können herauszufordern und zu prüfen. Es war die Phase der vorbereitenden, prägenden Praxis, in der sich im einzelnen Stück noch nicht die Gesetzlichkeit eines Werks entfaltete. 15 Einen als Datum benennbaren Anfang gibt es nicht. Soweit ich zurückdenken kann, hat es mich gedrängt zu kritzeln und zu kneten, hat mich fasziniert zu erleben, wie unter meinen Händen etwas eigener Prägung entstand. Erst in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ich arbeitete bei den Chemischen Werken Albert als Chemielaborant, nimmt dieses kindliche Spiel erkennbare Konturen an. Der Existentialismus beherrscht das Denken. „Die Kultur ist wieder auf dem Vormarsch“, schreibt Gottfried Benn. Meinen Skulpturen dieser Jahre liegt noch die menschliche Gestalt als Leitmotiv zugrunde. Es entstehen Figuren aus Holz, Gips, Beton, Pappmaché. „Vegetative Madonna“, Pappmaché, farbig lackiert, 1957,Höhe 2,4 Meter 16 „Flötenspieler“, Drahtgewebe und Zinn, 1954 Ohne Titel, Gips, 1959 Ich lerne zu löten, hartlöten, autogen- und elektroschweißen. Zinn, das Metall, das mit den einfachsten Werkzeugen, mit geringstem Aufwand zu bearbeiten ist, Kupfer, Messingblech, Messingschrott und Stahlblech treten an die Stelle von Gips und Holz. Es entstehen die ersten Skulpturen, denen nicht mehr die menschliche Gestalt als Motiv zugrunde liegt. Die Metalle werden das Material meiner Wahl. 1958, zu meiner ersten Einzelausstellung, in der Galerie Renate Boukes, schrieb Dr. Clemens Weiler, Direktor des Hessischen Landesmuseums Wiesbaden: „Sie verstehen, mit den technischen Mitteln umzugehen, diese jungen Leute. Sie schlagen der Perfektion ein Schnippchen. Sie hantieren und probieren wie die Alchimisten. Sie binden und lösen Substanzen, bis neue Gestalten entstehen, aus Licht und Dreck. Kinder können so etwas sehen. Danke, Eberhard Fiebig, Sie helfen uns, die Türen aufzustoßen. Wir wollen sehen, was noch kommt.“ „Centaur, Zinn, 1958 „Harkentier“, Kupferblech, Messingschrott, Stahl, 1959l 17 In den folgenden Jahren entstehen auf der Basis unterschiedlicher Ordnungen und Verfahren neue Gruppen von Skulpturen. Teils nach vegetabilen Vorbildern, teils als Kombinationen von Glas und Metall, mit dem Ziel, dem Standproblem von Skulpturen einen neuen Modus zu stiften. Ohne Titel, Kupfer und Glas, 1958 18 Lamellenskulptur, Kupfer, 1962 ENTDECKUNG eines gestalterischen Modus EIN GLÜCKLICHER FUND Die ersten Skulpturen, die ich später Faltungen nennen werde, habe ich 1962 gefertigt. Ursprünglich gedacht als Postamente für Skulpturen unterschiedlicher Prägung, habe ich mit diesen Konstruktionen, ohne es zu ahnen, ein Verfahren entwickelt, das zur Grundlage neuer, eigenständiger, bisher nicht bekannter Skulpturen werden sollte. Die erste Ausstellung dieser Skulpturen, die ich auch Transformationen ebener Figuren nenne, fand 1966 im Kurpark von Salzuflen statt. Peter Riese hatte diese Ausstellung, so wie die anschließenden in Bratislava und im Hessischen Rundfunk, angeregt und organisiert. Die Skulpturen dieser Entwicklungsphase waren ausnahmslos aus Stahl gefertigt, verschweißt und farbig lackiert. Sie verkörpern die erste Phase der systematischen Entwicklung meiner Faltungen und folgen den Regeln, die ich 1966 in der ersten Fassung der Methode beschrieben habe. Durch die sich in der Praxis ergebende Weiterentwicklung der Methode wurde es notwendig, die erste Fassung zu ergänzen. Inzwischen liegt die vierte Beschreibung der Methode vor. Heute neige ich nicht mehr dazu, von Methoden zu sprechen, sondern ziehe das Wort Verfahren vor. Erste säulenartige Faltung aus Stahlblech, gedacht als Postament für den „Helm“ der „HOMMAGE À SCHLÜTER“ 1962, 19 BRIEFE AUS DER PROVINZ WARUM ES FALSCH IST ZU SAGEN, DIE MALEREI SEI ZWEI-, DIE SKULPTUR SEI DREIDIMENSIONAL. Verehrter Freund. Sie haben also tatsächlich darauf gehofft, eine zufriedenstellende Antwort zu bekommen auf Ihre einfache Frage: „Worin besteht der Unterschied zwischen dem Bild und der Skulptur?“ Nun sind Sie mit Recht erschüttert über die Dürftigkeit der Antworten, die Sie erhielten von den praktizierenden Kunsthistorikern und Kunstkritikern. Sie hatten auf erkenntnisreiche, differenzierende Beschreibungen gehofft, große, die Phantasie anregende Sprachbilder erwartet, die der Tatsache Rechnung tragen, daß die älteste Skulptur, die wir kennen, ein ca. 4 cm großes Mammut ist, aus Elfenbein, 35000 Jahre alt, und daß seitdem, in allen Kulturen, Skulpturen höchster Vollendung hervorgebracht wurden, die in ihrer Gültigkeit die Epochen überdauerten. Vergessen wir nicht, daß es Kulturen gab, von denen wir nur wissen, weil sie uns Skulpturen höchster Prägung hinterließen. Aber es genügte schon, wenn wir uns in Erinnerung riefen, wie ausdrucksstark und vielfältig sich die Bildhauerkunst des vergangenen 20. Jahrhunderts präsentierte, um zu erkennen, wie dürftig es ist, auf die Frage, worin denn der Unterschied besteht zwischen der Skulptur und dem Bild, zu antworten: „Das Bild ist zwei-, die Skulptur ist dreidimensional“. Gegen den denkbaren Einwand, die Beantwortung Ihrer Frage erübrige sich, weil doch jeder aufgrund seiner Alltagserfahrung wisse, worin der Unterschied besteht und Ihre 20 1 Frage nur als Provokation zu werten sei, läßt sich grundsätzlich sagen, daß Ihre Frage auf eine gesicherte Herkunft verweisen kann. Sie wurde nicht von Ihnen erträumt. Sie ist die legitime Reaktion auf jene „wissenschaftlichen“ Interpretationen der Kunsthistoriker selbst, durch die wir mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß die Skulpturen einer anderen Welt angehören, als die Bilder. Womit offenbar gesagt sein soll, daß die Bildhauer und die Maler ähnliche Sachverhalte unterschiedlich behandeln. Worin diese Unterschiede konkret bestehen, wird nicht gesagt. Daß Sie um eine präzise Antwort baten, ist verständlich. Ich will nicht ausschließen, daß ich unseren Kunsthistorikern vielleicht Unrecht tue, wenn ich andeute, daß sie kein „Herz“ hätten für die Skulptur und dabei übersehe, daß sie vielleicht nur strikt Hölderlins gutem Rat folgen: „Hast du Verstand und ein Herz, so zeige nur eines von beiden! Beides verdammen sie dir, zeigest du beides zugleich.“ Also will ich zugunsten unserer Kunsthistoriker annehmen, daß sie mit ihrer Antwort: „Die Skulptur ist drei-, das Bild ist zwei dimensional“ sich gegen das Begehren des Herzens entschieden haben, wenn sie sich, mit geradezu wagemutiger Radikalität, nicht auf das stützen, was ihnen die eigene Anschauung an Erkenntnis stiftet, sondern sich auf die unerschütterlichen Gesetze der euklidischen Geometrie berufen. Das Wort „Dimension“ ist ein terminus technicus der Mathematik und tritt dort in unterschiedlichen Zusammenhängen auf. Es ist aber auch ein Synonym für das umgangssprachliche Wort „Abmessung“. Vertraut wurde uns das Wort durch die in der Schule praktizierte oberflächliche Einführung in die Regeln der euklidischen Geometrie. Hier wurde uns eingebläut, daß Punkte nulldimensional, Linien eindimensional, Flächen zwei- und Körper dreidimensional 21 seien. Jeder Kunsthistoriker kann also damit rechnen, daß es keiner weiteren Erklärung bedarf, wenn er auf Euklid als seinen Kronzeugen verweist. Doch ich werde den Verdacht nicht los, daß die meisten Kunsthistoriker, wenn sie auf Mathematik sich berufen, übersehen, daß die Mathematik keine Erfahrungswissenschaft ist, sondern ein Produkt unserer Verstandestätigkeit. Mathematiker studieren nicht Objekte, sondern Beziehungen zwischen Objekten, auf der Grundlage selbst erzeugter Symbole und Formeln, die keinen Anspruch erheben, die Alltagswirklichkeit zu beschreiben oder abzubilden. Auch wenn die Aussagen der Mathematik auf alle ausreichend formalisierbaren Wissenschaften anwendbar sind, bleiben die Gegenstände und deren Qualitäten für den Mathematiker ohne Bedeutung. Sogar die Geometrie spricht nicht von Gegenständen der Erfahrung. Die Geometrie hat nur die von ihr erdachten idealen, unveränderlichen Körper zum Gegenstand ihrer Betrachtungen. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand behandelt die zeitgenössische Mathematik Räume als Punktmengen. Sie verfügt damit über einen Dimensionsbegriff, der auf die Dreizahl und damit auf die euklidische Vorstellung, daß die Körper dreidimensional seien, nicht mehr angewiesen ist. Damit verlieren auch jene anschaulich verständlichen Wörter, wie sie einst in der Geometrie gebräuchlich waren, ihre Bedeutung. Wir müssen also erkennen, daß es der modernen Mathematik aufgrund ihrer veränderten Prinzipien gelungen ist, einen Dimensionsbegriff zu formulieren, der, weil nicht mehr auf die Dreizahl angewiesen, auch nicht mehr zuständig ist für das Problem der Dreidimensionalität. Denn die Dreidimensionalität von Körpern ist ein abgeleiteter Begriff und nicht definitorisch primär. Daß wir bei den Wörtern „Fläche“ oder „Ebene“ an einen ebenen Tisch denken oder bei dem Wort „Linie“ an ein Lineal, hat mit Geometrie nichts zu tun. 22 Wer sagt: „Die Bilder sind zwei-, die Skulpturen dagegen dreidimensional“, geht grundsätzlich von der Annahme aus, unsere Sinnesorgane wären fähig, Flächen und Körper als voneinander unabhängige Phänomene wahrzunehmen. Er übersieht dabei, daß wir alle materiellen Gegenstände nur als Körper wahrnehmen. Das, was wir „Fläche“ nennen, ist immer Oberfläche, die den Körper voraussetzt, an dem sie gewisserweise haftet. Die Oberfläche ist somit stets nur Teilmenge eines Körpers. Sie ist also eine abgeleitete Größe. Zusätzliche Flächen, auch das sollte uns stets bewußt sein, werden immer dann erzeugt, wenn wir feste Körper schneiden. Flächen an sich gibt es nicht. Wir sagen zwar gelegentlich von einem Blatt Papier, es sei eine Fläche, tatsächlich ist dieses Blatt aber ein Körper. Weshalb im Bereich der rechnergestützten 3D- Konstruktion von „Blattkörpern“ gesprochen wird, wenn es sich um Konstruktionen handelt, bei denen zwischen geometrischen Orten Flächen aufgespannt werden, deren Stärke gleich Null ist. Da wir mit unseren Sinnen nur Körper wahrnehmen können, ergibt sich zwangsläufig, daß die Aussage: „Die Bilder sind zwei-, die Skulpturen dreidimensional“, auch auf der Basis unserer Alltagswahrnehmung, Unfug ist. An dieser Stelle gestatte ich mir, daran zu erinnern, daß für unsere Wahrnehmung von Bildern und Skulpturen nicht mathematische Ableitungen oder physikalische Theorien, sondern einzig unsere Sinne zuständig sind. Den Kunsthistorikern sollte eigentlich bewußt sein, wie problematisch es ist, die physischen Dinge, denn nichts anderes sind Bilder und Skulpturen, den idealen Körpern der Geometrie gleichzusetzen. Übersehen wird auch die Tatsache, daß die Geometrie zu Beginn reine Planimetrie war, verbunden mit der Praxis des Zeichnens. Zeichnungen sind flächig. Erstaunlicherweise 23 wurde innerhalb der Geometrie nie berücksichtigt, daß die Zeichenflächen Oberflächen von Körpern sind. Daß also, wer zeichnet oder malt, von einer wesentlichen Körpereigenschaft Gebrauch macht. Aufgrund unserer Alltagserfahrung wissen wir außerdem, daß auch das Bild, sei es noch so klein, Raum einnimmt und ein Gewicht, also Masse hat. Dieses, unsere Sinneserfahrungen ergänzend, haben wir schon im Naturkundeunterricht der Schule gelernt, daß Raum einzunehmen und Gewicht (Masse) zu haben zwei Grundbestimmungen aller Körper sind. Woraus sich ergibt, daß auch das Bild, nicht anders als die Skulptur, Körper und niemals Fläche sein kann. Jeder Mensch, der einmal ein Bild in Händen hielt, weiß das. Es ist kaum anzunehmen, daß Kunsthistoriker diese Erfahrung noch nicht gemacht haben sollten. Wir müssen also erkennen, daß sich unter Zuhilfenahme von Begriffen aus der Mathematik oder der Physik die Unterschiede von Bild und Skulptur nicht benennen lassen. Die Worte „zwei- und dreidimensional“ sind in diesem Zusammenhang nichts als inhaltslose Worthülsen. Die Antwort, die Ihnen gegeben wurde, ist also in mehrfacher Hinsicht falsch. Sie ist beispielhaft für das sprachliche Dilemma, in dem die Kunsthistoriker sich befinden. Weil sie nie ein präzises, ihrem Forschungsgegenstand sachadäquates, erprobtes Vokabular entwickelten, wie wir es von einer eigenständigen Wissenschaft erwarten, müssen sie in ihrer Not andere Wissenschaftssprachen plündern, ohne zu berücksichtigen, daß die Worte, derer sie sich bedienen, in den Wissenschaften, aus denen sie stammen, bestimmte, nur selten übertragbare Bedeutung haben. Grundsätzlich läßt sich sagen, daß allem Reden über die gemeinsam erlebte Welt unausweichlich unsere Sinnes24 wahrnehmungen zugrunde liegen. Wir sprechen also über das, was wir sehen, greifen, hören usw. können. Jeder Versuch, unsere Sinneswahrnehmungen durch „objektive Verfahren“ ersetzen zu wollen, weil wir der Verlässlichkeit unserer sinnlichen Wahrnehmung mißtrauen, übersieht die Tatsache, daß es uns unmöglich wäre, über die Welt zu sprechen, wenn uns unsere Sprache nicht die Möglichkeit böte, uns über unsere Wahrnehmungen zu einigen. Am Anfang allen Erkennens steht unausweichlich die sinnliche Wahrnehmung. Das bedeutet aber nicht, daß zur Erweiterung unserer Erkenntnisse die Verwendung von Geräten ausgeschlossen sein soll. Doch sollte uns immer bewußt sein, daß auch Geräte für einen bestimmten Verwendungszweck künstlich hergestellte Körper sind, die aus zweckgerichteten menschlichen Handlungen hervorgehen. Das erörterte Beispiel zeigt, daß wir uns vor jeder bequemen Etikettierung hüten müssen. Die Skulptur entzieht sich, wie jedes Kunstwerk, starrer Klassifikation. Nur eine Sprache, die in der Lage ist, die durch die Skulptur erfahrbare Wirklichkeit adäquat zu beschreiben, wird dem einzelnen Werk, seinem Erkenntnisinhalt und dessen historischer Bedeutung gerecht. Unter dem Diktat einer von Floskeln dominierten Sprache aber, wird die Bildhauerkunst zwangsläufig zu einem beliebigen, geschichtslosen Objekt. 25 KASSIBER I Der Bildhauer steht in Gegnerschaft zur Macht. Zu nichts anderem bereit, als aus allem ein Werk zu machen. Ein Bild, einen Vers, eine Skulptur. Von undeutlichem Wissen getrieben. „Der Künstler ist der Einzige, der die Dinge zu Ende denkt.“ Sagt Gottfried Benn. Nur der Künstler läßt seinen Blick auf allem ruhen ohne zu einem Urteil verpflichtet zu sein. Es ist die Einseitigkeit, die rücksichtslose Direktheit, der das Kunstwerk seine Überzeugungskraft verdankt. Immer ist es die Kraft der radikalen Wahl, die seine Bedeutung ausmacht. Immer ist es die Entschloßenheit, das Flüchtige zu fassen. Mit stets neu ansetzender Kraft, um die Gestalten aus dem Chaos zu befreien. Es ist Unfug, von moderner Kunst zu sprechen. Immer gehören alle Kunstwerke der Gegenwart. Ungeachtet der Epoche oder der Kultur, der das einzelne Kunstwerk sich verdankt. Kunstwerke altern nicht. Die Zeit, der die Kunstwerke angehören, ist nicht die gleiche Zeit wie die der Menschen. Kunstwerke können auch nicht gemessen werden. Ein Bild, eine Skulptur, ein Gedicht ist ein Kunstwerk, oder es ist nichts. Darum irrt, wer hier an Fortschritt glaubt. An eine gradlinige Entwicklung, die vom Unvollkommenen zum Vollkommenen führt. 26 DE L´ESPRIT GEOMETRIQUE DE L´ESPRIT DE FINESSE VOM GEIST DER GEOMETRIE VOM GEIST DES FEINSINNS Bei seinen Überlegungen zur Frage, wie der Mensch Erkenntnis gewinnt, gelangte Pascal zur Unterscheidung zwischen dem „Geist der Geometrie“, dem er den „Geist des Feinsinns“ gegenüberstellte. In einer Folge kurzer Aufsätze soll versucht werden, diese Unterscheidungen sinnstiftend in die Betrachtungen über den besonderen Charakter jener Skulpturen aus Metall einzuführen, die aus der Bearbeitung von Halbzeug hervorgehen. Halbzeug ist ein industrietechnischer Terminus. Er bezeichnet den Bearbeitungszustand eines Materials zwischen dem Rohstoff und dem endgültigen Erzeugnis. Bevor wir uns diesem Versuch zuwenden, sollten wir uns in Erinnerung rufen, worin für Pascal der Unterschied zwischen dem Geist der Geometrie und dem Geist des Feinsinns besteht. Die Prinzipien der Geometrie, sagt Pascal, sind uns, weil wir an diese in der Regel nicht durch alltägliche, bewußte Anwendung gewöhnt sind, wenig geläufig. Uns ihnen zuzuwenden ist daher für uns mit einigen Mühen verbunden. Sobald wir aber unsere Scheu überwinden und uns der Geometrie zuwenden, werden wir erkennen, daß uns die klaren Prinzipien der Geometrie, wenn wir diesen folgen, nie in die Irre führen, nie zu Fehlurteilen verleiten. Die Prinzipien des Feinsinns dagegen sind in allgemeinem Gebrauch. Niemand muß sich mühen, sie zu entdecken. Ein wacher Blick, ein scharfer Verstand genügen, um aus der Fülle der sich uns anbietenden Möglichkeiten, die jeweils angemessene Wahl zu treffen. Denn der „esprit de finesse“ basiert nicht auf Prinzipien, sondern hat die unbeschwerte Beobachtung der Realität zur Grundlage, deren Komplexität er intuitiv zu erfassen sucht. Beide Prinzipien haben, wie wir sehen, Vor- und Nachteile. Wer aber zum Kern der Dinge vordringen möchte, dem wird das nur mit Hilfe des „esprit géométrique“ gelingen, meinte Pascal. Aus den Charakteristiken beider Prinzipien zieht Pascal folgende Schlüsse. Jene, die dem Geist der Geometrie mit wachem Verstand folgen, könnten, wären sie zudem feinsinnig, jedoch geleitet von den ihnen vertrauten geometrischen Prinzipien, nicht falsch urteilen. 27 Andererseits stünden die Feinsinnigen den Geometern in nichts nach, wären jene bereit, die ihnen ungewohnten Grundsätze der Geometrie anzuerkennen. Leider aber sind viele feinsinnige Menschen dazu nicht bereit, wie auch die Mehrzahl der Geometer leider dazu neigt, nur das als wahr zu akzeptieren, was ihnen durch die Prinzipien der Geometrie deutlich gemacht wurde. Sie finden sich im Feinsinn nicht zurecht, weil sie dessen Prinzipien nicht überprüfen, sondern nur fühlen oder empfinden können. Um diese Empfindungen in der rechten Weise zu beurteilen, bedarf es empfindsamer Sinne. Diese müssen fähig sein, ohne schrittweises Überlegen und Abwägen, den Gegenstand des Interesses als ein geschlossenes Ganzes zu erfassen. Während die Geometer dazu neigen, den Feinsinn nach den strengen Regeln der Geometrie zu behandeln und damit zwangsläufig ihr Ziel verfehlen und Gefahr laufen, sich lächerlich zu machen, verschlägt es dem Feinsinnigen die Sprache, wenn er aufgefordert wird, sich zuerst durch ungewohnte Lehrsätze und Definitionen hindurchzuarbeiten. Die Geometer, die nur Geometer sind, beweisen zwar einen klaren Verstand, sobald wir ihnen alles durch Definitionen und Regeln erklären. Sonst aber neigen sie dazu, wirr und unerträglich zu sein. Den Feinsinnigen, die nur feinsinnig sind, fehlt gewohnheitsmäßig die Geduld, die notwendig ist, die Prinzipien der Geometrie, die bei ihnen nicht in Gebrauch sind, zu erfassen. Obgleich die beiden Prinzipien sich gegenseitig nicht ausschließen, sieht auch Pascal sie selten in einer Person vereint. Zwischen diesen beiden Positionen wimmelt es zusätzlich von Wirrköpfen, die weder feinsinnig noch Geometer sind. Die mit ihrer Fähigkeit zum wirren Reden in einem Potpourri aus Ängsten, Hoffnungen und edlem Unsinn die Feuilletons füllen. 1945, nach dem verheerenden Krieg, auf der Suche nach einer neuen Ordnung, getrieben vom Willen, in der Einfachheit eine neue Basis der Künste finden zu wollen, kehrten viele Bildhauer, Zeichner und Maler zurück zu den Regeln, der Geometrie. Sie erneuerten jenen Kontrakt, den vor ihnen schon Alberti, Brunelleschi, Spinoza, Augustinus, Pascal, um nur einige zu nennen, geschlossen hatten. Denn es ist die Geometrie, in der sich seit Jahrtausenden die Einheit von Anschauung und Idee bewahrte. Andere hofften darauf, in der unkontrollierten Geste, in dem, was der Zufall ihnen beschert, aus den Traumgebilden oder den Erregungen des Augenblicks 28 einen Neubeginn der Künste heraufbeschwören zu können. Das ist noch heute die Lage, in der die bildenden Künste sich befinden. Dennoch. Wenn in Zukunft von den Künsten im 20. Jahrhundert die Rede sein wird, dann wird auch gesagt werden müssen, daß im 20. Jahrhundert zum ersten Mal in den europäischen Künsten die pure, geometrische Form zum selbständigen Bildgegenstand wurde. Nie zuvor wurde ein in Schwarz gemaltes Quadrat zum Kunstwerk erklärt. Mit dieser Metamorphose der isolierten, geometrischen Form zum Bild, hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Phase der bildenden Künste begonnen. Doch noch immer wird die Frage gestellt, ob diese Bilder und Skulpturen, die auf so unleugbare Weise der Geometrie entstammen, überhaupt Kunstwerke sein können? Oder ob es sich nicht nur um dekorative, geometrische Spielereien handelt. Diese Frage wird heute noch gestellt, weil offenbar versäumt wurde, die Zusammenhänge, die seit Jahrtausenden zwischen der Geometrie und den bildenden Künsten bestehen, hinreichend bewußt zu machen. War es doch über Jahrhunderte erklärte Praxis der Bildhauer, Maler und Zeichner, die dem jeweiligen Werk innewohnenden geometrischen Zusammenhänge verborgen zu halten. Denn jede erkennbare Spur eines solchen Zusammenhangs, der oft mit einem Werkstattgeheimnis verbunden war, wäre diesen Bildhauern und Malern wie ein Sakrileg, zumindest aber als Indiskretion gegenüber der sinnlichen Schönheit ihres Werkes erschienen. Es ist darum auch verborgen geblieben, daß jede Entwicklung eines neuen Stils in der europäischen Kunst mit der Einführung neuer, mathematischer Methoden verknüpft ist, auf die mindestens alle wesentlichen Gestaltelemente des jeweiligen Stils zurückgeführt werden können. Dies gilt nicht nur für die Epoche der mathesis universalis, also jener Epoche, der wir die Gärten des Barock, die Architektur des Klassizismus und die Musik Bachs verdanken. Die nachhaltigste Prägung durch die Geometrie erfuhren die bildenden Künste wahrscheinlich durch die an bestimmte geometrische Operationen gebundenen Proportionstheorien. Egal ob diese den Regeln des Goldenen Schnitts, des regulierenden Ovals, der Quadratur, Triangulatur, des Hexagramms, der blauen oder roten Reihe des Modulor folgten. In allen Fällen wurde von diesen Systemen gesagt, daß allein durch deren strikte Anwendung sich die schöne Gestalt würde erzeugen lassen. Dabei muß uns aber immer bewußt sein, daß nicht das Proportionssystem oder dessen geometrische Figur an sich schön ist, sondern stets nur das auf der Basis dieser Regeln geschaffene Werk als schön angesehen oder empfunden werden kann. 29 MENE,MENE,TEKEL,UPHARSIN WIE KOMMT DER PUNKT DA AN DIE WAND Die Künstler und Galeristen lieben ihn, den kleinen, roten Winzling an der weißen Wand, der sofort den Blick auf sich lenkt. Für viele im Kunsthandel tätige Personen ist er interessanter als das Kunstwerk neben ihm. Manche geschäftstüchtigen Vertreter haben sich geradezu zu leidenschaftlichen Pointillisten gemausert. Kunstwerke gibt es schließlich »en masse«, rote Punkte dagegen sind zumindest hierzulande seltener anzutreffen. Doch wenn einer klebt, gibt's frohe Kunde, die Botschaft der markanten Markierung lautet: Zu spät! Ätsch, Pech gehabt! Verkauft! Oh, glückliche Galeristenseele, Künstler preise dein Werk, denn es hat einen Liebhaber gefunden! Die Hauptsaison für die Galerien hat mittlerweile begonnen, traditionell ist der Herbst und die Zeit vor Weihnachten die umsatzkräftigste im Kunsthandel. Vernissagentermine reihen sich nahtlos aneinander, Auktionen locken die Sammler, Kunstmessen öffnen die Pforten in Erwartung des kauffreudigen Publikums. Doch wir schweifen ab, denn eigentlich soll diese kleine Geschichte keine über Umsatz, Gewinn und Sammlerglück werden, sondern über diesen kleinen, leuchtenden, farbintensiven, gern gesehenen Punkt an der Wand oder auf dem Sockel. Irgendwann einmal hat ja ein findiger Kopf damit begonnen, verkaufte Kunstwerke mit ihm kenntlich zu machen. Wenn wir ehrlich sind, könnte hier unsere Geschichte eigentlich schon zu Ende sein, denn niemand weiß, wer den ersten Punkt geklebt hat. Logischerweise muß auch die Frage nach dem Wann und Wo deshalb unbeantwortet bleiben. Selbst das vielgerühmte Internet konnte bisher keine Antworten liefern. Immer noch steht die Frage nach dem ersten Mal bei diversen Suchdiensten offen. Machen wir uns aber trotzdem einen Spaß mit dem kleinen, roten Kerl und kreisen ihn ein wenig ein. Was ist er nun? Ein Klebepunkt? Oder zählt er gar zu den Etiketten? Vielleicht hilft die Historie weiter. Bereits unter dem Stauferkaiser Friedrich II., 1212 bis 1250, entstand durch ein Dekret das Etikett aus Fürsorgepflicht gegenüber den Untertanen. Es schrieb vor, Arzneimittel auszuzeichnen. Apotheker versahen die Flaschen deshalb mit einem kleinen Fähnchen. Dieser gesicherte Hinweis stellt offenbar den Beginn der Etikettierung dar. 30 Gute 200 Jahre später, in der Zeit von 1440 bis 1454, kam eine erste bahnbrechende Neuerung. Mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg ließen sich endlich auch Etiketten in größeren Mengen herstellen. Das Wort Etikett ist allerdings erst seit dem 17. Jahrhundert geläufig. Zunächst beschrieb die »Etiquette« die Umgangsformen am Hofe. Später bezeichnete man damit am Hof eine Liste oder die Zettel, auf dem die zugelassenen Verhaltensweisen verzeichnet waren. Erste Etiketten aus Papier, auf der Rückseite mit Leim versehen, wurden um 1700 zur Kennzeichnung von Warenballen und Wein verwendet. Ein weiterer Meilenstein war die Erfindung der Lithographie durch Alois Senefelder 1797/98. Dieses Verfahren erleichterte es, die Etiketten mehr und mehr künstlerisch zu gestalten. Als Vorläufer des Haftetiketts kann dann das 1882 entwickelte Haftpflaster des Hamburger Apothekers Carl Paul Beiersdorf gelten. Das Reichspatent 20057 wurde zur Geburtsurkunde eines Weltunternehmens, Hansaplast kennt ja wohl jeder. Zum ersten Mal wurden hierbei Etikettenpapier, Klebstoff und ein silikonisiertes Trägerpapier kombiniert. Die ersten Selbstklebeetiketten soll in den USA ein gewisser Stanton Avery im Jahre 1935 hergestellt haben. Die Preis-Aufkleber, die unter dem Namen KumKleen vertrieben wurden, ließen sich wieder ablösen. In Deutschland tat sich die 1920 gegründete Feinpapiergroßhandlung Jackstädt bei der Entwicklung der Haftetiketten hervor. 1930 wurde in Amerika das »Scotch Tape« für die Firma »Minnesota Mining and Manufactering Company«, heute 3M genannt, patentiert. Schnell wurde das nützliche Band ein Verkaufsschlager. Fünf Jahre später kam in Deutschland das bis heute berühmte „tesa“ Band auf den Markt, dessen Name mittlerweile zum Gattungsbegriff geworden ist. Bei uns wird ja nahezu alles, was wie ein Klebeband aussieht, als »Tesa« bezeichnet, auch wenn es von einer anderen Firma hergestellt wurde. Patin für den Namen wurde übrigens, so die Überlieferung, die bei Beiersdorf als Sekretärin beschäftigte Elsa Tesmer. Die Erfolgsgeschichte des Selbstklebeetiketts und des Klebebandes schritt weiter. Ende des 2. Weltkrieges, mit Beginn der Warenetikettierung, verbreiteten sich die Selbstklebeetiketten rasant. Sie wurden salonfähig. In den 1960er wurden sie mehr und mehr in der Industrie verwendet. 1978 suchte Arthur Fry, wiederum in Amerika, eine Lösung dafür, daß ihm sonntags immer die als Markierung zwischen den Seiten eingelegten Zettel aus seinem Gesangbuch fielen. Die Klebeblöcke mit den nützlichen ablösbaren Zetteln waren das Resultat. Die gelben Post-its® oder 31 »Papp es dran« auf deutsch, ab 1980 in Produktion und auf dem Markt, sind auch im Kunsthandel und Ausstellungswesen unverzichtbare Hilfsmittel zur Kennzeichnung und Merkhilfe geworden. Seit 1980 vertritt ein Verband der Hersteller selbstklebender Etiketten e.V. die Interessen der Etikettenindustrie in Deutschland. Ohne Haftetiketten geht schon lange nichts mehr, was würden wir nicht alles vergessen! Doch kommen wir zurück auf den Punkt, genauer gesagt: den roten. Ob Galerien oder Ausstellungsmacher, die ja ein Interesse haben, kleine, rote Etiketten an die Wand zu kleben, von oben erwähntem Verband unterstützt werden, ist dem Autor nicht bekannt. Es wäre aber zu wünschen, denn wenn die kleinen Dinger schon salonfähig sind, sollten sie auch häufiger in den Salons der Kunst zu finden sein. Wir müssen allerdings das Scheitern eingestehen und die Antwort nach dem ersten Mal, als ein roter Punkt zum Merkmal eines Kunstverkaufs mutierte, schuldig bleiben. Was uns verwundert, denn stillschweigend hat eine generelle Akzeptanz für ein allgemeingültiges Procedere im Kunsthandel stattgefunden. Der rote Punkt setzt ein deutliches Signal, welches überall und von jedem verstanden wird. Irgend jemand müßte eigentlich mehr wissen. Allerdings können wir schlußfolgern, daß wohl erst in den 60er Jahren, wenn nicht sogar später, der ominöse Verkaufsstratege zuerst zur Wand und dann zur Tat geschritten ist. Fakt ist, der rote Punkt zählt zu den Etiketten, zumindest ist er im Kaufhaus unter diesem Namen zu finden. Und obwohl er recht preisgünstig ist, 416 Punkte kosten gerade mal 1 Euro 59 Cent, kann ein einzelner bisweilen ein teures Vergnügen werden, immer dann, wenn er sich verwandelt in eine kleine, sichtbare Verkaufsquittung an der Wand. Und weil das alles so schön bunt aussieht, haben sich im Laufe der Zeit auch grüne und halbe Exemplare dazugesellt. Da wollen wir innovativ natürlich nicht zurückstehen! Anbei finden Sie unsere Punkt-Alternativen für den kleinen Galerienbesuch zwischendurch. Klebt mehr Punkte an die Wände! Achim Schollenberger 32 Folgende Punkte sind bisher aufgetaucht: Werk verkauft . Werk reserviert. Unsere Alternativen: Werk reserviert könnte halb bezahlt sein. Achtung Lüftlmalerei. Halbes Werk reserviert. Andere Hälfte frei. Kunstwerk für sonnige Gemüter. Rahmen käuflich zu erwerben.Bild Dekoware. Werk mit Briefmarken anbezahlt. Werk eher für Deprimierte geeignet. Werk sollte komplett übermalt werden. Luftleere Malerei. Weniger wäre mehr gewesen. Farbrest von der Wandsanierung. Sachdienliche Hinweise zur Klärung der Frage, wer wann und wieso den roten Punkt erstmals geklebt hat, bitte an die Redaktion. Quelle:Punktesammlunmog Akimo 33 SELBSTVERSTÄNDLICH WISSEN WIR, daß es ein gewagtes Unternehmen ist, NADIR zu starten. Eine gedruckte Zeitschrift, noch dazu für Skulptur, ist nicht zeitgemäß. Im Zeitalter von facebook, twitter und skype ist das Posten von Statements „in“. Das erreicht die Massen, und es geht schnell. Zu schnell für manche Zeitgenossen, weil man dem Geistesblitz anmerkt, daß er in die Welt hinausgezwitschert wurde, ohne die Chance, die Großhirnrinde in einigermaßen gereiftem Zustand zu verlassen. „Voll wenig Presse“, maulte jüngst Skandalrapper Bushido, der Oberguru aller Cerebralminimalisten, angesichts der mangelhaften medialen Aufmerksamkeit an seinem Gerichtsverfahren beleidigt in sein smartphone. Die Community versteht trotzdem, und schon verbreitet sich die Aussage im großen, weiten digitalen Universum, wo es hoffentlich viele Schwarze Löcher gibt, in die sämtliche Bushidos und Plattitüden dieser Welt hineinfallen, aus der Erinnerung gelöscht werden und niemals wieder herauskommen. Wie man so hört, braucht man nur lange genug zu warten, bis die Quantenteilchen reinen Tisch gemacht haben und alles perdu ist. Im Falle von Bushido läßt das hoffen. Unser rastloser Zeitgeist vermeidet Inhalte, hüpft lieber von Schlagzeile zu Schlagzeile. Unsere Medien hüpfen mit, Hauptsache Sensation, denn dann ist es massentauglich. Künstler, die das begriffen haben, sind die Günstlinge der Zeitungsmacher. Besonders beliebt ist der Tabubruch und das Reißerische. Kein Feuilletonist kann erklären, warum es Kunst sein soll, den Arm zum Hitlergruß hochzurecken, aber eine Meldung ist es allemal. Inmitten des großen, schillernden Reigens des Kunstmarktes sind Schlagzeilen, egal wie sie ausfallen, pures Gold und steigern Marktwert und Rangfolge. Die Presse ist zur Platzanweiserin geworden, die die Plätze nach Gutdünken verteilt, ohne auf die Qualität der Tickets zu achten. Künstler, die mit Obsession an Problemen feilen, kommen in den Feuilletons seltener vor. Die Auseinandersetzung mit dem Schwierigen erfordert Wissen, ist zeitraubend, wird kaum geliebt und noch weniger verstanden. Vielleicht fürchten Kunstkritiker bei der Frage nach dem Wert der Kunst auch, in die berühmten Fettnäpfchen zu treten und verweigern feige die Vermittlung. Auf diese Weise ist die Bildhauerei in Vergessenheit geraten und aus dem öffentlichen Blickfeld und dem Ausstellungskanon, von einigen Ausnahmen abgesehen, fast völlig verschwunden. Manche Skulpturen schlummern in lichtlosen Depots, über einige stolpern die Leute, wenn sie im Museum von einem Gemälde zurücktreten. Die meisten sind in den noch lichtloseren Schwarzen Löchern der Erinnerung verlorengegangen. Dort treffen sie dann auf Bushido, was nichts Gutes bedeuten dürfte. Für die Skulptur. Deshalb gibt es nun NADIR. Die Redaktion 34 ANFANG ALLER KUNST, DAS DIE BÄUERIN AUF DEM FELD BEI DER ARBEIT SINGT Bashô 35 Impressum NADIR Erscheinungsweise: vier mal im Jahr. Herausgeber: Eberhard Fiebig und Angelika Summa Mitarbeiter dieser Ausgabe: Paul Bliese, Achim Schollenberger, Wolf- Dietrich Weissbach. 36 Layout: Catan Kontakt: Eberhard Fiebig Königstor 2, 34117 Kassel Telefon: 0561 5214570 Fax: 0561 2887994 [email protected] Bildnachweis: 6: Archiv Hartmann 7 / 9 / 10 / 11 / 12 / 13: Wolf-Dietrich Weissbach 14: Elvira Zickendraht 16 / 17 / 18 / 19: Eberhard Fiebig 35: Valentin Schwab Anzeige Anzeige Das 3D-CAD-System für Planung, Präsentation und Produktion PYTHA-Lab GmbH * Inselstrasse 3 * 73741 Aschaffenburg * [email protected] Anzeige Werte bewahren: Feuerverzinken! In der Kunst hat Rost manchmal einen ganz eigenen Wert. Im Bau, Transport und der Konstruktion richtet die Korrosion von Stahl jedoch jährlich millionenschwere Schäden an. Das zu verhindern ist die Aufgabe der Feuerverzinkung. Und sie macht das besonders gut: Aus Stahlkonstruktionen werden bleibende Werte, die auch nach Jahrzehnten noch Menschen dienen und sie erfreuen. Seppeler – bei uns klappt’s. www.beiunsklappts.de Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen. Friedrich Nietzsche
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