SWR2 Tandem

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Zwischen Zuhause in München und
Regenwald in Ecuador
Mascha Kauka und ihr Kampf für die Rechte der Amazonasindianer
Mit Mascha Kauka spricht Natalie Putsche
Sendung: Freitag, 23.09.16 um 10.05 Uhr in SWR2
Redaktion: Petra Mallwitz
Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
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TRANSKRIPT
Natalie Putsche:
Ich habe ein Video gesehen, wo Sie mit einer kleinen Cessna, glaube ich, am Rande
des Urwalds landen, aussteigen und Sie mit Jubel und Klatschen, vor allem von
Indianern begrüßt werden. Man sieht glückliche Gesichter, Sie werden herzlich
umarmt. Wann werden Sie das nächste Mal wieder so begrüßt werden?
Mascha Kauka:
Ich hoffe, dass sie mich immer so begrüßen, bisher war’s meistens so. Ich war
gerade erst. Also insgesamt bin ich dreimal im Jahr oder sogar viermal im Jahr in
Ecuador und verbringe zusammengerechnet 4 bis 5 Monate dort.
Natalie Putsche:
Ist das eigentlich, wenn man so begrüßt wird, so glücklich und erwartungsvoll auch
ein bisschen, ist das nur Wiedersehensfreude oder auch so was Respekt, weil wir
gerade bei Indianern sind, Respekt vor einem Häuptling?
Mascha Kauka:
Also Respekt vor einem Häuptling ist übertrieben. Das ist es sicher nicht. Es ist,
primär haben wir ein sehr familiäres Verhältnis. Also ich würde sagen es ist einfach
so, wie wenn man, ja, ein Familienmitglied oder einen lieben Freund wieder trifft und
sich freut.
Und natürlich komme ich ja nicht nach Jahren wieder, also ich komme ja relativ
häufig, aber trotzdem, die leben halt im Wald und wir haben relativ wenig Kontakt,
wenn ich nicht gerade direkt bei ihnen, persönlich bei ihnen bin. Und irgendwie habe
ich schon das Gefühl, und das bringen sie auch zum Ausdruck, dass sie immer
wieder froh sind, wenn ich zurückkomme. So ist das.
Natalie Putsche:
Wer kommt da zusammen?
Mascha Kauka:
Das ganze Dorf. In Sharamensa, das ist der Ort bei dem Volk der Adshuar, wo eben
unsere Akademie angesiedelt ist, und bei dem Volk der Shuar, das ist ungefähr eine
halbe Flugstunde entfernt, der Ort heißt Juvinz.
Und, ja, ist auch Akademiesitz, war im Rahmen unseres Pilotprojekts seit dem Jahr
2000 eine Modellgemeinde, da haben wir damals ausprobiert, kann man wirklich
sagen, ausprobiert, studiert, mit der Gemeinde zusammen, wie in Zukunft
zeitgemäßes Leben und Arbeiten im Wald ausschauen kann.
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Natalie Putsche:
Sie haben ganz viele Projekte dort verwirklicht, mit den Chachi-Indianern hat alles
begonnen, vor wie vielen Jahren mittlerweile?
Mascha Kauka:
Das war 1980, vor 36 Jahren. Wahnsinn.
Natalie Putsche:
Wow. Was ist genau passiert? Sie waren ja eigentlich als Touristin unterwegs, oder?
Mascha Kauka:
Wir waren beide, mein Mann und ich waren als Touristen unterwegs, weil ich gerne
Indianer im Urwald kennen lernen wollte. Also das habe ich nachhaltig geschafft,
würde ich sagen.
Natalie Putsche:
Sie haben sich das richtig vorgenommen?
Mascha Kauka:
Ja, ich habe mir vorgenommen, ich will Indianer im Urwald sehen.
Also wir waren schon in Südamerika unterwegs gewesen, aber eben in den Anden.
Gut, und dann haben uns Freunde aus Kito, Ecuadorianer haben uns empfohlen,
haben gesagt: „Ja, also Amazonas ist zu weit, aber wenn ihr an die Küste runtergeht,
da gibt’s einen Bergurwald mit einem Volk drin, mit den Chachi, und das ist nicht zu
weit und da könnt ihr hinfahren und das ist auch eine hübsche Gegend außerdem.“
Und das haben wir gemacht, mit dem Kanu und dem Rucksack, Zelt zu zweit sind wir
los, so wie die es beschrieben hatten, da konnte man nicht viel falsch gehen, weil es
war alles Urwald und ein Fluss und den sind wir halt raufgefahren. Und kamen nach
ein paar Tage auch zu den Chachi. Und die sprachen natürlich erstens kein Wort
Spanisch und waren auch sehr scheu und lebten auch nicht in Dörfern, sondern in so
einzelnen Stelzenhäusern.
Also wir haben uns da nicht rein getraut, um ganz ehrlich zu sein.
Natalie Putsche:
Wie ist es denn letztendlich dann zur Begegnung gekommen, mit diesen scheuen
Indianern?
Mascha Kauka:
Ja, also nach vier Tagen, die Indianer immer nur von unten außen anschauen, haben
wir gesagt, jetzt trauen wir uns mal. Und kamen dann tatsächlich an einem Dorf
vorbei, das war das erste Dorf, was wir gesehen haben. Wir haben also gewartet und
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kurz vor sechs kam ein Kanu mit einem älteren und einem jüngeren Mann drin, und
das war der Gobernador mit seinem Sohn.
Und der Sohn, der sprach fließend Spanisch, Gott sei Dank, der Häuptlingssohn.
Und dann haben wir unser Anliegen vorgetragen und dann sagte der Vater, wir
können da bleiben, und wir wüssten noch nicht mal zelten, sie hätten ein neu
gebautes Haus für eine junges Paar, die noch nicht reingezogen sind, und wenn wir
wollen dürfen wir in dem Haus schlafen.
Und, ja, und dann saßen wir da und haben unsere Spaghetti gekocht und es war
stockduster. Und die Hängematten aufgehängt und plötzlich kam ein Fackelzug vom
Dorf her, auf unser Haus zu, und wir haben nur geahnt irgendwelche, ja, halbnackte
Oberkörper, Männer mit Fackeln, und die kamen direkt auf uns zu.
Also wir landeten schon in Gedanken im Suppentopf. Wir hatten wirklich Schiss,
muss man ehrlich sagen. Also ich weiß noch genau das Gefühl.
Und wir saßen in der Mitte, schauen so, und alle rund rum und keiner hat ein Wort
gesagt. Und dann hat der Häuptlingssohn gemeint: „Gut, also mein Vater hat ja
gesagt ihr dürft hier übernachten, es ist auch, es gilt, aber wir müssen natürlich
wissen wer ihr seid, woher ihr kommt, was ihr wollt und so weiter.“
Gut, und dann ging’s los. Cha`palaachi Spanisch, Bayerisch, und dann haben sie als
erstes gefragt: „Ja, also wir kennen drei Sorten Weiße, Holzfäller, Goldsucher und
Missionare, zu welcher Gruppe gehört ihr?“ Und dann haben wir gesagt: „Zu gar
keiner, wir sind Touristen.“ Was Touristen sind wussten sie nicht, 1980.
Und so ging das zwei Stunden lang.
Und dann sagte der Häuptling: „Wir haben natürlich ganz viel von dem, was ihr da
erklärt habt nicht verstanden. Aber mein Vater meint, dass ihr keine schlechten Leute
seid. Und wenn ihr wollt, dürft ihr bleiben.“
Natalie Putsche:
Und wann wurde etwas Konkretes draus?
Also man liest überall, wenn man sich über Sie informiert, dass die Chachi Sie um
Hilfe gebeten haben. Wie sah diese Hilfe aus, oder wie sah diese Bitte um Hilfe aus?
Mascha Kauka:
Da gab’s ein Abschiedsessen, da rückte er dann mit der Sprache raus, da sagte er:
„Ja, also wir haben ein großes Problem, mein Vater macht sich Sorgen, wir alle
machen uns Sorgen, unser gesamtes traditionelles Siedlungsgebiet ist vom Staat an
ausländische Holzgesellschaften verpachtet worden. Und diese ausländischen
Holzgesellschaften holzen nicht nur ab, sondern sie verlangen die Aussiedlung von
uns. Ihr müsst uns helfen. Das müsst ihr machen, ihr müsst uns vermessen lassen,
dann gehört es uns und dann können wir die Holzgesellschaften rausschmeißen.“
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Natalie Putsche:
Und Sie haben vermessen.
Mascha Kauka:
Das kam schon dazu. Nee, also zunächst mal war uns beiden klar, es geht eben
einfach nicht. Tja, und dann waren wir noch auf Galapagos, und bis wir nachhause
gekommen sind, eine Woche später, kam schon ein Brief von ihm.
Ich muss ganz ehrlich sagen, ich war schon irgendwie ein bisschen, ich war angefixt.
Ja, das allererste war, ich musste meinen Mann überzeugen, weil ohne den ging’s
natürlich gar nicht.
Und dann habe ich mir einen treudeutschen Fragebogen ausgedacht, 70 Fragen,
alles richtig, Volksbefragung, also die Struktur, wie viele sie sind, historisch,
Beziehung zur Regierung, was sie können, was sie wollen, was sie machen.
Und, tja, nach über einem halben Jahr kam ein Päckchen, mit 40 Manuskriptseiten
drin und einem langen Brief. Und da hatte der also wirklich dreiviertel der Fragen
beantwortet.
Und das war der Moment wo auch mein Mann gesagt hat: „Meine Güte, also wenn
die sich so viel Mühe geben.“
Natalie Putsche:
Man muss dazusagen, da treffen ja wahnsinnig unterschiedliche Kulturkreise
aufeinander, Sie, die weiße Europäerin, die keine erfahrene Entwicklungshelferin
war, Sie als Verlegerin, Kochbuchautorin und auf der anderen Seite die Ureinwohner
des Regenwaldes. Gab’s da nicht auch immer wieder wahnsinnige
Verständigungsprobleme?
Mascha Kauka:
Zunächst mal war der Umgang von Anfang an sehr freundlich, weil sie hatten uns ja
gebeten ihnen zu helfen. Ich habe schon immer gefragt, natürlich, wollte ja schnell
mehr wissen. Aber ich habe dann gemerkt, dass sie oft einfach mauern.
Unser einer sagt: „Geh, das machen wir doch schnell so und so“, und dann ist es für
die entweder ganz fremd oder es geht nicht aus einem Grund, den sie dir nicht
sagen, und das kann ganz häufig, sind das - alles, was in Richtung sexuelle Themen
geht, Mann-Frau-Beziehungen, also diese ganzen Dinge, und die werden noch nicht
mal ausgesprochen, da muss man dann erst forschen: warum wollen die das jetzt
nicht, obwohl’s so einfach sein könnte.
Der Vorteil ist, dass ich eine Frau bin. Ich bin als Weiße und als die, die ihnen hilft,
auf dem Level von den Stammesältesten und kann mit allen Männern natürlich
verhandeln. Und dann aber kann ich selbstverständlich von der Versammlung
aufstehen und rüber in die Küche gehen und dann reden wir auch über
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Frauenthemen, wenn wir nur unter Frauen sind, dann erzählen sie mir auch von ihren
Unterleibsschmerzen und weiß ich was alles.
Also ich hatte nie ein Problem sofort voll akzeptiert zu werden.
Also das hat sich über Jahre hingezogen, die Vermessung. Und in der Zeit haben wir
schon angefangen diese Gemeindeentwicklung, Schule, Gesundheit, Landwirtschaft,
also das alles in Gang zu bringen, denn es war die Auflage – das ist der zweite Punkt
– also einmal sie kriegen ihr Land, wenn’s vermessen ist, aber der Staat verlangt,
dass sie sesshaft werden und die Chachi waren Flussnomaden.
Und unsere Aufgabe war von Anfang an nicht nur das Vermessen, sondern parallel
in diesem Zuge sie zu belgeiten, auf dem Weg von jagenden und fischenden
Flussnomaden zu sesshaften Bauern und Handwerkern.
Und das ist natürlich Arbeit in sämtlichen Bereichen.
Natalie Putsche:
Genau. Und ich stelle mir das einfach nicht nur ganz wunderbar, natürlich auf der
einen Seite vor, aber auf der anderen Seite, Sie haben wahrscheinlich auch
zwischendurch mal hier und da ein paar Nerven verloren.
Gab’s jetzt nie den Gedanken: ich muss zurück, ich kann nicht mehr oder ich lass
das?
Mascha Kauka:
Nie, nie, nie.
Es war schon manchmal sehr, sehr schwer. Und mein Mann hatte mal eine Phase,
wo er gesagt hat: „Sag mal jetzt allmählich haben wir schon so viel getan, es gibt ja
auch noch was anderes im Leben.“
Natalie Putsche:
Was ist denn eigentlich mit Freunden und Bekannten und Verwandten hier gewesen,
hat man Sie für verrückt erklärt zwischendurch?
Mascha Kauka:
Sicherlich. Einige erklären mich bis heute für verrückt. Das ist ja auch das Einfachste,
einfach zu sagen: die spinnt.
Die Mehrheit der Freunde hat’s positiv aufgenommen, denn die waren ja auch in
unserem Alter, die waren neugierig. Wir haben ja dann 1982 den ersten
Gemeinnützigen Verein gegründet, die India-Hilfe, den haben wir zusammen mit
Freunden gegründet, Familie und Freunden.
Natalie Putsche:
Was ist mit Ängsten? Sie haben sich immerhin ja auch dort vor Ort mit der Holzmafia
angelegt.
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Mascha Kauka:
Ich habe mich mit so ziemlich mit allen angelegt, ich habe mich mit der Holzmafia
angelegt, mit der Kirche, mit anderen Hilfsorganisationen, korrupten, mit dem Staat.
Man legt sich automatisch, wenn man einem indigenen Volk hilft, legt man sich
automatisch rundum mit allem an. Also es war natürlich ganz klar, durch die
Vermesserei waren die Holzgesellschaften sauer, dann die Missionare, die dort
waren, es waren nun welche von dieser, ich sage keine Namen, nordamerikanischen
Sekte, die hatten die Indianer wirklich ausgebeutet, die haben denen Schulmaterial
zum fünffachen Preis verkauft und weiß ich was alles, also die haben ein richtiges
Geschäft gemacht.
Und der Staat sowieso, alle Staaten, alle Regierungen sind gegen die eigene
indigene Bevölkerung überall, auch in den Nachbarländern.
Und dann gibt’s die Machenschaften von ausländischen, also von
Hilfsorganisationen, internationalen, die eben auch in Wirklichkeit wirtschaftliche und
politische Interessen verfolgen und unter dem Deckmäntelchen Entwicklungshilfe nur
Türöffner sind.
Natalie Putsche:
Sie haben gekämpft, Sie kämpfen fortwährend und ecken damit eben an. Sie sollen
sogar schon mal entführt worden sein.
Mascha Kauka:
Ja, zweimal. Aber da spreche ich nicht gerne drüber, weil also einmal war’s eine
Holzgesellschaft und einmal war’s eine Hilfsorganisation.
Aber ich erkläre das nicht gerne, weil die heute noch in Ecuador arbeiten und wichtig
sind. Und wenn ich das ausführlich erklären würde, würde ich mich und meine Arbeit
gefährden.
Natalie Putsche:
Wo nehmen Sie diese Power her, diese Stärke, wenn man zweimal entführt worden
ist, ich meine, das muss doch irgendwas mit einem machen? Aber Sie stehen wieder
auf und machen weiter.
Mascha Kauka:
Es ist ja gut ausgegangen.
Ja, und gerade extra nicht. Sie haben uns auch schon mal alles abgebrannt, da
haben wir gebaut und gebaut und gebaut und dann haben sie uns alles abgebrannt.
Und ich war da, sie haben es abgebrannt, gerade extra damit ich dabei bin und dann
hinterher sage: nee, also jetzt reicht’s und ich gehe. Sie wollten uns rausekeln.
Aber wir haben Feuer gelöscht, saßen da, ich war im rosa, ich werde nie vergessen,
im rosa Pyjama, weil das in der Nacht ausgebrochen ist, das Feuer, und ich war
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patschnass vom Wasser und schmutzig und alles. Und dann saßen wir da bis in der
Frühe und haben aufgepasst, dass die glimmenden Balken und das alles nicht dann
sich noch mal entfacht. Und dann haben wir an demselben Morgen, wie wir da
saßen, beschlossen: jetzt wird wieder alles aufgebaut.
Natalie Putsche:
Auf den Internetseiten Ihrer Stiftung „Amazonica“ lauter die Vision der Stiftung wie
folgt: „Die Indianervölker Amazoniens wollen mit ihrem Wald und ihren Traditionen
zeitgemäß leben, dazu müssen sie ihrer Jugend eine Zukunft im Wald bieten.
Amazonica entwickelte mit Mustergemeinden der Ashuar, Shuar und Kichwa
Ecuadors ein Modell für zeitgemäßes Leben und Arbeiten im Wald.“
Können Sie einfach versuchen mir so ein bisschen zumindest ein Bild von all diesen
Projekten zu vermitteln?
Mascha Kauka:
Also wir haben natürlich absolut nicht vor da drin irgendwas einzurichten, was man
hier am Straßenrand überall finden kann. Gerade weil unser übergeordnetes Ziel,
über all dem, was Sie gerade vorgelesen haben ist für uns der Naturschutz, der
Schutz des Regenwaldes. Wir wollen den tropischen Regenwald für die Menschheit
erhalten. Und deshalb arbeiten wir mit den Völkern, denen dieser Regenwald gehört,
denn sie haben den ja mit Landtitel.
Aber – jetzt kommt das große Aber – man kann komplett vergessen, dass es heute
noch indigene Völker gibt, die paradiesisch wie eh und je leben, die gibt es nicht
mehr. Sie können nicht mehr wie früher leben, und die meisten sitzen zwischen zwei
Stühlen und haben so eine „no future“-Haltung oder rennen raus in die Stadt und
kommen dann dort im Slum, kommen unter die Räder. Und die sind also in einer
ganz schlimmen Situation und waren auch schon in dieser traurigen Situation als ich
sie kennenlernte.
Man kann nur nach vorne, erstens, aber natürlich nicht blindlinks und nicht zu
schnell, sondern wir sagen immer, wir müssen ihnen heutzutage helfen sich
zeitgemäß anzupassen, ohne dabei zu großen Schaden zu nehmen. Und zeitgemäß
anpassen heißt Bildung, sonst geht gar nichts. Sie müssen das aus der Zivilisation
picken, gibt’s ja auch positive Dinge, was für sie im Wald nützlich ist, um besser
leben zu können, also alles, erneuerbare Energien, und dann, ja, Wissen natürlich in
vielen Bereichen. Wir machen auch in kleinem Rahmen Landwirtschaft,
Kleintierhaltung, damit der Wald nicht überjagt wird. Und man muss ihnen dadurch,
dass sie zusammenleben, Hygiene beibringen, unbedingt, und dann natürlich der
medizinische Bereich, damit auch die anderen Projektbereiche weitergehen können.
Denn wenn die krank sind, dann bricht einfach alles zusammen.
Wir haben das erlebt bei der Malaria, wir hatten eine extreme Malaria-Epidemie, der
Staat wollte nichts machen, eigentlich wäre der Staat ja da zuständig gewesen. Aber
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weit weg im Wald drin, da geht keiner gerne rein, und es ihnen auch wurscht, wenn
da ein paar Indianer sterben.
Und dann im Endeffekt haben wir gesagt: gut, dann müssen wir es selber machen.
Und dann haben wir Sanitäts-Stationen gebaut, 112 Dörfer, bauten wir 12 SanitätsStationen, die strategisch so lagen, dass man aus jedem Dorf innerhalb eines Tages
an die Sanitäts-Station kommen kann, zu Fuß oder mit dem Kanu.
Und dann haben wir in sämtlichen 112 Dörfern Malaria-Helfer ausgebildet, die
wussten wie man den Blutstropfen nimmt, die hatten Objektträger, Blutstropfen
nehmen und dann sind die mit dem Blutstropfen von dem Patienten mit Verdacht auf
Malaria dann mit dem Kanu oder zu Fuß in die Sanitäts-Station gefetzt, dort saßen
unsere Laboranten, unsere frisch ausgebildeten, mit dem Mikroskop, haben sich das
angeschaut, haben festgestellt was es ist, haben die Medikamente dem Helfer
gegeben und der fetzte wieder heim und wusste wie er seine Patienten zu behandeln
hat.
Das haben wir exerziert, drei Jahre lang, und die Region ist bis heute Malariafrei.
Sie haben alle noch ihre Medizinmänner, also die Naturheilweisen, jetzt gar nicht im
Sinn von mords Schamane und Hokuspokus, sondern es sind ja wirklich Leute, wie
bei uns früher die Kräuterweiber, die einfach wissen, wozu welche Wurzel und
welches Kraut gut ist, und das sehr geschickt auch anwenden. Also ich lasse mich
zunächst immer von denen behandeln, wenn was ist. Und das muss erhalten
werden. Also alles, was traditionell heutzutage noch funktionieren kann, wird erhalten
und alles andere müssen wir von draußen uns holen und ihnen dann aber zeigen,
nicht einfach hinstellen, sondern wir müssen es mit ihnen praktizieren, wir müssen
ihnen erklären warum’s gut ist, wie es funktioniert, wie man’s pflegt, wie man’s erhält,
denn sie sind überhaupt nicht gewöhnt, ja, was zu erhalten, was zu pflegen, das
mussten sie ja niemals. Alles was sie zum Leben brauchen hat ihnen der Wald
gegeben.
Natalie Putsche:
In der Fortfolge dieses „wir müssen ihnen das und das zeigen“, um auch Erhalt der
Natur dort zu gewährleisten, haben Sie auch die weltweit einzige Urwald-Akademie
gegründet. Es gibt, glaube ich, zwei Niederlassungen.
Mascha Kauka:
Zwei Niederlassungen.
Natalie Putsche:
Worin können sich denn die Indigenen dort ausbilden lassen? Wie muss ich mir das
vorstellen?
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Mascha Kauka:
Also zunächst mal haben wir gesagt, wir suchen uns Orte, zentrale Orte,
idealerweise an einer Mustergemeinde, weil ja da schon alles geschaffen wurde, da
kann man sich’s anschauen, wie die Landwirtschaft geht, wie Solarenergie
funktioniert und wie eine Krankenstation ausschaut und das Klohäusel und weiß ich
was alles.
Also das war also ideal an den Mustergemeinden. Und da haben wir gesagt, die
Modellgemeinden, die sich am beispielhaftesten entwickelt haben, werden Sitz der
Akademie, um andere Indianer auszubilden. Das war der Ursprung, denn wir
brauchen ja Lehrer, wir brauchen Elektriker, wir brauchen auch moderne Berufe, für
den Wald, und vor allen Dingen auch, politisch ist übertrieben, aber sagen wir mal
indigenen Führungskräften. Weil wir haben gesagt, es hilft ja nichts, dass die Basis
was lernt und dann ist da oben irgendein Dummkopf, hat das Sagen, der es noch
nicht mal kapiert um was es geht. Also wir müssen auch gerade den zukünftigen
indigenen Führungskräften klarmachen, wie der neue Weg ist und wie sie überleben
können, mit ihrem Volk.
Und da haben wir dann zusammen mit der Universität Cuenca, das ist unsere, in
Ecuador die Universität, staatliche Universität Cuenca, die mit uns ein
Kooperationsvertrag hat und die schickt uns auch Dozenten in den Wald.
Und dann kam der nächste Schritt, das ist jetzt der wesentliche und der interessante
für hier, für Deutschland und alle anderen, dass wir gesagt haben: okay, Indianer
ausbilden ist eins, aber der Wald wird ja eigentlich, immer wieder die Idee den Wald
erhalten, der Wald wird ja eigentlich von außen und durch die Industrienationen
kaputt gemacht, also wir müssen die Jugend der Welt, die junge Intelligenz
ansprechen, damit sie kapiert warum das nicht kaputt gemacht werden darf, ums mal
sehr simpel auszudrücken.
Und das sind normal die Studenten, die heutzutage an den Hochschulen und
Universitäten sitzen.
Vor allen Dingen kommen eben viele Dozenten mit ihren Semestern, die gerade den
Bachelor oder Master oder Doktor machen müssen, kommen zu uns in den Wald, um
dort zu forschen.
Natalie Putsche:
Durch die Ausbildung entstehen ja für die Indigenen dann auch
Arbeitsplatzmöglichkeiten, dadurch natürlich Einkommen, dadurch natürlich auch
das, wohin Sie wollen mit den indianischen Gemeinden, nämlich die Möglichkeit
selbstbestimmt zu leben. Was würde denn passieren, wenn plötzlich jede
Entwicklung, jedes Projekt, das von außen momentan einwirkt, gestoppt würde und
die Menschen dort wieder komplett auf sich gestellt wären?
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Mascha Kauka:
Das ist eine gute Frage. Da kommt es drauf an wieweit die inzwischen in der
Entwicklung sind.
Ich würde mich trauen zu sagen, dass in 70 Prozent der Fälle, wo wir geholfen
haben, jetzt nicht nur im Amazonasgebiet, sondern insgesamt, können sie es
inzwischen auch alleine.
Wenn man mal mindestens 15 Jahre gearbeitet hat, dann haben sie Chancen, dass,
auch wenn wir gehen, dass sie es dann mehr oder weniger alleine weitermachen
können.
Natalie Putsche:
Sie haben mit den Indianern viel, viel, viel Zeit verbracht, die Indianer haben mit
Ihnen viel, viel Zeit verbracht. Wie hat das, dieser Umgang mit den Menschen dort,
Ihr Leben verändert?
Mascha Kauka:
Ja, das macht was mit einem.
Das macht eine Menge mit einem. Also erstens Mal hat’s mit einem gemacht, dass
ich es ja auch zu keinem Zeitpunkt aufgeben wollte. Das ist ja schon eine klare
Aussage. Also ich fühle mich schon ein bisschen als ein Teil von ihnen. Ich würde
niemals auswandern, ich würde niemals so wie die Aussteiger, die sagen: da gehe
ich jetzt ganz hin. Aus vielen Gründen.
Man bleibt dort, weil man Freunde nicht im Stich lässt, auch wenn’s mal ganz dumm
ausschaut. Und man muss wissen, das war meinem Mann und mir ja auch absolut
bewusst von Anfang an, wenn wir’s angehen, dann müssen wir’s auch durchhalten
können. Sie nicht nur nicht im Stich lassen, wenn’s ihnen schlecht geht, sondern
eben auch das Knowhow nutzen. Ich meine, jeder Unternehmer, wenn er was kann
„ja, dann mach das doch“, weil’s ihm und allen anderen nützlich ist, zum Vorteil ist.
Und genauso ist es da, ich habe so wahnsinnig viel Knowhow und zwar Learning by
doing, ich hab das ja nirgendwo studiert oder gelernt, ich hab’s wirklich aus der
Praxis für die Praxis.
Natalie Putsche:
Sie sind jetzt 71, sehen viel jugendlicher aus und trotzdem, ich vermute mal, auch
Ihnen tut hier und da mal irgendein Knochen weh. Haben Sie jemals schon mal an
Zurücklehnen gedacht, an so was wie eine normale Rente genießen und alles im
herkömmlichen Sinne laufen lassen?
Mascha Kauka:
Also da würde ich mich vorher erschießen lassen.
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Natalie Putsche:
Geht nicht, kommt in infrage?
Mascha Kauka:
Nein, also erstens habe ich, Gott sei Dank, muss man Holz anfassen, habe ich relativ
wenig Zipperlein, ich hatte mal einen Bandscheibenvorfall, aber der ist kuriert
worden. Und bin auch noch recht beweglich, das kommt natürlich alles durch den
Wald, auch dass ich noch nicht so ganz alt ausschaue, kommt auch durch den Wald,
durch die Feuchtigkeit. Ich glaube einfach, wenn man 4, 5 Monate im Jahr bei dieser
hohen Luftfeuchtigkeit rennt und tut und macht, und ich marschiere ja tagelang da
durch den Schlamm und was weiß ich was alles, da ist man erstens fit, man ist
beweglich, und das Regenwasser und die Waldluft und die Feuchtigkeit, das päppelt
einen auf, das ist wie Spa, wie Schönheitsfarm.
Natalie Putsche:
Das sind schon so viele erreichte Ziel und Projekte. Gibt es in der Arbeit und in der
Zusammenarbeit mit den Indianern noch nahe oder auch entfernte Ziele, die Sie
noch erreichen wollen?
Mascha Kauka:
Ja, ich möchte, dass das Ganze flächendeckender wird.
Wir haben ja immer das mit den Modellen, Prototypen gehabt und so weiter, jetzt
haben wir diese zwei Akademie-Standorte, zu denen gehört natürlich ein
Einzugsbereich von unendlichen vielen Dörfern, die da auch mitmachen. Aber ich
möchte natürlich, dass das, ja, dass möglichst viele andere indigene Völker, andere
Dörfer, andere Gegenden in den Genuss von diesem Knowhow und diesen
Errungenschaften kommen.
Überhaupt auch mit der Bedrohung, es ist ja eine Diktatur geworden, Ecuador ist
eine absolute Diktatur, keine Gewaltenteilung mehr gar nichts, durch diese
Einflussnahme, die berühmte divide et impera -Strategie, um die Völker zu
entzweien, in Unruhe zu versetzen, um sie dann manipulieren zu können.
Es ist im Augenblick kein gesunder Boden, um so was mit Hoffnung auf Erfolg
verbreiten zu können.
Also ich wünsche mir, dass ich noch das Leben habe, um diese Regierung zu
überleben und dann auch noch wieder erleben kann, dass ein bisschen ruhigere
Verhältnisse einziehen und man dann mit den jungen, gut ausgebildeten Indianern,
die es ja Gott sei Dank jetzt gibt, dass die dann in der Lage sind das fortzuführen
und, ja, weiterzugeben, irgendwann mal auch ohne mich.
Natalie Putsche:
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Frau Kauka, vielen Dank für das Gespräch.
Mascha Kauka:
Ich danke Ihnen vielmals.
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