1 Crime Cologne Award 2016 Laudatio für Simone Buchholz „Blaue Nacht“ von Gisa Klönne gehalten am 18. September 2016 Liebes Publikum, liebe Crime-Cologne-Award-Erfinder und -Ermöglicher und vor allem natürlich: liebe Simone Buchholz! Als Juryvorsitzende und als Kollegin ist es mir eine Ehre und Freude, unsere diesjährige Entscheidung zu begründen. Wir hatten einen Kriminalroman gesucht, der vielschichtig ist, literarisch, überraschend und selbstverständlich sehr spannend. Einen Krimi also, der dieses gewisse „Mehr“ bietet, das Kritiker und Buchhändler gern betonen – ohne jedoch die Grenzen des Genres zu sprengen. Den haben wir gefunden. BLAUE NACHT, der sechste Roman von Simone Buchholz um die kettenrauchende und Astra-Pils-trinkende Staatsanwältin Chastity Riley aus Hamburg Sankt Pauli, mit den wohlkaschierten Narben auf der Seele, leuchtet förmlich heraus aus einigen durchaus ebenfalls großartigen Kriminalromanen, die im letzten Jahr erschienen sind. Und dies liegt zuallererst an Buchholz’ Sprache, die diesem Krimi einen ganz eigenen, frischen, unverwechselbaren Sound gibt. Die große Kunst der gelernten Journalistin besteht darin, dass ihre Sätze sehr lässig wirken, sehr lakonisch, irgendwie hingehauen und ein bisschen kaputt wie dieses Hamburg Sankt Pauli, in dessen nächtlichen Hinterhöfen und Hinterzimmern alles Laudatio für Simone Buchholz BLAUE NACHT zum Crime Cologne Award 2016 von Gisa Klönne 2 ein bisschen schmuddeliger, gesetzloser und zugleich verlorener ist als anderswo. Wo ein Mann, dem drei Profikiller en passant sämtliche Knochen brechen und den rechten Zeigefinger abschneiden, lieber nicht die Polizei ruft. Ich zitiere den Anfang: „Ein Tritt in die rechte Niere, zum Niederknien. Einer in den Bauch, dann fällst du um. Und nochmal in die Niere, diesmal in die linke, damit auch wirklich schnell Ruhe ist. Dann die Knüppel, unter den Jacken rausgezogen. Drei Jacken, drei Knüppel. Linkes Bein, rechtes Bein. Linker Arm, rechter Arm. (...) Dann: die schnelle Zange. Rechter Zeigefinger. Sauberes Knacken. Was sie nicht zu wissen scheinen: Du bist Linkshänder. Ein letzter Tritt noch, in irgendwas, was gebrochen ist. Dann lassen sie dich liegen. (...) So ist das also.“ Ja, so ist das in Simone Buchholz Kriminalroman BLAUE NACHT. 22 knappe Zeilen genügen, um diesen Überfall zu beschreiben. Ohne Schreie, Stöhnen, Blutlachen, Effekthascherei oder Klischees. Vielmehr analytisch und ein wenig erstaunt konstatiert das Opfer – und mit ihm der Leser – was da gerade mit ihm geschieht. So spricht einer, der sich mit dem Verletzen und Töten sehr gut auskennt, das wird hier bereits deutlich, und das ist für die Krimihandlung, die Simone Buchholz im Laudatio für Simone Buchholz BLAUE NACHT zum Crime Cologne Award 2016 von Gisa Klönne 3 Folgenden entfaltet, entscheidend. Alles schwingt schon mit in dieser ersten Szene. Auch der verlorene rechte Zeigefinger wird am Ende noch wichtig, soviel kann ich hinzufügen, ohne zu viel zu verraten. Und so nimmt die Handlung ihren Lauf. Ein Mann liegt eingegipst und stumm im Krankenhaus. Ohne Papiere und ohne die Absicht, irgendjemanden ins Vertrauen zu ziehen. Auftritt Chastity Riley, die man in der Staatsanwaltschaft nach ein paar eher nicht gesetzeskonformen Aktivitäten in den Opferschutz strafversetzt hat. Kaltgestellt, wie sie selbst findet. Und auch wenn sie eigentlich am liebsten mit ihren Freunden Klatsche und Rocco und Carla und den Mordermittlern Faller und Calabretta in den langen blauen Nächten Sankt Paulis vor allem trinken, rauchen und sich der Illusion hingeben würde, das Leben sei eigentlich insgesamt doch ziemlich fair und schmerzfrei, weckt der verstockte Patient sofort ihren Jagdinstinkt. Liegt sie falsch oder droht eine Mafia ihr geliebtes Sankt Pauli tatsächlich mit einer Killerdroge zu überschwemmen? Und wenn das so ist – wie wäre das zu verhindern? Darum geht es im Kern. Um diesen schier aussichtslosen Kampf, den Simone Buchholz absolut spannend mit vielen überraschenden Wendungen bis zum ebenfalls überraschenden und überzeugenden Ende erzählt. Und dass dieses Szenario noch dazu beklemmend real wirkt – und realistisch ist – verleiht diesem Krimi seine Brisanz. Allerdings: Ein Adjektiv wie „beklemmend“ findet man in BLAUE NACHT nicht. Überhaupt ist nichts, keine Szene, kein Satz, kein einziges Wort überflüssig in diesen ungemein klug und präzise komponierten Buch. Buchholz erzählt auf den Punkt, Laudatio für Simone Buchholz BLAUE NACHT zum Crime Cologne Award 2016 von Gisa Klönne 4 deutet an, lässt Raum. Wenige Sätze genügen ihr, um das schummrige Hamburg Sankt Pauli ebenso überzeugend und atmosphärisch dicht herauf zu beschwören, wie das Seelenleben ihrer durchweg kantigen Akteure. Originell und mit hintergründigem Humor taucht sie in deren Köpfe, Herzen, Lebenslügen und Träume und verleiht ihnen so eine tiefe Menschlichkeit, allen voran natürlich ihrer Heldin mit den wohlkaschierten Narben auf der Seele. „Mein Vater ist tot. Kugel in den Kopf gejagt. Kopf auf den Schreibtisch gelegt. Ich hab ihn entdeckt. Seitdem bin ich weggekommen von mir. Oder in mir weg. Oder: ein bisschen mitgestorben.“ Berichtet Chastity Riley in einer der Rückblenden aus ihrer Jugend. Auch die Stimmen der anderen Figuren bilden in den pointiert eingestreuten Miniaturen nach und nach eine zweite, vielstimmige, ebenso spannenden Erzählebene zum Krimiplot, verweben sich miteinander und steuern dabei doch zielsicher auf den finalen Showdown zu, was diesen Roman ungemein bereichert. Es wird viel gesoffen, geraucht und geflucht in diesem Krimi. Der Stoff ist hart, der Umgangston rau. Und trotzdem sind die Figuren der BLAUEN NACHT allesamt Suchende, Fallende, Liebende. Die Täter genauso wie die Opfer und die Jäger. Gerade deshalb kommt man ihnen so nah. Gerade deshalb ist dieser Kriminalroman nicht nur packend, sondern auch sehr berührend. Und dass das nie, niemals ins Gefühlige oder zu Abgrundschwarze abdriftet, liegt an Buchholz’ wunderbar Laudatio für Simone Buchholz BLAUE NACHT zum Crime Cologne Award 2016 von Gisa Klönne 5 hintergründigem Humor und all den Schrulligkeiten und schrägen Dialogen, die die Lektüre zu einem großen Lesevergnügen machen. Simone Buchholz findet die perfekte Balance zwischen Coolness, Humor und Melancholie. Augenzwinkernd und charmant spielt sie wie nebenbei mit der – klassisch männlichen – hardboiled-Erzähltradition. Und so ist BLAUE NACHT auch ein Roman mit Nachhall: Kaum ist man am Ende angelangt, will unbedingt mehr lesen, mehr über diese Heldin erfahren und dabei noch ein wenig mehr Hamburger Seeluft schnuppern. Danke, liebe Simone Buchholz, für diesen Roman und für Chastity Riley. Und im Namen aller Jurymitglieder: Herzlichen Glückwunsch zum CRIME COLOGNE AWARD 2016! Laudatio für Simone Buchholz BLAUE NACHT zum Crime Cologne Award 2016 von Gisa Klönne
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