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Interview
Titelthema > digitalisierung
AUSGABE 9|2016
Datenqualität
im Internet der Dinge
Das Stichwort „Internet der Dinge“ und seine Möglichkeiten faszinieren derzeit viele.
Themen wie „Stammdaten-Management“ hingegen rangieren in diesem Zusammenhang eher unter „ferner liefen“. Zu Recht? Dies fragten wir Monika Pürsing,
Chief Executive Officer bei Zetvisions, im Interview.
> Wenn künftig in cyber-physischen SysPreise. Jedes intelligente Objekt wird
temen außerordentlich viele Sensoren,
durch eine spezifische Nummer identifiMaschinen und Eingabegeräte in einem
zierbar sein. Nur so kann es über den geInternet der Dinge, Daten und Dienste
samten Lebenszyklus hinweg verfolgt
miteinander vernetzt sind und sich selbstwerden und seine Rolle in den sich selbst
ständig steuern, potenziert dies das Probsteuernden Produktionsabläufen der Inlem des systematischen Stammdaten-Madustrie 4.0 spielen. Zusätzlich zu den
nagements. Im Internet der Dinge wird
Stammdaten eines Produkts an sich werpraktisch jeder Gegenstand ein Compuden zunehmend Stammdaten zu der Auster, der programmiert werden kann und
prägung des Produkts über den gesamten
mit anderen smarten Dingen interagiert. Monika Pürsing, Zetvisions
Lebenszyklus anfallen. Darauf hat Ulrich
In dieser Welt, in der sozusagen alles mit
Reinbeck, Geschäftsführer der Avista
allem kommuniziert, spielt Stammdaten-Management ERP Software, hingewiesen. Diese seriennummernbeeine wesentliche Rolle, um Erkenntnisse aus der riesi- zogenen Stammdaten müssten strukturiert gespeichert
gen Datenmenge generieren und die richtigen Schlüsse und ausgewertet werden.
IT-DIRECTOR: Wo stehen wir heute, wenn es um die Nutzung
ziehen zu können.
IT-DIRECTOR: Frau Pürsing, über welche Dimensionen reden
von IoT-Daten geht?
M. Pürsing: Wir stehen erst am Anfang. Laut McKinsey
wir?
M. Pürsing: Das IT-Marktforschungsunternehmen Gartner Global Institute werden die meisten IoT-Daten, die
hat vorhergesagt, dass 2016 weltweit 6,4 Milliarden heute gesammelt werden, überhaupt nicht genutzt. Und
verknüpfte „Dinge“ in Gebrauch sind; gegenüber 2015 die, die genutzt werden, werden nicht vollständig ausist das ein Zuwachs um 30 Prozent. In diesem Jahr gebeutet. So wird z. B. weniger als ein Prozent der Danimmt die Anzahl der Dinge, die miteinander vernetzt ten, die die 30.000 Sensoren einer Offshore-Ölplattsind, täglich um 5,5 Millionen zu. 2020 sollen es 20,8 form produzieren, genutzt, um Entscheidungen zu trefMilliarden sein. Wenn dann, wie die Weltbank voraus- fen. Allgemein dienen die Daten, von denen heute
sagt, 7,7 Milliarden Menschen auf der Erde leben, sind ­G ebrauch gemacht wird, hauptsächlich der Echtzeitdas fast drei vernetzte „Dinge“ pro Mensch.
kontrolle und der Erkennung von Unregelmäßigkeiten.
IT-DIRECTOR: Als Stammdaten bezeichnet man statische
In der Verbesserung der operativen Effizienz und der
Grunddaten oder Referenzdaten zu betriebsrelevanten
Vorhersage beispielsweise erforderlicher InstandhalObjekten wie beispielsweise Produkten, Lieferanten,
tungsmaßnahmen liegt aber der größte Nutzen. Wir
Kunden und Mitarbeitern. Welche Änderungen der
haben also noch viel Luft nach oben.
IT-DIRECTOR: „Vorhersage“ ist ein wichtiges Stichwort. Wel­Datenlandschaft sind durch das IoT absehbar?
M. Pürsing: Das Internet der Dinge wird selbst weitere che Möglichkeiten ergeben sich durch die Vorhersage
Stammdaten rund um die vernetzten „Dinge“ hervor- auf der Basis von IoT-Daten?
bringen. Es geht nicht allein um Namen, Adressen, Be- M. Pürsing: Da gibt es natürlich zahlreiche. Ich greife gerne
zeichnungen, Materialien, Mengen, Einheiten oder auf das Beispiel GE zurück, das Sokwoo Rhee, Leiter
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it-director · Ausgabe 9/2016
digitalisierung < Titelthema
„Laut McKinsey
­Global Institute
­werden die meisten
IoT-Daten, die
­heute gesammelt
werden, überhaupt
nicht ­genutzt.“
des Cyber Physical Systems Program am
National Institute of Standards and Technology in den USA, geschildert hat. GE hat
früher Flugzeugmotoren zu einem einheitlichen Preis verkauft. Heute geben sie die
Motoren im Rahmen eines Subskriptionsmodells gratis ab und berechnen eine monatliche oder jährliche Nutzungsgebühr, die
mit einer Garantie verbunden ist. Kunden
müssen sich um Reparaturen oder Ähnliches keine Gedanken machen. Sie können
darauf vertrauen, dass die Motoren anspringen und laufen,
wenn sie den Schalter betätigen. Damit dieses Modell funktioniert, muss GE genau wissen, wann die Motoren auszufallen
drohen. Werden sie zu früh ersetzt, verliert das Unternehmen
Geld, denn die Motoren hätten noch weitere Erträge generieren
können. Warten sie dagegen zu lange, kann das verhängnisvolle Folge haben. Um herauszufinden, wann genau die Motoren
auszufallen drohen, sammelt GE die Daten von vielen Hundert
Sensoren und wertet sie mithilfe von Big Data Analytics aus.
IT-DIRECTOR: Stammdaten sind ein kritischer Erfolgsfaktor, um diese
analytischen und vorausschauenden Erkenntnisse gewinnen zu
können. Lässt sich der wirtschaftliche Nutzen quantifizieren?
M. Pürsing: Dafür gibt es sicher viele Beispiele. Bleiben wir noch
einmal bei der Luftfahrt. Die Verkürzung der Durchlaufzeit bis
zum nächsten Abflug oder die Optimierung der Motorenleistung und Kraftstoffeffizienz verbessern die Kundenerfahrungen und reduzieren Kosten. Allein die Reduzierung der Kraftstoffkosten um ein Prozent bedeutet für die gesamte Industrie
über einen Zeitraum von 15 Jahren eine Einsparung von 30
Mrd. US-Dollar. Automobilhersteller, die IoT-Daten für die vorausschauende Instandhaltung nutzen, Öl- und Gasfirmen, die
die Leistung ihrer Bohrlochköpfe analysieren, Energieunternehmen, denen intelligente Messgeräte Erkenntnisse zu den
Verbrauchsgewohnheiten ihrer Kunden liefern, Logistikunternehmen, die Verkehrs- und Wetterdaten verfolgen, um Lieferungen schneller zum Kunden zu bringen – die Möglichkeiten,
wirtschaftlichen Nutzen aus IoT-Daten zu ziehen, sind vielfältig.
IT-DIRECTOR: Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten
­Herausforderungen im Umgang mit IoT-Daten?
M. Pürsing: Datenqualität spielt einmal mehr eine wesentliche Rolle. Verlässlichkeit, Aktualität und Konsistenz sind unerlässlich,
um aus der riesigen Datenmenge die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dazu ist es erforderlich, in der Unmenge von Daten erst
einmal Zusammenhänge herzustellen, die sinnvolle, nutzenbringende Erkenntnisse in Echtzeit erlauben. Mit immer mehr
Daten allein ist wenig gewonnen. Entscheidend ist die Auswertung und Nutzung dieser Daten. <
Dr. Nicolai Hammersen
it-director · Ausgabe 9/2016
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