SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Zwischen Zuhause in München und Regenwald in Ecuador Mascha Kauka und ihr Kampf für die Rechte der Amazonasindianer Mit Mascha Kauka spricht Natalie Putsche Sendung: Freitag, 23.09.16 um 10.05 Uhr in SWR2 Redaktion: Petra Mallwitz Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Natalie Putsche: Ist das eigentlich, wenn man so begrüßt wird, so glücklich und erwartungsvoll auch ein bisschen, ist das nur Wiedersehensfreude oder auch so was Respekt, weil wir gerade bei Indianern sind, Respekt vor einem Häuptling? Mascha Kauka: Also Respekt vor einem Häuptling ist übertrieben. Das ist es sicher nicht. Es ist, primär haben wir ein sehr familiäres Verhältnis. Also ich würde sagen es ist einfach so, wie wenn man, ja, ein Familienmitglied oder einen lieben Freund wieder trifft und sich freut. Und natürlich komme ich ja nicht nach Jahren wieder, also ich komme ja relativ häufig, aber trotzdem, die leben halt im Wald und wir haben relativ wenig Kontakt, wenn ich nicht gerade direkt bei ihnen, persönlich bei ihnen bin. Und irgendwie habe ich schon das Gefühl, und das bringen sie auch zum Ausdruck, dass sie immer wieder froh sind, wenn ich zurückkomme. So ist das. Natalie Putsche: Wer kommt da zusammen? Mascha Kauka: Das ganze Dorf. In Sharamensa, das ist der Ort bei dem Volk der Adshuar, wo eben unsere Akademie angesiedelt ist, und bei dem Volk der Shuar, das ist ungefähr eine halbe Flugstunde entfernt, der Ort heißt Juvinz. Und, ja, ist auch Akademiesitz, war im Rahmen unseres Pilotprojekts seit dem Jahr 2000 eine Modellgemeinde, da haben wir damals ausprobiert, kann man wirklich sagen, ausprobiert, studiert, mit der Gemeinde zusammen, wie in Zukunft zeitgemäßes Leben und Arbeiten im Wald ausschauen kann. 2 Natalie Putsche: Sie haben ganz viele Projekte dort verwirklicht, mit den Chachi-Indianern hat alles begonnen, vor wie vielen Jahren mittlerweile? Mascha Kauka: Das war 1980, vor 36 Jahren. Wahnsinn. Natalie Putsche: Wow. Was ist genau passiert? Sie waren ja eigentlich als Touristin unterwegs, oder? Mascha Kauka: Wir waren beide, mein Mann und ich waren als Touristen unterwegs, weil ich gerne Indianer im Urwald kennen lernen wollte. Also das habe ich nachhaltig geschafft, würde ich sagen. Natalie Putsche: Sie haben sich das richtig vorgenommen? Mascha Kauka: Ja, ich habe mir vorgenommen, ich will Indianer im Urwald sehen. Also wir waren schon in Südamerika unterwegs gewesen, aber eben in den Anden. Gut, und dann haben uns Freunde aus Kito, Ecuadorianer haben uns empfohlen, haben gesagt: „Ja, also Amazonas ist zu weit, aber wenn ihr an die Küste runtergeht, da gibt’s einen Bergurwald mit einem Volk drin, mit den Chachi, und das ist nicht zu weit und da könnt ihr hinfahren und das ist auch eine hübsche Gegend außerdem.“ Und das haben wir gemacht, mit dem Kanu und dem Rucksack, Zelt zu zweit sind wir los, so wie die es beschrieben hatten, da konnte man nicht viel falsch gehen, weil es war alles Urwald und ein Fluss und den sind wir halt raufgefahren. Und kamen nach ein paar Tage auch zu den Chachi. Und die sprachen natürlich erstens kein Wort Spanisch und waren auch sehr scheu und lebten auch nicht in Dörfern, sondern in so einzelnen Stelzenhäusern. Also wir haben uns da nicht rein getraut, um ganz ehrlich zu sein. Natalie Putsche: Wie ist es denn letztendlich dann zur Begegnung gekommen, mit diesen scheuen Indianern? Mascha Kauka: Ja, also nach vier Tagen, die Indianer immer nur von unten außen anschauen, haben wir gesagt, jetzt trauen wir uns mal. Und kamen dann tatsächlich an einem Dorf vorbei, das war das erste Dorf, was wir gesehen haben. Wir haben also gewartet und 3 kurz vor sechs kam ein Kanu mit einem älteren und einem jüngeren Mann drin, und das war der Gobernador mit seinem Sohn. Und der Sohn, der sprach fließend Spanisch, Gott sei Dank, der Häuptlingssohn. Und dann haben wir unser Anliegen vorgetragen und dann sagte der Vater, wir können da bleiben, und wir wüssten noch nicht mal zelten, sie hätten ein neu gebautes Haus für eine junges Paar, die noch nicht reingezogen sind, und wenn wir wollen dürfen wir in dem Haus schlafen. Und, ja, und dann saßen wir da und haben unsere Spaghetti gekocht und es war stockduster. Und die Hängematten aufgehängt und plötzlich kam ein Fackelzug vom Dorf her, auf unser Haus zu, und wir haben nur geahnt irgendwelche, ja, halbnackte Oberkörper, Männer mit Fackeln, und die kamen direkt auf uns zu. Also wir landeten schon in Gedanken im Suppentopf. Wir hatten wirklich Schiss, muss man ehrlich sagen. Also ich weiß noch genau das Gefühl. Und wir saßen in der Mitte, schauen so, und alle rund rum und keiner hat ein Wort gesagt. Und dann hat der Häuptlingssohn gemeint: „Gut, also mein Vater hat ja gesagt ihr dürft hier übernachten, es ist auch, es gilt, aber wir müssen natürlich wissen wer ihr seid, woher ihr kommt, was ihr wollt und so weiter.“ Gut, und dann ging’s los. Cha`palaachi Spanisch, Bayerisch, und dann haben sie als erstes gefragt: „Ja, also wir kennen drei Sorten Weiße, Holzfäller, Goldsucher und Missionare, zu welcher Gruppe gehört ihr?“ Und dann haben wir gesagt: „Zu gar keiner, wir sind Touristen.“ Was Touristen sind wussten sie nicht, 1980. Und so ging das zwei Stunden lang. Und dann sagte der Häuptling: „Wir haben natürlich ganz viel von dem, was ihr da erklärt habt nicht verstanden. Aber mein Vater meint, dass ihr keine schlechten Leute seid. Und wenn ihr wollt, dürft ihr bleiben.“ Natalie Putsche: Und wann wurde etwas Konkretes draus? Also man liest überall, wenn man sich über Sie informiert, dass die Chachi Sie um Hilfe gebeten haben. Wie sah diese Hilfe aus, oder wie sah diese Bitte um Hilfe aus? Mascha Kauka: Da gab’s ein Abschiedsessen, da rückte er dann mit der Sprache raus, da sagte er: „Ja, also wir haben ein großes Problem, mein Vater macht sich Sorgen, wir alle machen uns Sorgen, unser gesamtes traditionelles Siedlungsgebiet ist vom Staat an ausländische Holzgesellschaften verpachtet worden. Und diese ausländischen Holzgesellschaften holzen nicht nur ab, sondern sie verlangen die Aussiedlung von uns. Ihr müsst uns helfen. Das müsst ihr machen, ihr müsst uns vermessen lassen, dann gehört es uns und dann können wir die Holzgesellschaften rausschmeißen.“ 4 Natalie Putsche: Und Sie haben vermessen. Mascha Kauka: Das kam schon dazu. Nee, also zunächst mal war uns beiden klar, es geht eben einfach nicht. Tja, und dann waren wir noch auf Galapagos, und bis wir nachhause gekommen sind, eine Woche später, kam schon ein Brief von ihm. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich war schon irgendwie ein bisschen, ich war angefixt. Ja, das allererste war, ich musste meinen Mann überzeugen, weil ohne den ging’s natürlich gar nicht. Und dann habe ich mir einen treudeutschen Fragebogen ausgedacht, 70 Fragen, alles richtig, Volksbefragung, also die Struktur, wie viele sie sind, historisch, Beziehung zur Regierung, was sie können, was sie wollen, was sie machen. Und, tja, nach über einem halben Jahr kam ein Päckchen, mit 40 Manuskriptseiten drin und einem langen Brief. Und da hatte der also wirklich dreiviertel der Fragen beantwortet. Und das war der Moment wo auch mein Mann gesagt hat: „Meine Güte, also wenn die sich so viel Mühe geben.“ Natalie Putsche: Man muss dazusagen, da treffen ja wahnsinnig unterschiedliche Kulturkreise aufeinander, Sie, die weiße Europäerin, die keine erfahrene Entwicklungshelferin war, Sie als Verlegerin, Kochbuchautorin und auf der anderen Seite die Ureinwohner des Regenwaldes. Gab’s da nicht auch immer wieder wahnsinnige Verständigungsprobleme? Mascha Kauka: Zunächst mal war der Umgang von Anfang an sehr freundlich, weil sie hatten uns ja gebeten ihnen zu helfen. Ich habe schon immer gefragt, natürlich, wollte ja schnell mehr wissen. Aber ich habe dann gemerkt, dass sie oft einfach mauern. Unser einer sagt: „Geh, das machen wir doch schnell so und so“, und dann ist es für die entweder ganz fremd oder es geht nicht aus einem Grund, den sie dir nicht sagen, und das kann ganz häufig, sind das - alles, was in Richtung sexuelle Themen geht, Mann-Frau-Beziehungen, also diese ganzen Dinge, und die werden noch nicht mal ausgesprochen, da muss man dann erst forschen: warum wollen die das jetzt nicht, obwohl’s so einfach sein könnte. Der Vorteil ist, dass ich eine Frau bin. Ich bin als Weiße und als die, die ihnen hilft, auf dem Level von den Stammesältesten und kann mit allen Männern natürlich verhandeln. Und dann aber kann ich selbstverständlich von der Versammlung aufstehen und rüber in die Küche gehen und dann reden wir auch über 5 Frauenthemen, wenn wir nur unter Frauen sind, dann erzählen sie mir auch von ihren Unterleibsschmerzen und weiß ich was alles. Also ich hatte nie ein Problem sofort voll akzeptiert zu werden. Also das hat sich über Jahre hingezogen, die Vermessung. Und in der Zeit haben wir schon angefangen diese Gemeindeentwicklung, Schule, Gesundheit, Landwirtschaft, also das alles in Gang zu bringen, denn es war die Auflage – das ist der zweite Punkt – also einmal sie kriegen ihr Land, wenn’s vermessen ist, aber der Staat verlangt, dass sie sesshaft werden und die Chachi waren Flussnomaden. Und unsere Aufgabe war von Anfang an nicht nur das Vermessen, sondern parallel in diesem Zuge sie zu belgeiten, auf dem Weg von jagenden und fischenden Flussnomaden zu sesshaften Bauern und Handwerkern. Und das ist natürlich Arbeit in sämtlichen Bereichen. Natalie Putsche: Genau. Und ich stelle mir das einfach nicht nur ganz wunderbar, natürlich auf der einen Seite vor, aber auf der anderen Seite, Sie haben wahrscheinlich auch zwischendurch mal hier und da ein paar Nerven verloren. Gab’s jetzt nie den Gedanken: ich muss zurück, ich kann nicht mehr oder ich lass das? Mascha Kauka: Nie, nie, nie. Es war schon manchmal sehr, sehr schwer. Und mein Mann hatte mal eine Phase, wo er gesagt hat: „Sag mal jetzt allmählich haben wir schon so viel getan, es gibt ja auch noch was anderes im Leben.“ Natalie Putsche: Was ist denn eigentlich mit Freunden und Bekannten und Verwandten hier gewesen, hat man Sie für verrückt erklärt zwischendurch? Mascha Kauka: Sicherlich. Einige erklären mich bis heute für verrückt. Das ist ja auch das Einfachste, einfach zu sagen: die spinnt. Die Mehrheit der Freunde hat’s positiv aufgenommen, denn die waren ja auch in unserem Alter, die waren neugierig. Wir haben ja dann 1982 den ersten Gemeinnützigen Verein gegründet, die India-Hilfe, den haben wir zusammen mit Freunden gegründet, Familie und Freunden. Natalie Putsche: Was ist mit Ängsten? Sie haben sich immerhin ja auch dort vor Ort mit der Holzmafia angelegt. 6 Mascha Kauka: Ich habe mich mit so ziemlich mit allen angelegt, ich habe mich mit der Holzmafia angelegt, mit der Kirche, mit anderen Hilfsorganisationen, korrupten, mit dem Staat. Man legt sich automatisch, wenn man einem indigenen Volk hilft, legt man sich automatisch rundum mit allem an. Also es war natürlich ganz klar, durch die Vermesserei waren die Holzgesellschaften sauer, dann die Missionare, die dort waren, es waren nun welche von dieser, ich sage keine Namen, nordamerikanischen Sekte, die hatten die Indianer wirklich ausgebeutet, die haben denen Schulmaterial zum fünffachen Preis verkauft und weiß ich was alles, also die haben ein richtiges Geschäft gemacht. Und der Staat sowieso, alle Staaten, alle Regierungen sind gegen die eigene indigene Bevölkerung überall, auch in den Nachbarländern. Und dann gibt’s die Machenschaften von ausländischen, also von Hilfsorganisationen, internationalen, die eben auch in Wirklichkeit wirtschaftliche und politische Interessen verfolgen und unter dem Deckmäntelchen Entwicklungshilfe nur Türöffner sind. Natalie Putsche: Sie haben gekämpft, Sie kämpfen fortwährend und ecken damit eben an. Sie sollen sogar schon mal entführt worden sein. Mascha Kauka: Ja, zweimal. Aber da spreche ich nicht gerne drüber, weil also einmal war’s eine Holzgesellschaft und einmal war’s eine Hilfsorganisation. Aber ich erkläre das nicht gerne, weil die heute noch in Ecuador arbeiten und wichtig sind. Und wenn ich das ausführlich erklären würde, würde ich mich und meine Arbeit gefährden. Natalie Putsche: Wo nehmen Sie diese Power her, diese Stärke, wenn man zweimal entführt worden ist, ich meine, das muss doch irgendwas mit einem machen? Aber Sie stehen wieder auf und machen weiter. Mascha Kauka: Es ist ja gut ausgegangen. Ja, und gerade extra nicht. Sie haben uns auch schon mal alles abgebrannt, da haben wir gebaut und gebaut und gebaut und dann haben sie uns alles abgebrannt. Und ich war da, sie haben es abgebrannt, gerade extra damit ich dabei bin und dann hinterher sage: nee, also jetzt reicht’s und ich gehe. Sie wollten uns rausekeln. Aber wir haben Feuer gelöscht, saßen da, ich war im rosa, ich werde nie vergessen, im rosa Pyjama, weil das in der Nacht ausgebrochen ist, das Feuer, und ich war 7 patschnass vom Wasser und schmutzig und alles. Und dann saßen wir da bis in der Frühe und haben aufgepasst, dass die glimmenden Balken und das alles nicht dann sich noch mal entfacht. Und dann haben wir an demselben Morgen, wie wir da saßen, beschlossen: jetzt wird wieder alles aufgebaut. Natalie Putsche: Auf den Internetseiten Ihrer Stiftung „Amazonica“ lauter die Vision der Stiftung wie folgt: „Die Indianervölker Amazoniens wollen mit ihrem Wald und ihren Traditionen zeitgemäß leben, dazu müssen sie ihrer Jugend eine Zukunft im Wald bieten. Amazonica entwickelte mit Mustergemeinden der Ashuar, Shuar und Kichwa Ecuadors ein Modell für zeitgemäßes Leben und Arbeiten im Wald.“ Können Sie einfach versuchen mir so ein bisschen zumindest ein Bild von all diesen Projekten zu vermitteln? Mascha Kauka: Also wir haben natürlich absolut nicht vor da drin irgendwas einzurichten, was man hier am Straßenrand überall finden kann. Gerade weil unser übergeordnetes Ziel, über all dem, was Sie gerade vorgelesen haben ist für uns der Naturschutz, der Schutz des Regenwaldes. Wir wollen den tropischen Regenwald für die Menschheit erhalten. Und deshalb arbeiten wir mit den Völkern, denen dieser Regenwald gehört, denn sie haben den ja mit Landtitel. Aber – jetzt kommt das große Aber – man kann komplett vergessen, dass es heute noch indigene Völker gibt, die paradiesisch wie eh und je leben, die gibt es nicht mehr. Sie können nicht mehr wie früher leben, und die meisten sitzen zwischen zwei Stühlen und haben so eine „no future“-Haltung oder rennen raus in die Stadt und kommen dann dort im Slum, kommen unter die Räder. Und die sind also in einer ganz schlimmen Situation und waren auch schon in dieser traurigen Situation als ich sie kennenlernte. Man kann nur nach vorne, erstens, aber natürlich nicht blindlinks und nicht zu schnell, sondern wir sagen immer, wir müssen ihnen heutzutage helfen sich zeitgemäß anzupassen, ohne dabei zu großen Schaden zu nehmen. Und zeitgemäß anpassen heißt Bildung, sonst geht gar nichts. Sie müssen das aus der Zivilisation picken, gibt’s ja auch positive Dinge, was für sie im Wald nützlich ist, um besser leben zu können, also alles, erneuerbare Energien, und dann, ja, Wissen natürlich in vielen Bereichen. Wir machen auch in kleinem Rahmen Landwirtschaft, Kleintierhaltung, damit der Wald nicht überjagt wird. Und man muss ihnen dadurch, dass sie zusammenleben, Hygiene beibringen, unbedingt, und dann natürlich der medizinische Bereich, damit auch die anderen Projektbereiche weitergehen können. Denn wenn die krank sind, dann bricht einfach alles zusammen. Wir haben das erlebt bei der Malaria, wir hatten eine extreme Malaria-Epidemie, der Staat wollte nichts machen, eigentlich wäre der Staat ja da zuständig gewesen. Aber 8 weit weg im Wald drin, da geht keiner gerne rein, und es ihnen auch wurscht, wenn da ein paar Indianer sterben. Und dann im Endeffekt haben wir gesagt: gut, dann müssen wir es selber machen. Und dann haben wir Sanitäts-Stationen gebaut, 112 Dörfer, bauten wir 12 SanitätsStationen, die strategisch so lagen, dass man aus jedem Dorf innerhalb eines Tages an die Sanitäts-Station kommen kann, zu Fuß oder mit dem Kanu. Und dann haben wir in sämtlichen 112 Dörfern Malaria-Helfer ausgebildet, die wussten wie man den Blutstropfen nimmt, die hatten Objektträger, Blutstropfen nehmen und dann sind die mit dem Blutstropfen von dem Patienten mit Verdacht auf Malaria dann mit dem Kanu oder zu Fuß in die Sanitäts-Station gefetzt, dort saßen unsere Laboranten, unsere frisch ausgebildeten, mit dem Mikroskop, haben sich das angeschaut, haben festgestellt was es ist, haben die Medikamente dem Helfer gegeben und der fetzte wieder heim und wusste wie er seine Patienten zu behandeln hat. Das haben wir exerziert, drei Jahre lang, und die Region ist bis heute Malariafrei. Sie haben alle noch ihre Medizinmänner, also die Naturheilweisen, jetzt gar nicht im Sinn von mords Schamane und Hokuspokus, sondern es sind ja wirklich Leute, wie bei uns früher die Kräuterweiber, die einfach wissen, wozu welche Wurzel und welches Kraut gut ist, und das sehr geschickt auch anwenden. Also ich lasse mich zunächst immer von denen behandeln, wenn was ist. Und das muss erhalten werden. Also alles, was traditionell heutzutage noch funktionieren kann, wird erhalten und alles andere müssen wir von draußen uns holen und ihnen dann aber zeigen, nicht einfach hinstellen, sondern wir müssen es mit ihnen praktizieren, wir müssen ihnen erklären warum’s gut ist, wie es funktioniert, wie man’s pflegt, wie man’s erhält, denn sie sind überhaupt nicht gewöhnt, ja, was zu erhalten, was zu pflegen, das mussten sie ja niemals. Alles was sie zum Leben brauchen hat ihnen der Wald gegeben. Natalie Putsche: In der Fortfolge dieses „wir müssen ihnen das und das zeigen“, um auch Erhalt der Natur dort zu gewährleisten, haben Sie auch die weltweit einzige Urwald-Akademie gegründet. Es gibt, glaube ich, zwei Niederlassungen. Mascha Kauka: Zwei Niederlassungen. Natalie Putsche: Worin können sich denn die Indigenen dort ausbilden lassen? Wie muss ich mir das vorstellen? 9 Mascha Kauka: Also zunächst mal haben wir gesagt, wir suchen uns Orte, zentrale Orte, idealerweise an einer Mustergemeinde, weil ja da schon alles geschaffen wurde, da kann man sich’s anschauen, wie die Landwirtschaft geht, wie Solarenergie funktioniert und wie eine Krankenstation ausschaut und das Klohäusel und weiß ich was alles. Also das war also ideal an den Mustergemeinden. Und da haben wir gesagt, die Modellgemeinden, die sich am beispielhaftesten entwickelt haben, werden Sitz der Akademie, um andere Indianer auszubilden. Das war der Ursprung, denn wir brauchen ja Lehrer, wir brauchen Elektriker, wir brauchen auch moderne Berufe, für den Wald, und vor allen Dingen auch, politisch ist übertrieben, aber sagen wir mal indigenen Führungskräften. Weil wir haben gesagt, es hilft ja nichts, dass die Basis was lernt und dann ist da oben irgendein Dummkopf, hat das Sagen, der es noch nicht mal kapiert um was es geht. Also wir müssen auch gerade den zukünftigen indigenen Führungskräften klarmachen, wie der neue Weg ist und wie sie überleben können, mit ihrem Volk. Und da haben wir dann zusammen mit der Universität Cuenca, das ist unsere, in Ecuador die Universität, staatliche Universität Cuenca, die mit uns ein Kooperationsvertrag hat und die schickt uns auch Dozenten in den Wald. Und dann kam der nächste Schritt, das ist jetzt der wesentliche und der interessante für hier, für Deutschland und alle anderen, dass wir gesagt haben: okay, Indianer ausbilden ist eins, aber der Wald wird ja eigentlich, immer wieder die Idee den Wald erhalten, der Wald wird ja eigentlich von außen und durch die Industrienationen kaputt gemacht, also wir müssen die Jugend der Welt, die junge Intelligenz ansprechen, damit sie kapiert warum das nicht kaputt gemacht werden darf, ums mal sehr simpel auszudrücken. Und das sind normal die Studenten, die heutzutage an den Hochschulen und Universitäten sitzen. Vor allen Dingen kommen eben viele Dozenten mit ihren Semestern, die gerade den Bachelor oder Master oder Doktor machen müssen, kommen zu uns in den Wald, um dort zu forschen. Natalie Putsche: Durch die Ausbildung entstehen ja für die Indigenen dann auch Arbeitsplatzmöglichkeiten, dadurch natürlich Einkommen, dadurch natürlich auch das, wohin Sie wollen mit den indianischen Gemeinden, nämlich die Möglichkeit selbstbestimmt zu leben. Was würde denn passieren, wenn plötzlich jede Entwicklung, jedes Projekt, das von außen momentan einwirkt, gestoppt würde und die Menschen dort wieder komplett auf sich gestellt wären? 10 Mascha Kauka: Das ist eine gute Frage. Da kommt es drauf an wieweit die inzwischen in der Entwicklung sind. Ich würde mich trauen zu sagen, dass in 70 Prozent der Fälle, wo wir geholfen haben, jetzt nicht nur im Amazonasgebiet, sondern insgesamt, können sie es inzwischen auch alleine. Wenn man mal mindestens 15 Jahre gearbeitet hat, dann haben sie Chancen, dass, auch wenn wir gehen, dass sie es dann mehr oder weniger alleine weitermachen können. Natalie Putsche: Sie haben mit den Indianern viel, viel, viel Zeit verbracht, die Indianer haben mit Ihnen viel, viel Zeit verbracht. Wie hat das, dieser Umgang mit den Menschen dort, Ihr Leben verändert? Mascha Kauka: Ja, das macht was mit einem. Das macht eine Menge mit einem. Also erstens Mal hat’s mit einem gemacht, dass ich es ja auch zu keinem Zeitpunkt aufgeben wollte. Das ist ja schon eine klare Aussage. Also ich fühle mich schon ein bisschen als ein Teil von ihnen. Ich würde niemals auswandern, ich würde niemals so wie die Aussteiger, die sagen: da gehe ich jetzt ganz hin. Aus vielen Gründen. Man bleibt dort, weil man Freunde nicht im Stich lässt, auch wenn’s mal ganz dumm ausschaut. Und man muss wissen, das war meinem Mann und mir ja auch absolut bewusst von Anfang an, wenn wir’s angehen, dann müssen wir’s auch durchhalten können. Sie nicht nur nicht im Stich lassen, wenn’s ihnen schlecht geht, sondern eben auch das Knowhow nutzen. Ich meine, jeder Unternehmer, wenn er was kann „ja, dann mach das doch“, weil’s ihm und allen anderen nützlich ist, zum Vorteil ist. Und genauso ist es da, ich habe so wahnsinnig viel Knowhow und zwar Learning by doing, ich hab das ja nirgendwo studiert oder gelernt, ich hab’s wirklich aus der Praxis für die Praxis. Natalie Putsche: Sie sind jetzt 71, sehen viel jugendlicher aus und trotzdem, ich vermute mal, auch Ihnen tut hier und da mal irgendein Knochen weh. Haben Sie jemals schon mal an Zurücklehnen gedacht, an so was wie eine normale Rente genießen und alles im herkömmlichen Sinne laufen lassen? Mascha Kauka: Also da würde ich mich vorher erschießen lassen. 11 Natalie Putsche: Geht nicht, kommt in infrage? Mascha Kauka: Nein, also erstens habe ich, Gott sei Dank, muss man Holz anfassen, habe ich relativ wenig Zipperlein, ich hatte mal einen Bandscheibenvorfall, aber der ist kuriert worden. Und bin auch noch recht beweglich, das kommt natürlich alles durch den Wald, auch dass ich noch nicht so ganz alt ausschaue, kommt auch durch den Wald, durch die Feuchtigkeit. Ich glaube einfach, wenn man 4, 5 Monate im Jahr bei dieser hohen Luftfeuchtigkeit rennt und tut und macht, und ich marschiere ja tagelang da durch den Schlamm und was weiß ich was alles, da ist man erstens fit, man ist beweglich, und das Regenwasser und die Waldluft und die Feuchtigkeit, das päppelt einen auf, das ist wie Spa, wie Schönheitsfarm. Natalie Putsche: Das sind schon so viele erreichte Ziel und Projekte. Gibt es in der Arbeit und in der Zusammenarbeit mit den Indianern noch nahe oder auch entfernte Ziele, die Sie noch erreichen wollen? Mascha Kauka: Ja, ich möchte, dass das Ganze flächendeckender wird. Wir haben ja immer das mit den Modellen, Prototypen gehabt und so weiter, jetzt haben wir diese zwei Akademie-Standorte, zu denen gehört natürlich ein Einzugsbereich von unendlichen vielen Dörfern, die da auch mitmachen. Aber ich möchte natürlich, dass das, ja, dass möglichst viele andere indigene Völker, andere Dörfer, andere Gegenden in den Genuss von diesem Knowhow und diesen Errungenschaften kommen. Überhaupt auch mit der Bedrohung, es ist ja eine Diktatur geworden, Ecuador ist eine absolute Diktatur, keine Gewaltenteilung mehr gar nichts, durch diese Einflussnahme, die berühmte divide et impera -Strategie, um die Völker zu entzweien, in Unruhe zu versetzen, um sie dann manipulieren zu können. Es ist im Augenblick kein gesunder Boden, um so was mit Hoffnung auf Erfolg verbreiten zu können. Also ich wünsche mir, dass ich noch das Leben habe, um diese Regierung zu überleben und dann auch noch wieder erleben kann, dass ein bisschen ruhigere Verhältnisse einziehen und man dann mit den jungen, gut ausgebildeten Indianern, die es ja Gott sei Dank jetzt gibt, dass die dann in der Lage sind das fortzuführen und, ja, weiterzugeben, irgendwann mal auch ohne mich. Natalie Putsche: 12 Frau Kauka, vielen Dank für das Gespräch. Mascha Kauka: Ich danke Ihnen vielmals. 13
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