Die Briten und die EU Apple und der doppelte Ire Nach dem Brexit-Votum wird um die zukünftige Strategie gerungen. Seite 2 Ganz schön knackig – die Steuertricks von Technologiekonzernen. Seite 3 Harting und die Hacker Robert Harting wird des Dopings bezichtigt. Die Ankläger liefern mit ihren Dokumenten aber auch gleich seine Entlastung mit. Seite 18 Foto: 123rf/mblach Freitag, 16. September 2016 STANDPUNKT Kulturkampf Jürgen Amendt über den OECD-Bildungsbericht Einmal im Jahr veröffentlicht die OECD ihren Bildungsbericht. Einmal im Jahr klopfen sich Regierungspolitiker in Deutschland gegenseitig auf die Schultern, weil der Bericht – wie jedes Jahr – das hierzulande im Vergleich zu anderen Industriestaaten gut funktionierende berufliche Bildungssystem lobt. Wie jedes Jahr kritisieren Opposition und Bildungsverbände – wie immer zu recht! –, die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft in Deutschland und verweisen zur Begründung auf den im Vergleich geringen Anteil der staatlichen Bildungsausgaben am Bruttosozialprodukt. Jenseits dieser erwartbaren Inhalte (und Reaktionen) enthält der diesjährige Bericht aber auch Ergebnisse, die auf zukünftige Konflikte hinweisen. So hält der Trend zu höheren Bildungsabschlüssen an; immer mehr Berufsabschlüsse werden im Hochschulsystem erworben. Seit 2009 ist die Zahl der Studenten höher als die der Auszubildenden des Dualen Berufsbildungssystems. Damit wachsen aber auch die Spannungen zwischen den Generationen und den Berufsgruppen. Während die Absolventen des akademisierten Berufsbildungssystems in der Sprache der OECD »zukunftsfähig« sind, fühlen sich Angehörige der »klassischen« Ausbildungsberufe zunehmend aus der Mehrheitsgesellschaft verdrängt. Die Folgen kann man u.a. am Wahlverhalten ablesen: Es sind Kleinunternehmer, Facharbeiter, mittlere Angestellte ohne Abitur, die das Gros der AfDWähler stellen. Diese fühlen sich nicht wirtschaftlich an die Seite gedrängt, sondern kulturell. UNTEN LINKS Jetzt geht es ans Eingemachte. Die Krise ist bei den Deutschen angekommen. Die wahre Krise. Klimakrise, Wirtschaftskrise, Sicherheitskrise und nicht zuletzt Medienkrise in einem. Außenwie innenpolitisch verheerend, EU, Bund und Länder betreffend. Es ist so richtig spürbar. Unmittelbar. Es zwickt wie Salz auf der Haut. Selbst Trump, die AfD und andere hartgesottene Klimawandelskeptiker können nicht mehr mehr leugnen, dass man nun buchstäblich auf dem Trockenen sitzt. Es rächt sich bitterlich, dass Schäuble und Co. die europäischen Nachbarn vollständig ausgewrungen, ausgesaugt und ausgezuzelt haben. Der letzte Ort, an dem sich der Deutsche noch sicher, wohlig warm und dennoch frisch fühlen konnte, ohne zu Hause zu sein, ist nicht mehr, und die Medien berichten darüber, als wäre ein Sack Reis in China umgefallen. Tatsächlich ist das 17. Bundesland am Ende: Auf Mallorca wurden wegen Wasserknappheit die Strandduschen abgestellt. rst ISSN 0323-3375 71. Jahrgang/Nr. 218 Bundesausgabe 1,70 € www.neues-deutschland.de Foto: dpa/Michael Kappeler Bautzen, 02625 Kaltland Protest gegen Hollandes Reform Neonazis machen Jagd auf Geflüchtete / Polizei beschuldigt Asylbewerber Paris: Streiks und heftige Krawalle Paris. In Frankreich haben Gewerkschaften und Studierende erneut gegen die bereits beschlossene Arbeitsmarktreform von Staatschef François Hollande protestiert. Bei Demonstrationen gingen am Donnerstag in zahlreichen Städten Zehntausende Menschen auf die Straße. Allein in Paris demonstrierten nach Gewerkschaftsangaben 40 000 Menschen, die Polizei sprach von 13 500 Teilnehmern. Es kam zu teils heftigen Straßenschlachten. Im öffentlichen Sektor, bei der Post und bei der Fluggesellschaft Air France wurde gestreikt. Die umstrittene Reform, die unter anderem die 35-Stunden-Woche und den Kündigungsschutz lockert, war im Sommer nach monatelangen erbitterten Protesten von der sozialdemokratischen Regierung verabschiedet worden. Die Gewerkschaften sowie Politiker des linken Flügels der Sozialdemokraten kritisieren sie als Instrument für Sozialdumping. Die Gewerkschaft »Force Ouvrière« kündigte an, es werde keine weiteren Protesttage geben, sondern man wolle die Umsetzung des Gesetzes auf Unternehmensebene und mit juristischen Mitteln bekämpfen. nd Ukrainische Waffenruhe hält Vorerst auf sieben Tage befristet Aufgeheizte Stimmung seit Tagen auf dem Kornmarkt in Bautzen Berlin. Dresden, Freital, Heidenau, Clausnitz und nun erneut Bautzen: In der sächsischen Kreisstadt hat in der Nacht zum Donnerstag eine Gruppe von etwa 80 Rechtsradikalen Jagd auf rund 20 Geflüchtete gemacht. Dem rassistischen Treiben voraus ging ein Streit zwischen beiden Gruppen auf einem Platz im Stadtzentrum. Aus Sicht der Polizei hätten die minderjährigen Asylsuchenden den Konflikt begonnen und die Rechten mit Flaschen und Steinen beworfen. Augenzeugen berichteten, dass diese rassistische Parolen wie »der Kornmarkt gehört den Deutschen« skandiert hätten. Als die Polizei auf dem Kornmarkt eintraf, Foto: dpa/Christian Essler wurden beide Gruppen getrennt. Auf dem Rückweg in ihre Unterkunft wurden die Geflüchteten von den Rechten verfolgt. Um weitere Übergriffe durch die Neonazis zu verhindern, riegelten Beamte das Heim ab. Ein Rettungswagenteam, das einen verletzten 18-jährigen Marokkaner versorgen wollte, wurde zunächst von einigen Rechtsradikalen an der Anfahrt gehindert und mit Steinen beworfen. Er gelangte schließlich unter Polizeischutz in die Unterkunft. Für die etwa 30 minderjährigen Asylbewerber gelten fortan ein Alkoholverbot und eine Ausgangssperre ab 19 Uhr, teilte der Landkreis Bautzen mit. »Dass gestern Abend so schnell so viele Neonazis zusammenkommen konnten, legt den Verdacht nahe, dass dieser rassistische Angriff gezielt geplant war«, erklärte die Bautzener Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Caren Lay. Das Problem mit rechter Gewalt bestehe aber seit Jahren. Die »Pogromstimmung« in Bautzen müsse beendet werden. Tatsächlich gibt es Hinweise, die Hetzjagd könnte gezielt gewesen sein. Seit einer Woche kommt es in Bautzen jeden Abend zu Aufmärschen der rechten Szene. Auch für Donnerstagabend hatten mehrere rassistische Gruppen eine Kundgebung angekündigt. rdm Seite 5 Terrorabwehr im Innern geht ohne Militär Klare Pro-Grundgesetz-Ansage aus dem Bundesinnenministerium – und dann doch ein Dementi Seit dem Juli-Amoklauf von München gibt es verstärkt Versuche, Militär zur Terrorabwehr im Innern einzusetzen. Das aber ist sogar aus Regierungssicht unnötig. Oder doch nicht? Von René Heilig Weißbuch zur Sicherheitspolitik hin, Zukunft der Bundeswehr her – im Innern hat die Bundeswehr keine Funktion bei der Terrorabwehr. So lautet die Botschaft einer grundrechtskonformen Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsgrünen. Doch kaum hatte die am Donnerstag auch »nd« erreicht, schien das Amt von Thomas de Maizière (CDU) an Bewusstseinsspaltung zu leiden. Ein Sprecher betonte, es gebe sehr wohl Szenarien, in denen eine Beteiligung der Streitkräfte sinnvoll sei. Dabei ist die Logik der schriftlichen Antwort klar und nachvollziehbar. Gefragt wird beispielsweise, was geschieht, wenn Terroristen wie in Paris mit Kalaschnikows, also mit militärischen Waffen, angreifen? Antwort: Man habe »unter Berücksichtigung der Erfahrung von Terrorlagen im europäischen Ausland« festgestellt, dass die Polizei samt ihren Sondereinheiten selbst für »mögliche Anschläge mit Kriegswaffen« durch Terroristen »angemessen ausgestattet« seien. Nachdem »jemand« – der oder die Betreffende ist auch in der aktuellen Antwort nicht benannt – am 22. Juni »rein vorsorglich« Feldjäger gegen den Amokläufer von München bereitstellte, zeigte sich, dass die auch nur über »geschützte und ungeschützte Fahrzeuge, Sprengstoffspürhunde und Absperrmaterial« verfügten. Über welche Ausbildung und Fähigkeiten – außerhalb des Bereichs der Luft- und Seesicherheit – verfügen denn Soldaten, die die Polizeien der Länder und des Bundes oder zivile Hilfsorganisatio- nen nicht haben? Da wird es mystisch: Man habe aufgrund des Auftrages der Bundeswehr »so genannte Unikat-Fähigkeiten, die bei zivilen Stellen nicht oder unvollständig zur Verfügung stehen«. Kurzum, das Militär hat mehr Hubschrauber oder Räumgerät. In der Antwort wird ausdrücklich auf einen Beschluss der Innenministerkonferenz vom Juni 2011 verwiesen. Der listet alle Fähigkeiten der Streitkräfte für den Einsatz im Inneren auf. Militär könne bei atomaren, biologischen und chemischen Attacken helfen, erfülle SAR-Rettungsmissionen, sei fähig zur Aufklärung »im Sinne von Erkundung« und besitze Pionier- sowie Sanitätsfähigkeiten. Dabei ist das Innenministerium erkennbar bemüht, Soldaten keine Funktion zuzubilligen, die hoheitliche Aufgaben berühren. Nicht einmal die Sperrung einer Straße wird angedeutet. Was Irene Mihalic, Innenexpertin der Grünen, auch nicht kritisiert. Sie wundert sich nur, dass Polizei und Bundeswehr dennoch gemeinsame Übungen abhalten wollen. Wodurch erklärt sich die unterschiedliche Darstellung aus einem Ministerium? Die Grünen fragten bereits Anfang August. Inzwischen wurden »Nägel mit Köpfen« gemacht. Eine Projektgruppe de Maizières bereitet gerade mit vier unionsgeführten Bundesländer gemeinsame Übungen vor. Im Februar geht es los. } Lesen Sie morgen im wochen-nd Willkommensklasse: Trauma und Rock’n’Roll Kriegsverbrecher: Wie das MfS Nazis jagte Newton gegen Leibniz: Wer hat’s erfunden? Kiew. Eine auch von Deutschland und Frankreich vermittelte Waffenruhe in der Ostukraine hat nach Angaben von OSZE-Beobachtern zunächst gehalten. Seit Mitternacht sei es ruhig, sagte OSZE-Missionschef Ertugrul Apakan am Donnerstag. Die Separatisten hatten die neue Waffenruhe angekündigt. Die Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault hatten am Mittwoch Kiew zur Zustimmung bewegt. Die Feuerpause ist zunächst auf sieben Tage befristet. Bei einem Besuch in der von Regierungseinheiten kontrollierten Stadt Kramatorsk forderten die Außenminister von Russland und der Ukraine Fortschritte beim Friedensprozess. Es war die erste gemeinsame Reise der beiden Politiker in das ostukrainische Krisengebiet. Der Internationale Währungsfonds (IWF) gab am gleichen Tage eine Hilfe in Höhe von einer Milliarde Dollar für die Ukraine frei, wie der IWF in Washington mitteilte. Russland sprach sich gegen die Auszahlung aus. Kiew sollte zunächst seine Schulden bei Moskau begleichen, hieß es. dpa/nd Seiten 4 und 7 Meister im Übergang OECD lobt deutsche Berufsbildung Berlin. In Deutschland gelingt jungen Menschen der Übergang von der Ausbildung in den Beruf besser als in den meisten anderen OECD-Ländern. Dies sei im internationalen Vergleich die »herausragendste Stärke des deutschen Bildungssystems«, sagte der Direktor für Bildung bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Andreas Schleicher, am Donnerstag in Berlin. Dort stellte er den OECD-Bericht 2016 zum Thema Bildung vor. Schleicher sagte, nur Island und die Niederlande hätten im vergangenen Jahr noch niedrigere Quoten beim Anteil junger Menschen im Alter von 20 bis 24 Jahren, die weder in Ausbildung noch erwerbstätig seien. Immer mehr Menschen strebten zudem einen höheren beruflichen und akademischen Abschluss an, sagte Schleicher. Der Anteil von jungen Erwachsenen mit einem sogenannten Tertiärabschluss (Hochschulabschluss) sei in Deutschland von 22 Prozent im Jahr 2005 auf 30 Prozent im Jahr 2015 gestiegen. Höhere Abschlüsse seien mit einem Gehaltsplus von bis zu 80 Prozent verbunden. Agenturen/nd
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