Überflieger mit Bodenhaftung

DIE RHEINPFALZ - Frankenthaler Zeitung vom 20.09.2016
Autor:
Seite:
Ressort:
Jörg Schmihing
13
Stadt
Jahrgang:
Nummer:
Auflage:
Seitentitel:
Gattung:
STADT
Tageszeitung
Reichweite:
2016
220
13.188 (gedruckt) 12.161 (verkauft)
12.504 (verbreitet)
0,04 (in Mio.)
Überflieger mit Bodenhaftung
Das ging wirklich flott: Nach dem Abschied Wilhelm Fell-Rathmachers als Direktor des
Karolinen-Gymnasiums ist direkt zum neuen Schuljahr sein Nachfolger ernannt worden.
Christian Bayer kommt aus Grünstadt nach Frankenthal. Der promovierte Physiker ist 38 Jahre
alt und gebürtiger Westpfälzer.
Von Jörg Schmihing
Der Mann weiß, was er will. Wenn in
der Zeitung neue Schulleiter vorgestellt
würden, dann stehe auf dem dazugehörigen Bild meist eine Person mehr oder
weniger dekorativ vor einem großen
Gebäude – langweilig, findet Christian
Bayer. Der neue Chef im KarolinenGymnasium schlägt einen kurzen
Besuch mit Fototermin bei „seiner“
neunten Klasse vor. „Und dann können
wir uns in Ruhe unterhalten ...“
Sympathisch direkt ist er, der zeitgleich
mit dem Start ins neue Schuljahr berufene Nachfolger von Wilhelm Fell-Rathmacher. Und so wirkt auch sein Physikunterricht. Mit einer flotten Mischung
aus Praxisnähe, Rechnen und theoretischer Basis schafft es der promovierte
Naturwissenschaftler selbst in der sechsten Stunde bei hitzefreiverdächtigen
Außentemperaturen, seine Schüler fürs
Thema Wärmeausdehnungskoeffizient
zu gewinnen. Und wenn es doch mal
hakt bei einer Formel, kommt die Spezialität des 38-Jährigen zum Einsatz: das
Bayer’sche Denkwölkchen. Grundsätzliches erhält dann rasch einen schwungvollen farbigen Umriss.
Einen 11er-Leistungskurs und zwei
neunte Klassen mit acht Wochenstunden hat Christian Bayer in Frankenthal
übernommen. Mehr geht nicht in Anbetracht der Fülle von Aufgaben, die der
Direktor eines Gymnasiums mit 1200
Schülern und einem 100-köpfigen Kollegium zu erledigen hat. Der gebürtige
Westpfälzer, der in Knöringen an der
Südlichen Weinstraße lebt, war bisher
Wörter:
© 2016 PMG Presse-Monitor GmbH
565
zweiter stellvertretender Schulleiter am
Leininger Gymnasium Grünstadt.
Bayers Erfahrung: „Eine Schule führt
nicht einer allein, das ist Teamarbeit.“
Und deshalb hat er zu seinem Gespräch
mit der RHEINPFALZ auch seine beiden Stellvertreterinnen, Irina Kalusa und
Karin Reißer-Mahla, gebeten.
Nach dem Verständnis des Mannes an
der Spitze ist die Weiterentwicklung
einer Schule zwar eine wichtige innerhalb der breiten Palette von Führungsaufgaben, aber keine der Zwangsbeglückung von Schülern und Kollegen.
Er sehe sich innerhalb dieses Prozesses
als Motor, Moderator und Initiator,
betont Christian Bayer. „Das Ganze ist
ein Diskussionsprozess, den kann man
nicht verordnen“, sagt er. Man dürfe
zudem nicht erwarten, dass eine Schule
selbstständig denkende, mündige
Erwachsene hervorbringe, wenn diese
dort zuvor achteinhalb Jahre nur Autorität erlebten.
„Ich bin sehr froh, dass ich hier gelandet bin“, unterstreicht Bayer. Als
„Naturwissenschaftler mit Leib und
Seele“ freue er sich, dass hier ein
Schwerpunkt des Karolinen-Gymnasiums liege. Das Profil der Schule decke
sich allerdings in vielen Bereichen mit
seinem beruflichen und privaten Interesse. „Ich kann mich voll und ganz mit
diesem Konzept identifizieren“, sagt der
38-Jährige.
Da wäre die internationale Ausrichtung
des KG mit Sprachzertifikaten und Austauschprogrammen. Er selbst habe die
während des Studiums in Großbritan-
nien und den USA gesammelte Auslandserfahrung als „wahnsinnige Bereicherung“ empfunden. Und da wäre der
Ansatz einer ganzheitlichen Bildung mit
Angeboten im sportlichen und musischen Sektor. So habe ihn von der
Schule bis in die Studienzeit immer das
Theaterspielen begleitet. „Das sind
wertvolle Erfahrungen jenseits des
Unterrichts“, sagt Christian Bayer.
Der neue Direktor ist, nimmt man seinen umfangreichen Lebenslauf als Indiz,
das beste Beispiel für seine Schüler (und
Kollegen), wie wissenschaftlicher
Erkenntnisdurst und Neugier über das
Spezialfach hinaus zueinanderfinden
können: ein Überflieger mit Bodenhaftung sozusagen. Dem Studium der Physik an der Technischen Universität Kaiserslautern lässt er mit gerade mal 28
Jahren die Promotion folgen – Thema:
„Das Spinwellen-Eigenspektrum in
homogen und inhomogen magnetisierten Strukturen und periodischen Übergittern“. Parallel studiert Bayer ein
wenig Volkswirtschaftslehre an der
Fern-Uni Hagen, um dann als Seiteneinsteiger aus dem universitären Betrieb in
den Schuldienst zu wechseln.
Die richtige Entscheidung? Beim Weg
durchs verwinkelte Treppenhaus zurück
ins Direktorat erklärt Christian Bayer,
dass es am schönsten sei, Physik mit
praktischen Beispielen zu erklären. Und
deshalb beschäftigt sich „seine“ Neunte
eben auch mit Fliesenkleber, Stahlbeton.
Und Denkwölkchen ...