im Programmheft - Philharmonischer Chor München

STRAUSS
»Don Juan«
BERLIOZ
»Les Troyens«, V. Akt
STRAUSS
»Ein Heldenleben«
GERGIEV, Dirigent
MATOCHKINA, Sopran
KRAPIVINA, Mezzosopran
SEMISHKUR, Tenor
AKHMEDOV, Tenor
VOROBIEV, Bass
PHILHARMONISCHER
CHOR MÜNCHEN
Mittwoch
14_09_2016 20 Uhr
Donnerstag
15_09_2016 20 Uhr
Samstag
17_09_2016 19 Uhr
Die ersten Veröffentlichungen
unseres neuen MPHIL Labels
Valery Gergiev
dirigiert Bruckner 4
& Mahler 2 zusammen
mit den Münchner
Philharmonikern
mphil.de
RICHARD STRAUSS
»Don Juan«
Tondichtung (nach Nicolaus Lenau)
für großes Orchester op. 20
HECTOR BERLIOZ
»Les Troyens«
Grand Opéra en cinq actes
Konzertante Aufführung des V. Akts
RICHARD STRAUSS
»Ein Heldenleben«
Tondichtung für großes Orchester op. 40
VALERY GERGIEV, Dirigent
YULIA MATOCHKINA, Mezzosopran
YEKATERINA KRAPIVINA, Mezzosopran
SERGEJ SEMISHKUR, Tenor
EVGENY AKHMEDOV, Tenor
YURI VOROBIEV, Bass
PHILHARMONISCHER CHOR MÜNCHEN
Einstudierung: Andreas Herrmann
BIRGIT ROLLA, Mezzosopran | ANDREW LEPRI-MEYER, Tenor
MICHAEL MANTAJ, Bass | WERNER ROLLENMÜLLER, Bass | WOLFGANG KLOSE, Bass
Das Konzert am 14. September 2016 wird von Mezzo aufgezeichnet
und live auf dem Kanal Mezzo Live HD gesendet.
119. Spielzeit seit der Gründung 1893
VALERY GERGIEV, Chefdirigent
PAUL MÜLLER, Intendant
2
Anarchismus
in Tönen
STEPHAN KOHLER
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
RICHARD STRAUSS
(1864–1949)
»Don Juan«
Tondichtung (nach Nicolaus Lenau)
für großes Orchester op. 20
Geboren am 11. Juni 1864 in München; gestorben am 8. September 1949 in GarmischPartenkirchen.
ENTSTEHUNG
Das in Deutschland vor allem durch Mozarts »Don Giovanni« und Molières »Dom
Juan« verbreitete »Don Juan«-Thema beschäftigte den jungen Richard Strauss
während seiner Münchner und Weimarer
Kapellmeister-Zeit vor allem im Hinblick auf
eine opernhafte Behandlung des Stoffes.
Während er für seine zuletzt nicht realisierte »Don Juan«-Oper zahlreiche literarische Vorbilder bemühte, beschränkte er
sich bei seiner gleichnamigen einsätzigen
»Tondichtung«, die den Opernversuchen
vorausging, auf Nikolaus Lenau (eigentlich
Nikolaus Franz Niembsch Edler von Strehlenau, 1802–1850) und dessen 1843/44 entstandene »Dramatische Szenen«. Inspiriert von Lenaus »Don Juan« brachte der
Komponist im Mai 1888 im Klosterhof der
Kathedrale San Antonio zu Padua (»Il Santo«) die ersten Skizzen zu Papier, die er
Richard Strauss: »Don Juan«
3
nach Beendigung seines Italien-Aufenthalts
in München zielstrebig zu einer »symphonischen Dichtung« ausarbeitete. Bereits
am 30. September 1888 war in München die
Partiturreinschrift vollendet.
WIDMUNG
»Meinem lieben Freunde Ludwig Thuille«:
Der Komponist Ludwig Thuille (1861 Bozen
– 1907 München) gehörte in jungen Jahren
zum engsten Freundeskreis um Richard
Strauss und wirkte später als Kompositionslehrer an der Königlichen Akademie der
Tonkunst in München.
URAUFFÜHRUNG
Am 11. November 1889 in Weimar im
2. Abonnementskonzert der Weimarer Hofkapelle im Großherzoglichen Hoftheater
(Großherzogliche Hofkapelle unter Leitung
von Richard Strauss).
VOM FREIHEITSANSPRUCH DES
ROMANTISCHEN GENIES
An Richard Strauss schieden sich schon
immer die Geister. Im Gefolge der »Frankfurter Schule« um Theodor W. Adorno warf
man dem Komponisten des »Rosenkavalier« publikumswirksame Effekthascherei,
oberflächliches Virtuosentum und auf den
puren finanziellen Erfolg schielende Geschäftstüchtigkeit vor. Aber auch heute gibt
es nicht wenige Musiker – wie etwa die Dirigenten Michael Gielen oder Nikolaus Harnoncourt – , die den Werken von Richard Strauss
»mangelndes Ethos« vorwerfen oder sie als
»Musik ohne Moral« brandmarken. Etwas
boulevardesker drückte sich Christoph von
Dohnányi aus, als er vor einigen Jahren das
Bonmot zum Besten gab, Strauss’ Musik
erinnere ihn manchmal an »Vergnügungsstätten« wie das Bordell: Solange man drin
sei, amüsiere man sich prächtig. Komme
man heraus, schäme man sich der zuvor
genossenen Freuden abgrundtief...
Vieles spricht dafür, dass – wie schon bei
Adorno – das Unbehagen an der Musik von
Richard Strauss zurückgeht auf ein ganz
anderes Unbehagen: nämlich das an Vita
und Person des Komponisten. Hier wiederum spielt Strauss’ vor allem in späteren
Jahren gegen alles »Moderne« zu Felde
ziehende und politisch nicht unbedingt republikanische Gesinnung eine entscheidende Rolle. Richtig ist, dass für den Komponisten der Tondichtung »Don Juan« das von
revolutionsgeschulten Künstlern wie Berlioz ererbte egomanische Selbstverständnis und die unbedingte künstlerische Freiheit stets mehr zählten als die Einhaltung
demokratischer Pflichten. Die Lektüre anarchistischer Philosophen wie Max Stirner
oder John Henry Mackay, dazu Strauss’
früh einsetzende Nietzsche-Begeisterung,
Richard Strauss: »Don Juan«
4
schienen nicht so sehr politischem oder
philosophischem Informationsbedürfnis
entsprungen, sondern blieben stets rückgekoppelt an den absolut gesetzten Freiheitsanspruch des romantischen Genies.
VON WAGNER ZU BERLIOZ, VON
SCHOPENHAUER ZU NIETZSCHE
Der Zeitabschnitt, in dem Strauss die
philosophischen Prämissen seiner späteren Lebensführung und künstlerischen
Ideologie am intensivsten refl ektierte, ja
nachgerade erst aufzuspüren begann, ist
ziemlich deckungsgleich mit dem halben
Dezennium, das er Anfang der 1890er
Jahre als Großherzoglich-Weimarischer
Hofkapellmeister in der Stadt Goethes verbrachte, gleichzeitig langjähriges Wirkungszentrum seines großen Vorbilds
Franz Liszt. In Weimar entwickelte sich
Strauss vom bedingungslosen Anhänger
der Wagner- Schule zum solipsistischen
Querdenker, vom Verfasser »symphonischer Dichtungen« im Gefolge Berlioz’ und
Liszts zum Opernkomponisten und nicht
zuletzt vom Schopenhauer-Leser, wie er
es in einem Brief an Cosima Wagner selbstironisch formulierte, zum »NietzscheBruder«. Ein unübersehbarer thematischer
Leitfaden durch die Weimarer Jahre ist
dabei die Beschäftigung mit dem »Don
Juan«-Thema, das beinahe den Stoff zu
Strauss’ erster Oper geliefert hätte, wäre
es nicht im Widerstreit der philosophischen
Systeme, die der junge Komponist damals
hin- und herwälzte, dem Nietzsche-Ansatz
seines selbstverfassten ersten Operntextes
»Guntram« zuletzt dann doch noch unterlegen.
Im Winterhalbjahr 1892/93 hatte Strauss
auf seiner großangelegten Griechenland-,
Ägypten- und Süditalien-Reise Nietzsches
Werke erstmals genau gelesen, obwohl ihn
Freunde und Familie »vor allen möglichen
Dämonen und Einfl üssen: Stirner, Nietzsche und so manche ungenannte« schon
frühzeitig gewarnt hatten. In der späten
Abhandlung »Aus meinen Jugend- und
Lehrjahren« aber gibt der 70-jährige unumwunden zu: »Als ich in Ägypten mit
Nietzsches Werken bekannt geworden,
dessen Polemik gegen die christliche Religion mir besonders aus dem Herzen gesprochen war, wurde ich in meiner seit dem
fünfzehnten Jahre unbewussten Antipathie gegen diese Religion, die den Gläubigen von der eigenen Verantwortung für
sein Tun und Lassen (durch die Beichte)
befreit, bestärkt und begründet !« Eltern
und Familie hatten mit ihren Befürchtungen also doch nicht so Unrecht gehabt,
zumal der Biograph und wichtigste Exeget
Max Stirners (1806–1856), der schottische Dichter und »Anarchist« John Henry
Mackay (1864–1933), seit kurzem zum
Freundeskreis des Komponisten gehörte.
DON JUAN ALS ATHEIST,
ANARCHIST UND
»ABSOLUTER EGOIST«
Strauss hatte den gleichaltrigen Schriftsteller im März 1892 kennen gelernt;
Mackays im Vorjahr erschienener, politisch
provozierender Roman »Die Anarchisten«
erregte damals großes Aufsehen. In einem
Brief an den Vater wird berichtet, er habe
»die reizende Bekanntschaft eines schottischen Dichters John Mackay gemacht,
großer Anarchist und Biograph des Berliner Philosophen Max Stirner, des bedeutendsten Antagonisten Schopenhauers und
des Christentums, des Vertreters des absoluten Egoismus, des Verfassers von >Der
Einzige und sein Eigentum< !« Offenbar
hatte Mackay dem Komponisten die Lektü-
Richard Strauss: »Don Juan«
5
Leopold Graf von Kalckreuth: Richard Strauss (um 1890)
Richard Strauss: »Don Juan«
6
re von Stirners Hauptwerk von 1845 empfohlen; ob Strauss sie konsequent zu Ende
führte, ist nicht bekannt. Immerhin beschäftigte ihn Stirners Idee vom eigenen
Ich als der einzigen Realität des menschlichen Lebens über einen längeren Zeitraum und regte ihn zu Entwürfen zu einer
»Don Juan«-Oper an, die weitgehend unbekannt blieben:
»DON JUAN I«
1. Akt: Don J. in den Gluten der Sinnlichkeit, Vertreter des absoluten Egoismus,
des unbeherrschten Ichtums (Stirner ?),
schönen Frauen nachjagend, wird er von
einer 16 Jahre älteren Frau (X.), die von
rasender Leidenschaft zu ihm erfaßt ist,
unwillkürlich angezogen; ihr näher kommend, weicht er von unbezwinglicher
Scheu ergriffen, von ihr zurück und eilt
anderen Weibern nach; unter anderem auch
einem schönen, aber ganz verworfenen Geschöpf (Y.), das ebenfalls in frühester Jugend verführt, nur in Sinnlichkeit wühlend,
die wahre Liebe nicht an sich erfahren hat.
Diese Liebe erwacht allmählich in ihr durch
die Leidenschaft für Don Juan. Schluß des
I. Aktes, daß X. (vielleicht durch einen in
philosophischer Lebensanschauung absoluten Antagonisten (A.) des Don J.’schen Ichtums, einen »Pessimisten« (Schopenhauer,
Christus)) erfährt, daß Don Juan ihr Sohn
ist. Die Leidenschaft für Don Juan ist jedoch in ihr bereits zu so grauenhaftem
Wahnsinn gesteigert, daß sie nichtsdestoweniger nach der Vereinigung mit ihm
strebt.
2. Akt: Don Juan unterliegt der Verführung
seiner Mutter und vereinigt sich mit ihr.
Nachher gesteht sie im Taumel der Liebesglut, gleichsam um diese ideell bis zum
höchsten Wahnsinn zu steigern, ihm, daß
sie seine Mutter ist. Er, sein eigen Spiegelbild in dieser grauenhaften Verzerrung
erblickend (nachdem er seine Mutter erwürgt hat), zur Erkenntnis der furchtbaren
Schuld der Individuation gekommen, will in
furchtbarstem Schrecken über sich sich
selbst den Tod geben, erkennt aber (vielleicht durch die dazwischentretende Y. (?))
den Tod nicht als die Strafe, die er ersehnt,
sondern als Erlösung und beschließt, leben
zu bleiben, um der furchtbaren Buße willen, die er sich auferlegt: nie mehr ein Weib
zu berühren; der Buße fortwährender Entsagung, wo sein ungebändigter Naturtrieb
nach Befriedigung drängt.
3. Akt: Der büßende Don Juan, im schaudervollsten Kampf mit seinen furchtbarsten Trieben (erkennt in der Aufopferung
der Y. die wahre Liebe), wird von den ihn
wegen der Ermordung seiner Mutter verfolgenden Schergen (dabei vielleicht A.,
der Don Juan’s Mutter unerwidert geliebt
hat, u. ihren Tod rächen will) erschlagen.
Er fleht um sein Leben, denn er will leben,
um zu büßen, und empfindet den ihn von
seinen Qualen erlösenden Tod als schrecklichste Strafe.
GEFÄHRLICHE NÄHE ZU DA PONTE
UND MOZART
Im selben Monat, in dem dieses Szenarium
entstand, notierte sich der Komponist aus
Stirners »Der Einzige und sein Eigentum«
die folgende Passage: »Wenn Ich dich hege
und pfl ege, weil Ich dich lieb habe, weil
Mein Herz an dir Nahrung, Meine Bedürfnisbefriedigung fi ndet, so geschieht es
nicht um eines höheren Wesens willen, dessen geheiligter Leib du bist, nicht darum,
weil Ich ein Gespenst, d. h. einen erscheinenden Geist in dir erblicke, sondern aus
egoistischer Lust: du selbst mit deinem
Richard Strauss: »Don Juan«
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Wesen bist Mir werth, denn dein Wesen ist
kein höheres, ist nicht höher und allgemeiner als du, ist einzig wie du selber, weil du
es bist.« Und als ob sich Strauss an dieser
Stelle des Nikolaus Lenau-Bezugs seiner
Tondichtung »Don Juan« von 1888 erinnerte, fügte er kommentierend hinzu: »Dagegen Lenau: >Die Einzle kränkend, schwärm’
ich für die Gattung... < «
Zwischen Lenau und Stirner unsicher hinund herpendelnd werden Lesefrüchte wie
diese von einem zweiten »Don Juan«Szenarium gefolgt, das das Inzest-Motiv
des ersten Entwurfs zwar beibehält, nun
aber vom Beischlaf mit der Mutter (ÖdipusMotiv) auf Unzucht mit der eigenen Tochter
überträgt. Mit der 2-Aktigkeit rückt hier
Strauss dem dramaturgischen Modell von
Mozarts »Don Giovanni« sehr viel näher als
im ersten Szenarium. Neu hinzu kommt die
stoffgeschichtlich bedeutsame KirchhofSzene – eine weiteres Moment der Annäherung an Mozart und da Ponte, das sich aber
zuletzt als deutliche Hemmschwelle für die
geplante Umsetzung in Musik erwies: Zu
Mozarts berühmter Komthur-Szene wollte
Strauss dann doch nicht in Konkurrenz
treten.
»DON JUAN II«
Er liebt nicht seine Mutter, sondern seine
Tochter (16 Jahre alt, in vollster Unschuld)
1. Akt: Maskenball, Don Juan erhält von einer
Maske eine Rose, den letzten Gruß einer an
gebrochenem Herzen gestorbenen Geliebten. Er lernt seine Tochter (Maria) hier kennen, von deren Reizen bestrickt er ihr verführend naht; ihr aber näher kommend,
weicht er, von unbezwingbarer Scheu ergriffen, von ihr zurück und eilt anderen Weibern
nach, darunter Y., einem ganz verworfenen
Geschöpf. Seine Tochter wird von Elvira, Don
Juan’s verlassener Geliebten, gewarnt, die
dazwischen kommt (Don Juan außer sich, hat
denn die Hölle sich wider mich verschworen,
mir alle alten Lieben auf den Hals zu hetzen).
Er vertauscht seine Maske mit Leporello, und
hängt ihm Elvira auf.
2. Akt: Kirchhof mit der Statue des Comthurs und dem Grab von Mariens Mutter.
Liebesscene mit Donna Anna (nach Puschkin), nachdem Don Juan dem Leporello die
Erwiderung des Comthurs erzählt hat und
die Verführung der Anna in ihrem Schlafzimmer als Oktavio. Nachher Frevel an der
Statue des Comthur, die er höhnt, daß sie
das ruhig geschehen habe lassen, und lädt
den Comthur zum Abendessen ein. Leporello und er glauben zu sehen, daß die Statue
mit dem Kopf nickt. Don Juan aber beruhigt
sich, daß im Licht des Mondes seinem aufgeregten Blut ihm dies nur vorgespiegelt
hat; als beide den Kirchhof verlassen wollen, naht Maria, die sich verspätet hat, um
das Grab ihrer Mutter zum ersten Mal zu
sehen. Hier Scene mit Ermordung der Maria, nachdem er sie als seine Tochter erkannt hat. Zum Schluß des 2. Aktes vielleicht Y.
BLEIBENDE PRÄGUNG DURCH
NIKOLAUS LENAU
Für seine »Don-Juan«-Experimente wurde
Strauss von vielen Freunden mit Textlieferungen und Anregungen versorgt. So
schickte ihm Marie Ritter, die Nichte seines
väterlichen Freundes Alexander Ritter,
Ausgaben von Molières »Dom Juan« und
Puschkins »Steinernem Gast«. Mit Puschkin allerdings war Strauss, wie die Erwähnung des russischen Dichters im zweiten
Entwurf beweist, seit längerem bereits
vertraut. Dennoch: Alle Versuche, die »Don
Richard Strauss: »Don Juan«
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Juan«-Oper unter Zuhilfenahme von literarischen Ideen Nietzsches, Stirners oder
Puschkins zu verwirklichen, scheiterten.
Letztlich siegte die Tondichtung über die
nachfolgenden Opernentwürfe und legitimierte die Wahl ihres literarischen Vorbilds, der »Dramatischen Szenen« Nikolaus
Lenaus, noch nachträglich.
Wie diese Wahl zustande kam, liegt nichtsdestoweniger im Halbdunkel: wir wissen
wenig, was Strauss zur Lenau-Lektüre in
dieser frühen Zeit veranlasst haben könnte. Paul Heyses Drama »Don Juans Ende«,
das Strauss mit seinem »Mentor« Hans von
Bülow in Frankfurt gesehen hatte, mag die
Beschäftigung mit dem »Don Juan«- Thema
ausgelöst, ohne sie aber nachhaltig beeinflusst zu haben. Immerhin vergingen nach
dem Frankfurter Theaterbesuch drei Jahre, bis der Komponist im Mai 1888 im Klosterhof der Kathedrale San Antonio zu Padua (»Il Santo«) die ersten Skizzen zu
Papier brachte, die er nach Beendigung
seines Urlaubsaufenthalts zielstrebig zu
einer »symphonischen Dichtung« ausarbeitete. Bereits am 30. September 1888 hatte Strauss die Partiturreinschrift vollendet, der er – gleichsam als Motto – einige
beziehungsvoll ausgewählte Verse aus Lenaus »Don Juan«-Dichtung voranstellte.
»SPIEL DER INTELLIGENZ
GEGEN DAS GEFÜHL«
Auch Cosima Wagner diskutierte in einem
Brief an Richard Strauss die Herkunft des
»Don Juan«-Themas bei ihrem Schützling,
fragte sich nach der Motivation seiner
Stoffwahl und fand für sich die folgende
Antwort: »Mir ist es in Ihrem >Don Juan<
erschienen, als ob mehr das Gebaren Ihrer
Personen Sie eingenommen hätte, als wie
dass die Personen selbst zu Ihnen gesprochen hätten. Das nenne ich eben das Spiel
der Intelligenz gegen das Gefühl. Es ist
sehr schwer, über solche Dinge sich zu äußern, und mir selbst erscheint alles, was
ich Ihnen da sage, als recht thörig, weil
ungenügend. Vielleicht hilft mir ein Gleichnis; ich denke mir, dass die Gestalt dem
Künstler entsteht wie dem Pygmalion das
Bildnis, und dass aus der leidenschaftlichen Teilnahme an diesem Bildnis mit dem
Segen der Schönheit die Bewegung wird.
Schon die Wahl Ihres Stoffes zeigt das Vorwiegen der Intelligenz. Mit dem Lenau’
schen >Don Juan<, der aus Überdruß der
Langeweile sich ergibt, haben Sie gewiß
nicht empfunden; aber der Vorwurf hat Sie
interessiert, und es ist Ihnen eine Menge
dabei eingefallen, welche Sie mit erstaunlicher Sicherheit geordnet haben.«
Cosima Wagner hat hier hellsichtig analysiert, was sich im Denken und Fühlen des
jungen Komponisten damals abspielte:
Während der Arbeit an »Don Juan« wurde
es Strauss zunehmend bewusst, in welche
Richtung er die Musik und ihre Inhalte
weiterentwickeln wollte. An Hans von Bülow
schrieb er im August, einen Monat vor Vollendung der »Don Juan«-Partitur: »Eine
Anknüpfung an den Beethoven der >Coriolan<-, >Egmont<-, >Leonore III<-Ouvertüre,
der >Les Adieux<, überhaupt an den letzten
Beethoven, dessen gesamte Schöpfungen
nach meiner Ansicht ohne einen poetischen
Vorwurf wohl unmöglich entstanden wären,
scheint mir das Einzige, worin eine Zeit
lang eine selbständige Fortentwicklung
unserer Instrumentalmusik noch möglich
ist: Will man ein in Stimmung und konsequentem Aufbau einheitliches Kunstwerk
schaffen, und soll dasselbe auf den Zuhörer plastisch einwirken, so muß das, was
Richard Strauss: »Don Juan«
9
Dirigierposen des jungen Richard Strauss (um 1890)
Richard Strauss: »Don Juan«
10
der Autor sagen wollte, auch plastisch vor
seinem geistigen Auge geschwebt haben.
Dies ist nur möglich infolge der Befruchtung durch eine poetische Idee, mag dieselbe nun als Programm dem Werke beigefügt werden oder nicht.«
IMAGINÄRES THEATER
MIT MITTELN DER MUSIK
Außer den der Partitur »beigefügten«
Lenau-Versen erhielt »Don Juan« kein weiteres, die Musik determinierendes »Programm«; nichtsdestoweniger ist den minutiös ausgearbeiteten Skizzenbüchern zu
entnehmen, dass Strauss bei der Komposition einem verbal formulierten Formverlauf folgte, dem unübersehbar Züge eines
dramatisch zugespitzten Librettos eignen: »Wonne-Thema auf Cis-Dur-Cantilene, die mit dem Eintritt der Erschöpfung
von dem 1. Don Juan-Thema unterbrochen
wird in den Bratschen, anfangs diese
durchklingt. Mit einem Ruck fährt er auf:
mit einem kühnen Sprung des 1. Themas
auf die C-Dominante; von da in einem
leichtfertigen Thema weiter, von dem es in
immer tolleres Treiben geht. Lustiges Gejauchze, unterbrochen von Schmerzensund Wonneseufzern. Durchführung. Nach
Fortissimo höchster Steigerung: plötzliche Ernüchterung. Englisch Horn öde; die
Liebes- und Freuden-Themen klingen planlos durcheinander, unterbrochen von neuen Sehnsuchts- und Wonneschauern. Endlich schließt sich ein neues Liebesmotiv
sehr schwärmerisch und zart an...«
in den Jahren vor »Guntram« und »Feuersnot« nur die Bühne der eigenen Phantasie
sein konnte. Von den erzielten Fortschritten gegenüber früheren Werken wie »Aus
Italien« oder »Macbeth« schien der Komponist selbst am meisten überrascht. So
heißt es in einem Brief an seinen Vater,
geschrieben unmittelbar im Anschluss an
die erste Orchesterprobe des »Don Juan«
zur Weimarer Uraufführung vom 11. November 1889: »Alles klingt famos und
kommt prächtig heraus, wenn es auch
scheußlich schwer ist. Die armen Hornisten und Trompeter taten mir wirklich leid.
Die bliesen sich ganz blau, so anstrengend
ist die Geschichte. Der Klang war wundervoll, von einer riesigen Glut und Üppigkeit,
das Ganze wird hier einen Mordseffekt
machen. Besonders schön klang die Oboenstelle in G-Dur mit den vierfach geteilten
Kontrabässen, die geteilten Celli und Bratschen, alles mit Sordinen, auch die Hörner
alle mit Sordinen, das klingt ganz magisch,
ebenso die Katerstelle mit dem HarfenBisbigliando und den Bratschen-Ponticellis.
Ein Glück, daß das ganze Ding nicht eigentlich diffi cil ist, sondern nur sehr schwer
und anstrengend.«
Als »Einakter ohne Worte« ist die symphonische Dichtung die notwendige Vorstufe
zur später fehlgeschlagenen »Don Juan«Oper. Talent, Befähigung und Arbeitsweise
drängten den Komponisten schon in diesem
frühen Stadium zur Bühne – auch wenn es
Richard Strauss: »Don Juan«
11
»Don Juan«
NIKOLAUS LENAU
Den Zauberkreis, den unermesslich weiten,
Von vielfach reizend schönen Weiblichkeiten
Möcht’ ich durchzieh’n im Sturme des Genusses,
Am Mund der Letzten sterben eines Kusses.
O Freund, durch alle Räume möcht’ ich fliegen,
Wo eine Schönheit blüht, hinknien vor Jede
Und, wär’s auch nur für Augenblicke, siegen.
Ich fliehe Überdruss und Lustermattung,
Erhalte frisch im Dienste mich des Schönen,
Die Einzle kränkend, schwärm’ ich für die Gattung.
Der Odem einer Frau, heut Frühlingsduft,
Drückt morgen mich vielleicht wie Kerkerluft.
Wenn wechselnd ich mit meiner Liebe wandre
Im weiten Kreis der schönen Frauen,
Ist meine Lieb’ an jeder eine andre,
Nicht aus Ruinen will ich Tempel bauen.
Ja ! Leidenschaft ist immer nur die neue;
Sie lässt sich nicht von der zu jener bringen,
Sie kann nur sterben hier, dort neu entspringen,
Und kennt sie sich, so weiß sie nichts von Reue.
Wie jede Schönheit einzig in der Welt,
So ist es auch die Lieb’, der sie gefällt.
Hinaus und fort nach immer neuen Siegen,
Solang der Jugend Feuerpulse fliegen !
Es war ein schöner Sturm, der mich getrieben,
Er hat vertobt, und Stille ist geblieben.
Steintot ist alles Wünschen, alles Hoffen;
Vielleicht ein Blitz aus Höh’n, die ich verachtet,
Hat tödlich meine Liebeskraft getroffen,
Und plötzlich ward die Welt mir wüst, umnachtet;
Vielleicht auch nicht; – der Brennstoff ist verzehrt,
Und kalt und dunkel ward es auf dem Herd.
Von Richard Strauss der Partitur seiner
Tondichtung »Don Juan« vorangestellte
Textauszüge aus Nikolaus Lenaus gleichnamigem Versepos (1843/44, Fragment)
»Don Juan«: Das Vorwort zur Partitur
12
»Grand Opéra in
Shakespeare’schem
Stil«
PETER JOST
HECTOR BERLIOZ
(1803–1869)
WIDMUNG
»Les Troyens«
Grand Opéra en cinq actes
Konzertante Aufführung des V. Akts
An die Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein (1819–1887), die Lebensgefährtin
von Franz Liszt. Die auf den 10. Mai 1865
datierte Widmung an die Fürstin wurde
allerdings nicht auf das Titelblatt der Ausgaben gedruckt, sondern nur einigen Exemplaren des Klavierauszugs beigelegt.
UR- UND ERSTAUFFÜHRUNGEN
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geboren am 11. Dezember 1803 in La CôteSaint-André (Département Isère / Südfrankreich); gestorben am 8. März 1869 in
Paris.
ENTSTEHUNG
Text: April bis Juni 1856, verfasst vom
Komponisten auf der Grundlage des Epos
»Aeneis« (31–19 v. Chr., Buch 2 und 4) von
Vergil (eigentlich Publius Vergilius Maro,
70–19 v. Chr.). Musik: Juni 1856 bis April
1858, Änderungen und Ergänzungen 1859/
60 und 1863.
Ausschnitte (Duette Nr. 3 und Nr. 37, konzertant): 29. August 1859 im Casino von
Baden-Baden, Sänger: Pauline Viardot und
Jules Lefort, Dirigent: Hector Berlioz;
III.–V. Akt (gekürzt): 4. November 1863
unter dem Titel »Les Troyens à Cathage«
mit einem neu komponierten »Prélude« im
Pariser Théâtre-Lyrique, Dirigent: Adolphe
Deloffre; I.–II. Akt (gekürzt, konzertant):
7. Dezember 1879 unter dem Titel »La Prise de Troie« im Pariser Théâtre du Châtelet, Dirigent: Édouard Colonne, sowie
gleichzeitig im Pariser Cirque d’Hiver, Dirigent: Jules-Étienne Pasdeloup; I.–V. Akt
(an zwei Abenden, gekürzt, in deutscher
Sprache): 6./7. Dezember 1890 am Karlsruher Hoftheater, Dirigent: Felix Mottl;
Hector Berlioz: »Les Troyens«
13
I.–V. Akt (ungekürzt, in englischer Sprache): 3. Mai 1969 in Glasgow, Dirigent:
Alexander Gibson; I.–V. Akt (ungekürzt, in
französischer Sprache): 17. September
1969 in London; Dirigent: Colin Davis.
INHALT DES V. AKTS
1. BILD: Im Lager der Trojaner, die nach
der Eroberung ihrer Stadt durch das griechische Heer geflohen und auf ihrer Irrfahrt in Karthago gelandet sind, singt der
Matrose Hylas sehnsuchtsvoll von seiner
Heimat. Der trojanische Priester Panthée
(Panteus) beschwört die Heerführer mit
Verweis auf die Zeichen der Götter, die
Stadt aufzugeben, auch wenn es den Soldaten in ihrem Asyl recht gut gefällt. Énée
(Æneas), der Anführer der Trojaner, drückt
seine Niedergeschlagenheit aus; er weiß,
dass er Karthago und damit die geliebte
Didon (Dido), Karthagos Königin, verlassen muss, um nach Italien zu segeln, da es
ihm bestimmt ist, dereinst Rom zu gründen. Er möchte aber Didon in der Hoffnung
auf ihr Verständnis zuvor noch einmal sehen. Da erscheinen die Geister einiger Trojaner, die beim Kampf um ihre Stadt starben, nämlich die von Priam (Priamus, dem
König von Troja), von Cassandre (Kassandra, der Seherin), von Chorèbe (Choröbus, dem Verlobten Cassandres) und von
Hector (Hektor, dem Sohn des Priamus).
Sie alle drängen so vehement zum sofortigen Aufbruch, dass Énée ihnen nachgibt.
Er ruft seine Truppen zu sich und befiehlt,
die Segel zu setzen. Didon kommt hinzu
und macht Énée angesichts der Vorbereitungen zum Aufbruch bittere Vorwürfe. Als
sie erkennt, dass sie gegen Énées festen
Willen nicht ankommt, verflucht sie ihn.
2. BILD: In einem letzten Aufbäumen gegen
das drohende Schicksal versucht Didon ihre
Schwester Anna und ihren Minister Narbal
zu überreden, bei Énée einen kleinen Aufschub zu erwirken. Doch dann meldet Iopas,
der Dichter an Didons Hof, dass die Trojaner
bereits abgesegelt sind. Nun steht Didons
Entschluss fest: Sie lässt einen Scheiterhaufen errichten und nimmt, allein zurückgeblieben, von Karthago und allem, was ihr
lieb und wert war, Abschied.
3. BILD: Am Fuße des Scheiterhaufens rufen die Priesters Plutos die Götter der Unterwelt an und erbitten von ihnen für Énée
einen ruhmlosen Tod in Italien. Didon erscheint und legt Énées Rüstung und Toga
als Pfand ihrer unglücklichen Liebe auf den
Scheiterhaufen. Sie nimmt Énées Schwert
und ersticht sich, nachdem sie in einer Vision den künftigen Heerführer Annibal
(Hannibal) beschworen hat, Rom zu besiegen und sie, Didon, zu rächen. Als ihre
Schwester ihr zu Hilfe eilt und der Chor den
ewigen Kampf zwischen den Karthago und
dem künftigen Weltreich Rom bekräftigt,
erkennt die sterbende Didon die tatsächliche Zukunft: Roms Triumph und Karthagos Untergang.
VEREHRUNG DER ANTIKE
Der junge Berlioz wurde von seinem Vater,
der ihn nach nur kurzem Schulbesuch
selbst unterrichtete, im Geiste humanistischer Bildung erzogen. Neben französischer Literatur gehörte daher die Lektüre
der antiken Klassiker zum festen Unterrichtsprogramm. Dabei sei Vergil der erste
gewesen, berichtete Berlioz später in seinen »Memoiren«, der es verstanden habe,
»den Weg zu meinem Herzen zu finden und
meine erwachende Phantasie zu entflammen«. Neue Nahrung erhielt diese frühe
Hector Berlioz: »Les Troyens«
14
Verehrung der Antike durch die Begegnung
mit auf antiken Sujets beruhenden Opern,
insbesondere von Christoph Willibald Gluck
(»Iphigénie en Tauride«, »Alceste«), die
Berlioz nach seinem Umzug nach Paris
1821 kennen lernte. Eine eigene Oper über
eine der großen Sagen der Antike zu komponieren, wurde zu einem Jugendtraum,
der lange unerfüllt blieb.
»AUFTRAGSWERK«
In den 1850er Jahren beschäftigte sich
Berlioz laut seinen »Memoiren« immer intensiver mit der »Idee einer groß angelegten Oper, zu der ich den Text und die Musik
schreiben möchte«, wich zugleich jedoch
vor den Anstrengungen und Risiken eines
solchen Projekts zurück. Das »Sujet erscheint mir großartig, herrlich und tief
ergreifend« – so der weitere Wortlaut in
den »Memoiren«, wobei er offenbar bereits
konkret die Geschichte der Trojaner im
Kopf hatte. Auslöser für die Verwirklichung
wurde die Ermutigung der Fürstin Carolyne
von Sayn-Wittgenstein, Liszts Lebensgefährtin, der Berlioz bei einem Besuch in
Weimar im Frühjahr 1856 seine »Idee, eine
Grand opéra in Shakespaere’schem Stil zu
komponieren« geschildert hatte. Nach Berlioz’ Erinnerung antwortete die Fürstin:
»Gewiss muss aus Ihrer Leidenschaft für
Shakespeare, vereint mit einer solchen Liebe zur Antike, etwas Großartiges und Neues entspringen. Also nur Mut, Sie müssen
diese Oper schreiben !« Berlioz verstand
diesen Rat als privaten Auftrag und begann
unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Paris mit dem Entwurf des Librettos.
OPER IN ZWEI TEILEN
Der Oper liegen zwei eigentlich getrennte
Mythen der Antike zugrunde: 1) die Erobe-
rung Trojas durch die griechischen Belagerer, bei der dem trojanischen Helden Æneas
mit einigen Getreuen die Flucht gelingt –
bei Vergil als rückblickende Erzählung geschildert; der Stoff selbst geht auf Homers
»Odyssee« zurück – sowie 2) die Landung
der Trojaner in Karthago, wo sich Æneas in
die Königin Dido verliebt: Eine Liebe, die
scheitern muss, weil Æneas in göttlichem
Auftrag nach Italien aufzubrechen gezwungen ist, wo er zum Ahnherr des zukünftigen römischen Reichs wird. Durch die
Handlung und die beiden Schauplätze sind
die beiden Teile der Oper – »La Prise de
Troie« (»Die Eroberung Trojas«, Akte I–II)
und »Les Troyens à Carthage« (»Die Trojaner in Karthago«, Akte III–V) – relativ
deutlich voneinander getrennt. Deren Verbindung stellt vordergründig die in allen
Akten präsente Figur des Énée (Æneas) dar,
jedoch spielen die beiden Frauenfiguren
Cassandre (Kassandra) im ersten und Didon (Dido) im zweiten Teil die gewichtigeren Rollen. Gemeinsam ist beiden Frauen,
dass sie sterben müssen, damit sich das
von den Göttern vorherbestimmte Schicksal der Trojaner – der eigentlichen Protagonisten, nach denen die Oper benannt ist
– erfüllen kann. Das Schicksal als bestimmende Leitidee der Oper wird musikalisch
durch den über die Aktgrenzen hinweg immer wieder erklingenden Ruf »Italie« als
vorbestimmtes Ziel der Trojaner dargestellt.
VERGIL UND SHAKESPEARE
Berlioz’ schon zitierte Bezeichnung »Grand
opéra im Shakespeare’schem Stil« mag auf
den ersten Blick befremden. Aber Berlioz
fand in den Dramen Shakespeares, die er
1827 durch die Aufführungen einer englischen Schauspieltruppe in Paris kennen
lernte und die einen unauslöschlichen Ein-
Hector Berlioz: »Les Troyens«
15
Hector Berlioz im Pariser Photoatelier von Félix Tournachon, genannt »Nadar« (um 1861/62)
Hector Berlioz: »Les Troyens«
16
druck hinterließen, genau das wieder, was
ihn bereits als Jugendlichen an Vergil fasziniert hatte: die aufwühlende, tief bewegende Darstellung der Leidenschaften. Insofern wird verständlich, dass er nach Fertigstellung des Librettos an die Fürstin
Wittgenstein schrieb: »Sie werden finden,
dass ich bei dieser Vergil-Dichtung vieles
aus Shakespeare entnommen habe«. Tatsächlich sind mehrere Szenen unverkennbar nach dem Vorbild des englischen Dramatikers gestaltet: So beispielsweise der
Auftritt der Geister verstorbener trojanischer Helden und Würdeträger (II. und V.
Akt) oder auch die lebensnahen Äußerungen des jungen Matrosen und der beiden
Wachsoldaten zu Beginn des V. Aktes. In
der großen Liebesszene zwischen Énée und
Didon (Finale des IV. Akts) zitiert Berlioz
sogar wörtlich aus »Der Kaufmann von Venedig«. Berlioz selbst sprach von einem
»Verschnitt« zwischen beiden Autoren,
und in der Tat verweist das Erhabene, die
epische Größe auf Vergil, das Innige und
Tragische, insbesondere auch in den Kontrasten zueinander, direkt auf Shakespeare.
KLASSIZISMUS
Das Bühnenwerk »Les Troyens« trägt den
Untertitel »Grand Opéra en cinq actes«.
Damit demonstrierte Berlioz bereits äußerlich sein bewusstes Anknüpfen an die Tradition der französischen Gattung, die sich
um 1860 allerdings bereits im Niedergang
befand. Der Kontrast zu den zeitgenössischen Tendenzen – denkt man etwa an
Richard Wagners gleichzeitig komponiertes
Musikdrama »Tristan und Isolde« – könnte
kaum größer sein. Berlioz hielt an älteren
Formen wie Rezitativ und Arie sowie am
Prinzip der Nummernoper fest, in der ein
bestimmter, in einer geschlossenen Form
dargebotener Affekt zum Ausdruck ge-
langt. Entsprechend verweigerte er sich
auch Wagners moderner psychologischer
Konzeption, in welcher die Musik in einem
spannungsvollen Verhältnis zur Handlung
steht. Statt auf eine szenenübergreifende
Entwicklung setzte Berlioz auf den dramatischen Ausdruck in kontrastiven Nummern,
wobei der französischen Tradition gemäß
Chor, Ballett und Tanz eine große Rolle
spielen. Unverkennbar schimmert in »Les
Troyens« das Vorbild der französischen
Opern Glucks durch: leidenschaftlicher,
dramatischer Ausdruck in einer wirkungsvollen, aber eher schlichten Tonsprache.
Der klassizistische Ansatz der Oper tritt
im V. Akt besonders konzentriert hervor.
Der Wechsel der Emotionen steigert sich
hier insofern, als er nicht nur in aufeinander folgenden Nummern erscheint, sondern
auch widerstreitende Gefühle in der gleichen Szene umfasst.
ZUR MUSIK
So sehr »Les Troyens« vom Geist Glucks und
nachfolgender Komponisten der »Grand opéra« erfüllt sind, so weit ist Berlioz doch von
bloßer Nachahmung entfernt. Ihm geht es
musikalisch um eine Erneuerung des Ideals,
nicht um Stilkopie. Einerseits greift die
Musik mit ihrer Betonung der Melodik, ihrer diatonischen Führung und der überwiegend nur mäßig besetzten Orchesterbegleitung unverkennbar auf die klassische
Tonsprache zurück, andererseits verwendet sie moderne Klangformen und -kombinationen, die entscheidend zum emotionalen Ausdruck beitragen. So erhält Hylas’
Lied zu Beginn des V. Akts seinen leichten
Ton von Melancholie durch die Kombination
der geteilten Celli mit Klarinetten und Flöten, während – bis auf eine Stelle – die
hohen Streicher völlig ausgespart bleiben.
Umso wirkungsvoller treten diese im nach-
Hector Berlioz: »Les Troyens«
17
Alfred Grévin: »›Les Troyens‹ au Théâtre-Lyrique« (»Le Journal amusant«, 1863)
Hector Berlioz: »Les Troyens«
18
folgenden Rezitativ des trojanischen Priesters Panthée mit dem Chor der Heerführer
auf. Im anschließenden Duo der beiden Soldaten ändert sich die Instrumentation erneut. Bis auf Celli und Bässe, die nur Stütztöne artikulieren, sind die Streicher ausgeblendet, um den Holzbläsern in mittlerer
und tiefer Lage das Feld zu überlassen.
Ähnlich brüsk wie die Instrumentation
wechseln auch Tempi und Dynamik. So lässt
sich kaum ein größerer Kontrast als zwischen den beiden ersten Szenen des zweiten Bildes denken. Auf ein inniges Andante,
in dem Didon ihre Schwester beschwört,
einen Aufschub des trojanischen Aufbruchs zu erwirken, folgt ein drängendes,
rhythmisch sehr markantes Allegro assai,
das sich rasch zum Fortissimo steigert.
Im zweiten Bild schließt sich an den großen
Monolog Didons, in dem sie sich in völliger
Verzweiflung nach dem Tod sehnt, ihre Abschiedsarie (Nr. 48) an, die, traurig und
trostvoll zugleich, zu den schönsten melodischen Eingebungen Berlioz’ zählt. Den
Höhepunkt des Akts bildet aber zweifellos
das große Schluss-Tableau (Nr. 49–52),
das die ganze Palette musikdramatischer
Wirkungen aufbietet – von der Totenbeschwörung bis zur ekstatischen Sterbeszene Didons.
INTENSITÄT DES AUSDRUCKS
Einige Szenen des V. Akts zählen zu den
ausdrucksintensivsten der ganzen Oper.
Dazu gehört im ersten Bild der Auftritt
Énées (Nr. 41 Rezitativ und Arie), in dem
sich der zwischen göttlichem Willen und
Liebesversprechen hin- und hergerissene
Führer der Trojaner seine ausweglose Situation gleichsam von der Seele singt und
dabei die ganze Bandbreite einer großen
Tenorpartie bis hin zum Belcanto nuancenreich durchmisst. Dazu gehört aber vor allem auch die Schlussnummer des Bildes (Nr.
44 Duett und Chor), in der Didon ihren Geliebten zur Rede stellt. Der Gegensatz zwischen der Verzweiflung der Königin, die am
Ende in Wut umschlägt, und Énées von Traurigkeit durchsetzten Beteuerungen seiner
Liebe forciert sich bis hin zur Verfluchung
des Trojaners durch Didon: »Monstre de
piété !… Va donc ! Va ! Je maudis et tes
dieux et toi-même !« (»Du göttertreues
Ungeheuer !… Geh doch ! Geh ! Ich verfluche sowohl deine Götter als dich selbst !«).
Hector Berlioz: »Les Troyens«
19
»Wer spricht von
Siegen ? Überstehen
ist alles !«
STEPHAN KOHLER
RICHARD STRAUSS
(1864–1949)
ENTSTEHUNG
»Ein Heldenleben«
Tondichtung für großes Orchester op. 40
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geboren am 11. Juni 1864 in München; gestorben am 8. September 1949 in Garmisch-Partenkirchen.
ORIGINALTITEL
Im Partiturautograph ist das Werk ohne
unbestimmten Artikel und Untertitel lediglich »Heldenleben« benannt und kennt
keinerlei Satzeinteilungen oder Satzüberschriften, wie sie sich später einbürgerten; im Programmheft der Frankfurter Uraufführung fügte Strauss den unbestimmten Artikel »Ein« und den Untertitel »Symphonie in Es-Dur« hinzu, den er bei Drucklegung der Partitur in »Tondichtung für
großes Orchester« abänderte.
Am 16. April 1897 notierte Strauss in seinem Schreibkalender: »Sinfonische Dichtung ›Held und Welt‹ beginnt Gestalt zu
bekommen; dazu als Satyrspiel ›Don Quichote‹ !« Die Idee, konträre Lebensläufe
zweier »Helden«-Typen in einem symphonischen Diptychon zu portraitieren, fasste
Strauss allerdings schon im Herbst 1896
in Florenz; »Heldenleben« und »Don Quixote« wurden gleichzeitig konzipiert und
weitgehend parallel komponiert, »Don
Quixote« aber zuerst zu Ende geführt und
instrumentiert (Abschlussdatum: 29. Dezember 1897). Im Frühjahr 1898 weicht
der Titel »Held und Welt« dem ironisch
gefärbten Beethoven-Zitat »Eroica«; erst
im Sommer 1898 wird der neue Titel »Heldenleben« verbindlich festgelegt. Während seiner alljährlichen Sommerferien in
Marquartstein / Oberbayern trägt Strauss
unter dem Datum des 30. Juli in seinen
Schreibkalender ein: »Abends 10 Uhr der
große Bismarck entlassen !« und darunter:
»›Heldenleben‹ beendigt !« Am 2. August,
nur drei Tage nach Fertigstellung des Particells, begann Strauss in Marquartstein
Instrumentation und Partiturreinschrift,
Richard Strauss: »Ein Heldenleben«
20
die er am 1. Dezember 1898 an seinem
neuen Wohnsitz in (Berlin-) Charlottenburg
beendete. Auf Zureden seines Freundes
Friedrich Rösch begann er Mitte Dezember
den ursprünglich »stillen« Schluss des
»Heldenleben« zu ändern und notierte am
27. Dezember 1898 in seinem Schreibkalender: »›Heldenleben‹ 2. Schluss vollendet !« Die Originalpartitur enthält hingegen nur den ersten, »stillen« Schluss; für
den zweiten ist keine Handschrift des Komponisten nachweisbar.
WIDMUNG
»Wilhelm [recte: Willem] Mengelberg und
dem Concertgebouw-Orchester in Amsterdam gewidmet« (= in der gedruckten Partitur, nicht im Autograph). Willem Mengelberg (1871–1951) war einer der bedeutendsten Strauss- und Mahler-Dirigenten
der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts und
jahrzehntelanger Chefdirigent des Amsterdamer Königlichen ConcertgebouwOrchesters; Strauss übertrug seinem
Freund und Pultkollegen zwar nicht die
Uraufführung des »Heldenleben«, schenkte ihm aber das Autograph des Particells.
URAUFFÜHRUNG
Am 3. März 1899 in Frankfurt am Main im
großen Saal des Frankfurter »Saalbaues«
im Rahmen des »Elften Freitags-Concerts«
der Frankfurter Museums-Gesellschaft
(Frankfurter Museums-Orchester, »aus
dem Manuscript« spielend, unter Leitung
von Richard Strauss; Violinsolo: Alfred
Heß). Im selben Konzert sang Strauss’ Gattin Pauline Strauss-de Ahna Orchesterund Klavierlieder ihres Mannes; er selbst
dirigierte zum Abschluss die ›Fantastischen Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters‹ »Don Quixote« op. 35.
»Es führten viele fest ihr Pferd am Zügel.
Der Ruhm der tausend Schlachten ist verweht. Was bleibt vom Heldentum ? Ein morscher Hügel, auf dem das Unkraut rot wie
Feuer steht…«
Letzte Strophe des »Epitaphs auf einen
Helden« von Kŏng Fūzĭ (Konfuzius, 551–
479 v. Chr.), in deutscher Sprache nachgedichtet von Klabund
DER BEETHOVEN DES
FIN-DE-SIÈCLE
Zu Saisonbeginn des Jahres 1898 trat
Richard Strauss, berühmt-berüchtigt und
skandalumwittert, sein neues Dirigieramt
in Berlin an. Die Ferienmonate zuvor verbrachte der mit 34 Jahren jüngste Hofkapellmeister Seiner Majestät des Kaisers
am langjährigen Sommerwohnsitz seiner
Familie im oberbayerischen Marquartstein.
Von dort kündigte er in einem Brief vom 23.
Juli, ganz offenbar beflügelt vom Leben
auf dem Lande, die Gestaltwerdung einer
umfangreichen neuen Komposition an: »Da
Beethovens ›Eroica‹ bei unseren Dirigenten so sehr unbeliebt ist und daher nur
mehr selten aufgeführt wird, componire
ich jetzt, um einem dringenden Bedürfnis
abzuhelfen, eine größere Tondichtung,
›Heldenleben‹ betitelt (zwar ohne Trauermarsch, aber doch in Es-Dur, mit sehr viel
Hörnern, die doch einmal auf den Heroismus geeicht sind); dieselbe ist, dank der
kräftigen Landluft, in der Skizze so weit
gediehen, dass ich, wenn nichts Besonderes dazwischen kommt, hoffen darf, die
Partitur bis Neujahr zu vollenden !« Bei
aller Ironie (und Selbstironie !), in die
Strauss Äußerungen über das eigene Komponieren zu kleiden pflegte, umschreibt
die scheinbar so unbekümmert formulierte
Richard Strauss: »Ein Heldenleben«
21
József Faragó: Richard Strauss (1905)
Richard Strauss: »Ein Heldenleben«
22
Briefstelle, was Strauss und vielen seiner
Zeitgenossen eine durchaus ernst gemeinte und keineswegs zu ironisierende Kunstabsicht war: die Fortsetzung Beethovens
mit modernen Mitteln oder selbst der Beethoven seiner Zeit zu sein.
ABSOLUTE MUSIK ?
FEHLANZEIGE !
Schon Jahre zuvor hatte der Komponist in
einem Brief an seinen Mentor Hans von Bülow festgestellt, eine Möglichkeit zur Fortentwicklung der Musik sehe er nur in der
Nachfolge der Werke Beethovens, und zwar
insbesondere derjenigen, die von programmatischen Inhalten lebten. Musik habe »Ausdruck« zu sein, Sinn und Zweck erhalte sie
»durch eine poetische Idee, mag dieselbe
nun als Programm dem Werke beigefügt werden oder nicht«. Der Komponist des »Heldenleben« weigerte sich hartnäckig, zwischen »absoluter« Musik und »Programm«Musik inhaltliche oder auch nur ästhetische
Unterschiede anzuerkennen, und strebte
als Vollender einer von Berlioz und Liszt
ererbten Tradition grundsätzlich die Verbindung, ja Vereinigung von »poetischer
Idee« und musikalischer Formensprache
an: »Wissen Sie vielleicht, was absolute
Musik ist ? Ich nicht !« heißt es in einem
Brief an den Berliner Musikschriftsteller
Oscar Bie. Nicht zufällig also orientierte
Strauss sein »Heldenleben«, das sich
durchaus als moderne »Eroica«-Variante
verstanden wissen wollte und dem zeitweilig sogar der Titel »Eroica« zugedacht war,
an Form-Vorbildern der Klassik, die er – wie
im benachbarten »Don Quixote« – je nach
den Erfordernissen der »poetischen Idee«
frei variierte, abwandelte oder ergänzte.
»SYMPHONIE IN ES-DUR«
War es dem »Don Quixote« vorbehalten,
drei musikalische Ideen zu formaler Einheit
zu verbinden (Symphonische Dichtung,
Solokonzert und Variationsform), so implizierte der thematische Rückgriff des »Heldenleben« auf Beethovens »Eroica« die
Wiederbelebung der klassischen Sonatensatzform. Da werden zunächst in einer
großangelegten, 3-teiligen Exposition die
in sich geschlossenen Themengruppen des
Werks aufgestellt (in der zur Uraufführung
erschienenen Erläuterungsschrift: »Der
Held« / »Des Helden Widersacher« / »Des
Helden Gefährtin«), um im anschließenden
vierten Abschnitt (»Des Helden Walstatt«)
höchst virtuos verarbeitet und zum Gegenstand einer ausführlichen Durchführung zu
werden. Diese mündet dann vor Beginn des
Abschnitts »Des Helden Friedenswerke« in
eine Art Reprise, die Strauss mit zahlreichen Zitaten aus eigenen Werken angereichert hat. Zitiert werden die symphonischen Dichtungen »Macbeth«, »Don Juan«,
»Tod und Verklärung«, »Till Eulenspiegels
lustige Streiche«, »Also sprach Zarathustra« und vor allem der unmittelbar vorausgehende »Don Quixote«, der an statistischer Präsenz in diesem Motivgewebe nur
noch von Strauss’ Opern-Erstling »Guntram« übertroffen wird; mit neun Zitaten,
die heute allerdings niemand mehr als solche zu erkennen vermag, dominiert das
1894 uraufgeführte, eigenwillige Bekenntniswerk alle übrigen zitierten Werke, so
auch die Lieder »Traum durch die Dämmerung« und »Befreit«. Mit dem sechsten
und letzten Abschnitt »Des Helden Weltflucht und Vollendung« wird die großräumig disponierte Variante eines aus der
»klassischen« Sonatensatzform abgeleiteten Symphoniesatzes stilgerecht mit einer
Richard Strauss: »Ein Heldenleben«
23
Richard Strauss: »Ein Heldenleben«
24
Satz-Coda abgeschlossen. In der Tat verwundert es nicht, dass Strauss zeitweise
versucht war, sein »Heldenleben« im Untertitel als »Symphonie in Es-Dur« zu bezeichnen.
te« Aufführungspraxis verzerrt und glaubte es seinen ursprünglichen Intentionen
entfremdet.
ZWEI SCHLÜSSE – EIN AUTOGRAPH
Der strikt durchgehaltene Verzicht auf die
Bekanntgabe eines »Programms« besagt
nicht, dass Strauss sich seiner Intentionen
nicht von allem Anfang an bewusst gewesen wäre. Im Gegenteil: Seine Skizzenbücher zeigen, mit welcher Akribie er vor
Beginn der eigentlichen Kompositionsarbeit das geistige Programm entworfen
und fixiert hat. Romain Rolland, der mit
dem Komponisten des »Heldenleben« zahlreiche Gespräche über seine Arbeitsweise
führte, notierte in sein Tagebuch: »Er beginnt die Arbeit mit einer ausführlichen
Skizze des literarischen Vorwurfs; erst
anschließend geht er zu Musik über. Auf
meine präzise Frage hin antwortet er mir,
dass die musikalischen Einfälle nie zusammen mit den literarischen, sondern stets
in deren Gefolge, also nach ihnen, auftreten. Er hält es im übrigen für überflüssig,
dass man als Zuhörer das ›Heldenleben‹
mit einem Führer in der Hand verfolgt. Es
genügt, sagt er, das Gegensatzpaar zu
erkennen: den Helden und seine Widersacher.« Strauss litt sicherlich nicht unter
mangelndem Selbst(wert)bewusstsein;
dennoch sind viele Briefe des Komponisten
wie zahlreiche seiner kolportierten Äußerungen durchzogen von einem manisch geprägten »Durchsetzungssyndrom«. Die
Gegnerschaft von Kritikern und feindselig
gesinnter Öffentlichkeit, die stets virtuos
überspielte Angst vor Misserfolg und finanziellem Abstieg, aber auch das keineswegs so selbstsichere, wie manchmal nach
außen hin zur Schau getragene künstlerische Selbstverständnis des jungen Richard
Strauss legen den Schluss nahe, dass in
Ein Blick in die 1899 bei F. E. C. Leuckart
in Leipzig erschienene Partitur hält, was
das einzige Partiturautograph des Komponisten verspricht: dem Werk sind keinerlei
programmatische Erläuterungen oder Zwischentitel beigegeben. Die Überschriften
der sechs Abschnitte wurden erst kurz vor
der Uraufführung für die damals so unentbehrlichen Einführungsschriften entworfen
und begannen umgehend, eine auf das Werk
zurückstrahlende, verhängnisvolle Eigendynamik zu entwickeln. Viele Indizien sprechen dafür, dass es gar nicht Strauss selbst
war, der die Satzüberschriften formuliert
hat, sondern Friedrich Rösch, einer seiner
Adepten und Parteigänger, auf dessen maßgeblichen Einfluss auch die nachträgliche
Umarbeitung des Schlussabschnitts zurückzuführen ist: Die erste, bisher ungedruckte Fassung verdämmert als »Erlösungsschluss« im Pianissimo, während die
zweite, im Druck verbreitete Fassung zuletzt noch kräftige, sozusagen »heroische«
Blechbläser-Akzente setzt. Die Autorisierung zur Publikation dieser harmonisch
banalen und unvorteilhaft instrumentierten Fassung, für die es kein nachweisbares
Manuskript von der Hand des Komponisten
gibt, schien Strauss in späteren Jahren
bereut zu haben; jedenfalls quittierte er
im Beisein seines Biographen Willi Schuh
eine Zürcher Aufführung des bekannten
»Heldenleben«-Schlusses mit der sarkastischen Bemerkung: »Staatsbegräbnis !«
Ganz offensichtlich sah er sein Opus 40
durch die von ihm letztlich »mitverschulde-
ANTAGONISTISCHES PRINZIP
Richard Strauss: »Ein Heldenleben«
25
der Tat die Maske des »Heroischen« eine
buchstäblich »aufgesetzte«, das musikalische Säbelrasseln ein Akt unterdrückten
(und camouflierten) Inferioritätsgefühls
war. In einem der »Heldenleben«-Skizzenbücher heißt es bezeichnenderweise, die
Exposition der »heroischen Kraft« müsse
»nach primärer Entfaltung der Fähigkeiten
mit einer großen Herausforderung an die
Welt« enden; dabei seien »Kampfruf« und
»Schlacht« notwendige Mittel, um nicht
nur »äußeren Feinden entgegenzugehen«,
sondern vor allem auch »inneren Feinden«
wie »Zweifel« und »Ekel« den Krieg zu erklären. Der Held könne »aus dieser Schlacht
neu gestärkt im Verein mit der Geliebten
alle inneren, geistigen und künstlerischen
Kräfte immer mehr entwickeln und sie der
Welt präsentieren !«
EKEL, ZORN UND RESIGNATION
Romain Rolland war es auch, der mit seiner
sehr einseitigen Interpretation des »Heldenleben« – »Die Deutschen haben jetzt
ihren Hymniker des Sieges« – die bis heute
noch virulente Diskussion um den geistigen
Standort des Werks entfachte. Strauss wurde in der Folge immer wieder vorgeworfen,
er habe sich zum musikalischen Apologeten
des Wilhelminismus gemacht und der zeitgenössischen Gigantomanie ein tönendes
Denkmal gesetzt – die Willem Mengelberg
und dem Concertgebouw-Orchester Amsterdam gewidmete Partitur verlangt ein blechgepanzertes Aufgebot von mehr als 100
Spielern. Gewiss ist das Werk, wie schon
Rolland feststellte, ein Dokument seiner
Zeit – aber nicht im affirmativen Sinn, indem es den prunkenden »Heroismus« Wilhelms II. verherrlichte, sondern im Gefolge
von Arthur Schopenhauers Hauptwerk »Die
Welt als Wille und Vorstellung« und der dort
gepriesenen Interiorisierung des Konflikts
zwischen Individuum und Lebenswelt. »Des
Helden Weltflucht« erinnert präzise an die
nur zehn Jahre später verfassten Verse
Rainer Maria Rilkes: »Wer spricht von Siegen ? Überstehen ist alles !« – epigrammatische Worte, die der Rilke-Verehrer Gottfried Benn zur Signatur einer ganzen Epoche erklärte. In Strauss’ Skizzenbüchern
ist denn auch die Rede vom »Abbröckeln der
Heldenmotive«, vom »Schluss des Sieges«,
dem die »zarten Gebilde der Kunst« folgen,
und schließlich von »Ekel, Zorn« und »Übergang in die Resignation«. »Nach dem Kampf
mit der Welt«, so Strauss, trete sein Held
»die Flucht in die Einsamkeit« an: »Die Indolenz bleibt stets dieselbe; da erfasst ihn
Ekel, er zieht sich ganz in’s Idyll zurück, nur
mehr seinen Betrachtungen, Wünschen und
dem stillen, beschaulichen Austrag seiner
eigensten Persönlichkeit zu leben. Herbstlicher Wald – Resignation !«
MISSVERSTÄNDNISSE
MITKOMPONIERT
Wie wenig repräsentativ diese Haltung dem
zeitgenössischen, »wilhelminischen« Publikum zu sein schien, beweisen die unfreundlichen Reaktionen auf die ersten Aufführungen: »Da die Opernhaus-Konzerte
das allerkonservativste Publikum, Adel und
viel alte Jungfern haben, gab’s starkes
Zischen !« (so Strauss nach der Berliner
Erstaufführung an seinen Vater). Den Vorwurf tönender Selbstdarstellung, den man
dem Komponisten machte, indem man ihn
in ungebrochener Personalunion mit seinem
»Helden« wähnte, konnte Strauss auch in
der Folgezeit nie ganz entkräften; trotzdem blieb er mit gutem Grund dabei, zu
leugnen, »dass der Held ich sein soll«. Der
Komponist des »Heldenleben« war kein
Held; »heroische Kraft« war ihm ebenso
fremd wie »Weltflucht«. Als Fritz Erler
Richard Strauss: »Ein Heldenleben«
26
Richard Strauss im »Heldenleben«-Jahr
1898 portraitierte, malte er ihn als Vertreter eines expressionistischen, nervöszerrissenen Künstlertypus’, nicht als selbstgefälligen, selbstsicheren »Heros«. Einer
nicht zu Unrecht für nötig erachteten Neutralisierung des virulenten autobiographischen Aspekts kam Strauss entgegen, indem er bei Drucklegung dem Originaltitel
des Manuskripts – »Heldenleben«, ohne
jeden Zusatz – den unbestimmten Artikel
»Ein« voranstellte. Wenn denn überhaupt
ein konkretes Leben Pate gestanden haben
soll für »Ein Heldenleben«, dann höchstens
das von Wagners Tristan, der im Verlauf
des dreiaktigen, von Strauss über alles
gestellten Musikdramas »Tristan und Isolde« mehrfach als »Held« bezeichnet wird
und eine ähnliche innere Wandlung zur Haltung der »Weltflucht« vollzieht wie der
namenlose Protagonist des »Heldenleben«.
Diese These ließe sich durch zahlreiche
harmonische und motivische Anspielungen
auf den 3. Akt »Tristan« erhärten, die in
den Schlussabschnitt des »Heldenleben«
Eingang fanden und beide Werke als philosophische Derivate von Schopenhauers
Weltverneinungs- und Entsagungsideologie miteinander verklammern.
IMMANENTE PATHOS-KRITIK
Geht man von der gemeinsamen Entstehungsgeschichte von »Don Quixote« und
»Ein Heldenleben« aus, wird auch der Hinweis des Komponisten plausibel, beide
Helden-Gestalten seien »so sehr als directe Pendants gedacht, dass besonders ›Don
Quixote‹ erst neben ›Heldenleben‹ voll und
ganz verständlich ist«. Das ironisch gebrochene Heldentum des »Ritters von der
traurigen Gestalt« und das eher ungebrochene, von Anfechtungen weniger tangierte
des anonymen »Heldenleben« wollen sich
gegenseitig korrigieren, relativieren und
zurechtrücken. Durch die wechselseitige Erhellung zweier komplementärer HeroismusKonzeptionen gerät das vielzitierte Pathos
des »Heldenleben« in die Perspektive einer
bewusstgemachten, wohlüberlegten »Setzung«; sie dient der Darstellung und gleichzeitigen Objektivierung einer überzeitlichen, quasi »typischen« Haltung – ein
künstlerischer Vorgang, der dem Komponisten wohl kaum als unreflektierte Emanation von »Selbstbekenntnissen« anzulasten ist, wie sie bis heute manche Kritiker dem Autor des »Heldenleben« nur zu
gern unterschieben.
FILMISCHE TECHNIKEN
Immerhin fand das »Heldenleben« den Beifall eines so feinsinnigen und allem pompösen Auftrumpfen abgeneigten Geistes wie
Claude Debussy, der am 30. März 1903 in
der Pariser Zeitschrift »Gil Blas« Strauss’
Kompositionstechniken einer bis heute gültigen Analyse unterzog. Debussy rühmte
am »Heldenleben« das »ungewöhnliche und
äußerst selten praktizierte Verfahren«,
eine an filmische Techniken gemahnende
»Bildersprache« nach »Farbwerten« aufzugliedern, an die Stelle der »Form-Architekturen eines Bach oder Beethoven rhythmisch organisierte Orchesterfarben« zu
setzen und die »entferntesten Tonarten
der bloßen Lebendigkeit wegen kaltblütig
übereinander zu türmen, ohne sich um die
daraus resultierende zerreißende Klangwirkung zu kümmern«. Debussys durchaus
kritische Bewunderung für Strauss’ »Heldenleben« war so groß, dass er die Schlussfolgerung zog: »Wer ein Werk mit einem
solchen Durchsetzungsvermögen komponieren konnte, muss so etwas wie ein Genie
sein !«
Richard Strauss: »Ein Heldenleben«
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Valery
Gergiev
DIRIGENT
In Moskau geboren, studierte Valery Gergiev zunächst Dirigieren bei Ilya Musin am
Leningrader Konservatorium. Bereits als
Student war er Preisträger des Herbertvon-Karajan-Dirigierwettbewerbs in Berlin.
1978 wurde Valery Gergiev 24-jährig Assistent von Yuri Temirkanov am MariinskyOpernhaus, wo er mit Prokofjews TolstoiVertonung »Krieg und Frieden« debütierte.
2003 dirigierte Gergiev als erster russischer Dirigent seit Tschaikowsky das Saisoneröffnungskonzert der New Yorker Carnegie Hall.
Valery Gergiev leitet seit mehr als zwei Jahrzehnten das legendäre Mariinsky-Theater
in St. Petersburg, das in dieser Zeit zu einer
der wichtigsten Pflegestätten der russischen Opernkultur aufgestiegen ist. Darüber hinaus ist er Leiter des 1995 von Sir
Georg Solti ins Leben gerufenen »World Orchestra for Peace«, mit dem er ebenso wie
mit dem Orchester des Mariinsky-Theaters
regelmäßig Welttourneen unternimmt. Von
2007 an war Gergiev außerdem Chefdirigent des London Symphony Orchestra, mit
dem er zahlreiche Aufnahmen für das hauseigene Label des Orchesters einspielte.
Valery Gergiev präsentierte mit seinem
Mariinsky-Ensemble weltweit Höhepunkte
des russischen Ballett-und Opernrepertoires, Wagners »Ring« sowie sämtliche Symphonien von Schostakowitsch und Prokofjew. Mit dem London Symphony Orchestra
trat er regelmäßig im Barbican Center London, bei den Londoner Proms und beim Edinburgh Festival auf. Zahlreiche Auszeichnungen begleiteten seine Dirigentenkarriere,
so z. B. der Polar Music Prize und der Preis
der All-Union Conductor’s Competition in
Moskau. Seit Beginn der Spielzeit 2015/16
ist Valery Gergiev Chefdirigent der Münchner Philharmoniker.
Die Künstler
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Yulia
Matochkina
Yekaterina
Krapivina
MEZZOSOPRAN
MEZZOSOPRAN
Yulia Matochkina wurde in Mirny bei Archangelsk in Nordwest-Russland geboren.
2004 hatte sie bereits ihr Studium an der
örtlichen Fachmusikschule in den Abteilungen Dirigieren und Chorgesang beendet,
2009 folgte der Hochschul-Abschluss im
Fach Gesang am Staatlichen Petrosawodsker
Glasunow-Konservatorium. Bereits ein Jahr
zuvor war Yulia Matochkina Mitglied der
Mariinsky-Akademie für junge Opernsänger
geworden, ihr Debüt auf der Bühne des
Mariinsky-Theaters gab sie als Cherubino in
Mozarts »Figaro«. Nach zahlreichen Erfolgen bei nationalen und internationalen Gesangswettbewerben gewann Yulia Matochkina 2015 den 1. Preis beim XV. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb. Mit dem
Ensemble des Mariinsky-Theaters ist Yulia
Matochkina in Österreich, Deutschland,
Finnland, Schweden, England, Frankreich,
Italien, Spanien, Japan und in der Schweiz
aufgetreten. Außerdem war sie mehrfach
Gast beim Edinburgh International Festival.
Die russische Mezzosopranistin studierte
am Staatlichen Konservatorium der südrussischen Stadt Astrachan und war dort Solistin am Städtischen Opernhaus. 2006 gab
Yekaterina Krapivina ihr erstes Gastspiel
am Mariinsky-Theater, im Jahr 2011 wurde
sie als Solistin ins Ensemble aufgenommen.
Zu Yekaterina Krapivinas zahlreichen Rollen
am Mariinsky-Theater zählen Polina, Gouvernante und Milowsor (Daphnis) in Tschaikowskys »Pique Dame« sowie Olga in Tschaikowskys »Eugen Onegin«, Cherubino in
Mozarts »Le nozze di Figaro«, Teresa in
Bellinis »La sonnambula«, Alisa in Donizettis »Lucia di Lammermoor«, Flora Bervoix in
Verdis »La traviata«, Ines in Verdis »Il trovatore«, Anna in Berlioz’ »Les Troyens«,
Suzuki in Puccinis »Madama Butterfly«,
Aufräumfrau in Janáčeks »Die Sache Makropoulos« und Hippolyta in Brittens »A Midsummer Night’s Dream«. Yekaterina Krapivina bereiste mit dem Mariinsky-Theater die
USA, Großbritannien, Israel und Japan.
Die Künstler
29
Sergej
Semishkur
Yevgeny
Akhmedov
TENOR
TENOR
Sergei Semishkur stammt aus der russischen
Industriestadt Kirow. Er studierte Gesang
und Chorleitung am Glinka-Konservatorium
in Nischnij-Nowgorod. 2003 wechselte er zur
Akademie für junge Sänger des MariinskyTheaters, 2007 wurde er Solist im Ensemble,
2010 sang er die Titelpartie in Schostakowitschs »Die Nase« in einer für den Grammy
nominierten Einspielung des MariinskyTheaters. 2007 gab Sergei Semishkur sein
Debüt bei den Salzburger Festspielen in der
Titelrolle von Berlioz’ »Benvenuto Cellini«.
Ebenfalls in Salzburg trat er als Solist in
Mussorgskys »Lieder und Tänze des Todes«
mit den Wiener Philharmonikern auf. Am
Mariinsky-Theater singt Sergei Semishkur
ein vielfältiges Repertoire an Tenorrollen,
das sich von den Meisterwerken Donizettis,
Verdis und Puccinis bis zu den Klassikern
des russischen Repertoires erstreckt. Auch
Rollen von Berlioz und Offenbach werden
von Semishkur gesungen sowie Hauptrollen
in Opern von Janáček und Szymanowski.
Yevgeny Akhmedov war bereits seit 2011
am Michailowsky-Theater in St. Petersburg
engagiert und seit 2012 Mitglied der
Mariinsky-Akademie für junge Opernsänger, als er 2015 ein Ehrendiplom beim XV.
Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb
gewann. Im Jahr zuvor hatte er bereits sein
Debüt auf der Bühne des Mariinsky-Theaters als Lenskij in Tschaikowskys »Eugen
Onegin« gegeben. Prominente MariinskyRollen folgten wie Don Ottavio in Mozarts
»Don Giovanni«, Nemorino in Donizettis
»Liebestrank«, Alfredo in Verdis »Traviata« und Almaviva in Rossinis »Barbier von
Sevilla«. Akhmedovs Repertoire umfasst
zahlreiche weitere Rollen wie den Narren in
Mussorgskys »Boris Godunow« sowie Lykov in Rimskij-Korsakows »Zarenbraut«
und Tschekalinsky in Tschaikowskys »Pique
Dame«. Seit 2016 ist Yevgeny Akhmedov
Mitglied des Atkins Young Artists Program
am Mariinsky-Theater, mit dem er bereits
zahlreiche Tourneen absolvierte.
Die Künstler
30
2
Yuri
Vorobiev
Andreas
Herrmann
BASS
CHORDIREKTOR
Der in St. Petersburg geborene Bass absolvierte die Glinka-Chorschule seiner Heimatstadt und studierte in der Folgezeit am
Rimskij-Korsakow-Konservatorium. Seit
2009 ist er Solist im Ensemble des Mariinsky-Theaters, mit dem er auf viele Gastspielreisen ging: Unter Leitung von Valery Gergiev sang Yuri Vorobiev die Bass-Partie in
Schostakowitschs 14. Symphonie im Konzerthaus in Wien und im Concertgebouw
Amsterdam, als Narbal in Berlioz’ »Les Troyens« sang er in Tokio in der Suntory Hall
sowie in New York in der Carnegie Hall. Als
Gurnemanz in Wagners »Parsifal« war Yuri
Vorobiev in der Londoner Barbican Hall und
weiteren britischen Konzertsälen zu hören.
Er gastierte beim Festival in Aix-en-Provence, bei den Salzburger Festspielen, an der
Opéra de Lyon und am Königlichen Opernhaus in Covent Garden. Zu Vorobievs Rollen
am Mariinsky-Theater zählen Sarastro in
Mozarts »Zauberflöte«, Ramfis in Verdis
»Aida« sowie Timur in Puccinis »Turandot«.
Der 1963 in München geborene Dirigent
und Chorleiter schloss sein Studium an
der Münchner Musikhochschule mit dem
Meisterklassen- Diplom ab. Seine Ausbildung ergänzte er durch zahlreiche internationale Chorleitungsseminare und Meisterkurse bei renommierten Chordirigenten wie
Eric Ericson und Fritz Schieri. Als Professor
an der Hochschule für Musik und Theater in
München unterrichtet Andreas Herrmann
seit 1996 vorwiegend im Hauptfach Chordirigieren. Zehn Jahre, von 1996 bis 2006,
leitete er den Hochschulchor, daneben zeitweise auch den Madrigalchor der Hochschule, und betreute in dieser Zeit Oratorienkonzerte, Opernaufführungen und a cappellaProgramme aller musikalischen Stilrichtungen. Pädagogische Erfolge erzielt Herrmann
weiterhin mit der Ausbildung professioneller junger Chordirigenten aus ganz Europa,
wie etwa in einem Spezialworkshop über
neue a cappella-Musik. 1996 übernahm
Andreas Herrmann die Leitung des Philharmonischen Chores München.
Die Künstler
31
3
Philharmonischer
Chor München
Der Philharmonische Chor München ist einer der führenden Konzertchöre Deutschlands und Partnerchor der Münchner Philharmoniker. Er wurde 1895 von Franz
Kaim, dem Gründer der Münchner Philharmoniker, ins Leben gerufen und feierte
2015 seinen 120. Geburtstag. Seit 1996
wird er von Chordirektor Andreas Herrmann geleitet.
Das Repertoire erstreckt sich von barocken Oratorien über a cappella- und
chorsymphonische Literatur bis zu konzertanten Opern und den großen Chorwerken
der Gegenwart. Das musikalische Spektrum umfasst zahlreiche bekannte und weniger bekannte Werke von Mozart über
Verdi, Puccini, Wagner und Strauss bis hin
zu Schönbergs »Moses und Aron« und Henzes »Bassariden«. Der Chor pfl egt diese
Literatur ebenso wie die Chorwerke der
Komponisten Bach, Händel, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms,
Bruckner, Reger, Strawinsky, Orff oder
Penderecki. Er musizierte u. a. unter der
Leitung von Gustav Mahler, Hans Pfitzner,
Krzysztof Penderecki, Herbert von Karajan, Rudolf Kempe, Sergiu Celibidache, Zubin Mehta, Mariss Jansons, James Levine,
Christian Thielemann und Lorin Maazel.
In den vergangenen Jahren hatten Alte und
Neue Musik an Bedeutung gewonnen: Nach
umjubelten Aufführungen Bach’scher Pas-
sionen unter Frans Brüggen folgte die Einladung zu den Dresdner Musikfestspielen.
Äußerst erfolgreich wurde auch in kleineren
Kammerchor-Besetzungen unter Dirigenten
wie Christopher Hogwood und Thomas Hengelbrock gesungen. Mit Ton Koopman entwickelte sich eine enge musikalische
Freundschaft, die den Chor auch zu den
»Europäischen Wochen« in Passau führte.
Im Bereich der Neuen Musik war der Philharmonische Chor München mit seinen Ensembles bei Ur- und Erstaufführungen zu hören.
So erklang in der Allerheiligen-Hofkirche die
Münchner Erstaufführung der »Sieben Zaubersprüche« von Wolfram Buchenberg unter der Leitung von Andreas Herrmann.
Ende 2014 gestaltete der Chor die Uraufführung von »Egmonts Freiheit – oder Böhmen liegt am Meer« unter der Leitung des
Komponisten Jan Müller-Wieland.
Der Philharmonische Chor ist ein gefragter
Interpret von Opernchören und setzt nachdrücklich die unter James Levine begonnene Tradition konzertanter Opernaufführungen fort, die auch unter Christian Thielemann mit großem Erfolg gepflegt wurde.
Zu den CD-Einspielungen der jüngeren Zeit
zählen Karl Goldmarks romantische Oper
»Merlin«, die 2010 den ECHO-Klassik in der
Kategorie »Operneinspielung des Jahres
– 19. Jahrhundert« gewann, und eine Aufnahme von Franz von Suppés »Requiem«,
die für den International Classical Music
Award (ICMA) 2014 nominiert wurde.
Die Künstler
32
Münchner
Klangbilder
DIE KONZERTPLAKATE DER
SPIELZEIT 2016/17
Musik erzeugt Bilder in unseren Köpfen.
Für die Gestaltung von Plakaten hat das
Orchester der Stadt deshalb auch für die
Spielzeit 2016/17 die Künstler der Stadt
gebeten, ihre Bilder festzuhalten. Aus der
Musik und der Geschichte des Stückes wurden so neue Kunstwerke geschaffen: eine
besondere Zusammenarbeit zwischen der
gestalterischen und der musikalischen
Welt Münchens. Jeder Künstler hat dabei
seine eigene Sprache, um die Melodien und
Töne in Bilder zu übersetzen. Entstanden
sind Fotografien, Malereien, Installationen, Grafiken und Collagen mit einzigartigem Charakter. Allesamt Plakate, die neugierig machen auf ein ganz besonderes
Konzerterlebnis. Plakate, die zeigen, wie
vielfältig Musik ist und wie individuell sie
wahrgenommen werden kann.
TITELGESTALTUNG ZUM HEUTIGEN
KONZERTPROGRAMM
»Licht und Schatten, hell und dunkel, Stille
und Komposition – diese Gegensätze vereinen sich im Motiv zur Person des Helden.
Und genau wie die Musik in Strauss’ Sinfonischer Dichtung, rückt das hell strahlende
Logo im Motiv den dunklen Schatten in ein
erhabenes Licht. Zugleich symbolisiert die
Farbe Rot das Drama zwischen Held und
Widersacher.« (Kerstin Schulmayer, 2016)
DIE KÜNSTLERIN
Kerstin Schulmayer, Grafik-Desingerin und
Fotografin, lebt und arbeitet, seit 17 Jahren
in ihrer Wahlheimat München.
grafi[email protected]
Alle bereits erschienenen Motive können
Sie online unter mphil.de/kalender/plakate
ansehen.
Kerstin Schulmayer
33
Dienstag 20_09_2016 20 Uhr
Mittwoch 21_09_2016 20 Uhr
k4
f
RODION SHCHEDRIN
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2
RICHARD STRAUSS
»Till Eulenspiegels lustige Streiche« op. 28
LUDWIG VAN BEETHOVEN
Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 »Eroica«
VALERY GERGIEV
Dirigent
DENIS MATSUEV
Klavier
Samstag 24_09_2016 19 Uhr
Sonntag
25_09_2016 11 Uhr
Donnerstag 29_09_2016 20 Uhr b
Freitag 30_09_2016 20 Uhr c
Donnerstag
29_09_2016 10 Uhr
Öffentliche Generalprobe
GYÖRGY LIGETI
»Concert Românesc« für Orchester
BÉLA BARTÓK
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3
»Concerto for Orchestra«
PABLO HERAS-CASADO
Dirigent
JAVIER PERIANES
Klavier
h4
m
Sonntag
09_10_2016 11 Uhr
DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1
a-Moll op. 77
ANTON BRUCKNER
Symphonie Nr. 6 A-Dur
1. KAMMERKONZERT
Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz
VALERY GERGIEV
Dirigent
LEONIDAS KAVAKOS
Violine
STEVE REICH
»Music for Pieces of Wood« (1973)
»Clapping Music« (1972)
»Drumming«, Part 1 (1970/71)
»Mallet Quartet« (2009)
»Marimba Phase« (1967)
»Pendulum Music« (1968)
»MINIMAL MUSIC«
Steve Reich zum 80. Geburtstag
DIE SCHLAGZEUGER DER
MÜNCHNER PHILHARMONIKER
Vorschau
34
Die Münchner
Philharmoniker
1. VIOLINEN
Sreten Krstič, Konzertmeister
Lorenz Nasturica-Herschcowici,
Konzertmeister
Julian Shevlin, Konzertmeister
Odette Couch, stv. Konzertmeisterin
Claudia Sutil
Philip Middleman
Nenad Daleore
Peter Becher
Regina Matthes
Wolfram Lohschütz
Martin Manz
Céline Vaudé
Yusi Chen
Iason Keramidis
Florentine Lenz
Vladimir Tolpygo
2. VIOLINEN
Simon Fordham, Stimmführer
Alexander Möck, Stimmführer
IIona Cudek, stv. Stimmführerin
Matthias Löhlein, Vorspieler
Katharina Reichstaller
Nils Schad
Clara Bergius-Bühl
Esther Merz
Katharina Schmitz
Ana Vladanovic-Lebedinski
Bernhard Metz
Namiko Fuse
Qi Zhou
Clément Courtin
Traudel Reich
Asami Yamada
BRATSCHEN
Jano Lisboa, Solo
Burkhard Sigl, stv. Solo
Max Spenger
Herbert Stoiber
Wolfgang Stingl
Gunter Pretzel
Wolfgang Berg
Beate Springorum
Konstantin Sellheim
Julio López
Valentin Eichler
VIOLONCELLI
Michael Hell, Konzertmeister
Floris Mijnders, Solo
Stephan Haack, stv. Solo
Thomas Ruge, stv. Solo
Herbert Heim
Veit Wenk-Wolff
Sissy Schmidhuber
Elke Funk-Hoever
Manuel von der Nahmer
Isolde Hayer
Sven Faulian
David Hausdorf
Joachim Wohlgemuth
Das Orchester
35
KONTRABÄSSE
Sławomir Grenda, Solo
Fora Baltacigil, Solo
Alexander Preuß, stv. Solo
Holger Herrmann
Stepan Kratochvil
Shengni Guo
Emilio Yepes Martinez
Ulrich Zeller
FLÖTEN
Alois Schlemer
Hubert Pilstl
Mia Aselmeyer
TROMPETEN
Guido Segers, Solo
Bernhard Peschl, stv. Solo
Franz Unterrainer
Markus Rainer
Florian Klingler
Michael Martin Kofler, Solo
Herman van Kogelenberg, Solo
Burkhard Jäckle, stv. Solo
Martin Belič
Gabriele Krötz, Piccoloflöte
POSAUNEN
OBOEN
PAUKEN
Ulrich Becker, Solo
Marie-Luise Modersohn, Solo
Lisa Outred
Bernhard Berwanger
Kai Rapsch, Englischhorn
Stefan Gagelmann, Solo
Guido Rückel, Solo
Michael Leopold, stv. Solo
KLARINETTEN
Alexandra Gruber, Solo
László Kuti, Solo
Annette Maucher, stv. Solo
Matthias Ambrosius
Albert Osterhammer, Bassklarinette
FAGOTTE
Dany Bonvin, Solo
Matthias Fischer, stv. Solo
Quirin Willert
Benjamin Appel, Bassposaune
SCHLAGZEUG
Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger
Jörg Hannabach
HARFE
Teresa Zimmermann, Solo
CHEFDIRIGENT
Valery Gergiev
Jürgen Popp
Johannes Hofbauer
Jörg Urbach, Kontrafagott
EHRENDIRIGENT
HÖRNER
Paul Müller
Jörg Brückner, Solo
Matias Piñeira, Solo
Ulrich Haider, stv. Solo
Maria Teiwes, stv. Solo
Robert Ross
Zubin Mehta
INTENDANT
ORCHESTERVORSTAND
Stephan Haack
Matthias Ambrosius
Konstantin Sellheim
Das Orchester
36
IMPRESSUM
TEXTNACHWEISE
BILDNACHWEISE
Herausgeber:
Direktion der Münchner
Philharmoniker
Paul Müller, Intendant
Kellerstraße 4
81667 München
Lektorat:
Stephan Kohler
Corporate Design:
HEYE GmbH
München
Graphik:
dm druckmedien gmbh
München
Druck:
Gebr. Geiselberger GmbH
Martin-Moser-Straße 23
84503 Altötting
Peter Jost schrieb seinen
Text als Originalbeitrag für
die Programmhefte der
Münchner Philharmoniker.
Stephan Kohler stellte seine Texte den Münchner
Philharmonikern zum Abdruck in diesem Programmheft zur Verfügung; er verfasste darüber hinaus die
lexikalischen Werkangaben
und Kurzkommentare zu
den aufgeführten Werken.
Das literarische Vorwort
zu Strauss’ »Don Juan«
(aus Nikolaus Lenaus
gleichnamigem Versepos)
zitieren wir nach dem
Wortlaut des Erstdrucks
der Orchesterpartitur;
Druckfehler und andere
Irrtümer wurden stillschweigend bereinigt.
Künstlerbiographien (Gergiev; Matochkina; Krapivina; Semishkur; Akhmedov;
Vorobiev, Philharmonischer
Chor, Herrmann): Nach
Agenturvorlagen. Alle
Rechte bei den Autorinnen
und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und
kostenpflichtig.
Abbildungen zu Richard
Strauss: Strauss Archiv
München (SAM), Sammlung Stephan Kohler. Abbildungen zu Hector Berlioz:
Gunther Braam, The Portraits of Hector Berlioz
(Hector Berlioz, New Edition of the Complete Works,
Vol. 26), Kassel 2003; John
Pope-Hennessy / Gabriel
White, Berlioz and the Romantic Imagination (Ausstellungskatalog), London
1969. Künstlerphotographien: Marco Borggreve
(Gergiev); Matochkina; Valentin Baranovsky (Krapivina); Semishkur; Akhmedov; Vorobiev).
Medienpartner:
Gedruckt auf holzfreiem und
FSC-Mix zertifiziertem Papier
der Sorte LuxoArt Samt
Impressum
In freundschaftlicher
Zusammenarbeit mit
DAS FESTIVAL
FÜR FAMILIEN
FAMILIENKONZERT
»Peter und der Wolf«
EDUCATION
TANZPROJEKT
»Romeo & Julia«
COMMUNITY
MUSIC
Performances
für Groß und Klein
Samstag
12_11_2016
—
GASTEIG
mphil.de
18 B
G JA IS
RA H
TI RE
S
’16
’17
DAS ORCHESTER DER STADT