SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde „Sehr brillant, angenehm in die Ohren“ Mozarts Klavierkonzerte (5) Von Christian Schruff Sendung: Freitag, 16. September 2016 Redaktion: Ulla Zierau 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2 2 „Musikstunde“ mit Christian Schruff „Sehr brillant, angenehm in die Ohren“ Mozarts Klavierkonzerte (5) SWR 2, 12. September – 16. September 2016, 9h05 – 10h00 Mit Christian Schruff. „Sehr brillant, angenehm in die Ohren“. Mozarts Klavierkonzerte Willkommen zu Folge 5 mit den letzten Wiener Konzerten. Titelmusik Auf den Klavierkonzert-Rausch ins Mozarts Leben, auf die Zeit, in der ein Erfolg den anderen jagte, folgte der Klavierkonzert-Kater. Auf einmal wollten die Wiener keine Klavierkonzerte von Mozart mehr hören. Doch Mozarts Kampf um die Wiedergewinnung der Gunst seines Publikums ließ die reifsten Konzerte überhaupt gedeihen. Um diese sieben Konzerte wird es heute gehen. Wobei ich eins / zwei davon nicht spielen werde, um genug Zeit für die übrigen zu haben. Mozart hat sich beim Komponieren um vieles gekümmert, aber nicht um radiokonforme Laufzeiten seiner Sätze ... Der Klavierkonzert-Rausch war für Mozart auch ein Mittel, mit einer Krise umzugehen, mit der Opernkrise. Nach der „Entführung aus dem Serail“ gab es nämlich keine neuen Projekte. Mozart hat gar keine Vokalwerke mehr geschrieben. Das änderte sich 1785 mit der Arbeit am Figaro. Premiere war am 1. Mai 1786 im Wiener Burgtheater. Musik 1 CD 1 / Track 1 Wolfgang Amadeus Mozart Le nozze di Figaro Ouvertüre Concerto Köln René Jacobs HARMONIA MUNDI, HMC801818.20, EAN79488173576, LC07045 Absage 4:11 3 Während Mozart am Figaro schrieb, komponierte er auch das Klavierkonzert Nr. 22 Es-Dur. Ein Dreivierteljahr war vergangen seit dem letzten Klavierkonzert, nach der Klavierkonzert-Hochphase mit acht Konzerten innerhalb von dreizehn Monaten. Das Es-Dur-Konzert markiert einen Neuanfang. Und den kann man sofort hören im Orchesterklang. Mozart verlangt zum ersten Mal Klarinetten. Die hatte er in Mannheim kennen gelernt und sofort ihre sanglichen Qualitäten geliebt. Und Mozart setzt die Hörner auf einmal melodisch ein. Bislang waren die immer nur Klangfarbe gewesen. Das Es-Dur-Konzert ist groß besetzt – auch Trompeten und Pauken sind dabei. Es ist das bislang längste seiner Klavierkonzerte. Hier zunächst die Orchester-Eröffnung. *Musik 2 CD Track 5 bis // 2:22 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 22 Es-Dur KV 482 1. Allegro Kristian Bezuidenhout, Hammerflügel Freiburger Barockorchester Petra Müllejans HARMONIA MUNDI, HMC 902147, EAN 3149020214725, LC07045 Hier würde das Solo-Klavier einsetzen. Den Solisten dieser Aufnahme, Kristian Bezeuidenhout, werden Sie gleich im 2. Satz hören. Das war die OrchesterExposition. Die Außensätze des Es-Dur-Konzerts hat Mozart sehr effektvoll und brillant angelegt. Dem vollen Orchester tritt der Solist mit virtuosen Läufen gegenüber, führt aber auch einen feinen, geradezu kammermusikalischen Dialog mit den Holzbläsern. Mozart hat dieses Konzert zum ersten Mal im Wiener Burgtheater gespielt, undzwar kurz vor Weihnachten. Mozart war, um es in heutiger Konzertsprache zu sagen, der Sidekick in einer großen Oratorien-Aufführung seines Kollegen Carl Ditters von Dittersdorf. Dessen Oratorium „Esther“ war das Hauptwerk des Abends, Mozart nur der Zwischenakt in dieser Aufführung der Wiener TonkünstlerSozietät. Im Januar des neuen Jahres, 1786, spielte Mozart das Konzert dann noch einmal in einer eigenen Akademie. Leopold Mozart schreibt darüber, dass das Publikum sehr überraschend auf dieses Konzert reagierte: Wolfgang „schrieb mir das er in Eyle 3 Subscriptions Accademien gegeben von 120 Subscribenten“ – heute wir sagen Abonnenten. „daß er ein neues 4 Clavierkonzert ex Eb dazu gemacht, wo er (das etwas seltsames ist) das Andante repertieren musste.“ Ein langsamer Satz, den das Publikum sofort encore hören möchte, noch einmal als Zugabe. Das ist in der Tat ungewöhnlich. Dieser Satz steht in c-Moll und seine düstere Melodik kann diesen Wunsch nicht provoziert haben. Wohl aber die neuen, unerhörten Harmonien und Klangfarben der Holzbläser in diesem Andante! Musik 3 CD Track 6 frei ab 4:39 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 22 Es-Dur KV 482 2. Andante Kristian Bezuidenhout, Hammerflügel Freiburger Barockorchester Petra Müllejans 3:32 Absage Drei Klavierkonzerte mit Klarinetten im Orchester hat Mozart komponiert. Auch das nächste, das ungemein populäre A-Dur-Konzert KV 488 verlangt 2 Klarinetten, kommt aber ohne Trompeten und Pauken aus. Es ist das einzige Klavierkonzert Mozarts mit einem ausdrücklich langsamen Mittelsatz: hier hat er tatsächlich Adagio geschrieben. Dass Mozart auf dem Klavier die Langsamkeit gemieden hat, dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass Töne auf einem Hammerflügel nicht sehr lange nachklingen. Durch seine fließende Bewegung wirkt das Adagio im A-Dur-Konzert am Ende doch gar nicht so langsam. Ein kantabler Satz, dem man die Nähe zur Opernarie anhört. Diese Nähe ist noch deutlicher im Schlusssatz des A-Dur-Konzerts. Das kommt wirklich wie eine Buffo-Szene aus dem Figaro daher. Hier musiziert von einer bedeutenden Mozart-Pianistin: Mitsuko Uchida. Musik 4 CD Track 6 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur KV 488 3. Allegro assai Mitsuko Uchida, Klavier & Leitung The Cleveland Orchestra DECCA, 478 1524, EAN02894781524, LC00171 8:18 5 Absage Das A-Dur-Konzert hat Mozart am 2. März 1786 vollendet. Bis zur „Figaro“-Premiere waren es noch zwei Monate. Keine drei Wochen nach dem A-Dur-Konzert hat Mozart aber noch ein drittes Klavierkonzert vollendet: das c-Moll-Konzert. Größer könnte der Gegensatz gar nicht sein als zwischen diesen beiden Nachbarwerken. Während in der Handschrift des A-Dur-Konzerts kaum Spuren von Korrekturen zu finden sind, zeigt das c-Moll-Konzert, dass Mozart geradezu fieberhaft daran gearbeitet hat! Offenbar hat er zuerst die Orchesterpassagen komponiert. Das Orchester im c-Moll-Konzert ist das größte, das Mozart je in einem Klavierkonzert verlangt: Zu den Streichern kommen 1 Flöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten und Pauken. Als Mozart anschließend die Solo-Passagen notierte, die natürlich aus vielen kleinen und schnellen Noten bestehen, hatte er Probleme, sie in den freien Raum zwischen den Orchesterabschnitten zu quetschen... Mozart war zu keiner Zeit produktiver als in den Monaten, in denen er am „Figaro“ komponierte. Aber nicht nur für Mozart waren das aufgewühlte Zeiten, auch für Wien insgesamt. Der Musikwissenschaftler Volkmar Braunbehrens schreibt in seinem Aufsatz „Mozart komponiert“: „Die Figaro-Zeit ist eine Zeit der Gärung, die zugleich ein Kulminationspunkt der josephinischen Politik just zur Halbzeit der Alleinregierung von Joseph II. darstellt.“ Wir kennen diesen Joseph allgemein als Reformer, als Neuerer. Doch in jenen März-Wochen 1786 zeigte er ein ganz anderes Gesicht. Der aufgeklärte Monarch ließ an dem Mörder Franz Zaglauer von Zahlheim ein Urteil vollstrecken, das in seiner Härte und Brutalität mittelalterlich wirken muss. Am 10. März wurde Zaglauer öffentlich hingerichtet. In drei Stufen an drei verschiedenen Stätten in Wien ließ Joseph diese Hinrichtung vollziehen. Erst wurde dem Verurteilten auf dem Marktplatz mit glühenden Zangen in die rechte Brust gezwickt, dann auf der Freyung in die linke Brust. Am eigentlichen Richtplatz wurde er dann vor 30.000 Zuschauern gerädert. All das passierte in Hör-, Sicht- und Laufweite von Mozarts Wohnung. 14 Tage später hatte Mozart sein c-Moll-Konzert vollendet und spielte es Anfang April im Burgtheater. Es gibt keinen Beleg dafür, dass Mozart mit diesem Konzert auf den barbarischen Akt der Hinrichtung reagiert hat. Volkmar Braunbehrens sieht aber einen deutlichen Zusammenhang und wertet dieses trotzige, herbe Konzert in der bei Mozart seltenen Tonart c-Moll als eine deutliche Aussage Mozarts an sein Publikum. 6 „Hier hielt jemand eine Rede, die jeden durch ihren unerbittlichen Anspruch, einen schnörkellosen Ernst und ihre kompromisslose Härte zum Verstummen brachte.“ Musik 5 CD 2 / Track 6 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 24 c-Moll KV 491 1. Allegro Clifford Curzon, Klavier London Symphony Orchestra Isztván Kertész AD:12/1967 DECCA, 468 491-2, EAN02894684912, LC00171 13:16 Absage Nach diesem c-Moll-Konzert hat Mozart eines in C-Dur komponiert – im Dezember 1786. Dann reißt die Phase der Klavierkonzerte einen erstes Mal ab. Im Februar 1788, nach der Premiere des „Don Giovanni“, versuchte Mozart wieder, an alte Erfolge anzuknüpfen mit dem D-Dur-Konzert Nr. 26. Doch es gelanf ihm nicht. Er schrieb Konzerte zur Subskription aus, doch außer Baron von Swieten zeigte niemand Interesse. Mozart versuchte sein Glück in Dresden und Berlin, wo er sein virtuos-effektvolles D-Dur-Konzert spielte. Das erfuhr seine eigentliche Bestimmung dann aber erst in Frankfurt am Main. Dort führte Mozart sein „Krönungskonzert“ im Umfeld der feierlichen Krönung des neuen Kaisers auf. Nach diesem Konzert ist die Geschichte des Klavierkonzerts bei Mozart eigentlich zu Ende. Drei Jahre passierte auf diesem Feld nichts mehr. Aus Gründen, die nicht erkennbar sind, hat sich das Wiener Publikum vom Klaviervirtuosen Mozart abgewandt. Mozarts letztes Lebensjahr bricht an. Keine leichte Zeit, doch Mozart ist weit davon entfernt zu verzweifeln. Er sehnt bessere Zeiten herbei! „Sehnsucht nach dem Frühling“ heißt das Lied, das er im Winter 1791 komponiert hat. Musik 6 CD Track 18 „Sehnsucht nach dem Frühling“ KV 596 Barbara Bonney, Sopran Geoffrey Parsons, Klavier ELATUS, 0927467382, EAN 0809274673824 (2:12) 7 Absage Dieses Lied wird das Thema der Variationen im letzten Klavierkonzert-Finale von Wolfgang Amadeus Mozart. Das B-Dur-Konzert KV 595 schätzen viele Kommentatoren als das reifste und schönste ein. Mozart spielte es am 4. März 1791. Sein letzter Auftritt als Klaviersolist. Mit diesem Finale möchte ich diese SWR2 Musikstunde beschließen. Die Arbeit daran hat mich staunen lassen vor einem übergroßen schöpferischen Werk, das immer noch neue Fragen aufwirft und immer noch neu gelesen und interpretiert werden kann. Die Auswahl zu treffen aus einer Überfülle bedeutender Aufnahmen, war nicht einfach, vor allem die Entscheidung, welche Interpreten nicht vorkommen würden... Viele große Mozart-Pianisten haben wir gehört. Der letzte der jetzt noch erklingen soll, würde im kommenden Monat 100 Jahre alt: Es ist die russische Klavierlegende Emil Gilels. Musik 7 CD Track 3 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 27 B-Dur KV 595 3. Allegro Emil Gilels, Klavier Wiener Philharmoniker Karl Böhm DG, 463 652-2, EAN02894636522, LC00173 9:27 Absage „Sehr brillant, angenehm in die Ohren“. Mozarts Klavierkonzerte. Das war der fünfte und letzte Teil dieser SWR2 Musikstunde mit Christian Schruff. Im Internet können Sie jede Folge eine Woche lang nachhören. Wenn Sie Musiktitel genauer recherchieren möchten oder das Manuskript der Musikstunde nachlesen, dann besuchen Sie doch unsere Internetseiten unter swr2.de/Musikstunde. Und falls Sie an einem CD-Mitschnitt einer der Musikstunden interessiert sind, wenden Sie sich bitte telefonisch an die SWR Media GmbH unter der ServiceNummer: 07221/929-26030. Ich danke fürs Zuhören und wünsche Ihnen noch einen guten Tag.
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